Poonal Nr. 395

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 395 vom 13. August 1999

Inhalt


PUERTO RICO

MEXIKO

HONDURAS

NICARAGUA

BRASILIEN

CHILE

URUGUAY

PERU

KOLUMBIEN

VENEZUELA

BOLIVIEN

KINDER IN LATEINAMERIKA


PUERTO RICO

Ultimatum an die US-Marine – Militärs warfen Napalm-Bomben in Vieques ab

(San Juan, August 1999, alai-Poonal).- Auf einer Vollversammlung am 31. Juli setzten die Bewohner*innen der puertoricanischen Insel Vieque der US-Marine ein Ultimatum. Sie forderten die sofortige Einstellung aller kriegerischer Aktivitäten und den Abzug von Personal und Ausrüstung. Die Bewohner*innen versicherten in ihrer Erklärung, die Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen Puerto Ricos sowie ihrer Regierung zu haben.

In ihrem gemeinsam verabschiedeten Dokument verweisen sie auf ihr „unveräußerliches Recht, eine Zukunft in Frieden und Wohlergehen aufzubauen und unseren historischen und heldenhaften Kampf weiterzuführen, den wir seit mehr als sechs Jahrzehnten ohne Pause aufgenommen haben, um die Attacken, die die Kriegsmarine der USA auf Vieques begeht, zu beenden“.

Die Kriegsmarine wird angeklagt, Luft, Wasser und Land verseucht zu haben und „bedeutend zur äußerst hohen Krebsrate und anderen mit dem Umweltniedergang verbundenen Krankheiten unserer Bevölkerung beizutragen“. Ein weiterer Punkt ist die starke psychologische Belastung der die Kinder aufgrund der dauernden militärischen Manöver ausgesetzt sind.

Die US-Regierung wird aufgefordert, für alle auf der Insel Vieques verursachten Schäden aufzukommen und jegliche Spuren der Marineaktivitäten in der Umwelt zu beseitigen. Die Marine wird unter anderem beschuldigt, „mehr als ein halbes Jahrhundert lang die gesunde Entwicklung unserer Wirtschaft behindert zu haben“. Für den Fall, daß den Forderungen nicht nachgekommen werden, kündigen die Bewohner*innen der Insel weitere Protestmaßnahmen an. Weder Repression noch Verhaftungen könnten die Entschlossenheit schwächen.

Erst Mitte Juli hatte sich die Stimmung gegen die US-Marine auf der Insel weiter aufgeheizt, nachdem bekannt geworden war, daß die Militärs im Rahmen ihrer Manöver in der Umgebung der Insel 1993 auch 24 Napalm-Bomben Abgeworfen hat. Die Information dazu fand sich im klein gedruckten Anhang einer Untersuchung, die die Kriegsmarine überreichte. Entsprechende Vermutungen waren vorher bereits aufgetaucht. Die USA setzten das hochgiftige Napalm unter anderen im Vietnamkrieg ein. In Vieques ist die US-Marine unter besonderem Rechtfertigungszwang, nachdem vor wenigen Monaten ein Bewohner der Insel durch den Bombenabwurf während eines Manövers getötet wurde. Die Protestbewegung für den völligen Abzug der US-Truppen findet immer breitere Unterstützung.

MEXIKO

Überlebende des Massakers von Acteal konnten endlich ausreisen

(Mexiko-Stadt, 9. August 1999, pulsar-Poonal).- Drei Tzotzil-Kinder, die am 22. Dezember 1997 das Massaker von Acteal überlebten, werden in den USA umfassend auf körperliche und psychische Schäden untersucht. Die Behandlungskosten der Kinder im medizinischen Zentrum von Georgetown wird die dortige Erzdiözese übernehmen. Vor mehr als anderthalb Jahren hatten in der kleinen chiapanekischen Gemeinde Acteal der Regierung nahestehende Paramilitärs – ebenfalls Indígenas – 45 Tzoztiles umgebracht. Unter den Ermordeten befanden sich viele Frauen und Kinder.

Bevor die mexikanischen Behörden die Ausreisegenehmigung erteilten, war öffentlicher Druck notwendig gewesen. Das Außenministerium führte formale Kriterien an, um die Erlaubnis zu verweigern. Die Kinder hatten – wie viele Indígenas in abgelegenen Gemeinden des Landes – keine gültigen Papiere. Obwohl die Paramilitärs bei ihren Vertreibungsaktionen oft die Papiere der Opfer verbrennen und die drei Kinder allesamt ihre Mütter und in einem Fall auch den Vater bei dem Massaker verloren, zeigte sich das Ministerium anfangs unnachgiebig.

Der für die Gemeinde Acteal zuständige Priester wies Äußerungen aus dem Außenministerium zurück, die Kinder könnten zu anderen Zielen als der medizinischen Behandlung benutzt werden. Wann die Kinder aus den USA zurückkehren, steht noch nicht fest. Offiziell treten sie eine „private“ Reise an.

Wer wird Bischof in San Cristobal?

(San Cristobal de las Casas, Juli 1999, pulsar-Poonal).- Die Diözese von San Cristobal im Bundesstaat Chiapas berichtet über den Versuch der mexikanischen Regierung Einfluß auf den Vatikan zu nehmen. Dadurch soll erreicht werden, daß nicht Weihbischof Raúl Vera López Ende des Jahres dem amtierenden Bischof Samuel Ruiz García an die Spitze der Diözese folge, sondern ein regierungsfreundlicherer Kirchenhierach. Ruiz wird Anfang November 75 Jahre alt und muß damit automatisch sein Amt abgeben. Die mexikanische Regierung und der damalige päpstliche Nuntius Prigione hatten bereits Ende 1993 vergeblich versucht, den kritischen und unliebsamen Bischof aus der Diözese zu entfernen. Als Ruiz García nach dem Aufstand der Zapatisten 1994 zu einer wichtigen und bekannten Vermittlungsfigur wurde, scheiterten diese Pläne endgültig. Der vom Vatikan nach San Cristobal geschickte Weihbischof Vera López, in dem viele einen Aufpasser des Papstes sahen, solidarisierte sich nach wenigen Monaten mit der armen Indígena-Bevölkerung in der Diözese und mit Ruiz García. Dies gefährdet jetzt offenbar seine Amtsübernahme. Generalvikar Felipe Toussaint äußerte den Verdacht, der Weihbischof könnte zum Kardinal ernannt werden, um ihn so ohne größere Proteste aus San Cristóbal abziehen zu können.

HONDURAS

Mutmaßlicher Mörder in Uniform vorerst frei

(Tegucigalpa, Juli 1999, pulsar-Poonal).- Der ehemalige Chef der honduranischen Militärpolizei, General Daniel Balí, kam auf Beschluß eines Zivilrichters aus der Haft frei. Der Militär ist angeklagt, das Verschwindenlassen und die anschließende Ermordung einiger Linksoppositioneller in den 80er Jahren angeordnet zu haben. Balí entzog sich drei Jahre lang der Justiz bevor er gefaßt werden konnte. Seine Verantwortung für den Tod eines Nicaraguaners und eines Honduraners gilt als sicher. Die beiden Verschwundenen wurden damals von ihm beschuldigt, Waffen für die salvadoreanische Guerilla geschmuggelt zu haben. Der Richter Neptaly Estrada, der den Vorsitz im Fall des Ex-Generals führt, hat bereits drei andere Offiziere freigelassen, die desselben Verbrechens angeklagt waren. Die Präsidentin des Komitees der Familienangehörigen von Verhafteten/Verschwundenen in Honduras, Berta Oliva, bezeichnete die vorläufige Freiheit für Balí als einen weiteren Schlag gegen die schwache Justizstruktur des Landes.

NICARAGUA

Rebellenkommando festgesetzt

(Managua, 29. Juli 1999, pulsar-Poonal).- Armee und Polizei nahmen in den nördlichen Provinzen Matagalpa und Jinotega insgesamt acht Mitglieder der Revolutionären Streitkräfte Nicaraguas (FARN) fest. Die Gruppe soll sich angeblich den Sturz der Regierung zum Ziel gesetzt haben, damit „der Somozismus nicht nach Nicaragua zurückkommt, um den Campesinos den Besitz zu entreißen, den die sandinistische Revolution übergab“. Der Guerillero Harvi Leiva Gutiérrez wird gegenüber der Polizei mit den Wort zitiert, die Gruppe habe sich bewaffnet, um den sozialen Forderungen der Bauern Gehör zu verschaffen. Der Militärbeauftragte dagegen erklärte, die FARN hätten Morde und Überfälle in den nördlichen Dörfern des Landes begangen.

BRASILIEN

Landlose und Gewerkschafter marschieren Richtung Hauptstadt

Von Andres Canizalez

(Rio de Janeiro, 5. August 1999, npl).- „Wir demonstrieren gegen Privatisierungen, gegen das zunehmende Elend und die Arbeitslosigkeit im Land. Solange werden wir streiten, bis die Regierung auf unsere Forderung nach einer gerechteren Wirtschaftspolitik eingeht,“ beteuert Marina Santos, Sprecherin der brasilianischen Landlosenbewegung MST. Vor nunmehr zehn Tagen ist sie gemeinsam mit 1.000 weiteren Demonstranten in Rio de Janeiro aufgebrochen, um in 75 Tagen die 1.500 Kilometer bis zur Hauptstadt Brasilia zurückzulegen.

Die Organisatoren hoffen, daß der Marsch auf über 100.000 Teilnehmer anwachsen wird – wie schon im März 1997, als die Landlosen ihren ersten landesweiten Protestzug veranstalteten. Diesmal haben sich dem Aufruf des MST (Movimento Sem Terra) auch der Gewerkschafts-Dachverband CUT und die Vereinigung der Basisbewegungen CMP angeschlossen. Bei der Ankunft in der Hauptstadt am 12. Oktober wird wie im gesamten Subkontinent der „Schrei der Ausgeschlossenen“ ausgestoßen, der an den 507. Jahrestag der Eroberung Amerikas erinnern soll.

Der Protest richtet sich diesmal direkt gegen Präsident Fernando Henrique Cardoso, der am 1. Januar 1999 seine zweite Amtszeit begann. Noch vor kurzem wurde der frühere Soziologieprofessor für seinen Wirtschaftskurs gelobt, mit dem er die Inflation besiegte und mittels einer harten Währung Investoren ins größte Land Südamerikas lockte. Doch im Zuge der Börsenkrise verlor die brasilianische Währung Real im Frühjahr die Hälfte ihres Werts. Spekulatives Kapital in Milliardenhöhe kehrte dem Land den Rücken, die letzten Hoffnungen auf einen breiteren Aufschwung schwanden. Seitdem ist Cardosos Popularität am Sinken, zumal er seinen Sparkurs zu Lasten der Bevölkerung unbeirrt fortsetzt.

In den 120 Städten, die die Demonstranten passieren werden, wollen sie Versammlungen abhalten, um Alternativen zur neoliberalen Politik der sozialdemokratischen Regierung zu debattieren. Die dramatische Lage auf dem Land, die den MST zu Beginn dieses Jahrzehnts zur wichtigsten und radikalsten Bewegung Brasiliens machte, wird dabei im Mittelpunkt stehen. Über eine halbe Million landlose Bauern halten derzeit unproduktive Ländereien im ganzen Land besetzt und fordern die Legalisierung ihrer Ansiedlung. Schätzungen zufolge haben vier Millionen Bauern kein Land und sind gezwungen, in die Slums der Städte zu migrieren. Allein in den vergangenen vier Jahren haben 400.000 Bauernfamilien ihr Land und damit ihr Auskommen verloren.

Die extrem ungerechte Landverteilung – in Brasilien besitzt ein Prozent der Grundbesitzer knapp die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen – veranlaßte die Regierung 1995, die Agrarreform auf die Tagesordnung zu setzen. Doch die Ergebnisse des Ansiedlungsprogramms sind mager: In den vier Jahren der ersten Amtszeit Cardosos gelang es gerade mal, 200.000 Familien Land zuzuteilen. Mangels Krediten mußte ein Fünftel dieser Bauernfamilien allerdings wieder aufgeben.

Besonderen Unmut unter den Landlosen erregt ein Weltbank-Programm, das Gelder für den Ankauf nicht genutzter Böden vorsieht, um es dann an landlose Familien zu verteilen. Anstatt unproduktive Ländereien zu enteignen und den Kleinbauern Kredite zu gewähren, so kritisiert der MST, würden die Großgrundbesitzer noch dafür belohnt, daß sie ihr Land brach liegen lassen. Zudem wurde inzwischen bekannt, daß die Agrarreform-Behörde in einigen Fällen völlig überhöhte Preise für den Landankauf gezahlt hat.

Der Druck des MST auf die Regierung hat seit Beginn dieses zugenommen. In nur vier Monaten wurden 250 neue Besetzung bekanntgegeben, vor allem im wohlhabenden Süden des riesigen Landes. Auch gingen die Landlosen dazu über, produktive Ländereien zu besetzen, was die Auseinandersetzungen mit den Grundbesitzern und ihren paramilitärischen Wachmannschaften verschärfte. Seit Januar kamen dabei offiziellen Angaben zufolge 15 Landlose ums Leben. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher.

Die kritische Lage veranlaßte Cardoso, sich am 7. Juli auf ein seit zwei Jahren gefordertes Treffen mit der MST-Führung einzulassen. Der politische Erfolg dieser Zusammenkunft hatte freilich kaum praktische Folgen: Der Präsident wiederholte lediglich seine Bereitschaft, dieses Jahr 85.000 Familien anzusiedeln, was nach Meinung des MST nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein ist. So bleibt den verarmten Bauern nicht anderes, als mit Hacke und Spaten bewaffnet in Richtung Hauptstadt zu ziehen.

Wenn die Landflucht im Nordosten endet

(Eichstetten/Rio, Juli 1999, kobra/ibase-Poonal).- Migrationsbewegungen sind in Brasilien keine Seltenheit. Das Thema Landflucht, das die Abwanderung der Menschen aus den ländlichen Regionen in die Großstädte beschreibt, steht schon seit Jahren auf der Tagesordnung und ist Inhalt zahlreicher Debatten. Weniger Beachtung in der Öffentlichkeit fanden bisher jedoch Migrationen „gegen den Strom“ oder über die brasilianischen Grenzen hinaus. Doch auch hier lassen sich Wanderbewegungen ausmachen, wie zwei Studien jetzt näher untersucht haben.

Immer noch zieht es viele Menschen vom Land in die Städte. Besonders nach der katastrophalen Dürre im Nordosten 1998 flohen verstärkt Familien vor dem Hunger in die Metropolen im Südosten. Einige sind jedoch mittlerweile zurückgekehrt:“ Wenn es hier schlimm ist, ist es dort noch schlimmer“, zieht ein Landarbeiter sein persönliches Fazit aus seinem Aufenthalt in S‹o Paulo. „Wir kommen wegen der Arbeitslosigkeit und Gewalt in den Städten zurück“, sagt ein anderer. Und sie sind nicht die einzigen. Bürgermeister*innen in den Städten und Dörfern des Nordostens registrieren zunehmend eine Rückwanderung aus den Metropolen. Dieses Phänomen kann die Landflucht zahlenmäßig nicht aufheben, immer noch verlassen täglich an die 100 Menschen den Nordosten. Dennoch: Auch die umgekehrte Richtung der Wanderung gibt es.

Eine ganz andere Migrationsbewegung wird in einer geographischen Studie des Nationalen Rates für wissenschaftliche Untersuchungen (CNP) beleuchtet. Hier beschäftigen sich die Wissenschaftler*innen mit den Wanderprozessen im Mercosul und legen einen Schwerpunkt auf Brasilianer*innen in den ländlichen Gebieten in den Grenzregionen. Diese Menschen wandern schon seit Ende letzten Jahrhunderts, doch bis in die heutige Zeit setzt sich die Migration fort. Mittlerweile leben in Argentinien nach Schätzungen etwa 20.000 Brasilianer*innen allein in den nördlichen Regionen des Landes, in Uruguay etwa 10.000 und in Paraguay sogar zwischen 250.000 und 300.000.

Die Migrant*innen kommen überwiegend aus den südlichen Bundesstaaten Brasiliens und setzen sich aus zwei sozialen Gruppen zusammen: Die erste bilden die Sojaproduzent*innen oder Viehbesitzenden, die von dem teilweise billigen Land und den günstigen Lebenshaltungskosten in Brasiliens südlichen und westlichen Nachbarländern profitieren und ihre Betriebe in diese Gebiete ausweiten. Die zweite Gruppe besteht dagegen aus armen Landarbeiter*innen, die nach Mißerfolgen in Brasilien im Ausland einen Arbeitsplatz oder ein Stück Land zu bekommen hoffen. Manche von ihnen kommen ursprünglich aus dem brasilianischen Nordosten und die Grenzregionen sind lange noch nicht der Endpunkt ihrer Migrationen.

Die Menschen in Argentinien, Uruguay und Paraguay reagieren nicht nur erfreut auf die Einwander*innen. Vorurteile und -behalte gibt es genug. Auch die Regierungen der drei Länder sind skeptisch. Zum einen haben sie Angst vor zu vielen brasilianischen Landlosen, die dann möglicherweise in ihrem Land „Unruhe stiften“. Zum anderen sehen die Regierungen aber auch die brasilianischen Betriebe mit einem gewissen Mißfallen. In Uruguay werden 50 Prozent der Reisernte von brasilianischen Produzent*innen erwirtschaftet, in Paraguay sind es sogar 70 Prozent des Sojas. Für manche Politiker*innen oder einheimische Betriebe sind das alarmierende Zahlen.

Verkehrte Welt bei der Polizei

(Brasilia, 6. August 1999, comcosur-Poonal).- Eigentlich soll die Polizei die Bürger*innen schützen. Doch 64 Prozent der brasilianischen Bevölkerung haben laut eines Berichtes der Zeitschrift „Veja“ Angst vor ihr. Gründe dafür gibt es genug. 15.000 Polizisten sind in Brasilien angeklagt. Nicht für wegen Machtmißbrauch, sondern wegen der Verwicklung in schwere Verbrechen wie Mord, Entführung, Drogenhandel, Vergewaltigung und Raubüberfall. In der großen Mehrheit der brasilianischen Bundesstaaten stehen Mitglieder der Polizeispitze im Verdacht, mit Verbrechen zu tun zu haben. Die durchschnittliche Anklagequote wegen Verbrechen ist um ein Vielfaches höher als in der Zivilbevölkerung. Gegen hochrangige Polizeifunktionäre gibt es mehr Untersuchungsverfahren als gegen die niedrigeren Ränge. Innerhalb der letzten fünf Jahre wuchs die direkt mit der Polizei verbundene Kriminalität um 400 Prozent. Einige Beobachter*innen führen die immense Polizeikorruption bis auf die Zeiten der Sklaverei zurück. Damals stand die Polizei im Dienst der Weißen und war deren bewaffneter Arm gegen die schwarzen Sklaven. Sie genoß zahlreiche Garantien, auch bei Machtmißbrauch. Während der Militärdiktatur benutzte der Staat die Polizisten für die gewalttätige Unterdrückung der politischen Dissidenten. Um heute in Brasilien Mitglied der Polizei zu werden, sind die Anforderungen gering. Die Grundschulausbildung ist ausreichend und nach viermonatigem Training wird ein Polizist bereits bewaffnet auf die Straße gelassen.

CHILE

Militärs besuchen Spanien

(Santiago, 9. August 1999, pulsar-Poonal).- Eine Delegation chilenischer Militärs ist nach Spanien gereist, um dort für Ex-Diktator Augusto Pinochet einzutreten. Ein Sprecher der chilenischen Botschaft bestätige die Anwesenheit der Abordnung in Madrid. Die Militärs unter Führung von Brigadegeneral Juan Carlos Salgado wollen offenbar die Möglichkeiten eines Schiedsspruches im Fall Pinochet ausloten. General Salgado ist seit der Verhaftung des ehemaligen Diktators in London für dessen Sicherheit und Betreuung verantwortlich. Bei einem Schiedsspruch müßten sich sowohl Spanien wie Großbritannien der Entscheidung eines Drittlandes oder einer internationalen Rechtsinstanz beugen.

Die Rechte in den Händen der Neo-Pinochisten

(Santiago, August 1999, anchi-Poonal).- Die Parteiführungen der chilenischen Rechten sind unter der Kontrolle der Neo-Pinochisten. Der konservative Sektor hat gegenüber dem liberalen Flügel deutlich die Oberhand. Mindesten 15 ehemalige Minister, stellvertretende Minister und zivile Führungspersönlichkeiten des vergangenen Militärregimes befinden sich in den Parteivorständen der Nationalen Erneuerung (RN), der Unabhängigen Demokratischen Union (UDI) und in der Gruppe rechtsgerichteter Senatoren.

Im Mai dieses Jahres wählte die RN den Abgeordneten Alberto Cardemil zum Präsidenten der Partei. Cardemil ist der Sprecher der doktrinär-konservativen Strömung der Organisation und ein erklärter Gegner liberalerer Positionen. Als stellvertretender Innenminister von Augusto Pinochet war er damit beauftragt, am Tag des von der Diktatur verlorenen Plebiszits den Bericht der Militärregierung zu überreichen, wobei Daten unterschlagen und verändert wurden. Die UDI wird seit 1998 von dem ultrakonservativen Abgeordneten Pablo Longueira angeführt. Longueira steht dem Militär nahe und war bereits als Studentenführer ein eifriger Anhänger von Diktator Pinochet.

Beide Parteien, RN und UDI bilden die Allianz für Chile, die Joaquín Lavín als Präsidentschaftskandidat aufgestellt hat. Lavín gilt als weiterer Sympathisant der Militärregierung unter Pinochet. Das Opus Dei-Mitglied, lange Zeit in leitender Position bei der Tageszeitung „El Mercurio“, verteidigt nach außen die soziale Marktwirtschaft und ist ein harter Kritiker der Linken.

In den neun Jahren nach der Diktatur hat sich diese Gruppe ein politisches Profil zu geben versucht, daß sie von der dunklen Seite des Militärregimes lösen will, aber sich auf ihr wirtschaftliches und soziales „Werk“ beruft. So gehen die Mitglieder einerseits auf gewisse Distanz zur Zeit der Diktatur, schließen sich aber zu einer starren Haltung zusammen, wenn es Ereignisse wie die Verhaftung von Pinochet in London gibt. Derzeit werden dieser Rechten zwischen 22 und 31 Prozent in den Wahlumfragen gegeben. Aufgrund der zum Teil noch aus der Pinochet-Diktatur herrührenden Abstimmungsregeln im Kongreß hat die Gruppe die Macht, gegen Gesetze der Regierung und Verfassungsreformen ihr Veto einzulegen.

Die Liberalen hinken hinterher

Die liberale Rechte ist abgehängt worden. Als der Anführer dieser Strömung, der Anwalt und ehemalige Rugbyspieler Andrés Allamand (RN) das Rennen um einen Senatssitz verlor und in seiner Partei keine „Perfektionierungen“ für eine institutionelle Anpassung an die formale Demokratie durchsetzen konnte, begann der „fortschrittliche“ und „moderne“ Flügel der chilenischen Rechten zu zerfallen.

Der Unternehmer, Ex-Senator und persönliche Freund von Allamand, Sebastián Pinera, mußte seine Ambitionen auf eine Präsidentschaftsambitionen aufgeben, weil er kaum Unterstützung fand und die Rechte ihn schnitt. Dies war ein harter Schlag für die Liberalen, da dies freie Bahn für den konservativen Lavín bedeutete. In diesem Zusammenhang rief der Senator Carlos Cantero, ebenfalls von der RN, noch dazu auf, die Präsidentschaftskandidatur des früheren Christdemokraten Arturo Frei – ein Vetter des amtierenden Präsidenten Eduardo Frei –zu unterstützen. Dieser Versuch, die Mitte-Rechts-Gruppen zusammenzubringen, scheiterte kläglichst.

Bei der internen Wahl der RN im Mai dieses Jahres fügte der konservative Flügel dem liberalen Sektor eine deutliche Niederlage zu. Die neuerliche Schlappe traf die „Fortschrittlichen“ und besonders den Abgeordneten und abtretenden Parteivorsitzenden Alberto Espina. Letzterer hatte zwei Jahre mit seiner schwankenden Haltung keine Akzente setzen und keine Positionen stärken können, die er mit Allamand teilt (Allamand lebt inzwischen in den USA und arbeitet für die Interamerikanische Entwicklungsbank).

Bei seinem Abgang erklärte Espina, die Rechte würde niemals „reaktionär“ werden. Er bestand darauf, daß die Rechte Verfassungsreformen letztendlich unterstützen müsse. Ebenso solle sie sich an die These des „sozialen Friedens“ halten, die auch den Respekt vor den Menschenrechten und wirtschaftliche Freiheit einschließe.

Doch der konservative Flügel blieb in der Zwischenzeit nicht untätig. So sagte Alberto Cardemil bei der Übernahme des Parteivorsitzes zwar, es werde Respekt vor der Unterschiedlichkeit geben, doch verwies er ganz in der Tradition der harten und militaristischen Sprache darauf, dies fände im Rahmen der „Ordnung“ statt. Dasselbe Wort gebrauchte er auch in Bezug auf die Bedürfnisse des Landes. Im privaten Kreis traf er sich mit wichtigen pinochettreuen Persönlichkeiten der UDI, wobei bewußt Informationen an Teile der Presse weitergegeben wurden, die dann wunschgemäß über Kritik an und Witze über Allamand und Espina berichteten.

Der Kreis der Neo-Pinochisten hat mindestens vier große Ziele: die Präsidentschaftskandidatur des Sozialisten Ricardo Lagos so stark wie möglich zu schädigen; die Stimmen der Christdemokratie zu spalten, damit Teile zu Lavín überlaufen; bei den Präsidentschaftswahlen zwischen 30 und 40 Prozent zu erreichen – die Wahl zu gewinnen, ist auch nach ihrer Einschätzung schwierig; und die Rechte politisch zu stärken und gesellschaftsfähig zu machen.

Die konservative Rechte wird darauf beharren, eine „demokratische“ Rechte mit neuem Angesicht zu präsentieren, die eine Alternative zur Konzertation der aktuellen Regierung bietet. Sie wird sich auf das „erfolgreiche Modell“ berufen, das von den Militärs geerbt wurde, indem sie bittet, bei Themen wie den Menschenrechtsverletzungen „nicht zur Vergangenheit zurückzukehren“, aber von der Vergangenheit spricht, wenn es um wirtschaftlichen Erfolg geht. Mit Geschick – das manchmal das Schweigen einschließt – werden die Neo-Pinochisten den Fall des Ex-Diktators weiterverfolgen. Sie werden nicht dessen Verhalten in der Vergangenheit verteidigen, sondern sein Recht, nach Chile zurückzukehren – und damit den politischen und argumentativen Schwerpunkt ändern, um den es bei der Episode von London geht. Dabei kann diese Rechte darauf bauen, den Chef der Streitkräfte, einen Großteil des Unternehmer- und Landwirtschaftssektors und ein Segment der konservativen chilenischen Gesellschaft hinter sich zu haben.

URUGUAY

Regierung will keine Rehabilitierung oppositioneller Militärs

(Montevideo, 28. Juli 1999, comcosur-Poonal).- Die uruguayische Regierung von Präsident Julio María Sanguinetti legte ihr Veto gegen die Beförderung einer Gruppe Offiziere ein, die wegen ihrer Opposition gegen die Militärdiktatur (1976-85) aus den Streitkräften ausgeschlossen worden waren. Damit stellte sie sich gegen das Parlament, das mehrheitlich für die Rehabilitierung stimmte. Verteidigungsminister Juan Luis Storace begründete den Schritt damit, die Gesetzesinitiative der Abgeordneten sei verfassungswidrig. Nur die Regierung habe die Kompetenz, Beförderung innerhalb des Militärs zu entscheiden. Es ist aber kein Geheimnis, daß der eigentliche Grund für das Regierungsverhalten der Widerstand in der Armeespitze ist. Diese möchte nicht gegen Zivilisten und diejenigen Militärs, die während der Diktatur für die Demokratie eintraten, eine symbolische Niederlage einstecken.

PERU

Wer ist der Mächtigste im ganzen Land?

(Lima, 5. August 1999, alc-Poonal).- Eine Umfrage der einflußreichen Monatszeitschrift „debate“ ergab, daß der Erzbischof von Lima, Juan Luis Cipriani, als viertmächtigster Mann in Peru eingeschätzt wird. Vor dem Bischof, der als erstes Opus Dei-Mitglied die wichtigste Diözese des Landes zu Beginn dieses Jahres übernahm, stehen nur Präsident Alberto Fujimori, dessen Geheimdienstberater Vladimiro Montesinos und der Präsident des Ministerrates und Wirtschaftsminister Victor Joy Way auf der Liste. „debate“ kommentiert, daß in der „Umfrage der Macht“ zwar traditionell ein Platz unter den ersten Zehn für einen Kirchenvertreter reserviert ist, aber nie zuvor ein Priester so hoch oben stand wie Cipriani. Der Erzbischof gilt als regierungsnah.

KOLUMBIEN

Entführtes Flugzeug zurück in Venezuela –

Hugo Chavez dankt kolumbianischer Guerilla für gute Zusammenarbeit

Von Stefanie Kron

(Bogota/Berlin, 10. August 1999, npl).- In der Nacht von Montag auf Dienstag kehrten die letzten neun Passagiere des am 30. Juli in Kolumbien entführten venezolanischen Verkehrsflugzeuges der Linie „Avior“ nach Gasdualito in Venezuela zurück. Nachdem zunächst der kolumbianischen Rebellenorganisation ELN die Entführung angelastet worden war, behaupteten die kolumbianischen Streikräfte kurze Zeit später, die FARC, größte Guerillaorganisation Kolumbiens, seien für die Aktion verantwortlich. Am Dienstag gab Hugo Chavez, Venezuelas linkspopulistischer Präsident, der Öffentlichkeit jedoch zu verstehen, auf welcher Seite seine Sympathien liegen: „Dank der guten Zusammenarbeit entschieden die FARC, uns das Flugzeug zurückzubringen“.

Die Maschine war vor zehn Tagen auf ihrem Linienflug mit 15 Insassen – darunter der Bürgermeister von Gasdualito – in dem von der kolumbianischen Guerilla kontrollierten Grenzgebiet als vermißt gemeldet worden. Verschiedenste Versionen über die Verantwortlichen kursierten daraufhin bei den Sicherheitskräften der beiden südamerikanischen Anden-Staaten. In den vergangenen Tagen verbreitete die kolumbianische Armee mehrere Aufzeichnungen über den Funkverkehr der FARC. Sie sollen belegen, daß Jorge Briceno („Mono Jojoy“), stellvertretender Chef der marxistischen Befreiungsbewegung, seinem Bruder Germano Briceno („Grannobles“), Kommandant der Ost-Einheiten der FARC, einen verschlüsselten Befehl zur Freilassung der Entführten und Übergabe des Flugzeugs erteilte. „Übergib die Papiere (Passagiere und Flugzeug) oder der Nachbar (Venezuela) wird sauer“, lautete der Inhalt des vom kolumbianischen Geheimdienst aufgenommenen Wortwechsels, der angeblich zwischen den Brüdern Briceno stattfand.

Jorge Briceno hingegen bestritt jegliche Beteiligung der Rebellenorganisation an der Kidnapping-Aktion. Er gab an, das Flugzeug sei klandestin auf kolumbianischem Territorium gelandet und von einer Einheit der FARC gefunden worden, deren Einsatzgebiet an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze liegt. Briceno berichtete weiter, die fünf unbekannten Entführer seien geflüchtet, als sich die Guerilla-Kämpfer der Maschine näherten. Die FARC machten politische Gegner von Chavez, Drogenhändler oder Paramilitärs für die Aktion verantwortlich.

Trotzdem führten die Anschuldigungen der kolumbianischen Streitkräfte dazu, daß sich weitere Schatten über die eingefrorenen Friedensgespräche zwischen kolumbianischer Regierung und Guerilla legten. Laut Armeesprechern könne die Aktion für eine Verhärtung der kolumbianisch-venezolanischen Beziehungen führen. Die Chavez-Regierung hatte sich mehrmals angeboten im „Versöhnungsprozeß“ in Kolumbien zu vermitteln. Der seit vierzig Jahren andauernde Bürgerkreig kostet jährlich etwa 3.000 Menschen das Leben.

Konkrete Vorverhandlungen der seit Januar sporadisch stattfindenden Dialogrunden zwischen der konservativen Regierung unter Andres Pastrana und Vertretern der FARC, waren ebenfalls am 30. Juli gleich nach Beginn, an der Frage der Einrichtung einer internationalen Beobachterkommission für das entmilitarisierte 42.000 Quadratkilometer große Gebiet im Süden des Landes, in denen die Friedensverhandlungen stattfinden sollen und das von den FARC kontrolliert wird, gescheitert. Erstmals wurde auch kein neuer Termin für Gespräche angesetzt.

Die FARC hatten die Beobachter-Kommission für das Gebiet abgelehnt. Vorausgegangen waren Äußerungen des Chefs der us-amerikanischen Drogenpolizei, Barry McCaffrey, die FARC nutze das Gebiet zur „Ausbildung ihrer Kämpfer und für Drogengeschäfte“. In diesem Zusammenhang hatte er die FARC auch als „Drogenguerilla“ bezeichnet und den kolumbianischen Streikräften massive finanzielle Unterstützung der USA bei der Bekämpfung der „Narcoguerillas“ zugesagt.

Unterdessen kam es am vergangenen Wochenende erneut zu Morden an kolumbianischen Oppositionellen. In zwei Armenvierteln der ostkolumbianischen Stadt Cucuta brachten Mitglieder rechter Todesschwadrone am Samstagabend mindestens sieben Männer um, deren Identität sie anhand einer Liste feststellten. Die Gegend gilt als Hochburg der FARC. In der Millionenstadt Medellin (Antioquia) erschoß eine rechte paramilitärische Einheit am gleichen Tag ein Mitglied des Studentenausschusses der Universität von Antioquia.

Eine am Montag nach Bogota gereiste Delegation hochdekorierter US-Politiker stellte die sich nach dem McCaffrey-Besuch erhärtenden Gerüchte über eine US- Intervention in Kolumbien klar. Arturo Valenzuela, zuständig für interamerikanische Angelegenheiten im nationalen Sicherheitsrat der USA, erklärte am Sonntag gegenüber der kolumbianischen Tageszeitung „El Tiempo“: „Falls irgendwer in Kolumbien glaubt, die USA lösten ihre Probleme, sind sie auf dem Holzweg“.

Frauenbehörde zum Beirat abgewertet

(Bogota, Juli 1999, alc-Poonal).- Mehr als 20 kolumbianische Frauenorganisationen haben die Regierung aufgefordert, ein Dekret zurückzunehmen, das die staatliche Frauenbehörde ihrer Autonomie beraubt. „Wir kolumbianischen Frauen weisen den Beschluß der Regierung von Präsident Andres Pastrana zurück, die Frauengleichstellungsbehörde abzuschaffen und als ihren Ersatz einen Beirat für die Frauengleichstellung zu schaffen“, so heißt es in einem entsprechenden Dokument, das alle wichtigen Frauenorganisationen des Landes unterschrieben haben. Die Frauen erinnern an die Politik der „Großen Allianz für den Wechsel zusammen mit den Frauen“, die Pastrana während seiner Wahlkampagne anbot. Trotz ihrer eingeschränkten Mittel habe die Behörde in Kooperation mit der feministischen Bewegung Fortschritte auf mehreren Gebieten erzielt.

VENEZUELA

Armeechef abgesetzt

(Caracas, 9. August 1999, pulsar-Poonal).- Präsident Hugo Chávez hat Heereschef General Noel Martínez Ochoa abgesetzt. Die Entscheidung traf die Militärs und auch die meisten Politiker überraschend. Ochoa kommandierte das Heer seit dem Amtsantritt des Präsidenten im Februar dieses Jahres. Das Verteidigungsminsterium führte Untersuchungen wegen eines konfusen Spionagefalls gegen ihn durch. Ochoa wird verdächtigt, die Telefone anderer Generäle abgehört zu haben. Hugo Chávez hat seine Entscheidung damit begründet, er wolle Disziplin und Korpsgeist stärken. Die Arbeit in Heer und Streitkräften müsse mit größtmöglicher Harmonie weitergehen. Der Präsident lobte allerdings die von Ochoa geleistete Arbeit. Dieser wird durch General Lucas Rincón ersetzt, der derzeit noch als eine Art Kanzleramtsminister fungiert.

BOLIVIEN

Widerstand gegen Gasleitung

(La Paz, 6. August 1999, comcosur-Poonal).- Indígena-Organisationen und das Bolivianische Umweltforum machten auf die negativen Einflüsse einer geplanten Gasleitung zwischen Bolivien und Brasilien aufmerksam. Die Gas-Pipeline soll auf ihrem 610 Kilometer langen Weg unter anderem den Chiquitamo-Wald durchqueren und täglich 7,5 Millionen Kubikmeter Naturgas transportieren. Die Indígenas und andere Organisationen beschuldigen Naturschutzgruppen in den USA und Bolivien bei Verhandlungen mit den Investoren ihre Bedenken gegen Geld zurückgestellt zu haben. Sie warnten, solange nicht auf ihre Forderungen eingegangen werde, würden Indígena-Gemeinden und -Völker den Bau der Gasleitung nicht dulden.

KINDER IN LATEINAMERIKA

Teil VI: In der Haft geboren – Minderjährige in Knästen der Andenländer

Von Stefanie Boyd

(Lima/Quito, 28. Juni 1999, na-Poonal).- Obwohl sie in ihrem Leben noch kein einziges Verbrechen beging, hat Jazmine die zweifelhafte Ehre, die jüngste Gefangene im Untersuchungsgefängnis Quitos zu sein. Die zweijährige lutscht gedankenverloren am Daumen, während die Gefangene spricht, die sie hütet. „Ihre Mutter hat doch niemand, der auf die Kleine auspaßt,“ sagt sie und deutet auf das Bett, in dem Jazmines Mutter mit einer starken Erkältung liegt.

Die Frauen warten im Untersuchungsgefängnis auf einen Haftprüfungstermin. Doch das langsame ecuadorianische Justizsystem kann so gut wie nie die gesetzlich vorgeschriebenen 48 Stunden einhalten, die maximal vergehen dürfen, ohne das die Insassen einen Richter sehen. Jazmine und ihre Mutter sind schon einen Monat hier, einige andere bringen es gar auf ein ganzes Jahr. „An den Besuchstagen für Männer stehen die Leute draußen Schlange, aber an den Besuchstagen für Frauen ist es selten, daß mal jemand vorbeikommt,“ sagt Gladys Montero. Sie ist die Psychologin des medizinischen und legalen Beratungszentrums, das die Regionalstiftung für Menschenrechtsberatung INREDH in dem Gefängnis eingerichtet hat.

„Die Frauen machen alles für ihre Männer, wenn diese im Gefängnis sitzen, aber wenn die Frauen selbst einsitzen, werden sie von den Männern verlassen,“ erklärt sie. Offiziellen Angaben nach wurden im vergangenen Jahr 37 Minderjährige zusammen mit ihren Müttern ins Gefängnis gesteckt, ein Kind kommt auf drei weibliche Gefangene. In dem Bericht heißt es weiter, die psychologischen Folgen der Inhaftierung reichten bei den Kindern von Angstzuständen bis zu Aufruhr. Sie seien in großer Gefahr, selbst straffällig zu werden und wegen der unzureichenden hygienischen und Ernährungsverhältnisse krank zu werden.

Die Soziologen haben die Gefängnisse als „die wahren Schulen der Kriminalität“ bezeichnet, in denen sich Kinder wehrlos Gewalt, Drogen und Mißbrauch von anderen Gefangenen ausgesetzt sehen und außerdem nicht bei den Essenrationen mitgerechnet werden. „Es ist offensichtlich, dass ein Gefängnis nicht die beste Umgebung für ein Kind ist,“ sagt die Vorsitzende von INREDH, Judith Salgado. „Es gibt dort viel Gewalt, keine Ausbildung und keine Freunde.“ Die Regierung betreibt Heime für die Kinder, aber die Gerüchte, daß es in den Heimen auch nicht besser sei als im Gefängnis, halten sich hartnäckig. Die Kinder würden dort mißhandelt, heißt es immer wieder. Deshalb wollen viele Mütter ihre Kleinkinder nicht dorthin schicken.

Arlinda dos Santos und ihre sechs Monate alte Tochter Anna Carla haben mehr Glück als Jazmine und ihre Mutter. Dos Santos sitzt wegen des Verdachts auf Drogenhandel im Frauengefängnis Chorillos in Lima, Peru, ein. Sie erhält eine Extraration Essen für ihre Tochter, bekommt Kleider aus Spendensammlungen und Windeln. Während sie in dem Werkstätten des Gefängnisses arbeitet, kann sie die Kleine im gefängniseigenen Kindergarten lassen. Es gibt auch heißes Wasser, um die Babies zu waschen und die Kinder können bis zum Alter von drei Jahren bei der Mutter bleiben. Wenn sie dann niemand haben, der sie außerhalb des Gefängnisses hütet, kommen sie ins Waisenhaus.

Schwangere Gefangene gehen zur Geburt in zivile Krankenhäuser und kommen mit den Kindern zusammen wieder ins Gefängnis. In der Gefängnisklinik werden kleinere Krankheiten der Kinder behandelt, bei schweren Krankheiten oder Verletzungen werden sie ins Krankenhaus gebracht. Nichtsdestotrotz gibt es Probleme. Die Regierung bezahlt die Heilkosten für die Kinder nicht, weshalb die Mütter die Arztrechnungen, die Klinikaufenthalte und die Medikamente bezahlen müssen. Für die Gefangenen ist es äußerst schwierig, so viel Geld zusammen zu kratzen. Deshalb veranstalten sie Sammlungen unter den Mitgefangenen.

Die Zimmer für Mütter mit Kind seien schmutzig und voller Küchenschaben, sagt Dos Santos. Sie erzählt, viele Mütter, von den Haftbedingungen frustriert und vom Geschluchze der Kinder genervt, griffen in der Nacht zu Gewalt, wenn ihre Kinder weinten. Saubere Windeln für Anna Clara zu erhalten, sei ein dauernder Kampf. Die Wäsche werde mit der Hand erledigt, aber im feuchten Klima Limas dauert das Trocknen eine Ewigkeit. „Es ist kein guter Ort, um Kinder groß zu ziehen,“ sagt Dos Santos während sie Anna Clara sanft in ihren Armen wiegt. Dos Santos hofft, ihr Baby irgendwann zu ihren Eltern schicken zu können. Die allerdings leben in Nordafrika und sie hat kein Geld, um ihre Tochter bis dorthin zu schicken. Eine andere Gefangene hat ihre Tochter zu ihren Eltern nach Südafrika geschickt, doch die lange und teure Reise wurde mit Hilfe der südafrikanischen Botschaft in Lima realisiert.

In Bolivien sah sich die Regierung im vergangenen Jahr gezwungen, nach zwei Fällen extremer Gewalt eine Million US-Dollar in ein Programm zu investieren, das helfen soll, die Inhaftierung von Kindern zu vermeiden. Am 3. Januar 1998 wurde ein sechsjähriges Mädchen, welches im San Pedro-Gefängnis in La Paz bei ihrem Vater lebte von einem 40jährigen Mann vergewaltigt und ermordet. In San Sebastian, dem Frauengefängnis von Cochabamba, erstickte eine Mutter ihr zwei Monate altes Baby, das im gleichen Bett mit ihr schlief. Die Behörden untersuchen nun Fall für Fall die Situation von im Gefängnis lebenden Kindern und versuchen sie, anderen Familienmitgliedern in Obhut zu geben. Außerdem hat die Regierung ein Patenschaftsprogramm aufgelegt, mit dem die Bolivianer angeregt werden sollen, sich um Kinder zu kümmern, die keine Familienmitglieder haben, die sich um sie kümmern wollen oder können.

Außerdem hat die Regierung den Bau von Heimen in Gefängnisnähe begonnen. Kritiker weisen jedoch darauf hin, daß die Trennung der Kinder von der Mutter große Gefahren in sich birgt. „Wenn sie nicht bei der Mutter sind, werden diese Kinder verlassen oder landen auf der Straße, wo sie fast sicher kriminell werden,“ sagt der Psychologe Daniel Rocha. In ersten Zwischenberichten ist jedoch von Erfolgen des Programms die Rede. Das US-Außenministerium informiert, die Zahl der Kinder in bolivianischen Gefängnissen sei von 1.200 im Jahre 1997 auf 400 im vergangenen Jahr gesunken.

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