Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 379 vom 13. April 1999

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

NICARAGUA

HONDURAS

EL SALVADOR

ARGENTINIEN

URUGUAY

CHILE

KOLUMBIEN

PARAGUAY

LATEINAMERIKA


MEXIKO

Regierung machte in San Andrés Rechnung ohne die Zapatisten

(Mexiko-Stadt, 9. April 1999, comcosur/pulsar-Poonal).- Nur kurz konnte sich Mexikos Regierung freuen, den aufständischen Zapatisten im Bundesstaat Chiapas einen kleinen politischen Schlag versetzt zu haben. Armee und Polizei gingen gegen die autonome Landkreisregierung von San Andrés im Bundesstaat Chiapas vor. Sie stürmten das Rathaus und beschlagnahmten Dokumente. San Andrés war früher Schauplatz der Verhandlungen zwischen Regierung und aufständischer EZLN, die inzwischen abgebrochen wurden.Die Bevölkerung gilt als mit den Zapatisten sympathisierend. Die offiziellen Kommunalwahlen boykottierte sie und wählte auf einer Dorfversammlung einen eigenen Bürgermeister, der die Amtsgeschäfte auch weitgehend führte. Nach der Räumung zog der von der Regierungspartei PRI unterstützte Bürgermeister in das Rathaus von San Andrés ein.

Doch nur einen Tag später verließ er das Gebäude wieder recht eilig. Am vergangenen Donnerstag nahmen etwa 4.000 Indígenas nach einer friedlichen Demonstration durch den Ort das autonome Rathaus wieder in ihren Beschlag. Eine kleine Polizeieinheit entfernte sich angesichts der massiven zapatistischen Präsenz aus dem Dorf. Zu gewalttätigen Ausschreitungen kam es nicht. Ein Sprecher der Indígenas erklärte, die eigene unabhängigen Verwaltung sollte mit der Aktion wieder eingesetzt werden. Bei Rückkehr der Polizei wolle man sich jedoch zurückziehen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Die Regierung setzte mit ihrem Vorgehen die 1998 begonnene Strategie fort, gegen die autonomen und zapatistenfreundlichen Landkreise in Chiapas gewaltsam vorzugehen. Als Begründung führt sie an, „Recht und Ordnung“ müßten wieder hergestellt werden. Durch dieses Vorgehen gab es im vergangenen Jahr zahlreiche Tote und Verletzte. In San Andrés lief die Räumung vergleichsweise glimpflich ab. Mitglieder der Parlamentskommission zu Chiapas und andere Organisationen und Persönlichkeiten kritisierten die Regierungsaktion als zusätzliches Hindernis auf der Suche nach friedlichen Lösungen des Konfliktes.

GUATEMALA

Kein Schuluniform-Zwang für Indígenas

(Quetzaltenango, 9. April 1999, pulsar-Poonal).- In Guatemalas staatlichen Schulen dürfen Indígenas künftig in ihrer traditionellen Kleidung erscheinen.Die Regelung geht auf einen Vorfall in Quetzaltenango zurück. Dort verweigerten mehrere Lehrer*innen der 23jährigen Virginia Guadalupe Toj Sacarías und der 17jährigen Claudia Tux Ajtum die Teilnahme am Unterricht in der staatlichen Handelsschule. Der Grund: die beiden jungen Frauen kamen in der typischen Tracht ihres Maya-Volkes, nicht in der Schuluniform. Die beiden Indígena-Abgeordneten vom Demokratischen Bündnis Neues Guatemala, Manuela Alvarado und Rosalina Tuyuc, hörten von der Angelegenheiten und beklagten sich bei den Behörden wegen fehlenden Respektes vor den einheimischen Kulturen. Bildungsministerin Anabella Castro Quiñónez ordnete darauf hin allen Schulen des Landes an, den Indígenas den Gebrauch ihrer typischen Kleidung zu erlauben. Menschenrechts- und Indígenaorganisationen Guatemalas begrüßten die Entscheidung.

NICARAGUA

Arbeitende Kinder fordern Schutz vor Ausbeutung

Von Andreas Boueke

(Managua, 1. April 1999, npl). – Die zehnjährige Aseli steht jeden Tag an der selben Straßenkreuzung der nicaraguanischen Hauptstadt Managua. Sobald die Autoampel auf rot schaltet, läuft sie flink zwischen den Wagen hin und her und bietet den Fahrern ihre Waren an – Kosmetika und Süßigkeiten. Aselis kindliches Lächeln und ihre lockigen Haare lassen viele Autofahrer die Fensterscheibe herunterkurbeln und etwas kaufen. Von der Auffassung, Kinderarbeit müsse verboten werden, hält Aseli überhaupt nichts: „Nicht die Arbeit sollte verboten werden, sondern die Ausbeutung. Wir brauchen das Geld für unsere Ausbildung und unseren Lebensunterhalt. Wenn wir nicht mehr arbeiten dürften, könnten wir nicht genug zu essen kaufen.“

Aseli hat sich der Bewegung arbeitender Kinder NATRAS angeschlossen. Sie weiß, welche Rechte ihr als Kind zustehen. „Aber hier in Nicaragua werden unsere Rechte nicht respektiert. Wir haben zum Beispiel ein Recht auf Gesundheitsversorgung, aber die Ärzte sind teuer.“ Die Regierung des konservativen Präsidenten Arnoldo Alemán hat die Staatsausgaben im Bildungsbereich unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds auf ein Minimum zusammen gestrichen. Viele öffentlichen Schulen sollen privatisiert oder geschlossen werden. Die meisten Kinder armer Familien können nur zur Schule gehen, wenn sie ihr eigenes Geld verdienen. Bei 65 Prozent Arbeitslosigkeit können viele Eltern ihre Familien nicht ausreichend versorgen.

In dem 4,5 Millionen Einwohner*innen zählenden Nicaragua bestreiten über 300.000 Kinder ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst. Rund 3.000 von ihnen sind in NATRAS organisiert. Eine ihrer Sprecherinnen, die dreizehnjährige Magali, erklärt: „Wir haben die Regierung schon oft dazu aufgefordert, Arbeitsplätze für Erwachsene zu schaffen. Aber der Präsident hört nicht auf uns.“ Einige internationale Hilfsorganisationen argumentieren, arbeitende Kinder nähmen den Erwachsenen die Arbeit weg. Doch die meisten Jungen und Mädchen sind im sogenannten informellen Sektor beschäftigt, ohne Arbeitsvertrag und Rechtsschutz. Trotzdem fordern sie, daß ihr Beitrag zum Bruttosozialprodukt anerkannt wird. Magali berichtet: „Wir NATRAS organisieren jedes Jahr im Dezember eine Kampagne, mit der wir ein Weihnachtsgeld fordern.“

Wenn die NATRAS-Kinder in der Vorweihnachtszeit ihre Waren oder Dienstleistungen anbieten, bitten sie die Kunden, das Doppelte zu zahlen. „Die Kampagne motiviert uns sehr,“ meint der Zeitungsverkäufer Francisco. „Wir geben den Leuten einen Zettel, der unser Anliegen erläutert. Einige der Kunden bezahlen mehr, damit wir ein schönes Weihnachtsfest verbringen können.“ Die NATRAS-Kinder verstehen das Weihnachtsgeld jedoch nicht als Geschenk, sondern als Anerkennung für ihre Arbeitsleistung.

Auch die Sozialarbeiterin Jamileth Ocampo meint, die Bedeutung der Weihnachtsgeld-Kampagne gehe über direkte Hilfe hinaus: „Es geht nicht einfach nur darum, ein paar Córdoba mehr zu verdienen. Die Kinder wollen, daß die Gesellschaft den Wert ihrer Arbeit anerkennt. Das Kinderarbeitsverbot in Nicaragua trägt in keinster Weise zum Schutz der Kinder bei. Ein gutes Beispiel ist der Ampelplan, der nur dazu führte, daß die Kinder gefährdet und mißhandelt wurden.“

Der sogenannte Ampelplan war ein Vorhaben der Regierung, die Straßenkreuzungen Managuas unter dem Vorwand der Abschaffung von Kinderarbeit zu „säubern“. Die Jungen und Mädchen waren den Übergriffen der Polizisten ausgeliefert und mußten sich in die gefährlichen Armenviertel Managuas zurückziehen. Die NATRAS reagierten mit Protestaktionen. Wenig später war der Ampelplan in den Schubladen des Innenministeriums verschwunden.

In Nicaragua beendet nur jedes fünfte Kind die sechsjährige Primarstufe. Carlos Arana, Koordinator eines Ausbildungszentrums für Jugendliche, kennt den Alltag der arbeitenden Kinder sehr gut. Er weiß, daß ihre Bedürfnisse nicht mit den Plänen der Regierung und internationaler Institutionen, wie UNICEF, in Einklang zu bringen sind: „Es gibt hier eine Kommission zur Abschaffung der Kinderarbeit. Die sagt, Kinder sollen zur Schule gehen und nicht arbeiten. Aber wie soll das möglich sein, wenn die Regierung öffentliche Schulen schließt? Für viele Kinder ist Arbeit eine Voraussetzung dafür, daß sie sich eine Ausbildung leisten können. Die Folge einer Abschaffung von Kinderarbeit wäre mehr Armut und weniger Kinder in den Schulen.“

Exilkubaner soll Nicaraguas Menschenrechte (ver)treten

(Managua, 6. April 1999, pulsar-Poonal).- Nicaraguas Präsident Arnoldo Alemán hat den Exilkubaner und Castro- Gegner Luis Zúñiga Rey zum Vertreter vor der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen ernannt. Rey ist Mitglied der rechtsgerichteten Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung, die von der Families Mas Canosa gegründet wurde. Ihm wird vorgeworfen, Attentäter rekrutiert zu haben, um die kubanische Regierung zu destabilisieren. Vilma Núñez von der regierungsunabhängigen Nicaraguanischen Menschenrechtskommission erklärte angesichts der Ernennung, die Regierung schenke den Menschenrechten überhaupt keine Bedeutung.

HONDURAS

Ex-Präsident Suazo billigte Morde an Oppositionellen

(Tegucigalpa, April 1999, pulsar-Poonal).- Honduras' Ex-Präsident Roberto Suazo hat offenbar während seiner Amtszeit von illegalen Repressalien gegen Oppositionelle gewusst und diese zum Teil sogar gebilligt. Das beweisen vom US- Geheimdienst CIA freigegebene Dokumente. Aus ihnen geht eindeutig hervor, daß der von 1982 bis 1986 regierende Suazo genauso wie das Oberkommando der Streitkräfte von den unterdrückerischen Aktionen gegen die Opposition wußte und auch Morde an seinen linken Gegner*innen billigte. Bisher hatte der Ex-Präsident seine Beteiligung immer geleugnet und Unkenntnis vorgetäuscht. Die Öffnung der CIA-Archive werfen genauso auf Suazos Vorgänger, den Diktator und General Policarpio Paz – 1980 bis 1982 an der Macht – ein schlechtes Licht. Ebenso so zeigen sie ein weiteres Mal die Verwicklung der USA in den schmutzigen Krieg gegen die zivile und militärische linke Opposition in Mittelamerika Anfang der 80er Jahre. Für Honduras sind die freigegebenen Dokumente ein weiterer Mosaikstein bei der Aufklärung der Schicksale von 184 Verschwundenen.

EL SALVADOR

Avilés unterstützt Wiederwahl von Silva

(San Salvador, März 1999, alpress-Poonal).- Nach der herben Wahlniederlage bei den Präsidentschaftswahlen Anfang März gibt es erste Anzeichen, daß die zerstrittenen Lager innerhalb der FMLN wieder aufeinander zugehen. Die frühere staatliche Menschenrechtsbeauftragte Victoria Avilés, die sich Ende 1998 im Rahmen der Präsidentschaftskandidatur noch heillos mit San Salvadors Bürgermeister Hector Silva zerstritten hatte, erklärte diesem ihre Unterstützung für eine erneute Kandidatur als Bürgermeister. Gegenüber mehreren Fernsehsendern bezeichnete sie die Arbeit des seit Mai 1997 amtierenden Silva als „exzellent“. Der Bürgermeister selbst hat in den vergangenen Wochen bekräftigt, für die Amtsperiode von 2001 bis 2004 seine Wiederwahl anzustreben. Seiner Ansicht nach reichen drei Jahre nicht aus, um die begonnenen Projekte zu Ende zu bringen. Zwar gibt es innerhalb der linken FMLN-Lagers Vorbehalte gegen den sehr gemäßigten Kurs Silvas. Andererseits hat sich der Bürgermeister durch verschiedene Initiativen Respekt über Parteigrenzen hinaus erworben und könnte mit seiner Popularität auch der FMLN, der er nicht als Mitglied angehört, wieder aus ihrem Tief helfen. Den nach Versöhnung klingenden Aussagen von Avilés, die starken Rückhalt im linken FMLN-Flügel hat, kommt somit eine besondere Bedeutung zu.

ARGENTINIEN

Skandalurteil gegen Journalisten bestätigt

(Buenos Aires, 9. April 1999, comcosur-Poonal).- Ein argentinisches Berufungsgericht hat die einjährige Haftstrafe gegen den Journalisten Eduardo Kimel bestätigt. Dieser hatte über ein Massaker gegen fünf Geistliche unter der Militärdiktatur recherchiert und dabei die Justiz schwer beschuldigt. Nach Ansicht des Gerichtes war Kimel dabei beleidigend. Er soll dem betreffenden Richter Guillermo Rivarola sogar eine Entschädigung von 20.000 Dollar bezahlen. Die Pressegewerkschaft von Buenos Aires (UTPBA) bezeichnete das Urteil als „nicht hinnehmbar“. Das Massaker werde vergessen, die Verantwortlichen dafür gingen straffrei aus, aber derjenige, der der Sache nachgehe, werde bestraft. Der Fall wird nun vor internationale Menschenrechtseinrichtungen gebracht.

Rundfunkfrequenzvergabe stützt sich auf Regeln der Militärdiktatur

(Córdoba, 5. April 1999, recosur-Poonal).- Das von der Regierung abhängige Bundeskomitee zur Radioverbreitung (COMFER) hat mit der Ausschreibung von FM- Frequenzen im ganzen Land begonnnen. Das Vergabeverfahren richtet sich dabei aber nach dem Gesetz 22.285, das noch unter der argentinischen Militärdiktatur verabschiedet wurde. Kleine und alternative Radios sind benachteiligt, während große Wirtschaftsgruppen und die Eigentümer von Massenmedien die besten Chancen haben, sich nahezu alle wichtigen Frequenzen anzueignen. Aus den Reihen des Argentinischen Forums der Community Radios (FARCO) wird die Ausschreibung als „diskriminatorisch und verfassungswidrig“ bezeichnet. Soziale Organisationen würden von der Möglichkeit, Massenmedien zu betreiben, ausgeschlossen. Es besteht die Befürchtung, daß mit der COMFER-Aktion auch den bestehenden Community Radios die Existenzgrundlage entzogen werden soll. Vor zahlreichen Gremien – unter anderem dem Obersten Gerichtshof und dem staatlichen Menschenrechtsbeauftragten – sind daher Klagen eingereicht worden. Gefordert wird zuallererst ein Gesetz, das das Radiospektrum ordnet und die Situation der Community Radios berücksichtigt.

Wiesenthal-Zentrum warnt vor Neonazi-Aktivitäten in Südamerika

Sporadische rassistische Übergriffe haben ideologische Vorbilder

Von Marcos Salgado

(Buenos Aires, 8. April 1999, npl).- Im Süden Lateinamerikas machen Neonazis von sich reden. Kleine, bislang isoliert agierende Gruppen, nutzen Kommunikationsmittel wie das Internet zur Propaganda und versuchen, länderübergreifend zusammenzuarbeiten. Höhepunkt der Mobilisierung soll im April kommenden Jahres ein internationales Neonazi-Treffen in der chilenischen Hauptstadt Santiago sein. Initiator dieses „Kamaraden-Treffens“ ist die Gruppe „Pendragon“ unter dem bekannten rechtsradikalen Aktivisten Alexis Gomez Tapia.

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Buenos Aires reagiert besorgt. „Die Zahl dieser Gruppen wächst, und ihre Aktivitäten sind in den letzten Jahren immer professioneller geworden,“ erklärt Sergio Widder, Leiter des Wiesenthal-Büros in Argentinien. Die Einrichtung, die weltweit Jagd auf Nazitäter macht, kritisiert das geplante Treffen als „nationalsozialistischen Kongreß“. Die Staates Lateinamerikas müßten eine „schnelle und sehr eindeutige Antwort auf diese Bestrebungen geben“, meint Widder.

Die Reaktionen auf die Wiesenthal-Initiative sind unterschiedlich. Uruguay bot der Einrichtung umgehend eine enge Kooperation an, auch Argentinien und Brasilien halfen bei der Ausarbeitung eines Berichts über Gesetze zur Eindämmung rassistischer Propaganda. Nur die chilenische Regierung schweigt. „Auf unsere Vorschläge und Warnungen wegen des Treffens im April 2000 hat die Regierung unter Präsident Frei bisher nicht geantwortet,“ beklagt Sergio Widder. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hofft, daß die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region im Rahmen des gemeinsamen Marktes MERCOSUR auch politisch zu gemeinsamen Anstrengungen gegen antidemokratische Tendenzen führt.

Aktivitäten von Neonazis sind in diesen Ländern bislang eine Randerscheinung. Rassistische Übergriffe werden jedoch zunehmend aus Brasilien gemeldet, wo in den südlichen Metropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro weiße Skinheads gegen Minderheiten wie Juden, schwarze Migranten aus dem ärmeren Norden und vor allem Homosexuelle vorgehen. Laut Presseberichten gab es in den letzten Jahren über 15 Todesopfer. Schlagzeilen machte im Januar dieses Jahres der kleine südliche Nachbar Uruguay: Drei Bombenattentate auf eine Polizeikaserne und auf Slumbewohner verursachten erheblichen Sachschaden. Der Polizei nahm daraufhin mehrere Mitglieder der Gruppe „Skinhead-Stolz“ fest. In ihren Wohnungen fand sie NS-verherrlichende Schriften und selbstgebastelte Bomben. Die Bekennerschreiben waren mit „Nationales Kommando 1889“ unterschrieben, dem Geburtsjahr Hitlers.

An ideologischen Vorbildern in der Region mangelt es nicht. Viele Nazi-Größen fanden hier nach dem Zweiten Weltkrieg Zuflucht und konnten recht freizügig agieren. In den 70er Jahren leisteten die Militärdiktaturen einem autoritären Denken Vorschub. Aber auch der Peronismus in Argentinien – ein populistisches Regime, dessen Ikone Juan Peron nie seine Bewunderung für Mussolini und Hitler verhehlte – war ein Nährboden für antisemitische Tendenzen.

Gerade in Argentinien, wo mit 500.000 Mitgliedern die weltweit fünftgrößte jüdische Gemeinde lebt, ist das Thema brisant. Anfang der 90er Jahre starben bei zwei Attentaten auf jüdische Einrichtungen weit über hundert Menschen, immer wieder werden Friedhöfe geschändet. Da die Verbrechen bislang nicht aufgeklärt wurden, vermuten Beobachter bestimmte Teile des Polizeiapparates und korrupte Politiker als Urheber. Es gebe einen ausgeprägten, aber eindeutig minoritären Antisemitismus im Land, so der Konsens, doch die kleinen Neonazi- Gruppen kämen für solche Aktionen kaum in Frage.

Ein möglicher Schulterschuß der unterschiedlichen Strömungen macht dem Simon- Wiesenthal-Zentrum Sorge. Rechte argentinische Splitterparteien wie die „Patriotische Partei der Neuen Gesellschaftsordnung“ (PNOSP) und die „Nationalistische Arbeiterpartei“ bezeichnen sich mit Bezug auf den europäischen Antikommunismus der 30er Jahre gern als „faschistisch“. Ihr „nationalistischer Kampf gegen Marxismus und Neoliberale“ werde Erfolg haben, wenn sich die Wirtschaftskrise verschärft, schwadroniert Arbeiterpartei-Chef Alejandro Biondini. Auf seiner Internet-Seite ruft Biondini zur Teilnahme an dem Nazi- Treffen in Chile auf: „Wir müssen anfangen, uns zu organisieren und kennenzulernen, um die Arbeit für die Zukunft zu planen.“

URUGUAY

Tag des Indios

(Montevideo, 9. April 1999, comcosur-Poonal).- Mit mehreren Veranstaltungen gedenkt das Land am 11. April des 168. Jahrestages des Massakers von Salsipuedes an uruguayischen Ureinwohner*innen. Erst in jüngster Zeit wächst unter der Bevölkerung das Interesse an einem Teil ihrer Identität, die in der offiziellen Geschichtsschreibung systematisch verleugnet wurde. Bisher war Uruguay nur als Erbe der Traditionen und Kulturen bekannt, die Einwander*innen aus Europa mitbrachten. Es dauerte lange, bis auch der Beitrag der aus Afrika verschleppten schwarzen Sklaven erwähnt wurde. Der Anteil der Indígenas wurde gar ganz verschwiegen. In der Schule wurde gelehrt, daß es in der Ära der spanischen Conquista und der Kolonialzeit nur wenige Indios im heutigen Uruguay gegeben habe. Diese wurden als Barbaren oder als grausame Wilde dargestellt. Heute wird diese Darstellung von einem Teil der Gesellschaft gründlich überprüft. Anthropologische Studien zeigen, daß 23 Prozent der Uruguayer*innen Mestizen sind. Charrúas, Guaraníes, Guenoas und andere Ethnien, die aufbegehrten, wurden vor 168 Jahren in Salsipuedas erst physisch und dann in den Geschichtsbüchern ausgelöscht. Jetzt beginnt eine andere Geschichtsschreibung, die die Stimmen der Verratenen, Vergessenen und Ausgeschlossenen aufnimmt. Uruguay ist nicht das so „stolz“ europäische Land, wie es lange Jahre propagiert wurde.

Lizenz zum Töten

(Montevideo, 17. März 1999, comcosur-Poonal).- „Notwehrvermutung“ – mit diesem Euphemismus wird nach einer Entscheidung der uruguayischen Abgeordnetenmehrheit künftig jeder Schußwaffengebrauch der Polizei im Vorhinein gerechtfertigt. Die Abgeordneten verabschiedeten ein Gesetz, daß davon ausgeht, daß die Polizei grundsätzlich defensiv handelt, wenn sie schießt. Um dies zu widerlegen, liegt die Beweislast ausschließlich bei der Gegenseite. Kritiker*innen sprechen von einer Lizenz zum Töten, die linke Opposition verurteilte das Gesetz sogar als „faschistisch“. Die Polizei hat in Uruguay keinen besonders gute Ruf, es gibt viele Korruptionsklagen, Machtmißbrauch und nicht aufgeklärte Tode in Polizeistationen. Das verstärkt bei vielen die Besorgnis über das neue Gesetz. Die endgültige Verabschiedung könnte noch am Veto des Senats scheitern.

CHILE

„Straw wird Lordrichter-Urteil nicht revidieren“ –

Interview mit Rechtsanwalt Eduardo Contreras

Von Guillermo Espinoza

(Santiago de Chile, 11. April 1999, npl).- Der britische Innenminister Jack Straw wird bis zum 15. April über die Auslieferung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet nach Spanien entscheiden. Dort will Richter Baltasar Garzón den seit Oktober 1998 in London Inhaftierten wegen Folter und Mord vor Gericht stellen. Vor knapp drei Wochen hatten britische Lordrichter in einem zweiten Urteil entschieden, daß Pinochet nur für Taten nach Dezember 1988 keine Immunität als ehemaliger Staatschef genießt. npl sprach mit Anwalt Eduardo Contreras, Kläger im Prozeß gegen Pinochet, über die Auslegung dieses Urteils und die Aussichten des Auslieferungsverfahrens.

Wieso haben Freunde und Feinde Pinochets den Lordspruch positiv bewertet? Waren es in Wirklichkeit zwei Urteile?

Nein, natürlich nicht. In dieser Phase des Prozesses ging es um die Frage, ob dem Auslieferungsbegehren Spaniens grundsätzlich stattgegeben werden kann oder nicht. Vor dem Richterspruch war Pinochet noch vor einer Auslieferung geschützt, danach nicht mehr. Damit hat der spanische Richter Garzon, vertreten durch die britische Staatsanwaltschaft, diese Runde gewonnen.

Diese Einschätzung läuft aber der Interpretation der chilenischen Regierung fundamental zuwider.

Zumindest die juristische Sachlage ist eindeutig: Die Richter haben mit sechs zu eins Stimmen gegen Pinochet entschieden. Dies bedeutet, daß Pinochet keine Immunität genießt. Dabei ist wichtig, daß seine Verbrechen als „exterritoriale“ Straftat gewertet wurden – sie können also auch außerhalb des Landes, in dem die Taten begangen wurden, geahndet werden. Bislang hat noch kein nationales Gericht dieses exterritoriale Prinzip in einem Urteil angewandt. Deswegen ist diese Entscheidung eines hochangesehenen Gerichts ein riesiger Fortschritt für die internationale Rechtsprechung.

Juristisch eindeutig ist doch auch, daß dieses Prinzip erst ab einem bestimmten Datum – Dezember 1988 – gültig ist.

Das ist ein anderer Aspekt. Aus formalen Gründen sagen die Richter, daß nur die Folterungen und Morde verfolgt werden dürfen, die nach 1988 begangen wurden. In diesem Jahr hat Großbritannien die Internationale Konvention gegen Folter unterschrieben. Der Richterspruch besagt also, daß die Auslieferung nur dann möglich ist, wenn zum Zeitpunkt des Verbrechens eine entsprechende Rechtslage bestand. Dies ist der einzige Unterschied zu der ersten Entscheidung der Lordrichter, die wegen Befangenheit eines Richters kassiert wurde. Damals war ausschlaggebend, daß zum Zeitpunkt der Klage von Richter Garzon, nämlich 1998, die Verbrechen nach britischem Recht strafbar sind. Diese Interpretation haben die Lordrichter in ihrer zweiten Entscheidung verworfen.

Welche Folgen hat dies für den Prozeß gegen Pinochet?

Es bedeutet nur, daß das Strafrecht nicht rückwirkend gilt. Diese Auslegung macht die Taten Pinochets vor 1988 natürlich nicht ungeschehen, vermindert aber die juristisch relevanten Vorwürfe um eine Vielzahl von Fällen. Diese Einschränkung der strafrechtlichen Verantwortung des Ex-Diktators ist es, die die Rechte und die Regierung in Chile begrüßt hat. Ich verstehe nicht, wie Präsident Eduardo Frei die juristische Einschränkung als Erfolg für die chilenische Souveränität bezeichnen kann, obwohl die Lordrichter erneut die Exterritorialität der Rechtsprechung betont haben.

Juristisch betrachtet, welche Handhabe hat Richter Garzón jetzt noch?

Weniger als zuvor, da Folterungen nach 1988 nachgewiesen werden müssen. Doch ist hierbei die Europäische Konvention zu Auslieferungen aus dem Jahr 1957 von Bedeutung, die Folter umfassend, also physisch und auch psychisch definiert. Demnach handelt es sich bei „Verschwindenlassen“ um ein Verbrechen, das bis zum Auffinden der Person oder dessen Leiche fortdauert. Im Fall eines „Verschwundenen“ leidet dieser und – nachweisbarer – dessen Angehörige bis heute an dem Verbrechen. Folgerichtig hat Richter Garzón solche Fälle in das neue Beweismaterial aufgenommen, die er London nach dem neuen Lordspruch übergeben hat. Trotz des Einwands seitens des chilenischen Außenministers hat die britische Justiz die Anklageerweiterung akzeptiert. Straw muß seine Entscheidung auf Grundlage der wenigen verbleibenden und einiger neuer, also von insgesamt rund 50 Fällen treffen. Andererseits: Das Zählen von Fällen ist Haarspalterei und Teil politischer Erwägungen – juristisch gesehen ist ein strafrechtlich relevanter Fall natürlich ausreichend.

Wird der politische Druck dazu führen, daß Straw seine erste Entscheidung revidiert?

Ich glaube nicht, daß Straw seine Meinung ändert. Zumal das angelsächsische Recht die Vorinstanzen berücksichtigen muß. Der Tenor des Lordspruchs ist der gleiche geblieben und trotz des Hinweises der Lords, daß es sich nur noch um „einen Fall“ handele, wird Straw die Auslieferung nicht blockieren. Nicht zuletzt haben neben Spanien ja auch sechs weitere Länder angedeutet, sich eventuell um eine Auslieferung Pinochets zu bemühen.

Kardinal Raúl Silva Henríquez ist tot

(Santiago de Chile, 11. April 1999, comcosur/pulsar-Poonal).- Der 91jährige Kardinal Raúl Silva Henríquez ist am Freitag, dem 9. April gestorben. Henríquez führte die katholische Kirche Chiles zwischen 1962 und 1983 an und war Erzbischof der Hauptstadtdiözese. Er gehörte zu denjenigen Kirchenmitgliedern, die Diktator Augusto Pinochet die Stirn boten und die Verbrechen der Militärs anklagten. Wenige Wochen nach dem Putsch vom 11. September 1973 gründete er das Komitee der Zusammenarbeit für den Frieden in Chile, dessen Arbeit kurz darauf von der Militärjunta verboten wurde. Der Kardinal stand ebenso hinter dem darauf geschaffenen Solidaritätsvikariat der katholischen Kirche, das tausenden Chilen*innen Schutz vor der politischen Verfolgung bieten konnte. Die im Archiv des Vikariats gesammelten Dokumente waren ein entscheidender Faktor, Taten der Diktatur aufzudecken. 1978 erhielt Henríquez den Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen. Der Kardinal war auch ein Verfechter einer Agrarreform, die unproduktiven Großgrundbesitz zugunsten der Campesinos verteilen sollte. Während seiner Zeit als Kardinal übergab er Kirchenländereien an arme Bauern.

KOLUMBIEN

Drohungen zunehmend auch gegen internationale NGOs

(Bogota, 31. März 1999, ac-Poonal).- Internationale Nicht- Regierungsorganisationen, die in den letzten zwei Jahren den Vertriebenen aus den Provinzen Antioquia und Chocó und der Region Urabá humanitäre Hilfe zukommen ließen, werden verstärkt bedroht. Einige Beobachter*innen sehen in dieser Kampagne einen direkten Angriff auf die Neutralität gegenüber allen bewaffneten Parteien, wie sie die Vertriebenen dieser Region einhalten.

Eine Gruppe von Geschäftsleuten, Gemeinderäten und die kolumbianische Armee haben die internationalen NGOs angeklagt, auf die Gemeinden Druck auszúben, damit diese militärische Behörden ablehnten. In einem Brief vom 5. März an Präsident Pastrana lehnen sie es ab, daß die Armee als „Konfliktaktschürer“ bezeichnet werde und behaupten, daß Lebensmittel und Medikamente nicht den Gemeinden sondern „mit Guerilleros verseuchten Orten“ zugute komme.

Die gleichen Gruppen wehrten sich gegen die Bildung von sogenannten Friedensgemeinschaften, in denen sich hunderte von indigenen, schwarzen und bäuerlichen Bewohner*innen der Region Urabá organisiert haben. Der Kommandant der 17. Armeebrigade versicherte, es sei notwendig, daß der Staat in diesen Gemeinschaften präsent sei, denn diese „könnten nicht Staaten innerhalb des Staates sein“. Diese Anschuldigungen sind immer häufiger und in einigen ländlichen Gemeinschaften Urabás haben Campesinos berichtet, daß Mitglieder der „Sicherheitskooperativen CONVIVIR“ sie gezwungen hatten, den Aufruf zu einem regionalen Generalstreik gegen die nationalen und internationalen NGO's zu unterzeichnen.

Die Nicht-Regierungsorganisationen ihrerseits versichern, daß ihre Mission rein humanitären Charakter hat und auf der „Grundlage der Universalität und der Neutralität, verstanden als Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes“ basiert. Die Anschuldigungen werden als Druckversuch verstanden, damit die Vertriebenen und allgemein die Zivilbevölkerung „sich auf die Seite eines bewaffneten Akteurs (die Armee) schlägt und man die Idee verbreiten will, daß die Arbeit einiger Institutionen parasubversiv sei“, meinte ein NGO-Vertreter gegenüber einer lokalen Zeitung.

Die NGOs versichern, daß die lokalen und nationalen Behörden über sämtliche humanitäre Hilfeleistungen informiert sind. Sowohl die katholische Kirche vor Ort, wie auch die NGOs betonen, daß die Entscheidung der Gemeinschaften, sich von den bewaffneten Gruppen zu distanzieren und sich unter den Schutz des humanitären Völkerrechts zu stellen, respektiert werden muß. Zudem haben diese Gemeinden niemals die Präsenz unbewaffneter staatlicher Institutionen abgelehnt.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, daß die humanitäre Hilfe, die diese Organisationen im Verlauf der letzten zwei Jahre geleistet haben, die Notsituation der über 20.000 Vertriebenen aus dem in der Provinz Chocó gelegenen Teils Urabá lindern half. Diese Menschen waren vor den Feindseligkeiten und dem Terror der bewaffneten Gruppen geflohen. Die beiden letzten Regierungen konnten angeblich aufgrund der fehlenden Mittel diese Notsituation nicht angehen. Die einzige Hilfe, die Tausende von Rückkehrer*innen und Vertriebenen erhielten, wurde von internationalen NGOs geleistet. Die Regierung reduzierte sogar in den letzten Monaten ihre wenige Hilfe noch weiter. Viele Vertriebene leben noch in Notunterkünften in der Region, da die Bedingungen für ihre Rückkehr nicht gegeben sind.

Internationale Organisationen wie Human Rights Watch (HWR) und Amnesty International (AI) weisen die Kampagne gegen internationale NGOs zurück. Der Direktor von HWR, José Miguel Vivanco, meint: „Sowohl die Paramilitärs, die Guerilla und auch die Armee verunglimpfen und beschuldigen all jene, die nicht direkt und unverwechselbar auf ihrer Seite stehen, als Feinde. Sie gehen davon aus, daß die Bevölkerung entweder für oder gegen sie ist. Es ist wahrscheinlich, daß die ausländischen humanitären Institutionen wegen dieser Sichtweise verfolgt werden.“

Die Anschuldigungen werden aber auch als eine Reaktion auf das von 82 kolumbianischen Nicht- Regierungsorganisationen unterzeichnete Dokument betrachtet, das diese bei der 55. Sitzung der UNO- Menschenrechtskommission in Genf präsentiert haben. Einige nationale NGOs erinnern auch daran, daß die gleiche Debatte gegen die Neutralität bereits 1997 vom damaligen Gouverneur der Provinz Antioquia, Alvaro Uribe Vélez, geführt wurde. Vélez war einer der Verfechter und Förderer der privaten „Sicherheitskooperativen CONVIVIR“, die schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt werden.

In einem an die Guerilla-Organisationen FARC und den ELN gerichteten Brief drohen die „Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“ (AUC) unterdessen erneut mit der selektiven Entführung von NGO- Mitgliedern, falls die Guerilla ihre sogenannten „pescas milagrosas“ („wunderbaren Fischzüge“) – d.h. die Entführung von Zivilisten an Straßensperren der Guerilla – nicht aufgebe. In ihrer Mitteilung drohen die Paramilitärs, „Militante, angehende Militante, politische Führungsleute und sämtliche Paraguerilla, die in den Nicht- Regierungsorganisationen versteckt ist, festzunehmen“ und erst wieder freizulassen, „wenn Ihr (die Guerilla) Eure Opfer wieder freilasst“.

Erneute Einberufung des Nationalen Friedensrates –

Aufstockung des Militärbudgets im Nationalen Entwicklungsplan

(Bogota, 31. März 1999, ac-Poonal).- Die kolumbianische Regierung hat nach dem Aufruf verschiedener sozialer Gruppen, die eine größere Beteiligung der Zivilgesellschaft bei den Friedensprozessen mit den Guerillagruppen anstreben, den Nationalen Friedensrat einberufen. Dies erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Verhandlungen mit der FARC und dem ELN zwar immer noch eingestellt sind, die Hoffnungen auf neue Zusammenkünfte und Annäherungen aber wieder steigen.

Nach der ersten Arbeitssitzung des Nationalen Friedensrates unter Präsident Pastrana, verabschiedete dieses Konsultativorgan der Regierung ein 10-Punkte- Dokument. Die wichtigsten Aspekte sind:

– ein Aufruf an die Regierung und den ELN, einen Weg zu suchen, um die vom ELN vorgeschlagene Nationale Konvention unter strikten Sicherheitsmaßnahmen in Kolumbien selber zu ermöglichen;

– die Unterstützung der Regierung bei den Friedensbemühungen, insbesondere für die Verlängerung der Entmilitarisierung der fünf Landkreise im Süden des Landes bis mindestens zum 5. Mai 1999, um so neue Gespräche mit der FARC zu führen;

– die Forderung an Regierung und Guerilla, die Bildung einer internationalen Begleitgruppe zu vereinbaren;

– ein Aufruf an die Guerilla, alle Entführten freizulassen.

Während der Einberufung des Friedensrates verteidigten Pastrana und der Friedensbeauftragte Víctor G. Ricardo die Entmilitarisierung der fünf Gemeinden. Dies wurde als eine erneute Antwort auf die Kritik der Heritage Foundation, einem Studienzentrum der politischen Rechten in den USA gewertet. Das Zentrum hatte wenige Tage zuvor einen Bericht publiziert, in dem es den Friedensplan der Regierung als gescheitert bezeichnete. In diesem Bericht wurde die Anerkennung des politischen Status der Guerilla durch die kolumbianische Regierung als eine Kapitulation gegenüber der FARC bezeichnet und das Treffen zwischen US- Funktionären mit der FARC in Costa Rica kritisiert. Die Heritage Foundation schlägt die Umsetzung des „Plan B“ vor, der den Krieg für die Zeit nach der Entmilitarisierung vorsieht.

Die offizielle Haltung der USA gab US-Botschafter Curtis Kamman bekannt. Er sprach sich dafür aus, Annäherungen zwischen FARC und der US-Regierung solange auszusetzen, bis die Verantwortlichen für den Mord an den drei US-Bürger*innen, die sich für die Rechte der U'wa einsetzten, nicht an die USA ausgeliefert werden. Inmitten dieses Panoramas werden neue Treffen zwischen den Sprechern der Regierung und der FARC vorbereitet. Das erste soll am 20. April stattfinden und die Ausarbeitung einer Friedensagenda zum Thema haben. Ein zweites Gespräch ist für den 26. April vorgesehen. Thema ist dann der Austausch von gefangenen Soldaten gegen inhaftierte Guerilleros.

Gleichzeitig will sich die Regierung dem Anschein nach die totale Konfrontation mit der Guerilla offenhalten. Als erste Budgeterhöhung im Rahmen des Nationalen Entwicklungsplanes „Wandel zum Aufbau des Friedens“, erreichte Präsident Andrés Pastrana die Aufstockung der Militärausgaben von 582 Millionen US-Dollar auf rund 1,3 Milliarden Dollar. Die Armee führte eine längere schwere Offensive gegen die mehrere Guerillafronten in der Region von Urabá. Sie gab den Tod von über 50 Guerilleros und sechs Soldaten bekannt. Armeesprecher begründen die Operationen damit, den Versuch der FARC, das wichtige Gebiet unter erneut unter ihre Kontrolle zu bringen, zu neutralisieren.

PARAGUAY

Asyl für Cubas und Konsorten

(Asunción, 30. März 1999, pulsar-Poonal).- Paraguays Ex-Präsident Raúl Cubas hat politisches Asyl in Brasilien bekommen. Sein Weggefährte beim Kampf um die Macht, General i.R. Lino Oviedo findet in Argentinien Schutz. Die Regierenden der Nachbarländer begründeten ihr Entgegenkommen damit, so werde die paraguayische Demokratie gefördert. Vor allem über das politische Asyl für Oviedo macht sich bei der neuen Regierung Paraguays Unmut breit. Präsident Luis González Macchi sandte eine Delegation nach Argentinien, um die Rückkehr des Putschgenerals zu verhandeln. Er sieht Oviedo als Justizflüchtling an. Zu der zehnjährigen Haftstrafe wegen des versuchten Staatstreiches 1996 kommen die Beschuldigungen wegen der Beteiligung am Mord von Argaña sowie ein bewaffneter Angriff auf Demonstranten einen Tag nach der Tat.

Rücktritt von Präsident Cubas bringt eine Atempause – Kampf um Macht und Pfründe

Von Arturo Bregaglio

(Asuncion, 29. März 1999, npl).- Paraguay atmet auf. Am 28. März erklärte der umstrittene Präsident Raul Cubas seinen sofortigen Rücktritt. Damit ist die brisante innenpolitische Krise, die nach der Ermordung von Vizepräsident Luis Maria Argana zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte, entschärft. Auf den Straßen der Hauptstadt Asuncion feierten die Gegner Cubas' seine Amtsniederlegung. Tagelang hatten sie demonstriert und sich mit dessen Anhängern Straßenschlachten geliefert. Am Wochenende waren erste Schüsse gefallen, vier Jugendliche starben, Dutzende wurden verletzt. Zuletzt rollten Panzer ins Zentrum und Putschgerüchte machten die Runde.

Cubas sah keinen Weg mehr, die Macht zu behalten. „Ich bitte alle meine Wähler um Entschuldigung, aber ich kann nicht die Streitkräfte rufen, um gegen die Verfassung zu verstoßen,“ erklärte der scheidende Staatschef in einer Ansprache. Sein Nachfolger ist Senatspräsident Luis Gonzales Macchi. Das Militär deutete an, den neuen Präsidenten zu unterstützen, der in der Nacht auf Montag vereidigt wurde. Doch schon gibt es neuen Konfliktstoff: Der 53jährige Anwalt erklärte, er werde das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode 2003 ausüben, obwohl die unklar formulierte Verfassung nach Ansicht von Juristen Neuwahlen vorsieht.

In seiner ersten Amtshandlung verfügte Macchi die Festnahme des Ex-Generals Lino Oviedo. Der frühere Armeechef war der starke Mann unter Präsident Cubas und verantwortlich für die den blutigen Streit innerhalb der Regierungspartei Colorado. Opposition und innerparteiliche Gegner sehen ihn als Urheber des Attentats auf Vizepräsident Argana. Noch vor Cubas' Rücktritt verließ Oviedo das Land mit Frau und Kindern, kam jedoch nicht weit: Argentinische Sicherheitsbeamte nahmen ihn bei seiner Ankunft auf einem Flughafen bei Buenos Aires fest.

Der erbitterte Machtkampf in dem südamerikanischen Land ist das Erbe von über 50 Jahren Einparteienherrschaft der Colorados. Ein korruptes System, in dem eine Allianz von Politik und Militär jeden demokratische Anlauf in Ansatz erstickte. Allein 35 Jahre währte die Diktatur des deutschstämmigen Generals Alfredo Stroessner. Seit Stroessner 1989 von seinem Parteifreund General Andrés Rodriguez ins Exil nach Brasilien vertrieben wurde und Anfang der 90er Jahre erstmals Wahlen stattfanden, streiten die Colorados um Macht und Pfründe.

1996 bezichtigt Präsident Juan Carlos Wasmosy seinen Armee-Chef Lino Oviedo des Putschversuchs. Juristisch umstritten und politisch erstarkt, setzte sich Oviedo 1998 bei den Vorwahlen um die Colorado-Kandidatur gegen Angana durch. Daraufhin ließ Wasmosy seinen Widersacher wegen des Putschversuchs von einem Schnellgericht zu zehn Jahren Haft verurteilen. Schließlich kandidierte Oviedos Stellvertreter Cubas und gewann mit dem Slogan „ich regiere und Oviedo hat die Macht“ die Wahl, Erzfeind Argana wurde Vizepräsident.

Die Fraktion um Cubas und Oviedo, der am Tag nach der Wahl aus der Haft entlassen wurde, hatte diese Runde gewonnen. Doch Argana, der als politischer Zögling von Ex-Diktator Stroessner stets als „der Prinz“ gehandelt wurde, ließ nicht locker. Auf seine Veranlassung hin stellte das Oberste Gericht einen neuen Haftbefehl gegen Oviedo aus, den Cubas jedoch ignorierte. Daraufhin strengte Arganas Mehrheitsfraktion innerhalb der Colorados ein Amtsenthebungsverfahren wegen Verfassungsbruchs gegen den Präsidenten an. Der Vize Argana, zu Diktaturzeiten selbst Präsident des Obersten Gerichts und ob seiner antidemokratischen Einstellung berüchtigt, wäre nach Cubas Absetzung endlich Präsident geworden. Jetzt bezahlte er den Machtkampf mit dem Tod.

Der posthume Sieg der Argana-Fraktion beschert Paraguay eine Atempause. Doch es ist ungewiß, ob der neue Präsident Macchi die tiefen Risse innerhalb der Regierungspartei kitten kann. Der demokratischen Opposition, die auch nach dem Ende der Diktatur weder bei Wahlen noch im politischen Alltag die Colorado-Macht bestreiten konnte, bot er Zusammenarbeit an. Mangels Alternative hatte sie gemeinsam mit Gewerkschaften und Bauernverbänden die Amtsenthebung unterstützt – Oviedo war das größere Übel, so der Konsens. Die Nachbarländer sind angesichts der Krise in Paraguay weiterhin sehr besorgt: Brasilien setzte seine Armee an der Grenze bereits in Alarmbereitschaft. Und Argentinien muß über die beantragte Auslieferung Oviedos befinden.

LATEINAMERIKA

Nachhaltige Landwirtschaft, Teil II

(Lima, März 1999, na-Poonal).- Unsere Mitgliedsagentur Noticias Aliadas aus Lima hat sich in einem Special kritisch mit der „grünen Revolution“ und den Chancen einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft in der Region auseinandergesetzt. In loser Folge werden wir mehrere Artikel daraus in Poonal veröffentlichen. Im zweiten Teil ein Beitrag von Paul Jeffrey über nachhaltigen Anbau in Honduras.

Honduras: Aus dem Desaster lernen

(Guacamayas, März 1999, na-Poonal).- Irma Gutiérrez schaut lächelnd über ihre intakte Finca auf den steilen Hängen des nebligen Waldes am Stadrand von Guacamayas. Als der Wirbelsturm Mitch im vergangenen November Mittelamerika verwüsetete, waren die Leute unten im Tal sicher, auch Irma Gutiérrez würde samt ihrer Finca den Berg herunterrutschen. Nur zwei Kilometer weiter stürzten 56 Häuser der historischen Minenstadt San Juanito ein. Verschiedene Berghänge hielten den tagelangen Regenfällen nicht stand und rutschten ab. Honduras und Nicaragua zählten nach dem Sturm etwa 11.000 Tote, Tausende blieben ohne Wohnungen und die Schäden gingen in die Milliarden. Gutiérrez benutzt Techniken der nachhaltigen Landwirtschaft wie natürliche Dünger, einen behutsamen Fruchtwechsel, um die Böden zu schützen und zu verbessern. Auf ihrer Finca wird Gemüse, Obst und Kaffee angebaut – auf einem Hang mit bis zu 65 Prozent Gefälle. Im Gegensatz zum Nachbarn in diesem engen Tal, dessen Böden weggespült wurden, hielt bei ihr alles. „Wenn Mitch das nicht schaffte, dann schafft es keiner,“ ruft Irma Gutiérrez aus. In den achtziger Jahren hatte eine Entwicklungsagentur der landwirtschaftlichen Kooperative, der auch Gutiérrez angehört, Techniker geschickt, die Maßnahmen zum Bodenschutz und andere Methoden des nachhaltigen Landbaus unterrichteten. Doch nur wenige interessierten sich dafür. Als die Agentur 1991 das Projekt schloß, wandten nur 20 der 64 Kooperativenfamilien „alternative“Anbautechniken an. Doch seitdem folgen immer mehr dem Beispiel.

Früher wurde in Guacamayas nach der Ernte das Feld in Brand gesteckt. „Nach einer Reihe von Jahren war der Boden dann ausgelaugt und man mußte umziehen. Wir lernten schließlich, die Art und Weise herauszufinden, auf die man am gleichen Ort bleiben konnte,“ sagt Gutiérrez. „Das bedeutete allerdings, daß wir lernen mußten, die Erde auf ganz andere Art zu behandeln.“ Auch die Veränderung der Marktpreise half bei der Umentscheidung. Die Mitglieder der Kooperative bauten Kaffe für die holländische Firma Max Havelaar an. Heutzutage wenden bis auf zwei Familien alle den nachhaltigen Landbau an. Einer der Verweigerer hat seinen Grund und Boden auf der anderen Seite des Tals. Eine Schlammlawine hat dort eine riesige Scharte in den Hang gerissen. Von den 62 Fincas, die nachhaltigen Landbau betreiben, hat keine einzige Schaden genommen.

Das in Guacamayas vorgeführte Lernen von den Nachbarn ist ein für andere Gegenden erfolgreiches Alternativmodell. Die Frage ist, ob sich genügend Landwirte für den nachhaltigen Landbau entscheiden, bevor die Umwelt in Mittelamerika völlig zerstört ist. Mitch könnte hier so etwas wie ein Scheitelpunkt sein, denn nach ihm hat sich gezeigt, wie wertvoll Bodenerhaltungsmaßnahmen sind. „Wir bringen die Leute dorthin, wo Mitch am meisten Schaden angerichtet hat, damit sie sehen – und einsehen“, erläutert der honduranische Agronom Elías Sánchez. Er leitet ein Weiterbildungszentrum für nachhaltige Landwirtschaft am Stadtrand von Tegucigalpa. Aus der ganzen Welt haben sich schon Studenten bei ihm weiterbilden lassen.

Ironischerweise hatte er er keinen Erfolg bei den Bauern, die einige Kilometer entfernt einige Berghänge bestellen. Als Mitch kam, gaben die Hänge unter den Regenmassen nach und das Weiterbildungszentrum von Sánchez wurde unter drei Meter hohem Schlamm begraben. „Mitch sollte uns lehren, den solidarischen Geist zwischen den Menschen zu unterstützen,“ meint Sánchez. „Es kann nicht darum gehen, ob ich ein gutes Haus habe und mein Nachbar ein schlechtes. Wir wohnen im selben Tal und wenn der Fluß anschwillt, ist ihm egal, wer arm ist und wer reich, er spült einfach weg. In dieser Post-Mitch-Zeit müssen wir auf Solidarität bestehen.“ Es müsse in Honduras ein radikaler Wandel hin zur nachhaltigen Landwirtschaft stattfinden, und das in einem System, das von multinationalen Bananen- und Melonenfirmen beherrscht ist, sagt Sánchez.

Die ausländischen Firmen hätten negative Effekte auf die landwirtschaftlichen Methoden gehabt. Sánchez kritisert zum Beispiel das Konzept des „kosmetischen Kohlkopfs“, welches darin besteht, ein mit einer kleinen Druckstelle versehenes Gemüse oder Obst nicht mehr zum Export zuzulassen. „Wir versuchen den Menschen begreiflich zu machen, daß ein chemiefreier Kohlkopf mit Wurm und Löchern besser ist als ein perfekter, aber giftiger“, erklärt er. Eine regionale Landwirtschaftschule in Zamorano, Honduras, ziehe Studenten aus ganz Lateinamerika an. Nachhaltige Landwirtschaft werde dort aber nicht gelehrt, weil die Schule zum Teil von Saatgut- und Agrochemieunternehmen finanziert werde. „Wenn du dort von Alternativen zu ihren Chemikalien redest, schicken sie dir einen Brief, in dem sie dich fragen, ob du nicht eine Weltreise unternehmen willst. Wenn du zurückkommst, bist du ein Verfechter ihrer Methoden,“ sagt er. Die Korruption in der Regierung erlaube außerdem die Einfuhr von Pestiziden, die in den Industrieländern längst verboten seien. „Die Folgen der Zerstörung sind unübersehbar, doch sie weigern sich, die Gründe zu untersuchen,“ erklärt er.

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