Poonal Nr. 369

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 369 vom 22. Januar 1999

Inhalt


MEXIKO

EL SALVADOR

GUATEMALA

HONDURAS

URUGUAY

ARGENTINIEN

BRASILIEN

BOLIVIEN

LATEINAMERIKA

VENEZUELA

ECUADOR

KOLUMBIEN


MEXIKO

Kontroversen um die Vermarktung des Papstbesuches

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 20. Januar 1999, Poonal).- Darf es noch ein bißchen mehr Papst sein? Vom 22. bis 26. Januar kommt seine Heiligkeit zum vierten Mal in das Aztekenland, doch nie war das Medien- und Kommerzspektakel schon im Vorfeld so groß. So groß, daß in Mexiko eine Kontroverse entstanden ist, ob die beispiellose Kommerzialisierung der Reise noch anständig genannt werden darf. Mehr als 20 nationale und transnationale Großunternehmen haben vom kirchlichen Organisationskomitee die Schirmherrschaft, sprich die Vermarktung, für den fünftägigen Aufenthalt in Mexiko-Stadt und seine Vorbereitung zugesprochen bekommen.

Kurz vor dem Beginn der offiziellen Veranstaltungen mehren sich kritische Stimmen. Der Erzbischof von Yucatán warnte vor einer „Banalisierung“ des Papstbesuches. Die Gefahr erhöht sich, weil Johannes Paul II. auf dieser Reise nach recht einhelliger Expertenmeinung keine Neuigkeiten verkünden wird. Es ist vorgesehen, daß das Kirchenoberhaupt in der Basilika der Jungfrau von Guadalupe in Mexiko-Stadt ein Dokument übergibt, in dem die Schlußfolgerungen der Ende 1997 in Rom abgehaltenen Synode über Amerika aufgenommen sind. Im Grunde also kein Nachrichtenwert. Ebensowenig gibt es Anzeichen für eingehendere Äußerungen des Papstes zur innenpolitischen Lage Mexikos, beispielsweise zur Situation im Bundesstaat Chiapas. Die seit Beginn der 90er Jahre zunehmende Entspannung zwischen katholischer Kirche und mexikanischem Staat wird der Vatikan kaum gefährden wollen. Der konservative Kardinal und Erzbischof der Haupststadt, Norberto Rivera, hat dies bereits durchblicken lassen.

Viele Beobachter sehen die Bedeutung des Besuches eher darin, daß sich für Johannes Paul ein Kreis schließt. Vor zwanzig Jahren kam er zum ersten Mal als relativ frisch gekürter Papst nach Mexiko, nun ist es aufgrund seines Alters und Gesundheitszustandes seine vermutlich letzte Reise dorthin, vielleicht sogar auf den lateinamerikanischen Subkontinent. Das reicht offenbar, um ein enormes Interese zu wecken. Etwa 500 Bischöfe werden aus den lateinamerikanischen Ländern erwartet, ungefähr eine Million Menschen sollen aus den verschiedenen Teilen des stark katholisch geprägten Mexikos wegen des Papstes in die Hauptstadt kommen. Nach einer Umfrage sind 99,2 Prozent der Mexikaner*innen über seinen Besuch informiert.

Da nur eine kleine Minderheit den Papst direkt in der Basilika, im Fußballstadion oder im Autodrom sehen kann, werden Millionen vor den Fernsehern sitzen. Das ist vor allem für die beiden Privatsender Televisa und TV Azteca sowie deren Werbekunden eine lukrative Angelegenheit. In manchmal peinlichen Einspielungen versuchen die Sender, den Zuschauern klar zu machen, die bessere Berichterstattung über seine Heiligkeit zu bieten. Vor Spezialprogrammen konnte sich das TV-Publikum schon in den vergangenen Tagen kaum retten. Und die Unternehmen, die mit dem Image von Johannes Paul II. werben dürfen, füllen die Anzeigenpausen seit Beginn des Monats kräftig aus.

Die Kirche schweigt darüber, wieviel sie an dem Imageverkauf mitverdient. Der Hinweis auf Jesus, der die Händler aus dem Tempel warf, ficht sie nicht an. Justo Mullor, der päpstliche Nuntius in Mexiko, sagt: „Für die Reinen ist alles rein“. Und weiter: „Wir müssen Menschen dieser Epoche sein.“ Das paßt gut zu einem der Schirmherren, der mit „Generation Next“ für seine Erfrischungsgetränke wirbt. Nicht ganz zum Reinheitsgebot scheint es zu passen, daß einige Organisationen sich mit ihren Klagen über Mißtände im Land direkt an den Papst wenden wollten. Dafür ist keine Lücke im Zeitplan vorgesehen. Johannes Paul II. wende sich an die gesamte Bevölkerung nicht an einzelne Gruppen, so begründete dies Kardinal Rivera.

Das hat unter anderem sechs zur katholischen Kirche gehörende mexikanische Menschenrechtseinrichtungen aber nicht daran gehindert, einen gemeinsamen Brief über die delikate Menschenrechtslage im Land an den Papst zu richten. Sie hoffen auf Übergabemöglichkeiten. Noch beim letzten Papstbesuch 1993 hatte der die Brief von San Cristobals Bischof Samuel Ruíz García über die Situation der Indigenas in Chiapas für Aufsehen gesorgt. Der damalige päpstliche Nuntius Girolame Prigione scheiterte anschließend nur knapp mit seinem Versuch, den Bischof vorzeitig zum Rücktritt zu zwingen. Wenn dies im Medienspektakel auch vielleicht untergehen wird: für viele kritische Katholiken ist es eine Genugtuung, daß Prigione das Land verlassen hat, Ruíz dagegen als nach wie vor amtierender Bischof den Papstbesuch in Mexiko- Stadt miterlebt.

EL SALVADOR

Umfragen prophezeien der FMLN nichts Gutes für den März

Von Juan José Dalton

(San Salvador, 16. Januar 1999, npl).- Die Erwartungen über einen Wahltriumph der salvadoreanischen Linken bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden März sind nach zwei jüngst veröffentlichen Meinungsumfragen drastisch gesunken. Die Befragungsergebnisse sind für die Partei der ehemaligen Guerillabewegung Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) eine eiskalte Dusche. Noch vor einem Jahr konnte die FMLN sich hoffnungsfroh als möglichen Gewinner der Präsidentschaftswahlen sehen. Der Verbrauch der rechten ARENA-Partei nach zehn Jahren an der Macht war allzu offensichtlich.

Doch jetzt sieht ARENA in beiden Umfragen wie die sichere Siegerin aus. Die FMLN ist demnach mit 20 bis 25 Prozent Rückstand eine völlig abgeschlagene zweite Kraft. Beim direkten Kandidatenvergleich schneidet die FMLN noch schlechter ab. Der von der Regierungspartei aufgestellte Francisco Flores liegt über 30 Prozent vor Facundo Guardado. Flores hat zudem nach Meinung von fast 60 Prozent der Salvadoreaner*innen das beste Image aller Kandidaten. Guardado ist da mit 7,9 Prozent noch hinter den sozialchristlichen Politikern Rubén Zamora und Rodolfo Parker plaziert. An einen Wahlsieg der FMLN glaubt derzeit nur noch jedeR zehnte BürgerIn.

Der steile Sympathieverlust für den von FMLN und der Sozialchristlichen Union (USC) gemeinsam aufgestellten Guardado ist überraschend. Aus den Führungsspitzen dieser beiden Partein verlautet, daß die Wahltermine vor Ort ein anderes Bild als die voneinander getrennt durchgeführten Umfragen reflektieren. Doch wenn dem US-Unternehmen Unimer vielleicht noch Parteilichkeit zugunsten der Regierung vorgeworfen werden könnte, ist das beim angesehenen Meinungsforschungsinstitut der von den Jesuiten geleiteten Zentralamerikanischen Universität schwierig. Die Jesuiten in El Salvador würden die letzten sein, die der Regierung in die Hände spielen wollen.

Außenstehende Beobachter wie die Journalisten Salvador Samayoa und Roberto Turcios glauben, die Grabenkämpfe, die die FMLN im vergangenen Jahr um die Präsidentschaftskandidatur führte, haben die Glaubwürdigkeit der Partei stark geschwächt. Nach außen hin hätte sie ein Bild der Intoleranz und fehlender Regierungsfähigkeit vermittelt. Der Streit zwischen sogenannter gemäßigter und radikaler Strömung habe zudem verhindert, im In- und Ausland angesehene Persönlichkeiten ohne Parteizugehörigkeit die Chance auf eine Präsidentschaftskandidatur zu geben.

An die „peinlichen Konfrontationen“ erinnernd, ist Samayoa überzeugt, die von der FMLN über Jahre hinweg gut geleistete Arbeit „an einem Tag zerstörte“. Er meint ebenfalls, die frühere Guerilla arbeitete nicht geeint in der politischen Kampagne, sie gehe den Wahlkampf „nicht mit Volldampf“ an. Die parteiinternen Gegner*innen von Kandidat Guardado, die auf der Seite der von Schafik Handal geführten kommunistischen Fraktion ständen, ließen es trotz anders lautender öffentlicher Bekundungen an Unterstützung fehlen.

Für Samayoa ist die Wahlentscheidung gefallen: „Die FMLN könnte den Rückstand verkürzen, Siegchancen sehe ich für sie weder in der ersten noch in der (möglichen) zweiten Wahlrunde.“ Roberto Turcios, der die Zeitschrift „Tendencias“ leitet, ist nicht ganz so pessimistisch. Er schätzt, die Spanne zwischen ARENA und FMLN könne sich erheblich verringern, wenn der kaum begonnene Wahlkampf an Fahrt gewinnt. Dann werde sich der Verbrauch der Regierungspartei zeigen, deren Amtsführung durch Ausschluß der Bevölkerung und Verwaltungskorruption gekennzeichnet sei.

Andere weisen auf ein Paradox hin: Obwohl die Bevölkerung eindeutig eine Antipathie gegenüber ARENA habe, vor allem wegen der breite Schichten nicht beachtenden Wirtschaftspolitik, sind ihrer Meinung nach „die Salvadoreaner*innen konservativ und werden für das schon bekannte Übel stimmen“. Guardado wird als Guerillakommandant direkt mit dem Krieg zwischen FMLN und Armee in Verbindung gebracht, bei dem mehr als 75.000 Menschen umkamen. Das wirkt sich offenbar gegen ihn aus. Ein weiteres Paradox: Obwohl der früher als radikal geltende Guardado sich inzwischen innerhalb der FMLN reichlich nach rechts bewegt hat, ist es Gegenkandidat Flores, dem es bisher gelingt, ein gemäßigtes, jugendliches und modernes Image zu vermitteln. Dabei steht hinter Flores starkes und immer mehr konzentriertes Kapital, das von einigen Ökonom*innen wegen des ausgeübten Einflusses als „Kerkermeister“ des Staates charakterisiert wird.

Die Gefahr für die salvadoreanische Linke ist groß. Ein harter Rückschlag bei den Wahlen könnte für die FMLN bedeuten, nicht mehr länger politisches Instrument für viele gesellschaftliche Gruppen zu sein, die traditionellerweise an den Entscheidungen im Land nicht beteiligt werden. Dies wäre besonders schlimm für ein Land, das kaum die ersten Schritte in ein demokratisches System übernimmt. Die Präsidentschaftswahlen, die zweiten seit dem Ende (1992) des internen Krieges, sind am 7. März 1999. Der Sieger tritt im Juni sein Amt an und wird die Regierung bis zum Jahr 2004 führen.

GUATEMALA

Arbeiter*innen zwangsgedopt – Amphetamine für höhere Produktion

(Mixco, 10. Januar 1999, cerigua-Poonal).- Das staatliche Menschenrechtsbüro untersucht Klagen gegen einen Teilfertigungsbetrieb. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Siglo Veintiuno“ verabreichen die Arbeitgeber den Beschäftigten Amphetamine, damit diese längere Schichten aushalten. Der Arbeiter Jose Manuel Vivar Contreras, in der Bentex Textilfabrik angestellt, machte die Anschuldigung gegenüber dem Menschenrechtsbeauftragten im vergangenen Monat. Nach seinen Angaben wurde Personal in dem Betrieb zwei Wochen lang gezwungen, Schichten von 7.30 Uhr morgens bis 4.00 Uhr nachts abzuleisten – das sind 21,5 Stunden. Die Amphetamine hielten die Arbeiter*innen wach.

Die Beschäftigten mußten sich nach Contreras Erklärungen zudem in der Fabrik waschen und sich von ihren Angehörigen Nahrung und saubere Kleidung bringen lassen. Eine Bezahlung für die Überstunden gab es offenbar nicht. Vorläufige Untersuchungen des Arbeitsministeriums konnten den Sachverhalt nicht belegen und der Bentex-Manager Kim streitet alles rundweg ab. „Es gibt keine Pillen und keine Probleme… Es kam ein Arbeitsinspektor und er fand nichts“, so Kim gegenüber Siglo Veintiuno. Mehrere Beschäftigte bestätigten die von ihrem Kollegen gemachten Angaben allerdings gegenüber der Zeitung. Gegenüber dem Inspektor hätten sie nichts gesagt, weil sie um ihre Jobs fürchten würden. Die Menschenrechtsbehörde muß über die Angelegenheit noch eine Entscheidung fällen.

Regierung sieht Erfolge in Verbrechensbekämpfung

(Guatemala-Stadt, 13. Januar 1999, cerigua-Poonal).- Die offiziellen Statistiken verzeichnen für 1998 einen Rückgang der Verbrechensrate. Innenminister Rodolfo Mendoza sieht darin einen Erfolg der verschiedenen Anstrengungen zur Bekämpfung der Kriminalität. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, meinte er. Mendoza verweist auf die mit 3.196 erheblich niedriger Zahl von Mordfällen im Vergleich zu 1997 (3.880 Morde). Die Zahl der Entführungen habe von 170 auf 93 fast halbiert. Einen der größten Erfolge sieht er im Kampf gegen den Drogenhandel. Der Minister lobte besonders die 8.500 Mitglieder der neu geschaffenen Zivilen Nationalpolizei. Ihre Installierung im ganzen Land solle 1999 beschleunigt werden. Nach den Friedensabkommen von Dezember 1996 wird die Endstärke der Nationalpolizei 20.000 Beschäftigte betragen. Aus der Opposition wurden Zweifel an dem gezeichneten optimistischen Bild laut.

Mindestlohnerhöhung – zum Sterben zuviel, zum Leben zu wenig

(Guatemala-Stadt, 12. Januar 1999, cerigua-Poonal).- Die Regierung will den Mindestlohn in der öffentlichen und der privaten Wirtschaft ab Februar um zehn Prozent erhöhen. Arbeitsminister Luis Linares erklärte, dies sei vor allem für die mehr als 200.000 Guatemaltek*innen wichtig, die auf den Kaffeeplantagen und in den Textilfabriken beschäftigt sind. Dort wird im allgemeinen nicht mehr als der Mindestlohn gezahlt. In der Landwirtschaft steigt der Mindestlohn auf umgerechnet 2,80 Dollar pro Tag, in anderen Sektoren auf knapp über 3 Dollar. Treffen die Inflationsvorhersagen von fünf bis sechs Prozent für dieses Jahr ein, gäbe es wie schon 1998 einen kleinen Kaufkraftzuwachs für die am schlechtesten bezahlten Arbeiter*innen. Dafür hatten sie noch 1997, als es überhaupt keine Steigerung des Mindestlohnes gab, erhebliche Einbußen hinnehmen müssen.

Sowohl die Unternehmer wie auch Gewerkschaftsvertreter kritisierten die Erhöhung, wenn auch aus entgegengesetzer Perspektive. Humberto Preti vom Unternehmerverband CACIF sieht Arbeitsplätze und Investitionen in Gefahr, während der Generalsekretär der Gewerkschaftsvereinigung CGTG den Mindestlohn vor allem auf dem Land für unzureichend hält. Für die Befriedigung der Grundbedürfnisse reicht der Lohn sowieso nicht. Allein für die notwendigen Grundnahrungsmittel braucht eine fünfköpfige guatemaltekische Familie laut staatlichem Statistikinstitut umgerechnet 143 Dollar monatlich, mit den Ausgaben für andere Waren und Dienstleistungen das Doppelte.

In vielen Regionen des Landes wird nicht einmal der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn gezahlt. Dies ist vor allem auf den Plantagen der FAll. Mißbräuche werden aus Angst, jegliche Arbeit zu verlieren, kaum angezeigt. Oft wird ein Teil des Lohnes in Nahrungsmitteln ausgezahlt. Die guatemaltekische Verfassung erlaubt dies für die Landarbeiter*innen bis zu einer Höhe von 30 Prozent des Gesamtlohnes, wenn dabei reguläre Preise angesetzt werden.

HONDURAS

Nach Mitch: Korruption und Hilflosigkeit erschweren Wiederaufbau

Von Paul Jeffrey

(Tegucigalpa, Januar 1999, na-Poonal).- Mario, Reynas Mann, verdient sich ein bißchen Geld mit dem Reinigen überschwemmter Häuser. Von Zeit zu Zeit bringt eine kirchliche Gruppe ein wenig Essen und Kleidung vorbei. Vor dem Sturm arbeitete Mario auf einer der zahlreichen Bananenplantagen in us-amerikanischem Besitz. Ohne Arbeitsvertrag und ohne Sicherheiten. Und obwohl in den kommenden zwei Jahren weiter Bananen exportiert werden, hat er wenig Chancen auf Arbeit, noch nicht einmal auf eine zeitweilige Beschäftigung auf den Plantagen in der Nähe.

„Es ist schon eine ziemlich schwierige Situation, aber wo sollen wir denn hingehen“, sagt Reyna Cruz. Auf die Frage, ob sie denn Hoffnung für die Zukunft hat, blickt sie auf die vorüberfahrenden Autos und schweigt. „Wir sind alleine…, und es wird ein äußerst schwieriges Jahr“, hatte Präsident Carlos Flores Anfang Januar verkündet. Zwar regnete nach dem tropischen Wirbelsturm ein warmer Hilfsregen über Honduras nieder, doch die Hilfe wirklich den Betroffenen zukommen zu lassen, ist nicht einfach.

Mehr als tausend Container voller Kleidung und Lebensmittel stapelten sich lange auf der Pier von Puerto Cortés, weil die empfangenden Gruppen den Transport zu den betrroffenen Gemeinden einfach nicht bezahlen konnten. Neben der materiellen Hilfe, vor allem Lebensmittel, habe die Regierung lediglich 10 Millionen Dollar in bar erhalten, erklärt Finanzministerin Gabriela Núnnnnez. Ohne Geld zum Wiederaufbau von Häusern und zur Schaffung von Arbeitsplätzen würde sich die Regierung bald steigender Unzufriedenheit in der Bevölkerung, einem „sozialen Mitch“, ausgesetzt sehen, warnt der schwedische Außenhandelsminister Pierre Schori.

Kritiker sagen, die mangelhaften Mittel seien nicht das einzige Problem. „Die Fernsehbilder sind sehr klar: Aus den Trümmern und dem Schlamm steigen der Präsident und die First Lady auf, um dem notleidenden Volk ihren hilfreichen Arm zu reichen“, sagt Ismael Moreno. Der Priester koordiniert die Hilfe in El Progreso. Er kritisiert: „bestimmte politische Figuren wollen Verstand und Herzen erobern…. doch die Wirklichkeit des Alltags ist bestimmt von autoritärem Verhalten, der kalkulierten politischen Erpressung, Parteitreue und das ewige „ich bestimme – du gehochst“ von der Spitze des Landes bis hinunter bis zum Gemeinderat“.

Präsident Flores macht den USA den Hof, damit diese ihre Initiative im karibischen Becken ausdehnen. Er erhofft sich mehr Maquila-Betriebe, in denen im Wesentlichen vorgefertigte Kleidungsteile zusammengenäht werden. Das könnte die massive Arbeitslosigkeit eindämmen. Flores versucht, die Vereinigten Staaten auch davon zu überzeugen, die Abschiebung von honduranischen Staatsbürgern auszusetzen. Am 30. Dezember verkündete US-Präsident Clinton eine achtzehnmonatige Deportations-Pause für illegal in den USA lebende Honduraner. In Guatemala ansäßige katholische Sozialarbeiter, die mit den Migranten arbeiten, berichten aber von einer Steigerung abgeschobener Mittelamerikaner. Seit Mitch sei deren Zahl von 300 auf 500 täglich angestiegen. Guatemala selbst beschränkte im Dezember die Einreise aus El Salvador, Honduras und Nicaragua. Damit verletzte das Land ein Regionalabkommen, das auf die Integration der mittelamerikanischen Nationen abzielt.

Angeblich um ausländische Investitionen in die vom Sturm betroffenen Gegenden zu locken, verabschiedete der honduranische Kongreß im Eilverfahren eine Reihe von Zugeständnissen an Unternehmer. Dies schloß auch die Umgestaltung des Verfassungsartikels 107 ein, der es bis dahin Ausländern verbot, an den Landesgrenzen Land zu erwerben. Zuvor war die Verfassungsänderung monatelang diskutiert worden. Doch afrokaribische Gruppen erklären, daß der Dialog von Regierungsseite von vornherein ohne echte Absicht auf Verständigung geführt worden sei. „Es gab nie die wirkliche Absicht einer gemeinsamen Lösung“, erklärt der Vorsitzende der Vereinigung zur ethnisch gemeinschaftlichen Entwicklung, Celeo Alvarez. „Es handelte sich nur um taktische Manöver, um zu einem günstigen Zeitpunkt das bißchen unserer nationalen Eigenständigkeit zu verkaufen, das wir noch besaßen.“

Zusammen mit den Investitionen wird auch die Korruption kommen. Obwohl man diesmal nicht von einer so offensichtlichen Umleitung der Hilfsgelder spricht wie nach dem Hurrikan Fifi 1974, so gibt es doch neue und subtilere Formen der Bereicherung. Umweltschützer beklagen beispielsweise, unter den Notstandsgesetzen seien mehr Bäume gefällt worden als Mitch selbst umgerissen habe. Der von Flores mit der Bildung eines Spezialkabinetts für den Wiederaufbau beauftragte Außenminister Fernando Martínez, verließ dieses Gremium im Dezember unter Protest. Er war nicht mit der Regierungsverfügung einverstanden, Notstandsaufträge für Bauten ohne öffentliche Ausschreibung zu erteilen.

Von der schnellen und umfangreichen kubanischen Hilfe beeindruckt, versprach Martínez, bald wieder diplomatische Beziehungen mit der Insel aufzunehmen. Kuba hatte medizinische Brigaden geschickt, die wesentlich dazu beitrugen, Epedemien zu vermeiden. Außerdem vergaben die Kubaner 300 Stipendieen, damit Honduraner auf der Insel Medizin studieren können. „Die Kubaner haben uns gezeigt, daß Armut kein Hindernis füer menschliche Solidarität ist“, sagte Martínez. Die freiwilligen Ärzte erklärten, sie würden die normalen Armutskrankheiten bekämpfen. „Das Desaster hat keine neuen Krankheiten gebracht, sondern vielmehr die kritische Gesundheitslage der Armen ans Tageslicht gebracht,“ formulierte die Leiterin des Informations- und Dienstleistungszentrum für Gesundheit in Managua, María Zúnnnniga, eine Einsicht für die ganze Region.

Die am meisten von Mitch betroffenen Länder Honduras und Nicaragua hatten im Dezember in Washington Hilfszusagen erhalten, was ihre Schulden angeht. Die Weltbank hat zusätzlich zu dem bereits gebilligten Kredit von 200 Millionen Dollar ein neues zinsloses Darlehen in Höhe von einer Milliarde Dollar mit einer Laufzeit von 40 Jahren angekündigt. Der Pariser Klub kündigte eine dreijährige Rückzahlungspause für beide Länder an, was im Falle von Honduras eine jährliche Minderbelastung von 100 Millionen Dollar bedeutet.

Der honduranische Wirtschaftswissenschaftler Mauricio Díaz warnt allerdings vor „vergifteten Pralinen“, denn 99 Prozent der Schulden seien nicht gestrichen worden. „Die Zahlungspausen und andere wohlformulierte diplomatische Ausdrücke sind in Wirklichkeit nichts anderes als eine Aufschiebung der Rückzahlungen. Außerdem erhöhen wir so unsere Auslandsschulden noch mehr“, sagt Díaz.

Was die mittelamerikanischen Politiker lautstark im Ausland fordern, tun sie zu Hause nicht. Weder Politiker noch Banken sind bereit, Kleinbauern und Kooperativen Schulden zu erlassen, obwohl diese ihre gesamte Ernte verloren. Nach Meinung des Verwalters der Nationalen Landwirtschaftlichen Entwicklungbank, Leonardo Godoy, sollten die Bauern einen Schuldenerlaß vergessen. Eine Bank müsse geliehenes Geld zurückbekommen, sonst funktioniere sie nicht.

URUGUAY

Gerüchte um geheime Massengräber

(Montevideo, 15. Januar 1999, comcosur-Poonal).- Ausgerechnet ein Kloakenrohr könnte ans Tageslicht bringen, was viele Menschen in Uruguay vermutet und befürchtet haben: Die Existenz geheimer Gräber auf dem Grundstück eines Militärgeländes in der Haupstadt Montevideo. Der Widerstand der Streitkräfte gegen die Verlegung des Abwasserrohres durch das Kasernengelände, wo heute das 13. Infanteriebataillon stationiert ist, erhärtet den seit längerer Zeit bestehenden Verdacht. Journalist*innen hatten wiederholt berichtet, auf dem Areal seien die Leichen von unter der Militärdiktatur ermordeten Personen verscharrt.

Es war Streitkräftekommandant Oberstgeneral Fernán Amado selbst, der sich dagegen wehrte, Bauarbeiter auf dem Kasernengelände zuzulassen. Seine Nachricht schickte er direkt an den Bürgermeister von Montevideo. Dabei informierte er offenbar entgegen den Hierachielinien nicht einmal den Verteidigungsminister des Landes. Die Angst der Militärs ist groß. In der Vergangenheit sind mehrere Zeugnisse zusammengetragen worden, nach denen unter anderem die Lehrerin Elena Quinteros nach ihrer Entführung durch die Militärs aus der venezolanischen Botschaft, wo sie Zuflucht gesucht hatte, umgebracht und auf dem Gelände begraben wurde.

Dort operierte unter der Diktatur das geheime Haftzentrum „300 Carlos“. Ein ehemaliger Agent des militärischen Geheimdienstes erklärte vor einiger Zeit, Quinteros sei zusammen mit sieben anderen Opfern unter einem Fußballfeld verscharrt worden. Er gab sogar die Stelle detailliert an. Nach späteren Aussagen anderer Zeugen, wurde die Leichen Mitte 1983 an einen anderen Ort gebracht. „Es war gegen zehn oder elf Uhr morgens. Wir hatten den Befehl, Erde umzuschichten, um das Gelände aufzufüllen und zu planieren. Ich sah, wie sie die Leichen ausgruben. Alles ging sehr schnell. Ich weiß nicht, ob es sieben, acht oder neun waren“, so heißt es in einem Bericht. Mehrere Versuche ziviler Behörden, intensivere Nachforschungen auf dem Gelände anzustellen, konnten die Streitkräfte bisher stets abblocken. Jetzt haben sie als Alternative angeboten, die Arbeiten für das Abwasserrohr von den eigenen Soldaten durchführen zu lassen.

ARGENTINIEN

Neun Diktaturschergen wegen Kindesentführung festgenommen –

„Großmütter der Plaza de Mayo“ suchen ihre Enkel

Von Ana Jivotovschii und Roberto Roa

(Buenos Aires, 21. Januar 1999, npl).- Über 200 schwarz-weiß- Fotografien sind in Augenhöhe an der kahlen Wand des Ausstellungsraumes angebracht. Sie zeigen die Gesichter junger Frauen und Paare, selten ist auch ein Säugling bei ihnen zu sehen. Darunter ein kurzer, sich stets wiederholender Text: Die Namen der Abgebildeten, der Zeitpunkt ihres Verschwindens während der Militärdiktatur, Aussagen von Zeugen, die sie zum letzten Mal gesehen haben. Allen ist gemein, daß sie in Erwartung eines Kindes oder seit wenigen Monaten Eltern waren.

Zwischen den Fotos sind kopfgroße Spiegel angebracht. Die Organisatoren der Ausstellung im Kulturzentrum von Ricoletta – einem wohlhabenden Stadtteil der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires – , die „Großmütter der Plaza de Mayo“, erklären den Besuchern die ungewöhnliche Darstellung: Über 400 Säuglinge sind ihren Eltern in den Gefängnissen und Folterzentren der Diktatur (1976-1983) geraubt und von regimenahen Familien adoptiert worden. Bisher konnten erst 61 Fälle aufgeklärt werden. „Eine Möglichkeit, die Identität der Opfer festzustellen, ist die Ähnlichkeit der Gesichtszüge,“ schreiben die „Großmütter“ auf einer kleinen Tafel am Anfang der Ausstellung. Es könne sein, daß einige der heute rund 20jährigen hier ihre wirklichen Eltern wiederfinden.

Die Täter von damals sind zumeist auf freiem Fuß. Die Amnestiegesetze von 1989 und 1990 haben die Befehlsempfänger entlastet, verurteilte Juntamitglieder wurden begnadigt. Doch da der Tatbestand der Kindesentführung nicht in den Bereich der Amnestie fällt, ermittelt die argentinische Justiz jetzt gegen die mutmaßlich Beteiligten. Bundesrichter Adolfo Bagnasco nahm in den vergangenen sechs Monaten neun ehemalige Militärs fest, unter ihnen der ehemalige Juntachef Jorge Videla und sein berüchtigter Mitarbeiter, Admiral Emilio Massera.

Die jüngsten Festnahmen brachte den Menschenrechtsaktivisten neue Hoffnung. Der frühere Heereschef Cristino Nicolaides war am Dienstag vergangener Woche unter Hausarrest gestellt worden und sagte am Donnerstag (14.1.) aus, daß die Diktatur ein Archiv über die Ermordeten und Verschwundenen Regimegegner geführt habe. Seinem Anwalt zufolge soll Nicolaides auch gesagt haben, wo sich diese Unterlagen befinden. Damit bestätigte erstmals ein Mitglied der damaligen Junta, daß das Schicksal der geschätzten 30.000 Opfer zumindest teilweise dokumentiert ist. Die letzte Festnahme erfolgte am Mittwoch (20.1.): Es traf den letzten Juntachef der Diktatur, General Reynaldo Bignone, der ebenfalls unter Hausarrest gestellt wurde. Inzwischen wurde formal Anklage gegen sieben der mutmaßlichen Kindesentführer erhoben.

Ende Dezember hatte Bagnasco zwei weitere Schergen unter Hausarrest gestellt. Den pensionierten General Ruben Franco, der als Chef des Militärzirkels gilt, der die Kindesentführungen geplant und durchgeführt hatte. Und den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Jorge Acosta, genannt „der Tiger“, der als Leiter der berüchtigten Mechanikerschule der Marine (ESMA) Tausende von Menschen gefoltert und ermordet haben soll.

Der Druck auf die Täter der argentinischen Diktatur nimmt zu. Gegen 15 ehemalige Befehlshaber bestehen internationale Haftbefehle, weit über 100 Militärs müssen zumindest eine Vorladung als Zeugen befürchten, sollten sie ins Ausland reisen. Der Fall des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet, der seit drei Monaten in London unter Hausarrest steht, macht deutlich, daß die Straffreiheit zumindest territorial begrenzt ist. Derzeit befinden die britischen Lordrichter über die Frage, ob Pinochet Immunität besitzt oder nach Spanien ausgeliefert werden kann, wo ihm wegen Menschenrechtsverbrechen der Prozeß gemacht werden soll.

Die „Großmütter“, die ihre Enkel suchen und die Militärs zur Rechenschaft ziehen wollen, bleiben skeptisch. Zwar ist das Image der damaligen Täter angekratzt: In renommierten Fußballvereinen verlieren sie ihre Ehrenmitgliedschaft, in der Öffentlichkeit werden sie wiederholt beschimpft. Zudem fürchten sie die „Hijos“, die „Söhne der Diktaturopfer“, die in Begleitung von Journalisten vor ihre Häuser ziehen, demonstrieren und Anklagen auf die Mauern sprühen. Doch die juristischen Ermittlungen sind langwierig.

Einige Menschenrechtsgruppen wie die „Mütter der Plaza de Mayo“ kritisieren, daß fast allen Angeklagten wegen ihres hohen Alters lediglich Hausarrest erteilt wurde, anstatt sie hinter Gitter zu bringen. Die Militärs befänden sich, so die Organisation, in einem „Goldenen Käfig“. Hierdurch wolle man lediglich verhindern, daß die Militärs an ausländische Gerichte ausgeliefert werden.

Brasilianische Krise greift über

(Buenos Aires, 19. Januar 1999, pulsar-Poonal).- Die Beteuerungen der argentinischen Regierung, von der Krise im Nachbarland Brasilien nicht betroffen zu sein, werden bereits widerlegt. Symptomatisch ist das in der Autoindustrie. Das Unternehmen Ford, dessen Werk sich nahe der Hauptstadt befindet, hat die Produktion schon von zwei auf eine Schicht heruntergefahren. Fast 1.500 Arbeiter*innen wurden vorerst von der Arbeit suspendiert. Dies soll bis Oktober so bleiben, bis dahin bekommen diese Beschäftigten nur einen geringen Teil ihres Lohnes. Wenn sich die Wirtschaftslage dann nicht gebessert hat, droht ihnen die endgültige Entlassung und die ausgezahlten Löhne würden ihnen auf das Entlassungsgeld angerechnet. Von 100 Autos, die Ford in Argentinien produziert, werden 75 nach Brasilien exportiert. Firmen wie Peugeot, General Motors, Renault, Fiat und Volkswagen drosselten ebenfalls die Produktion, sprechen aber noch nicht von Entlassungen oder Arbeitssuspendierung.

BRASILIEN

Der Währungscrash in Brasilien trifft vor allem die Mittelschicht –

Präsident Cardoso bekommt Quittung für seine Wirtschaftspolitik

Von Thomas Fatheuer

(Rio de Janeiro, 18. Januar 1999, npl).- Als Sandra Bentes am Sonntag von ihrem Urlaub in Miami nach Rio de Janeiro zurückkam, empfingen sie am Flughafen Kameras des brasilianischen Fernsehens. Was sie denn von der Abwertung der brasilianischen Währung halte, wollten die Reporter hören. Die Touristin wußte von nichts, bekam aber einen gehörigen Schreck: Alle ihre mit Kreditkarte getätigten Käufe werden fast 20 Prozent teurer zu Buche schlagen, als sie dachte. Denn soviel verlor der Real in nur zwei Tagen an Wert.

„Jetzt bin ich geliefert“, lautete ihr erster Kommentar. Insbesondere der Mittelschicht, die vieles auf Kredit kauft, wird der Wertverlust der Währung zu schaffen machen. Für den größten Teil der Bevölkerung sind die Turbulenzen an den Finanzmärkten jedoch abstrakte Nachrichten ohne unmittelbare Konsequenzen.

Das ganze Land saß am Wochenende vor den Fernsehern. Aber nur wenige verfolgten die letzten Neuigkeiten von der Börse. Alle anderen fieberten dem Ende der seit Monaten laufenden Telenovela (Seifenoper) „Der Turm von Babel“ entgegen und erfuhren endlich, wer denn nun das Shopping Center in die Luft gejagt hatte. Das Desinteresse der breiten Bevölkerung an den Turbulenzen des Finanzmarktes ist verständlich. Wer keine Dollars oder Aktien besitzt und nicht nach Miami reisen kann, merkt vorerst überhaupt nichts.

Das internationale Interesse am brasilianischen Markt ist hingegen groß, schließlich hatten die Schwierigkeiten der brasilianischen Währung Anfang vergangener Woche weltweit zu Kursstürzen an den Börsen geführt. Die unmittelbare Zukunft der Kapitalmärkte hängt jetzt von Brasilien ab. Letzte Woche geschah das, was viele Experten vorhergesehen hatten: Die überbewertete brasilianische Währung Real hielt den Turbulenzen nicht stand, der Wechselkurs wurde freigegeben, prompt fiel der Real um fast 20 Prozent. Aber die Bewährungsprobe steht noch aus. Erst in den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob die Abwertung in Grenzen gehalten werden kann oder der Real ins Bodenlose stürzt – mit unabsehbaren Folgen für das südamerikanische Land und die internationalen Finanzmärkte. „Wir sind aus dem Fegefeuer heraus, jetzt heißt es Himmel oder Hölle,“ beschreibt der ehemalige Planungsminsiter Kandir die Perspektiven des Landes.

In der Telenovela nahm alles sein geordneten und vorhersehbaren Gang: der Bösewicht wurde entlarvt und die glücklichen Paare haben sich gefunden. Leider ist die Welt der Wirtschaft unübersichtlicher als die der Seifenopern. Zwar sind alle Täter wohlbekannt, aber es gibt keinen Konsens, wer denn nun der Bösewicht sein soll. Ist es die Regierung, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat, ist es die Gier der internationalen Spekulanten, der Internationale Währungsfond IWF oder sind die Oppositionspolitiker für alles verantwortlich, weil sie die Schulden der Bundesstaaten nicht zahlen wollen? Nicht einmal über den Charakter der Tat ist man sich einig. War es ein Verbrechen, eine Attentat oder eine notwendige Operation?

Einig ist man sich nur darüber, daß die Situation des Landes in den letzten Wochen unhaltbar geworden war. Nach dem von Rußland verkündeten Moratorium im August letzten Jahres setzte eine Kapitalflucht aus Brasilien ein: Innerhalb eines Monats verließen 26 Milliarden US-Dollar das Land. Ein Sparpaket und eine vom IWF koordinierte Finanzspritze sollten das Vertrauen in das Land wiederherstellen, das sich ungerechterweise mit Rußland in einen Topf geworfen sah. Doch Anfang des Jahres erklärte plötzlich der Expräsident und neugewählte Gouverneur des wichtigen Bundesstaates Minas Gerais, Itamar Franco, seine Kasse sei leer und er werde fällige Schulden beim Staat und auch beim Ausland vorerst nicht zurückzahlen. „Zuerst müssen die Beamten ihr Gehalt und die Häftlinge zu essen bekommen,“ polterte Franco.

Jetzt war das Unwort Moratorium wieder in den Schlagzeilen, die Kapitalflucht stieg erneut. Zunächst riskierte die Regierung am Donnerstag eine kontrollierten Abwertung. Der Real verlor acht Prozent, aber die Finanzmärkte gewannen kein Vertrauen. Knapp zwei Milliarden Dollar flossen noch am selben Tag ab. Es gab kein Halten mehr, die Devisenreserven hatten die kritische Grenze von 30 Milliarden erreicht. Am Freitag mußte die Regierung den Wechselkurs freigeben und damit eine Operation mit maximalen Risiko eingehen.

Ist also an allem ein Itamar Franco schuld, der 1994 den jetzigen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso zu seinem Nachfolger kürte, sich inzwischen aber von ihm verraten fühlt? Daß ein rachsüchtiger Provinzgouverneur die internationalen Finanzmärkte erschüttern kann, würde die Vertreter der Chaostheorie freuen, die glauben, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Wirbelsturm auslösen kann. Nur legen die Fakten eine andere Version nahe: Die Regierung bekommt die Rechnung für ihre Politik präsentiert. Sie ist hohe Risiken eingegangen und hat sich verkalkuliert.

1994 litt das Land unter einer Superinflation, die 30 Prozent im Monat erreichte. Immer wieder waren Wirtschaftspläne, die die Inflation unter Kontrolle bringen sollten, gescheitert. Erst dem im Juni 1994 vom damaligen Finanzminister Cardoso lancierten „Plano Real“ gelang das Kunststück. Die Inflation sank, Cardoso wurde zum Präsidenten gewählt – und die Inflation stieg nicht wieder an. Entgegen den Kassandrarufen der Opposition hat sich der „Plano Real“ nicht als Wahlkampfmanöver erwiesen sondern als wirksames Mittel der Inflationsbekämpfung. Im vergangenen Jahr erreichte die Teuerungsrate praktisch die Nullmarke. Dieser Erfolg sicherte auch die Wiederwahl Cardosos im letzten Oktober.

Aber jetzt werden die Schattenseiten dieser Wirtschaftspolitk sichtbar. Die Inflationsbekämpfung beruhte vor allem auf einer Währungspolitik, die zur Aufwertung des Reals führte. Konsequenz: Die Importe wurden billiger, die Exporte teurer und Brasilien, das jahrelang Außenhandelsüberschüße produziert hatte, erwirtschaftete immer mehr Defizite. Kein Problem, versicherte die Regierung: die billigen Importe zwingen unsere Wirtschaft zur Modernisierung und stabilisieren die Preise. Aber um wachsende Defizite zu finanzieren, mußte die Regierung ausländisches Kapital mit hohen Zinsen anlocken. Wenn die Regierung sich heute über Finanzspekulationen gegen Brasilien beklagt, so ist das zumindest scheinheilig. Schließlich ist klar, daß Finanzkapital nicht wegen Samba und Palmen oder gar aus sozialen Gründen nach Brasilien geströmt ist, sondern der Gewinne wegen. Nach der Rußlandkrise mußte die Regierung die Zinsen gar auf über 40 Prozent hochschrauben, um noch Kapital anzuziehen. Das hält keine Volkswirtschaft auf Dauer aus.

Die Folgen der Hochzinspolitik waren schon im vergangenen Jahr spürbar. Nicht nur die Inflation, auch das Wirtschaftswachstum tendierte gegen Null. Steigende Arbeitslosigkeit, wachsende Verschuldung und schwindende Sozialausgaben sind die Folgen. Viele brasilianische Firmen, insbesondere im Textilsektor, mußten ihre Tore schließen, weil sie mit den Billigimporten aus China nicht mithalten konnten. Als dann die Rußlandkrise ausbrach, wollten Regierung und IWF die Krise wieder mit denselben Mitteln bekämpfen: hohe Zinsen und weitere Einsparungen. Jetzt wurde deutlich, daß das mit dem IWF ausgehandelte Programm dem Land eine weitere Rezession auferlegen würde. Damit lief Brasilien Gefahr, eine Wirtschaftspolitik nach dem Motto „Operation geglückt – Patient tot“ zu betreiben.

Die Opposition wirft der Regierung soziale Kälte vor. Für Lula da Silva von der Arbeiterpartei ist klar, daß Präsiden Cardoso sich mehr dem internationalen Kapital verpflichtet fühlt als dem eigenen Volk. „Wenn die Regierung nichts tut, dann kommt der soziale Zusammenbruch,“ prophezeit Lula, der bei den Wahlen im vergangenen Oktober einziger ernstzunehmender Konkurrent Cardosos war.

Kann die Abwertung der Währung die düsteren Perspektiven abwenden? Falls der Real nicht ins Bodenlose fällt, hat die Maßnahme durchaus positive Aspekte: Die brasilianischen Exporte werden wieder wettbewerbsfähig, Importe und das Außenbilanzdefizit gehen zurück und die Regierung gewinnt Spielraum für Zinssenkungen. Auf der anderen Seite wird die Bedienung der Auslandsschuld, die bei etwa 300 Milliarden US-Dollar angelangt ist, immer schwieriger. Das betrifft nicht nur den Staat, sondern auch viele Firmen, die sich in Dollar verschuldet haben. Und die Verteuerung der Importe wird einen Inflationsschub auslösen, erste Schätzungen gehen von einer Rate von 7 Prozent für 1999 aus. Zwar wurde der Anstieg der Börse am Freitag um 33 Prozent als Vertrauensbeweis gewertet, doch die Krise wird andauern. Und Sandra Bentes wird in Zukunft zweimal zögern, bevor sie ihre Kreditkarte zückt.

Wunder in Krisenzeiten – O Maria Hilf

(Porto Alegre, 14. Januar 1999, alc-Poonal).- Mehr als 300 Marienerscheinungen wurden in jüngerer Zeit in Brasilien registriert. Die Marienverehrung ist unter der katholischen Bevölkerung des Landes sehr verbreitet. Zu den Personen, denen die Jungfrau erschien, gehört auch der 57jährige Unternehmer und Familienvater Raimundo Lopes aus dem Bundesstaat Minas Gerais. Zu den Botschaften, die er erhielt, gehörte unter anderem: „die Bevölkerung Lateinamerikas ist die einzige, die noch Glauben hat“. Inzwischen hat Lopes einen „Marieninformationsdienst“ (SIM) gegründet, über den er alle von der Jesusmutter gehörten Nachrichten verbreitet.

Die katholische Kirche behandelt das Thema mit einer gewissen Distanz. „Wir müssen vorsichtig sein“, wird beispielsweise der Bischof Moacir Grechi in der Zeitschrift „Epoca“ zitiert. Die Glaubenskommission der Bischofskonferenz hat ein Buch mit dem Titel „Erscheinungen und besondere Offenbarungen“ veröffentlicht. Für den Ordensmann und Dr. in Theologie, Alfonso Murad ist das Phänomen der Hellseherei real, aber zwiespältig. Es könne zu Gott führen oder aber die Personen verwirren, so der Autor des Buches „Visionen und Erscheinungen“, in dem er auf die Marienoffenbarungen eingeht.

Für die Skeptiker*innen, darunter viele Katholik*innen, handelt es sich um reine Einbildung, die manchmal durch psychologische Störungen verstärkt wird. Der Psychotherapeut Joao Bezinelli, der an einem Institut in Sao Paulo arbeitet, weist darauf hin, daß die Erscheinungen sich in Notzeiten multiplizieren. „Wenn das Volk gegeißelt wird, erscheint die Große Mutter“, versichtert er ironisch.

Der Priester und Journalist Frei Betto fragt sich, warum die Jungfrau Maria nur in ländlichen Gebieten auftaucht, nicht aber beispielsweise im Stadtzentrum von Sao Paulo. Einige rechtfertigen diesen Tatbestand damit, daß die katholische Tradition in den abgelegenden Gegenden verwurzelter ist und dort eine größere Spiritualität herrsche. Der Vatikan hat zuletzt 1933 in den belgischen Orten Beauraing und Banneaux Marienerscheinungen formell anerkannt. In Brasilien wird von der Amtskirche nur ein Fall untersucht. Dabei handelt es sich um die angeblich alle elf Jahre wiederkehrende Erscheinung Marias in der kleinen Gemeinde Anguera im Bundesstaat Bahia. Die Ratschläge der Jungfrau bei ihren Erscheinungen sind konsistent: die Evangelien lesen, den Rosenkranz beten und fasten.

BOLIVIEN

Neue Sparpolitik wird zu Entlassungen führen

(La Paz, 13. Januar 1999, recosur-Poonal).- Wirtschaftskrise, „flexiblere“ Arbeitsgesetze und der Sparplan der Regierung werden in den kommenden Wochen zur Entlassung von voraussichtlich 17.000 Arbeiter*innen führen, die beim Staat und Privatunternehmen beschäftigt sind. In zahlreichen Ministerien soll das Personal gekürzt werden. Die Regierung führt die Ineffizienz der staatlichen Bürokratie als Begründung an. Außerdem soll die Maßnahme zu Einsparungen von fünf Prozent im öffentlichen Haushalt beitragen.

LATEINAMERIKA

Spanische Banken im Vormarsch

(Madrid, 18. Januar 1999, pulsar-Poonal).- Mit der Fusion der spanischen Banken Santander und Central Hispano ist eine neue Finanzgruppe entstanden, die die größte europäische Bank in Lateinamerika ist. Ihr Gesamtkapital beträgt 73 Milliarden Dollar. Mit Filialen in Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Peru, Bolivien, Mexiko und Puerto Rico hat sie alle wichtigen und zusätzlich mehrere kleine Länder auf dem Subkontinent abgedeckt. Der Einfluß stieg durch den Aufkauf mehrerer lateinamerikanischer Banken und den Einstieg in das Geschäft mit Pensions- und Versicherungsfonds. Die im vergangenen Jahr noch getrennten Bilanzen von Santander und Central Hispano wiesen hohe Gewinne bei den Investitionen in Übersee auf. Mit der Fusion ist ein Finanzgigant in Lateinamerika entstanden, der weitere Konkurrenten schlucken könnte.

VENEZUELA

Kirche für Verfassungsversammlung

(Maracaibo, 15. Januar 1999, alc-Poonal).- Trotz des Widerstandes der traditionellen Parteien gelingt es dem neu gewählten Präsidenten Hugo Chavez, die meisten gesellschaftlichen Gruppen für seinen Plan einer verfassungsgebenden Versammlung zu gewinnen. Dem Vorschlag haben sich inzwischen auch die wichtigsten evangelischen Kirches des Landes angeschlossen. Sie sind übezeugt, daß die Mehrheit der Bevölkerung Verfassungsänderungen wünscht und die Versammlung eine Möglichkeit bietet, sich der „moralischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise“ im Land entgegenzustellen.

ECUADOR

Noch ein Land mit Paramilitärs

(Quito, 14. Januar 1999, pulsar-Poonal).- Der staatliche Ombudsman Milton Alava Ormaza macht für den Mord an dem Gewerkschaftsführer Saúl Cañar Anfang Dezember 1998 eine paramilitärische Bande verantwortlich. Er fordert Innen- und Verteidigungsminister zu dringenden Maßnahmen auf, um die Paramilitärs in der zentralen Provinz Cotopaxi festzunehmen. Nach seinen Angaben verstecken sie sich hinter der Maske privaten Sicherheitspersonals. Es gibt Berichte über Aktivitäten paramilitärischen Gruppen in fünf Landesprovinzen. Die Menschenrechtsaktivistin Alexis Ponce hat eine Reihe von Klagen registriert, die die Aktionen der Paramilitärs bestätigen könnten. Sie sollen unter dem Kommando von Unternehmern aus der Krabben- und Viehindustrie stehen. Verteidigungsminister José Gallardo, General im Ruhestand, hat erklärt, die Armee besitze keine Information über die Paramilitärs, werde aber die notwendigen Ermittlungen aufnehmen.

KOLUMBIEN

Haftbefehl gegen Ex-Botschafter Marulanda

(Bogotá, 20. Januar 1999, ac-Poonal).- Die Menschenrechtseinheit der Staatsanwaltschaft erließ einen Haftbefehl gegen den ehemaligen Botschafter bei der Europäischen Union, Ex- Entwicklungsminister und Ex-Parlamentarier Carlos Arturo Marulanda wegen der Bildung paramilitärischer Gruppen in der Provinz Cesar. Die Anklage stützt sich insbesondere auf die Vorgänge auf dem Landgut Bellacruz, das Marulanda gehört. Die Beamten der Staatsanwaltschaft konnten den früheren Politiker bisher nicht fassen, da dieser nach Angaben seiner Familie im Ausland weilt.

Seit 1996 wurde Marulanda der Förderung paramilitärischer Gruppen beschuldigt, die für die Vertreibung von 130 Familien verantwortlich waren. Diese vertriebenen Familien besetzten darauf rund 10 Monate lang die Büros der Landreformbehörde INCORA in Bogotá und verlangten eine Lösung ihrer Probleme. Der Konflikt zwischen den Bauern der drei Gemeinden Pelaya, La Gloria und Tamalameque in der Provinz Cesar war schon vor Jahrzehnten ausgebrochen, verschärfte sich aber in den letzten Jahren, als Privatarmeen die Häuser der Campesinos niederbrannten und mehrere Bewohner*innen ermordeten. Ein Bruder des Ex-Botschafters Marulanda war im Mai 1998 verhaftet worden und ist ebenfalls der Unterstützung paramilitärischer Gruppen angeklagt.

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