Poonal Nr. 355

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 355 vom 25. September 1998

Inhalt


KUBA/BOLIVIEN

MEXIKO

GUATEMALA

HONDURAS

NICARAGUA

BOLIVIEN

ECUADOR

CHILE

URUGUAY

LATEINAMERIKA


KUBA/BOLIVIEN

Tania la Guerillera findet ihre letzte Ruhe auf Kuba

(Havanna, 21. September 1998, pl-Poonal).- Erstmals wurden im kubanischen Fernsehen Informationen bestätigt, daß ein nach Bolivien entsandtes Expertenteam in dem Ort Vallegrande auf die Überreste von Haydee Tamara Bunke Bider gestoßen ist. Die Argentinierin deutscher Abstammung war das einzige weibliche Guerillamitglied, das zusammen mit Che Guevara in Bolivien kämpfte. Bekannt als Tania la Guerillera kam Tamara Bunke am 31. August 1967 bei einem Gefecht mit der bolivianischen Armee ums Leben. Sie wurde ganz in der Nähe der Stelle begraben, an der bereits im Sommer vergangenen Jahres die Überreste des Che zum Vorschein kamen. Wie Guevara sollen auch die Gebeine der Guerillera nach Kuba überführt werden.

Tamara Bunke kam 1937 in Buenos Aires zur Welt. Ihre Eltern waren vor der Verfolgung der Nazis nach Argentinien geflohen. Nach dem Krieg kehrten sie in die DDR zurück, um ein neues Deutschland aufzubauen. Tamara trat 18jährig in die SED ein. 1960 lernte sie Che Guevara kennen, der als Leiter einer kubanischen Handelsdelegation in die DDR kam. Begeistert von der kubanischen Revolution reiste die spätere Guerillakämpferin auf die Karibikinsel und arbeitete unter anderem für das Bildungsministerium, das Kubanische Institut für Völkerfreundschaft und in der nationalen Frauenvereinigung.

1964 begann Tamara Bunke mit den Aufklärungs- und Vorbereitungsarbeiten für das Guerillaprojekt in Bolivien. Nachdem ihre Tätigkeit während eines Aufenthaltes bei der Guerillatruppe enttarnt wurde, konnte sie nicht mehr in die bolivianische Hauptstadt La Paz zurückkehren, wo sie Kontakte zur Armee und den Führungseliten des Landes geknüpft hatte. Sie schloß sich der kämpfenden Truppe an. Auf Kuba genießt Tania la Guerillera immer noch höchstes Ansehen.

MEXIKO

Folgen der Überschwemmungen in Chiapas noch nicht bewältigt

(Mexiko-Stadt, 23. September 1998, Poonal).- Trotz beruhigender Regierungsmeldungen sind die Folgen der schweren Überschwemmungen im Bundesstaat Chiapas offenbar noch lange nicht bewältigt. Obwohl die Wasserstände seit 10 Tagen ständig zurückgehen, sind Zeitungsberichten zufolge noch Dutzende von Gemeinden von der Außenwelt abgeschlossen und für Hilfslieferungen unerreichbar. Die Zahl der Toten wird von der mexikanischen Caritas auf bis zu 500 geschätzt, während die Behörden offiziell von bisher unter 200 Toten ausgehen. In der Presse wird jedoch ein internes Dokument der chiapanekischen Regierung zitiert, das ein wesentlich düsteres Bild vom Ausmaß der Katastrophe zeichnet. Zweifel werden an der Effektivität staatlicher Hilfsorganisationen geäußert, vor allem das mexikanische Rote Kreuz muß sich Unfähigkeit vorwerfen lassen. Sogar Präsident Ernesto Zedillo äußerte deutliche Kritik am Vorgehen der Organisation. Im Gegensatz zur Einschätzung vieler Personen vor Ort erklärte jedoch Zedillo die Notstandsphase als beendet.

Mit dem Abklingen der Naturkatastrophe ist nun allerdings ein Streit um die Durchführbarkeit der für den 4. Oktober vorgesehenen Kommunal- und Parlamentswahlen in Chiapas entfacht worden. Die Regierungspartei PRI möchte sie bis auf wenige Ausnahmen in allen Landkreisen durchführen, während konservative Politiker, linke Opposition und auch die Kirche in weitaus mehr Wahlbezirken die Bedingungen für reguläre Wahlen als nicht gegeben betrachten. Eine endgültige Einigung über die vollständige oder teilweise Verschiebung der Wahlen wurde bisher nicht erreicht. Die aufständischen Zapatisten haben der PRI in einem Kommuniqué vorgeworfen, mit den Hilfslieferungen für die Opfer der Überschwemmungen Wahlkampf zu betreiben. Sie denunzierten die Korruption bei der Verteilung der humanitären Hilfsgüter und bezeichneten den Umgang als „skandalösen Raub“.

GUATEMALA

Nachruf auf Rolando Morán

(Guatemala-Stadt, September 1998, cerigua-Poonal).- Die endgültige Anerkennung der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) als politische Partei hat der frühere Guerillakommandant Rolando Morán nicht mehr erleben können. Der 68jährige starb am 11. September an Herzversagen, nachdem er zuvor wegen Lungenblutungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Sein Tod steht in gewisser Weise auch für das Ende einer Epoche lateinamerikanischer Aufstandsgeschichte. Dabei entbehrt es nicht gewisser Ironie, daß ein konservativer Präsident und der guatemaltekische Verteidigungsminister seiner Familie ihr Beileid ausdrückten.

Morán, mit bürgerlichem Namen Ricardo Arnoldo Ramírez de León, war frühzeitig politisch aktiv. Geboren am 29. Dezember 1929 in der Stadt Quetzaltenango sammelte der Sohn eines Armeeoberst erste politische Erfahrungen als Student der staatlichen Universität San Carlos. Ende der 40er Jahre war er bereits in der Führung der Straßenbaugewerkschaft. In der demokratischen Periode des Landes (1944-54) schloß er sich der kommunistischen Partei der Arbeit an. In dieser Zeit lernte er auch einen jungen Argentinier kennen, der das Land bereiste: Che Guevara. Dies war der Beginn einer langjährigen Freundschaft.

Als sich 1960 um Luis Turcios Lima der erste bewaffnete Widerstand gegen die seit 1954 herrschenden Militärs formierte, gehörte Morán zu den Mitgliedern der sich formierenden Guerilla. 1962 war er Mitbegründer der Rebellischen Streitkräfte (FAR), die von da an in der Sierra de las Minas im Osten Guatemala operieren sollten. Interne Streitigkeiten führten acht Jahre später zu seinem Rücktritt aus der Organisation. Morán baute das Guerillaheer der Armen (EGP) auf, das sich schnell zur schlagkräftigsten Aufstandsorganisation entwickelte und seine stärkste Basis in der Provinz Quiché hatte.

1980 hatte er wesentlichen Anteil am Zusammenschluß aller vier damals in verschiedenen Landesteilen operierenden Guerillabewegungen zur URNG. Im Anschluß konnte die vereinigte Guerilla einige militärische Erfolge verbuchen und 1981/82 schien bereits für einige der Weg zur Machtübernahme in greifbare Nähe zu erückt sein. Ein beispielloser Vernichtungsfeldzug der offiziellen Armee unter der Diktatur von General Rios Montt setzte diesen Hoffnungen jedoch ein Ende. Danach war auch Morán klar, daß das Ende des bewaffneten Konfliktes wahrscheinlich nur durch eine Verhandlungslösung zu erreichen sei.

Dieses ließ bis Dezember 1996 auf sich warten, nachdem ein jahrelanges zähes Ringen mit den seit 1986 amtierenden zivilen Regierungen vorausgegangen war. Wie auch die URNG mußte Rolando Morán angesichts der militärischen und politischen Kräfteverhältnisse die Vorstellungen von einem revolutionären Guatemala begraben. Es blieb die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und wirklichem Frieden im Land. Als Vorsitzender der politischen Partei URNG hätte Morán dazu noch einiges beitragen können.

HONDURAS

Radikale Änderung für die Streitkräfte

Von Juan José Dalton

(San Salvador, 20. September 1998, Poonal).- Das honduranische Parlament hat vergangenes Wochenende eine wichtige Entscheidung für die demokratische Zukunft des Landes getroffen. Das Amt des von der Regierung praktisch unabhängigen Chefkommandanten der Streitkräfte wird abgeschafft. Damit ist ein weiterer Schritt im Zuge der von Ex-Präsident Roberto Reina 1994 begonnenen Entmilitarisierung des kleinen mittelamerikanischen Landes getätigt worden. Die überwältigende Mehrheit der 128 Abgeordneten verabschiedete die Reform von 15 Verfassungsartikeln, die das Gesicht der Armee von Grund auf verändern sollen. Jahrzehntelang beherrschten die Militärs direkt oder indirekt die Geschicke des Landes. Keine wichtige politische Entscheidung konnte gegen sie gefällt werden.

Zukünftig wird ein vom Präsident der Republik eingesetzter und absetzbarer Verteidigungsminister für die Streitkräfte verantwortlich sein. Dabei darf das Amt von einem Zivilisten ausgeübt werden. Der Staatschef hat mit Beginn des kommenden Jahres als Generalkommandant die direkte Befehlsgewalt über die Armee. General Mario Hung, dessen Zeit als Chefkommandant am 26. Januar 1999 abläuft, wird der letzte Vertreter einer 1956 von den Militärs durchgesetzten Tradition sein. Die Hierarchien der Armee bestimmten unter sich im Obersten Streitkräfterat ein Dreigespann, unter dem das Parlament auszuwählen hatte. Die Regierung wurde bei der Ernennung nicht gefragt, die Armee als Institution war völlig autonom.

Zumindest öffentlich hat General Hung die Veränderungen verteidigt. Dinge von gestern könnten gut für gestern, aber schlecht für heute sein, äußerte er sich. Aber es ist bekannt, daß nicht alle Militärs sich damit abfinden können, zukünftig zivilen Regierungen tatsächlich untergeordnet zu sein und Rechenschaft ablegen zu müssen. Zudem hatten sich einige Offiziere Hoffnungen auf die Nachfolge Hungs gemacht.

Allerdings stehen die Streitkräfte weiterhin unter heftiger Kritik verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen. Ihre Mitglieder werden für Menschenrechtsverletztungen in den 80er Jahren verantwortlich gemacht. Damals „verschwanden“ 184 Personen der linken Opposition im Land. Selektive Morde und Folter – nach Instruktionen des US-Geheimdienstes CIA, wie kürzlich in Washington freigegebene Dokumente beweisen – werden ihnen ebenfalls zur Last gelegt.

Hohe Militärs kamen auch immer wieder in Verbindung mit dem organisierten Verbrechen und waren an den sogenannten „sozialen Säuberungen“ beteiligt, denen mutmaßliche Kriminelle zum Opfer fielen. Das veranlaßte den liberalen Präsidenten Jorge Flores Facussé, die öffentliche Sicherheit beschleunigt in die Hände von zivilen Institutionen zu legen, da auch die Polizei bisher von der Armee kontrolliert worden ist. Jetzt, so drückte es Flores hoffnungsfroh aus, erwarten Honduras „neue und bessere Tage“.

NICARAGUA

Plantagenarbeiter in Nicaragua klagen US-Bananenkonzerne an – Pestizide

verursachten schwerste Gesundheitsschäden

Von Roberto Fonseca

(Managua, September 1998, npl).- Die US-Bananenkonzerne „Dole“ und „Standard Fruit Company“ drohen mit dem Rückzug aus Nicaragua, nachdem ein Gericht der Provinz Chinandega ein Transportverbot über die Firmen verhängt hat. Hintergrund ist die Schadensersatzforderung über 10 Millionen Dollar, die ehemalige Plantagenarbeiter*innen im April gegen die Konzerne erhoben hatten. Das Lieferembargo soll ihrer Klage Nachdruck verleihen. Die 500 Arbeiter*innen waren zwischen 1970 und 1980 auf den Plantagen der beiden US-Firmen Bananen beschäftigt, wo auch die hochgiftigen Chemikalien „Nemagon“ und „Fumazone“ eingesetzt worden sind. Hersteller von „Nemagon“ ist die Shell Oil Company, Dow Chemicals vertreibt das Pestizid „Fumazone“. Wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen sind die beiden Produkte in den Vereinigten Staaten verboten.

„Die Kläger sind heute fast alle arbeitsunfähig. Sie leiden unter Hautkrebs, Unfruchtbarkeit, schweren Erkrankungen der Atemwege und Augenschäden. Oft sind auch ihre Kinder von den Schäden betroffen.“ erklärt der Anwalt Ricardo Solis, der die Anklage gegen die beiden Konzerne vertritt. Der Anwalt betreibt zudem ein Gesetzesvorhaben, das den Plantagenarbeitern ein Recht auf Entschädigung beim Umgang mit Pestiziden sichern soll.

Dole und Standard Fruit fordern, daß die Klage an ein US-amerikanisches Gericht weitergeleitet werde. Dies jedoch könnte das Verfahren um Monate verzögern, erklärt Solis. Daß die Firmen nun damit drohen, die Produktion in Nicaragua einzustellen, bezeichnet er als „Erpressung“. Das Land ist auf den Bananenexport angewiesen. Jedes Jahr verlassen fast vier Millionen Bananenkisten die Häfen Nicaraguas.

Bei einem Erfolg der Klage würde jeder der Betroffenen eine 20.000 US-Dollar Entschädigung erhalten, die sie und ihre Familien auch dringend benötigen. In den Bananen-Anbaugebieten um El Viejo und Chinandega beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung kaum 40 Jahre, wie die Ärztin Edda Contreras in einem Interview mit der Zeitung „El Nuevo Diario“ erklärte. Die Spätschäden des Pestizideinsatzes seien „schlimmer als Lepra oder Aids“.

Das Schicksal des 20jährigen Juan Carlos Picado aus El Viejo ist kein Einzelfall. Mißbildungen am ganzen Körper lassen ihn nicht älter als zehn Jahre wirken. Seine Eltern arbeiteten beide jahrelang auf den Plantagen, sein Vater starb kurz nach der Geburt des Jungen an Lungenkrebs, eine Folge seines täglichen Umgangs mit „Nemagon“. An eine ärztliche Betreuung des Jungen ist für die alleinstehende Mutter nicht zu denken. Nicaragua gehört zu den ärmsten Ländern des Kontinents, laut UN-Entwicklungsbericht leben 44 Prozent der Nicaraguaner*innen von weniger Als einem Dollar am Tag.

BOLIVIEN

Kokaleros geben trotz starrer Regierungshaltung nicht auf

(La Paz, 21. September 1998, recosur-Poonal).- Die Koka-Bäuer*innen, die Anfang des Monats nach La Paz marschierten, wollen nun mit einem Hungerstreik Druck auf die Regierung ausüben. Der Streik begann vor wenigen Tagen in den Räumlichkeiten der Bolivianischen ArbeiterInnenzentrale (COB). Die Regierung weigert sich nach wie vor, von ihren Plänen der zwangsweisen Vernichtung der Koka-Pflanzungen abzugehen. Evo Morales, Abgeordneter und Anführer der Kokaleros, erklärte, daß bei Ausbleiben eines positiven Ergebnisses die Campesinos aus dem ganzen Land und die Produzent*innen der Koka-Blätter aus den Regionen Chapare und Yungas auf die Straßen gehen und in den Hungerstreik treten würden. Der Widerstand werde sich nicht auf die Hauptstadt beschränken.

ECUADOR

Pfarrer kritisieren ihre Bischöfe wegen Regierungsfreundlichkeit

(Quito, 21. September 1998, alc-Poonal).- Die Entscheidung der ecuadoreanischen Bischofskonferenz, bei der Verteilung von Hilfe für die Armen mit der Regierung zusammenzuarbeiten, ist innerhalb der katholischen Kirche auf Kritik gestoßen. In der südlichen Provinz Azua kamen 17 Pfarrer zusammen und kritisierten in einer gemeinsamen Stellungnahme die Haltung der Bischöfe. Für sie hat die Kirchenhierachie mit ihrer Einstellung das jüngst verkündete Wirtschaftspaket der Regierung akzeptiert, das unter anderem drastische Preiserhöhungen, den Wegfall von Subventionen und eine Abwertung der einheimischen Währung, dem Sucre, bis zu 15 Prozent vorsieht. Gegen diese Maßnahmen soll es in der kommenden Woche landesweit Proteste geben. Um die Folgen ihres Wirtschaftspaketes für die Bevölkerung abzumildern, hat die Regierung einen sogenannten „Armutsbon“ in Höhe von umgerechnet 16 US-Dollar monatlich ins Leben gerufen. Die Kirche soll dieses Geld in Koordination mit den Banken an diejenigen verteilen, die weniger als 160 Dollar im Monat verdienen. Für die widerspenstigen Pfarrer aus Azua ist der Armutsbon eine Beleidigung und ein Schlag ins Gesicht der Armen. Sie werfen der Kirchenspitze eine buckelnde Haltung vor. Die Bischöfe würden sich als Botengänger einer Regierung verhalten, die die weitere Erdrosselung der Wirtschaft brutal vorantreibt.

Zwischen Sonnengott, Mais und Mestizen – Nina Pacari repräsentiert das

Selbstbewußtsein der Indígena-Bewegung

Von Blanca Diego

(Quito, September 1998, npl).- Während in Ecuador der Herbst Einzug hält, feiern die Quichua-Völker im Andenhochland die Ankunft von Quilliahuarmi und Collahuarmi: die ersten Regenfälle, der Beginn der fruchtbaren Zeit des Jahres. September und Oktober sind die Monate des Yamor. In dieser Zeit wird dem Sonnengott für den Mais gedankt.

Weder die Politik noch die „westliche Kultur“ halten Nina Pacari davon ab, an diesen Feierlichkeiten teilzunehmen. Neben den ersten Regenfällen hat die Vizepräsidentin des ecuadorianischen Parlamentes als geborene Quichua noch einen weiteren Grund zum Feiern: In die neue Verfassung sind einige Forderungen indigener Bevölkerungsgruppen eingegangen. Es handelt sich um erstmals festgeschriebe Rechte wie die notwendige Konsultierung von Indígena-Gemeinden, wenn natürliche Ressourcen in ihrem Gebiet ausgebeutet werden sollen sowie die Anerkennung von kollektivem geistigen Eigentum und dem Gewohnheitsrecht bei der Lösung von internen Konflikten und dem Respekt vor dem Gemeinschaftsbesitz.

Mit der Verankerung dieser und anderer Rechte in der Verfassung bekommt das in den 80er Jahren gegründete „Nationale Indígena-Projekt“ in den 90er Jahren endlich ein Gesicht. Der ecuadoreanische Staat muß sich neu definieren. Nina Pacari faßt das Ziel, an dem sie von Anfang an mitgearbeitet hat, so zusammen: „Wir wollen aus Ecuador einen Staat machen, in dem viele Ethnien gleichberechtigt nebeneinander leben können und in dem sich Mestizen und Indígenas gegenseitig respektieren. Das wäre die Basis für einen einheitlichen und untrennbaren Staat.“

Nina Pacari wurde 1961, genau in der Zeit der ersten Regenfälle, geboren. In Quichua bedeutet ihr Name Feuer, Licht, Tagesanbruch. Sie kam in der Nähe des Yahuarcocha-See zur Welt, auch Blutsee genannt. Dort ließ Huayna Cápac, der letzte Inkakönig, das gesamte Volk der Carangui töten. So tapfere Leute, meinte er, könnten niemals gute Vasallen werden.

Auch wenn Nina Pacari es geschafft hat, sich den Resekt der Mestizen zu erkämpfen, hat sie in ihrer Jugend sehr wohl erfahren, was es heißt, ausgeschlossen zu sein. „Sie haben uns als Folklore angesehen. 'Wie hübsch diese Dummchen mit ihren Indiokleidchen' hieß es.“ Heute sagt Pacari: „Ich habe es geschafft, auch die andere Welt zu verstehen und meine Welt verständlich zu machen. Nur so können wir den Traum vom Zusammenleben verschiedener Kulturen Wirklichkeit werden lassen.“

Nina Pacari gehört einer Gruppe indigener Intellektueller an, die die Möglichkeit hatten, zu studieren. „In der Generation meines Vaters glaubte man noch, man könne Rassismus und Unterdrückung bekämpfen, indem man zu großem Besitz gelangt. Meine Generation glaubt an eine professionelle Ausbildung, daran, von gleich zu gleich zu diskutieren.“

Mit dieser Haltung wurde sie als erste Frau Vorsitzende der Land- und Gebietskommission der Nationalen Indígenavereinigung Ecuadors (CONAIE) und Vorsitzende des Rates für die Entwicklung indigener und schwarzer Bevölkerungsgruppen. Dieser Rat wurde 1996 gegründet, während der Aktionen, die zum Sturz des Präsidenten Abdalá Bucaram führten. Heute sitzt Nina Pacari zum zweiten Mal in Folge für die Bewegung Pachakutik, dem politischen Arm von CONAIE, als Abgeordnete im Parlament. Wie das Nationale Indígena-Projekt hat Pacari auch die Bewegung Pachakutik mitgeprägt.

Die stellvertretende Parlamentspräsidentin spricht von einer „großen Herausforderung“ in einer neuen Etappe. Die Hoffnung von Pachakutik bestehe darin, „die Themen und Gesetzesvorschläge, für die wir heute kämpfen, in zehn Jahren durchgesetzt zu haben“. Wie schwierig das wird, weiß sie. So wird Ecuador in der neuen Verfassung zwar als ein multikultureller Staat definiert, in dem unterschiedliche Ethnien leben, doch der von Pachakutik vorgeschlagene Begriff „Vielnationenstaat“ fand keinen Eingang.

Die Mehrheit der Politiker befürchteten dahinter ein separatistisches Bestreben, sagt Pacari. Dennoch sieht sie Fortschritte, wenn es darum geht, die Verschiedenheiten zu respektieren. Immerhin seien das erste Mal die kollektiven Rechte der Indígenavölker in Ecuador anerkannt worden. Nicht-Regierungsorganisationen geben den Anteil der Indígenas an der Gesamtbevölkerung mit 45 Prozent an, nach den offiziellen Daten sind es nur 25 Prozent.

Die Quichuafrau will mit Ausführungsgesetzen die Verfassungsreform konkretisieren. Beispielsweise wenn es darum geht, „Patente, die uns genommen wurden, wieder zurückzubekommen“. So eigneten sich in der Vergangenheit einheimische und ausländische Pharmaunternehmen das Wissen der Indígenas über Heilpflanzen an und ließen ihre „neuen“ Medikamente patentieren. Ein anderer Punkt ist der von der neuen Verfassung aufgezeigte Weg für eine neue territoriale Einteilung des Landes. „Wir brauchen eine umfasseende Gebietsreform, bei der ethnische und kulturelle Zusammengehörigkeit die ausschlaggebende Rolle spielen“, fordert Nina Pacari.

Ihre Haltung zur Regierung und dem seit August amtierenden christdemokratischen Präsidenten Jamil Mahuad ist eindeutig: „Wir haben nicht auf sie gebaut. Uns ist klar, sie vertreten die Interessen der Wirtschaft. Es gibt Annäherungen und eine gewisse Offenheit, aber uns interessieren die konkreten Umsetzungen.“ Für die Bewegung Pachakutik stehe fest, „daß diejenigen am meisten abgeben müssen, die bisher die größten Privilegien haben.“

Trotz ihrer herausgehoben Position bleibt Nina Pacari mit beiden Füßen auf dem Boden. Für sie stellt das Vertrauen der Indígenagemeinschaften in ihre Arbeit den wertvollsten Beitrag dar. Bei aller Rationalität will sie jedoch für die „kosmischen und tellurischen Kräfte“ ihres traditionsreichen Volkes ein wenig Platz lassen, um das große Ziel angehen zu können: die indigenen Völker neu stärken, ihr Land und ihre Kultur wieder erlangen und Einfluß auf die Geschicke des Landes ausüben. Mit anderen Worten, die „Identität wiedergewinnen“.

CHILE

Gedenkfeier für Victor Jara

Von Leonel Yannnnez

(Santiago de Chile, 18. September 1998, recosur-Poonal).- „Diese Blumen sind für sie, sie erneuern unsere Verpflichtung und verhindern, daß ihre Tode durch das Vergessen sinnlos werden.“ So begann der von Joan Jara vor mehr als tausend Personen verlesene öffentliche Brief. Die Menge gedachte des unter der chilenischen Militärdiktatur ermordeten Sängers, Dichters und Theaterdirektors Victor Jara. Seine Witwe, seine beiden Töchter, Künstler*innen und Persönlichkeiten der chilenischen Kultur hatten ein Begräbnis für Jara organisiert, das vor 25 Jahren nicht stattfinden konnte. „Damals wußten wir nicht, an welchem Tag sie ihn umbrachten“, so Joan Jara. „Es gab kein Begräbnis. Ein Befehl der Militärs sorgte dafür, den Leichnam sofort vom gerichtsmedizinischen Institut zum Generalfriedhof von Santiago bringen zu lassen.“ Jara wurde direkt am Putschtag, dem 11. September 1973, in der Universität verhaftet. 25 Jahre lang pilgerten unzählige Personen zu dem kleinen Grab, um einen der wichtigsten Künstler in der Geschichte Chiles posthum zu ehren.

Für viele Chilen*innen gehört die Form, in der die Militärs Victor Jara ermorden ließen, zu den schrecklichsten Dingen in ihrer Erinnerung. Sie zerbrachen ihm die Hände, sein Körper war zerschlagen und von Kugelsalven durchsiebt. Wie viele andere hätte er völlig verschwinden können, doch ein Einwohner erkannte seinen Leichnam und Jara wurde im Leichenschauhaus registriert. Während der Diktatur gaben seine Lieder in den dunkelsten und gewalttätigsten Jahren vielen Kraft, Widerstand zu leisten. Für viele verkörperte Jara den Gesang der Hoffnung, die er in seinen Liedern proklamierte. Nach 25 Jahren bleibt Victor Jara lebendig. Unter anderem werden seine Lieder am Abend des 22. September landesweit im Radio gespielt. Am 28. September beginnt die siebte Version des Musikfestivals, das seinen Namen trägt. An verschiedenen Orten des Landes werden Veranstaltungen zu seinem Gedenken organisiert. Die Diktatur Augusto Pinochet konnte den Sänger nicht zum Schweigen bringen.

URUGUAY

Für die Moonsekte wird es dunkel

(Montevideo, 21. September 1998, comcosur-Poonal).- Die uruguayische Kreditbank steht ab sofort unter staatlicher Kontrolle. Das Bankhaus mit 90jähriger Geschichte befand sich seit 1983 in den Händen der Moonsekte. Die pseudoreligiöse Gruppe verfügt in Uruguay über ein beträchtliches Wirtschaftsimperium, das ein Fünf-Sterne-Hotel, die Tageszeitung „Ultimas Noticias“, die Wochenzeitung „Tiempos del Mundo“ und weitere Unternehmen umfaßt. Der Moonkonzern befindet sich allerdings in starken wirtschaftlichen Schwierigkeiten, für die Sprecher der Unternehmensgruppe die Asienkrise verantwortlich machen. Die Kreditbank wird voraussichtlich an private Interessenten verkauft werden. Für die Moonsekte wäre das ein harter Rückschlag. Sie hatte in den vergangenen Jahren erfolgreiche Anstrengungen unternommen, in mehreren lateinamerikanischen Ländern wirtschaftlich Fuß zu fassen und ihren Einfluß auszuweiten.

LATEINAMERIKA

Abtreibungsdiskussion II – Länderbeispiel Mexiko

(Mexiko-Stadt, September 1998, fempress-Poonal).- In Lateinamerika ist die Gesetzgebung zur Abtreibung ein ständiges Thema. Manchmal dreht sich die Diskussion um die Verschärfung der entsprechenden Regelungen, ein anderes Mal um ihre Lockerung. In einer kleinen Serie beschäftigt sich Poonal mit der Abtreibungsdebatte in Chile, Mexiko und Bolivien. Die Artikel stammen jeweils von Mitarbeiterinnen der Frauenagentur fempress. Den zweiten Beitrag der Serie schreibt Cecilia Navarro. Sie befaßt sich mit dem Beispiel Mexiko.

Immer dann, wenn es nichts anderes „Wichtiges“ zu diskutieren gibt, beginnen in Mexiko polemische Debatten über die Legalisierung von Abtreibungen. Im Sommer dieses Jahres beteiligten sich sogar hohe Regierungfunktionäre wie Gesundheitsminister Juan Ramón de la Fuente und der Direktor des mexikanischen Sozialversicherungsinstitutes, Genaro Borrego Estrada. Aber auch Abgeordnete, Senator*innen, Feministinnen, die Kirche, konservative Gruppen wie Pro Vida und viele Nicht-Regierungsorganisationen äußern ihre Meinung zu diesem Thema.

So plötzlich allerdings, wie die Debatte auf einmal in allen gesellschaftlichen Gruppen präsent ist, so schnell verschwindet sie oft wieder von der Tagesordnung und den Titelseiten der Tageszeitungen. Dieses Mal fing die Diskussion mit den Äußerungen der Gruppe GIRE (Informationsgruppe für selbstbestimmte Familienplanung) und des Gesundheitsministers an. Ihrer Meinung nach war die mexikanische Gesellschaft bereit für eine Debatte über Abtreibung und deren Lagalisierung. Was folgte, waren Demonstrationen, wahre Kriegserklärungen und Beleidigungen.

Alle Gruppen reagierten nach gewohnter Manier: Feministinnen und viele Nicht-Regierungsorganisationen forderten die Legalisierung und bezogen sich auf Tausende von Frauen, die in Mexiko jährlich bei unsachgemäß durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen sterben. Die Kirche, die rechten Parteien und die konservativen Gruppen beharrten auf ihrer Position, Abtreibung sei Mord. Sie behaupten, es stürben nicht so viele Frauen wie die Feministinnen immer erklärten.

Dieses Mal allerdings hielten sich Vertreter*innen der oppositionellen Mitte-Links-Partei PRD (Partei der Demokratischen Revolution) auffallend zurück. Die PRD vertritt traditionell eher fortschrittliche Positionen wie die Nicht-Diskriminierung von Lesben und Schwulen, die Gleichberechtigung der Frau oder die Bestrafung von Vergewaltigung in der Ehe – um nur einige Beispiele zu nennen. Bei der Abtreibungsdebatte kniff die Partei mit der Begründung, es gebe in Mexiko zur Zeit wichtigere Themen.

Im Verlauf der Diskussion äußerten sich dann doch einige PRD-Abgeordnete. Der Tenor lautete, Abtreibung sei eine Entscheidung, die einzig und allein die Frau selbst treffen müsse. Aber sie sprachen nicht davon, daß man den Frauen Bedingungen bieten müsse, in denen sie ihre Entscheidung treffen können, ohne sich dabei in Lebensgefahr zu bringen. So wie die Wortgefechte im Moment ablaufen, wird es eine ernsthafte gesellschaftliche Diskussion auf nationaler Ebene nicht geben. Anders gesagt, sie wird nie zu einem Ergebnis führen, das die konkrete Situation der Frauen verbessert.

In den einzelnen Bundesstaaten jedoch gibt es Bewegung. Ohne große Diskussionen und Rhetorik antwortet die Politik dort bisweilen auf die realen Gegebenheiten. In Hidalgo beispielsweise wurde Ende 1997 die Abtreibung bei Minderjährigen erlaubt, wenn diese aufgrund einer Vergewaltigung schwanger wurden. Im Bundesstaat Quintana Roo ist ein Schwangerschaftsabbruch in vier Fällen erlaubt: wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist, wenn das Kind behindert ist, nach einer Vergewaltigung und bei einem Unfall.

In Yucatán ist eine Abtreibung auch aus wirtschaftlichen Gründen und bei einer erblichen Vorbelastung erlaubt. Bei der Gefährdung der Gesundheit der Mutter steht ein Schwangerschaftsabbruch in fast keinem Bundesstaat unter Strafe. In keinem dieser Fälle wurde gestritten. Man hob die Strafe für die Abtreibung in diesen Fällen schlicht aus einer sozialen Notwendigkeit heraus auf. Dort, wo die Gesetzesregelungen schärfer sind, weiß man bis heute von keiner Frau, die wegen einer Abtreibung wirklich ins Gefängnis mußte.

Dabei spielt sicherlich eine Rolle, daß die Zahl der Frauen, die nach einem unsachgemäß durchgeführten Eingriff sterben – die dritthäufigste Todesursache von Mexikanerinnen im gebärfähigen Alter – sich nicht verringert hat. Härtere Gesetze könnten noch mehr Frauen zur heimlichen und gefährlichen Abtreibung veranlassen. Die oft endlosen Debatten in Mexiko laufen offenbar nicht selten an der Realität vorbei.

Evangelikale drängen in die Politik

Von Klaus Beisswenger

(San José, Costa Rica, 14. September 1998, poonal).- Politische Beteiligung ist unter den Protestanten Lateinamerikas nicht mehr verpönt. Während vor etlichen Jahren noch heftig diskutiert wurde, ob die Einmischung in weltliche Dinge Aufgabe von Christen sei, geht es heute eher um das Wie. In einigen Ländern entstanden politische Parteien evangelischer Prägung, in anderen beschränkt man sich auf die Einflußnahme in bestehende Strukturen. In der Regel handelt es sich um konservative Gruppierungen, die das bestehende System nicht in Frage stellen, jedoch für eine saubere und ehrliche Politik eintreten.

In Brasilien haben drei protestantische Kandidat*innen gute Aussichten bei den anstehenden Gouverneurswahlen. Iris Rezende kann laut Umfragen im Bundesstaat Goias mit sechzig Prozent der Stimmen rechnen. In Rio de Janeiro hat Anthony Garotinho, Mitglied der Presbyterianischen Kirche und der Demokratischen Arbeiterpartei (PDT), gute Chancen. Auch die mögliche Vizegouverneurin, Benedita da Silva von der Arbeiterpartei (PT), gehört einer evangelischen Kirche an. Auch Francisco Rossi, der sich im Bundesstaat Sao Paulo beworben hat, werden Chancen eingeräumt.

Brasilien ist jedoch kein Einzelfall. In Peru wurden in den letzten Jahren neun evangelische Parteien gegründet. In Panamá bemüht sich der Anwalt Omar José Torrijos um die Nachfolge des Präsidenten Ernesto Perez. Der Sohn von General Torrijos ist Mitglied einer evangelischen Kirche.

Als in Nicaragua vierhundert Indígenas, die Besitztitel auf ihr Land sowie die Beendigung der Plünderung ihrer Wälder und Gewässer fordern, zu den Waffen griffen, spielten die Protestanten eine wichtige Rolle als Vermittler. Nach Verhandlungen zwischen den Aufständischen und der Regierung sowie dem Militär, die von der Iglesia Morava sowie dem Rat der Evangelischen Kirchen CEPAD moderiert wurden, hat sich die Situation wieder etwas entspannt.

Costa Rica ist eines der wenigen Länder, in denen die Römisch-Katholische Kirche laut Verfassung Staatsreligion ist. Trotzdem ist seit den letzten Wahlen eine Partei ausdrücklich evangelischer Prägung im Parlament vertreten, die mit einer „Kampagne für die Wahrheit“ um Stimmen warb und die Bedeutung der Familie betonte. Justo Orozco, der einzige Abgeordnete der Partei „Renovación Costarricense“ (costarikanische Erneuerung), fordert von der Regierung die Zulassung von evangelischem Religionsunterricht an den Schulen, freien Zugang für evangelische Pastoren zu Krankenhaus- und Gefängnisinsassen sowie die staatliche Anerkennung von Hochzeiten in evangelischen Kirchen. Außerdem soll in Neubaugebieten eine Parzelle für den Kirchenbau reserviert werden. Im Tausch für seine Stimme bei der Wahl zum Parlamentspräsidium wurden Orozco von der Regierungspartei einige Versprechungen gemacht, sehr zum Mißfallen von Erzbischof Roman Arrieta.

Der katholische Erzbischof von San José wies die Bestrebungen des Evangelikalen zurück und erinnerte zu recht daran, daß eine solche Beteiligung angesichts der unübersehbaren Zahl von kleinen, unabhängigen Kirchen und Sekten in der Praxis nicht realisierbar sei. Im August lud Orozco drei Pastoren in den Plenarsaal ein, um für alle Abgeordneten zu beten, damit Gott ihre Herzen anrühre und sie an die Nöte im Volk dächten. Er dementierte ausdrücklich, daß es sich dabei um die Vertreibung böser Geister oder um Exorzismus handelte und wies darauf hin, daß die einzelnen Abgeorneten exzellente Personen seien, sie sich aber im Parlament gegenseitig blockierten und mehr ihre Eitelkeit als die Probleme des Landes im Sinne hätten.

Die evangelischen Politiker in den verschiedenen Ländern kommen sowohl aus sogenannten „historischen“ Kirchen wie der Methodistischen und der Baptistischen, als auch aus neueren Bewegungen pfingstlerischer oder fundamentalistischer Ausrichtung. Ihnen ist gemeinsam, daß sie weder für ein alternatives Gesellschaftssystem eintreten noch neue Visionen entwickeln, sondern innerhalb des gegebenen Rahmens gegen Korruption und für Ehrlichkeit und Sauberkeit eintreten. Die Erfahrungen in der Vergangenheit waren jedoch keineswegs immer positiv: einige bekannte Politiker aus ihren Reihen wurden als hochgradig korrupt entlarvt. Negativer Extremfall war der guatemaltekische Diktator Rios Montt, dessen brutaler Politk in den 80er Jahren Tausende zum Opfer fielen.

Ende August trafen sich renommierte Vertreter evangelischer Kirchen in Buenos Aires, um das Phänomen zu analysieren. In ihrem Schlußdokument begrüßten sie die Beteiligung der Protestanten an der Politik und ihr Engagement auch in hohen Ämtern. Offenbar waren sie sich jedoch auch der negativen Seiten bewußt, denn sie betonten die Notwendigkeit von Fortbildung und Begleitung für protestantische Politiker und forderten sie auf, ihren Grundsätzen treu zu bleiben und sich für Werte wie Gerechtigkeit und Solidarität mit den Ausgeschlossenen einzusetzen

José Miguez Bonino, argentinischer Theologe und Mitglied der methodistischen Kirche, machte in seinem Vortrag geltend, daß jeder Bürger das Recht auf politische Beteiligung habe und ihm dies nicht aus religiösen Gründen verwehrt werden könne. Er wies jedoch auf drei Gefahren hin, die bei der Ausübung von Macht bestehen. Zum einen existiere die Gefahr, die politische Position zum Vorteil der eigenen Kirche zu nutzen, während es in Wirklichkeit um die Gesellschaft als Ganzes gehe. Eine zweite Bedrohung bestehe darin, sich als Gläubiger für immun gegen Korruption zu halten, während in Wirklichkeit jeder Mensch anfällig sei. Drittens schließlich wies Miguez Bonino darauf hin, daß eine gutgemeinte Politik noch lange keine gute Politik sei und der Politiker sich ständig weiter qualifizieren müsse.

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