Poonal Nr. 345

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 345 vom 17. Juli 1998

Inhalt


PUERTO RICO

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

KUBA

MEXIKO

COSTA RICA

EL SALVADOR

HONDURAS

KOLUMBIEN

ARGENTINIEN

ARGENTINIEN/BRD

ARGENTINIEN/URUGUAY

URUGUAY

BRASILIEN

BOLIVIEN

PARAGUAY

CHILE

ECUADOR

LATEINAMERIKA/USA


PUERTO RICO

Generalstreik gegen Privatisierung

(San Juan, 14. Juli 1997, pulsar/alc/comcosur-Poonal).- Am 9. Juli endete ein zweitägiger Generalstreik, an dem etwa eine halbe Million Arbeiter*innen teilnahmen. Die Gewerkschaften hatten ihn aus Protest gegen die vorgesehene Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft ausgerufen. Zwar wurde der Aufruf nicht vollständig befolgt, dennoch handelte es sich um die größte und wichtigste Mobilisierung der Bevölkerung in der Geschichte Puerto Ricos. In der Hauptstadt San Juan blieben die Geschäftszentren, Banken und Restaurants fast allesamt geschlossen. Auch die Busse verkehrten nicht. Es gab sogar die Unterstützung von Gruppen, die nicht grundsätzlich gegen die Privatisierung sind, das selbstherrliche Vorgehen des Gouverneurs Pedro Rosselhó aber ablehnen. Selbst der Senatsvorsitzende Charlie Rodríguez, der der Regierungspartei angehört, gab den Erfolg des Generalstreiks sowie die Teilnahme einiger Parteimitglieder zu.

Vor dem Generalstreik hatte es auch in den USA Unterstützung für die Privatisierungsgegner gegeben. Mitglieder verschiedener Gewerkschaften demonstrierten in der Nähe des Rockefeller Centers in New York. Dort befinden sich sowohl die zentralen Büros von GTE Services Corporation, des interessierten Käufers der Telefongesellschaft, wie auch die Büros der Citibank, die das Geschäft finanzieren soll. Auch in anderen Städten gab es Proteste. Die Beschäftigten des Telefonunternehmens kämpfen seit Wochen gegen den Privatisierungsbeschluß und führen ihre Streikaktionen auf Betriebsebene weiter. „Der Streik wird weitergehen, bis die Regierung ihre Privatisierungspolitik als falsch eingesteht“, so die Gewerkschafterin Annie Cruz. Sie und ihre Kolleg*innen wollen einen Stopp des Regierungsvorgehens oder eine Volksbefragung über den Verkauf der Telefongesellschaft. Die Privatisierung des beträchtlichen Gewinn abwerfenden Unternehmens ist nach ihrer Auffassung widersinnig und ein Angriff auf das Staatsvermögen.

In dem Konflikt sollen jetzt mehrere Kirchenvertreter vermitteln, die seit 1993 in dem Ökumenischen Dialog zur Nationalen Versöhnung organisiert sind. Sowohl die Regierung wie das Streikkomitee unter Führung von Annie Cruz haben offiziell zugestimmt. Es ist das erste Mal seit der Gründung der Kirchengruppe, daß die Regierung von Puerto Rico deren Beteiligung an einer Konfliktlösung akzeptiert. Zuvor hatte sie dem Ökumenischen Dialog stets ablehnend gegenübergestanden. Allerdings sagte Innenminister Morey, die Entscheidung, die Telefongesellschaft zu verkaufen, sei endgültig und es gebe ein Gesetz dafür. Die Verhandlung mit den Streikenden werde über ganz konkrete Punkte sein. Die Regierung trete dabei als Repräsentant eines Käufers „ohne Namen“ der Telefongesellschaft auf.

USA haben Angst vor Volksbefragung

(San Juan, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Der US-Abgeordnete Don Young hat eine Gesetzesinitiative in den Kongreß seines Landes eingebracht, nach der die Bewohner*innen Puerto Ricos entscheiden sollen, in welcher Beziehung sie zu den USA stehen wollen. Doch die Chance, daß die US-Parlamentarier*innen dem Projekt noch dieses Jahr zustimmen, ist gering. Hintergrund sei eine rassistisch motivierte Angst vor dem Ausgang der Volksabstimmung, so Charlie Rangel, Chef der Demokraten im Repräsentantenhaus. Die Puertoricaner*innen hätten bei einer Abstimmung drei Optionen: ihr Land den derzeit bestehenden Status als den USA assozierte Nation beibehalten, sich in den Bundesstaat Nummer 51 der USA verwandeln oder zur völligen Unabhängigkeit als Staat zurückkehren.

In den USA gibt es nicht wenige, die befürchten, Puerto Rico könne sich für die Option als 51. Bundesstaat entscheiden. Anders als Rangel sehen manche Beobachter*innen die Vorbehalte allerdings nicht rassistisch, sondern ökonomisch begründet. In seiner bisherigen Geschichte hat Puerto Rico wegen seiner geographischen Lage eine enorme militärische Bedeutung gehabt. Von der Insel aus starteten die US-Truppen viele ihrer politisch-militärischen Invasionszüge in Lateinamerika. Außerdem konnten sie dies mit spanischsprechenden Soldaten machen. Den Bewohner*innen Puerto Ricos wurde die US-Staatsbürgerschaft zugestanden, damit sie in der Armly kämpfen konnten.

Wenn Puerto Rico ein Bundesstaat mehr der Vereinigten Staaten werden sollte, müßten die USA in eine Verbesserung der Lebensbedingungen des armen Landes investieren. Es wäre auch nicht mehr so einfach, das Territorium für chemische und militärische Experimiente zu benutzen. So kann es gut möglich sein, daß über das Young-Projekt nicht wie versprochen im hundersten Jahr nach der US-Invasion auf der Insel abgestimmt wird. Unerwähnt sollte allerdings nicht bleiben, daß längst nicht alle Bewohner*innen Puerto Ricos dies bedauern würden. Es gibt eine starke Bewegung, die die völlige Unabhängigkeit von den USA fordert.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Amnestie für die Korruption

(Santo Domingo, 12. Juli 1998, pulsar-Poonal).- Das Abgeordnetenhaus verabschiedete ein Amnestiegesetz für die Korruptionsfälle, die es unter den Regierungen der vergangenen 20 Jahre einschließlich des amtierenden Kabinetts gab. Der Antrag wurde von dem Oppositionsabgeordneten Andrés Vanderhorst mit dem Ziel eingebracht, einen Straferlaß für seinen Parteikollegen Salvador Jorge Blanco zu erreichen. Dieser regierte das Land von 1982 bis 1986 und ist wegen Korruption zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Die dominikanische Tageszeitung „Hoy“ vermutet aber weitere Hintergründe. Wenn auch der Senat zustimmt, muß die Justiz schließlich ein Dutzend Fälle archivieren, in die verschiedenste Politiker verwickelt sind. Das richtige Abstimmungsverhalten sollen der Zeitung nach Zahlungen von insgesamt einer halben Million Dollar an die Abgeordneten garantiert haben.

KUBA

Annäherung mit Honduras

(Havanna, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Der honduranische Außenminister Fernando Martínez hat die baldige Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba in Aussicht gestellt. Diese sind seit 37 Jahren unterbrochen. Martínez hat sinngemäß geäußert, die Zeiten änderten sich und Honduras könne sich nicht gegen die Zeit stemmen. Die offizielle Bekanntgabe wird aber durch den honduranischen Präsidenten Carlos Flores erfolgen. Honduras brach die Beziehungen zu Cuba 1961 ab, zwei Jahre nachdem die Organisation Amerikanischer Staaten die Inselnation ausschloß. Seit vergangenem November hat Kuba in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa eine Interessenvertretung. Sie trug dazu bei, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zügig zu normalisieren. Präsident Flores gab im März die Genehmigung für Direktflüge nach Kuba. Zuvor mußten die Honduraner*innen den Umweg über Costa Rica, Nicaragua oder Mexiko nehmen.

MEXIKO

Zedillo-Rede weckt Befürchtungen

(Mexiko-Stadt, 14. Juli 1998, Poonal).- Die politische Opposition und Menschenrechtsorganisationen aus dem In- und Ausland reagieren mit anhaltender Kritik auf eine per Radio und Fernsehen vollständig übertragene Rede, die Präsident Ernesto Zedillo am 2. Juli in dem chiapanekischen Landkreis Simojovel hielt. Bei seinem fünften Besuch in dem Bundesstaat Chiapas innerhalb von nur zwei Monaten hatte der Regierungschef umstrittene Äußerungen von sich gegeben. Im Redetext wurde einerseits der Regierungswille zu einer friedlichen Lösung in Chiapas betont, andererseits enthielt er viele versteckte Drohungen und Anklagen. Diese betrafen nicht nur die aufständische Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), sondern auch die ausländische „Einmischung“, ohne direkte Namensnennung die aufgelöste Vermittlungsinstanz CONAI unter dem Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz Garcia sowie als angebliche EZLN- Mitglieder verhaftete und später freigelassene Personen, die sich für die Zapatisten engagieren. Zedillo stellte klar, daß ein Abzug der Bundesarmee aus dem Konfliktgebiet nicht in Frage komme.

José Miguel Vivanco, Geschäftsführer der US-Organisation von Human Rights Watch, versicherte, die Menschenrechtsverletzungen in Chiapas würden weder von den Menschenrechtsverteidigern noch den internationalen Beobachtern verursacht. Ein den Bundesstaat besuchender US-Kongreßabgeordneter wies Zedillo darauf hin, die ganze Welt werde ihn an seinen Taten messen. Die linke mexikanische Oppositionspartei PRD glaubt nach den Worten ihres Parteivorsitzenden Manuel López Obrador, daß der Diskurs des Präsidenten auf Konfrontation und Tod hinausläuft. Seine Absage an vermittelnde Instanzen in dem Konflikt mache den Weg frei für die Waffengewalt. Auch die konservative PAN kritisierte Zedillos Sicht der Dinge. Sein Wort spalte, konfrontiere und provoziere. Er scheine die Dinge in Chiapas so zu verstehen, daß der Krieg gerechtfertigt sei. Das anhaltende Schweigen der aufständischen Zapatist*innen könne nicht mit Großtuerei bekämpft werden. Aus Kirchenkreisen und den Reihen der Nicht-Regierungsorganisationen erhielt die Zedillo-Rede in Simojovel die Bezeichnungen „bedrohend“ und „voll mit Lügen“.

In einer bezahlten Anzeige meldten sich wenige Tage nach der Rede 700 mexikanische Intellektuelle und Künstler*innen sowie etwa 200 Ausländer*innen gemeinsam zu Wort. Die Politik des Präsidenten in Chiapas sei ein Spiel mit dem Feuer und könne das ganze Land in Brand stecken. Die Besorgnis über die zukünftige Entwicklung in dem Bundesstaat Chiapas verstärkte sich noch nach Äußerungen des Verteidigungsministers Enrique Cervantes. Diese stritt Hinweise auf paramilitärische Gruppen im Konfliktgebiet ab. Selbst die Vorsitzende der regierungsfreundlichen staatlichen Menschenrechtskommission widersprach in diesem Fall dem Minister.

Ungewöhnliche Töne von der Weltbank

(Mexiko-Stadt, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Vertreter der Weltbank versichern, daß Armut und Ungleichheit in der mexikanischen Gesellschaft ein alarmierendes Ausmaß erreicht haben. Die Bundesstaaten im Süden des Landes seien nicht in die wirtschaftliche Entwicklung integriert. Dort gebe es eine friedliche Revolution mit Forderungen nach mehr Aufmerksamkeit durch den Staat, doch die Regierung reagiere mit Gewalt.

COSTA RICA

Gesetz über Kinderarbeit

(San José, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Arbeitgeber, die Minderjährige beschäftigen, müssen diese zukünftig in ein Register beim Arbeitsministerium eintragen. Dies ist einer der Schritte, mit dem die Regierung Costa Ricas nach und nach die Kinderarbeit in ihrem Land abschaffen will. Das neue Gesetz verpflichtet die Unternehmer*innen, innerhalb von drei Monaten alle Arbeiter*innen unter 15 Jahren anzugeben. Alle Unternehmen sollen überprüft werden. Arbeitsminister Victor Morales weist auf ein Gesetz vom Februar dieses Jahres hin, nachdem Kinderarbeit grundsätzlich illegal ist. Für die 15 bis 18jährigen legt das Gesetz besondere Schutzmaßnahmen und Verpflichtungen für die Arbeitgeberseite fest. In Costa Rica arbeiten schätzungsweise 120.000 Kinder und Jugendliche im schulfähigen Alter.

EL SALVADOR

Mörder in Freiheit

(San Salvador, 3. Juli 1998, comcosur-Poonal).- Von den fünf für den Mord 1980 an drei Nonnen und einer Missionarin aus den USA verurteilten Personen sollen drei auf Bewährung freigelassen werden. Das Gericht begründete die Entscheidung zugunsten der ehemaligen Nationalgardisten mit guter Führung in der Haft. Die Staatsanwaltschaft sowie die Familienangehörigen der Opfer haben gegen den Beschluß Berufung eingelegt. Letztere wollen außerdem das Verfahren über die intellektuelle Urheberschaft des Verbrechens neu eröffnen. Diese Forderung hat auch die Erzdiözese von San Salvador gegenüber der Bundesstaatsanwaltschaft wiederholt. Wahrheit und Gerechtigkeit seien in dem Fall nicht völlig zur Geltung gekommen. Würde er endgültig zu den Akten gelegt, dann „verletzte der Staat selbst das Recht, das die Angehörigen der Nonnen auf eine korrekte und vollkommene Justiz haben“. Bei den Ermordeten handelte es sich um die Nonnen Dorothy Kazel, Ita Ford und Maura Clark sowie die weltliche Missionarin Jean Donovan.

HONDURAS

Kolumbus muß Rechenschaft ablegen

(Tegucigalpa, 10. Juli 1998, comcosur-Poonal).- Honduranische Indígenas haben einen symbolischen Prozeß gegen den „Entdecker“ Amerikas, Christoph Kolumbus, angekündigt. In dessen Gefolge sollen an die „Neokolonialisten“ Entschädigungsforderungen wegen der Plünderung des Kontinents gestellt werden. Die Aktion wird vom BürgerInnenrat der Volks- und Indígena-Organisationen angestoßen. Das Gericht, das aus Mitgliedern von jeder der acht ethnischen Gruppen des Landes zusammengesetzt ist, wird in dem Ort La Esperanza tagen. Die Anklage gegen Kolumbus lautet auf „Raub, Völkermord, Rassenmord, Sklavenhandel, Vergewaltigung von Frauen, Entführung und Plünderung unserer Reichtümer“. Salvador Zúñiga vom BürgerInnenrat weist darauf hin, daß die Eroberer 70 Millionen Indígenas auf dem Kontinent während der „Barbarei der Conquista“ umbrachten. Bis zum 12. Oktober, dem Ankunftstag von Kolumbus auf dem Kontinent, soll das Gerichtsverfahren abgeschlossen sein. Prozeße in anderen mittelamerikanischen Ländern werden folgen.

Erfolgreicher Widerstand

(Tegucigalpa, 9. Juli 1998, comcosur/pulsar-Poonal).- Eine Gesetzesinitiative, die Ausländer*innen erlauben sollte, Küstenstreifen und Inseln zu kaufen und somit den Tourismus zu fördern, ist vorerst auf Eis gelegt. Damit gelang den Garífunas und der Organisation Schwarzengemeinschaft von Honduras mit ihren Protesten ein erster Erfolg. Jetzt wird es Gespräche zwischen der Organisation und den Abgeordneten geben. An deren Ende könnte ein neu gefaßter Gesetzentwurf stehen, der die Belange der Schwarzengemeinden berücksichtigt.

Wenige Tage zuvor waren tausende schwarze Bewohner*innen der Atlantikküste mit ihren „Kriegstrommeln“ aufmarschiert, um gegen den von der Regierung beabsichtigten Tourimus in ihren Gemeinden zu protestierten. Die Schwarzengemeinschaft von Honduras, die für mehr als 200.000 Menschen spricht, hatte zur Verteidigung der Rechte aufgerufen. Sie befürchtet einen „Völkermord“ als Folge großer Hotels und touristischer Komplexe in ihren Gemeinden. Die gültige Verfassung des Landes verbietet Ausländer*innen den Besitz von Inseln und Stränden.

Die Garífunas hatten sich besonders über eine Äußerung des honduranischen Parlamentspräsidenten erzürnt. In diesen modernen Zeiten könne man nicht mehr nur die Palmen betrachten und die Affen auf den Bäumen sehen“, hatte er die beabsichtigte „Entwicklung“ der Küstenregion begründet.

KOLUMBIEN

Wiederannäherung von ELN und FARC

(Bogotá, 10. Juli 1998, pulsar-Poonal).- Die beiden wichtigsten Guerillagruppen Kolumbiens haben in den vergangenen Wochen mehrere Treffen in den Bergen abgehalten. Sie versuchen, sich über gemeinsame Themen bei künftigen Friedensgesprächen mit der Regierung einig zu werden. Antonio García, militärischer Chef der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) informierte die Führung der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) über Details des in Mainz stattfindenden Dialogs mit Vertreter*innen der kolumbianischen Gesellschaft. Ziel der Annäherung ist es auch, die Guerillakoordination Simón Bolívar wiederzubeleben, in der sich mehrere bewaffnete Aufstandsbewegungen des Landes in der vergangenen Dekade absprachen. Laut García gibt es große Übereinstimmung mit der FARC bei der Beurteilung der Probleme des Landes. Die ELN unterstütze zudem die FARC in ihrer Forderung, daß die Regierung fünf Landkreise entmilitarisieren müsse, damit Friedensverhandlungen begonnen werden könnten. Einigkeit bestehe ebenso darin, daß der Dialog mit der kolumbianischen Gesellschaft und nicht mit der Regierung geführt werden solle. Ein geschlossenes Vorgehen der beiden Guerillabewegungen könnte die Aussichten für Frieden in Kolumbien verbessern. Dazu kommt das Treffen des neugewählten Präsidenten Andrés Pastrana mit der FARC- Spitze am 9. Juli. Damit werden Erwartungen geweckt, die während der Amtszeit des scheidenden Präsidenten Ernesto Samper nie bestanden.

ARGENTINIEN

Peronisten vor der Spaltung. Parteikongreß findet ohne den

Duhalde-Flügel statt. Menem will erneut kandidieren

Von Roberto Roa

(16. Juli 1998, npl).- In äußerst gespannter Stimmung findet dieses Wochenende (18/19. Juli 1998) in Argentinien der Kongreß der regierenden „Justizialistischen Partei“ (PJ) statt. Kurz zuvor ließ Präsident Carlos Menem die Bombe platzen. Erstmals erklärte er öffentlich, was seit Monaten das Parteiklima bei den Peronisten belastet: Bei den Wahlen 1999 will er sich um eine dritte Amtszeit bewerben.

Er werde die Delegierten des Parteitages fragen, was zu tun sei, um kandidieren zu können, sagte Menem dem Sender „Toda Noticia“. Seinen parteiinternen Widersacher Eduardo Duhalde, den Gouverneur der Provinz Buenos Aires, griff er bei der Gelegenheit frontal an: „Der Peronismus von Duhalde ist tot.“

Der forsche Auftritt Menems ist eine Flucht nach vorn, nachdem es ihm zuvor nicht gelungen war, sich mit seinem ehemaligen Kronprinzen Duhalde auf dem Verhandlungsweg zu einigen. Beide wollen Präsidentschaftskandidat der PJ werden. Allerdings erlaubt die argentinische Verfassung keine dritte Amtszeit in Folge. Menem versucht jedoch, diese Klausel in seinem Fall für ungültig zu erklären. Bislang ohne Erfolg: Am Donnerstag entschied ein Wahlgericht in Buenos Aires, daß eine erneute Kandidatur des amtierenden Präsidenten verfassungswidrig sei.

Die beiden peronistischen Politiker bekämpfen sich mit allen Mitteln. Eduardo Duhalde hat für den 13. September ein Plebiszit in seiner Provinz ausgerufen, in dem über die erneute Kandidatur Menems abgestimmt werden soll. Das Ergebnis wird zwar keinerlei bindende Wirkung haben, doch würde ein klares Votum gegen Menem dessen Vorhaben erschweren, die Verfassung zu umgehen.

Ranghohe Vertreter des Menem-Flügels haben Anfang dieser Woche Duhalde angeboten, den Parteikongreß – an dem Duhaldes Fraktion nicht teilnehmen will – zu verschieben, sofern er das Plebiszit zurückziehe. Der Gouverneur lehnte dies ab und betonte, es handele sich um eine Verfassungs-, nicht um eine Parteienangelegenheit. Damit ist der Bruch offensichtlich: Menems Getreue werden den Parteitag begehen und die vorgesehene Gremienwahl zu ihren Gunsten nutzen. Duhalde hingegen erklärte den Kongreß für illegal und kündigte bereits rechtliche Schritte gegen eventuelle Beschlüsse an. Damit steht der Peronismus endgültig vor der Spaltung.

Dabei war es Menem selbst, der zuerst die Idee eines symbolischen Plebiszits hatte. Seine Anhänger planten in dessen Heimatprovinz La Rioja eine Abstimmung über die Frage, ob die Wiederwahlklausel der Verfassung im Falle Menems umgangen werden soll. Mehrfach war Menem hier zum Gouverneur gewählt worden, ein „Ruf des Volkes“ nach einer dritten Amtszeit des Präsidenten gilt somit als sicher.

Letztendlich werden aber die Gerichte darüber entscheiden müssen, wie der Verfassungskonflikt gelöst werden kann. Entweder gilt der Wortlaut, der die Wiederwahl verbietet, oder der Passus wird umgangen, da während Menems erster Amtszeit noch die alte Verfassung gültig war. Diese stammt aus dem vergangenen Jahrhundert und wurde 1994 auf Betreiben Menems nur mit dem Ziel reformiert, die darin verbotene erstmalige Wiederwahl zu erlauben.

Voller Schadenfreude beobachtet derweil die linke Oppositionkoalition FREPASO, die bei den Parlamentswahlen Ende 1997 einen überraschenden Sieg davontrug, den Bruderzwist. Sie rechnet sich gute Chancen bei der kommenden Wahl aus, da der Peronismus durch Menems korrupten wie autokratischen Regierungsstil an Ansehen eingebüßt hat. Noch ist freilich nicht ausgemacht, wer der lachende Dritte ist. Sollte Duhalde den Machtkampf gewinnen, könnte er sich als Retter der demokratischen Institutionen und des Peronismus präsentieren.

ARGENTINIEN/BRD

Militärs vor Gericht

(Nürnberg, 13. Juli 1998, alc-Poonal).- Anklagen wegen des Entführens und Verschwindenlassens von deutschen Bürger*innen in Argentinien während der Militärdiktatur (1976-1983) werden vom Landgericht Nürnberg-Fürth untersucht und möglicherweise im Prozeß verhandelt. Die Staatsanwaltschaft dieses Gerichtes erhielt vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Erlaubnis zu diesem Vorgehen. In Deutschland ist es der erste und wohl einzige Prozeß gegen die argentinischen Militärs, der eröffnet wird. Ähnliche Verfahren laufen jedoch in Spanien, Italien, Frankreich und der Schweiz.

Das Nürnberger Gericht wird vier Klagen untersuchen, die von der Koalition gegen die Straffreiheit in Argentinien eingereicht wurden. In der Koalition arbeiten 15 Menschenrechtsorganisationen sowie die katholische und die evangelische Kirche Deutschlands mit. Die Kläger*innen heben hervor, daß der Prozeß in Nürnberg große internationale Bedeutung hat, da in der Stadt nach dem II. Weltkrieg die Kriegsverbrechen der Nazis verhandelt wurden. Wichtig sei das Verfahren auch im Hinblick auf die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofes durch die Vereinten Nationen. Der Prozeß bekräftige die Notwendigkeit eines Rechtsorgans mit internationaler Kompetenz, um Verbrechen gegen die Menschenrechte und die Menschheit zu bestrafen.

Die vier Klagen wegen der Delikte Entführung, Folter, Mord und Verschwindenlassen wurden von den deutschen Anwälten Wolfgang Wiesheler und Claus Richter sowie der peruanischen Expertin in internationalem Strafrecht, Katya Salazar, formuliert. Die Kläger*innen reichten sie im vergangenen Mai offiziell beim Bundesjustizministerium ein. Damals waren auch der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel und die Kommission der deutschen Mütter und Familienangehörigen in Argentinien verschwundener Personen anwesend.

ARGENTINIEN/URUGUAY

Brücke zwischen den Hauptstädten – Ökonomen und Ökologen streiten

über das Jahrhundertprojekt

(Montevideo, 9. Juli 1998, npl).- Eine Brücke, soweit das Auge reicht. Davon träumen Architekten und ehrgeizige Politiker im Süden Lateinamerikas. Sie soll den 40 Kilometer breiten Rio de la Plata überbrücken und die Hauptstädte von Argentinien und Uruguay einander näherbringen. Die Planung des monumentalen Bauwerks ist abgeschlossen, jetzt beginnt die unvermeidliche Debatte über das Für und Wider der „Brücke des 21. Jahrhunderts“.

Der Graf Enzo Rattazi setzte sich schon in den 80er Jahren für eine direkte Straßenverbindung zwischen Buenos Aires und Montevideo ein. Es war die Zeit der Militärdiktaturen in der Region. Die Zusammenarbeit der Generäle konzentrierte sich damals auf die Verfolgung der gemeinsamen politischen Gegner, das Geld für ein solch ambitioniertes Projekt konnten die zunehmend isolierten Regime nicht aufbringen.

Ein Jahrzehnt später treibt eine binationale Kommission das Projekt voran. Es müssen noch einige bürokratische Hürden genommen werden, dann können die Bauarbeiten beginnen. „Carlos Gardel Brücke“ wird das Werk auf Vorschlag des argentinischen Präsidenten Carlos Menem heißen. Eine Ehrung des größten Tango-Sängers aller Zeiten, der vor 63 Jahren bei einem Flugzeugabsturz in Kolumbien ums Leben kam.

Die regionale Integration ist das wichtigste Argument der Befürworter des Brückenbaus. Er werde die Wirtschaftskraft der am MERCOSUR beteiligten Staaten stärken. Wie die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA stellt der gemeinsame Markt im Süden des Kontinents, dem neben den beiden La-Plata-Staaten auch Brasilien, Paraguay und Chile als assoziiertes Mitglied angehören, einen aufstrebenden Wirtschaftsblock dar. Der MERCOSUR gilt der Europäischen Union als bevorzugter Ansprechpartner, um den auf dem Subkontinent dominierenden USA Konkurrenz zu machen.

Viele neue Arbeitsplätze und ein Schub für die Tourismusindustrie erhoffen sich die Planer des Bauwerks. Widerspruch kommt von unerwarteter Seite: Weltbank und Weltwährungsfonds, lange Zeit Finanziers von Großprojekten aller Orten, haben sich gegen den Bau ausgesprochen. Konsequent argumentieren die internationalen Währungshüter, das ehrgeizige Projekt werde die Staatsausgaben und damit die Auslandsschulden enorm in die Höhe treiben. In der Tat würden die mit hohen sozialen Kosten sanierten Haushalte beider Länder schwer belastet, zumal private Investoren bislang wenig Risikobereitschaft gezeigt haben.

Vehemente Gegner der Jahrhundertbrücke sind die Umweltschützer auf beiden Seiten. Das ökologische Gleichgewicht, schon durch die Häfen und Verschmutzung im oberen Flußlauf in Mitleidenschaft gezogen, stehe auf dem Spiel. Im ungleich kleineren Uruguay grassiert zudem Angst vor einer Invasion der wohlhabenderen Argentinier. „Ein guter Teil unseres Landes werde in Bezug auf Arbeitsplätze und Lebenskultur von Buenos Aires abhängig,“ befürchtet der Ökonom Gustavo Melazzi. Er hat berechnet, daß rund 300.000 Einwohner der argentinischen Millionenstadt zeitweise oder ständig auf der uruguayischen Seite wohnen würden. „Wozu diese teure Brücke, wo doch die preiswerten Fähr- und ständigen Flugverbindungen völlig ausreichen?“

Der Streit um die Brücke ist entbrannt, einen Kompromiß kann es nicht geben. Längst handelt es sich um ein Politikum, Oppositionsparteien beider Länder machen gegen die Regierungen mobil, denen sie Größenwahn und Geldverschwendung vorhalten. Der wohlklingende Name des Bauwerks gerät darüber in Vergessenheit, die Presse hat sie bereits „Brücke der Polemik“ getauft.

URUGUAY

Neonazis

(Montevideo, Juni 1998, comcosur/pulsar-Poonal).- Polizeikreise haben die Existenz von mindestens vier Neonazi-Gruppen im Land bestätigt. Die Tageszeitung „La República“ veröffentlichte ein Interview mit mehreren Jugendlichen, die sich zu einer Gruppe mit dem Namen „Euroamerikaners“ zusammengeschlossen haben. Die Mitglieder bezeichnen sich offen als rassistisch, antisemitisch und Anhänger von Adolf Hitler. In dem Interview geben sie an, seit 1996 organisiert zu sein. Sie alle hätten Waffen zuhause. Indios und Schwarze bezeichnen sie als „Müll“. Mit den Angriffen gegen Juden und jüdische Einrichtungen in der uruguayischen Hauptstadt wollen sie allerdings nichts zu tun haben. Ein Gruppe „Bewegung Joseph Göbbels“ hatte Mitte Juni versucht, eine Synagoge im Stadtviertel Pocitos anzuzünden. Der Ort diente auch als Zentrum für hebräische Studien. Die Feuerwehr fand ein Flugblatt, in dem das „Weltjudentum“ angeklagt wird, seit „Beginn der Menschheit“ die Not der Menschen ausgenutzt zu haben.

Die „Euroamerikaners“ erklärten, Kontakte zu einer weiteren uruguayischen Gruppe zu haben, die sich „Weiße Macht“ nennt sowie mit neonazistischen Gruppen aus Argentinien und Europa in Kommunikation zu stehen. Erfaßt sind bisher die folgenden nationalsozialistische Gruppen in Uruguay: Juventud Uruguaya Nacional Socialista (JUNS), División Totenkof, Propuesta Obrera De Emancipación Revolucionaria (PODER) und die erwähnten Euroamerikaners. Letztere brüsteten sich sogar damit, Kontakte mit einem Abgeordneten der regierenden Colorado Partei zu haben, der „Sympathie“ für ihre Sache zeige. Aus den Reihen dieser Partei kam postwendend ein Dementi. Der Abgeordnete Guillermo Stirling rief dazu auf, „die Reihen zu schließen, um diese Bewegungen im Keim zu ersticken“. Verschiedene Gruppen haben inzwischen ein Gesetz gefordert, das fremdenfeindliche Akte und Rassismus unter Strafe stellt.

BRASILIEN

Millionen ohne Land, Millionen ohne Wohnung

Von Sinara Sandri

(Río de Janeiro, Juni 1998, recosur-Poonal).- Die Wohnsituation für die Armen in Brasilien ist alarmierend. Schätzungen der Zentrale der Volksbewegungen (CMP) informieren über ein Defizit von 5,6 Millionen Wohnungen im Land. Darüber hinaus sind etwa 11 Millionen Behausungen in Elendsvierteln und auf illegal bebauten Grundstücken in äußerst schlechtem Zustand. So leben 20 Prozent der Bewohner*innen von Sao Paulo, knapp 2 Millionen Menschen, in insgesamt 1.600 Favelas, den Armensiedlungen Brasiliens. In Recife, der Hauptstadt des Bundesstaates Pernambuco im Nordosten des Landes erhöht sich diese Zahl sogar auf 40 Prozent. Viele Häuser sind dort ohne ausreichende Absicherung über dem Wasser gebaut. „Heute sind selbst die Favelas voll. Die Regierungsmaßnahmen richten sich auf die Mittelschicht. Politiker und Intellektuelle sehen die Wohnungen für die Armen als zweitrangig an“, bilanziert Raimundo Bonfin von der CMP.

Die Behausungen an den Rändern der Städte durften meist nicht legal errichtet werden. Die Häuser sind klein, ohne Anschluß an das Abwassersystem und der Zugang zu Trinkwasser ist rar. In den zentral gelegenen Stadtvierteln werden alte Häuser in kleine Einheiten getrennt, wo ganze Familien zusammengepfercht leben und dafür eine hohe Miete zahlen. In Sao Paulo kann ein Zimmer von zehn Quadratmetern, in dem eine achtköpfige Familie lebt, bis zu 140 Dollar kosten – die Zahlungen für Wasser und Strom nicht eingerechnet.

Das Wohnungsdefizit trifft die gesellschaftlichen Gruppen, die am meisten unter Arbeitslosigkeit leiden und die am wenigsten durch Sozialversicherungssysteme geschützt sind. Die „Sem Teto“, die Obdachlosen, fallen auf dem Konsumentenmarkt nicht ins Gewicht und gehören auch nicht zu denen, derer sich traditionellerweise die Gewerkschaften annehmen. „Wir sind nicht als Arbeiter in die Gesellschaft eingegliedert und darum erfaßt uns die Gewerkschaftsbewegung nicht. Wir sind die Ausgeschlossenen der Ausgeschlossenen“, sagt Raimundo Bonfin. Und weiter: „Unser Kampf geht nicht um Wirtschaft oder Löhne. Im Viertel geht es ums Überleben.“

Derzeit kämpfen die „Sem Teto“ hauptsächlich, indem sie öffentliche Gebäude besetzen. Ihre verschiedenen Mitgliedsgruppen haben sich der 1993 gegründeten Zentrale der Volksbewegungen angeschlossen. Für viele der städtischen Obdachlosen, die weder mit den politischen Parteien noch den Gewerkschschaften Kontakt hatten, ist die Arbeit mit der CMP eine ganz neue Erfahrung. Diese ist inzwischen schon in 20 der 23 brasilianischen Provinzen vertreten. Außer der Wohnungsbewegung gehören ihr heute Organisationen aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich, der Kinderrechtsbewegung sowie Schwarzen- und Frauenorganisationen an.

BOLIVIEN

Alte Menschen ohne Gesundheitsversorgung

(La Paz, Juni 1998, recosur-Poonal).- Anderthalb Jahre nach ihrer Gründung steht die Nationale Altersversorgung in Bolivien vor dem Bankrott. Die dafür vorgesehenen Kassen, für die die Kommunen verantwortlich sind, sind leer. Die Einnahmen aus staatlicher Lotterie, der Besteuerung auf Glücksspiele und Eigenmitteln der Gemeinden sind aufgebraucht. Die Kommunen von Cochabamba und Santa Cruz, wie fast alle Gemeinden im Land hoch verschuldet, verweigerten den Kassen sogar ihre Anteilszahlungen. Damit werden viele Menschen über 65 Jahre demnächst nicht mehr mit einer kostenlosen staatlichen Gesundheitsversorgung rechnen können. Überlegungen, die Versicherung und damit die Behandlung alter Menschen, mit Hilfe der Zentralregierung zu retten, haben bisher zu keinem Ergebnis geführt.

Feudale Zustände

(La Paz, 3. Juli 1998, comcosur-Poonal).- Im Süden und Nordosten des Landes behandeln Unternehmer und Großgrundbesitzer die Indígena-Gemeinden wie Sklaven. Dies mußte Justizministerin Ana María Cortés zugeben. Eine Regierungsabordnung stellte fest, daß die Ethnien der Guaraníes, Ayoreos, Guarayos y Chiquitanos aufgrund der ausbeuterischen Arbeitsbedingungen vom Aussterben bedroht sind. Im nordöstlichen Amazonasgebiet leiden die Itonoma, Movima, Paiconepas, Sirionó, Mojeña und Mosetén unter den unmenschlichen Bedingungen, die ihnen vor allem Holz- und Kautschukfirmen aufzwingen. Offiziell sind 56 Prozent der Bolivianer*innen Indígenas.

Kokapolitik vor dem erneuten Scheitern

(Chochabamba, 8. Juli 1998, recosur-Poonal).- Die Produzent*innen der Kokablätter im bolivianischen Chapare trauen der Regierung von Präsident Hugo Banzer nicht über den Weg. Die Ankündigung, den Gemeinden für jeden Hektar vernichtete Kokapflanzen eine Entschädigung zu zahlen, stößt auf allgemeines Mißtrauen. Banzer und sein Kabinett hatten den Plan Dignidad ins Leben gerufen, der mit „Aktion Würde“ übersetzt werden könnte. Bis zum Jahr 2002 soll Bolivien damit aus dem Produktionskreislauf Koka-Kokain aussteigen.

Wie ähnliche Programme zuvor arbeitet auch der Plan Dignidad mit finanziellen Anreizen. Mit einem wichtigen Unterschied: die individuellen Zahlungen, die früher zumindest auf dem Papier in Einzelfällen bis zu 2.500 Dollar pro Hektar betrugen, sollen schrittweise zugunsten der Zahlungen an die Gemeinde zurückgedrängt werden. Die Kommunen wiederum stecken das Geld in alternative Entwicklungsprojekte, so die offiziellen Vorstellungen.

Doch zwischen Theorie und Praxis klafft eine Lücke. Seit dem 1. April müßte der Plan Dignidad funktionieren. Den Cocoleros wurde für ihren ersten Hektar noch die Summe von 1.650 Dollar zugesagt. Im weiteren Zeitablauf bringt jeder freiwillig vernichtete Hektar dann dem Einzelnen immer weniger ein, der Gemeinde umso mehr. Nach den ersten Monaten scheint es allerdings, daß das Programm in den Startlöchern stecken bleibt.

Gewerkschaftsorganisationen aus den Provinzen Chapare und CarrascoTropical werfen der Regierung vor, die Gemeindeentschädigung sei Lug und Betrug. Die einfachen Cocaleros haben über Art und Form dieser Zahlungen keine genaueren Informationen. In dem Ort Valle Hermoso versichern einige Campesinos, überhaupt nicht zu wissen, was sie sich darunter vorstellen sollen. Der Cocalero Rosendo Mita gehört zu denjenigen, die die Entschädigung für reine Propaganda halten. Er verweist darauf, seit der Regierung von Jaime Paz Zamora zu Anfang der 90er Jahre sei nichts für die letztendlich erzwungene Vernichtung der Pflanzungen bezahlt worden. Warum sollte es jetzt mit Banzer anders sein, fragt er.

Andere wie der Campesino Primo Choque wollen, daß die Gemeindekompensationen direkt über die Bürgermeisterämter verwaltet werden. In die Bundesregierung hat er kein Vertrauen. Wieder andere warten auf die Funktionäre der staatlichen Behörde DIRECO. Diese soll die in den zurückliegenden Tagen vernichteten Kokafelder ausmessen. Haben die Funktionäre gemessen und überprüft, ist als nächster Schritt die Auszahlung vorgesehen.

Die Mehrheit der Cocaleros bekräftigt aber ihre Absicht, ihre Pflanzungen nicht aufzugeben. Dafür sind sie bereit, sich wie in der Vergangenheit gegen die kombinierten Einsatzkräfte aus Polizei und Armee zu stellen. Es gibt keine Gemüse oder Früchte, die es an Rentabilität mit der Kokapflanze aufnehmen könnten. Durch die Entschädigungen, wenn sie denn gezahlt würden, könnten die wenigstens der meist nur kleine Flächen bewirtschaftenden Bauernfamilien reich werden.

Folgerichtig lehnen die führenden Personen der Cocalero-Bewegung den Plan Dignidad ab. Sie kritisieren, er sehe keinen Ersatz für die Produktion vor, der den Lebensunterhalt garantiere. Der ins Parlament gewählte Evo Morales sagt voraus, auch bei der erzwungenen Vernichtung der Felder werde es über das Jahr 2002 hinaus Kokapflanzungen in der Region um die Stadt Cochabamba geben. Mit Gewalt und Unterdrückung käme die Regierung nicht zum Ziel, denn die Probleme von Armut und Elend im Land blieben bestehen.

Innenminister Guido Nayar ist dagegen optimistisch. Nach seinen Angaben produziert das Land weniger Kokain als früher. Solange das Angebot an illegal angebauten Kokablättern sich verringere, werde diese Tendenz anhalten. Die Geschwindigkeit bei der Vernichtung der Felder stimme ihn zuversichtlich. Diese habe sich auch nicht durch den schrittweisen Übergang von individueller zu kommunaler Entschädigung abgeschwächt, meint der Minister. Nayar will die individuelle Entschädigung bald ganz abschaffen.

PARAGUAY

Besuch unter Präsidenten

(Asunción, 8. Juli 1998, recosur-Poonal).- Es sollte einer der wöchentlichen Besuche mehr sein, die der neugewählte Präsident Raúl Cubas dem gescheiterten Putschisten und verhinderten Präsidentschaftskandidaten Lino Oviedo im Gefängnis abstattete. Doch eine Freudsche Fehlleistung machte den Routinegang zum Presseereignis. Von Journalist*innen befragt, erklärte Cubas, er sei gekommen, „den Herrn Präsident… äh Lino Oviedo zu grüßen“. Seine nachgeschobene Erklärung „wir haben soviele Präsidenten, daß es uns alle verwirrt“, wirkte nicht mehr überzeugend. Es ist kein Geheimnis, daß Raúl Cubas sich bisher nur als Stellvertreter von Oviedo sieht. Nicht umsonst hieß sein Wahlslogan „Cubas an die Regierung, Oviedo an die Macht“.

Von der Macht scheinen sowohl Cubas wie Oviedo jedoch ein gehöriges Stück entfernt zu sein. Schon bevor der neue Präsident am 15. August offiziell sein Amt antritt, hat er im Parlament eine starke Mehrheit gegen sich. Innerhalb der regierenden Colorado Partei haben es die Gegner*innen der Oviedo-Strömung vorgezogen, mit der Opposition zusammenzuarbeiten und sich die wichtigen Posten in Senat und Abgeordnetenhaus mit dieser zu teilen. Versteckte Putschdrohungen von Anhängern des inhaftierten Generals konnten sie überhören, weil auch die Freunde Oviedos in den Streitkräften weniger geworden sind.

Rückschlag für Oviedo

(Asunción, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Der unter der Vorgängerregierung wegen versuchten Putsches gegen Staatschef Juan Wasmosy zu zehn Jahren Haft verurteilte General Lino Oviedo muß möglichermeise bis mindestens 2002 im Gefängnis bleiben. Der paraguayische Senat verabschiedete mehrheitlich ein Gesetz, daß das Vorgehen bei einem präsidentiellen Gnadenerlaß regelt. Demnach kann der Präsident einem Häftling nur dann Gnade gewähren, wenn dieser mindestens die Hälfte seiner Strafe abgesessen hat. Der im Mai dieses Jahres neugewählte Präsident Raúl Cubas hatte wiederholt erklärt, im Falle eines Wahlsieges Oviedo sofort freizulassen. Die parteiinternen Gegner von Oviedo und Cubas in der seit über 50 Jahren regierenden Colorado Partei haben dies vorerst verhindert.

CHILE

Tag der Indígenas als Gewissensberuhigung

(Santiago de Chile, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Die Indígenas in Chile haben ihren eigenen Tag. Präsident Eduardo Frei unterschrieb ein Dekret, das den 24. Juni zum „Nationaltag der Indígena-Völker“ erklärt. Frei sprach zu Vertreter*innen der verschiedenen chilenischen Ethnien. Es handele sich um einen Appell, alle Personen gleich zu behandeln und die Lebensbedingungen der Indígena-Gemeinden zu verbessern. Er werde für die Entwicklung ihrer kulturellen Identität und die Erweiterung ihrer Rechte gearbeitet. Trotz der schönen Worte gibt es in der Realität zahlreiche Konflikte. Viele Indígena-Gemeinden besetzen Land, weil die chilenische Regierung nicht auf ihre Forderungen eingeht. Die Mapuches stehen in ständigem Konflikt mit Holzunternehmen, die sich ihre Böden aneignen. Die Pehuenches kämpfen in diesen Tagen gegen den Bau eines Stromkraftwerkes auf ihrem Territorium, das schwerwiegende Umwelteinflüße haben wird. In keinem der Fälle stand die Regierung bisher auf der Seite der Indígenas.

ECUADOR

Der Immigrantensohn Jamil Mahuad ist neuer Präsident – Harvard-

Technokrat will Krise mit konservativer Politik bewältigen

Von Eduardo Tamayo

(Quito, 14. Juli 1998, alai-Poonal).- Der Sieger übernimmt ein Amt, um das ihn wenige beneiden. Als neu gewählter Präsident soll Jamil Mahuad Ecuador aus der schweren Krise führen. Eine Wirtschaftskrise und monatelange Überschwemmungen in Folge von „El Nino“ haben das südamerikanische Land an den Rand des Bankrotts gebracht.

Dem ersten offiziellen Ergebnis zufolge errang der 49jährige Rechtsanwalt bei der Stichwahl am Sonntag rund 53 Prozent der Stimmen. Mahuad krönt damit eine bereits 20 Jahre lange Politikerkarriere in der Populär-Demokratischen Partei, der lokalen Version der Christdemokratie. Schon Anfang der 80er Jahre bekleidete er das Amt des Arbeitsministers, als Abgeordneter saß er mal auf der Oppositions-, mal auf Regierungsseite. Zudem ist Mahuad Vizepräsident der Vereinigung christdemokratischer Parteien des lateinamerikanischen Kontinents.

Jamil Mahuad ist Sohn von Einwanderern in das andine Land, das zu über zwei Dritteln von Indigenas und deren Nachfahren bevölkert wird. Sein Vater ist arabischer Abstammung, seine Mutter deutschen Ursprungs. Die Schulzeit absolvierte er in katholischen Einrichtungen, das Studium beendete Mahuad mit einem Wirtschaftsdoktor in Harvard. Dies dürfte ihm sehr nützlich sein, wenn es darum geht, das Vertrauen von internationalen Finanzinstituten zu bekommen.

Der neue Präsident gilt als Technokrat neoliberaler Prägung. Er blickt auf sechs erfolgreiche Jahre als Bürgermeister der Hauptstadt Quito zurück. Eine straffe Verwaltung der eineinhalb Millionen Metropole und gelungene Bauvorhaben werden dem konservativen Politiker angerechnet. Er schuf das System elektrischer Busse, das das Verkehrschaos linderte und täglich 300.000 Menschen befördert.

Wenig Neues versprach er für sein vierjähriges Mandat, das am 10. August beginnt. Dezentralisierung der Wirtschaft, Privatisierung von Erziehung, Gesundheit und der Telekommunikation sowie noch mehr Auslandsinvestitionen sollen die angeschlagene Ökonomie sanieren. Für viele bedeutet dies, den Gürtel noch enger zu schnallen, zumal der Verfall des Ölpreises die Deviseneinnahmen weiter schmälert. Ecuador leidet nicht nur unter den Folgen des Klimaphänomens „El Nino“, denen viele Straßen und ganze Stadtviertel zum Opfer fielen. Jahrelange Vetternwirtschaft und Korruption haben ein erhebliches Haushaltsdefizit hinterlassen, die Auslandsschuld in unvermindert hoch.

Seinen Wahlerfolg hat Jamil Mahuad auch den Parteien zu verdanken, die im ersten Wahlgang im Mai das Nachsehen hatten. Sowohl der ewige Konkurrent, die Sozialchristliche Partei, wie auch Sozialdemokraten und Linke unterstützten seine Kandidatur. Nicht unbedingt aus Sympathie, sondern um zu verhindern, das der unmittelbare Kontrahent Alvaro Noboa das Rennen machte. Der Millionenerbe schaffte mit populistischen Parolen nach bloß 44 Tagen Kampagne den Sprung in die Stichwahl. Er trat für die Partei des Ex-Präsidenten Abdala Bucaram an, der Anfang 1997 nach wochenlangen Straßenprotesten wegen „geistiger Unzurechnungsfähigkeit“ vom Parlament abgesetzt wurde.

Staat gesteht Unrechtsurteil ein

(Quito, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Elf Campesinos sind vom ecuadoreanischen Staat mit je 100.000 Dollar entschädigt worden. Sie waren 1993 verhaftet worden, nachdem eine Militärpatrouille an der Grenze zu Kolumbien in einen Hinterhalt geraten war, bei dem elf Soldaten umkamen. Nach dem Vorfall besetzten die Streitkräfte die Region Putumayo. Sie hielten 30 Campesinos fest, die sie so lange folterten bis sie ein Dokument unterschrieben, in dem sie sich für den Hinterhalt verantwortlich erklärten. 19 der Landarbeiter kamen frei, die restlichen elf wurden zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt.

Menschenrechtsorganisationen fochten den Prozess und die Strafe an. Nach zwei Jahren und acht Monaten kamen die Campesinos aus Putumayo frei. Der Berufungsrichter entschied, es habe sich um ein Fehlurteil gehandelt. Nach ihren Angaben waren die elf Landarbeiter in der Haft zahlreichen Mißhandlungen ausgesetzt. Sie wurden geschlagen, an den Daumen aufgehängt, in Wasser getaucht und dabei mit Stromstößen gequält und sollten gezwungen werden, untereinander sexuelle Beziehungen zu haben. Jetzt hat der ecuadoreanische Staat das Unrecht anerkannt und eine Entschädigung beschlossen.

Es ist der dritte Fall, in dem die Regierung Menschenrechtsverletzungen durch öffentliche Ordnungskräfte zugibt. Zuvor hatte es Entschädigungszahlungen an den Vater der verschwundenen Minderjährigen Pedro und Carlos Restrepo sowie an die Familie der ermordeten Lehrerin Consuelo Benavídez gegeben. Alle Fälle waren vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof angeklagt worden. Viele Klagen sind dort noch offen. Aber es ist das erste Mal in Lateinamerika, daß ein Regime Staatsverbrechen anerkennt und den betroffenen Familien eine finanzielle Entschädigung zahlt. In dem konkreten Fall der Campesinos haben diese angekünidgt, je 20.000 Dollar an eine Stiftung für landwirtschaftliche Entwicklung in der von ihnen bewohnten Region zu zahlen. Die Stiftung wird von dem Bischof der Provinz Sucumbíos, Gonzalo López, und zwei Repräsentanten der elf Campesinos verwaltet werden.

LATEINAMERIKA/USA

Probleme für IBM

(Washington, Juni 1998, pulsar-Poonal).- Der Computerriese International Business Machines, besser bekannt unter seinem Kürzel IBM, ist in mehreren lateinamerikanischen Ländern ins Blickfeld der Justiz geraten. Es geht jeweils um Kourruptions- und Bestechungsaffären. IBM wird vorgeworfen, Ausschreibungen durch Geldzahlungen unrechtmäßig gewonnen zu haben. In Argentinien und Mexiko sind bereits Klagen gegen den Konzern anhängig. Neben der Bestechung wird auch wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Seit kurzem steht IBM zusätzlich in Peru am Pranger. Dortige Medien berichten über Schmiergeldzahlungen an die nationale Meldebehörde. Deren Chef wurde bereits entlassen. Offenbar zahlte IBM Geld, um trotz günstigerer Bedingungen anderer Unternehmen einen Vertrag mit der Meldebehörde zu bekommen.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 345 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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