Poonal Nr. 342

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 342 vom 11. Juni 1998

Inhalt


MEXIKO

HAITI

KUBA

TRINIDAD und TOBAGO

PANAMA

GUATEMALA

EL SALVADOR

ARGENTINIEN

PERU

KOLUMBIEN

CHILE

LATEINAMERIKA

DAS TOR – Von Eduardo Galeano


MEXIKO

Militärische Eskalation in Konfliktgebieten – Lage immer angespannter

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 10. Juni 1998, Poonal).- Mindestens neun Tote, mehrere Verwundete und zahlreiche Festnahmen sind das vorläufige Ergebnis des Vorgehens der mexikanischen Bundesarmee und von Polizeieinheiten gegen Sympathisanten der aufständischen Zapatisten im Bundesstaat Chiapas. Diese hatten einen autonomen Landkreis ausgerufen. Nach der offiziellen Version hat es bei der Regierungsaktion am Mittwoch (10.6.) längere Schusswechsel gegeben, bei denen acht Landkreisbewohner und ein Polizist ums Leben kamen. Den seit fast zwei Jahren suspendierten Friedensverhandlungen zwischen Regierung und der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) könnte das den endgültigen Todesstoss versetzt haben.

Zwar muss das Ereignis auch jetzt nicht den offenen Ausbruch der Feindseligkeiten bedeuten, wie dies in Mexiko schon bei vorherigen Zwischenfällen wiederholt prophezeit wurde. Doch es wird immer schwieriger, für den seit Jahren schwelenden Konflikt, der von den Regierungskritikern als Krieg niedriger Intensität gegen die zivile Basis der Zapatisten bewertet wird, einen für alle Seiten tragbaren friedlichen Ausweg zu finden.

Schon am Wochenende hatte es einen schweren Schlag für jegliche Vermittlungsbemühungen gegeben. Die Nationale Vermittlungskommission CONAI unter dem Vorsitz des Bischofs Samuel Ruiz García löste sich durch den Rücktritt ihrer Mitglieder am vergangenen Sonntag selbst auf. Fast seit dem Beginn der zapatistischen Rebellion am 1. Januar 1994 hatte die Kommission nach Lösungen gesucht und sich vor allem das Vertrauen der EZLN erworben. Die in sich zerstrittene parteienuebergreifende Parlamentskommission zu Chiapas, die COCOPA, wird kaum in der Lage sein, die Lücke auszufüllen.

Da die Kommission und Bischof Ruiz nie einen Hehl daraus machten, die sozialen Forderungen der aufständischen Indígenas nach besseren Lebensbedingungen für gerechtfertigt zu halten, warf die Regierung der CONAI in zunehmend aggressiveren Tönen Parteilichkeit vor. Der Bischof nutzte die Sonntagspredigt zu heftigen Anklagen gegen die Regierung von Präsident Ernesto Zedillo, die sich in Worten für den Dialog ausgesprochen, in ihren Taten jedoch eine andere Richtung eingeschlagen habe. Er beklagte die konstanten offiziellen Attacken gegen die Diözese von San Cristóbal, die CONAI und seine eigene Person. Das von Francisco Labastida geleitete Innenministerium warf ihm am selben Tag im Gegenzug Einmischung in die Politik und Verfassungsbruch vor. Die CONAI wurde in einem letzten Kommunique noch deutlicher als der Bischof. Sie forderte die Regierung auf, ihrer „derzeitigen Kriegsstrategie abzuschwören“.

Tatsächlich kann an den jüngsten Regierungsaktionen gezweifelt werden. Mit mehreren militärisch-polizeilichen Grosseinsätzen gegen jegliche Autonomiebestrebungen der zivilen zapatistischen Basis in den chiapanekischen Landkreisen wurde das Klima in den vergangenen Wochen systematisch aufgeheizt. Der permanente Verweis auf das staatliche Gewalt- und Gesetzesmonopol konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vorwände für die Einsätze oft an den Haaren herbeigezogen waren. Gleichzeitig ist kein energisches Vorgehen gegen die paramilitärischen Gruppen sichtbar, die der Regierungspartei PRI nahestehen und mit Einschüchterungen und Morden den zapatistischen Einfluss auf die Bevölkerung zurückdrängen wollen.

Die innenpolitische Lage ist zusätzlich angespannt durch den Tod von elf Aktivisten der Revolutionären Volksarmee (EPR), der zweiten grösseren Guerilla- Organisation des Landes. Sie kamen am Sonntag bei einem Gefecht mit der Bundesarmee in einem kleinem Dorf im Bundesstaat Guerrero um. Während das Verteidigungsministerium davon spricht, die überraschten Guerilleros hätten zuerst das Feuer eröffnet, gibt es Zeugenaussagen und Indizien für eine zweite Version. Danach handelte es sich um eine gezielt vorbereitete Aktion der Bundesarmee, die den in der Dorfschule übernachtenden EPR-Mitgliedern keine Chance liess. Die schärfsten Kritiker gehen sogar von einem bewussten Massaker aus. Die Guerilleros hatten tagsüber mit der Ortsbevölkerung und Bewohnern aus Nachbardörfern über ihre Sache diskutiert.

Jetzt wird über mögliche Reaktionen sowohl der EPR wie der EZLN spekuliert. Die EPR hatte vor mehr als einem Jahr eine Propagandaphase angekündigt. Während dieser Zeit wollte sie keine offensiven bewaffneten Aktionen gegen Regierungskräfte unternehmen. Damit könnte es nun zu Ende sein. Die EZLN meldet sich ganz im Gegensatz zur ihrer bis dato gängigen Praxis seit längerer Zeit nicht mehr mit Kommuniqués zur politischen Situation in der Öffentlichkeit. Nach den juengsten Vorkommnissen wird sie ihr Schweigen nicht länger aufrecht erhalten können.

HAITI

Kampf den „Scheck-Zombies“

(Port-au-Prince/Wiesbaden, 8. Juni 1998, haiti info-Poonal).- Eine beliebte Form der Entwendung staatlicher Gelder in Haiti ist das Kassieren der Löhne und Gehälter längst gestorbener oder aus dem Dienst geschiedener Beamten. Dem will der Finanzminister Fred Joseph ein Ende bereiten. So sandte er eine Delegation in den Nordwesten des Landes mit der Aufgabe, die Schecks der Regierung den Lohn- und Gehaltsempfänger*innen persönlich zu übergeben. Die Beamten sollten das Geld nur gegen einen vom Finanzamt in Port-au-Prince ausgestellten Ausweis bekommen. Aufgrund zahlreicher Proteste – die Transportwege in die Hauptstadt sind beschwerlich und nehmen viel Zeit in Anspruch – wurde jedoch eine Übergangszeit vereinbart, während der sich die Beamten auch anders ausweisen können.

Viel Gerede – kein neuer Premier

(Port-au-Prince/Wiesbaden, 2. Juni 1998, haiti info-Poonal).- Alle Gespräche, die Präsident René Préval mit den verschiedensten politischen Gruppen über einen Premierministerkandidat geführt hat, sind nach wie vor ergebnislos. Weder ein Regierungsprogramm, hinter dem sowohl die OPL wie auch der Anti-Neoliberale Block im Parlament stehen könnten, noch eine allseits respektierte Person für das seit gut einem Jahr freie Amt sind in Sicht. Die von Ex-Präsident Jean- Bertrand Aristide gegründete und nicht einflusslose Organisation Lavalas-Familie hält sich aus der Diskussion mit dem Argument heraus, sie sei nicht im Parlament vertreten. Die offene Situation lässt Platz für Gerüchte. Der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Bill Clinton, Anthony Lake, reiste innerhalb von zwei Wochen dreimal nach Haiti. Daraufhin verbreitete ein Radiosender, Lake pusche den Direktor der „Unité Centrale de Gestion“, Paul Latortue, als Premier. Die US-Botschaft wies jede diesbezügliche Vermutung bisher zurück.

Schlimme Aussichten für die Umwelt

(Port-au-Prince/Wiesbaden, 2. Juni 1998, haiti info-Poonal).- Ohne einschneidende Änderungen wird die Erneuerung der natürlichen Ressourcen Haiti schon in wenigen Jahren vor große Probleme stellen. Zu der seit langem bestehenden Sorge wegen der Abholzung der Wälder für die Herstellung von Holzkohle kommt nun die Angst um die Wasservorräte. Der Generaldirektor der Wasserbehörde CAMEP sagte jüngst voraus, ohne den Schutz vorhandener Wasservorräte und zusätzliche Massnahmen, um Wasserreserven wieder aufzufüllen, werde die Hauptstadt Port-au-Prince im Jahr 2015 nicht mehr versorgt werden können. Um die Versorgung im Jahr 2005 garantieren zu können, seien sofortige Investitionen von etwa 200 Millionen US-Dollar notwendig. Der Direktor kündigte auch eine Preiserhöhung des Kubikmeterpreises an. Damit sollen die Schulden und die laufenden Kosten der Wasserbehörde gedeckt werden.

Zweifel am Plan von US-AID

(Port-au-Prince/Wiesbaden, 8. Juni 1998, haiti info-Poonal).- Die „Haitianische Plattform zur Verteidigung einer Alternativen Entwicklung“ (PAPDA) hat das Progamm der amerikanischen Hilfsorganisation US-AID für die kommenden fünf Jahre als typisch neoliberal bezeichnet. PAPDA-Generalsekretär Camille Charlmers erklärte, es entspreche nicht den Anforderungen Haitis. Er kritisierte vor allem die Ausführungen über die Rationalisierung des haitianischen Staates. Die Ideen von US-AID zeugten von einem profunden Mangel an Respekt und griffen die Souverenität des Staates an. Charlmers lud alle Parteien und Gruppen ein, über das Programm zu diskutieren und Vorteile sowie Schwachpunkte herauszustellen.

Die Rationalisierung, sprich Privatisierung staatlicher Industrien wird aber auch durch die haitianische Regierung vorangetrieben. Der Mondernisierungsrat für Öffentliche Unternehmen (CMEP) schloss seine Auswertungen vor kurzem ab und machte damit den Weg für den Verkauf von Staatsbetrieben frei. Neun ausländische Firmen sollen beispielsweise an den haitianischen Elektrizitätswerken interessiert sein. Weitere ausländische Firmen meldeten sich, so CMEP- Vorsitzender Yves Bastien. Die nächsten Privatisierungsprojekte gelten dem Flughafen und der Hafengesellschaft.

KUBA

US-Kirchendelegation auf Besuch

(Havanna, 3. Juni 1998, alc-Poonal).- Eine hochrangige Gruppe des Nationalen Kirchenrates der USA (CNIC) besuchte Kuba. Die Einladung erfolgte durch den Kubanischen Kirchenrat. Im CNIC sind die wichtigsten protestantischen US-Kirchen organisiert. Bestandteil des Programms war auch ein Gespräch über religiöse Themen mit Präsident Fidel Castro, das sich bis in die Morgenstunden verlängerte. Behandelt wurde unter anderem die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft, der Bau neuer Kirchen auf Kuba, die mögliche aktive Beteiligung in den Kommunikationsmedien und die Auswirkungen des Papstbesuches.

Pastor Clifton Kirkpatrick, Vorsitzender der presbiterianischen Kirche in den USA bewertete die Reise positiv. „Ich glaube, es gibt einen echten Wunsch, bessere Beziehungen zwischen den kubanischen und nordamerikanischen Kirchen zu entwickeln.“ Auch die CNIC-Generalsekretärin Joan Brown Campbell drückte auf einer Pressekonferenz kurz vor dem Gespräch mit Castro ihre Befriedigung über den Besuch aus, der den Kontakt mit der kubanischen Kirche erlaubt habe. Sie wandte sich gegen das US-Embargo, das seit über 35 Jahren gegen Kuba verhängt ist.

TRINIDAD und TOBAGO

Auf dem Weg zur Todesstrafe

(Puerto España, 3. Juni 1998, pulsar-Poonal).- Trinidad und Tobago ist von zwei internationalen Konventionen zurückgetreten, um verhängte Todesurteile leichter ausführen zu können. Es handelt sich um die Interamerikanische Menschenrechtskonvention und das Optionale Protokoll der Vereinten Nationen. Die Regierungsentscheidung ist auf scharfe Kritik bei Menschenrechtsorganisationen gestossen. Vorausgegangen war in der Inselnation eine Kampagne, die der Bundesstaatsanwalt Ramesh Maharaj anführte. Dieser hatte den Rücktritt von den Konventionen vor dem Parlament damit befürwortet, dass Trinidad und Tobaga nur so seine Verfassung erfüllen könne. Er bezog sich auf einen 1994 getroffenen Beschluss des Rechtskomitees des Privatrates von Grossbritannien (offenbar vom Rang her eine Art Verfassungsgericht für das Land; die Red.), mit dem Fristen für die Anwendung der Todesstrafe nach dem Urteil gesetzt wurden. Maharaj befürchtet, die Strafen könnten nicht durchgesetzt werden. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Caribbean Lifelines, beide mit dem Hauptsitz in England, riefen die Regierung von Trinidad und Tobago auf, ihre Entscheidung zu überdenken. Das Land ist das erste, dass sich von der Interamerikanischen Menschenrechtskonvention zurückzieht.

PANAMA

Zentrum für Waffentests – Details über die frührere Nutzung der Kanalzone

Von Jesús Q. Alemancia

(Panama-Stadt, Mai 1998, alai-Poonal) – Die Militärpräsenz der USA in Panama hat viele verschiedene Funktionen. Vom Training US-amerikanischer und lateinamerikanischer Streitkräfte, über kontinentale Spionage, Unterstützung der Operationen zur Aufstandsbekämpfung in der ganzen Region bis hin zum Testen von Waffen und Militärtechnologie.

Zahlreiche nationale und internationale Autoren haben sich über das Zusammenspiel oder jeden einzelnen dieser Aspekte Gedanken gemacht. Dennoch tauchen die Waffen- und Technologietests in ihren Analysen nicht auf. Erst, seit der Prozeß der Umwandlung der militärischen in zivile Anlagen in Gang ist, die völlige Übergabe der Panama-Kanalzone näherrückt und die Regierungsarchive der USA freigegeben wurden, beginnt das Thema publik zu werden.

Informationen über die jüngste Geschichte weisen darauf hin, daß bereits 1923 im Militärkommando zur „Chemischen Verteidigung“ die Meinung vertreten wurde, der Kanal sei nicht mit traditionellen Mitteln zu verteidigen, sondern vielmehr müßten unkonventionelle Methoden angewendet werden. Diese bestünden im „Einsatz chemischer Waffen im Falle eines Kriegsbeginns“. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Argument, Panama liefere die optimalen Bedingungen für die Verwendung dieser Waffen.

Bis 1940 hatten die uS-amerikanischen Streitkräfte schließlich große Mengen chemischer Kampfstoffe in dem mittelamerikanischen Land gelagert: “ Tonnen Senfgas, 10 Tonnen Phosgen, 16 Tonnen weißer Phosphor und 16 Tonnen Gasmischung. Darüber hinaus ging der Benutzung panamaischen Territoriums als Testgebiet für chemische Mittel ein Experiment im Jahr 1944 voraus – auf der Insel San José im Archipel von Las Perlas im Pazifischen Ozean.

Es wurde vom Militärdienst für chemische Waffen mit den folgenden Zielen angeordnet: „a) Gewinnung technischer Daten über das Verhalten tödlicher chemischer Substanzen im tropischen Dschungel. b) Versuche mit chemischer Munition um festzustellen, ob Anpassungen für den Einsatz in Waldgebieten nötig sind. c) Test von chemischen Waffen und Anwendungstechniken tödlicher Stoffe im tropischen Dschungel. Dadurch soll eine Doktrin für ihren effizienteren Einsatz entwickelt werden – wann immer es die Politik zuläßt. d) Nutzbarmachung der erzielten technischen Daten für operative Instruktionen zum Waffengebrauch.“

Das Experiment war die Antwort auf den Einsatz chemischer Waffen von seiten der Japaner gegen die Chinesen und sollte die „Aufmerksamkeit für flüssiges Senfgas“ in den US-amerikanischen und puertoricanischen Truppen erregen. Die Studie ergab „keine bedeutenden Unterschiede zwischen den beiden Arten von Truppenverbänden“.

Experiment in den Tropen

Dies war die Vorgeschichte auf dem Weg Panamas zum Zentrum für Waffentests. Doch damit nicht genug. 1950 wurde Panama auf Grundlage einer weltweiten Studie der uS-amerikanischen Militärs ausgewählt, um die Tests des militärischen Materials und der Ausrüstung in den Tropen durchzuführen. Grund war die Kombination der tropischen Gegebenheiten, die den Militärinstallationen am Ufer des Kanals zur Verfügung stand.

Doch erst 1964 wurde eine formelle Instanz zur Durchführung dieser „Aufgaben“ gegründet – zeitgleich mit dem Eintreten der USA in den Vietnamkonflikt. In diesem Jahr etablierte das Armeekommando für „Versuche und Auswertung“ das Zentrum für tropische Tests (CPT) in den Militärarealen von Corozal Este/Fuerte Clayton. Hier wurden die zentralen Büros und Laboratorien eingerichtet, zusätzlich gab es Testgebiete an der Atlantik- und Pazifikküste des Landes.

Die Verantwortlichen des CPT haben vor kurzem eindeutig betont, daß die realisierten Projekte – sieben insgesamt – in Verbindung mit miliärischen Waffen und Technologien stehen. Ein Beispiel dafür aus dem Jahr 1993 ist die Aufbewahrung von 70 Projektilen aus angereichertem Uran in den Installationen der Rodmanbase, um sie klimatischen Überprüfungen zu unterziehen. Das CPT will seine Tests auch nach dem Jahr 2000 weiterführen. Um dies zu erreichen, soll es in ein akademisches Zentrum der Universität in der Stadt des Wissens umgewandelt werden, die auf früher rein militärisch genutztem Gelände entstehen soll. Die versprochene Konversion von militärischer zu ziviler Nutzung erscheint so in einem anderem Licht.

GUATEMALA

Mehr Zeit für die Wahrheitskommission

(Guatemala-Stadt, 2. Juni 1998, cerigua-Poonal).- Die Wahrheitskommission zur Aufklärung der Verbrechen des internen Krieges wird sechs Monate mehr Zeit für ihre Arbeit bekommen. Dies kündigte Regierungsvertreterin Raquel Zelaya an. Zwar hätten die Friedensvereinbarungen das Mandat der Kommission auf ein Jahr begrenzt, aber kein spezielles Datum für die Abgabe des Schlussberichtes festgelegt. Die Kommission zur Begleitung des Friedensprozesses, die als einzige befugt ist, Veränderungen im in den Friedensabkommen vorgesehenen Zeitplan vorzunehmen, stimmte einstimmig für eine Verlängerung des Mandats bis zum 31. Januar 1999. Damit kann die Wahrheitskommission bei der Dokumentenauswertung für den endgültigen Bericht ruhiger vorgehen. Ihr Vorsitzender, der deutsche Rechtsprofessor Christian Tomuschat hatte zuvor gegenüber der Presse erklärt, seine Kolleg*innen und er bräuchten mindestens drei Monate über die ursprüngliche Frist des 31. Juli 1998 hinaus.

Erfolg für entlassene Maquila-Arbeiterinnen

(Guatemala-Stadt, 3. Juni 1998, cerigua-Poonal).- 37 im April aus einer Textilfabrik entlassene Frauen setzten gegenüber dem Eigentümer des Unternehmens Entschädigungszahlungen und andere ausstehende Geldleistungen durch. Vorausgegangen waren mehrwöchige Verhandlungen mit ihrem früheren koreanischen Arbeitgeber Deni Kim. Dieser sah sich am Ende gezwungen, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Obwohl die Arbeiterinnen, darunter viele Minderjährige, ihre Entlassungen nach wie vor als illegal ansehen, bezeichnen sie das Ergebnis doch als Erfolg. Die Gruppe wurden in den Verhandlungen durch die Anwaltinnengruppe „Frauen in Solidarität“ unterstützt. Ausserdem gab es Druck von internationalen Organisationen auf die Unternehmensführung.

Die entlassenen Frauen hatten eine Kollegin verteidigt, die von Deni Kim geschlagen worden war. In diesem wie in anderen Maquila-Betrieben ist ein solches Handeln der Vorgesetzten durchaus keine Seltenheit. In der Textilfabrik war Kim dafür bekannt, die Arbeiterinnen zu misshandeln. Neu ist, dass der Widerstand gegen solches Vorgehen in letzter Zeit in Guatemala wächst. Insofern setzt der Fall ein weiteres kleines positives Zeichen.

EL SALVADOR

Mordwelle an homosexuellen Travestiten

Von Iván Castro

(San Salvador, 5. Juni 1998, npl).- „Karla“ ist 19 Jahre alt und prostituiert sich in der Strassen der salvadoreanischen Hauptstadt. Dort hat er es gelernt, Misshandlungen zu vermeiden und dem feindlichen Blick der Gesellschaft gegen die Homosexuellen generell und die homosexuellen Travestiten im Besonderen zu entfliehen. Doch Carlos Hernández, wie Karla wirklich heisst, hatte viel Glück, nicht umgebrachten zu werden, als ihn Mitte Mai ein Unbekannter angriff.

Der Mann war mit einer Pistole bewaffnet und zwang ihn in sein Auto. „Ich machte alles, was er befahl, damit er mir nichts tat. Die ganze Zeit sagte er mir, er würde mich umbringen, meine letzte Stunde sei gekommen, ich sei Abschaum und solche Dinge“, so Karla. Als der Mann in der Nähe einer Tankstelle einen Moment nicht aufpasste, gelang es ihm, ihn wegzustossen und aus dem Auto zu springen. „Er gab zwei Schüsse auf mich ab, die aber nicht trafen.“

Gerettet war Karla deswegen nicht. Von den beiden Tankstellenwächtern, die ihn rennen sahen, schoss einer seine Schrotflinte auf ihn ab. „Vielleicht dachten sie, es handelte sich um einen Überfall“, vermutet Carlos Hernández. Er fand sich im Krankenhaus mit acht Schrotkugeln im Leib wieder. Jetzt überlegt er über Alternativen zu seiner Arbeit, bei der er und knapp hundert andere homosexuelle Travestiteten sich Nacht für Nacht mit den weiblichen Prostituierten in den Strassen von San Salvador die Kunden streitig machen.

Denn trotz allem hat Karla noch Glück im Unglück gehabt. In den vergangenen Wochen sind sieben Travestiten in der Hauptstadt und ihrer näheren Umgebung ermordet worden. Die Verbrechenswelle bekann am 26. April mit dem Tod von Alexis Barahona. Er erhielt zwei Schüsse in den Leib. Anschliessend überrollte ihn der Mörder mit seinem Auto. Das bisher letzte bekannt gewordene Verbrechen dieser Art geschah am 4. Juni. In einem Dorf 34 Kilometer von San Salvador entfernt, tauchte die Leiche von Santos Cruz alias „Lucero“ mit zwei Kugeln im Körper auf.

Die Vereinigung für die Integrale Entwicklung der Sexuellen Minderheiten „Unter Freunden“, in der sich die Homsexuellen El Salvadors organisiert haben, fordert „eine dringende Antwort der Menschenrechts- und Regierungseinrichtungen“, damit die Morde untersucht werden.

Der Vorsitzende der Vereinigung „Unter Freunden“, William Hernández vergleicht die Situation mit der des zwölfjährigen Bürgerkrieges von 1980 bis 1992. Damals führten die als Todesschwadronen bekannt gewordenen rechten paramilitärischen Gruppen Dutzende Morde an Homosexuellen aus. Sie präsentierten dies stolz als „soziale Säuberung“.

Bei der neuerlichen Mordserie geht die Polizei eher von einem Einzeltäter aus. Ein mit den Nachforschungen befasster Leiter der Zivilen Nationalpolizei kommentiert: „Wir lernen nach und nach die Details kennen, es könnte sich sowohl um einen Psychopathen als auch um einen Serienmörder handeln.

Die Hypothese der Polizei wird von der Homosexuellenvereinigung geteilt. Willam Hernández meint, dass „wir aufgrund des bewaffneten Konfliktes viele Leute mit psychologischen Problemen haben“. Der Bürgerkrieg, in dem schätzungsweise 75.000 Menschen umkamen, habe Intoleranz und „präpotente Verhaltensweisen“ als Erbe hinterlassen.

Nach den Angaben der Travestitenorganisation „Im Namen der Rose“, die die Rechte dieser Minderheit verteidigt und fuer die sexuelle Selbstbestimmung eintritt, sind in der Hauptstadtregion von San Salvador “ homosexuelle Travestiten in der Prostitution tätig. Obwohl sie eine enorm hohe Kundenzahl haben, werden die Travestiten in der Öffentlichkeit von derselben Gesellschaft gedemütigt, die ihre Dienste in Anspruch nimmt.

Es ist ein Jahr her, dass die verschiedenen Homosexuellengruppen versuchten, ihre gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen. Im Juni 1997 zogen sie erstmals in der Geschichte des Landes durch die wichtigsten Strassen der Hauptstadt. Die Demonstration endete mit einem „Travestieakt“ auf dem zentralen Platz Morazán. Die Aktion sollte nach der Vorstellung der Organisatoren Tabus brechen und die Kultur der Toleranz fördern.

Angesichts der Mordserie scheint dieses Vorhaben bisher alles andere als gelungen. Und Karla, der über seinen Rückzug von der Strassenprostitution nachdenkt, weiss, dass „es schwierig wird, eine Beschäftigung zu finden“. Seine sexuelle Präferenz lässt ihn fast überall auf Ablehnung stossen.

ARGENTINIEN

Richterin schliesst Akte Yabrán

(Buenos Aires, 4. Juni 1998, pulsar-Poonal).- Trotz aller Zweifel an der Selbstmordversion und der Identität der Leiche hat die Richterin Graciela Pross Laporte ihre Untersuchungen über den Fall Alfredo Yabrán nach zwei Wochen abgeschlossen. Sie gab sich überzeugt, dass es sich bei der auf einer Hazienda in der Provinz Entre Ríos gefundenen Person um den Unternehmer handele und dieser den Suizid aus freien Stücken beschlossen habe. Erstmals wurden der Öffentlichkeit das von Yabrán benutzte Gewehr und sein Abschiedsbrief präsentiert. In dem Brief versichert Yabrán, seine Entscheidung habe nichts mit dem Tod des Fotojournalisten José Luis Cabezas im Januar 1997 zu tun, für dessen Ermordung er vielen als der Auftraggeber galt. Viele Fragen über die Hintergründe des tatsächlichen oder vermeintlichen Selbstmordes bleiben jedoch unbeantwortet.

PERU

Die Frauen haben die Bevormundung satt

Von Zoraida Portillo

(Lima, Mai 1998, sem-Poonal). – „Schluss mit den Armenschenkungen, wir wollen raus aus den Küchen und Volkskantinen“, rufen einem die Transparente entgegen, die stolz von dutzenden Frauen in die Höhe gehalten werden. Mit bescheidenem, verschrecktem Blick, in die andentypische Kleidung gehüllt, stehen die Frauen da. Sie sind aus dem weit entfernten Distrikt Aucará in die Hauptstadt gekommen. Ihr Dorf in der Region Ayacucho – 580 Kilometer von Lima entfernt – liegt in einer der ärmsten der armen Gegenden des weitläufigen Landes.

„Wir wollen eigene Ressourcen und nicht länger für die Küche verantwortlich sein. Wir können mehr. Wir wollen uns ausbilden und ländliche Kleinbetriebe gründen“, sagt Epifanía Quinti, die am besten von allen Spanisch spricht. „Wir wollen Schweine und Legehennen züchten, um die Familie zu ernähren und zum Verkauf“, hebt eine andere Frau an, doch ihre Schüchternheit läßt sie schnell wieder verstummen.

In Aucará ist die Muttersprache Quechua und wird von allen Kindern gesprochen. Erst in der Schule lernen sie Spanisch. Da mehr Jungen als Mädchen die Schule besuchen, bedienen sich vor allem die Männer des Spanischen, um ihre Geschäfte zu machen und Kontakt zu anderen Gemeinden und Volksgruppen aufzubaün.

Die Frauen sind um den Gouverneur ihrer Provinz gescharrt, der sie auf ihrem mehrtägigen Weg nach Lima begleitet hat. Durch Präsenz vor den Türen des Frauenministeriums sollte ein Gespräch mit der Ministerin Miriam Schenone erwirkt werden. „Bedauerlicherweise“ konnte die Ministerin sie nicht empfangen. So mußten sie sich damit abfinden, eine unterschriebene Bittschrift mit den von ihnen geforderten Projekten zu hinterlassen. „Es ist immer dasselbe“, kommentiert Rosa Quispe mit einem Anflug von Bitterkeit. „Sie hören uns nicht zu und als Antwort auf unsere Petitionen schicken sie uns Küchen und Töpfe. Das ist aber nicht unser Ziel, wir wollen Bildung.“

Immer mehr Frauen auf dem Land sind die Schenkungen leid, die ihre Armut nur noch weiter zementieren, und versuchen, sich mit Hilfe verschiedenster anderer Mittel weiterzüntwickeln. Wenn auch die Frauen aus Aucará vielleicht den falschen Weg gewählt haben, so gibt es doch erfolgreiche Beispiele. Einigen Frauen gelang es, das Desinteresse von offizieller Seite und die Härte eines Finanzsystem, das sie als nicht kreditwürdig einstuft, auf andere Weise zu überwinden. Sie machten sich auf die Suche nach Nicht-Regierungsorganisationen, die Kredite an Landfrauen und Bauernfamilien vergeben.

Die Resultate können sich sehen lassen: Nur bei durchschnittlich einem Prozent der Projekte sind die Schuldner*innen im Verzug mit der Kreditrückzahlung. Die Familienintegration und das Selbstbewußtsein der Frauen wurden entschieden gefördert. Hunderte der von Frauen geleiteten Projekte florieren.

„Ein anderer Erfolg ist zweifellos die Verbesserung der ökonomischen Einkünfte und der Lebensqualität der begünstigten Frauen und Familien. Dazu kommt eine gesellschaftliche Errungenschaft: Durch die Annerkennung der Frauen als kreditwürdig steigt nicht nur ihre persönliche Selbsteinschätzung, sondern auch ihr familiäres und gesellschaftliches Ansehen.“, meint Aída García Naranjo, Verantwortliche für Geschlechterfragen des Gegenwertfonds Peru-Kanada. Der Fonds ist eine der internationalen Organisationen, die am meisten für den Zugang der Frauen zu Mikrokrediten getan haben.

„Der Kredit ist nicht nur eine wirtschaftliche Unterstützung für die Frauen, er ist vielmehr ein Mittel zur Steigerung ihrer Führungsqualitäten, die traditionell einfach übergangen werden“, hebt auch María Alvarado hervor. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins Rasuhuillca, der mit Unterstützung des Gegenwertsfonds Peru-Kanada ein neues System der Mikrokredite für Landfrauen entwickelt Es wird von alten andinischen Traditionen wie die der „ayni“ und „minka“ inspiriert, in die alle Gemeindemitglieder einbezogen werden und gemeinsam profitieren.

Rasuhuilla arbeitet mit etwa 1.000 Frauen aus Müttervereinigungen sowohl aus dem städtischen als auch dem ländlichen Teil Ayacuchos. Die örtlichen Gruppen sind auf Provinzebene zu einem Netz zusammengeschlossen. Diese „das Überleben sichernden Organisationen“ (Volksküchen, Komitees zur Verteilung von Milch etc.) sind in Peru in den 80er Jahren entstanden, als autonome und organisierte Antwort der ärmsten Frauen auf den Mangel an Nahrungsmitteln. Es waren solidarische Netzwerke zur Bekämpfung der Armut. Laut verschiedener Studien haben sie eine soziale Explosion mit unabsehbaren Konsequenzen verhindert – in einem Land, das zu dieser Zeit von Guerillakämpfen erschüttert wurde. Auch gaben sie den bis dahin nur in der Hausarbeit tätigen Frauen eine Möglichkeit, die verschiedensten Dinge zu lernen.

So sagt Elena Riofrío: „Wir haben in diesem täglichen Kontakt für das Überleben viel gelernt. Beispielsweise, daß Armut nicht nur das Fehlen von Geld für den Kauf von Lebensmitteln bedeutet, sondern auch, kein Selbstvertrauen zu haben…“. Elena ist Teilhaberin des kommunalen Kreditprojektes „La Chanchita“ an der Nordküste Perus. „Ausgerechnet ich wollte mich an Geschäfte mit der Bank wagen“, sagt sie mit typischem Akzent. „Fast wäre ich vor Scham gestorben, denn für solche Sachen war immer mein Mann zuständig. Er kümmerte sich um die Ernte, das Geld, einfach um alles. Jetzt weiß ich, wie es geht und habe keine Angst mehr. Heute sagt er mir 'gehe und zahle das Geld aufs Konto, ich muß andere Sachen machen'. Er vertraut mir, unsere Beziehung ist besser geworden und ich fühle mich viel nützlicher, weil ich nicht mehr nur in der Küche bin“.

Geflügelzucht, Handel mit Jungtieren, Gemüse und Kunsthandwerk sind nur einige der Aktivitäten, die von den internationalen Organisationen durch die Vergabe von Mikrokrediten an Landfrauen unterstützt werden. „Die ländlichen Familien sind jedoch nicht völlig hilflos und brauchen deshalb auch keine Dauerunterstützung durch Notprogramme. Im Gegenteil, sie benötigen technisches und finanzielles Know-How, um sich dem Markt zu stellen“, schätzt Ricardo Muñoz ein. Er gehört zur Organisation „FONDESUCRO“, der Kredite in vier armen, südlichen Provinzen Perus vergibt. Die Herausforderung besteht seiner Meinung nach darin, die Bauernfamilien konkurrenzfähig zu machen.

Die Mikrokredite werden in der Regel an „solidarische Gruppen“ von 5, 10, 15, 20 oder mehr Mitgliedern vergeben. Sie erhalten gemeinsam eine bestimmte Summe, die sie dann gleichberechtigt unter sich aufteilen. Auf diese Art und Weise entsteht auf der einen Seite eine persönliche Verantwortung, den Kredit im vorgegebenen Zeitraum zurückzuzahlen. Andererseits muß jeder darauf achten, daß es die anderen auch tun und darüber hinaus das Geld tatsächlich in das von der Nicht- Regierungsorganisation bewilligte Projekt investieren. Die Zahlungen erfolgen alle zwei oder vier Wochen während einer Versammlung, die gleichzeitig zur Ausbildung in Geschäftsführung und Evaluierung durch die Teilhaberinnen genutzt wird. „Die Fortbildung trägt zur Entwicklung neuer Ideen bei, um sich den alltäglichen Problemen zu stellen und adäquate Lösungen zu suchen. Sogar die autoritäre Haltung des Ehemannes ändert sich, wenn beide die Notwendigkeit erkennen, ein anderes Leben aufzubauen“, unterstreicht Germán Torre von „La Chanchita“.

Obwohl es keine Statistiken gibt, geht man davon aus, daß um die 100.000 Frauen im ganzen Land von diesen Projekten der „solidarischen Bank“ begünstigt werden. Dennoch meint Torre, die kommunalen Banken sollten über den rein ökonomischen Tellerrand hinausblicken: „Man muß eine Strategie entwickeln, damit sich der Kreditservice in den Bildungsprozeß integriert. Nur so tragen wir entschieden zur Bekämpfung der Armut auf dem Land bei“.

KOLUMBIEN

Neues Massaker in Barrancabermeja

(Bogotá, 5. Juni 1998, comcosur-Poonal).- 25 von einer paramilitärischen Gruppe verschleppte Personen aus der Stadt Barrancabermeja wurden ermordet und verbrannt. Es ist das zweite Verbrechen dieser Art innerhalb weniger Wochen. Zuvor waren elf Menschen aus Barrancabermeja entfuehrt und anschliessend umgebracht worden. Die Rechtsextremen erklärten, die Opfer seien einem „Prozess“ unterzogen und der „Subversion“ fuer schuldig befunden worden. Das Alter der Ermordeten schwankt zwischen 15 und 32 Jahren.

CHILE

Todesdrohungen nach Kritik am Militär

(Santiago de Chile, 8. Juni 1998, recosur-Poonal).- Der Journalist Jorge Molina von der Tageszeitung „La Epoca“ erhielt anonyme Todesdrohungen. Sie stehen offenbar im direkten Zusammenhang mit einer Reihe von Artikeln, die Molina ueber betruegerische Manipulationen im chilenischen Militärhospital verfasste. Bei den Lieferverträgen fuer Medikamente und andere Dinge soll es seinen Nachforschungen nach nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Als Drahtzieher fuer die millionenschweren Betruegereien steht der Verwaltungsdirektor des Militärkrankenhauses im Verdacht.

LATEINAMERIKA

Auf die OEA wartet noch viel Arbeit

Von Andres Cañizalez

(Caracas, 8. Juni 1998, alc-Poonal).- Die XXVIII. Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) Anfang dieses Monats in Caracas endete mit der traditionellen Umarmung der Aussenminister, die sich fuer die „exellente“ Arbeit während des dreitägigen Treffens selbst beglueckwuenschten.

Eine der wichtigsten Themen brachten jedoch keine Neuigkeiten. Vielmehr zeigten sie wenig guenstige Perspektiven fuer die Zukunft auf. Das betraf sowohl die Menschenrechte, das Justizwesen, die Drogenbekämpfung und die soziale Situation auf dem Kontinent.

Positiv wird dagegen auch von Beobachtern ausserhalb der Organisation die Entscheidung gesehen, die OEA zu reformieren. „Die Tatsache allein, dass Einigkeit darueber besteht, dass die Dinge sich ändern muessen, ist bereits erfreulich“, so der Rechtsfachmann Javier Ciurlizza, Generalsekretär der Andenkommission der Juristen (CAJ). Ciurlizza gehörte zu den Beobachtern auf der XXVIII. OEA-Versammlung, die kurz nach dem 50. Geburtstag der Organisation stattfand.

Kritisch sieht Ciurlizzia die „sehr oberflächliche“ Behandlung des Themas Gerechtigkeit, das nach Ansicht des OEA-Vorsitzenden und frueheren kolumbianischen Präsidenten Gaviria ein zentraler Punkt auf dem Treffen war. Die dazu verabschiedete Resolution ist in den Augen des Juristen aus den Anden „einfach ein Aufruf an die Einrichtungen des interamerikanischen Systems, Treffen, Seminare und Foren abzuhalten. Dabei wissen wir alle, dass die Gerechtigkeit dringend auf der interamerikanischen Tagesordnung steht.“

Der Venezolaner Carlos Ayala Corao, Präsident der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, lenkte die Aufmerksamkeit auf die Lage in den lateinamerikanischen Gefängnissen, wo 70 Prozent aller Häftlinge nicht rechtskräftig verurteilt sind. Ayala bezeichnete die Änderung disser Situation als grosse Herausforderung fuer das Justizwesen.

Was die Drogenbekämpfung angeht, sieht Ciurlizza mehr Fortschritte bei den Amerika-Gipfeln der Staatschefs als innerhalb der OEA. Geldwäscherei, Korruption als Folge des Drogenhandels und die Beziehung Drogenbekämpfung-Menschenrechte seien ausgeklammert worden.

„Die OEA sieht das Thema weiterhin sehr einseitig. Sie stuetzt sich einzig auf die Verringerung des Angebots, das heisst, sie geht nur die Lage in den produzierenden Ländern an. Ueber die notwendigen Leitlinien in den konsumierenden Ländern sagt sie nichts“, so der Jurist.

Wenn die Minister auch auf der Verteidigung der Demokratie bestanden, fand sich weder in den Reden von Gaviria noch in den Resolutionen eine ausdruecklicher Hinweis auf die Armut und die damit verbundene Herausforderung fuer die demokratischen Regierungen, besonders in Lateinamerika.

Das Thema wurde erneut verschoben. Ironischerweise diente der Generalversammlung als Kulisse fuer die Buchpräsentation „Armut, ein nicht verschiebbares Thema“. Darin hat der Leiter des Interamerikanischen Institutes fuer soziale Entwicklung (INDES), Bernado Kliksberg, Beiträge zusammengestellt. Kliksberg urteilt: „Die Zahlen schlagen uns, sie sind nicht besser geworden. Armut und soziale Ungleichheit sind 1998 grösser als 1980. Das macht unsere Region zu der mit der höchsten sozialen Ungleichheit in der ganzen Welt.“

Unmenschliche Bedingungen in Gefängnissen – Massaker an meuternden Häftlingen in

Venezuela und Brasilien bleiben ungesühnt

Von Salvador Bracho

(Caracas, 4. Juni 1998,npl).- Ein Aufstand von 800 Häftlingen fordert22 Tote in einem brasilianischen Gefängnis, ein Machtkampf ineiner Anstalt Venezuelas hinterläßt sieben Tote, aus Kolumbienwird die Flucht von 200 einsitzenden Guerilleros berichtet,während eine Bombenexplosion in einem anderen Landesteil 23Gefangene verletzt. Diese Bilanz der letzten beiden Maiwochen istfür die Strafvollzugsanstalten in Lateinamerika nichtsungewöhnliches. „Die Gewalt in Gefängnissen ist eine derschwersten Menschenrechtsverletzungen unseres Kontinents,“stellten Experten auf der Jahresversammlung der OrganisationAmerikanischer Staaten Anfang Juni in Caracas fest. Es fehle ampolitischen Willen der Regierungen und der Justiz, derdramatischen Lage entgegenzuwirken.

Überbelegung der Zellen, Mangel an ausgebildetem Personal undveraltete Anlagen sind nach Ansicht des venezolanischenAbgeordneten Jose Guarenas die Hauptübel. Die Bedingungen desStrafvollzugs seien inakzeptabel und hätten sich in denvergangenen zehn Jahren stetig verschlimmert, sagte derParlamentarier nach dem Besuch von Gefängnissen in mehrerenLändern der Region.

Die Zustände in venezolanischen Knästen geriet 1992 in dieSchlagzeilen, als in der Anstalt Catia bei der Niederschlagungeines Aufstandes 62 Menschen umkamen. Nur zwei Jahre späterstarben in Sabaneta über Einhundert unter ähnlichen Umständen.Verantwortlich für diese Geschehnisse ist bis heute offiziell niemand, auchnicht im Fall der 26 Gefangenen in La Planta, die von Wächtern ineinen kleinen Raum gepfercht wurden und dort verbrannten.

Die Behörden haben längst die Kontrolle über die Anstaltenverloren. Allein 1997 wurden 207 Einsitzende umgebracht, zumeistmit eingeschmuggelten Feuerwaffen. 70 Prozent der 26.000 HäftlingeVenezuelas sind noch nicht rechtskräftig verurteilt, die Wartezeitbis zum Prozeß ist meist schon eher Strafe denn Untersuchungshaft.Durchschnittlich sind die Gefängnisse zu 57 Prozent überbelegt undnur ein Drittel kommt in den Genuß von Bildungs- oderEingliederungsmaßnahmen, wie es das Gesetz eigentlich für allevorschreibt.

Die Lage im Nachbarland Brasilien kritisierte Human Rights Watchzuletzt im vergangenen Jahr: „Die Haftbedingungen verstoßen gegeninternationale Normen.“ Weiterhin seien die meisten Gefängnisseüberbelegt. Dem Justizministerium zufolge befanden sichvergangenen Oktober 148.000 Häftlinge in Anlagen, die für 70.000bebaut worden waren. Doch Protest gegen die Haftbedingungen wirdnicht gern gesehen, nur selten führen die zahlreichen Besetzungenvon Haftanstalten im ganzen Land zu einer Besserung der Lage.Tragische Berühmtheit erlangte 1992 das Gefängnis Carandiru im SaoPaolo, nachdem die Militärpolizei im Auftrag des Gouverneurs eineMeuterei niederschlug: 111 Tote Häftlinge und kein Opfer aufseiten der „in Notwehr“ agierenden Polizei. Noch heute versuchenAngehörige, die Verantwortlichen des Massakers vor Gericht zuziehen.

Den Häftlingen als Leidtragenden des unmenschlichen Vollzugs fehltes an einer Lobby, die eine Besserung der Lage einfordert.“Gefangene bringen keine Stimmen, sie sind den Politikern egal,“resümiert der Parlamentarier Guarenas. Auch der Bevölkerunginteressiert sich kaum für das Schicksal von Häftlingen – siegelten vielen als Gewalttäter, die selbst an allem Schuld sind undsich sowieso nicht ändern werden.

Kein Wunder, daß der Abstecher von Papst Johannes Paul II in dasGefängnis Catia während seines Venezuelabesuchs 1996 wenigVerständnis fand. Der Papst solle sich lieber den Opfern vonVerbrechen als den Tätern widmen, so die übereinstimmende Kritikder Medien.

DAS TOR – Von Eduardo Galeano

Ende des Sommers 96 gelang José Luis Chilavert ein historisches Tor in Buenos

Aires: Fuer den Club Vélez gegen River Plate spielend, schoss Chilavert aus

einer Entfernung von 60 Metern: der Ball durchschnitt die Wolken und fiel plötzlich vertikal ueber dem gegnerischen Gehäuse nieder und sprang ins Netz.

Die Journalisten wollten das Geheimnis seines Schusses wissen. Wie konnte der Ball diese unglaubliche Reise unternehmen? Warum fiel die Kugel senkrecht aus der Höhe hinab?

„Weil sie mit einem Engel zusammenstieß“, erklärte Chilavert.

Niemand kam auf die Idee nachzusehen, ob der Ball mit Blut befleckt war. Niemand passte auf. Und wir verpaßten die Gelegenheit zu wissen, ob die Engel uns ähneln, auch wenn es nur darin sei.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 342 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert