Poonal Nr. 338

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 338 vom 14. Mai 1998

Inhalt


MEXIKO

NICARAGUA

COSTA RICA

HONDURAS

GUATEMALA

MITTELAMERIKA

PARAGUAY

BOLIVIEN

ECUADOR

ARGENTINIEN

VENEZUELA

BRASILIEN

CHILE

KUBA

HAITI

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

DAS HAUS


MEXIKO

Brände zerfressen das Land – Statt einer großen viele kleine

Tragödien

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 7. Mai 1998, Poonal).- Am 5. Mai stellten 3.000 mexikanische Soldaten vor den Augen von Präsident Ernesto Zedillo und George Bush Jr., Gouverneur von Texas, die „Schlacht von Puebla“ nach. Vor 136 Jahren hatten die waffentechnisch unterlegenen einheimischen Truppen in der Nähe dieser Stadt der französischen Besatzungsarmee eine schwere Niederlage zugefügt. Das Feuer beider Seiten forderte damals viele Tote und Verwundete. Diesmal allerdings durften sich die Toten nach dem Applaus des Präsidenten wieder erheben.

Wenige Dutzend Kilometer weiter, in dem Ort Texocuixpan, wartete die bauerliche Bevölkerung am selben Tag auf ihrem kleinen Hauptplatz vergeblich auf einen angekündigten Zedillo-Besuch. Sie hatte auf eine Ehrenbezeugung für 18 wirkliche Tote gehofft, die dem Feuer unterlegen waren. Drei Tage lang hatten Campesinos aus Texocuixpan vergeblich alleine versucht, einen ausgedehnten Waldbrand zu bekämpfen, der auch ihr Dorf bedrohte. Als am 4. Mai endlich die von Anfang an geforderte Hilfe von Feuerwehr, Polizei, Soldaten und Brigaden des Umweltministeriums kam, konnte der Brand kontrolliert werden. Doch 18 Menschenleben waren unwiderbringlich verloren.

Das Vorkommnis steht symptomatisch für eine Reihe ähnlicher Vorfälle in den vergangenen Monaten. Anders als bei den nicht übersehbaren Großbränden in Brasilien oder den Überschwemmungen in Argentinien spielt sich in Mexiko eine eher schleichene Umweltkatastrophe mit vielen kleinen Tragödien ab. Die alljährliche Trockenzeit in den meisten der 31 Bundesstaaten ist dieses Jahr von einer ungewöhnlich starken Hitzewelle mit Temperaturen von gebietsweise bis zu 50 Grad begleitet. Immer wieder brechen im ganzen Land kleinere und größere Brände aus, Umweltministerin Julia Carabias hat bis Anfang Mai knapp 9.000 gezählt.

In abgelegenen Gebieten sind die Feuer oft erst nach mehreren Tagen unter Kontrolle. Wegen unzureichender Ausrüstung, zu später Hilfe für die brandbekämpfende Bevölkerung oder falscher Einschätzung kommt es regelmäßig zu Todesfällen unter den freiwilligen und berufsmäßigen Helfern. Waldbestände sind nach offiziellen Angaben bisher nur in einem Fünftel der Fälle betroffen. Auch die vom Feuer geschädigte Gesamtfläche von gut 200.000 Hektar ist im Vergleich zu den Dimensionen beispielsweise in Brasilien gering. Doch vielen Familien auf dem Land haben die Brände die Lebensgrundlage entzogen. Und mindestens den ganzen Mai über wird keine entscheidende Änderung der Wetterlage erwartet.

Am Schlimmsten hat es in den zurückliegenden Wochen die Bundesstaaten Michoacan, Puebla, Mexiko, Chiapas, Oaxaca, Durango, San Luis Potosi sowie den Hauptstadtdistrikt getroffen. Brandstiftung wird besonders da nicht ausgeschlossen, wo Bodenspekulanten auf eine Umwidmung ländlicher in städtische Grundstücke hoffen. Auch die Drogenhändler werden für absichtlicht gelegte Feuer verantwortlich gemacht. Eine andere Ursache besteht in außer Kontrolle geratenen Brandrodungen, mit denen Land für die Aussaat vorbereitet werden sollte.

Die Vielzahl der Brände und ihre Streuung über das ganze Land machen schnelle und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zweifellos schwer. Dennoch wird die Kritik an den Behörden lauter. Sie zielt nicht auf die Einsatzkräfte – die Feuerwehrleute gelten in Mexiko allgemein als Helden und auch der Einsatz der einfachen Soldaten und Polizisten wird gewürdigt. Vielmehr wird eine mangelnde Koordination der Institutionen untereinander angesprochen sowie eine falsche Ausrüstungs- und vorbeugende Überwachungspolitik. Eine Karikatur der Tageszeitung „La Jornada“ legt einem vor einem Brand urinierenden Funktionär die Worte in den Mund: „Man muß sofort gegen die Brände vorgehen“. Für 1998 kommt diese beissende Kritik wohl zu spät.

Gegenseitige Vorwürfe nach Ausweisung einer italienischen

Beobachterkommission

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 13. Mai 1998, Poonal).- Ausländer, die sich für die politischen Belange im südlichen Bundesstaat Chiapas interessieren, sind in Mexiko nicht willkommen. Zuletzt erfuhr dies eine italienische Beobachterdelegation, deren 134 Teilnehmer sich im Süden des Landes, wo die zapatistischen Rebellen gegen die Regierung kämpfen, ein Bild über die Menschenrechtslage machen wollten. Ihr angeblich ungehöriges Verhalten erregt die Gemüter.

40 Italiener wurden nach Artikel 33 der mexikanischen Verfassung abgeschoben – ein vor der Regierung gechartertes Flugzeug brachte sie über Nacht außer Landes. Sie dürfen nie wieder in das Land der Azteken einreisen. 80 weiteren Delegationsmitgliedern ist die Wiedereinreise auf zehn Jahre untersagt. Nur vier Europa- Abgeordnete und einige wenige andere Teilnehmer der Gruppe wurden von den Strafmaßnahmen ausgenommen.

Das harte Vorgehen der Behörden, einzigartig in der modernen mexikanischen Migrationsgeschichte, wird mit der mehrfachen Mißachtung der Justiz durch die Delegation gerechtfertigt. Vor allem die Reise der gesamten Gruppe – nur einigen war sie genehmigt worden – in die Gemeinde Taniperla erregte Aufsehen. Dort waren Polizei und Armee vor gut einem Monat gegen Sympathisanten der Zapatisten vorgegangen, die einen autonomen Landkreis ausgerufen hatten. Damals wurden zwölf Ausländer festgenommen und anschließend abgeschoben, darunter die junge Deutsche Marion Ladich.

Die Italiener hatten sich während ihrer Reise kritisch über die mexikanische Politik im Bundesstaat Chiapas und die Achtung der Menschenrechte im Land geäußert. Dem Kampf der Zapatisten für die Rechte der Indigenas brachten sie hingegen Verständnis entgegen. Diese Provokation war für die seit fast 70 Jahren herrschende Regierungspartei PRI zuviel. „Abenteurer“ und „Revolutionstouristen“ waren die Worte, mit denen die Migrationsbehörde die Italiener brandmarkte. Sie warf ihnen unprofessionelle Arbeit vor und kündigte an, in Zukunft genaue Richtlinien für ausländischen Menschenrechtsbeobachter festzulegen. Ausdrücklich lobte das Innenministerium das Verhalten von vier kanadischen Abgeordneten. Diese hatten sich bei einem Chiapas-Besuch mehr an die offiziellen Stellen gehalten und keine politischen Kommentare abgegeben.

Im Parlament ärgerte sich ein PRI-Abgeordneter über die „aus der Mode gekommenen und gescheiterten Revolutionäre“ aus Italien. Im Fernsehen wurde auf die Kinderarbeit und die Mafia in Italien hingewiesen, um die sich die Gruppe besser kümmern sollte. Die Vorsitzende der staatlichen Menschenrechtskommission disqualifizierte die Delegation, indem sie von einer „Kommerzialisierung“ von Beobachterreisen sprach. Bei so viel nationalem Zorn hat es Italiens Botschafter Bruno Cabras vorgezogen, von einem „Akt der Souveränität“ Mexikos zu sprechen. Seine Regierung sei „eher beschämt als verärgert“.

Ein politisches Nachspiel wird es wohl nur in Europa geben. Die italienische Delegation kündigte an, die nationalen Parlamente und das Europaparlament ausführlich über die Menschenrechtssituation in Mexiko zu informieren. Sie sprach sich gegen einen Freihandelsvertrag der Europäischen Union mit Mexiko aus, solange der in dem Vorvertrag enthaltenen „Demokratieklausel“ nicht wirkliche Geltung verschafft werde. Bisher hat die EU allerdings wenig Interesse gezeigt, besonderen Wert auf diese Klausel zu legen.

NICARAGUA

Kirchen kritisieren lasche Brandbekämpfung

(Managua, 12. Mai 1998, alc-Poonal).- Sprecher der verschiedenen Kirchen haben sowohl die Regierung wie auch die Verursacher der zahlreichen Waldbrände im Land scharf verurteilt. In den vergangenen Wochen fielen mindestens 3.000 Hektar Wald den Flammen zum Opfer. Oft werden die Feuer absichtlich gelegt, um Platz für die Aussaat oder für andere Zwecke zu schaffen. Die Regierung gehe nicht hart genug gegen die Brandstifter vor, lautet ein Vorwurf. Es geben ebenso keinen Willen, die ausländischen Holzunternehmen zu stoppen, die für eine weitläufige Entwaldung verantwortlich seien, die durch das Verbrennen von Wäldern noch gesteigert werde. Die seit dem vergangenen Jahr gemachten Anklagen stießen auf eine unsensible Regierung. Nun seien die Konsequenzen zu spüren. Die Wasserversorgung für die 145 Kilometer nördlich von Managua liegende Stadt Matagalpa ist fast zusammengebrochen, weil die bisher genutzten Quellen ausgetrocknet sind.

Indígenas pochen auf Vereinbarungen

(Puerto Cabezas, 8. Mai 1998, pulsar-Poonal).- Die Yatama von der nicaraguanischen Atlantikküste fordern die Regierung auf, wie zugesagt ihre Landtitel zu legalisieren. Die Indígenas hatten bis vor vier Jahren bewaffnet für ihre Rechte gekämpft. Dann schlossen sie einen Demobilisierungsvertrag mit der Ex-Präsidentin Violeta Chamorro und organisierten sich als zivile politische Bewegung. Nach ihren Aussagen erfüllte die Regierung aber so gut wie keinen der vereinbarten Punkte. Jetzt fürchten die Yatama, ihr Land könne ausländischen Investoren übergeben werden, die das Gebiet touristisch erschliessen wollen. Sie sind auch nicht mit der absoluten Kontrolle des regionalen Autonomen Rates der Atlantikküste durch die regierende Liberale Partei einverstanden und fordern einen Sitz im Präsidium.

COSTA RICA

Bananenproduktion vergiftet das Land

(Mexiko-Stadt/San José, Mai 1998, Poonal).- Das „Foro Emaus“, ein Zusammschluß zahlreicher Organisationen aus dem Umwelt- und Sozialbereich in Costa Rica, hat eine drastische Reduktion bei der Anwendung von Plagiziden auf den Bananenplantagen gefordert. Die verschiedenen eingesetzten chemischen Mittel haben schwerwiegende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. „Wir kennen viele wissenschaftliche Untersuchungen, die eine verbreitete Vergiftung belegen“, so Sonia Astorga von Nicht- Regierungsorganisation „El Productor“, die im Foro Emaus mitarbeitet. Eine im Februar veröffentlichte Studie der Nationaluniversität wies beispielsweise drei Fungizide in dem Fluß Rio Suerte und in den Kanälen des Nationalparks Tortuguero nach. Die Chemikalien werden vom Flugzeug aus über den Bananenplantagen versprüht. Ebenso wurden in den genannten Gewässern Nematozide (Wurmbekämpfungsmittel) und Insektizide gefunden, die zum Schutz der Bananenstauden verwendet werden. Die Mittel sind zum Teil für das Leben im Wasser höchst giftig.

„Uns sorgen ebenso die Vergiftungen der Bananenarbeiter aufgrund der Plagizide“, erklärt Luis Alvanado, einer der Mitbegründer des Foro Emaus. Das costarikanische Gesundheitsministerium hat 444 Fälle in den zurückliegenden zwei Jahren verzeichnet, in denen es auf den Bananenplantagen Vergiftungen am Arbeitsplatz gab. Ende vergangenen Jahres kam ein 18jähriger auf einer Finca in Sixaola nach dem Kontakt mit einem Nematozid ums Leben. Nach den Daten des Ministeriums verursachte das Wurmbekämpfungsmittel „Carbofuran“ die meisten Unglücksfälle (125). Es folgen das Herbizid „Paraquat“ (115 Fälle), sowie die Wurmbekämpfungsmittel „Terbufós“ und „Fenamifos“ (73 bzw. 35 registrierte Vergiftungen). In Deutschland und anderen Ländern ist zum Beispiel das Herbizid „Paraquat“ wegen seiner hohen Toxität ganz verboten.

Das Foro Emaus klagt die Nachlässigkeit des Staates an: „Es gibt 14 Fälle von minderjährigen Arbeitern, die Vergiftungen erlitten, obwohl das Gesetz verbietet, das Jugendliche Plagizide anwenden. Es sind keine Informationen bekannt, daß der Staat gegen diese Bananenunternehmen, die das costarikanische Gesetz verletzen, Maßnahmen ergriffen hat.“ Oft erleidet ein vergifteter Arbeiter nicht nur Gesundheitsschäden. Für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit wird ihm zudem noch die Lohnfortzahlung verweigert. Das Foro Emaus fordert eine Transformation der Bananenproduktion, so daß die Schäden auf ein geringstmögliches Maß reduziert werden. Seinen Vorschlägen nach sollten auf jeder Finca elektrostatische Kameras installiert werden. Das Foro tritt dafür ein, die mit Insektiziden besprühten Plastikfolien, die über die Früchte der Bananenstaude gestülpt werden, zu ersetzen, sowie die Wurmbekämpfungsmittel zu reduzieren und die Herbizide zu verbieten.

HONDURAS

Mord an Bananengewerkschafter

(Mexiko-Stadt, 13. Mai 1998, Poonal).- Medardo Varela, Führer der honduranischen Bananenarbeiter, die durch Pestizide geschädigt wurden, ist ermordet worden. Er hatte die Proteste gegen die Unternehmen „Castle“ und „Chiquita Brands“ geleitet, mit denen eine Entschädigung erreicht werden sollte. Die Bananenkonzerne hatten das hochgiftige Mittel Nemagón auf den Plantagen angewendet. Zahlreiche Arbeiter wurden durch den Kontakt mit dem Gift steril. Der Mord an Varela ist symptomatisch. In den letzten fünf Jahren sind etwa 70 Männer und Frauen von honduranischen Volksbewegungen umgebracht worden, ohne daß die staatlichen Behörden eine Aufklärung der Taten erreicht hätten.

GUATEMALA

Hochrangige Kommission sollen Bananen-Konflikt lösen

(Puerto Barrios, 6. Mai 1998, cerigua-Poonal).- Der Arbeitskonflikt auf den Bananenplantagen in der Provinz Izabal könnte nach monatelangen Auseinandersetzungen einer Lösung näher gekommen sein. Mit einer 15stündigen Straßenblockade setzten Arbeiter durch, daß eine hochrangige Kommission sich mit dem Problem beschäftigt. Arbeitsminister Hector Cifuentes flog in die Provinz und unterzeichnete eine entsprechende Vereinbarung. Danach werden neben Cifuentes auch der Innenminister, der Generalstaatsanwalt, Repräsentanten der Arbeiter und Arbeitgeber sowie der UNO-Mission zur Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala die Kommission integrieren. Die Gespräche soll der staatliche Menschenrechtsbeauftragte moderieren. Eine gemeinsame Gruppe aus Polizisten und Mitgliedern der Menschenrechtsbehörde soll die Bewegungsfreiheit der Arbeiter garantieren. Diese berichten über vom Plantagenbetreiber angeheuerte Pistoleros.

Der Konflikt zielt in erster Linie auf die Situation der 300 Arbeiter der Plantagen Alabama und Arizona, die fristlos entlassen wurden, nachdem sie sich gewerkschaftlich organisieren wollten. Er hatte jedoch auch Auswirkungen auf benachbarte Bananenfincas. Deswegen sind ebenfalls Vertreter der Bananenkonzerne Cobigua, Bandegua und Cogsa zu den vorgesehenen Treffen eingeladen. Victor Manuel Häussler, der Betreiber von Alabama und Arizona, verkauft die Bananenernte von Cobigua, eine Filiale des Multis Chiquita Brands. Als offiziell unabhängiger Produzent ist er nicht verpflichtet, gewerkschaftlich organisierte Arbeiter von Cobigua zu beschäftigen.

Ähnliche Konstruktionen und Konflikte gibt es den Bananenplantagen Mopa, Panorama und Paraiso in der Region. Diese sind im Besitz von Bandegua, einer Filiale von Del Monte Fresh Produce, werden aber nicht von Bandegua verwaltet. Auf der Finca Paraiso schoß ein Sicherheitsposten auf zwei Arbeiter und verwundete sie. Der Haftbefehl gegen ihn wird nach Aussagen der Arbeiter nicht vollzogen. Passend zum Konflikt erschien in der US-Zeitschrift „Cincinnati Enquirer“ ein Bericht über die Arbeitspraktiken von Chiquita Brands. Darin wird unter anderem die Äußerung eines Konzernanwalts zur Situation in Guatemala wiedergegeben. „Unsere Strategie ist es, als erstes zu antworten, daß Cobigua nicht unsere Filiale ist, nur einer unserer uns verbundenen Produzenten. Diese Position müssen wir öffentlich einnehmen.“

Mehr Möglichkeiten für Gewerkschaften und ArbeiterInnen

(Guatemala-Stadt, 6. Mai 1998, cerigua-Poonal).- Um das Friedensabkommen vom Dezember 1996 zu erfüllen, änderte das guatemaltekische Parlament fünf Artikel des Arbeitsgesetzes. Die Reform soll die Gründung von Gewerkschaften erleichtern, besseren Schutz für die Arbeiter*innen gewährleisten und für die Bestrafung der Arbeitgeber sorgen, wenn sie Arbeitsstandards verletzen. Die UNO-Mission MINUGUA in Guatemala begrüßte zwar die vorgenommenen Änderungen, ließ jedoch durchblicken, sie seien nicht vollständig genug. So sei beispielsweise die Empfehlung ignoriert worden, die Bestimmungen über die Landarbeitervereinigungen zu reformieren.

MITTELAMERIKA

Schulen und Kindheit sind nur ein Traum – Hunderttausende

Minderjährige müssen arbeiten

Von Iván Castro

(San Salvador, Mai 1998, npl).- Maria stochert jeden Tag zwischen Tonnen von Müll herum, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Ihre Eltern nahmen sie mit auf die Abfallhalden am Rand der Hauptstadt El Salvadors, als sie sechs Jahre alt war. Dort lernte sie die Kunst des Überlebens. „Auf dem Müllplatz bin ich aufgewachsen“, versichert die kleine, dunkelhäutige Frau. Mit ihren gerade 18 Jahren ist sie bereits Mutter von drei Kindern. Seit mehreren Jahren inhaliert sie Industriekleber und benutzt Beruhigungspillen, um einer Realität aus Schutt und Abfall auszuweichen, die sie täglich mit der Armut konfrontiert. Eine wirkliche Kindheit hat sie nicht gehabt.

Wie Maria sind mehr als eine Million Kinder in Mittelamerika gezwungen, verschiedenste Arbeiten anzunehmen. Allein in El Salvador mit seinen knapp 6 Millionen Einwohnern gibt es laut der staatlichen Menschenrechtsbehörde etwa 300.000 arbeitende Kinder. Im Nachbarland Guatemala sind es noch wesentlich mehr, in Honduras kommt die Zahl der arbeitenden Minderjährigen auf 240.000. Selbst im wirtschaftlich in Mittelamerika am besten dastehenden Costa Rica müssen ungefähr 130.000 Kinder unter zumeist schwierigen und ausbeuterischen Bedingungen ihre Arbeitskraft verkaufen. Am gefährlichsten ist die Kinderarbeit den Statistiken nach in El Salvador, Honduras und Guatemala – sei es in der Landwirtschaft, in den Minen, auf dem Bau oder auf der Straße.

Zu den besonders risikoreichen Tätigkeiten gehört auch das Müllsammeln. In San Salvador und anderen Städten stöbern die Kinder zwischen den Abfällen nach verkaufbarem Abfall wie Papier, Glas und Metall und auch nach Eßbarem – wobei ihnen die Aasgeier das Terrain streitig machen. Laut einer Studie der Universität von El Salvador sind 65 Prozent der „Pepenadores“, der Müllsammler, zwischen 5 und 18 Jahre alt.

Derzeit findet parallel auf den verschiedenen Kontinenten der „Weltweite Marsch gegen die Kinderarbeit“ statt. Er endet am 30. Mai in Genf. An diesem Datum hält die Internationale Arbeitsorganisation dort eine Sitzung zum Thema ab. Der Marsch hat auch auf seinem Weg durch den iberoamerikanischen Isthmus die Diskussion über eine alte Problematik neu entfacht. Viele meinen, die harte Wirklichkeit, der Maria und andere Kinder gegenüberstehen, müßte völlig verschwinden. Andere dagegen verweisen darauf, angesichts der Armut und Margination der Mehrheit der mittelamerikanischen Bevölkerung sei es unmöglich, die Kinderarbeit abzuschaffen. Sie richten ihre Anstrengungen darauf, die Arbeitsbedingungen für die Kinder zu verbessern.

Walter Alarcón, Regionalberater von UNICEF in Mittelamerika, stellt die offizielle Position seiner Behörde dar: „Nein zur Kinderarbeit, denn die Kinder müssen in der Schule sein.“ Er gibt allerdings zu, niemand könne sich vorstellen, daß „dieses Problem mit sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wurzeln von einem Tag auf den anderen verschwindet“. Die UNICEF möchte risikoreiche Arbeiten für die Minderjährigen unter 18 Jahren ganz verhindern, Kinder unter zwölf Jahren sollten den Vorstellungen der UNO- Behörde nach überhaupt nicht auf den Arbeitsmärkten in Erscheinung treten.

Nicht-Regierungsorganisationen – in El Salvador beispielsweise die Stiftungen „Olof Palme“ und „Procipotes“ – sprechen sich eher dafür aus, für mehr Rechte der Minderjährigen zu kämpfen. Sozialversicherung, alternative Bildungsmöglichkeiten, halber Arbeitstag, Ruhepausen, Arbeitsgarantien und ein Lohn, wie er den Erwachsenen als Minimum garantiert wird, sind ihre Forderungen. Nur „diejenigen Arbeiten, die den Entwicklungsprozeß der Jungen und Mädchen stören, müssen abgeschafft werden“, meint Ricardo Quiñonez von der der Palme-Stiftung. Ähnlich sieht es Anabella Henríquez von der staatlichen Menschenrechtsbehörde in El Salvador. Es gehe nicht darum, Kinderarbeit generell zu unterbinden. Die Kinder müßten neben den Angeboten für sie auch die Möglichkeit haben, ihre Familie wirtschaftlich zu unterstützen.

Der 13jährige Bernardo Alfaro, der 20 Kilometer südwestlich von El Salvador lebt, hatte keine Wahl. In der achten Klasse blieb ihm nichts anderes übrig, als die Schule mit der harten Arbeit in der Landwirtschaft zu vertauschen. Er spricht von sich und seinen Altersgenossen in der dritten Person. „Wenn die Kinder den Willen haben, können sie arbeiten.“ Aber in einer deutlichen Anspielung auf die reale Situation sagt er: „Die Chefs dürfen sie nur nicht zwingen, mehr zu machen, als sie schaffen können. Besser wäre es, lernenzu können.“ Für Bernado, für die 18jährige Maria und für viele andere Kinder in Mittelamerika wird das ein unerfüllter Traum bleiben.

PARAGUAY

Colorado Partei gewinnt erneut die Wahlen – Bitterer Beigeschmack

durch Stimmenfälschungen

(Mexiko-Stadt, 12. Mai 1998, Poonal).- Ein in seiner Deutlichkeit überraschendes Ergebnis sichert der herrschenden Colorado Partei in Paraguay für weitere fünf Jahre die Regierung. Nach den jüngsten Angaben erreichte ihr Kandidat Raúl Cubas etwa 54 Prozent der Stimmen für das Amt des Präsidenten. Sein Gegner Domingo Laíno, dem vor der Wahl durchaus Siegchancen eingeräumt wurde, kam auf enttäuschende 42 Prozent. Er gestand seine Niederlage im Fernsehen ein. Allerdings gibt es zahlreiche Hinweise auf Wahlbetrug in nicht unerheblichem Umfang, der das Endresultat verzerrt. Im Parlament werden die Colorados – der offizielle Parteiname ist Nationales Republikanisches Bündnis (ANR) – ihre absolute Mehrheit behalten. Bis zum Amtsantritt des neuen Regierungskabinetts in einigen Monaten sind Überraschungen nicht ausgeschlossen. Hinter den Kulissen werden sich die Gewinner über eine Verteilung von Machtquoten einigen müssen. Die Partei ist in drei große Strömungen geteilt, die sich zum Teil erbittert bekämpfen. Ein zentraler Punkt wird die Behandlung des Falles von General Oviedo sein. Wahlsieger Cubas hat angekündigt, den zu zehn Jahren Haft verurteilten Putschisten, den er kurzfristig als Präsidentschaftskandidat ersetzte, sobald wie möglich zu amnestieren und ihm sogar einen Kabinettsposten anzubieten. Damit sind Spannungen vorprogrammiert, zumal jetzt schon viele Oviedo als heimlichen Präsidenten ansehen. Auf der Oppositionsseite beendet das unerwartet schlechte Abschneiden wahrscheinlich die politische Laufbahn des 62jährigen Laíno.

BOLIVIEN

Cocaleros weiterhin im Widerstand

(El Chapare, 11. Mai 1998, pulsar-Poonal).- Nach dem erneuten Scheitern der Verhandlungen mit der Regierung haben die bolivianischen Cocaleros geheime Schutzmaßnahmen für ihre Pflanzungen und offene Protestaktionen angekündigt. Ihr Anführer, der Abgeordnete Evo Morales, bekräftigte noch einmal, daß inzwischen Selbstverteidigungskomitees gegründet seien, die die Zerstörung der Kokafelder durch Polizei und Militär verhindern wollten. Er sprach sich allerdings auch für weitere Vermittlungsversuche der Katholischen Kirche aus.

ECUADOR

Nein zum Vielnationenstaat

(Quito, 8. Mai 1998, pulsar-Poonal).- Die Verfassunggebende Versammlung hat beschlossen, Ecuador nicht als Vielnationenstaat zu definieren. Die Mehrheit der Abgeordneten begründete dies damit, die Menschen seien nicht darauf vorbereitet, das Land nicht als eine einzige Nation anzuerkennen. Dagegen bedauerten die Vertreter*innen der Indígena-Organisation „Pachakútic-Nuevo Pais“ die Entscheidung ihrer Kolleg*innen. Nina Pacari erklärte, es seien nicht die Ecuadoreaner*innen allgemein, sondern die Politiker*innen, die nicht vorbereitet seien, Ecuador als ein Territorium zu sehen, in dem verschiedene Nationen leben. Die Indígena- und Schwarzenorganisationen würden den Beschluß der Versammlung jedoch demokratisch akzeptieren. Früher oder später würde die Plurinationalität des ecuadoreanischen Staates anerkannt werden. Der relativ schwache Protest der Indígena-Abgeordneten, deren Bewegung entsprechende Forderungen seit Jahren erhebt, ist der aktuellen politischen Situation zuzuschreiben. Sie wollen nicht, daß die Verfassungsversammlung durch interne Dispute an Gewicht verliert. Diese befindet sich im Streit mit Ecuadors Präsident und Regierungschef Fabian Alarcón und dem Kongreßvorsitzenden Heinz Möller. Beide wollen nur die Beschlüsse der Versammlung anerkennen, über die vor dem 1. Mai 1998 abgestimmt wurde. Zu diesem Zeitpunkt sollte die Arbeit der Versammlung ursprünglich abgeschlossen sein. Die Abgeordneten verlängerten die Sitzungszeit gegen den Willen der Regierung.

ARGENTINIEN

Mutter wegen Kindesenteignung unter der Diktatur verurteilt

(Buenos Aires/Montevideo, 8. Mai 1998, comcosur-Poonal).- Ein argentinisches Gericht verurteilte Marta Leiro zu drei Jahren Haft auf Bewährung. Leiro wird zur Last gelegt, sich ein Baby uruguayischer Eltern angeeignet zu haben. Das Kind war während der argentinischen Militärdiktatur in einem Lager für politische Häftlinge geboren worden. Die verhafteten Eltern Julio César D'Elía und Yolanda Casco „verschwanden“ am 22. Dezember 1977. Der kleine Junge, als Pozo de Banfield bekannt, wurde von einem Mitglied des Marinegeheimdienstes entführt, das inzwischen gestorben ist. Die Strafe traf daher jetzt dessen mitbeteiligte Ehefrau. Das Gericht ordnete ebenfalls die Verhaftung des Polizeiarztes Jorge Bergés wegen Falschaussage an. Der Arzt war bei der Geburt des kleinen Jungen im Lager anwesend. Die Entscheidung des Gerichtes ist für die argentinische Justiz ein wichtiger Präzedenzfall.

VENEZUELA

Menschenrechtsorganisationen wollen OEA in die Pflicht nehmen

(Caracas, 12. Mai 1998, alc-Poonal).- Die Menschenrechtsorganisationen des Kontinents fordern von der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA), auf ihrer nächsten Versammlung im Juni 1998 in Venezuela eine Interamerikanische Erklärung zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger*innen anzunehmen. Ziel ist es, die Welle von Morden und Gewalttätigkeiten gegen Menschenrechtsaktivist*innen in den verschiedenen Ländern der Region zu stoppen. Zu den jüngsten Opfern gehörten der guatemaltekische Bischof Juan Gerardi und der kolumbianische Anwalt Eduardo Umaña.

Ein vorläufiges Dokument wurde von der peruanischen Menschenrechtskoordination CONADEH ausgearbeitet und den Organisationen in den anderen lateinamerikanischen Ländern vorgelegt. Darin heißt es, daß die Mehrheit der Länder der Region zwar derzeit unter demokratischer Herrschaft stehe, aber „weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden und die Straffreiheit im größten Teil unserer Staaten fortbesteht“. Die Organisation Amerikanischer Staaten müsse die „unauflösbare Beziehung“ zwischen Demokratie, Entwicklung und Menschenrechten bekräftigen. Daher sei es „unabdingbar, die Gesamtheit der den Bürger*innen zugestandenen politischen Rechten zu erweitern“. Heftigen Protest erheben die lateinamerikanischen Menschenrechtsorganisationen gegen die Pläne die Interamerikanische Menschenrechtskommission und den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof zu fusionieren. Damit einhergehend gibt es das Vorhaben, die Zulassung von Fällen zu erschweren und die Entscheidungen weniger öffentlich zu machen.

BRASILIEN

Bestandsaufnahme der Politik, Teil I

Von Paulino Montejo

(Brasilia, Mai 1998, alai-poonal).- Der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso hat laut Einschätzung von Spezialist*innen verschiedener Meinungsforschungsinstitute gute Chancen, im Oktober 1998 bereits im ersten Wahlgang wiedergewählt zu werden. Denn die Bevölkerung scheint die momentane ökonomische Stabilität und damit einhergehend einen Kandidaten mit administrativer Erfahrung zu unterstützen. Das Recht, sich einer Wiederwahl zu stellen, geht auf eine Verfassungsänderung von 1997 zurück, die aufeinanderfolgende Mandate für die Präsidentschaft und die Gouverneursposten der Bundesstaaten zuläßt.

Der vorausgesagte Sieg wird ohne große Hindernisse zu erreichen sein, es sei denn, die Kandidatur und das Programm des Linken Bündnisses – zusammengesetzt aus der ArbeiterInnenpartei (PT), der Demokratischen Arbeitspartei (PDT), der Sozialistischen (PSB) und der Kommunistischen Brasilianischen Partei sowie der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB)) konsolidiert sich noch. Der gemeinsame Kandidat dieser Parteienallianz, Luis Ignácio LULA da Silva von der PT, kämpft bereits das dritte Mal um die Präsidentschaft. 1989 erreichte er die Stichwahl gegen Collor de Mello, 1994 verlor er in der ersten Runde gegen Cardoso.

Die Wiederwahl wird für Cardoso auch dann relativ leicht, wenn die unerfüllten Forderungen der Bevölkerung, wie Arbeitsplätze, Gesundheit, Bildung und Öffentliche Sicherheit, bis zu den Wahlen das Faß nicht zum Überlaufen bringen. Massive Mobilisierungen mit dem Ruf nach radikalen Änderungen, die die sozialen Lücken des aktuellen Modells schließen, sind durchaus nicht auszuschließen.

Überraschungen vermeiden und „keine Leichen produzieren“

Der soziale Druck, der sich insbesondere in den zahlreichen Aktionen der Landlosenbewegung (MST), steigt – folgt man einer von der Regierung selbst in Auftrag gegebenen Analyse. Obwohl vor kurzem zwei ihrer nationalen Führer im Bundesstaat Pará ermordet worden sind, macht die MST mit den Landbesetzungen weiter. Allein in der letzten Märzwoche wurden in der Region um Pernambuco 27 brachliegende Ländereien besetzt.

Auch fürchtet die Adminstration Cardoso die ständig zunehmenden Streiks, die Besetzungen öffentlicher Einrichtungen und die Demonstrationen, die vor allem von Universitätsprofessoren, Wohnungslosen, Pensionär*innen und anderen Organisationen der Volksbewegung ins Leben gerufen werden. Hinzu kommen die Landbesetzungen durch die indigenen Gemeinden.

Die offizielle Marschroute ist momentan, =84keine Leichen zu produzieren“, die dann als Märtyrer dienen könnten. So bietet die nationale Regierung den regionalen Regierungen kontinuierliche Informationen über die sozialen Bewegungen an, um Überraschungen zu vermeiden, die dem möglicherweise überschätzten Vorsprung im Rennen um die Präsidentschaft schaden. Aus der Regierungsoptik geht es bei den sozialen Kämpfen nicht um die Sache, sondern um politischen Nutzen für den Oppositionskanditaten.

Diese Besorgnis ist nicht rein zufällig entstanden. Das Institut Vox Populi und die Nationale Vereinigung des Transportwesens haben zwischen dem 14. und 18. März dieses Jahres eine Umfrage über die Zufriedenheit der Bevölkerung durchgeführt, deren Ergebnisse hohe Aufmerksamkeit erregt haben. Für eine Mehrheit der Befragten besteht das Hauptproblem des Landes in der Arbeitslosigkeit. Gar 72 Prozent meinen, die Regierung würde weder für die Arbeitslosigkeit noch für andere Probleme Lösungen suchen, wie beispielsweise die hohen Steuern, Defizite im Gesundheitswesen, Betreuung der Ruheständler*innen, Eindämmung der Armut und Gewalt. Nach Ansicht von 48 Prozent nimmt die Straffreiheit zu, während für 61 Prozent dasselbe für die Korruption zutrifft. 41 Prozent vertrauen der Justiz überhaupt nicht und 39 Prozent nur in geringem Maße. Schließlich glauben 36 Prozent, daß die Zufriedenheit der Brasilianer*innen mit der Situation in ihrem Land abnimmt, wohingegen sie nach Meinung von 15 Prozent eher wächst. Für 53 Prozent stagniert die Entwicklung des Landes, für 19 Prozent ist sie sogar rückläufig.

Blamable Torheit

Die Regierung Cardoso ist letztendlich aufgrund politischer Mißgriffe in Verruf geraten, die ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Vor allem betrifft das die nicht eingelösten Wahlversprechen und eine Reihe von Fehlern, die das Bild eines ehrbaren und laut Bevölkerungsumfragen fähigen Regierungschefs ins Wanken geraten lassen.

Hinzu kommen die Schlappen in der Gesundheitspolitik, die zu einem immer größeren Unmut in der Bevölkerung führen. Nicht nur Aids und Krebs gilt es zu begegnen. Brasilien wird am Ende des Jahrhunderts wieder von Epidemien wie Masern, Tuberkulose, Lepra, Malaria, Dengue- und Gelbfieber geplagt – von denen einige bereits der Vergangenheit zugeschrieben wurden. Dies in einem Land, das durchaus über die zur Bekämpfung notwendigen Technologien verfügt.

Ein weiterer Minuspunkt für die Regierung war die nur zögerliche Unterstützung des Bundesstaates Roraima bei der Bekämpfung der gigantischen Waldbrände im April, für die auch keine internationale Hilfe zugelassen werden sollte. Die Brände verwüsteten einen großen Teil der Savanne und des tropischen Amazonaswaldes in Roraima, wodurch die Lebensgrundlage der kleinen Landwirte und indigenen Gemeinden in Gefahr geraten ist. Die dort lebenden Macuxi und Yanomami zählen zu den ältesten unter den bekannten indigenen Völkern.

Die Ernennung des Mediziners und Brigadegenerals Ricardo Agnese Fayad zum Vizegesundheitsdirektor des Verteidungsministeriums hat ebenfalls zum Verschleiß der Regierung beigetragen. Agnese Fayad wird von ehemaligen politischen Gefangenen, Menschenrechtler*innen und verschiedenen Institutionen beschuldigt, an Folterungen unter dem Militärregime beteiligt gewesen zu sein. Aufgrund des großen Drucks durfte er seinen neuen Posten nicht antreten.

Das aktuellste politische Dabakel war jedoch die Ministerialreform, die einigen Ministen die Entlassung von ihren Ämtern ermöglichen sollte, um als Abgeordnete, Senatoren oder Gouverneure bei den nächsten Wahlen zu kandidieren. Diese, von einigen Medien als plump bezeichnete Reform hat gezeigt, wie stark Cardoso unter dem Druck der Interessen der Eliten und konservativsten Sektoren des Landes steht.

Der brasilianische Präsident ließ keine noch so primitive Form der Pfründeverteilung aus, um sich die Unterstützung durch den Kongreß und für die Präsidentschafts- und Regionalwahlen zu sichern. Denn seine Verbündeten stritten wie Raubvögel um die guten Posten – immer mit der Drohung, der Regierung die Unterstützung zu entziehen oder Reformen nicht mitzutragen. Nicht zufällig gehören sie insbesondere Parteien an, die – obwohl sie ihr =84Siegel“ gewechselt oder sich einen modernen Anstrich gegeben haben – immer noch den Stempel der von ihnen gestützten Militärdiktatur und der umstrittenen Regierungen von José Sarney und Collor der Mello tragen. Das Geschäft mit Betrug und Einfluß ist in diesen Parteien an der Tagesordnung. Dazu zählen die Partei der Liberalen Front (PFL), die Progessive Brasilanische Partei (PPB), die Brasilianische Arbeiterpartei (PTB), die Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB) und die sozialdemokratische Regierungspartei selbst (PSDB).

Oppositionsbündnis bleibt intakt

(Sao Paulo, 11. Mai 1998, pulsar-Poonal).- Nur die Rücktrittsdrohung von Luiz Inacio da Silva rettete das Oppositionsbündnis für die Präsidentschaftswahlen im Oktober vor dem Bruch. „Lula“ erreichte ein Einlenken seiner PT in Rio de Janeiro. Die dortige Parteiführung hatte auf einem eigenen Kandidaten für das Gouverneursamt bestanden. Damit wandte sie sich offen gegen eine Absprache zwischen Lula und Leonel Brizola, einem anderen politischen Schwergewicht der Opposition. Der im Falle eines Wahlsieges von Lula als Vizepräsident vorgesehene Brizola will in der Provinz Rio de Janeiro einen seiner Vertrauten an die Regierung bringen. Die PT zog nach längerem Streit ihren Kandidaten zurück.

CHILE

Schicksal von Häftlingen in der Colonia Dignidad mahnt zur Eile –

Chilenische Polizei beendet Besetzung der Deutschensiedlung

Von Leonel Yanez

(Santiago de Chile, 6. Mai 1998, npl).- Was der chilenischen Polizei und Justiz bisher nicht gelang, soll nun mit Hilfe der UNO erreicht werden: Das Schicksal der politischen Gefangenen aufzuklären, die zu Zeiten der Militärdiktatur von Augusto Pinochet nach 1973 in die umstrittene Deutschensiedlung Colonia Dignidad verschleppt wurden. Anfang dieser Woche (am 5.5.) bat Gladys Marin, Vorsitzende der kommunistischen Partei Chiles, in Genf das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte um eine sofortige „Rettungsaktion“. Abgeordnete der Regierungskoalition von Präsident Eduardo Frei forderten, schnell und mit aller Härte gegen die Siedlung vorzugehen, deren Anführer Paul Schäfer seit 1996 unter anderem wegen Kindesmißbrauchs mit Haftbefehl gesucht wird.

Viele vor über 20 Jahren Verschwundenen sollen sich heute „lebend auf dem Gelände der Colonia Dignidad“ befinden, alarmierte Justizsprecher Humberto Lagos Ende April die Öffentlichkeit. Zuvor hatten Bewohner der benachbarten Kleinstadt Parral ausgesagt, auf Fotos, die im Innern der Kolonie gemacht wurden, totgeglaubte Verwandte in Arbeitskluft wiedererkannt zu haben.

Lagos erklärte, aus Unterlagen des früheren Geheimdienstes DINA gehe hervor, daß rund hundert zu Pinochet-Zeiten Festgenommene in die Deutschensiedlung verbracht wurden. Unter ihnen seien neben Oppositionellen viele Minenarbeiter des Kohlenreviers Lota gewesen. „Möglicherweise wurden sie gezwungen, Tunnel zu graben und auch das spätere Versteck von Schäfer auszuheben,“ vermutet der Rechtsanwalt.

40 Tage lang hielten chilenische Polizisten das Siedlungsgelände von 13.000 Hektar in Süden des lateinamerikanischen Landes besetzt. Sie entdeckten ein ausgedehntes Tunnelsystem, elektronisch gesicherte Zäune und verhörten Bewohner. Den gesuchten Sektenchef Paul Schäfer fanden sie nicht. Der 77jährige stammt aus Rheinland-Pfalz und gründete 1961 die Siedlung, in der sich hauptsächlich Deutsche ansiedelten. Getarnt als wohltätige Einrichtung errichtete Schäfer eine von der Außenwelt abgeschlossene Enklave mit sektenähnlichen Strukturen. Am 3. Mai wurde die Durchsuchung beenden, doch die Suche nach Schäfer, der weiterhin in einem unterirdischen Versteck oder in Argentinien vermutet wird, soll fortgesetzt werden.

Bereits Ende der 60er Jahre interessierten sich Gerichte für die Vorgänge in der Deutschensiedlung. Auch unter Präsident Salvador Allende gab es 1972 Ermittlungen, die jedoch ebenfalls im Sande verliefen. Anfang der 90er Jahre kritisierte die Regierung Chiles die Kolonie als „Staat im Staate“, während die rechte Opposition sie als „wohltätige Einrichtung für Arme“ verteidigte. Unbestritten sind die guten Kontakte zum Pinochet-Regime: Die Agrarprodukte der Siedler wurden über die chilenische Supermarktkette „Las Brisas“ vertrieben, die der Ehefrau des Ex- Diktators, Lucia Hiriat, gehört.

Ein Sprecher der chilenischen Gemeinde in Chile bezeichnete die Existenz einer solchen Siedlung als „beschämend“. „Sie ist Teil der Straffreiheit“ für diejenigen, die die Menschenrechte verletzt haben. Der deutsche Emigrant Heinz Kuhn, der 1968 aus der Colonia Dignidad flüchten konnte, beschreibt die Zustände auf dem Gelände als Gefängnis: „Dort darf niemand sprechen, niemand kritisiert etwas, alle Bewohner sind Gefangene.“ Ein sympathischer Baptistenpfarrer, erzählt Kuhn in einem Interview, habe ihn 1961 in seinem Heimatdorf angesprochen. Sie seien Freunde geworden, wenig später lernte er Schäfer kennen. „Alles war sehr geheim, es galt als Privileg, zu den Leuten von Schäfer gezählt zu werden.“ Kurz darauf ging er nach Chile und lebte sieben Jahre in der Sekte.

Humberto Lagos erklärte, die Justiz werde alles tun, die Mysterium der Colonia Dignidad möglichst bald aufzuklären. Bezüglich der Festnahme von Schäfer rechnet der Justizsprecher mit Gewalttaten. Entweder werde er sich einer Festnahme bewaffnet widersetzen oder „wie ein in die Enge getriebener Sektenchef zum kollektiven Selbstmord aufrufen“.

Mehr Totenfunde in Pisagua erwartet

(Pisagua, 11. Mai 1998, pulsar/comcosur-Poonal).- In dem Fischerort Pisagua geht die Suche nach den sterblichen Überresten von Opfern der Diktatur weiter. Einige Skelette sind bereits gefunden worden und werden untersucht. „Ganz Pisagua müßte umgegraben werden, um auf diese Weise viele der Verhafteten- Verschwundenen der Pinochet-Periode zu finden“, so der Anwalt Nelson Caucote, der die Familienangehörigen der Opfer vertritt. Die Grabungen begannen, nachdem der Senator Sergio Bitar von der Regierungskoalition über Zeugenaussagen berichtete, nach denen sich die Leichen von mindestens 150 Chilen*innen, die sich der Diktatur Pinochets widersetzten, in einem Massengrab in Pisagua befinden sollen.

Der mit dem Fall beauftragte Richter Jorge Gatica hat versichert, die Untersuchungen weiterführen zu wollen. Er beantragte bereits mehr Mittel, um auch unter Wasser nach Opfern suchen zu können. In diesem Zusammenhang gewinnen Aussagen des in Chile bekannten Tiefseetauchers Raúl Choque an Bedeutung. Dieser berichtete vor einigen Jahren, bei der Ausübung seines Sportes mehrere Leichen gesehen zu haben, die offenbar an Steinbrocken gefesselt im Meer versenkt wurden. In Pisagua leben heute etwa 200 Personen, die allesamt vom Fischfang leben. Der Ort befindet sich in der Nähe der Wüste von Atacama, 1.530 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt.

KUBA

Einheimischer Peso gegenüber US-Dollar erstaunlich stark – dennoch

nur begrenzte Freude

(Havanna, 11. Mai 1998, pl-Poonal).- Der US-Dollar ist in den Wechselstuben derzeit für 19 kubanische Pesos zu haben. Dies bedeutet eine langsame, jedoch ständige Aufwertung des Pesos in den vergangenen Monaten. Die Wochenzeitung „Trabajadores“ schätzt den Vorgang aber skeptisch ein. Er sei keinem bemerkenswerten Wachstum der kubanischen Produktion zu verdanken, sondern vielmehr „der Knappheit des Pesos und dem Überfluß an Dollar“. Zudem wirke sich der günstigere Wechselkurs vor allem auf die Preise der Produkte in den Devisenläden aus. Die Marktpreise in einheimischer Währung – entscheidend für den Großteil der Bevölkerung – blieben weitgehend unbeeinflußt.

HAITI

Ausland wird ungeduldig – auch deutscher Botschafter mault

(Port-au-Prince/Wiesbaden, 5. Mai 1998, haiti info-Poonal).- Der Vize-Generalsekretär der in der CARICOM zusammengeschlossenen Karibikstaaten, Orlando Marville, hat während eines Delegationsbesuches in Haiti Ende April die anhaltende Regierungskrise im Land kritisiert. Sie sei ein schwerwiegendes Handicap für die Integration Haitis in den karibischen Markt. Diese eventuelle Integration in den entstehenden gemeinsamen Markt der karibischen Staaten war der Anlaß des Besuches. Es ging um Handel, Kapitaltransfer und die haitianischen Zolltarife.

Auch der neue deutsche Botschafter in Port-au-Prince, Julius Georg Luy, führte sich mit Kritik an der politischen Situation ein. Er appellierte am 27. April an die Haitianer*innen, ihrer politischen Verantwortung nachzukommen, indem sie die Nominierung eines Premierministers ermöglichten. Die Vakanz bedeute einige Schwierigkeiten in der deutsch-haitianische Kooperation, so Luy. Bilaterale Abkommen würden verspätet unterzeichnet. Außerdem müßten die haitianischen Behörden Projekte als prioritär einstufen, bevor sie im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit angegangen werden könnten. Luy zeigte sich „sehr erfreut“ über die demokratischen Strukturen in Haiti, aber auch besorgt über den langen Weg, der noch notwendig, sei um diese Strukturen zu festigen.

Streit um einfacheres Abitur

(Port-au-Prince/Wiesbaden, 5. Mai 1998, haiti info-Poonal).- Das Bildungsministerium hat mit sein Vorhaben, die Abiturprüfungen kürzer zu gestalten, den Protest der Gewerkschaften hervorgerufen. Nach Meinung des Ministeriums sollen die Abiturient*innen nicht mehr in allen Fächern geprüft werden. Bei einigen Fächern soll ein Losverfahren entscheiden, ob es Prüfungsfach wird oder nicht. Welche Fächer letzendlich geprüft werden, soll einen Monat vor den Prüfungen festgelegt werden. Die LehrerInnengewerkschaften protestieren gegen den Vorschlag. Sie argumentieren, der Minister wolle nur von den wirklichen Problemen ablenken. Ein solches Verfahren würde das Ende des Schulsystems nach sich ziehen. Die Gewerkschaften machten erneut auf ihre Forderungen nach regelmäßiger Entlohnung der Lehrer*innen, verbesserte Arbeitsbedingungen und notwendigen Baumaßnahmen an den Schulen aufmerksam.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Peña Gómez gestorben

(Mexiko-Stadt, 12. Mai 1998, Poonal).- Wenige Tage vor einem wahrscheinlichen politischen Triumpf hielt er nicht mehr durch. Der schwer krebskranke Oppositionspolitiker José Francisco Peña Gómez starb 61jährig an einem Lungenversagen. Trotz des Abratens der Ärzte hatte er sich für die Parlaments- und Kommunalwahlen am kommenden Sonntag (16.5.) noch einmal als Bürgermeisterkandidat der sozialdemokratischen Revolutionären Dominikanischen Partei (PRD) in der Hauptstadt aufstellen lassen. Gómez prägte die Politik seines Landes fast vier Jahrzehnte lang, auch wenn er als Präsidentschaftskandidat dreimal scheiterte. Sein politischer Gegner, der Regierungschef Leonel Fernandez, ordnete eine dreitätige Staatstrauer an. Peña Gómez war einer der wenigen Scharzen, die in der Politik der Dominikanischen Republik eine wichtige Rolle spielten. Seine Opponenten wie Fernandez und vor allem der greise mehrmalige Präsident Balaguer nutzten wiederholt den verdeckten und offenen Rassismus in der Bevölkerung aus, um Gómez vor entscheidenden Wahlen zu diskriminieren.

DAS HAUS

Von Eduardo Galeano

Seit seiner Kindheit war er Mauerer gewesen. Mit 18 zwang ihn der Militärdienst, seinen Beruf zu unterbrechen.

Er wurde der Artillerie zugewiesen. Bei den Geschützübungen mußte er gegen ein leeres Haus mitten auf dem Feld schießen. Sie hatten ihm beigebracht, zu zielen, aber er brachte es nicht fertig. Brüllend wiederholten sie ihm den Befehl, aber er konnte nicht. Der Feldwebel packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn, forderte eine Erklärung von ihm. Er wollte sagen, daß ein Haus in die Erde versenkte Beine hat, ein Gesicht, Augen in den Fenstern, Mund in der Tür und im Innern die Seele derer, die es verließen, die es bauten und die Erinnerung, die die zurückließen, die es bewohnten. Das wollte er sagen, aber er sagte es nicht

Er sagte nur: „Ein Haus… ist ein Haus.“

Wenn er gesagt hätte, was er sagen wollte, hätten sie ihn für verrückt erklärt und erschossen. Das sagend, was er sagen, kam er in Haft.

An einem Herdfeuer im argentinischen Hochland, unter Freunden, erzählte Carlos Barbaresi diese Geschichte seines Vaters. Sie geschah in Italien, zu Zeiten Mussolinis.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 338 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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