Poonal Nr. 327

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 327 vom 19. Februar 1998

Inhalt


URUGUAY

PARAGUAY

ECUADOR

MEXIKO

GUATEMALA

COSTA RICA

NICARAGUA

HAITI

KUBA

LATEINAMERIKA/OSTASIEN


URUGUAY

Community Radios weiterhin im Visier der Staatsmacht

(Montevideo, 19. Februar 1998, comcosur-Poonal).- Ernesto Dehl, der Direktor der vom Verteidigungsministerium abhängigen Kommunikationsbehörde fährt schweres Geschütz gegen die Community Radios auf. Die „Piratenradios“, so erklärte er, würden eine Gefahr für die Sicherheit auf den Flughäfen darstellen. Ihre Übertragungen könnten mit der Kommunikation zwischen Flugzeugpiloten und den Flughäfen interferieren und ein Unglück provozieren. Dem Staat seien bisher die Hände gebunden: „Die einzige Strafe, die angewandt werden kann, ist die Beschlagnahme der Übertragungsausrüstung.“ Es gibt bereits einen Regierungsplan, mit dem strengere Strafen durchgesetzt werden sollen.

Die Koordination der Community Radios Uruguays reagierte mit einer Pressemitteilung, in der sie die Äußerungen Dehls ablehnt. „Die Koordination will ganz deutlich sagen, daß für jeden Unfall, der von der schlechten Regelung der Radiofrequenzen herrührt, einzig und allein das Verteidigungsministerium, die Kommunikationsbehörde und Herr Dehl selbst die Verantwortung tragen.“ Die Organisation beschuldigt die Behörde der Politik „Frequenzen beliebig, willkürlich und ungeordnet zu verteilen“ sowie des „unterdrückerischen Strebens, unsere Sender zu kriminalisieren statt wie in allen Teilen der Welt zu regulieren“. Die Community Radios hätten nachweislich eine nur geringe Reichweite. Als Antwort auf die Forderung, das gesetzliche Vakuum zu füllen, habe es „Gleichgültigkeit, mehr Unterdrückung und den erneuten Versuch“ gegeben, die Mitarbeiter*innen der Sender zu bestrafen.

Die Koordination der Community Radios bekräftigt „die Herausforderung weiter zum Nutzen unserer Stadtviertel und Volksorganisationen zu senden“. Die Erklärung ist von sieben Community Radios der Hauptstadt Montevideo sowie drei Radios aus dem Landesinneren unterschrieben. Im selben Sinne ist die Mitteilung von „Alternativa FM 97.5“, dem Community Radio aus dem Stadtviertel Belvedere abgefaßt. Darin wird die Wiederaufnahme der Übertragungen für den 9. März angekündigt: „… mit der von Anfang an verfolgten Absicht ein partizipatives, plurales, kreatives und unabhängiges Kommunikationsmedium zu sein“.

Trauriger Rücktritt

(Montevideo, 13. Februar 1998, comcosur-Poonal).- Der Vorsitzende des Zentralkomitees der Jüdischen Gemeinde in Uruguay, Pedro Sclofsky, ist offenbar zum Rücktritt gezwungen worden. Sein Schritt wird mit Äußerungen auf einem Presseemempfang im Dezember 1997 in Verbindung gebracht. Sclofsky hatte gegenüber der Presse die Forderung der Familienangehörigen Verhafteter-Verschwundener unterstützt, das Schicksal ihrer Verwandten unter der Militärdiktatur aufzuklären. Die Bibel zitierend versicherte Sclofsky „unsere Identifizierung mit den ethischen Prinzipien der jüdischen Tradtion, die den Respekt vor den dem menschlichen Wesen innewohnenden Rechten heiligt“. Er fügte damals hinzu, „den Begräbnisort der geliebten Nächsten zu kennen, ist eines dieser nicht unterdrückbaren Rechte“. Seine Äußerungen sorgten für erheblichen Wirbel. Der uruguayische Präsident Julio Sanguinetti, der Nachforschungen immer wieder abgelehnt hat, zeigte sich empört. Er ließ mehreren Kommunikationsmedien „empfehlen“, den Erklärungen Sclofskys „wenig Aufmerksamkeit“ zu schenken.

PARAGUAY

Der Machtkampf in der Colorado Partei – Interview mit dem

Menschenrechtler Hugo Valiente, Teil I

(Ascunción, Februar 1998, alai-Poonal).- Je näher die allgemeinen Wahlen vom 10. Mai dieses Jahres rücken, desto mehr gibt der umstrittene General im Ruhestand, Lino Oviedo, Anlaß zum Reden. Immer noch in Haft, versichert der Gewinner der Präsidentschaftskandidatur bei den internen Wahlen in der regierenden Colorado Partei, „das Volk wird die Dinge ins Lot bringen“, falls er vom Rennen um das höchste Amt im Staate ausgeschlossen werde. Der paraguayische Menschenrechtsverteidiger Hugo Valiente analysiert den Machtkampf innerhalb der Colorado Partei – seit 1947 an der Regierung – sowie Diskurs und Laufbahn Oviedos im Gespräch mit Eduardo Tamayo.

Welche Strömungen gibt es in der Colorado Partei?

Die Colorados erlebten eine tiefgehende Krise mit der Übergangszeit. Vom völligen Autoritarismus führte der Weg zu einem demokratischen Ambiente, in dem die Partei sich bei Wahlen anderen Kräften stellen mußte und das vor allem die internen Konflikte schürte. In der Colorado Partei gibt es derzeit drei äußerst starke Kräfte und sie befinden sich in einer Situation, die politische Beobachter*innen in Paraguay als katastrophenhaftes Patt bezeichnen. Denn keine dieser Kräfte kann sich gegen die andere durchsetzen ohne einen zerstörischen Prozeß zu verhindern.

Aber dazu wird es nicht kommen, diese Waffe ist in der paraguayischen Politik begraben. Ich glaube, sie werden zu einer (für alle drei beteiligten Seiten) vorteilhaften Verhandlung gelangen. Eine diese Strömungen stellt der durch (Präsident) Wasmosy angeführte Unternehmersektor dar. Es handelt sich um eine Gruppe von Ingenieuren und Fachkräften, die sich in den 70er Jahren bereicherten. Das war während der Strössner-Diktatur (1947- 1989) in der Zeit des Baus der zwei großen Wasserkraftwerke in Peru, die einen immensen Kapitalfluß mit sich zogen. Diese Gruppe häufte unvorstellbaren Reichtum an, geschützt durch die im Strössner-Regime herrschende Korruption. Diese Gruppe war auch ein Teil der regionalen Wirtschaftsmächte. vor allem aus Brasilien und auch aus den USA.

Auf der anderen Seite macht die Gruppe der alten Führer, der Caudillos und der mittleren Parteikader, auf sich aufmerksam. Sie verfügen über die Kontrolle des Parteiapparats, aber nicht über die wirtschaftliche Macht. Es handelt sich um die Bewegung der Colorado-Versöhnung, geführt von Luis María Argaña. Er hat den meisten Stallgeruch. Es wird vermutet, ohne daß es viele Beweise gibt, daß diese Gruppe sich ökonomisch auf das Geld der Strössner- Familie stützt.

Die dritte in der Partei zutage tretende Strömung ist schließlich die, die von General Oviedo repräsentiert wird (in der Nationalen Union dere Ethischen Colorados, UNACE). Im wesentlichen ist es eine Bewegung zurück, was die Neuartikulation der Allianz zwischen Streitkräften und Colorado Partei angeht. Denn mit dem Übergang war es mit der zuvor so klaren und absoluten Beziehung vorbei. Für beide Seiten hat das einen Machtverlust bedeutet.

Oviedo beherrscht den Umgang mit der Botschaft über die Rückkehr zu den alten Zeiten sehr gut, zur Zeit der Disziplin, der Ordnung. Ein Teil seiner Wahlversprechen stützt sich auf die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Kastration von Vergewaltigern. Und er gebraucht eine Reihe von Botschaften, die für das Wahlvolk der Colorados eine sehr starke Bedeutung haben. Beispielsweise sagt er: „Diejenigen, die jetzt nicht mit uns sind, werden auch nicht mit uns sein, wenn wir an der Regierung sind.“ Das heißt nichts anderes als Caudillismo. Die Partei, die öffentliches Vermögen als ihr persönliches Erbe vereinnahmt und benutzt. Diese Art Botschaft ruft heftige Erinnerung bei den Colorado-Anhänger*innen an die Epoche wach, in der sie die absolute Autorität waren.

Stößt die messianische Präsentation von Oviedo auf Sympathie in der Bevölkerung?

Mensch muß sehen, daß in Paraguay etwa 40 oder 45 Prozent der Wahlbevölkerung Mitglieder der Colorado Partei sind. Diese Partei war in den vergangenen 50 Jahren die einzige, die Stimme und Stimmrecht hatte. Sie wuchs maßlos auf dem Staat heraus, sie ist eine Partei, die vom Staat aus mit öffentlichem Geld konstruiert wurde. Diese autoritären Bestandteile zeigen sich, sie hatten einen großen Einfluß in der Bevölkerung, vor allem in der ländlichen und armen Bevölkerung. Deren ideologische Tendenz ist faschistisch. Das kann mensch nicht verleugnen, anderfalls hieß dies, einem groben Irrtum zu verfallen.

Welche gesellschaftlichen Kräfte unterstützen Oviedo?

Hauptsächlich die Campesinos. Er hat eine starke Basis in der Hälfte der Partei, die andere Hälfte ist eher Argaña treu. Da sich die Kontrolle des Parteiapparates nun einmal in den Händen von Argaña befindet, bildete Oviedo eine parallele Struktur, eine parallele Colorado Partei, um direkten Zugang zur Basis zu haben, ohne dabei auf die Kette örtlicher Parteiführer und Caudillos zurückgreifen zu müssen. Das geschieht mit einem großen Geldaufwand. Innerhalb der Colorado Partei werden beieindruckende Geldsummen bewegt.

Woher stammt das Vermögen von Oviedo, es ist von mehr als 100 Millionen Dollar die Rede?

Der Ursprung ist mit großer Wahrscheinlichkeit in der Korruption zu suchen. Oviedo hat eine Vergangenheit, die sehr eng mit dem General Andrés Rodríguez verbunden ist, dem inzwischen toten ersten Präsidenten der Übergangszeit (1989-1993), der Strössner stürzte. Politsche Gruppen, die paraguayische Justiz und die US- Drogenbekämpfungsbehörde DEA sagen ihm Beziehungen zum Drogengeschäft nach.

Oviedo war in der Zeit der Diktatur als junger Offizier persönlicher Sekretär von Andrés Rodríguez. Von daher rühren seine Verbindungen mit Teilen der Kokain- und Marihuanamafia, mit Teilen der chinesischen Mafia, Beziehungen mit dem Schmuggelhandel und vor allem wird er stark mit der Erpressung von Unternehmern in Verbindung gebracht. Die Militärs verfügen über einen sehr entwickelten Geheimdienst und eine Spitzentechnologie, die benutzt wird, um die Telefongespräche der Unternehmer abzuhören. So bekommen sie Beweise, wo Geschäfte unter dem Tisch stattfinden und können sie erpressen, damit sie an den Geschäften beteiligt werden.

ECUADOR

Abdalá Bucaram könnte kandidieren

(Quito, 17. März 1998, pulsar-Poonal).- Die Mehrheit der Nationalversammlung verwarf eine Resolution des Parlaments nach der abgesetzte Regierungsfunktionär*innen nicht mehr die Möglichkeiten haben sollten, als Kandidat*innen bei Wahlen anzutreten. Das Parlament hatte damit direkt auf Ex-Präsident Abdalá Bucaram gezielt, dessen Rückkehr ins politische Leben verhindert werden sollte. Der vor gut einem Jahr gestürzte Politiker befindet sich derzeit im panamaischen Exil. Die Abgeordneten der Nationalversammlung argumentierten, es dürfe keine so auf eine Person abgerichtete Gesetzgebung bestehen, selbst wenn es sich wie im Fall von Bucaram um nachgewiesene Korruption handele. Zudem bestünde keine Gefahr, daß der Ex- Präsident in die Politik zurückkehre. Die Verfassung verbiete die Kandidatur einer Person, gegen die ein Strafverfahren laufe. Bucaram erwarten in seinem Heimatland mehrere Dutzend solcher Prozesse. Dabei vergaßen die Abgeordneten jedoch, daß das Verbot nur ! dann gilt, wenn der Angeklagte verurteilt wurde oder sich das Verfahren in seiner Schlußphase befindet und alle Beweise vorgelegt worden sind. Alle Prozesse gegen den ehema ligen Präsidenten sind aber noch im Anfangsstadium. Nach dieser Interpretation stünde Bucaram die Kandidatur für ein Wahlamt offen. Allerdings nicht die für das Amt des Präsidenten. Dafür existiert ein weiteres Gesetz in Ecuador: Niemand darf in zwei aufeinanderfolgenden Wahlen für die Präsidentschaft antreten.

MEXIKO

Kampagne gegen ausländische BeobachterInnen

(Mexiko-Stadt/Montevideo, 19. Februar 1998, comcosur-Poonal).- Eine offensichtlich von der mexikanischen Regierung gesteuerte Kampagne gegen Ausländer*innen, die nach Chiapas reisen, hat in den vergangenen Tagen an Heftigkeit gewonnen. Die Aktionen richten sich in ersten Linie gegen Beobachter*innen, die die Menschenrechtssituation in dem Bundesstaat beurteilen, mit Nicht- Regierungsorganisationen zusammenarbeiten oder in den Friedenscamps der zapatistischen Gemeinden leben. Ihnen wird Einmischung in die inneren Angelegenheiten Mexikos vorgeworfen. Zu den offiziellen Kommentaren kommt die Unterstützung durch regierungsnahe Medien. Viele befürchten bevorstehende militärische Maßnahmen gegen die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), bei denen es keine lästigen Zeug*innen geben soll.

Es war Mexikos Präsident Ernesto Zedillo selbst, der der selektiven Fremdenfeindlichkeit den Weg bereitete. Er versicherte unter anderem, daß „diejenigen, die sich vom Ausland aus einmischen, nicht um zur Lösung des Konfliktes beizutragen, sondern um ihn als Kampfbanner aufrecht zu erhalten, sollten besser dafür arbeiten, die Ungerechtigkeiten in ihren eigenen Ländern zu beseitigen“. Die Äußerung war der Auftakt für eine Kampagne. Am Sonntag, 15. Februar, landete ein Hubschrauber des Fernsehsender Televisión Azteca – anschließend stellte er sich als Leihgabe der chiapanekischen Behörden heraus – ohne Vorankündigung auf dem Schulinnenhof der zapatischen Gemeinde La Realidad im Lakandonen-Urwald. Das Fernsehteam wurde aufgefordert, den Ort umgehend wieder zu verlassen.

Die verantwortliche Journalistin berichtete später von „Ausländern mit Walkie Talkies, die Englisch, Französisch und Deutsch“ sprachen und der einheimischen Bevölkerung Befehle gaben. Durch die vom Helikopter aus gefilmten Bilder wurde dies nicht belegt. Auf ihnen waren nur Mitglieder der Organisation „Friedensgürtel“ zu sehen, darunter mehrere Ausländer*innen. Die Kamera erfaßte auch den hellhäutigen und blonden mexikanischen Journalisten Herman Bellinghausen, der von Anfang an über den Konflikt in Chiapas berichtet hat und dafür mit dem – von ihm abgelehnten – nationalen Journalistenpreis ausgezeichnet wurde. Der den Bildern unterlegte Ton sugerierte, es handele sich auch bei ihm um einen sich einmischenden Ausländer.

Parallel dazu hat die mexikanische Migrationsbehörde in den vergangenen Wochen mehrere Ausländer*innen des Landes verwiesen, zuletzt zwei US-Bürger. Dem einen wurde vorgeworfen, im April 1dd7 an einer Demonstration teilgenommen zu haben, dem anderen, als Journalist tätig gewesen zu sein, obwohl im nur einen Touristenvisum erteilt wurde. In San Cristóbal gab es auf der Straße und in Hotels verstärkte Kontrollen von Ausländer*innen durch die Migrationsbehörde. Diese Aktionen haben eine Polemik ausgelöst. Bei nicht wenigen Mexikaner*innen fällt die Argumentation gegen die „ausländische Einmischung“ auf fruchtbaren Boden. Sie unterstützen das Vorgehen der Behörden. Andere dagegen bezeichnen es als „absurd und kriminell“.

Internationale BeobachterInnenkommission angekommen

(Mexiko-Stadt, 16. Februar 1998, pulsar-Poonal). Inmitten der heißen Diskussion über das Verhalten des mexikanischen Staates gegenüber politikinteressierten Ausländer*innen (vgl. vorhergehende Meldung), ist am vergangenen Sonntag eine internationale Beobachterkommission in Mexiko angekommen. Die Vertreter*innen von über 400 Organisationen in Europa und Amerika wollen sich auf Einladung der Nationalen Vermittlungskommission CONAI ein Bild von der Situation in Chiapas machen. Sie bleiben zu diesem Zweck bis Ende Februar in dem Bundesstaat.

GUATEMALA

Proteste gegen Radiogeesetz

(Guatemala-Stadt, 16. Februar 1998, alc-Poonal).- Ein Gesetzesdekret der Regierung zur Radiokommunikation stößt auf heftige Kritik in Guatemala. Die JournalistInnenvereinigung Guatemalas (APG) forderte die Regierung auf, das Gesetz nicht anzuwenden. Die Journalist*innen sehen in der neuen Fassung einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot, keine Monopole zuzulassen. Sie haben die Angst, beim möglichen Verkauf von Frequenzen durch den Staat, könne sich ein einziges großes Unternehmen die Frequenzrechte sichern. Bürgerrechtliche Organisationen und ländliche Gemeinden hätten dagegen keine ausreichenden Geldmittel für den Kauf und würden von der Radionutzung ausgeschlossen.

GAM fordert Unterstützung für Familie von Ex-Präsident

(Guatemala-Stadt, 17. Februar 1998, cerigua-Poonal).- Die Gruppe für gegenseitige Hilfe von Familienangehörigen Verhafteter und Verschwundener (GAM) hat ihre Forderung nach Entschädigung für die Familie des Ex-Präsidenten Oberst Jacobo Arbenz erneuert. Die Regierung will sich gegen einen Gesetzentwurf wenden, der eine lebenslange Rente für Arbenz Frau Maria Vilanova und ihre Kinder vorsieht. Der Entwurf war von der früheren GAM-Vorsitzenden und heutigen Abgeordneten für das Demokratische Bündnis Neues Guatemala (FDNG) vor über einem Jahr ins Parlament eingebracht worden.

Arbenz regierte als demokratisch gewählter Präsident von 1950 bis 1954 und führte zahlreiche Sozialreformen durch, die unter seinem Vorgänger Arévalo (1944-1950) zaghaft begonnen hatten. Vor allem durch die Agrarreform sah die United Fruit Company damals ihre Besitzstände in Guatemala gefährdet. Eine von den USA unterstützte Söldnerarmee stürzte die Regierung. Dies war möglich, weil die guatemaltekische Armee sich passiv verhielt und sich weigerte, Waffen an die verteidigungswillige Bevölkerung auszugeben. Arbenz und seine Familie flüchteten ins Exil.

Es ist bekannt, daß Grundstücke und Wertgegenstände der Familie unter den Mitgliedern der damaligen Militärspitze verteilt wurden. Der 1971 gestorbene Arbenz sowie seine Frau und seine Kinder lebten bzw. leben nach Auskunft der GAM verarmt im Exil. Der Regierungsabgeordnete und Vorsitzende der Gesetzgebungs- und Verfassungskommission des Parlaments, Salvador Rodas Soto, hat sich jedoch gegen die Entschädigungspflicht des Staates in diesem Fall ausgesprochen.

COSTA RICA

Chicas a la Carte

Von Yadira Calvo

(San José, Februar 1998, fempress-Poonal).- Für arbeitssuchende Frauen ist es gefährlich geworden, auf Angebote in den Zeitungen zu antworten, in denen „weibliches Personal“, „Frauen“, „Models“, „Touristenführerinnen“, „Übersetzerinnen“ oder „weibliche Angestellte“ gesucht werden. Die Eigenarten der Sprache erlauben es, den Wörten je nach Geschlecht eine unterschiedliche Bedeutung zu geben. Unter Umständen ist in keinem einzigen Fall die Beschäftigung gemeint, die dem Namen nach zu vermuten wäre. Hinter den Anzeigen steckt oft ein Kuppler, der seinen Kunden auf dem Kredenzteller Chicas (Mädchen) a la Carte präsentieren will. Dahinter stehen natürlich auch die Touristen auf der Suche nach Vergnügen, die „nur für Männer“ in der Hauptstadt angeboten werden. San José wird auf einer der einschlägigen Internetseiten der „Sexindustrie“ inzwischen als „erotisches und sexuelles Vergnügungszentrum“ angepriesen.

Die einzigen Voraussetzungen für dieses Vergnügen sind nach einer Reportage in der Tageszeitung „La República“: Mann sein, Geld sein und Bettphantasien haben, für die Mann 200 bis 350 Dollar auszugeben bereit ist. Je nachdem, ob die kamasutreske Illusion sechs, zwölf oder vierundzwanzig Stunden dauern soll. Der Rest ist einfach: ein Anruf unter einer der 32 Nummern und Auswahl unter dem Menue – einem Album oder Katalog mit den Mädchen. Wie im Restaurant. Frisches Fleisch, schön und jung, zwischen 17 und 23 Jahren. Frauen, die Englisch sprechen, interessant und sympathisch sind. Zur Auswahl: Blonde, Brünette, Weiße, Schwarze… alle schön, stattlich, angenehm und berufserfahren. Für den Fall, daß der Geschmack des Kunden nach höherem strebt, sind auch einige Studentinnen im Katalog. Luxusprostituierte für den Erotiktourismus. Das Angebot wird in der Regel auf Englisch präsentiert, denn die anvisierten Kunden sind Ausländer.

Die Mädchen und Frauen sind nach eigenen Worten bereit, die Kunden überallhin zu begleiten und zu tun, „was sie wollen“. Das „Unternehmen“ bietet ihne dafür hohes Einkommen, Reisen, Luxusrestaurant, Kasinobesuche, Auslandsaufenthalte bis hin zur Möglichkeit, „einen reichen und gebildeten Ausländer“ zu heiraten, daß heißt, den bedienten Sexgourmet, der es vielleicht billiger finden wird, seinen multifunktionalen „Schatz“ zuhause zu haben. Auch wenn er dafür das Vertragsunternehmen mit 20.000 Dollar entschädigen muß. Das sind fast fünf Millionen costarikanische Colones oder der ungefähre Gegenwert für ein kleines Haus in einem Mittelstandsviertel von San José. Den Preis hatten die zwei kürzlich verurteilten Kuppler „Tony“ y „Sherry“ verlangt, die nach zwei Jahren einträglichen Geschäfts aufflogen.

In den neun Monaten vor ihrer Festnahme hatten die beiden Gewinne von 84.000 Dollar. Die Bestechungsgelder für Flughafenangestellte, Reiseagenturen, Taxifahrer und andere in das Geschäft mit dem Erotiktourimus verwickelte Personen waren davon bereits abgezogen, wie die Untersuchungsbehörde feststellte. Die KomplizInnenschaft in der Branche ist offenbar weit verbreitet. Tony und Sherry konnten auf Mitarbeiter*innen in zwanzig Vier- und Fünf- Sternehotels der Hauptstadt zählen. Alles fein säuberlich in ihren Geschäftsbüchern aufgelistet. In der Iliade bietet König Agamennon einem Soldaten als Preis an, zwischen zwei Reitpferden samt Wagen sowie einer Frau „die sein Bett teilt“, zu wählen. 2.800 Jahre nach Homer, nach siegreichen sozialen Revolutionen, der Erklärung der Menschenrechte und dem Feminismus bleibt die Konzeption von den Frauen als Lustobjekt der Männer.

NICARAGUA

Schwere Zeiten für die Barricada – Traditionsreiche Zeitung der

nicaraguanischen Sandinisten nimmt zweiten Anlauf

Von Roberto Fonseca

(Managua, 19. Februar 1998, npl).- Wenn sie am Samstag (21.2.) neu erscheint, dann unter geänderten Vorzeichen. Die „Barricada“, linke Tageszeitung und zugleich politisches Symbol der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) in Nicaragua, versucht als „Nueva Barricada“ (Neue Barricada) die Wiederauferstehung. Ende Januar hatte das Parteiblatt unter der Leitung von Tómas Borge Bankrott angemeldet und wurde eingestellt. Nun soll mit Journalisten, sandinistennahen Gewerkschaften und Unternehmern sowie der FSLN als Teilhabern ein zweiter Anlauf gemacht werden.

Die Barricada hat die Sandinisten ununterbrochen begleitet, seit sie am 19. Juli 1979 siegreich in die Hauptstadt Managua einzogen und die mehr als 40jährige Diktatur des Somoza-Clans beendeten. Elf Jahre lang war sie ein Sprachrohr der Regierung. Nach 1990, als die FSLN die Wahlen gegen eine konservative Parteienkoalition unter Violeta Chamorro verlor, wurde die Barricada zur wichtigsten Oppositionszeitung.

Der Niedergang begann nach Meinung vieler, als Comandante Borge, das einzige überlebende Gründungsmitglied der FSLN, im Oktober 1994 die Leitung des Blattes übernahm. Dem orthodoxen Flügel der Partei zugerechnet, gab es unter ihm für abweichende Meinungen von der Parteimehrheit keinen Platz mehr. Das Ergebnis zeigte sich in immer geringerem Leserinteresse. Ende 1994 kauften sich noch durchschnittlich 17.000 Menschen jeden Tag die Barricada. Gut drei Jahre später waren die Verkaufszahlen auf klägliche 5.000 gesunken. Die Abonnentenzahlen nahmen von über 4.000 auf etwa 2.500 ab.

Borge selbst macht für sein Scheitern vorrangig von Regierung und Privatwirtschaft provozierte Finanzprobleme verantwortlich. In der Tat schalten staatliche Behörden seit dem Amtsantritt der rechtsgerichteten Regierung von Arnoldo Alemán Anfang 1997 keine Anzeigen mehr in der Barricada. Der Staat ist nach inoffiziellen Schätzungen mit einem Anteil von 35 Prozent der größte Anzeigenkunde in Nicaragua.

Der Unternehmerdachverband schloß sich dem Boykott im April 1997 an und forderte seine Mitglieder auf, „keine Werbeanzeigen in Kommunikationsmedien mit offen linker Tendenz zu publizieren“. Gemeint war die Barricada. Die schuldete dem Staat am Ende Sozialabgaben und Steuern von über einer Million Dollar. Zulieferer saßen auf unbezahlten Rechnungen und die Mitarbeiter warteten vergeblich auf ihre Löhne.

„Wir werden wieder in den Kampf ziehen“, kündigte Borge in einer Presseerklärung Anfang Februar trotzig an. Dies wird nun ohne ihn geschehen. Trotz des unleugbaren Drucks von außen war für die Mehrheit der Journalisten der Zeitung klar, daß es mit Borge keine Zukunft geben würde. Zu dieser Einschätzung gelangte am Ende wohl auch der FSLN-Vorstand um Parteichef und Ex-Präsident Daniel Ortega. Er schickte den alternden Revolutionär in Rente.

Für Xavier Reyes, ehemaliger stellvertretender Direktor der Barricada, ist klar: „Der Abgang von Borge hat innerhalb des Sandinismus eine sehr große Symbolkraft, denn dies wird als Synonym für die Unfähigkeit und Hinfälligkeit der historischen Führung des Sandinismus interpretiert“. Er sieht für die „Nueva Barricada“ allerdings nur dann eine Chance, wenn sie sich vom parteihörigen Blatt zu einer wirklich unabhänigen Zeitung wandelt, „in der die FSLN nicht die Mehrheit hat, sondern nur eine Teilhaberin mehr ist“.

Das Aufsehen, das die Vorgänge um die Barricada in Nicaragua und über die Landesgrenzen hinaus erregten, belegt das grundsätzliche Interesse am Fortbestand der Tageszeitung. Das Datum für den Neuanfang ist mit Bedacht gewählt. Am 21. Februar sind 64 Jahre seit der Ermordung des legendären Guerilleros Augusto Cesar Sandino vergangen, der in den 30er Jahren gegen die nordamerikanischen Besatzungstruppen und gegen die Diktatur in seinem Land kämpfte. Auf ihn berufen sich auch viele, die der FSLN in den letzten Jahren den Rücken gekehrt haben.

HAITI

Hervé Denis vom Parlament abgelehnt

(Wiesbaden/Port-au-Prince, Februar 1998, haiti info-Poonal).- Der von Präsident René Préval für das Amt des Premierministers vorgeschlagene Hervé Denis ist von der Parlamentsmehrheit endgültig nicht akzeptiert worden. Am 21. Januar stimmten 37 Abgeordnete der Politischen Organisation Lavalas (OPL) und der Fraktion der Unabhängigen gegen Denis. Der anti-neoliberale Block stimmt für den Kandidaten. Bereits direkt vor Weihnachten 1997 war Denis in einer ersten Abstimmung mit 34 Nein- gegen 33 Ja-Stimmen knapp gescheitert. Der neue Parlamentspräsident Vasco Thenelan (OPL) erklärte die Kandidatur Ende Januar gegenüber René Préval offiziell für gescheitert. Die OPL knüpft ihre Zustimmung für einen neuen Premier weiterhin an die Bedingung, daß der gegenwärtige Wahlrat aufgelöst und die umstrittenen Parlamentswahlen von April vorigen Jahres annulliert werden.

USA schicken Carney

(Wiesbaden/Port-au-Prince, Januar 1998, haiti info-Poonal).- Mitte Januar überreichte der neue US-Botschafter Timothy Michael Carney dem haitianischen Präsidenten sein Beglaubigungsschreiben. Er erklärte dabei, die Wiederherstellung der Demokratie auf Haiti sowie die Veränderungen in den Wirtschafts- und Sozialprogrammen seien immer noch ein großes Anliegen der USA. Vor seiner Ernennung auf Haiti war der 54jährige Carney Botschafter im Sudan und stellvertretender Staatssekretär für wirtschaftliche Angelegenheiten in Süd-Asien. Strobe Talbott vom amerikanischen Außenministerium betonte, Präsident Bill Clinton habe jemanden ausgewählt, der eine Fähigkeit gezeigt habe, in globalen Zusammenhängen zu denken. Bisher waren eher Botschafter mit guten Kenntnissen des Landes ernannt worden.

Verdächtig schnelle Abreise pakistanischer UN-Soldaten

(Wiesbaden/Port-au-Prince, Januar 1998, haiti info-Poonal).- Am 21. Januar verließen die letzten 171 der 500 pakistanischen UN- Soldaten Port-au-Prince. Zuvor waren seit Anfang Dezember 1997 mehrere kleine Gruppen ausgereiste. Die massive Abreise erfolgte nur 24 Stunden nachdem es gegen vier pakistanische Soldaten die Anschuldigung gab, einen haitianischen Mechaniker sexuell mißbraucht zu haben. Obwohl eine Untersuchung eingeleitet wurde, durften die vier Soldaten trotzdem das Land verlassen. Der Anwalt des Opfers, Bernard Gousse, hatte beantragt, den Abzug für die Zeit der Untersuchung zu verschieben. Gousse forderte Sanktionen gegen die vier Soldaten und betonte, die Vereinten Nationen dürften sich nicht aus ihrer Verantwortung für einen solchen Akt während ihrer Anwesenheit auf Haiti stehlen. In einer Veröffentlichung des abreisenden Kontingents wurde die Schwierigkeit der UNO-Mission unterstrichen. Falls sich die Anschuldigungen als richtig erwiesen, so hoffe man, dies werde nicht den von der restlichen Gruppe hinterlassenen Eindruck von Kompetenz und Engagement trüben.

KUBA

Langsame Neuordnung der Wirtschaftsbeziehungen zum Ex-Ostblock

(Havanna, 16. Februar 1998, pl-Poonal).- In Havanna traf der urkainische Außenminister Guennadi Udovenko zu einem Besuch ein. Ziel seiner Reise sind Gespräche über die wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit dem Inselstaat. Sein kubanischer Gegenüber Roberta Robaina unterstrich, es werde neues Terrain in der wirtschaftlichen Kooperation eröffnet. Udovenko verwies auf ein Treffen mit dem russischen Außenminister Primakov, bei dem dieser das „hohe Niveau“ der Beziehungen Rußlands mit Kuba erwähnt habe. Der Ukrainer schlägt ein „wirtschaftliches Dreieck“ zwischen Moskau, Kiew und Havanna mit neuen Wegen der Zusammenarbeit vor.

LATEINAMERIKA/OSTASIEN

„Tiger sind eine aussterbende Spezies“ – zwei Modelle, zwei Krisen

Von Victor Sukup

(Buenos Aires, Februar 1998, npl).- Asien galt lange Zeit als Wachstumsregion schlechthin. Durch eine agressive Exportstrategie schafften Länder wie Südkorea, Taiwan oder Malaysia in atemraubenden Tempo den Sprung vom Agrarland zur konkurrenzfähigen Industrienation. Sie wurden gern als Beispiel für eine gelungene Entwicklungsstrategie genannt und galten als Gegenmodell zu den lateinamerikanischen Ländern, die die heimischen Märkte lange Zeit vom Weltmarkt abschotteten. Die derzeitigen Wirtschafts- und Währungsturbulenzen haben dieses Bild jedoch nachhaltig erschüttert. Die Krise legt gravierende Defizite in der Entwicklung der sogenannten Tigerstaaten offen, die in der Vergangenheit gern übersehen wurden.

Das seit den 30er Jahren vorherrschende Modell der Importsubstitution wird oft für die tiefe wirtschaftliche Krise Lateinamerikas in den 80er Jahren verantwortlich gemacht. Eine Analyse, die zu kurz greift: Die Bilanz der lateinamerikanischen Industrialisierung ist keineswegs so negativ wie oftmals angenommen. Andererseits haben auch die ostasiatischen Erfolgsländer zumindest zeitweise ihre Binnemärkte geschützt und eine Strategie der Importsubstitution verfolgt. Die Tigerstaaten haben ihre Ökonomien nicht mit aller Gewalt auf den Export umgestellt, sondern vielmehr selektiv Importe substituiert und einzelne Branchen gezielt für den Export und damit die internationale Konkurrenz gerüstet.

Der Hauptunterschied zu Lateinamerika war eher, daß sie durch die geringe heimische Nachfrage und ihre Ressourcenarmut schneller an die Grenzen der Importsubstitution gestoßen waren als die ressourcenreichen und relativ großen lateinamerikanischen Länder wie Argentinien und Brasilien. Was einst als Vorteil galt – der gewaltige Ressourcenreichtum -, wurde für Lateinamerika zum Verhängnis – statt eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen, lebten nur die Eliten von der Erträgen der Rohstoffexporte in Saus und Braus. Während in Argentinien noch heute die Auffassung vertreten wird, „mit einer oder zwei guten Ernten sind wir aus dem Wasser“, hatte Südkorea in der Vergangenheit und auch heute nach der krassen Abwertung der heimischen Währung gar keine andere Wahl, als durch eine konsequente Exportorientierung der Industrie erfolgreich zu sein. Was in den fünfziger Jahren völlig unmöeglich schien, trat schließlich 1985 ein: Südkorea erzielte ein höeheres Pro-Kopf-Einkommen als das einst so reiche Argentinien. Innerhalb einer Generation kletterte das Einkommen je Bürger in Südkorea von 100 auf 10.000 Dollar im Jahr – eine beeindruckende Zahl, auch wenn Wachstumsraten nur begrenzt Auskunft über die allgemeine Lebensqualität geben.

Der Mangel an Rohstoffen zwang Länder wie Südkorea zur Exportoffensive. Sie begannen mit einfachen Industrie- und Konsumgütern, meist Imitate westlicher Produkte. Ihr Erfolg besteht darin, daß sie nach und nach auch technologisch sehr anspruchsvolle Waren herstellten, also nicht nur Billigtextilien, sondern mit wachsendem Know-How auch Autos, Schiffe und Computer. Die bedeutenden sozialen Reformen im Agrar- und Bildungsbereich nach dem Zweiten Weltkrieg waren wichtige Voraussetzungen für diese wirtschaftlichen Erfolge, hierin unterscheiden sich Südkorea und Taiwan deutlich von den lateinamerikanischen Ländern.

Gleichzeitig boten die Länder ihrer Bevölkerung attraktive Gegenmodelle zu den kollektivistischen Gesellschaften Chinas und Nordkoreas. Durch Landreformen wurde die Agraroligarchie ausgeschaltet, die Einkommensdifferenzen gemildert und gleichzeitig den armen Schichten die Meeglichkeit gegeben, wirtschaftliche Dynamik zu entfalten. In Lateinamerika dagegen blieb die Macht der Agareliten unangetastet, sie übten ungehindert ihre Rolle als Bremser in der Industrialisierung des Kontinents aus.

Ein weiterer gravierender Unterschied: In Ostasien stand der Staat als Lenker und Kontrolleur der Wirtschaftsprozesse im Mittelpunkt, nicht nur in China, sondern auch in Japan, Südkorea oder Taiwan. Auch in Hongkong und in Singapur spielt der starke Staat eine wichtige ökonomische Rolle, was vor allem beim Aufbau wirtschaftlicher und sozialer Infrastrukturen sichtbar wird. Die weitgehende Autonomie des Staates gegenüber den wirtschaftlichen Interessengruppen war ein zentraler Faktor für den Aufschwung – auch wenn diese Autonomie, wie sich heute zeigt, bedenkliche Schwachstellen aufweist: die wiet verbreitete Korruption oder die Überfinanzierung ausgewählter Unternehmen durch ein unsolides Bankensystem.

Chile, oft recht übertrieben als „lateinamerikanischer Tiger“ bezeichnet, hat seine Exporterfolge im Gegensatz zu Südkorea oder Thailand auf seinem Ressourcenreichtum – Bergbau, Fischfang, Land- und Forstwirtschaft – aufgebaut und will jetzt in einer „zweiten Exportphase“ mehr Wertschöpfung erreichen. Schwachpunkte sind hier vor allem die rasante Umweltzerstörung und die anhaltende Konzentration auf den Export von Primärgütern, von den sozialen und kulturellen Rückschritten der Pinochet-Epoche mal ganz abgesehen.

Die Wirtschaftsmodelle Ostasiens und Lateinamerikas befinden sich heute in einer explosiven Krise, die auf den internen Schwächen beruht und durch die internationalen Finanzmärkte offengelegt werden. Südkorea ist vor allem durch die Fragilität seines Finanzsektors und durch Wettbewerbsprobleme, die etwa durch die Konkurrenz des Billiglohnlandes China offengelegt werden, in Turbulenzen geraten. Ähnlich erging es Mexiko drei Jahre zuvor. Pikanterweise waren beide Länder kurz zuvor in die ÖCD, den elitären Klub der Industrieländer, eingetreten. Die zwei Sorgenkinder des Weltwährungsfonds konnten nur durch milliardenschwere Kredite vor dem Kollaps bewahrt werden.

Diese Rettungsaktion – deren Erfolg noch fraglich ist – war kein reiner Altruismus: während Mexiko seine Erdölexporte verpfänden mußte, wurde Südkorea gezwungen, seine protektionistischen und etatistischen Elemente radikal abzubauen. Ganze Sektoren der koreanischen Industrie sind der Gefahr ausgesetzt, auf dem Altar der „freien Konkurrenz“ geopfert oder an ausländische Unternehmen verkauft zu werden. Die „Resubordinierung“ der allzu forschen „Tiger“, von der schon vor Jahren der philippinische Ökonom Walden Bello gewarnt hat – „Tiger sind eine aussterbende Spezies“, hatte ein von ihm zitierter ranghoher US-Vertreter gemeint – ist in vollem Gange: Nach der bereits in den letzten Jahren erzwungenen zunehmenden Marktöffnung für Agrar- und andere Importe made in USA geht es nun darum, das Land gänzlich der liberalen Lehre unterzuordnen.

Die heutige Krise sollte nicht verdecken, daß das ostasiatische Modell durchaus positive Lektionen bietet. Sicher, Überinvestitionen und finanzielle Fragilität, Kumpanei zwischen den Chefs der riesigen Industriekonglomerate und den Regierenden sowie die repressiven Züge des Regimes haben die Krise mitverschuldet: etliche Unternehmen oder ganze Branchen sind durch staatliche Protektion konkurrenzfähig geworden oder geblieben. Aber die „reale Wirtschaft“ ist im Grunde solide geblieben. Und auch im sozialen und kulturellen Bereich haben die Länder erhebliche Erfolge erzielt: So haben sich Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Alphabetisierung und zum Teil auch die Verteilung des Nationaleinkommens in den letzten Jahrzehnten in Ost- und Südostasien wesentlich erfreulicher entwickelt als in Lateinamerika, trotz der vorwiegend autoritären und teilweise brutal diktatorischen Regime.

Die aktuelle Krise in den Tigerländern macht Reformen notwendig, das Gleichgewicht zwischen Markt und Staat war aus den Fugen geraten. Daraus die Notwendigkeit der ultraliberalen Modelle des IWF zu schließen, ist jedoch eine andere Sache. Lateinamerika zeigt in dieser Perspektive sehr deutlich, daß die Alternative nicht eben in dieser Richtung gesucht werden sollte. Die Krise beider Regionen zeigt die Fragilität der beiden Grundmodelle, insbesondere in ihrer gemeinsamen Abhängigkeit von ausländischen Kapitalströemen. Es spricht allerdings viel dafür, daß die asiatischen Länder, auch wenn ihre Krise derzeit dramatischer erscheint, sich davon schneller erholen werden als die lateinamerikanischen Staaten.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 327 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert