Poonal Nr. 311

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 311 vom 16. Oktober 1997

Inhalt


PUERTO RICO

PANAMA

COSTA RICA

GUYANA

KOLUMBIEN

PERU

HAITI

BENEDETTI ZUM GEBURTSTAG


PUERTO RICO

Privatisierung der Telefongesellschaft sorgt für landesweiten Aufruhr

(San Juan, 7. Oktober 1997, pulsar-Poonal).- Der Streit um die Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft hat in Puerto Rico eine Bedeutung gewonnen, die über den konkreten Einzelfall hinausgeht. Einmal mehr steht auch das Verhältnis zu den USA zur Debatte. Am 1. Oktober waren mit schätzungsweise 100.000 Personen (nach Polizeiangaben 50.000) unerwartet viele Personen einem Demonstrationsaufruf von Gewerkschaften und anderen Organisationen gegen die vorgesehene Privatisierung gefolgt. Die Regierung hatte dagegen Tage zuvor nur wenige Tausend Menschen für sich mobilisieren können. Seitdem sucht die Regierung nach Rechtfertigungsargumenten. Sie will an dem Verkauf auf jeden Fall festhalten. Die Außenministerin Norma Burgos erklärte, sie habe keine Information über Proteste in irgendeinem (anderen) Teil der USA wegen der Privatisierung erhalten. Damit verteidigte sie die Regierungsvorstellung, Puerto Rico als Teil der Vereinigten Staaten zu sehen. Burgos sagte ebenfalls, ihr gefalle es, die Dinge beim Namen zu nennen und sie wolle keine Zeit mit Diskussionen verlieren, die am Ende kein Ergebnis brächten. Mit ihren Äußerungen stieß sie auf wütende Kritik. An dem Protestmarsch hatten nicht nur die Gewerkschafter*innen, Student*innen, Lehrer*innen und Politiker*innen teilgenommen, die sich gegen den Verkauf des Telefonunternehmens wandten, sondern auch viele Menschen, die ein selbstständiges Puerto Rico einfordern.

PANAMA

Gehen die USA oder bleiben sie? Teil 2

Von Jesús Q. Aemancia und Herasto Reyes

(Panama-Stadt, September 1997, alai-Poonal).- 2. Der neue nichtkonventionelle Krieg und das Multilaterale Antidrogenzentrum Im Jahre 1981 reformierten die USA das sogenannte „Posee Comitatus-Gesetz“ von 1878, das die Beteiligung der Militärs an Angelegenheit verbot, die mit der Anwendung ziviler Gesetze zu tun hatten. Die Reform erlaubte der Armee von nun an, die staatlichen Behörden beim Gesetzesvollzug zu unterstützen. Hohe Funktionsträger des Pentagon widersetzten sich dieser Entscheidung. Der ehemalige Verteidigungsminister Caspar Weinberger betonte 1985, daß „es gegen das Mandat unserer Armee und die demokratischen Prozesse verstößt, militärischen Kräften das Vertrauen auszusprechen, zivile Aufgaben zu erfüllen.“ Trotzdem wurden am 15. Juli 1986 sechs Armeehelikopter des Typs „Blackhawk“ – die zum „Luftwaffenbataillon 2100 der Infanteriebrigade 193a“ in Panama gehörten – entsandt, um die Operation „Blast Furnace“ zur Drogenbekämpfung anzuführen. Oberst Michael H. Abbot, Kommandant der die Operation anführenden Einheit „Janus“, schrieb 1988: „Es ist Zeit, dem Verteidigungsministerium bessere Vorschläge bezüglich der Beteiligung der Armee am Kampf gegen den Drogenhandel zu unterbreiten.“ Im selben Jahr unterstützte Verteidigungsminister Frank Carlucci die Position von Weinberger, daß es „nicht die Funktion der miltärischen Kräfte ist“, den Kampf gegen die Drogen anzuführen.

Dennoch unterschrieb Präsident Reagan am 11. März 1986 eine Direktive, die den Drogenhandel als Problem der Nationalen Sicherheit einstufte. Sie enthielt vier zentrale Anordnungen:

1. Völlige Anerkennung der Aktivitäten zur Kontrolle des Drogenhandels, im Rahmen der Hilfe für das Ausland.

2. Eine größere Beteiligung der Streitkräfte bei den Anstrengungen zur Drogenbekämpfung.

3. Das Drogenproblem in Gesprächen mit anderen Staaten besonders nachdrücklich als Frage der nationalen Sicherheit behandeln.

4. Stärkere Beteiligung der Geheimdienste der Vereinigten Staatem, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

Dies war der formelle Beginn der Beteiligung der Streitkräfte bei der Bekämpfung des Drogenhandels. 1989 gestattete schließlich ein Gesetz den Militärs die Überwachung des Luft- und Seeraums, um den Drogenhandel in die Vereinigten Staaten aufzudecken. Die Streitkräfte waren künftig dafür verantwortlich, das geheimdienstliche Material und die Informationen über die Operationen in einem einheitlichen Kommunikationsnetz zu zentralisieren. Die Beteiligung der Militärs wurde im gleichen Zeitraum noch durch zwei weitere Ereignisse forciert. Das Justizministerium erlaubte den Militärs die Verhaftung von vermeintlichen Drogenhändler*innen außerhalb des Territoriums der USA auch ohne Billigung des Gastgeberlandes. Der Verteidigungsminister Richard Cheney beauftragte das Pentagon, die zentrale Rolle bei den Operationen gegen den Drogenhandel zu übernehmen. Durch das Fehlen des „traditionellen Feindes“, des Kommunismus, standen die Militärs vor einer schwierigen Situation: sie mußten ihre Existenz als Institution neu überdenken. Ein Offizier drückte das Anfang der neunziger Jahre folgendermaßen aus: „Die Armee wird in ihrer Existenz herausgefordert. Das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sieht sie sich gezwungen, eine neue Mission in Friedenszeiten zu suchen, um ihren großen Offiziers-Corps zu rechtfertigen.“

Die Suche nach einer neuen Aufgabe und der Kampf gegen Drogenterrorismus und Drogenhandel bedeuteten, daß die US- Streitkräfte neue Kriterien im Hinblick auf Doktrin, Kriegsprinzipien und die strategischen, operativen sowie taktischen Ebenen aufstellen mußten. Zu den strategischen Neuformulierungen, die vorgeschlagen wurden, gehörte die Definition des Gefahrenzentrums des neuen Krieges. Es wird in der Zivilbevölkerung lokalisiert, die den Drogen gleichzeitig Widerstand und Markt bietet. Die Bürger*innen werden demnach zur „eigentlichen Quelle von Macht und Ausgleich“ im Konflikt. Durch diese Wahrnehmung werden alle die Punkte festgelegt, die das Resultat der Kampagne oder eine einzelne Aktion in zwei Dimensionen entscheidend beeinflußen können: Auslöschung und Verbot, was das Angebot anbelangt – Behandlung, Drogennachweis und Anwendung des Gesetzes auf der Nachfrageseite. Die beste Art und Weise, diese Ziele zu erreichen, beinhaltet eine „militärische und politische Kampagne, die auf den Konzepten des defensiven Kriegs basiert.“ Mittels dieser Kampagne werden sich die verschiedenen am neuen Krieg teilnehmenden Komponenten an ihren jeweils entscheidenden strategischen Punkten befinden, um das Problem der Drogen auszurotten. Das Resultat:

1. Normalität 2. Abnutzung:: Gegen die Drogenhändler*innen gerichtete (gezielte) Schläge 3. Abschreckung: Verteidigung der Grenzen 4. Behauptung: Mittel von US-AID zur Unterstützung des „Gastgeber“-Landes

Auch wenn es sich nur um Ideen zu handeln scheint, finden sie bereits Anwendung in der Praxis. Die Streitkräfte reorganisieren sich, um Aufgaben der Polizei zu übernehmen. Im vergangenen Jahrzehnt haben sich Einrichtungen gebildet, die zur Realisierung der neuen Mission notwendig sind. Drei Einheiten zum Kampf gegen den Drogenterrorismus wurden gegründet – mit Basen in Key West (Florida), Alameda (Kalifornien) und Fort Bliss (Texas). Sie hatten die Aufgabe, die Aktionen von Reserve- und Einsatzkräften zu koordinieren, die die Anti-Drogengesetze in den Bereichen Radarkontrolle, Ausbildung, Ingenieurswesen und Strafdurchsetzung (Interdiccion) anwenden. Um den neuen Krieg erfolgreich zu führen, wurden in der Nähe der us-amerikanischen Grenze strategische Installationen errichtet, unter anderem das „Nordamerikanische Kommando zur Verteidigung des Luftraums“ (NORAD) – mit 16 Kontrollstationen entlang der Südwestgrenze der USA bis zur Karibik. Das NORAD wird wiederum von Systemen zur Warnung und Luftverkehrskontrolle (das Frühwarnsystem AWACS) unterstützt, die in Puerto Rico angesiedelt sind. Hinzu kommt die nukleare Infrastruktur der USA auf dem Kontinent und das aus acht Radarstationen bestehende Netz im karibischen Becken (CBNR), von denen in der vergangenen Dekade fünf in Panama, der Dominikanischen Republik, Kolumbien, Honduras sowie der US- Marinebasis Guantánomo auf Kuba in Betrieb waren.

COSTA RICA

Polemik wegen eines Internationalens Kongresses über Prostitution

Von Thaís Aguilar

(San José, 3. Oktober 1997, sem-Poonal).- Ein Treffen lateinamerikanischer Sexarbeiterinnen sorgte für Aufsehen in Costa Rica. Das Land, als eine der repräsentativsten Demokratien des Kontinents bekannt, zeigte die Toleranz und Intoleranz, die es in unseren Gesellschaften gegenüber der Ausübung der Prostitution gibt. Das Ereignis wurde von der Nicht-Regierungsorganisation Lateinamerikanisches Institut für Gesundheitsvorsorge und – Erziehung (ILPES) und der holländischen Stiftung Humanistisches Institut für Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern (HIVOS) veranstaltet. Die beiden Organisationen berichteten über Schwierigkeiten, Hotels und Kongreßzentren für das Vorhaben zu finden. Tage vor dem Treffen, das für die Presse nicht zugänglich war, begann die Lokalpresse mit alarmierenden Artikeln über die Zusammenkunft. Dazu kamen übereifrige Erklärungen des in Costa Rica sehr bekannten katholischen Priesters Minor Calvo. Calvo sowie die katholische Kurie der Hauptstadt lehnten das Treffen der Sexarbeiterinnen rundum ab. Sie führten an, es sei ein Attentat gegen die Würde der Frauen. Der Priester rief sogar zu einem Protestmarsch auf. Die lutheranische Kirche in Costa Rica unterstützte dagegen den Kongreß und das Recht der Frauen, ihre Arbeit zu analysieren.

Etwa 60 Sexarbeiterinnen aus den lateinamerikanischen Ländern diskutierten zwei Tage lang über ihre Arbeitssituation, die Schwierigkeiten, denen sie ausgesetzt sind sowie Lösungen gegen die konstanten Angriffe und Diskriminierungen. Sie schlugen Aktionen vor, um ihre Lebensqualität zu verbessern. Ein erstes Ergebnis ist die Gründung eines Lateinamerikanischen Menschenrechtsnetzes der Sexarbeiterinnen, das eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Organisation der verschdiedenen Länder erlauben soll. Die Gruppe will auch eine formelle Klage bei der Sonderberichterstatterin der UNO für die Verteidigung der Rechte der Frauen einreichen und auf die sklavengleiche Situation hinweisen, in der die Sexarbeiterinnen in Bolivien leben. Diese Frauen werden gezwungen in den Örtlichkeiten zu bleiben, wo sie ihre Arbeit ausüben und benötigen eine Sondergenehmigung der Polizei, um diese Orte zu verlassen, wenn sie ihre Familie zu besuchen, Einkäufe zu machen und irgendeine öffentliche Aktivität durchzuführen wollen. Wenn sie gegen diese Auflage verstoßen oder zu spät an ihren Arbeitsplatz zurückkommen, müssen sie Strafen von etwa 50 Dollar zahlen und werden bis zu 48 Stunden lang inhaftiert.

Die Frauen wollen erreichen, daß ihre Arbeit als eine unter vielen anerkannt wird. Dies soll zu ihrer gesellschaftlichen Entmythifizierung und verbesserten Rechten beitragen. Das versichert Ligia Martín von der Organisation „Frauenverteidigung“ (Defensoría de la Mujer). Sie klagt die Doppelmoral gegenüber diesem Beruf an, wo der Kunde und die Besitzer*innen eines Bordells im Anonymen bleiben und auf die Frauen die ganze Last der moralischen und sozialen Zensur fällt. „Die Prostitution ist eine der Aktivitäten, die die Menschenrechte der Frauen am stärksten betreffen. Sie produziert bei ihnen ein Gefühl von Schmach, Schmerz, gefühlsmäßige Distanzierung und eine Vernachlässigung ihrer Gesundheit“, so Martín auf einem Forum, das gleichzeitig als Abschluß der Veranstaltung diente.

Elena Reinaga, die Vorsitzende der Vereinigung der die Prostitution ausübenden Frauen Argentiniens verwies in ihrem Beitrag darauf, daß die Frauen als Personen, Mütter, Töchter und Freundinnen anerkannt sein wollen, die ihre Geschlechtsorgane dazu benutzen, sich ihr Leben zu sichern. Sie gab ein Beispiel für die herrschende Doppelmoral. „Die Kunden benutzen uns und danach machen sie uns Vorwürfe, warum wir uns nicht anderen Dingen widmen. Ich sage ihnen dann, warum sie nicht besser zuhause bei ihrer Frau bleiben.“ Die Teilnehmerinnen bekräftigen, das Schweigen gegenüber ihrer Aktivität gebrochen zu haben. Sie zeigten sich stolz, ihre Familie voranbringen zu können und ihr Tun als eine Arbeit zu sehen. Eine mexikanische Teilnehmerin erinnerte an die Worte ihrer feministischen Landsfrau, der Intellektuellen Marta Lamas. „Diese sagt, 'wenn wir Frauen uns alle als Prostituierte begreifen, dann werden sie aufhören, uns Prostituierte zu nennen'“. Die Mexikanerin rief zu einer Annäherung von feministischer Bewegung und costarizensischen Frauen allgemein mit den Prostituierten auf, um gemeinsam für die Rechte aller Frauen zu kämpfen.

Das Lateinamerikanische Institut für Gesundheitsvorsorge und – Erziehung (ILPES) führte vom 16. bis zum 26. September eine Telefonumfrage bei 300 Personen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren durch. Das Institut wollte herausfinden, was die Costarizenser*innen über die Prostituion denken. Jeweils über 40 Prozent der befragten Männer und Frauen nannten wirtschaftliche Probleme, das harte Leben und Armut als Gründe, die ihrer Meinung nach Frauen zur Prostitution bringen. Soziale Probleme und das „System“ folgten als weitere Gründe. 98 Prozent der Männer und 94 Prozent der Frauen glauben, die Prostituierten sollten ein Recht auf andere Arbeitsmöglichkeiten haben. 94 bzw. knapp 92 Prozent sprechen sich für das Recht dieser Frauen aus, zu wohnen, wo sie wollen und 89 bzw. 86 Prozent sind gegen Restriktionen für Prostituierte, was den Aufenthalt auf der Straße angeht. Eine fast ebenso große Mehrheit bei Männern und Frauen spricht sich für das Recht auf eine Sozialversicherung für die Prostitutierten aus.

GUYANA

Rassenhaß als Wahlkampfmittel

Von Mike James

(Georgetown, Oktober 1997, alc-Poonal).- Die wichtigsten Repräsentanten der Anglikanischen und der Katholischen Kirche in Guyana haben die politischen Parteien angesichts der bevorstehenden Wahlen gemeinsam dazu aufgerufen, persönliche Angriffe auf die Kandidat*innen zu vermeiden und sich auf Ideen und Programme zu konzentrieren. Hintergrund für die Aktion der beiden einflußreichsten Kirchen im Land sind gewalttätige Attacken zwischen ethnischen Gruppen afrikanischer und indischer Abstammung. Der anglikanische Bischof Randolph George und sein katholischer Gegenpart Benedict Singh, die sich auch wiederholt gemeinsam zu Menschenrechtsfragen geäußert haben, forderten die Parteien ebenfalls auf, die Wahlkommission in dem Bestreben nach freien und sauberen Wahlen zu unterstützen. George selbst ist afrikanischer Abstammung. Singh hat indische Vorfahren, die als Vertragsarbeiter*innen für die Zuckerrohrplantagen ins Land geholt wurden. Beide verlangten von den politischen Persönlichkeiten „alle Formen des Rassismus oder rassistischer Denkweise zurückzuweisen, die uns zu einem Klima der Unsicherheit und der Angst während und nach den Wahlkampagne führen können“. Die regierende Fortschrittliche Volkspartei, deren Präsident Cheddi Jagan zu Beginn dieses Jahres an einem Herzanfall starb, hat Jagans in den USA geborene Witwe Janet als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt. Die wichtigste Oppositionspartei tritt mit dem ehemaligen Präsident Desmond Hoyte an.

KOLUMBIEN

Menschenrechtler*innen in Antioquia bedrängt.

(Bogotá, Oktober 1997, alc-Poonal).- Menschenrechtsorganisationen in der Provinz Antioquia klagen über die Verfolgung ihrer Aktivist*innen durch Militärs, Gerichtspolizei und Zivilisten. Dies hat bereits zum Mord an einem Mitglied einer Menschenrechtsorganisation geführt. Weitere zwei befinden sich in Haft und nach drei weiteren wird gefahndet. Hauptziel der Attacken ist das Menschenrechtskollektiv Saat der Freiheit (CODEHSEL), dem 15 Organisationen der Provinz angeschlossen sind. Das regierungsunabhängige Ad Hoc-Komitee zum Schutz für die Menschenrechtsverteidiger*innen Kolumbiens berichtet über den Mord an dem Vorsitzenden der Nationalen Vereinigung für Solidarische Hilfe (ANDAS) in der Stadt Cartagena. Teodulo Sibajo Martinez wurde von zwei Männern erschossen. Auf der Grundlage von Anklagen durch die Streitkräfte und den Provinzgouverneur, die Menschenrechtsorganisationen als Komplizen der Subversion ansehen, wird derzeit den verhafteten Aktivist*innen Ana Rengifo Durango und Jorge Giraldo Osorio der Prozeß gemacht. Die drei gesuchten Menschenrechtler*innen gehören ebenfalls ANDAS an.

Das Ad Hoc-Komitee beschuldigt die Behörden in Antioquia, sich über die präsidentielle Anweisung vom vergangenen Juli hinwegzusetzen, die Menschenrechtsorganisationen zu respektieren. Die Behörden würden die Zuständigkeit der Organisationen, wegen der Menschenrechte nachzuforschen, zu informieren und Verletzungen anzuklagen, nicht akzeptieren. In einem Bericht des militärischen Geheimdienstes, der für die in Antioquia stationierten Truppen ausgearbeitet ist, wird CODEHSEL angeklagt, eine „Fassadenorganisation der Subversion“ zu sein. Das Kollektiv behindere das gerichtliche Vorgehen gegen mit der Subversionen verbundene „Elemente“, die „politische Häftlinge“ genannt würden. Weiter heißt es in dem Bericht, CODEHSEL fördere ausgedachte Anklagen gegen die Streitkräfte. Das Ad Hoc-Komitee bittet die internationalen Organisationen, bei der kolumbianischen Regierung darauf zu bestehen, daß die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen garantiert und das Verhalten der staatlichen Sicherheitsorgane gegen diese Organisationen überprüft wird.

PERU

Erste Zugeständnisse der Regierung

(Lima, Oktober 1997, alc/pulsar-Poonal).- Internationaler Druck, nationale Proteste und die Ergebnisse der Meinungsumfragen scheinen ihre Wirkung auf die peruanische Regierung nicht völlig zu verfehlen. Nach der Ankündigung, die Gerichtsverfahren mit den „Richter*innen ohne Gesicht“ (vgl. Poonal 309) abzuschaffen, erklärte die Regierung Anfang Oktober, mit sofortiger Wirkung ein Urteil der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) anzürkennen. Darin wird die Freilassung der Universitätsdozentin María Elena Loayza verlangt, die ungerechterweise des Terrorismus angeklagt wurde. Loayza wurde vor vier Jahren von Mitglieder der berüchtigten Nationalbehörde gegen den Terrorismus verhaftet und gefoltert. Die CIDH fordert eine Entschädigungszahlung für die Dozentin.

Es gibt zahlreiche ähnliche Fälle wie den Loayzas. Ende September schlossen sich beispielsweise evangelische und katholische Kircheneinrichtungen und andere Organisationen der Kampagne für die Freilassung des evangelischen Anwalts Wuille Marcelino Ruiz Figueroa an. Dieser befindet sich wie Loayua seit vier Jahren wegen des Terrorismusvorwurfs in Haft. Er war Mitglied einer Methodistenkirche in Lima und arbeitete in seiner Gemeinde in einem Armenviertel am Stadtrand mit der Organisation CEDRO zusammen, die in der Drogenaufklärung tätig ist. 1993 verurteilte ihn ein „Gericht ohne Gesicht“ zu 20 Jahren Haft. Sein Fall wird derzeit von der Begnadigungskommission für unschuldig wegen Terrorismus Verurteilte überprüft.

HAITI

Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb von Lavalas

Von Gerhard Pierre-Charles

(Port-au-Prince, September 1997, alai-Poonal).- Die haitianische Bewegung „Lavalas“, die entscheidend zum Sturz der Diktatur beigetragen hat, ist gespalten, so sehr, daß ihre siebenjährige Existenz gefährdet ist. Die „Lavalas-Familie“ (FL), angeführt vom populistischen Führer Jean Bertrand Aristide, der nach der Präsidentschaft im Jahr 2001 strebt und die „Politische Organisation Lavalas“ (OPL), die die demokratische Neugründung des Landes vorschlägt, haben ihre Differenzen offen zu Tage treten lassen. Ausdruck fanden die Differenzen in den vergangenen Monaten vor allem bei den Nominierungen für hohe Regierungsämter. Ein Beispiel ist die Haltung des Abgeordentenhauses, dessen OPL- Mehrheit vor kurzem die Mehrheit des Unterhauses die Ernennung von Eric Pierre (FL) zum Premierminister ablehnte (eine vielleicht etwas zu einfache Skizzierung. Vgl. dazu auch Poonal 306 die Red.). Im folgenden (an einigen Stellen ganz leicht gekürzten) Artikel analysiert Gerard Pierre-Charles, Vorsitzender der OPL, die Situation aus seiner Sicht:

Im heutigen Haiti, das sich mit dem Verlangen nach Kontinuität im Demokratisierungsprozess, nach der Konsolidierung der Institutionen und der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung konfrontiert sieht, haben politische Entscheidungen mehr Gewicht denn je. Für den Aufbauprozeß der haitianischen Demokratie bieten sich verschiedene Optionen an, wobei den Fragen von Organisation, Führung und Programm besondere Bedeutung zukommt. Während einer ganzen Übergangsetappe bestand das Hauptproblem darin, gegen den duvalieristischen Totalitarismus und seine militärischen Abkömmlinge, die Macoutes, zu kämpfen. Gleichzeitig organisierte sich auf lokaler, sektoraler, gewerkschaftlicher und ländlicher Ebene eine schlagkräftige soziale Bewegung, die sich für die Demokratie und Veränderungen einsetzte.

Die Ursachen des Konflikts

1990 benannte sich diese Bewegung unter Führung eines messianischen Priesters der „Kleinen Kirche“ mit „Lavalas- Bewegung“. Nach den ersten freien Wahlen in Haiti wollte die Regierung von Aristide, die sieben Monate amtierte, einige der Forderungen der Bewegung auf ziemlich spontane und planlose Art und Weise umsetzen. Der Staatsstreich vom 30. September 1991, die drei Jahre währende Militärregierung und der dadurch hervorgerufene Widerstand stärkten die Einheit der Bevölkerung in ihrem Ruf nach der Rückkehr zur Demokratie. Damit begann eine Periode, in der die Demokratie- und Volksbewegung sich strukturierte

Parallel zur populistischen Regierungspolitik von Aristide (Oktober 1995 bis Februar 1996) gab es mit den Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von 1995 eine zunehmende Institutionalisierung. Ausgehend von der Bildung des Parlaments und der Stadträte formte sich eine strukturierte Strömung der Bewegung unter dem Namen „Politische Organisation Lavalas“ (OPL). Danach, als Mehrheit im Parlament, präsentierte sich die OPL als demokratische und volksnahe Partei – entschlossen, die Modernisierung und Institutionalisierung des politischen und sozialen Systems voranzutreiben.

Seither versucht Präsident Préval, der an das ideologische und politische Werk von Aristide anknüpft, den Einfluß von Lavalas weiterhin zu gewährleisten. Er distanzierte sich teilweise offiziell von bisherigen Praktiken und Positionen, um so leichter von bestimmten Teilen der Opposition akzeptiert zu werden. Kritik an seinem Vorgänger diente dazu, die Verhandlungen mit Geldgebern zu erleichtern. Der Präsident mußte sich den neuen demokratischen und verfassungsrechtlichen Normen fügen, welche von einem autonomen Parlament verabschiedet wurden, das zudem die Bedingungen für die Wahl des Premierministers festlegte, dem die Regierungsführung zukommt. Ernannt wurde Rosny Smarth von der OPL, der mit einer ausgleichenden Politik die Tendenzen innerhalb der „Bewegung Lavalas“ vereinigen wollte, um die von den Umständen diktierten Reformen durchzusetzen.

Diese Aufgabe des Premierministers und seine Zusammenarbeit mit dem Präsidenten gestalteten sich zusehends schwieriger. Es standen sich zwei mögliche politische Optionen gegenüber, die sich in bezug auf die Vorstellung von Machtausübung, Kontrolle des Regierungsapparates und Modernisierung sowie in den politischen Praktiken unterschieden. Beiden Optionen kam ihre besondere Bedeutung in einem Moment zu, in dem die Widersprüche von Globalisierung und Neoliberalismus zu wichtigen Entscheidungen auf ökonomischem Gebiet führten. Die Modernisierung des Staates, die notwendig war, um die überkommenen korrupten Institutionen zu reformieren, beeinhaltete Personalkürzungen sowie Änderungen in der Führung der Staatsbetriebe. Es war eine öffentliche Politik, die von den internationalen Organisationen finanziert wurde.

Es gab Entscheidungen bezüglich der sozialen Leistungen, die Förderung des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie eine gerechtere Einkommensverteilung, um den Bedürfnissesn der ärmsten Bevölkerungsschichten Rechnung zu tragen. Diese litten besonders unter der Erhöhung der Lebenshaltungskosten und der Arbeitslosigkeit. Die zur Gewährleistung der internationalen Hilfe unerläßlichen Wirtschaftsreformen riefen alsbald das Mißtrauen der Bevölkerung hervor. Unter diesen Umständen hatte der Aufbau der Demokratie die Wahl zwischen Routine, blinder Unterordnung, Demagogie oder der mutigen Suche nach einer Entwicklung, die die Bedürfnisse unserer Gesellschaft berücksichtigt.

Populismus und Demokratie

Die Zweiteilung der Bewegung Lavalas wird deutlich an unterschiedlichen politischen Konzepten, Organisationsprinzipien, Amtsausübung und Haltung gegenüber der Bevölkerung. Sie hat mit den Grundlagen der Institutionen, der Demokratie und wirklicher Veränderung zu tun. Im Zuge der Wahlen im April 1997, bei denen ein Drittel des Senats und die Abgeordneten der Regionalräte bestimmt wurden, traten die Widersprüche für die Bevölkerung Haitis und das Ausland offen zutage. Gewalttätige Auseinandersetzungen und Betrug während der Stimmenzählung sowie die Tatsache, daß drei der neun Senatskandidaten der Aristide- Fraktion frühere Militärs waren, daß zwei unterschiedliche Optionen um die Führung und Richtung der zukünftigen Bewegung kämpften. Diese Realität ist das Ergebnis der jüngsten Entwicklung. Wie so häufig in der Geschichte der Gesellschaften am Ende eines langen Übergangs, der turbulent ablief und das politische und soziale System erschütterte, wird die Notwendigkeit einer stärkeren staatlichen Macht deutlicher spürbar. Aber wird dies auf der Grundlage von Legitimität und Legalität geschehen oder auf der Basis einer autoritären Kraft.

Das Projekt von Aristide

Eine der aktuellen Tendenzen manifestiert sich in solch einem autoritären Projekt, dessen Charakteristika seit dem Wahlbetrug vom vergangenen April offenbar geworden sind. Das Projekt basiert auf der Führung Aristides, den Erfahrungen seiner Regierung und dem Ziel, im Jahr 2001 an die Macht zurückzukehren. Es ist ein konservatives Projekt, das traditionelle Vorstellungen von Machtausübung beinhaltet, fragwürdige Ex-Militärs und paramilitärische Strukturen eingeschlossen. Ein Projekt, das Finanzmittel verwenden will, die aus der Kontrolle des Staatsapparates entspringen, das mit ideologischer und propagandistischer Manipulation populistischen und nationalistischen Zuschnitts arbeiten will. Unter dem Deckmantel des Pragmatismus versucht dieses Projekt, sich über die Regeln des Rechtsstaates lustig zu machen. Es will ein Machtsystem neu aufbauen, das dem charismatischen Führer, der allerrückschrittlichsten Oligarchie und einigen wenigen Nutzniessern die besten Bedingungen für die Reproduktion ihrer Privilegien sichert.

Das Volksprojekt

Auf der anderen Seite wird als Alternative ein demokratisches und volksnahes Projekt neuen Stils aufgebaut. Es handelt sich um ein Projekt, das mit den traditionellen Praktiken der Machtausübung und der alten Oligarchie brechen will. Seine Aktivitäten gründen auf der bewußten Partizipation der Bevölkerung, die auf der Basis eines Sozialpaktes zum nationalen Aufbau beitragen soll. Das plurale und moderne politische Projekt hat die Anforderungen einer sich öffnenden Welt ebenso im Blick wie den Aufbau eines autonomen Raumes, im Einklang mit den ökonomischen, sozialen und kulturellen Realitäten des Landes. Wenn keines der beiden widerstreitenden Projekte, die aus der historischen Bewegung von 1986 entstanden sind, sich aufgrund seiner Überzeugungskraft durchzusetzen vermag und ebensowenig ein gemeinsames politisches Abkommen auf pragmatischer Basis zustande kommt, könnten wir Zeug*innen eines dramatischen Zerfalls der Bewegung Lavalas sein. Diese Bewegung hatte 1990 die Basis für eine noch nie dagewesene Einheit des haitianischen Volkes geschaffen, die die Illusion des “ sich auf etwas einzulassen“ bzw. auf eine zu bauende Utopie schuf. Ein derartiges Scheitern könnte sowohl die demokratische Bewegung als auch die Regierbarkeit gefährden und den Weg für die Kräfte der Vergangenheit freimachen. Das Fehlschlagen des historischen Projekts würde die Zukunft der Nation gefährden, die auch schon so in ihrer Souveränität und Fähigkeit, den Wohlstand der Bevölkerung zu garantieren, geschwächt ist.

Die Herausforderung der Demokratie

In Haiti ist die Demokratie der politische Rahmen des nationalen Neubeginns. Sie will möglichst partizipativ und nicht exklusiv und ausschließend sein. Die Mehrheit der Haitianer*innen soll in den ökonomischen und sozialen Aufbau einbezogen werden, der aus unserem Land eine wahre Nation machen soll. Die Demokratie stärkt die Institutionen und garantiert den Erfolg des Programms zur 'nachhaltigen Entwicklung', die die für die Zukunft unserer Gemeinschaft wichtigen sozio-ökonomischen Gruppen fördert. Nur die Demokratie kann Bedingungen für die völlige Entwicklung des öffentlichen Sektors herstellen, dessen Modernisierung – vor allem im Hinblick auf die Infrastruktur – die Vorausetzungen für eine soziale Grundsicherung der Bevölkerung schafft. Der private Sektor trägt zum Aufbau der nationalen Dienstleistungen und der Exportwirtschaft bei. Der Wirtschaftsektor der unteren Volksschichten, die Bauern, der informelle Sektor ist aufgerufen, zur nationalen Produktion und zur Ernährungssicherheit beizutragen. Das soll im Rahmen der Dezentralisierung, einer systematischen Kreditpolitik und durch technische Hilfe geschehen.

Die Herausforderung an die Entwicklung

Der sozio-ökonomische Aspekt ist die zentrale Herausforderung beim Aufbau der Demokratie. Die Förderung einer Entwicklung, die sich auf das Prinzip der Gleichheit stützt, ist Grundlage für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und des sozialen Friedens. Entwicklung setzt aber auch Kapital, Bildung, Produktionskapazitäten und den Zugang zum Weltmarkt voraus. Angesichts des Entwicklungsniveaus und der extremen Armut großen Ausmaßes in Haiti muß allerdings der Staat sowohl stimulierend als auch regulierend in das Marktgeschehen eingreifen. Die Umsetzung dieses Konzeptes bedarf einer fruchtbaren Zusammenarbeit und einer komplexen Verknüpfung von Staat, Volkswirtschaft (economía popular; damit ist hier in erster Linie der informelle Sektor gemeint; die Red.), sowie dem nationalen und internationalen Privatkapital. Alle Bereiche müssen mit optimalen Reproduktionsbedingungen ausgestattet und in eine expansive Wirtschaft integriert werden. Gleichzeitig gilt es, die Bevölkerung mit den wichtigsten sozialen Leistungen zu versorgen, um der Marginalisierung zu begegnen und die Teilnahme am Markt zu ermöglichen. Auf diesem Weg läßt sich eine ausgeglichene Entwicklung kurz vor der Feier der 200jährigen Unabhängigkeit unseres Landes erreichen: nationale Integration, soziale Gerechtigkeit und die adäquate Einfügung unseres Landes in den aktuellen internationalen Kontext.

BENEDETTI ZUM GEBURTSTAG

Intensivtherapie

Von Eduardo Galeano

Sie fanden ihn in seinem Haus in Buenos Aires, auf den Boden gestürzt, ohnmächtig, kaum noch atmend. Mario Benedetti hatte die schlimmste Asthma-Attacke seines Lebens erlitten.

Im Hospital Aleman brachten ihn der Stauerstoff und die Spritzen nach und nach auf die Welt oder irgendeinen anderen zumindest ähnlichen Planeten zurück. Als er die Augenlieder hob, sah er Hand in Hand kleine Puppen an der verschwommenen Wand tanzen. Daraufhin fiel er in einen Zustand von Traum und Abwesenheit zurück. Er war völlig zerschlagen. Joe Louis, Rocky Marciano und Cassius Clay hatten ihn gleichzeitig verprügelt, obwohl er ihnen nie etwas getan hatte.

Er hörte Stimmen. Die Stimmen kamen und gingen, näherten sich, entfernten sich und auf deutsch sagten sie etwas wie „schlimm, schlimm, ich sehe das sehr schlimm; ein schwieriger Fall, schwierig; wer weiß, ob er diese Nacht übersteht“. Mario öffnete ein Auge und sah keine keinen Puppen. Er sah einige weiße Kittel am Fuß seines Bettes. Mit belegter Stimme fragte er:

„So schlecht gehts mir?“

Er fragte das in perfektem Deutsch. Und einer der Ärzte war pikiert:

„Und Sie, warum sprechen Sie Deutsch, wenn Sie Benedetti heißen?“

Der Lachanfall heilte ihn von der Asthma-Attacke und rettete ihm das Leben.

(Die Poonal-Redaktion gratuliert dem uruguayischen Dichter und Schriftsteller Mario Benedetti nachträglich zum 77. Geburtstag, den er am 14. September trotz chronischen Asthmas in guter Gesundheit feierte.)

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