Poonal Nr. 307

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 307 vom 18. September 1997

Inhalt


MEXIKO

KOLUMBIEN

HAITI

GUATEMALA

KUBA

EL SALVADOR

ARGENTINIEN

BRASILIEN

LATEINAMERIKA

PERU

URUGUAY

CHILE

BOLIVIEN


MEXIKO

Zapatist*innen im Aufbruch? – Versuchte Weichenstellungen

für die Zukunft

(Mexiko-Stadt, September 1997, POONAL).- 1.111 Zapatisten befinden sich nach einem teilweise triumphalen Empfang in der Hauptstadt wieder in ihren chiapanekischen Gemeinden. Das Zapatistische Bündnis der Nationalen Befreiung (FZLN) hat sich nach einer schwierigen 20monatigen Geburt formell gegründet und will eine starke landesweite Bewegung werden. Der Nationale Indígenarat (CNI), ebenfalls im Rahmen des Aufstandes der EZLN entstanden, konsolidierte sich als wichtiges Forum für nahezu alle der offiziell 56 mexikanischen Ethnien. Es waren ereignisreiche Tage in Mexiko-Stadt. Und wenn es vor Wochen noch so schien, als ob die im militarisierten Chiapas eingekesselten Zapatisten gegen das Vergessen ankämpfen müssten, so haben sich sich eindrucksvoll wieder in Erinnerung gebracht. Für die meisten der weit mehr als 100.000 Menschen, die ihnen auf ihrem Weg durch die Bundesstaaten Oaxaca, Puebla und Morelos und vor dem Nationalpalast in der Hauptstadt zujubelten, waren die Ind'igenas aus Chiapas Helden. Ob der symbolträchtige Marsch ins Zentrum der Macht sowie die vielfältigen Aktivitäten dort jedoch einen entscheidenden bleibenden Anstoss für die Politik in Chiapas und im ganzen Land geben können, ist nicht sicher. Verantwortlich sind dafür eine ganze Reihe von Faktoren.

Einer der wichtigsten davon ist der zukünftige Erfolg oder Mißerfolg des Zapatistischen Bündnisses der Nationalen Befreiung (FZLN). Dabei handelt es sich nach den gescheiterten Versuchen mit der Nationalen Demokratischen Konvention (CND) und der Bewegung der Nationalen Befreiung (MLN) um den dritten und wohl letzten Versuch seitens der EZLN, eine „politische Kraft neuen Typs“ zu schaffen. Die Bilanz nach dem mehrtägigen Gründungskongress ist schwierig, genauso schwierig wie der weitere Weg der Organisation sein wird. Unzweifelhaft zeigte die Präsenz von etwa 3.000 Mitgliedern von im Vorfeld gegründeten Komitees, daß das FZLN langsam aber ständig gewachsen ist. Die Basis ist inzwischen landesweit verteilt, wenn auch in unterschiedlicher Stärke. Die Kongreßteilnehmer bekräftigten noch einmal die Leitlinie, die den Vorstellungen entspricht, die die EZLN in ihrer Vierten Erklärung des Lacandonen-Urwaldes vorgegeben hatte. Das Bündnis soll sich als eine zivile, unabhängige, demokratische Massenbewegung charakterisieren, die nicht nach der politischen Macht streben sondern die Herrschenden zwingen will, „gehorchend zu regieren“. Daraus resultieren mehrere Probleme. Zum einen muß das FZLN sich dem Dilemma stellen, ein Kind der Zapatisten zu sein, aber nicht ihr ziviler politischer Arm sein zu sollen. Dies erinnert ein bißchen an die Quadratur des Kreises. Zumindest formell bleibt die Trennung gewahrt, nachdem die während der FZLN-Gründung durch ein Kommuniqué von Subcomandante Marcos überraschend verkündet hat, nicht direkt am Bündnis teilzunehmen. Als einen Grund führt Marcos die ständigen Umdeutungsversuche der Regierung an, damit müßten die Zapatisten zwangsläufig zu einer unbewaffneten Kraft werden, die sich ins politische Leben des Landes eingliedert. Die Waffenabgabe steht aber für die EZLN nach wie vor nicht zur Debatte.

Auf dem Kongreß gab es eine Mehrheit dafür, keine aktive Doppelmitgliedschaft in einer Partei und dem FZLN zu erlauben. Dies kann in der Zukunft zu Interpretationsschwierigkeiten führen. Reicht es beispielsweise als Verbot für die FZLN-Mitgliedschaft schon aus, im Register einer politischen Partei eingeschrieben zu sein oder wird dies toleriert? Viele bisherige Aktivisten in den FZLN-Komitees sind Mitglieder der Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Ganz eindeutig ist nur, daß niemand im FZLN ein politisches Wahlamt oder einen Regierungsposten innehaben oder anstreben darf. Auch sind diejenigen ausgeschlossen, die die Tätigkeit in anderen sozialen Organisationen zu ihrem bezahlten Beruf gemacht haben. Die Struktur des FZLN soll „horizontal“ ohne jeglich Führung sein. Die Entscheidungen werden – zumindest in der Theorie – auf der Ebene der sogenannten zivilen Dialogkomitees getroffen und dann von „Koordinationsteams“ auf einen Nenner gebracht. Übergangsweise wird es eine nationale Verbindungskommission geben. Die Tragfähigkeit dieses Modells wird sich erweisen müssen.

Eine Minderheit auf dem Gründungskongreß stellte die ketzerische Frage, ob mittelfristig die Übernahme politischer Macht nicht doch erstrebenswert wäre, anstatt die Herrschenden nur zum „gehorchenden Regieren“ zu zwingen. In diesen Zweifeln spiegelt sich das ambivalente Verhältnis sowohl der bewaffneten wie der zivilen Zapatisten und Zapatistinnen zur linksoppositionellen Partei der Demokratischen Opposition (PRD) wider. Bei aller Parteienschelte werden zumindest auf Teile dieser Partei immer wieder Hoffnungen gesetzt. Insbesondere auf die Figur von Cuauhtémoc Cárdenas, den gewählten Bürgermeister der Hauptstadt. Das Verhältnis beider Seiten kommt des öfteren einer Hassliebe sehr nahe. Unlängst äußerte Subcomandante Marcos die Erwartung, von Mexiko-Stadt aus könne sich mit Cárdenas als wichtiger Figur das ganze Land demokratisieren.

Ein Nahziel, bei dem die Durchschlagskraft und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit der FZLN und anderer oppositioneller Gruppen auf die Probe gestellt werden können, ist eine landesweite Kampagne gegen die Militarisierung von Chiapas und anderer Bundesstaaten. EZLN, FZLN, CNI und PRD sind sich den Äußerungen nach da weitgehend einig. Ebenso geht es darum, die Regierung zur Erfüllung des im Februar 1996 mit den Zapatisten getroffenen Abkommens von San Andrés zu zwingen. Das Thema dieser Vereinbarungen sind die Indígenarechte und -Kultur, den eigentlichen Kernpunkt bilden die Autonomieforderungen der Indigena-Gemeinden. Das Abkommen füllte viel Papier, änderte an der Realität aber wenig. Ein Entwurf zu einer neuen Indígena- Gesetzgebung samt Verfassungsänderungen durch die vermittelnde und parteiübergreifende Parlamentskommission Cocopa scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode an den Einwänden von Präsident Ernesto Zedillo, dessen eigene Partei im Parlament niemals gegen ihn gestimmt hätte. Jetzt sind die Vorzeichen anders: Insgesamt mehr als 10.000 Mitglieder von EZLN, FZLN und CNI konnten sich über die Grundzüge einer gemeinsamen Aktion verständigen und im Parlament haben die Oppositionsparteien zusammen die Mehrheit. Das vergrößert die Chancen, dem Vorschlag der Cocopa doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Die PRD will die Initiative dazu in Kürze ergreifen.

Die Zapatisten haben die Gunst der Stunde erkannt. Statt sich über eine Neuaufnahme der seit September 1996 abgebrochenen Gespräche mit der Regierung Gedanken zu machen, wollen sie lieber mit der neuen Parlamentskommission zu Chiapas, der Nationalen Vermittlungskommission unter Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz sowie mit dem Gesamtparlament reden und so den Druck auf Präsident Zedillo und sein Kabinett verstärken. Die regierende Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) ist immer weniger ein geschlossener Block, dies kommt der EZLN jetzt zugute. Eine Verabschiedung des Indígena-Gesetzes würde den Zapatisten zudem den Rücken für die Forderung nach dem Truppenrückzug der Bundesarmee aus ihrem Einflussgebiet stärken. Erst danach sind nach dem Stand der Dinge wieder direkte Verhandlungen zwischen EZLN und Regierung denkbar, so sehr die Regierung nun auch plötzlich darauf drängen mag. Der Marsch der EZLN und der FZLN-Kongress haben die Ausgangsbedingungen nicht grundsätzlich verändert. Aber sie haben gezeigt, daß die Zapatisten immer noch eine feste Größe in Mexiko sind. Bei insgesamt veränderten politischen Rahmenbedingungen haben sich die Perspektiven der EZLN wieder verbessert.

KOLUMBIEN

Wahlen mitten im Krieg

Von Eduardo Tamayo G.

(Bogotá, 12. September 1997, alai-Poonal).- Am 26. Oktober finden im 1077 Landkreisen Kolumbiens Kommunalwahlen statt. Doch der Wahlkampf ist gestört und weit davon entfernt, demokratische und pluralistische Züge aufzuweisen. Zur traditionellen und hohen Wahlenthaltung gesellt sich ein neuer Faktor: das Kriegsklima und die Gewalt. Die Situation hat sich so zugespitzt, daß selbst eine Verschiebung der Wahlen nicht mehr ausgeschlossen wird.

Der Boykott der Gürilla

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben bereits den Boykott der Wahlen erklärt. Sie führen an, in Kolumbien gebe es „keinen Raum für den legalen und politischen Kampf“. Der Wahlkampf sei nicht demokraitsch, „denn es wird nur die Beteiligung der Vertreter*innen der traditionellen Parteien, der Konservativen und der Liberalen, erlaubt“, sagt Javier Cifüntos, Mitglied der Kommission für internationale Beziehungen der FARC. Kategorisch versichert er: „Wenn es keine freien Wahlen und keine Demokratie gibt, an denen das gesamte kolumbianische Volk teilnehmen kann, dann gibt es eben Wahlen für niemanden.“ Der Boykott der Gürilla beinhaltet das Verbot, eine Wahlkampagne zu führen und politische Werbung zu betreiben, das Festhalten von Kandidat*innen und den Aufruf, am Wahltag den Urnen fernzubleiben. Eine Konseqünz daraus ist der massive ist der massive Rücktritt von Kandidat*innen. In vielen Landkreisen wird eine Wahl unmöglich sein.

Aufgrund der Erfahrung der linken Patriotischen Union, die seit ihrer Gründung im Jahr 1985 rund 4.000 ihrer Mitglieder durch Morde verloren hat, ist die Gürilla nicht bereit, eine offene legale politische Option zu unterstützen. „Wer gewählt ist, ist eine tote Person. Und wir haben nicht diese Berufung zu Märtyrern“, erklärt Cifüntes. Dennoch haben die Kommunistische Partei und die Patriotische Unión in mehreren Landkreisen Kandidat*innen aufgestellt. Die zweite große Gürillabewegung Kolumbiens, die Armee der Nationalen Befreiung (ELN), hat die Kandidat*innen aufgefordert, sich eindeutig gegen die rechten paramilitärischen Gruppen zu prononcieren. Das soll die Garantie sein, damit die ELN nicht gegen sie vorgeht.

Vertrauen auf die militaristische Option

Obwohl die Regierung von Ernesto Samper in den vergangenen drei Monaten von Dialog und Frieden gesprochen hat, ist die paramilitärische Gewalt nicht gestoppt worden. Hunderte Kolumbianer*innen, vorwiegend aus der Zivilbevölkerung, sind ums Leben gekommen. „Die Morde an Aktivist*innen aus der Bevölkerung und die von den paramilitärischen Gruppen ausgesprochenen Todesdrohungen gegen die Kandidat*innen wichtiger Oppositionskreise, verfälschen den Wahlkampf völlig. Wie sich bisher gezeigt hat, befindet sich dieser auf dem Weg zu einem programmierten Massaker“, äußert beispielsweise die Amerikanische JuristInnenvereinigung. Auf den Wahlboykott der Gürilla haben die Paramilitärs in ihren Herrschaftszonen damit gedroht, keine Kandidat*innen zuzulassen, die ihnen nicht genehm sind. Die Massaker (vgl. vergangene Poonal-Ausgaben) sollen die Opposition einschüchtern. In der Region von Urabá, im Nordosten der Provinz Antioquia, im Norden des Chocó und im Süden der Provinzen Cesar und Bolívar konnte die Linke aufgrund der paramilitärischen Gewalt keine Kandidat*innen aufstellen. Dazu kommt die Regierungspolitik, Militärbürgermeister in mehreren Landkreisen zu ernennen. Das Resultat ist die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens und die Annullierung der demokratischen Beteiligung der Bevölkerung.

Hat der Dialog eine Chance?

Seit Ende Juni spricht die Regierung von Präsident Ernesto Samper von Gesprächen mit der Gürilla, die in den vergangenen Monaten erneut eine groß angelegte Militäroffensive startete. Gleichzeitig haben die Unternehmer*innen den Staatschef gedrängt, „die notwendigen Schritte für den Beginn und das Fortkommen des Friedensprozesses zu unternehmen“. So kam es tatsächlich Ende August in Mexiko zu einem Treffen zwischen dem FARC-Abgesandten Marcos Calarcá und den Regierungsdelegierten José Noé Ríos und Diego García Peña, um Dialogmöglichkeiten auszuloten. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben zu diesem Zweck eine entmilitarisierte Zone vorgeschlagen. Die Regierung hat sich offiziell damit einverstanden erklärt. Allerdings werfen die FARC der Regierung vor, nicht aufrichtig zu sein und nur den von Samper als Nachfolger favorisierten Präsidentschaftskandidaten Horacio Serpa zu fördern.

Die Gespräche haben wenig Erfolgsaussichten, denn die Regierung befindet sich nicht in ihrem besten Moment. Das letzte Jahr des Samper-Regimes ist ein Wahljahr. Die Regierung ist nicht nur verbraucht, weil sie das Versprechen des „sozialen Sprungs“ nicht erfüllen konnte. Sie steht auch neuen Anklagen gegenüber, in denen bewiesen wird, daß Samper Geld des Cali-Kartells für seine Wahlkampagne erhielt. Es summiert sich noch mehr dazu: der Skandal über die Vergabe von Radiofreqünzen und Fernsehkanälen an Freunde des Präsidenten, die Wirtschaftsrezession, die Erhöhung der Auslandsschuld, die sich um die 30 Milliarden Dollar bewegt. Im Land gibt es eine wachsende Unzufriedenheit der Gewerkschaften. Diese begannen Ende August und Anfang September mit Streiks und Mobilisierungen für Lohnerhöhungen, gegen die Privatisierung von Staatsunternehmen. Ausserdem über sie Druck auf eine Verhandlungslösung für den bewaffneten Konflikt aus. Beteiligt sind Gewerkschaften aus den Bereichen Telekommunikation, Justiz, Ölindustrie, Strombranche, Banken, Transportwesen und Bildungssektor.

Stimme für den Frieden

In dieser Situation hat die kolumbianische Gesellschaft Vorschläge gemacht, die sie als neutral bezeichnet. Initiativen vom „REDEPAZ“ (Friedensnetz), von „País Libre“ (Freies Land) und UNICEF – aus der Perspektive der Kinder – rufen die Bürger*innen auf, am kommenden 26. Oktober eine Stimme für den Frieden, das Leben und die Freiheit abzugeben. Wer sich dieser Absicht verpflichtet fühlt, soll seinen Ausweis an den Wahltischen registrieren lassen und der folgenden Erklärung zustimmen: „Ich verpflichte mich, Konstrukteur von Frieden und sozialer Gerechtigkeit zu sein, das Leben zu schützen, jede gewalttätige Aktion abzulehnen und ich unterstelle mich dem Mandat der Kinder für den Frieden (letzteres eine UNICEF-Initiative; die Red.).“ Die Unterschriften der Bürger*innen werden parallel zu den Wahlergebnissen ausgezählt.

Offizielle Armee mit Gegenoffensive

(Bogotá, 17. September 1997, pulsar-Poonal).- Auf die Vorstösse der kolumbianischen Gürillabewegungen in jüngster Zeit hat die Bundesarmee seit etwa zwei Wochen mit einer großen Gegenoffensive reagiert. Sie richtet sich in erster Linie gegen die Einheiten der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Die größte Offensive der vergangenen sieben Jahre nennt sich „Destructor Dos“ (Zerstörer Zwei). An ihr nehmen etwa 3.000 bis 4.000 Soldaten aller Waffengattungen teil. Die Militärs versichern, mehrere RebellInnenführer eingekreist zu haben. Presseberichte erwähnen eine „Festung“ der Gürilla im Urwaldgebiet von Yari, die von der offiziellen Armee entdeckt worden sei und wo Aufständischen 25 Tonnen Lebensmittelvorräte gelagert hatten. Am vergangenen Samstag schlugen die FARC eine Waffenpause vor, die von Präsident Samper und den Militärs abgelehnt wurde. Die ständigen Bombardements betreffen Aussagen der Bevölkerung zufolge auch Landgemeinden sowie deren Felder.

HAITI

Kräfteverschiebungen im Parlament

(Port-au-Prince/Wiesbaden, August 1997, haiti info-Poonal).- In der haitianischen Abgeordnetenkammer haben sich die Allianzen neu formiert. Eine Gruppe von bisher 25 Parlamentarier*innen nennt sich seit dem 27. August „anti-liberale und anti-Besatzungsgruppe“. Sie steht Ex-Präsident Aristide nahe und wendet sich entschieden gegen die angestrebten wirtschaftlichen Reformen im Rahmen des IWF- Strukturanpassungsprogramms. In der Vergangenheit so die Kräfteverteilung im Parlament folgendermaßen aus: 33 Abgeordnete gehörten der Politischen Organisation Lavalas (OPL) an, etwa 40 wurden dem informellen Pro-Aristideblock zugerechnet und ungefähr 10 Parlamenatarier*innen machten die Gruppe der Unabhängigen aus. Jetzt ist die Lavalas-Bewegung noch deutlicher in die OPL und die Aristide-Fraktion gespalten. Pater William Smarth, Bruder des ehemaligen Premierministers und OPL-Mitglied, hat beide Seiten aufgefordert, miteinander zu verhandeln. Der Abgeordnete Guiteau richtete den Appell an die Kontrahenten, die Bewegung müsse aufhören, sich mit Giftpfeilen gegenseitig zu zerstören. Präsident Préval weigerte sich unterdessen als Vermittler aufzutreten, der die „Bruchstücke wieder züinander fügen“ solle.

OPL sucht nach neuem Weg

(Port-au-Prince/Wiesbaden, September 1997, haiti info-Poonal).- Am 3. September stellte die Politische Organisation Lavalas (OPL), die größte Parlamentspartei, ein neues Positionspapier vor. Darin werden mehrere Vorschläge zu einer Annäherung der Parteien und zur Lösung der politischen Krise gemacht. Die OPL fordert die sofortige Ernennung eines Premierministers (vgl. dazu Poonal 306), die Annullierung der umstrittenen Wahlergebnisse für das Parlament aus dem April dieses Jahres und die Bildung eines neuen Wahlrates, der in der Lage wäre, alle Parteien an einen Tisch zu bringen. Auf das zur Zeit auf Haiti grassierende Gerücht, daß Parlament könne aufgelöst werden, reagierte OPL-Generalsekretär Gérard Pierre Charles gegenüber der Presse mit Beschuldigungen, René Préval und Jean Bertrand Aristide würden ein anti-demokratisches Projekt aushecken. Sie wollten ihre Machtgelüste befriedigen. Pierre- Charles wies auf die zunehmende Unregierbarkeit des Landes hin und rief zu einem demokratischen Dialog auf. Dieser könne aber nicht in der Bildung der von der Nationalen Front für den Wechsel und die Demokratie (FNCD) geforderten nationalen Konferenz sein. Die FNCD hat die Mobilisierung aller Lavalasgegner gefordert, um eine Art große Koalition aller poltitischer Kräfte zu erreichen.

Kleiner Lichtblick bei den Menschenrechten

(Port-au-Prince/Wiesbaden, August 1997, haiti info-Poonal).- Am 19. August hat die Menschenrechtskommission der UNO eine deutliche Verbesserung der Haftbedingungen seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahre 1994 festgestellt. Dies sei unter anderem auf die inzwische zivile Verantwortung für die Gefängnisse zurückzuführen. Dennoch darf die Leitung der Haftanstalten nach Meinung der Kommission nicht in den Händen der Polizei bleiben, wie dies jetzt der Fall ist. Die UNO-Funktionär*innen übten weitere Kritik: So seien mehrere Menschenrechtsverletzungen in den Gefängnissen begangen, aber nur wenige von der Justiz untersucht worden.

GUATEMALA

Grünes Licht für Privatisierungen

(Guatemala-Stadt, 9. September 1997, cerigua-Poonal).- Das oberste Gericht des Landes hat die umstrittene Gesetzgebung genehmigt, mit der die Regierung die schnelle Privatisierung staatlicher Dienstleistungen erreichen will. So weisen die Änderungen in den entsprechenden Gesetzen nach Auffassung des Verfassungsgerichtes zwar kleinere Verfassungswidrigkeiten auf, seien aber im wesentlichen legal. Der Einspruch der Richter*innen bezieht sich auf die Regelungen, die den endgültigen Verkauf oder die Konzession für parastaatliche Unternehmen von der Zustimmung der Regierung abhängig machten. Dies würde die Autonomie dieser Unternehmen verletzen, befand das Verfassungsgericht. In der Praxis wird dieses Urteil voraussichtlich für den noch einfacheren Verkauf von Staatsvermögen sorgen. Allerdings ist nach wie vor die Abstimmung im Parlament über die einzelnen Privatisierungen notwendig. Im Mai hatten oppositionelle Abgeordnete, die nationale San Carlos Universität und der staatliche Menschenrechtsbeauftragte die Verfassungsklage unter dem Hinweis eingereicht, die neue Gesetzgebung würde zu undurchsichtigen Absprachen und der Plünderung von Staatsvermögen führen. Dies wird ihrer Ansicht nach dadurch begünstigt, daß die staatlichen Gesellschaften ohne eine unabhängige Schätzung ihres tatsächlichen Marktwertes verkauft werden dürfen. Gegen diese Regelung hat das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung keine Einwände geäussert. Am Ende dieses Jahres will die Regierung 16 Unternehmen privatisiert haben.

KUBA

Attentäter gesteht im Fernsehen

(Havanna, 15. September 1997, pl-Poonal).- Der Salvadoreaner Raúl Ernesto Cruz León hat am Montag abend im kubanischen Fernsehen gestanden, mehrere Bombenattentate in der Hauptstadt Havanna durchgeführt zu haben. Cruz war am 4. September einige Stunden nach den Explosionen in den Hotels Copacabana, Chateau Miramar und Triton festgenommen worden. Im Hotel Copacabana war der 32jährige italienische Unternehmer Fabio di Celmo durch das Bombenattentat ums Leben gekommen. „In El Salvador beauftragten sie mich, diese Sprengstoffe anzubringen, sie gaben mir eine Liste von Orten… um Panik zu schaffen“, so der mutmaßliche Täter in einer Sondersendung des Fernsehens. Gefaßt erklärte Cruz León zweimal nach Havanna gereist zu sein, um die Anschläge zu begehen. Das erste Mal vom 9. bis 14. Juli und das zweite Mal ab dem 31. August. „Am 12. Juli habe ich zwei Bomben in Hotels deponiert und am 4. September in drei Hotels und einem Restaurant“ (in dem Restaurant explodierte der Sprengstoff sechseinhalb Stunden nach seiner Festnahme), antwortete er auf die Befragung. Er führte ebenso aus wie er die Explosivstoffe vom Typ C-4 auf die Insel brachte. Bei seiner zweiten Reise waren diese nach seiner Schilderung in einem Fernsehgerät versteckt. Cruz León gab an, in beiden Fällen alleine gereist zu sein.

Der Oberst Adalberto Rabeiro, Leiter der Untersuchungseinheit zu den Attentaten und Mitglied des Geheimdienstes des Innenministeriums, erklärte die Vorgehensweise des mutmaßlichen Täters und präsentierte mehrere Beweisstücke. Darunter befinden sich ein Radiowecker, mit dem der Sprengstoff zu den jeweiligen Orten transportiert sein worden soll, ein Telefonbuch mit Anleitungen zur Vorbereitung der Bomben und einer Liste der Anschlagsorte sowie Teile der Mini-Bomben. Diese bestanden auf umfunktionierten Taschenrechnern mit einem Zeitzünder. Laut Rabeiro wurde Cruz León in El Salvador von einer Gruppe Konterrevolutionäre und Drogenhändler unter Vertrag genommen, die in Verbindung der Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung mit Sitz in Miami stehen. Diese Stiftung beschuldigte er, direkt verantwortlich für die terroristischen Akte gegen Kuba zu sein. Die Ausbildung und Ausrüstung von Cruz León hat den Untersuchungen nach in El Salvador stattgefunden. Auf Kuba verhielt er sich die ersten Tage seiner Reisen wie ein normaler Tourist und inspezierte danach die Anschlagsorte. Die Anklage gegen Cruz León lautet auf Sabotage und Terrorismus. Die Mindesstrafe dafür sind zehn Jahre Haft, die Höchstrafe besteht in der Hinrichtung.

EL SALVADOR

Regierung will geständigem Raúl Cruz León helfen

(Mexiko-Stadt, 17. September 1997, Poonal).- Die salvadoreanische Regierung hat erklärt, „das Unmögliche“ zu versuchen, um dem auf Kuba verhafteten Raúl Cruz León zu helfen. Innenminister Marcio Acosta äußerte den Verdacht, Cruz könne ein „Sündenbock“ sein und es werde einen politischen Prozeß geben. Seine Regierung wolle alles tun, um den Verhafteten vor der möglichen Todesstrafe zu retten. Aussenminister Ramón González ging Kuba noch härter an. Es handele sich um ein Land „in dem es weder Demokratie noch Menschenrechte gibt. Von daher weiß ich nicht, wie rechtswirksam die Untersuchung in diesem Fall sein wird.“

ARGENTINIEN

Doch noch Aufklärung über Verschwundene?

(Bünos Aires/Montevideo, 15. September 1997, comcosur-Poonal).- Einer der ehemaligen starken Männer der Militärdiktatur, General Albano Harguindeguy, hat gegenüber der Presse überraschende Äußerungen gemacht. So erklärte er, seinem Nachfolger als Innenminister Informationen über die staatliche Repression hinterlassen zu haben. Außerdem sprach er sich für die Offenlegung der Armeearchive über die Unterdrückung durch die Militärs aus. Der General war von 1976 bis 1981 argentinischer Innenminister. Diese Zeit umfaßt die härtesten Jahre der Diktatur, unter der insgesamt schätzungsweise 30.000 Personen entführt, gefoltert und ermordet wurden, ohne daß die Leichen jemals den Familienangehörigen übergeben wurden. „Das beste wäre, wenn diese Archive (noch) existieren, daß sie auftauchten. Dann wüßte man, was mit jedem einzelnen geschah“, so Harguindüy jetzt. Vor Monaten hatte die spanische Tageszeitung „El Mundo“ berichtet, die Archive befänden sich in Geheimfächern Schweizer Banken.

Tod durch Pestizide

(Buenos Aires/Montevideo, 15. September 1997, comcosur-Poonal).- Vier Tagelöhner, die Getreide sortierten, starben als sie Gase von Pestiziden einatmeten, „die anderen Ländern der Welt verboten sind“, informierte am vergangenen Freitag, die Gewerkschaft der Argentinischen Union der Landarbeiter*innen. In der Schilderung in ihrer Anzeige wird außerdem deutlich, dass die Landknechte unter sklavenähnlichen Bedingungen und in absoluter Schutzlosigkeit arbeiten müssen. „Wir haben dies seit langer Zeit angeklagt. In Argentinien werden Pestizide benutzt, die in anderen Ländern verboten sind und Tragödien wie diese geschehen in geringerem Ausmaß jeden Tag“, so einer der Gewerkschafter.

BRASILIEN

Indígena-Mörder freigelassen

(Brasilia/Montevideo, 15. September 1997, comcosur-Poonal).- Ein Gericht in Brasilia verfügte am 11. September die Freilassung eines der fünf jugendlichen Mörder, die am 20. April dieses Jahres den Indígena Galdino Jesus do Santos bei lebendigem Leib verbrannt hatten. Der 17jährige ist der einzige Minderjährige unter den Tätern. Im April war er wegen „vorsätzlichen Mordes“ zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Vor wenigen Wochen änderte eine Richterin die Anklage gegen alle fünf Beteiligten nachträglich in „fahrlässige Tötung“ um, was heftige Proteste der Familienangehörigen von do Santos und anderer Personen hervorrief. Die Freilassung des ersten Jugendlichen wird vom Gericht mit „guter Führung“ begründet.

LATEINAMERIKA

Traurige Bilanz über Repression gegen JournalistInnen

(Havanna/Mexiko-Stadt, 15. September 1997, felap/comcosur- Poonal).- In den vergangenen 27 Jahren sind in Lateinamerika 420 Mitarbeiter*innen von Kommunikationsmedien ermordet worden. Weitere 151 verschwanden. Einen entsprechenden Bericht veröffentlichte die Lateinamerikanischen JournalistInnenföderation (FELAP) in Havanna. Kolumbien nimmt mit 108 ermordeten Journalist*innen den traurigen ersten Platz in der Region ein. Es folgen Mexiko, Guatemala, El Salvador, Argentinien, Peru, Chile, Brasilien und Nicaragua. Argentinien steht auf der Liste der Länder mit verschwundenen Journalist*innen vorne. Antonio Mar'ia Nieva, Präsident der Internationalen JournalistInnenorganisatin (OIP), erklärte: „Lateinamerika weist das schlimmste Ergebnis bei der Gewalt gegen die Journalist*innen auf, das ist eine unbestreitbare Tatsache.“

PERU

Keine Chance für Baruch Ivcher

(Lima, 16. September 1997, pulsar-Poonal).- Der Oberste Gerichtshof des Land bestätigte das Urteil des Richters Percy Escobar, der dem Unternehmer Baruch Ivcher auf Antrag der Behörden die peruanische Staatsangehörigkeit entzogen hatte. Die Verteidigung nutzte umgehend die Möglichkeit, ein letztes Mal in die Berufung zu gehen. Die endgültige Entscheidung muß innerhalb von drei Wochen getroffen werden. Einen Tag vor dem Urteil über die Nationalität Ivchers hatte dieselbe Kammer des Obersten Gerichtes auch den Verlust der Rechte des Unternehmers als Mehrheitsaktionär des Fernsehsenders „Frecuencia Latina Canal 2“ bestätigt. Damit liegt die Verwaltung des Senders endgültig in den Händen der Minderheitenaktionäre Mendel und Samuel Winter, die als regierungsnah gelten. In einer ersten Konsequenz kündigten mehrere Mitarbeiter*innen von Frecuencia Latina.

Mehr Information über Abhöraktionen

(Lima/Montevideo, 15. September 1997, comcosur-Poonal).- Der Fernsehsender „Frecuencia Latina“ hat weitere Einzelheiten genannt, wie in Peru abgehört wird. So gibt es den Informationen des Senders nach allein in der Hauptstadt Lima fünf geheime Einrichtungen, um den „Plan Emilio“ durchzuführen. Dieser beinhaltet die Telefonspionage bei Abgeordneten, Journalist*innen und Gegner*innen der Regierung von Präsident Alberto Fujimori. In einem von Frecuencia Latina zitierten Dokument wird dem Geheimdienstpersonal die Aufgabe erteilt, „die Handys der Parlamentarier*innen und Journalist*innen, von Fernsehsendern und Regierungsoppositionellen zu intervenieren“. Jedem der Abgehörten wurde offenbar ein spezieller Code zugeteilt. So war beispielsweise der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Javier Perez de Cuellar das „Projekt 87“. De Cuellar wurde bis zum Ende der Wahlkampagne von 1995 ausgehorcht. Allein im Jahr 1994 gaben die Geheimdienste mehr als 50.000 Dollar für die Anmietung der Räume aus, von denen aus sie die Telefone intervenierten. 1995 führten sie einen Sonderkurs für eine Gruppe von Technikern durch, damit diese sich mit der ausgefeilten Spionagetechnik für Handy-Telefone vertraut machen konnten.

URUGUAY

Frente Amplio zerfleischt sich weiter

(Montevideo, 15. September 1997, comcosur-Poonal).- Die in der Frente Amplio (FA) gruppierte uruguayische Linke kriselt weiter. Jüngster Schritt ist der Rücktritt des bisherigen FA-Präsidenten Tabaré Vázquez. Er rief dazu auf, die Frente Amplio zu überdenken und neu zu schaffen, indem ihre Ziele und Funktionsweise neu festgelegt würden. In seiner momentanten Verfassung sei das Linksbündnis nicht dazu in der Lage, auf nationaler Ebene zu regieren. Genau diese Perspektive war zumindest vor dem internen Streit nach den Umfragen realistisch. Nach wie vor entzünden sich die Meinungsverschiedenheiten an der Konzessionsvergabe für das kommunale Hauptstadt-Hotel Carrasco an private Betreiber, weil dieser Vorgang symbolisch für die allgemeine Haltung der Frente Amplio zu Privatisierungen steht. Durch seine Stimmenverweigerung hat der ebenfalls von seinem Amt zurückgetretene Ratsvorsitzende von Montevideo, Jorge Zabalza, vorerste die Konzessionsvergabe verhindert – die Frente Amplio hat im Stadtrat eine potentielle Mehrheit von 16 zu 15 Stimmen -, aber gleichzeitig eine Kontroverse ausgelöst. Während es für Zabalza keinen Unterschied zwischen Konzession und Privatisierung gibt, sehen Teile der Frente Amplio dies anders. Bei der Schadensbegrenzung könnte der uruguayischen Linken einmal mehr die Rechte helfen. Derzeit übt sich auch die Colorado Partei von Präsident Julio Sanguinetti in Flügelkämpfen.

CHILE

Land für Pehuenches

(Valle de Quinquen, 16. September 1997, pulsar-Poonal).- Die Regierung von Präsident Eduardo Frei übergab den Pehuenches 22.000 Hektar Land. Sie erfüllte damit eine Vereinbarung, die die Indígenas 1994 mit dem damaligen Regierungschef Patricio Aylwin schlossen. Vorausgegangen waren lange Verhandlungen und Rechtsstreite. Von der Regelung profitieren 120 Familien im Tal von Quinquen. Weitere 4.000 Hektar sollen den Pehuenches übergeben werden. Derzeit wird dies noch durch den Einspruch eines privaten Unternehmens verhindert, das Besitzrechte auf das Land geltend macht.

BOLIVIEN

Weniger Schulden nach Abkommen

(La Paz, 16. September 1997, pulsar-Poonal).- Die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank haben Bolivien Schulden in Höhe von 442 Millionen Dollar erlassen. Boliviens Vizepräsident Jorge Quiroga konnte die Gläubiger unter Hinweis auf die kränkelnde Wirtschaft des Landes von der Notwendigkeit der Maßnahme überzeugen. Für die Regierung bedeutet dies eine Erleichterung der Schuldenlast um zehn Prozent, da die Gesamtschulden im Juni dieses Jahres 4 Milliarden Dollar überstiegen. Die Verhandlungen mit den von den USA kontrollierten Banken könnten für Bolivien bald an Bedeutung verlieren, da bei der finanziellen „Zusammenarbeit“ die Europäische Union eine immer größere Rolle spielt. In den vergangenen drei Jahren kamen von dort Kredite mit einem Gesamtwert von etwa 200 Millionen Dollar, mehr als das Dreifache der Summe in den 20 Jahren zuvor.

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