Poonal Nr. 306

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 306 vom 11. September 1997

Inhalt


KOLUMBIEN

PARAGUAY

HONDURAS

CHILE/SCHWEIZ

PANAMA

EL SALVADOR

BOLIVIEN

KUBA

LATEINAMERIKA/USA

ECUADOR

URUGUAY

HAITI

GUATEMALA

PERU

BRASILIEN

BRASILIEN/ARGENTINIEN

ARGENTINIEN

GUYANA

PARAGUAY

MEXIKO


KOLUMBIEN

Neues Massaker

(Bogotá, 9. September 1997, pulsar-Poonal).- Der Mord an mindestens neun Personen in dem Ort Pijiguay der Provinz Sucre hat eine Flüchtlingswelle in das Landkreiszentrum Ovejas ausgelöst. Nach den bisherigen Informationen ist eine rechtsextreme paramilitärische Gruppe für das Massaker verantwortlich. Unter den Getöteten befinden ein Ratsmitglied des Ortes, ein Polizist und eine Frau. Am vergangenen Samstag waren 40 bewaffnete und vermummte Männer in Pijiguay eingedrungen. Sie durchkämmten den Ort, zündeten mehrere Häuser an und plünderten Geschäfte. Danach zogen sie sich in das bergige Umland zurück. Zahlreiche Menschen flüchten aus der Region und lassen Häuser und Habseligkeiten zurück. Die Behörden sprachen anfangs von 300 Flüchtlingen, inzwischen ist von 1.000 flüchtenden Menschen die Rede. Sie lassen alles zurück, um ihr Leben zu retten.

Viele Beobachter erklären die in den letzten Tagen verstärkt aufgeflammte Gewalt mit den bevorstehenden Kommunalwahlen im Oktober. Sowohl die Guerilla wie die von der offiziellen Armee unterstützten paramilitärischen Gruppen der Rechten treten verstärkt in Erscheinung und erschüttern mit Anschlägen und Massakern das Land.

PARAGUAY

Oviedo im Aufwind

(Asunción, 9. September 1997, pulsar-Poonal).- Der Ex-General Lino Oviedo wird voraussichtlich der nächste Präsidentschaftskandidat der Colorado-Partei sein. Nach vorläufigen Ergebnissen erhielt er mit 37 Prozent der Stimmen 1 Prozent mehr als sein schärfster innerparteilicher Rivale Luis María Argaña. Die Verzögerung der Stimmenauszählung – die Wahl fand am Sonntag statt – und das knappe Ergebnissen haben Befürchtungen über gewaltsame Auseinandersetzungen aufkommen lassen. Zu den Verlieren gehört auch Präsident Juan Carlos Wasmosy. Sein Kandidat Carlos Facetti erreichte weit abgeschlagen nur den dritten Platz. Allerdings dürfte ihm Argaña als Präsidentschaftskandidat seiner Partei wesentlich lieber sein als Oviedo. Für diesen ist es eine triumphale Rückkehr auf die politische Bühne. Er mußte in den Ruhestand gehen, nachdem er im April 1996 einen Militäraufruhr anführte, der nicht nur von seinem Parteikollegen und Präsidenten als verdeckter Putschversuch interpretiert wurde. Lino Oviedo führt seit Monaten einen populistischen Wahlkampf. Er verspricht den Armen, sie könnten barfuss in den Regierungspalast kommen und kündigt den Delinquenten und Korrupten ein Ende auf dem elektrischen Stuhl an.

HONDURAS

Militärs gegen zivilen Chef der Streitkräfte

(Tegucigalpa, 9. September 1997, pulsar-Poonal).- Staatspräsident Carlos Reina will einen Zivilisten zum Chef der Streitkräfte ernennen. Die Streitkräfte sollen einem noch zu gründenden Verteidigungsministerium – bislang existiert dieses Ressort formal nicht, sondern wird faktisch vom Militärchef ausgefüllt – unterstellt werden. Der zivile Minister soll nach dem Plan Reinas automatisch auch oberster militärischer Chef sein. Die Militärs freilich haben gegen diese Absicht mehr oder weniger offen Widerstand angekündigt. Militärsprecher Mario David Villanueva sagte, er habe Verständnis für den Vorschlag des Präsidenten, doch handele es sich mehr um einen Wunsch als eine Realität. Ohne Verfassungsreform sei die Änderung nicht möglich. Der Staats- und Regierungschef seinerseits begründete seine Initiative damit, er wolle Konflikte unter den Militärs vermeiden. Wenn die Amtszeit eines Streitkräftechefs ablaufe, seien unter den Soldaten Streit und Zusammenstöße wegen der Neubesetzung die Folge. Mario Raul Hung, noch bis Januar 1999 an der Armeespitze, antwortete Reina auf seine Weise. Er wolle sich nicht zur Wiederwahl stellen und werde sein Amt dem Militär übergeben, der gewählt werde. Unterstützung erhielt der Präsident von Erzbischof Oscar Andrés Rodríguez, den das honduranische Parlament vor kurzem vergeblich gebeten hatte, für eine Übergangszeit die Führung der Nationalpolizei zu übernehmen. Der Bischof bezeichnete die formelle Gründung des Verteidigungsministeriums als angemessen und wies daraufhin, daß dieses Ministerium in der Mehrheit der Länder Lateinamerikas bestehe.

CHILE/SCHWEIZ

Guerilla-Chef in der Schweiz verhaftet

(Santiago de Chile, 8. September 1997, pulsar-Poonal).- Die Freiheit nach der spektakulären Flucht mit dem Hubschrauber aus einem chilenischen Hochsicherheitsgefängnis war nur kurz für Patricio Ortiz. Der Führer der Guerilla-Organisation Frente Patriotico Manuel Rodríguez (FPMR) wurde in der Schweiz verhaftet, als er seine dort lebende Familie besuchen wollte. Die FPMR hat in Chile sofort Kontakt mit Schweizer Diplomaten aufgenommen. Sie will erreichen, daß Ortiz als politischer Flüchtling anerkannt wird. Seine Familie hat für ihn einen Asylantrag gestellt. Sie weist daraufhin, daß die über Ortiz verhängte 20jährige Haftstrafe wegen Polizistenmord von der Militärjustiz entschieden wurde, während ein Zivilgericht ihn freisprach. Die chilenische Regierung hat über den Obersten Gerichtshof unterdessen einen Auslieferungsantrag gestellt. Allerdings gibt es zwischen der Schweiz und Chile keine entsprechenden Vereinbarungen und Verträge. Über den Aufenthalt der anderen drei mit Ortiz im Hubschrauber geflohenen Häftlinge gibt es nur Vermutungen. Eine Version ist, daß sie sich auf Kuba befinden.

PANAMA

Schlechte Zeiten für ausländische JournalistInnen

(Panama-Stadt, 8. September 1997, pulsar-Poonal).- Gustavo Gorriti will sich von den staatlichen Autoritäten in Panama nicht klein kriegen lassen. Nachdem die Regierung den peruanischen Journalisten des Landes verweisen wollte, suchte er zuerst in denRäumen der von ihm mitgeleiteten Zeitung „La Prensa“ Schutz. Am vergangenen Wochenende begab er sich in sein Haus. Er erklärte, anscheinend wolle die Regierung jetzt abwarten, wie der Oberste Gerichtshof über seine Berufung entscheidet, und ihn nicht zwingen, das Land vor dem Urteil zu verlassen. Panamas Behörden hatten sich geweigert, das Visum von Gustavo Gorriti zu verlängern. Sie führten als Begründung an, die Arbeit könne von einem einheimischen Staatbürger übernommen werden. Der eigentliche Grund sind aber offensichtlich die Untersuchen von Gorriti, der es nicht unterließ, in seinen Artikeln auch die mächtigsten Institutionen des Landes wegen Korruption anzugreifen. Der Journalist eckte schon in seinem Heimatland mit der Staatsgewalt an. 1992 verließ er Peru, weil er dort verfolgt wurde. Als Präsident Alberto Fujimori dort die Verfassung außer Kraft setzte und gegen politische Gegner*innen vorging, wurde Gorriti verhaftet. Auf internationalen Druck hin wurde ihm die Ausreise erlaubt. Nach einiger Zeit in den USA kam er nach Panama und arbeitete dort für „La Prensa“. Er enthüllte dort unter anderem, wie eine panamaische Bank in die Geldwäsche verwickelt war und wie sich Präsident Ernesto Perez Balladares seine Wahlkampagne von einem Drogenhändler finanzieren ließ.

EL SALVADOR

Abgeordnete plädieren für Absetzung des Zentralbankchefs

(San Salvador, 8. September 1997, pulsar-Poonal).- Am Ende stand die Regierungspartei ARENA alleine. Eine Mehrheit von 54 Abgeordneten stimmte für die Ablösung des salvadoreanischen Zentralbankchefs Roberto Orellana Milla. Orellana Milla wird fehlende Aufmerksamkeit im größten Finanzskandal des Landes, der seit Monaten hohe Wogen schlägt, vorgeworfen. Die Oppositionsabgeordneten beschuldigen ihn zudem, bei seiner Anhörung durch das Parlament gelogen zu haben. Dennoch schien wenige Tage zuvor die Position des Bankchefs gefestigt. Die Partei der Nationalen Versöhnung, die Christdemokraten und die Bewegung der Einheit hatten gegenüber der Presse erklärt, den Antrag der linken FMLN auf Absetzung Orellana Millas nicht zu unterstützen. Das Bild änderte sich aber nach Äußerungen des ehemaligen staatlichen Oberaufsehers des Finanzsystems, Rafael Rodríguez Loucel. Dieser sagte, der Zentralbankchef habe Informationen über den Betrug durch zwei Finanzinstitutionen zurückgehalten. Der Betrug sei dem Präsidenten, dem Außenminister, dem Bundesstaatsanwalt sowie Orellana Milla bekannt gewesen, bevor der Skandal öffentlich wurde.

BOLIVIEN

Auf der Suche nach Quiroga

(La Paz/Montevideo, 5. September 1997, comcosur-Poonal).- Die Kommission, die den Tod des Sozialistenführers Marcelo Quiroga Santa Cruz während des Militärputsches von 1980 untersucht, hat noch keine Hinweise auf die sterblichen Überreste des Politikers gefunden. Quiroga wurde im Auftrag der Streitkräfte ermordet. Das Untersuchungsgremium, in dem Vertreter*innen der Regierung, von Menschenrechtsorganisationen und der Militärs sitzen, hat bisher verschiedene Personen befragt. Darunter befindet sich Felipe Molina, der als Hauptverdächtiger gilt. Die Kommission ließ in einem Labor in der kubanischen Hauptstadt Havanna auch die Knochenasche untersuchen, die das Regime den Familienangehörigen des Sozialistenführers zwei Wochen nach dem Putsch im Jahr 1980 übergab. Die Ergebnisse tragen jedoch sehr wenig zur Aufklärung bei. Es konnte nur festgestellt werden, daß die Asche von einer erwachsenen männlichen Person stammt.

KUBA

Kommunalwahlen

(Havanna/Montevideo, 5. September 1997, comcosur/prensa latina- Poonal).- Auf Kuba begann am 3. September die KandidatInnennominierung für die Gemeindeversammlungen. Dieser Prozeß wird im Oktober mit der Wahl abgeschlossen. Etwa siebeneinhalb Millionen Kubaner*innen sind dann aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Vorauswahl wird auf über 35.000 Veranstaltungen in den Kommunen getroffen. Die Regierung der Insel spricht vom demokratischsten Wahlprozeß auf der Welt, bei dem es keine politische Ränke und keine Geldverschwendung für Kampagnen gebe.

LATEINAMERIKA/USA

Militärschule Escuela de las Americas bleibt

(Washington/Montevideo, 5. September 1997, comcosur-Poonal).- Das nordamerikanische Repräsentantenhaus hat die Gelder für die Weiterführung der Militärakademie Escuela de las Americas bewilligt. Die Einrichtung entstand 1946 in der von den USA kontrollierten Panama-Kanalzone. 60.000 Militärs auf Lateinamerika und der Karibik erhielten in den Folgejahrzehnten dort eine Ausbildung – unter anderem in Folterpraktiken. Zahlreiche spätere lateinamerikanische Diktatoren absolvierten Kurse an der Escuela de las Americas. Die Abstimmung im US-Kongreß fiel mit 217 zu 210 Stimmen für den Fortbestand und die unbeschnittene Finanzierung der Militäreinrichtung knapp aus. Die Gegner*innen des Projektes monierten, daß die Akademie nach wie vor eine technische Ausbildung für die Unterdrückung der Bevölkerung durch die Militärs liefere.

ECUADOR

Homosexuelle forden Anerkennung

(Quito/Montevideo, 5. September 1997, comcosur-Poonal).- Die ecuadoreanische Homosexuellen-Gemeinde hat vor dem Carondelet Palast, dem Sitz der Regierung, für ihre Gleichberechtigung demonstriert. Sie verlangt die Abschaffung eines Gesetzes, daß die sexuellen Beziehungen zwischen Personen des gleichen Geschlechtes verurteilt. Während der Aktion sammelten die Demonstranten außerdem Unterschriften, um eine Reform des Strafgesetzes zu erreichen. „Wir sind Ziel von Prügel, Haft, Erpressung und Gewalt“, erklärten mehrere Demonstranten gegenüber der Presse.“Unser Vergehen ist es, anders zu sein und unsere eigene sexuelle Präferenz zu haben. Wir fordern Respekt und Toleranz von Seiten der Polizei, den Behörden und der BürgerInnenschaft. Wir haben ein Anrecht auf die Menschenrechte. NEIN zur Unterdrückung der Homosexualität.“

URUGUAY

Streit unter Montevideos Linken

(Montevideo, 5. September 1997, comcosur-Poonal).- Mit 27 von 31 Stimmen stimmte die Ratsversammlung von Montevideo dem Rücktritt ihres Vorsitzenden Jorge Zabalza zu. Dieser hatte sich im August zu diesem Schritt entschlossen, nachdem innerhalb der in der Hauptstadt regierenden Frente Amplio Streit um die Konzessionsvergabe an private Betreiber für das bisher kommuneeigene Hotel Casino Carrasco ausgebrochen war. Hintergrund ist die Debatte um die grundsätzliche Haltung des Linksbündnisses Frente Amplio gegenüber Privatisierungen auf nationaler und regionaler Ebene. Die politischen Auswirkungen dieses Streit für die Koalition der uruguayischen Linken sind schwer vorhersehbar. In Montevideo hat sich die Bewegung für Volksbeteiligung (MPP), die Teil des Frente Amplio ist, ausdrücklich gegen die Privatisierung des Hotels ausgesprochen und diese Haltung auf einer Generalversammlung am 3. September noch einmal bekräftigt. Sie stellte sich hinter Jorge Zabalza. Ohne die Stimmen der MPP hat die Frente Amplio im Rat von Montevideo nicht die notwendige Mehrheit.

HAITI

Ericq Pierre kein Regierungschef

(Porte-au-Prince, 30. August 1997, haiti hebdo-Poonal).- Nach einmonatigen Diskussionen hat die haitianische Abgeordnetenkammer am 27. August die Ernennung des Ökonomen Ericq Pierre zum Premierminister abgelehnt. Damit hat sich die durch den Rücktritt von Regierungschef Rosny Smarth vor fast drei Monaten ausgelöste politische Krise verschärft. Pierre war Ende Juli von Präsident Réne Préval als neuer Premierminister vorgeschlagen worden. Die Mehrheit von 43 Abgeordneten gegen ihn war deutlich. Nur neun Parlamentarier*innen waren auf seiner Seite, acht enthielten sich. Zu den Gründen für die Ablehnung gehört der Enthusiasmus von Ericq Pierre für die vom Ausland geforderten Wirtschafts- und Verwaltungsreformen auf Haiti. Weiterhin spielten die fehlende politische Basis für ihn sowie die ungenügende Konsultierung im Vorfeld seiner Nominierung eine Rolle. Zudem herrschte Unklarheit über Pierres richtigen Namen. Dieser erschien auf mehreren Dokumenten in insgesamt drei Versionen.

Am 8. August hatte Ericq Pierre vor der Presse die Bedeutung beschleunigter Wirtschaftsreformen betont, wobei er Kompromisse suchte: „Jedes Programm kann verbessert werden… Es ist eine leicht zu verstehende Wirtschaftspolitik nötig, die konkret und schnell sein muß.“ Er erklärte seine Absicht, „das System zu transformieren“. Die Designierung des Funktionärs der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) stieß auch auf die Gegnerschaft der Volksorganisationen. Diese klagen Pierre an, die Realität des Landes nicht zu kennen. Die größte politische Partei im Parlament, die Politische Organisation Lavalas (OPL), hatte bereits am 6. August verkündet, nicht für den parteilosen Wirtschaftswissenschaftler zu stimmen. Sie begründete dies damit, bei der Nominierung sei auf die verschiedenen Kräfte im Parlament keine Rücksicht genommen worden. Laut OPL-Chef Gérard Pierre- Charles muß zudem ein Politiker und kein Technokrat an der Regierungsspitze stehen. Ebenso fordert die OPL, zuerst die Probleme (zahlreiche „Unregelmäßigkeiten“; die Red.) zu lösen, die im Zuge der Wahlen von April 1997 entstanden.

GUATEMALA

Polizei erschießt Campesinos bei Protesten gegen Landräumungen

(Guatemala-Stadt, 8. September 1997, pulsar-Poonal).- Die guatemaltekische Polizei fährt auf Anordnung der Regierung in aller Härte mit der Räumung von besetzten Fincas fort. Auf einer Protestkundgebung kamen sechs Campesinos ums Leben. Den Berichten nach verhafteten die Sicherheitskräfte zuerst 15 Campesinos bei der Räumung einer Finca in der Provinz Petén. Als am folgenden Tag etwa 700 Menschen in der Ortschaft Sayaxché dagegen protestierten, eröffnete die Polizei das Feuer. Der stellvertretende guatemaltekische Innenminister befahl eine Untersuchung, schloß jedoch von vorneherein aus, die Polizei könne für die Toten verantwortlich sein. An vier weiteren Orten fanden gleichzeitig Räumungen statt. Die Aktion ist Teil eines Versprechens von Präsident Alvaro Arzú gegenüber den GroßgrundbesitzerInnen: Neue Landbesetzungen durch die Campesinos sollen nicht mehr zugelassen werden. Organisationen wie das Komitee für BäuerInneneiheit CUC wiesen das Regierungsvorgehen zurück. Damit würden nur Gewalt und Konfrontation produziert, so die Campesino-Führerin Rosario Pu.

Regierung will geplante Kinderrechte verzögern

(Guatemala-Stadt, 5. September 1997, sem-Poonal).- Die guatemaltekische Regierung will verhindern, daß die vereinbarten Kinder- und Jugendgesetze diesen Monat in Kraft treten. Laut eines am 11. September 1996 verabschiedeten Gesetzes soll das neue Gesetzespaket am 27. September 1997 in Kraft treten, um die veralteten und repressiven Bestimmungen von 1969 aufzuheben. In dem alten Gesetz wird noch die These vertreten, „Kinder müssen eingesperrt und nicht weiter gehört werden“. Die neuen Regelungen basieren auf der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die von Guatemala am 26. Januar 1990 ratifiziert wurde. Guatemala war damit das sechste Land, das dem neuen Vorbild der Verteidigung der Rechte der Kinder folgte.

Am 1. August dieses Jahres stellte der Präsident des Obersten Gerichtshofes, Ricardo Umaña, beim Parlamentsvorsitzenden den formellen Antrag, das Gesetzespaket frühestens in drei Monaten in Kraft treten zu lassen. Umaña führt die fehlenden Geldmittel und die mangelnde Ausbildung der Richter als besondere Schwierigkeiten bei der Einführung der neuen Gesetze an. Seine Initiative erhält wachsende politische Unterstützung. Die guatemaltekische Justiz schätzt die Kosten für die Einführung der neuen Regeln auf etwa 1,8 Millionen Dollar. Die Mission der Vereinten Nationen in Guatemala (MINUGUA) rechnet mit 25 Prozent weniger. „Die neuen Kinder- und Jugendgesetze sind für fünf Millionen Kinder – mehr als die Hälfte der guatemaltekischen Bevölkerung – von großer Bedeutung“, betont Bruce Harris, Leiter des Kinderhilfswerkes „Casa Alianza“ für die Region Lateinamerika. Die Casa Alianza ist ein Ableger der Organisation Covenent House mit der Zentrale in New York und eine der führenden Einrichtungen, die sich in Zentralamerika für die Verteidigung der Rechte der Kinder einsetzen. „Das erste Mal in der Geschichte Guatemalas werden die Kinder gesetzlich verankerte Rechte haben, die ihnen in der Vergangenheit verwehrt wurden. Sie werden das Recht auf Strafverteidiger*innen haben und das Recht, vor Gericht gehört zu werden“, bewertet Harris die neuen Bestimmungen.

Doch Ende August trafen sich Vetreter*innen der drei Gewalten des politischen Systems in Guatemala zu einer vertraulichen Sitzung. Sie vereinbarten, daß das Gesetzespaket nicht vor März 1998 in Kraft treten soll. Dieses Vorhaben wird auch vom Kabinett der Regierung Arzú unterstützt, das vorgibt, sich für die Rechte der Straßenkinder zu engagieren. „Die Politiker*innen küssen im Wahlkampf alle Kinder, die ihnen die Hand reichen, aber wenn sie schließlich an der Macht sind, kehren sie ihnen den Rücken zu. Das ist eine weitere Form der Ausbeutung der Kinder – mit politischen Zielen“, klagt Arturo Echeverría, Direktor der Casa Alianza Guatemala. Seine Worte spiegeln die Meinung aller Kinderhilfsorganisationen im Land wider. „Obwohl er bereits 12 Monate zur Verfügung hatte, will der Oberste Gerichtshof Zeit, um die Richter*innen für das neue Gesetz auszubilden. Sie fordern mindestens sechs Monate zusätzlich. Wer garantiert, daß sie danach nicht noch mehr erbitten?“ fragt sich Echeverría.

Die Weigerung Guatemalas, die neuen Kinder- und Jugendgesetze in Kraft treten zu lassen, wird unweigerlich auf internationale Kritik stoßen. Ende September dieses Jahres muß Guatemala seinen zweiten Bericht über die Situation der Kinder im Land vor dem für Kinderrechte zuständigen Komitee der Vereinten Nationen präsentieren, welches die Umsetzung der Vereinbarungen überwacht. Das Komitee hat bereits seine Besorgnis über die fehlenden Gesetze zum Schutz der Kindheit in Guatemala ausgedrückt. „Die guatemaltekischen Verantwortlichen haben das Versprechen abgegeben, die Gesetze zum Schutz ihrer fünf Millionen Kinder zu verbessern, die lange weder eine Stimme noch Beteiligungsmöglichkeiten im Hinblick auf die ihre Entwicklung betreffenden Angelegenheiten hatten. Dieselben Verantwortlichen sind nun dabei, ihr Versprechen zu brechen. Wenn dies passiert, käme das einem Desaster gleich“, sagt Bruce Harris.

Weitere Mitte-Linkspartei

(Guatemala-Stadt, 28. August 1997, cerigua-Poonal).- Neben dem Demokratischen Bündnis Neues Guatemala (FDNG) und der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) ist eine weitere Linkspartei entstanden. Sie nennt sich „Demokratische Alternative“ und macht sich derzeit durch Werbeanzeigen bekannt. Ihr Generalsekretär ist Oscar Clemente Marroquin, langjähriger politischer Aktivist, Journalist und bis vor kurzem Chefredakteur der Tageszeitung „La Hora“. Er kündigt an, seine „Mitte-Links“- Organisation hoffe, die traditionelle Art der Politik durch „konstruktive Kritik“ zu ändern sowie „zu helfen, die Demokratie zu stärken und die Friedensabkommen zu erfüllen“. Wie andere, die die Lücke nach Jahrzehnten der Unterdrückung gegen linke oder fortschrittliche Parteien füllen wollen, sagt die Demokratische Alternative, die Fehler der politischen Rivalen nicht wiederholen zu wollen. „Wir bieten eine demokratische Allianz an, in der alle Gesichtspunkte respektiert und interne Demokratie geübt werden, indem die Beteiligung derer, die die guatemaltekische Gesellschaft mit ihren vielen Ethnien, Kulturen und Sprachen ausmachen, ermöglicht und gefördert wird“, heißt es in einer Stellungnahme. Marroquin hat für die anderen Partein allerdings nur Kritik übrig. Die regierende Partei der Nationalen Vorhut (PAN) beschreibt er als „klassizistisch und ausschließend“. Bei der URNG würden aufgrund ihrer Aufstandsvergangenheit „viele Antikörper geschaffen“ und die rechtsgerichtete Republikanische Front (FRG) sei „uninteressiert an den Friedensabkommen“. Vor zwei Jahren hatte Marroquin an den ersten Vorbereitungstreffen für die FDNG teilgenommen. Als dieses jedoch beschloß, sich mit der weithin diskreditierten Revolutionären Partei (PR) zusammenzutun, um das Wahlregister einfacher zu bekommen, trennte er sich von ihr.

Zwist gefährdet Autonomie

(Santiago Atitlan, 27. August 1997, cerigua-Poonal).- Ein wachsender Konflikt zwischen dem Bürgermeister und einem Großteil der Bevölkerung in der Maya-Stadt Santiago Atitlan, Provinz Sololá, hat die dort gewonnene Unabhängigkeit gefährdet. Vor sieben Jahren hatten die Bewohner*innen gegen die Armee und die Polizei in ihrer Stadt protestiert und sie erfolgreich aus ihrer Umgebung verbannt. Die Stadt bekam damit eine symbolische Stellung für das ganze Land. Jetzt fanden die zweimonatigen Demonstrationen und Gesetzesaktionen gegen Bürgermeister Manuel Sisay Sapalu – der Korruption und Pflichtverletzung beschuldigt – am 19. August ihren Höhepunkt, als das Rathaus in Brand gesetzt wurde. An diesem Tag näherten sich schätzungsweise 1.000 Einwohner*innen dem Gebäude, um Sisay Sapalu zu zwingen, die Wasserversorgung der Stadt zu garantieren. Diese war drei Wochen zuvor unterbrochen worden. Als die Demonstrantionen zum Rathaus kamen, stieg bald Rauch aus dem Gebäude auf. Wer für den Schaden verantwortlich ist, bleibt bisher umstritten.

Der Bürgermeister macht das seit 1990 bestehende „Gemeindekomitee für Sicherheit und Entwicklung“ dafür verantwortlich, die Bevölkerung zur Gewalt anzustacheln. „Trotz der Ereignisse werde ich im Amt bleiben“, erklärte er gegenüber der Tageszeitung „Siglo Veintiuno“. „Ich bin vom Volk gewählt worden und ich schwöre vor der Verfassung für die Demokratie zu kämpfen, selbst wenn es mich das Leben kosten sollte.“ Das Komitee dagegen sagt, die Bewohner*innen seien zwar aufgebracht gewesen, hätten das Feuer und den folgenden Aufruhr aber nicht ausgelöst. Sisay selber habe das Rathaus in Flammen gesetzt und Agitateure bezahlt, um die Menge aufzuhetzen. Die Komitee-Mitglieder würden bezichtigt, weil siedie Autorität des Bürgermeisters herausgefordert hätten. In dem Streit mit Sisay hat das Komitee eine führende Rolle gespielt und den Rücktritt des Bürgermeisters verlangt. Vor zwei Monaten allerdings unterschrieb es einen „Regierungspakt“ mit ihm, um Konfrontationen zu vermeiden. Die Vereinbarung sah den zeitweiligen Amtsverzicht Sisays vor, während dessen eine unabhängige Untersuchung über Unregelmässigkeiten in der Verwaltung durchgeführt werden sollte. Der 19. August hat dem Pakt nach Meinung des Komitees eine Ende bereitet und dem Bürgermeister den Weg frei gemacht, Armee und Polizei zu rufen, um Ordnung herzustellen und sein Amt zu garantieren. 25 Polizisten patrouillieren bereits in der Stadt – die ersten seit 1990. Am 2. Dezember in jenem Jahr erschossen Soldaten von der örtlichen Kaserne 13 unbewaffnete Zivilist*innen und verwundeten weitere hundert. Nach wütenden Protesten mußten Militär und Polizei Santiago Atitlan auf Druck der Bevölkerung verlassen. Seitdem ist das „Gemeindekomitee für Sicherheit und Entwicklung“ mit der Überwachung der öffentlichen Ordnung für die 45.000 Einwohner*innen verantwortlich. Es organisiert freiwillige Wachen in den umliegenden Dörfern und dem Landkreiszentrum.

PERU

Gesundheitsministerium läßt Sterilisationen durchführen

(Lima/Montevideo, 5. September 1997, comcosur-Poonal).- Die Armut der Bevölkerung wird nach den Angaben eines Priesters aus der Region von Huaraz vom Gesundheitsministerium dazu benutzt, die Frauen zur Sterilisation zu überreden. Für ihre Zustimmung bekommen die Frauen im Gegenzug Lebensmittel. Die Beschäftigten des Ministeriums sind, so der italienische Geistliche Stefano Tognetti ihrerseits Druck ausgesetzt. Wenn sie nicht mindestens zwei Sterilisationen pro Monat vorweisen könnten, würden sie mit der Kündigung ihrer Arbeitsverträge bedroht. Das Vorgehen der staatlichen Behörde schafft für die Frauen und in den Gemeinden von Huaraz zahlreiche Probleme. Unter anderem „weil die Ehemänner nicht informiert werden und wenn sie davon erfahren, verjagen sie ihre Frauen aus dem Haus, denn sie fühlen sich betrogen“, so Tognetti.

BRASILIEN

Bisher größter Protest gegen Regierung

(Brasilia, 9. September 1997, pulsar-Poonal).- Schätzungsweise 250.000 Brasilaner*innen nahmen an landesweiten Demonstrationszügen gegen die Wirtschaftspolitik von Präsident Fernando Henrique Cardoso und der Regierung teil. Die zentrale Veranstaltung fand in der Stadt Aparecida statt, wo 150.000 Menschen zusammenkamen. Proteste gab es aber ebenfalls in der Hauptstadt Brasilia, in Rio de Janeiro, San Salvador, Curitiba, Porto Alegre und anderen Städten des Landes. Angehörige der katholischen Kirche, Campesinos der Bewegung derer ohne Land, Gewerkschafter*innen, Mitglieder von Indígena-Organisationen und bis hin zu Vertreter*innen der Homosexuellen zeigten der Regierung symbolisch die Rote Karte. Diese ist zu einem Prostestsymbol geworden und hat sogar schon zu einem öffentlichen Streit zwischen der katholischen Kirche und Präsident Cardoso geführt. Auch die Messe in der Kirche Nuestra Señora von Aparecida dürfte der Regierung nicht gefallen haben. Die Presse schätzte sie als hochpolitisch ein. Vom Altar der Basilika aus griff Bischof Angelico Sandalo Bernardino die Regierung offen an. Unter anderem sagte er, daß „die Justiz weiterhin im Dienst der Reichen und Mächtigen steht“.

Papst will MST nicht empfangen

(Porto Alegre, 5. September 1997, 5. September 1997, alc-Poonal).- Papst Johannes Paul II. wird auf seinem Brasilienbesuch keine Mitglieder der Bewegung derer ohne Land (MST) empfangen. Dies teilte Monseñor Lucas Moreira Neves, der Vorsitzende der brasilianischen Bischofskonferenz mit. Über ihn hatten die landlosen Campesinos um ein Gespräch mit dem Papst in Rio de Janeiro gebeten, um über ihre Lage zu informieren und für die Unterstützung durch die Kirche zu danken. Trotz der Absage will der Papst aber nach Aussagen aus seiner Umgebung während seines Aufenthaltes im Land ein Dokument über die brasilianische Agrarfrage veröffentlichen.

BRASILIEN/ARGENTINIEN

EKD auf Rundreise

(Porto Alegre/Bünos Aires, August 1997, alc-Poonal).- Eine Delegation der Evangelischen Kirche Deutschlands bereiste Ende August Peru, Chile, Argentinien und Brasilien. Die Mitglieder unter Leitung des EKD-Vorsitzenden Klaus Engelhardt wurden in Begleitung ihrer brasilianischen Kolleg*innen unter anderem von Präsident Fernando Henrique Cardoso empfangen. Der Zusammenschluß der evangelischen Kirchen Brasiliens hatte bereits im Vorfeld auf die Dringlichkeit der Agrarreform hingewiesen, um eine gerechtere Landverteilung zu erreichen. Die EKD äußerte sich in diesem Sinne auf einer Pressekonferenz vorsichtiger. Sie helfe zwar finanziell bei Projekten zugunsten von Campesinos ohne Land, besonders im Bildungs- und Gesundheitsbereich, könne aber keinen Einfluß auf die interne Politik eines Landes nehmen, wie dies bei der Unterstützung für die Agrarreform der Fall wäre. Engelhardt bestritt, daß die Auslandshilfe die Bewegung derer ohne Land (MST) begünstige. Jürgen Gohde, Vorsitzenden des Diakonischen Werkes, erklärte: „Wir unterstützen keine Entwicklung, die Tumult oder Aufruhr verursacht“. Die Hilfsgelder der vergangenen drei Jahre in Höhe von fünf Millionen Dollar seien für soziale Projekte gewesen.

In Argentinien traf sich die deutsche Delegation auch mit Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen und den Familienangehörigen von Verschwundenen/Verhafteten deutscher Herkunft. Letztere kündigten ihre Absicht an, Gerichtsverfahren in Deutschland anzustrengen, da die argentinische Justiz die Straffreiheit fördere. Unter den Verschwundenen während der argentinischen Militärdiktatur befinden sich 72 Personen deutscher Abstammung. Die ersten Fälle, die vor die deutsche Justiz kommen sollen, sind die von Gerardo Coltzau und Federico Tatter. Coltzau verschwand im April 1976, als er seinen Wehrdienst ableistete. Tatter, Vater von drei Kindern, wurde im Oktober 1976 entführt. Die Gerichtsklagen stützen sich sowohl auf die Prinzipien des Internationalen Tribunals von Nürnberg, das die Verbrechen gegen die Menschheit als unverjährbar erklärte wie auf das deutsche Strafgesetz, das im Falle des Völkermordes die Gültigkeit deutschen Rechtes „unabhängig vom Recht am Ort des Geschehens“ vorsieht. Die EKD-Mitglieder sagten ihre Unterstützung für die Prozesse zu. Sie bekräftigten ihre Verpflichtung, die Menschenrechte zu verteidigen und gegen die Straffreiheit vorzugehen. Bezüglich des Staatsterrors in Argentinien in den 70er Jahren sprach sich die deutsche Delegation für eine Verfolgung der Straftaten aus. Ohne Urteil und Strafe „haben die Opfer Grund zu denken, dass die Gesellschaft das Geschehene gutheißt“, sagte Jürgen Schmude, Vorsitzender der EKD-Synode.

ARGENTINIEN

Radiolandschaft: 150 Lokalsender wegen Regierungsender geschlossen

(Bünos Aires, 8. September 1997, pulsar-Poonal).- Die Bundespolizei schloß mehrere Radiostationen in den Aussenbezirken der Hauptstadt, die auf der FM Frequenz sendeten. Damit soll einem neuen Sender mit hoher Senderstärke eine problemlosere Übertragung ermöglicht werden. Es handelt sich um FM News. Eigentümer ist Daniel Hadad, Journalist und Freund von Präsident Carlos Menem, der vor dem Mikrofon das Wirtschaftsmodell und die Regierungspolitik verteidigt. Menem vergab an Hadid eine Frequenz, die dem Gesetz nach für die Verbreitung von Regierungsaktivitäten reserviert war, aber nicht genutzt wurde. Die Konzession beinhaltet auch die Autorisierung einer hohen Sendestärke, so daß Buenos Aires und die urbanen Zonen in seiner Umgebung durch FM News abgedeckt werden können. Allein im Hauptstadt-Distrikt leben 15 Millionen Menschen. Damit das neue Radio nicht durch Interferenzen gestört wird, müssen viele Community Radio und kleine kommerzielle Sender ihre Übertragungen einstellen. Per Gerichtsbeschluß wurde die Polizei angewiesen, mit der Schließung der Radios zu beginnen. In einigen Fällen schlug die Polizei die Radiomacher*innen, verhaftete sie und legten ihnen Handschellen an, als ob es sich um Kriminelle handelte. Der Richter Marquevich hat mit der Begründung, sie würden Interferenzen produzieren, mehr als 150 Sendern die Übertragung verboten. Die Betroffenen wollen jetzt vor Gericht klagen und alle legalen Mittel ausschöpfen um ihre beschlagnahmten Ausrüstungen wiederzuerlangen und erneut senden zu können. Die argentische Repräsentation der Weltvereinigung der Community Radios (AMARC) hat alle unabhängigen Sender in Lateinamerika aufgerufen, Solidaritätsbotschaften zu schicken und Einspruch bei den Behörden des Landes zu erheben.

Unternehmer Yabrán wegen Cabezas-Mord immer stärker im Blickpunkt

(Bünos Aires/Dolores, 6. September 1997, pulsar-Poonal).- Der Gouverneur Eduardo Duhalde von der Provinz Buenos Aires hat den Unternehmer Afredo Yabrán öffentlich beschuldigt, die Untersuchungen über den Mord an dem Fotojournalisten José Luis Cabezas Anfang dieses Jahres zu behindern. Er verwahrte sich gleichzeitig gegen die Anschuldigung des Ex-Polizisten und mutmaßlich ausführenden Mörders Gustavo Prellezo. Dieser sagte aus, Duhalde habe im eine Million Dollar versprochen, falls er die Verantwortung für den Mord übernehme. „Die Beschuldiung ist Teil einer Strategie der Anwälte von Yabrán und seines Leibwächters Gregorio Ríos“, erklärte der Gouverneur. Der Leibwächter befindet sich seit einigen Tagen unter dem Verdacht in Haft, der Anstifter des Mordes zu sein – möglicherweise als Stellvertreter für seinen Chef.

Der Unternehmer greift seinerseits den Gouverneur an. Dieser wolle ihn mit dem Verbrechen in Verbindung bringen, um daraus Kapital für die Wahlen zu schlagen. Es ist kein Geheimnis, das Duhalde für die regierende Partido Justicialista 1999 als Präsidentschaftskandidat in den Wahlkampf ziehen will. Zudem ist seine Frau Hilda Duhalde für die Parlamentswahlen im Oktober dieses Jahres als Abgeordnetenkandidatin für die Provinz Buenos Aires aufgestellt. Um eigenes Profil zu gewinnen ist der Gouverneur in letzter Zeit immer stärker auf Distanz zu Präsident Carlos Menem, ein Freund des Unternehmers, gegangen. Bei seinem Vorgehen kann er jedoch auch auf den Ex-Wirtschaftsminister und Regierungsdissidenten Domingo Cavallo verweisen. Dieser hat Yabrán bezichtigt, Kopf einer lokalen Mafia zu sein. Selbst wenn die Politiker in dem Verwirrspiel auf Kosten des ermordeten Fotojournalisten in erster Linie auf ihre eigene Interessen fixiert sind, so scheint bei der endgültigen Aufklärung des Verbrechens kein Weg an dem mächtigen Unternehmer vorbeizuführen.

GUYANA

Menschenrechtler*innen kritisieren Hinrichtungen

(Georgetown, 3. September 1997, alc-Poonal).- Die Menschenrechtsvereinigung von Guyana (GHRA) hat die Hinrichtung zweier als Mörder verurteilten Personen als Regierungsversuch bezeichnet, die Aufmerksamkeit vom wahren Problem abzulenken. Dieses bestehe in der Überbevölkerung der Gefängnisse durch Häftlinge, die wegen Drogendelikten dort inhaftiert seien. Es müßten Alternativen zumindest für die Personen gesucht werden, die wegen des Besitzes oder des Konsums von Marihuana in den Haftanstalten einsässen. Die GHRA schlägt eine Freilassung auf Bewährung, Geldstrafen oder Sozialarbeit vor. Mike McCormack, der Vorsitzende der Menschenrechtsvereinigung kommentiert, beim Hängen der beiden Häftlinge in einem Wahljahr – Ende des Jahres stimmen die Guyaner*innen über ihre Regierung ab – habe die Regierung die Rachegelüste der Bevölkerung wegen der Verbrechenswelle und einer Reihe von Gefängnisaufständen ausgenutzt. Für die nächste Zeit hat die Regierung weitere 23 Hinrichtungen von zum Tode Verurteilten angekündigt.

PARAGUAY

Tito Bernal

Von Eduardo Galeano

Auf dem gefließten Hof war ein Klirren von Sporenstiefeln zu hören. Nackt, mit dem Gesicht nach unten in seiner eigenen Blutlache liegend, gelang es Tito Bernal, sein Auge halb zu öffnen. Und er konnte die vor seinem Gesicht aufgepflanzten Stiefel sehen, Stiefel, die nach feuchtem Leder rochen und von ihnen aus den langen Schatten, der den Hof zweiteilte. Die Weiße des Hofes, das Mondweiß, brannte ihm im Auge. Dort hoch über den Stiefeln brüllte eine Stimme. Tito erkannte sie wieder. Es war die Stimme von Alcibíades Britez, Polizeichef von Asunción, ein Diener des Vaterlandes, der die Löhne von siebenhundert toten Polizisten einstrich und ihre Rationen erhielt. Tito hatte diese Stimme die vielen Male gehört, die er wegen der Ideen, an die er glaubte und der Menschen, die er liebte, kaputtgeschlagen wurde. Weil die Campesinos ohne Land für Aufruhr sorgten oder weil sich die Stadt mit Flugblättern und Wandsprüchen füllte, die für die Regierung wenig schmeichelhaft waren.

Der Stiefel trat ihn, ließ ihn sich über den Boden wälzen, die Stimme fällte das Urteil: „Der Lehrer Bernal… Schämen müßtest Du Dich. Die Lehrer sind nicht dafür da, Streit anzustacheln. Die Lehrer sind dafür da, Wissen zu vermitteln.“ Titos Mund war ein unförmiger Lappen, aber er schaffte es, zu sagen: „So ist es.“ Vielleicht hörte der Polizeichef es. Wenn er es hörte, dann verstand er es nicht. Einige Zeit später hatte Titos Todeskampf ein Ende.

MEXIKO

EZLN in der Hauptstadt

(Mexiko-Stadt, 11. September 1997).- Wenn nicht noch in letzter Minute Unvorhergesehenes passiert, zieht am Freitag die maskierte „Sondergruppierung Emiliano Zapata“ durch die Straßen von Mexiko- Stadt. Diesen Namen haben sich die 1111 Mitglieder der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) gegeben, die am Dienstagmorgen als Vertreter und Vertreterinnen ihrer Dorfgemeinden vom Bundesstaat Chiapas aus in die Hauptstadt aufbrachen. Subcomandante Marcos und die übrige Führung der EZLN blieben zuhause. Während des weitgehend motorisierten Marsches legten die Zapatisten Zwischenstationen in den Bundesstaaten Oaxaca, Puebla und Morelos ein und hielten vor jeweils mehreren tausend Anhängern Veranstaltungen ab. Auf dem Weg schlossen sich zahlreiche Kontingente von Indígena-Organisationen aus anderen Landesteilen an. Freitags werden die Marschteilnehmer auf dem Zocalo, dem zentralen Platz vor dem Nationalpalast, für die Erfüllung der mit der Regierung im Februar 1996 geschlossenen Vereinbarungen über Indígenarechte und -Kultur demonstrieren. In den folgenden Tagen nehmen die Aufständischen aus Chiapas am Gründungskongreß des Zapatistischen Bündnisses der Nationalen Befreiung (FZLN) teil.

So spektakulär die massive Präsenz der Zapatisten im Hauptstadt- Distrikt auch ist, so ungewiß sind die bleibenden Nachwirkungen dieses Ereignisses. Für die EZLN geht es ein weiteres Mal darum, nicht nur in die Schlagzeilen, sondern wieder in die politische Offensive zu gelangen. Der Verhandlungsprozeß mit der Regierung ist seit ziemlich genau einem Jahr unterbrochen. In Chiapas herrscht eine Situation vor, die immer wieder als Krieg niedriger Intensität qualifiziert wird. Eine zivile, parteienunabhängige Massenbewegung ist trotz mehrerer Initiativen der Zapatisten bisher nicht entstanden. Aus ihrer Perspektive gesehen besteht sogar die Gefahr, daß sich nach dem Ergebnis der Parlamentswahlen von Anfang Juli die Blicke noch mehr auf die Parteipolitik konzentrieren, da die Opposition nach fast 70 Jahren Alleinherrschaft der Regierungspartei PRI erstmals wirkliche Einflußmöglichkeiten hat. Der Aufruf zur offiziellen Gründung des FZLN als feste Organisation soll der nicht parteigebundenen Zivilgeschaft Gewicht verleihen und sie einen. Das Bündnis soll explizit nicht nach der Macht greifen, sondern die Regierenden kontrollieren. Kritiker werfen dem Konzept nach wie vor mangelnde Klarheit vor. Das FZLN ist nach den Aussagen der Zapatisten nicht ihr „ziviler Arm“, der starke Einfluß der EZLN ist aber unbestritten. Sie selbst hatte bereits Anfang 1996 in ihrer Vierten Erklärung des Lacandonen Urwaldes zum FZLN aufgerufen. Wäre die Entwicklung dynamischer gewesen, hätte der Gründungskongreß wahrscheinlich viel früher stattgefunden. Andererseits ist das Bündnis eindeutig basisbezogener als seine Vorgängerinitiativen und damit auf Dauer vielleicht tragfähiger. Subcomandante Marcos hat es vor kurzem als letzten Versuch der Zapatisten bewertet, friedlich Veränderungen zu erreichen.

Die EZLN setzt aber trotz aller Abgrenzung auch auf die Parteien, speziell auf die linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und deren kommenden Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Cuauhtémoc Cárdenas. Mit der PRD als Triebkraft könnte das Parlament den Vorschlag zu einer Indígena-Gesetzgebung wieder aufgreifen, den die parteiübergreifende Cocopa-Kommission aus Abgeordneten und Senatoren in der vergangenen Legislaturperiode machte. Die EZLN stimmte diesem Vorschlag zu, doch Mexikos Präsident Ernesto Zedillo verhinderte mit seinen Einwänden eine Abstimmung im Parlament. Obwohl auch Mitglieder der Regierungspartei den Gesetzesentwurf ausarbeiteten, hätten sie sich nicht gegen Zedillo gewandt. Angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus sind die Stimmen der PRI nicht mehr unabdingbar, die Opposition aus konservativer PAN und der PRD könnte den Präsidenten zum Offenbarungseid zwingen. Schon jetzt macht die PRI gute Miene zum für sie bösen Spiel: Die Partei drückte gegenüber dem Marsch der 1111 Zapatisten „Respekt und Unterstützung“ aus. Der für die Verhandlungen abgeordnete Regierungsfunktionär Pedro Coldwell bietet der EZLN ein Gespräch während ihres Aufenthaltes in der Hauptstadt an. Damit ist weder die Militarisierung in Chiapas vom Tisch noch bedeutet es konkrete Schritte für die von den Zapatisten geforderte Selbstbestimmung der Indígena-Gemeinden. Der Handlungsspielraum der Zapatisten hat sich jedoch offenbar wieder erweitert.

PRI-Vorsitzender zurückgetreten

(Mexiko-Stadt, 10. September 1997, Poonal).- Der Posten des Vorsitzenden der mexikanischen Regierungspartei PRI wird immer schneller zu einem Schleudersitz. Nach nicht einmal neunmonatiger Amtszeit trat am Dienstagabend Humberto Roque Villanueva zurück. Er akzeptierte den „Vorschlag“ von Präsident Ernesto Zedillo, Leiter einer staatlichen Versicherungsgesellschaft zu werden. Angesichts der Wahleinbrüche der PRI und einer die wenigsten überzeugenden Führung der Partei war die faktische Absetzung von Villanueva seit Wochen erwartet worden. Er konnte der PRI keine neuen Impulse geben. Der Nachfolger scheint bereits vom Präsidenten ausgewählt zu sein, obwohl er formell noch vom Parteivorstand bestimmt werden muß. Mit Mariano Palacio Alcocer handelt es sich um ein altgedientes PRI-Mitglied. Alcocer hat Erfahrungen als Abgeordneter und Gouverneur. Wichtige Persönlichkeiten der Partei sagten ihm ihre Unterstützung zu. Dennoch gab es gegen die Art der Ablösung ihres Parteipräsidenten Umutsäußerungen von Mitgliedern. Ihrer Meinung nach hätte Villanüva als ehemaliger Koordinator der PRI-Fraktion im Parlament und späterer Vorsitzender der Partei nicht mit einem so gering profilierten Posten eines Versicherungsdirektors abgespeist werden dürfen. Ärger herrschte ebenso darüber, daß der Nachfolger ohne ausreichende Konsultation schon feststeht. Wenn dieser Ärger anwachsen sollte, könnte es bei der Abstimmung durch den Parteivorstand doch noch eine Überraschung für Palacio Alcocer geben.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 306 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert