Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 288 vom 8. Mai 1997

Inhalt


BRASILIEN

MEXIKO

GUATEMALA

HAITI

EL SALVADOR

PERU

KOLUMBIEN

URUGUAY

ECUADOR/PANAMA

ECUADOR

ARGENTINIEN


BRASILIEN

Jugendliche ermorden Indígena – Warnungen vor Nazi-Ideologie

(Montevideo/Brasilia, 28. April 1997, comcosur/alc-Poonal).- Angesichts des Mordes an einem Indio durch fünf Jugendliche aus der oberen Mittelschicht in Brasilia spricht der Anthropologo Jorge de Carvalho von einem „Klassen-Nazitum“. Die jugendlichen Täter hatten den an einer Bushaltestelle schlafenden 44jährigen Indio Galdino Jesús Santos von der Ethnie der Pataxos in den Morgenstunden des 20. April mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Santos starb einen Tag später an den erlittenen Verbrennungen. Jorge de Carvalho erklärte, „die Strafe gibt es nur für die Armen. Ich habe Jugendliche gehört, die Verständnis für die Altersgenossen äußerten und dagegen waren, diese im Gefängnis zu sehen. Die Eltern sind mitverantwortlich für dieses Halb-Nazitum und sei es auch nur, weil sie nicht versuchen, ihre Kinder zu erziehen. In der Hauptstadt Brasilia wurde nach dem Mord eine dreitägige offizielle Trauer verkündet. Die Tat ist für viele eine Konseqünz der Straflosigkeit, mit der die Todesschwadronen, die Obdachlose und Straßenkinder umbringen, im Land agieren können. Am 25. April diskutierten die Schulklassen in der Hauptstadt über die Brutalität in den Straßen. Bei ihrer Verhaftung gaben die jugendlichen Mörder im Alter von 19 und 17 Jahren an, ihr Opfer für einen Obdachlosen gehalten zu haben und deswegen davon ausgegangen zu sein, ihr Verbrechen bliebe ohne Konsequenzen. Sie konnten verhaftet werden, weil zwei Zeugen den Vorfall mitbekamen und die Nummer des Autos notierten, in dem die Jugendlichen davonfuhren. Einer der Mörder ist Sohn eines Richters. Galdino Jesus dos Santos war als dritthöchste Autorität seiner Gemeinde aus Bahia in die Hauptstadt gekommen, um am Tag des Indios an den Feiern in der nationalen Indio-Stiftung (FUNAI) teilzunehmen. Bei seiner späten Rückkehr öffnete ihm nach dem Ermittlungsstand in der Pension, wo er untergebracht wurde, niemand die Tür, so daß er sich entschloß, an der Bushaltestelle zu schlafen.

Privatisierung von staatlicher Minengesellschaft ausgesetzt

(Rio de Janeiro, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Die brasilianische Regierung hat die Versteigerung der staatlichen Minengesellschaft Vale do Rio Doce ausgesetzt. Gegen die Privatisierung des weltweit größten Exporteurs von eisenhaltigen Mineralen hatte es zahlreiche Proteste gegeben. Die Regierungsentscheidung begründete der stellvertretende Leiter der Nationalbank für Wirtschaftliche und Soziale Entwicklung mit neun einstweiligen Verfügungen, die inzwischen bei der Justiz gegen den Verkauf eingereicht sind. Dennoch schloß er einen baldige Privatisierung von Vale do Rio Doce nicht aus. Die Gegner*innen des Verkaufs, die sich auf die Verfassung berufen, Verfahrensfehler bemängeln und auf die „strategische“ Bedeutung des staatlichen Unternehmens hinweisen, fordern nach wie vor eine endgültig Abkehr von den Privatisierungsplänen.

Kinderprostitution

(Montevideo, 28. April 1997, comcosur-Poonal).- Das Geschäft mit der Kinderprostitution läuft in Brasilien trotz angekündigter Gegenmaßnahmen durch die Regierung weiterhin auf vollen Touren. Die Bundesregierung will ausländische Sextourist*innen künftig hart bestrafen. Über die Kinderprostitution berichtete kürzlich die Tageszeitung „O Globo“. Sie ging besonders auf die Lage in der Hafenstadt Belém im Bundesstaat Pará ein. Mädchen zwischen neun und vierzehn Jahren werden dort für 30 Dollar an Freier verkauft. Einer der in dem Artikel zitierten „Kunden“ spricht von der Stadt als dem „Sexparadies“ der Erde. „Du bekommst hier Mädchen in jedem Alter, das Du willst, und zu jeder Zeit.“ Die Nachfrage kommt auch von Geschäftsleuten und Berufstätigen. Ausländer*innen üben dem Bericht von „O Globo“ zufolge die Kontrolle über die Kinderprostitution aus.

MEXIKO

Abgeordnete genehmigen sich teueres Abschiedsgeschenk

(Mexiko-Stadt, 29. April 1997, pulsar-Poonal).- Die vier Parteien im mexikanischen Parlament haben sich darauf geeinigt, sich zum Ende der Legislaturperiode einen Bonus von 32.000 Dollar zu bewilligen. Bei 500 Parlamentarier*innen bedeutet dies eine Gesamtsumme von 16 Millionen Dollar, die aus dem Staatshaushalt bezahlt werden soll. Der sogenannte Auflösungsbonus ist bisher nur von der parteienübergreifenden Verwaltungskommission des Parlamentes verabschiedet. Erste empörte Reaktionen in der mexikanische Gesellschaft haben dazu geführt, daß der Name Bonus schnell durch einen anderen Begriff ausgetauscht wurde. Jetzt führen viele Abgeordnete an, es habe sich um ein Mißverständnis gehandelt. Die Zahlung sei ein Ausgleich für während der Legislaturperiode einbehaltene Teile der Abgeordnetendiäten. Dieser „Rückzug“ wird aber kaum soweit gehen, daß das Plenum des Parlaments gegen die Vereinbarung in der Verwaltungskommission stimmen wird. Anfang Juli wird das gesamte mexikanische Abgeordnetenhaus und ein Teil des mexikanischen Senats neu gewählt.

Regierung ernennt neuen Verhandlungsführer für Chiapas

(Mexiko-Stadt, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Pedro Joaquin Coldwell heißt der neue Regierungsdelegierte, der an der Spitze der offiziellen Verhandlungsgruppe stehen wird, die im Bundesstaat Chiapas die Gespräche mit der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) wieder aufnehmen soll. Um dies zu erreichen, weise der neue Mann „alle Eigenschaften“ auf, so Innenminister Emilio Chuayffet. Die erste Arbeitssitzung hat Coldwell schon hinter sich. Vertreter*innen der Zapatist*innen kündigten an, so schnell wie möglich den Kontakt mit Coldwell aufnehmen zu wollen. Zu den Hauptgründen, die die Zapatist*innen Anfang September 1997 dazu brachten, die Gespräche mit der mexikanischen Regierung abzubrechen, gehörten die Vorbehalte gegen den damaligen offiziellen Verhandlungsführer Marco Antonio Bernal.

Juan Guerra, Mitglied der Parlamentskommission Cocopa und Abgeordneter der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), warnte vor der Gefahr, die Regierung könne „fujimoristischen Versuchungen“ erliegen und die EZLN unter dem Vorwand angreifen, diese wolle nicht verhandeln. Eine Lösung des Konfliktes in Chiapas liege nicht im Austausch des Regierungsvertreters, sondern darin, die Abkommen von San Andres zu erfüllen. Der Abgeordnete stellte zugleich klar, die Cocopa werde ihren Entwurf für ein Indígina-Gesetz nicht ändern. Dieser Entwurf nimmt die Vereinbarungen zwischen Regierung und Zapatist*innen in San Andres auf. Die EZLN hat ihm zugestimmt, die Regierung will einige wesentliche Punkte nicht akzeptieren.

General der Folter beschuldigt

(Montevideo, 28. April 1997, comcosur-Poonal).- Im Bundesstaat

Guerrero ist der Kommandant der Militärzone 35a, General Miguel Leyva, vor der staatlichen Menschenrechtskommission angeklagt worden. Ihm wird vorgeworfen, Personen gefoltert und Wohnungen geplündert zu haben. Er und eine Gruppe weiterer Militärs sollen auch für das Verschwindenlassen von Personen verantwortlich sein. Die Anklagen sind schwerwiegend, da sie nicht nur von der oppositionellen Partei der Demokratischen Revolution (PRD), sondern auch von der regierenden Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) vorgebracht werden.

GUATEMALA

Ex-Guerilla dementiert Verstrickung in Drogenhandel

(Guatemala-Stadt, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Ein ehemaliges Mitglied der guatemaltekischen Sicherheitskräfte hat die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) beschuldigt, sich während ihres 36jährigen Kampfes gegen die Regierung Waffen durch Verbindungen mit dem Drogenhandel beschafft zu haben. Dies wurde von Pedro Palma Lau, dem früheren URNG-Kommandanten „Pancho“, als gezielte Kampagne abgetan, seine Organisation zu schädigen. Die Guerilla habe ihre Waffen durch die „Ameisenarbeit unterstützender Gruppen erhalten. Jeweils in kleinen Mengen seien die Waffen in den mittelamerikanischen Ländern gekauft worden, „niemals haben wir das durch Drogen finanziert“.

HAITI

Nach Trockenheit droht Hungersnot

(Port-au-Prince, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Monatelange Trockenheit hat die Lage hundertausender Haitianer*innen verschärft. Es werden geringere Ernten und hohe Lebensmittelpreise befürchtet. Eine Hungersnot wird nicht ausgeschlossen. Die am stärksten betroffene Region ist der schwer zugängliche Nordwesten des Landes. Nach der ohnehin schlechten Ernte im August letzten Jahres fielen die Erträge im Januar noch geringer aus. Die haitianische Regierung geht von fast 350.000 Menschen aus, die unter der Dürre leiden. Wieviele Hungertote es gegeben hat, ist nicht bekannt. Aber der abnehmende Kalorienkonsum hat viele Personen anfälliger für Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten gemacht. Die Ernährungskrise ist auch das Ergebnis von langjähriger Sorglosigkeit der Regierung. Vor 30 Jahren konnte sich Haiti mit seiner Landwirtschaft selbst versorgen. Heute werden 30 Prozent der Lebensmittel importiert.

EL SALVADOR

Anhaltende Proteste gegen Folterschule „Escuela de las Americas“

(San Salvador, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Die zweite Woche hintereinander protestierten zahlreiche Menschen vor der US- Botschaft in San Salvador. Sie verlangen die Schließung der „Escuela de las Americas“. Auf dieser Militärakademie der USA sind die Armeen aller lateinamerikanischen Länder mit Ausnahme Guatemalas ausgebildet worden (Guatemala hat ein Abkommen mit Israel und ließ sich seine Spezialeinheiten von den Militärberatern dieses Landes ausbilden). Die Kritiker*innen werfen der Militärschule vor, den Soldaten Foltermethoden und schwere Menschenrechtsverletzungen beigebracht zu haben. Die Einrichtung stelle ein Hindernis für die langsam voranschreitenden Friedensentwicklungen in der Region dar. Seit der Gründung 1946 haben ungefähr 60.000 Soldaten die „Escuela de las Americas“ durchlaufen. Einer der Absolventen war beispielsweise der verstorbene Oberst Roberto D'Abuisson, der paramilitärische Todesschwadronen in El Salvador gründete und nach Erkenntnissen der salvadorenischen Wahrheitskommission der intellektuelle Urheber des Mordes an Erzbischof Oscar Arnulfo Romero im Jahr 1980 war.

PERU

Jurist*innen bezweifeln offizielle Version der Botschaftsstürmung

(Lima/Genf, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Die Amerikanische JuristInnenvereinigung fordert eine Untersuchung, wie die Befreiung der Geiseln in der japanischen Botschaft in Lima genau vor sich ging. Sie zeigte sich befremdet, daß die einzige während der Stürmung ums Leben gekommenen Geisel ein Gegner des Fujimori- Regimes war. In einer in Genf verbreiteten Erklärung erinnert der Vorsitzende der JuristInnenvereinigung daran, daß der tote Giustino Acuna sich öffentlich gegen die von Fujimori vorgesehene Justizreformen wandte. Die Jurist*innen verurteilen die gewaltsame Geiselbefreiung. Sie fordern eine SonderberichterstatterIn der Vereinten Nationen, die eine internationale Untersuchung einleiten soll. Die Verantwortlichen für die Hinrichtung von MRTA- Mitgliedern (damit sind offenbar die mindestens zwei Fälle gemeint, in denen das peruanische Militär nach dem bisherigen Kenntnisstand bereits überwältigte MRTA-Mitglieder erschoß; die Red.) sollen vor ein Gericht gestellt werden. (In der kommenden Poonalausgabe werden wir ausführlicher auf die unterschiedlichen Bewertungen der Botschaftsstürmung und die möglichen Konsequenzen daraus eingehen; die Red.)

KOLUMBIEN

Guerilla: „Sicherheitskooperativen“ sind militärische Ziele

(Bogotá, Mai 1997, ac-POONAL).- Die „Selbstverteidigungsgruppen von Urabá und Cordoba – ACCU“ ermordeten am 24. März 97 in verschiedenen Gemeinden des Dep. Cesar neun Personen. Ebenso geht das Blutbad in den Gebieten Montes de Maria, dem Bananenanbaugebiet im Magdalena und in Urabá weiter. Die Guerillagruppe ELN ermordete ihrerseits Nelson Vergara, Direktor einer paramilitärischen „Sicherheitskooperative – CONVIVIR“ in der Gemeinde San Roque. Vor einigen Tagen hatte die ELN angekündigt, daß sie die CONVIVIR als militärische Ziele betrachte. Zudem steckte die ELN im Departement Cesar die Häuser mehrerer Großgrundbesitzer in Brand, welche die CONVIVIR oder Paramilitärs unterstützten.

2600 Bäuer*innen flüchten vor den Bombardements der Paramilitärs

(Bogotá, Mai 1997, ac-POONAL).- Eine Kommission von Pax Christi und holländischen Parlamentariern besuchte die Region Urabá, um sich über die Lage in jenen Gemeinden zu informieren, die sich zu Friedenszonen erklärt hatten. Die Situation in Urabá ist alarmierend. Ende März erreichten 2600 Vertriebene aus dem Chocó die Gemeinde Mutatá. Männer, Frauen und Kinder durchquerten auf wochenlangen Märschen den Urwald, um sich so vor den Bombardierungen und der Gewalt der Paramilitärs in Sicherheit zu bringen.

Streit um Auslieferung von Drogenhändlern löst Welle der Gewalt

aus

(Bogotá, Mai 1997, ac-POONAL).- In Kolumbien ist ein heftiger Streit um die Wiedereinführung der Auslieferung von Drogenhändlern entfacht, der eine neue Welle der Gewalt auszulösen droht.

Die Verfassung von 1991 bestimmt im Artikel 35 eindeutig: „Die Auslieferung von Kolumbianer*innen ist verboten…“ Damit wurde der Rechtsstreit zwischen den USA und Kolumbien über einen Auslieferungsvertrag beendet. Das Auslieferungsverbot war ein Mechanismus, um sowohl dem Druck der USA wie auch jenem der Drogenkartelle einen Riegel zu schieben.

Die USA drängen jedoch auf die Wiedereinführung der Auslieferung. Dies machte der US-Politiker Robert Gelbard deutlich, als er daran erinnerte, daß der kolumbianische Botschafter in den USA, Esguerra, Clinton versprochen habe, daß die Regierung Samper für März 1997 eine Änderung dieses Verfassungsartikels angekündigt habe. Am 3. März verlangten die sogenannten Wirtschaftsmächtigen (Julio und Mario Santodomingo, Carlos Ardila Lulle und Luis Carlos Sarmiento Angulo) von Samper die Wiedereinführung der Auslieferung.

Die Brüder Rodriguez, die inhaftierten Chefs des mächtigen Cali- Drogenkartells, reagierten postwendend. Sie drohten öffentlich, den Kongreßabgeordneten die von ihnen erhaltene Unterstützung in Erinnerung zu rufen. Dazu könnten sie auch die notwendigen Belege liefern. Ebenso meinten die Rodriguez-Brüder, daß auch jene Drogenhänder*innen auspacken könnten, welche für die Beziehungen der Kartelle zu den Politikern verantwortlich waren und bis jetzt geschwiegen haben, so z.B. die Brüder Murcillo oder der Journalist Alberto Giraldo. Wenige Tage zuvor hatte US-Botschafter Frechette gesagt, ein Gesandter der Brüder Rodriguez hätte der DEA (US- Drogenfahndungsbehörde) angeboten, Informationen über Samper zu liefern, falls ihnen die Nichtauslieferung zugesichert werde.

Die Drogenkartelle beschränken sich in ihren Bemühungen, die Auslieferung in die USA zu verhindern, offensichtlich nicht nur auf die diplomatische Ebene. Am 21. März wurde in Cali der Redaktionsleiter der Zeitung El País, Gerardo Bedoya Borrero, ermordet. Der Journalist hatte sich für die Auslieferung der Drogenbosse eingesetzt. In einem seiner letzten Artikel mit dem Titel „Obwohl sie mich Pro-Yanqui schimpfen“ schrieb er: „Ich ziehe den Druck der USA jenem der Mafia vor… Es kümmert mich einen Dreck, wenn sie mich Pro-Yanqui, Agent der CIA oder mit all den Anwürfen beschimpfen, die hier vor zwei bis drei Jahrzehnten üblich waren, um jene zu verunglimpfen, die den Marxismus ablehnten und die US-Demokratie vorzogen.“ Beobachter*innen gehen davon aus, daß zahlreiche Attentate der letzten Wochen auf die neu entfachte Debatte über die Wiedereinführung der Auslieferung zurückzuführen sei.

Die kolumbianische Regierung nimmt in der Frage eine höchst ambivalente Position ein. Kommentator*innen beschreiben die Haltung folgendermaßen: Morgens sagt sie gegenüber den USA „ja“ zur Auslieferung und nachmittags schickt sie den inhaftierten Drogenbossen Nachrichten, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Tatsache ist, daß Samper sagt, er werde nur eine entsprechende Verfassungsreform vorschlagen, wenn er Gewißheit habe, daß die Mehrzahl der Kongreßabgeordneten ihr zustimme. Der Justizminister meinte, die Regierung sei mit Hilfe internationaler Experten an der Ausarbeitung eines Gesetzes, das die Wiedereinführung der Auslieferung ermögliche. Innenminister Serpa sagte indes, daß jene Minister, die die Haltung des Präsidenten nicht teilten, zurücktreten sollen.

Aufstand im Gefängnis „Modelo“

(Bogotá, Mai 1997, ac-POONAL).- Drei Tage lang regierten die Gefangenen. Ihr Protest brachte ans Tageslicht: In den kolumbianischen Gefängnissen wird kein einziges Grundrecht eingehalten.

Platz ist rar und teuer in der Haftanstalt La Modelo in Bogotá. In dem Gefängnis sind zur Zeit 3644 Personen inhaftiert, es ist jedoch nur für 1920 Häftlinge konzipiert. So müssen die Häftlinge sogar für den Boden bezahlen, auf dem sie eine Matraze hinlegen, zudem für das Wasser, das Essen, für alles. Die Sicherheitsbedingungen sind katastrophal. Die Stockwerke und Aufenthaltshöfe werden von Schwerverbrechern regiert: es werden Morde verübt, Attentate vorbereitet, gegen Gesetze verstoßen. Kein günstiger Ort, um Straftäter auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten.

Die katastrophalen Zustände in der Haftanstalt führten zu einem Aufstand, der von einem Brand ausgelöst wurde, den Häftlinge in den Werkstätten legten. Innerhalb weniger Minuten erlangten die Häftlinge die Kontrolle über das Gefängnis. Sie stiegen mit großen Transparenten auf das Dach und verlangten die Präsenz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und der Regierung.

Ein Verteidiger besuchte das Gefängnis und veröffentlichte daraufhin einen Videofilm über die Lebensbedingungen in der Anstalt. Darin sind Häftlinge zu sehen, die auf den Gängen und selbst in den WC's untergebracht sind, weil alle Zellen überbelegt sind. Der Verteidiger kündigte an, er werde vor internationalen Gerichten die Verletzung der Grundrechte im Gefängnis anklagen und meinte, die Gefangenen würden schlimmer als Tiere behandelt.

Die Häftlinge ernannten eine Verhandlungsdelegation unter der Führung von Felipe Torres, einem in La Modelo inhaftierten Führer des ELN. Es wurde der Wechsel des Gefängnisdirektors gefordert, die Ausrufung des Gefängnisnotstandes, die Entlassung von Kleindelinquenten und die Verlegung einer bedeutenden Anzahl von Häftlingen in andere Gefängnisse. Die Häftlinge beklagten zudem, daß es keine Maßnahmen zur Rehabilitation der Delinquenten gebe.

Die Überbelegung der Gefängnisse in den letzten Jahren ging mit der Verschärfung der sozialen Krise, der Arbeitslosigkeit und der Verelendung einher. Kürzlich kam es auch in Valledupar und Cartagena zu Gefängnisrevolten.

Die Regierung verpflichtete sich, eine bedeutende Anzahl Gefangener zu verlegen, präzisierte aber nicht wohin. Dieses Versprechen zu erfüllen, wird schwer sein, da die übrigen Gefängnisse des Landes ähnliche Situationen der Überbelegung oder der Unsicherheit aufweisen. Zwei Tage nach der Rebellion explodierte im Hochsicherheitsgefängnis La Picota in Bogotà eine Dynamitladung. Dabei wurde ein Mann getötet, der wegen des Mordes an Jaime Pardo Leal inhaftiert war. Presseberichten zufolge galt das Attantat denm Drogenboß Leonidas Vargas.

Chronologie: Massaker und Gewalt im Monat März

3. März: Anfang März wird in Chigorodó die Leiche des Russen Vasily Lojkin gefunden, der 1996 in Urabá ermordet wurde. Bei einem Gefecht zwischen der FARC und der Armee sterben die Ausländer Johann Kehrer und Alexander Scheurer, die von der FARC entführt worden waren. 4. März: Der Staatsrat erklärt in einem Urteil die dem Ölmulti OXY erteilte Umweltlizenz als gültig und gibt diesem das Recht, im Territorium der U'wa nach Erdöl zu suchen. 6. März: Beginn der Flucht von Bauernfamilien aus dem Departement Chocó nach Urabá. Viele gelangen nach Turbo, Mutatá und Panama. 10. März: Ein Massaker in Currulao (Gemeinde Turbo) fordert neun Tote. Die FARC wird dafür verantwortlich gemacht. Fünf Tote bei Massaker in San Pedro de los Milagros (Dep. Antioquia). Paramilitärs werden dafür verantwortlich gemacht. 12. März: Bei der Explosion einer Autobombe in Montería vor dem Sitz einer NGO, die wahrscheinlich von Carlos Castaño unterstützt wird, werden 22 Personen verletzt. Das Verfassungsgericht erklärt den Wirtschaftsnotstand als nicht gerechtfertigt. 15. März: Großes Fischsterben in dem stark verschmutzten Fluß San Jorge. Mehr als 100 000 Familien werden dadurch ins Elend gestoßen. Die genauen Gründe für das Fischsterben sind nicht bekannt. Die Wiederansiedlung neuer Fischbestände wird nach Meinung von Fachleuten rund 20 Jahre dauern. 17. März: Eine Autobombe explodiert in der Polizeistation von Saravena (Arauca). Drei Polizisten sterben und 10 Personen werden verletzt. 18. März: Der Journalist Fredy Elles Ahumada wird in Cartagena ermordet. 19. März: Antanas Mockus kündigt seinen Rücktritt als Bürgermeister von Bogotà und seine Kandidatur für die Präsidentschaft an. Er sagt, daß er zusammen mit Staatsanwalt Valdivieso antreten werde. Valdivieso stellt ein Übereinkommen mit Mockus in Abrede. 21. März: Die erste Beschlagnahmung im Rahmen des Enteignungsgesetzes von Drogenhändlern wird in Barranquilla durchgeführt. Das Luxushotel El Prado, das im Besitz der Familie Nasser war, die beschuldigt wird, dem Kartell der Atlantikküste anzugehören, wird konfisziert. In Cali wird der Journalist Gerardo Bedoya ermordet. 24. März: Enrique Jesus Vergara, Kommandant der in Urabá operierenden Einheit Boche des ELN wird festgenommen. Er wird verdächtigt, am Autobombenattentat in Apartadó beteiligt gewesen zu sein.

Paramilitärische Selbstverteidigungsgruppen drohen der Guerilla

(Bogota, 30. April 1997, pulsar-Poonal).- Die im Süden des Landes operierenden Selbstverteidigungsgruppen haben eine Warnung an die kolumbianische Guerilla ausgesprochen. Falls diese Poltiker*innen daran hindere, Kampagnen in ihrem Einflußgebiet durchzuführen, würden die Selbstverteidigungsgruppen in den von ihnen bestimmten Zonen keine Vertreter*innen der Linken zulassen. Speziell an die Guerilla-Organisation FARC gewandt, erklären sie in ihrer Botschaft auch, keinen Kandidat*innen für BürgermeisterInnenämter Pakte mit subversiven Gruppen zu erlauben. Das Kommuniqué der paramilitärischen Bewegungen ist eine Reaktion auf eine Ankündigung der FARC. Diese will den Wahlkampf von Politiker*innen in den Regionen Putumayo, Huila und Caqüta blockieren. Die nächsten Wahlen in Kolumbien sind am 26. Oktober 1997. Dann werden Regierungen und Abgeordnete auf Provinz- und Kommunalebene gewählt.

Streit um Staatsgelder

(Bogota, 29. April 1997, pulsar-Poonal).- Der Präsidentschaftskandidat der Liberalen Partei, Carlos Lleras de la Fuente, hat die Regierung von Ernesto Samper beschuldigt, die Kandidatur seines Parteikollegen, Innenminister Horacio Serpa zu unterstützen. Samper bewillige Serpa auf „unverschämte“ Art Staatsgelder und gebe ihm die Befugnis, Posten im Staatswesen zu verteilen. Serpa habe nicht das Format, Präsident von Kolumbien zu sein, so sein innerparteilicher Gegenspieler. Der Minister verfahre „wie eine Dampfwalze ohne Gehirn und wird Kolumbien in einem bodenlosen Sumpf versenken“, meint Lleras. Er selber setze auf die Kraft der Zivilgesellschaft, die akademischen Kreise, die aufrichtigen Berufstätigen und die zehn Millionen Menschen, die an der letzten Wahl nicht teilnahmen. Lleras selber war unter Samper eine Zeitlang Botschafter Kolumbiens in den USA. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, daß die Sympathien des derzeitigen Staatschefs dem Innenminister gehören. Dieser hat Samper in der Öffentlichkeit gegen die Anklagen, von der Drogenmafia finanziert zu sein, immer wieder verteidigt.

URUGUAY

Brisante Beichten: Priester sollen über geheime Gräber informieren

(Montevideo/Quito, 30. April 1997, comcosur/pulsar-Poonal).- Der katholische Bischof Pablo Galimberti aus der Diözese San José hat einen neuen Vorschlag gemacht, um die notwendigen Informationen über die Überreste von 32 während der Diktatur verschwundenen Personen zu bekommen. Die Namen derjenigen Militärs, die etwas über die Verschwundenen wissen, sollen durch das Beichtgeheimnis geschützt werden. Die Priester, die die Beichte entgegennähmen, würden jedoch den Familienangehörigen der Opfer die Daten weitergeben, die helfen können, geheime Gräber zu finden. Die Idee Galimbertis wird von der uruguayischen Bischofskonferenz unterstützt. Die katholische Kirche könnte so eine Vermittlungsinstanz zwischen Militärs und den Angehörigen der Verschwundenen werden. Die Familien der Opfer der Militärdiktatur die uruguayische Regierung unter Präsident Julio Sanguinetti mit Hinweis auf die Verfassung erneut aufgefordert, eine wirkliche Untersuchung einzuleiten. Die Forderung wird durch eine Unterschriftensammlung unterstützt, an der bereits mehrere tausend Menschen teilgenommen haben.

Das Thema hat durch die Aussagen eines ehemaligen uruguayischen Marinesoldaten weitere Brisanz erhalten. Dieser Mann, der sich als Daniel Rey Piuma ausgibt, erklärte in Holland, er besitze Mikrofilmmaterial von den Archiven der uruguayischen Streitkräfte, mit dessen Hilfe das Schicksal einiger Verschwundener aufgeklärt werden könne. Auf etwa 300 Fotos sollen Leichen zu sehen sein, die Mikrofilme weisen angeblich neben Datumsangaben auch die Namen derjenigen auf, die an der Ermordung politischer Gegner*innen teilnahmen. Die in Montevideo erscheinende Tageszeitung „El Pais“ weist daraufhin, daß zuvor niemand von Piuma gehört habe. Andererseits hatte der Abgeordnete Guillermo Chifflet vom linken Bündnis Frente Amplio vor einem Monat gesagt, ein ehemaliger Marinesoldat solle Dokumente über die politische Verfolgung in Uruguay haben. „Ich bin bereit, nach Uruguay oder in jedes andere Land zu reisen, um dieses Material der Justiz zu übergeben, damit die Toten in Frieden ruhen können“, wird Piuma zitiert.

ECUADOR/PANAMA

Parlamentarier auf der Flucht

(Tulcan, 29. April 1997, pulsar-Poonal).- Die ecuadoreanische Polizei versucht mit verstärkten Kontrollen an der Grenze zu Kolumbien, zumindest einiger der dreizehn ehemaligen Abgeordneten habhaft zu werden, die mit Haftbefehlen gesucht werden. In der Gegend um die Grenzstadt Tulcan sollen sich zwei flüchtige Ex- Parlamentarier aufhalten. An der Suchaktion nehmen auch Mitglieder der Streitkräfte teil. Die dreizehn Abgeordneten sind abgetaucht, nachdem ihrer Absetzung wegen illegaler Bereicherung während der Regierungszeit von Abdalá Bucaram Strafanklagen folgten. Sie haben nach den vorhandenen Informationen im Staatshaushalt nicht verzeichnete Gelder als Dank dafür erhalten, Ex-Präsident Bucaram und seiner Familie eine Reihe politischer und wirtschaftlicher Wünsche zu erfüllen. Die Untersuchungen über die Korruption der Anfang Februar vom Parlament zu Fall gebrachten Regierung sind noch nicht abgeschlossen. Es werden neue Enthüllungen erwartet.

Unterdessen hat die Regierung von Ernesto Perez Balladares Abdalá Bucaram politisches Asyl in Panama gewährt. Dies teilte ein Sprecher des Außenministeriums mit. Das Asyl gilt ebenso für für Bucarams Frau und die vier Kinder des Ehepaares. Seit Bucarám am 6. Februar dieses Jahres vom eigenen Parlament wegen „geistiger Unfähigkeit“ abgesetzt wurde, hat er sich überwiegend in Panama aufgehalten. Die panamaische Regierung ging damit über das Auslieferungsgesuch Ecuadors hinweg und änderte ihre Meinung auch nicht, nachdem der Obersten Gerichtshof Ecuadors vier Haftbefehle gegen den ehemaligen Präsidenten ausstellte. Bucaram soll in den sechs Monaten seiner Regierungszeit etwa 80 Millionen Dollar veruntreut haben. In seinem Heimatland protestierten verschiedene Organisationen gegen die Asylbewilligung.

ECUADOR

Frauen lehnen staatlichen Kulturpreis ab

(Quito, April 1997, fempress-Poonal).- Magdalena Adoum, Journalistin und Frauenaktivistin sowie die Schriftstellerin Alicia Cossio, erst kürzlich mit dem Internationalen Preis Sor Juana Inés de la Cruz ausgezeichnet, haben auf Ehrungen verzichtet, die ihnen das Haus der Ecuadoreanischen Kultur (CCE) verleihen wollte. Sie begründeten dies mit Unstimmigkeiten in der Politik der Einrichtung, die immerhin das größte Kulturinstitut des Landes ist. Adoum erklärte gegenüber Fempress: „Es gibt Anschuldigungen über Machenschaften und wenig aufrichtige Vorgehensweisen, die das Institut bis heute nicht aufgeklärt hat. Für uns sind die Ethik und die Aktivitäten gegen die Korruption grundlegend. Wir müssen ein neues politisches Handeln in allen Bereichen beginnen.“ Ob die Korruptionsvorwürfe sich als richtig oder nicht erweisen, Magdalena Adoum gab schon im vergangenen Jahr ein Beispiel. Sie lehnte den Preis Manuela Espejo der Kommune Quito ab, weil eine ihrer Töchter Leiterin der Kulturbehörde der Stadt ist.

ARGENTINIEN

Ökumenische Bewegung will nicht subversiv sein

(Buenos Aires, 28. April 1997, alc-Poonal).- Die 29. Generalversammlung der Ökumenischen Bewegung für die Menschenrechte (MEDH) hat die Beschuldigung „Subversive“ zurückgewiesen, mit der Präsident Menem und andere Regierungsangehörige Organisationen aus dem gewerkschaftlichen, religiösen und Menschenrechtsbereich bedacht hat, die gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung protestiert haben. Die MEDH brachte zudem ihre Solidarität mit entsprechenden Erklärungen protestantischer Priester und katholischer Bischöfe in den Regionen von Neuquen, Rio Negro und dem argentinischen Nordwesten zum Ausdruck. Die ökumenische Bewegung geht von einer verschärften Lage im Land aus. Die Demonstrationen der vergangenen Wochen zeugten von der ungerechten und unterdrückerischen Wirklichkeit, die tausende argentinischer Haushalte betreffe. Es sei ein offener Dialog notwendig, der damit beginnen müsse, die Bedürftigen und Ausgeschlossenen zu hören. Der Regierung bezichtigen die Ökumenen der Arroganz, sie habe offenbar ihren Auftrag vergessen, zum Wohle der Allgemeinheit zu wirken.

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