Poonal Nr. 280

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 280 vom 6.März 1997

Inhalt


GUATEMALA

HONDURAS

KUBA

PERU

CHILE

MEXIKO

ECUADOR

KOLUMBIEN

LATEINAMERIKA

ARGENTINIEN


GUATEMALA

Regierung entschädigt Witwe eines ermordeten Gewerkschafters

(Colotenango, 20. Februar 1997, cerigua-Poonal).- In dem Hochlandort Colotenango in der Provinz Huehuetenango unterzeichneten die guatemaltekische Regierung und Vertreter*innen der Indígenas eine Vereinbarung, in der eine Entschädigung für den Mord an Campesinoführer Juan Chanay im August 1993 vorgesehen ist. Chanay war Mitglied im Komitee für BäuerInneneinheit (CUC). „Sie ermordeten Juan Chanay, aber er lebt weiter“, sagte Bürgermeister Fabio Rios Villatoro vom Demokratischen Bündnis Neues Guatemala (FDNG). „Wir werden ihn in den 15 Projekten sehen, die sein Opfer uns gebracht hat.“ Als der BäuerInnenführer erschossen wurde, befand sich Colotenango unter der Herrschaft der gefürchteten paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC). Deren Mitglieder eröffneten das Feuer auf eine Demonstration des CUC, in der für die Auflösung der Patrouillen protestiert wurde. Es gab drei weitere Verwundete. Heute sind die PAC aus dem Ort verschwunden und Mitglieder des CUC stellen die Mehrheit im Gemeinderat.

Das erste Mal überhaupt entschädigt die guatemaltekische Regierung Opfer der Militärunterdrückung. Vermittelt hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH). Die Regierung verpflichtet sich, 300.000 Quetzales (50.000 US-Dollar) an Chanays Witwe und die anderen Opfer zu zahlen, 2,1 Millionen Quetzales für Entwicklungsprojekte in der Gemeinde aufzubringen und die verantwortlichen PAC-Mitglieder vor Gericht zu bringen. Die Projekte umfassen unter anderem einen neuen Markt, Schulen und Gesundheitskliniken. Die Gelder sollen von der CIDH verwaltet werden (vgl. Poonal 275). Regierungsvertreter Alfonso de León glaubt, die Vereinbarung von Colotenango könne als Modell für Entschädigungszahlungen in anderen Gemeinden dienen. „Die Entschädigung sollte, wie im Menschenrechtsabkommen ausgeführt, durch Programme und Projekte geschehen, die die Regierung in den betroffenen Gemeinden durchführt“, meint de León.

Gewalttätige Konflikte um Land

(Nenton, 26. Februar 1997, cerigua-Poonal).- Verhandlungen über die Rücksiedlung von Flüchtlingen, die vor über einem Jahrzehnt ihr Land verließen, endete blutig, als Siedler*innen, die derzeit dieses Land besetzen, die Zurückgekehrten angriffen. Im Landkreis Nenton in der Provinz Huehuetenango trafen sich am 18. Februar zwölf Vertreter*innen der Flüchtlinge mit Bewohner*innen des Dorfes Trinidad. Sie wollten vorschlagen, einen Teil der Landstücke, die das Dorf umgeben, zu kaufen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wollten sie die Angelegenheit [zuerst] direkt mit den Bewohner*innen besprechen anstatt mit dem Landbesitzer Enrique Maldonado de la Cerda. Durch die Attacken einiger Dorfbewohner*innen wurde ein älteres Flüchtlingspaar ernsthaft verletzt. Andere Rückkehrer*innen flüchteten in die Berge. Kurz nach dem Vorfall kamen Mitglieder der UNO-Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) an den Ort. Sie brachten das verwundete Paar über die Grenze zurück nach Mexiko, wo sie vom Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen aufgenommen wurden und nach Angaben eines MINUGUA-Funktionärs medizinisch versorgt wurden.

Schlechte Aussichten für Maya Biosphäre

(Guatemala-Stadt, 23. Februar 1997, cerigua-Poonal).- Die Regierung versteigert nach Berichten der Tageszeitung „Prensa Libre“ Ölrechte mitten in Guatemalas größter Naturreserve. Im Februar schrieb das Minen- und Energieministerium demnach 12 Konzessionen für die Ausbeutung und Förderung von Ölvorkommen in den Provinzen Alta Verapaz, Izabal and Peten aus. Mehrere dieser Konzessionen betreffen die Naturschutzgebiete Maya Biosphäre und Rio Dulce, wo die Förderung von Mineralien sowie andere Aktivitäten eingeschränkt sind. Dem Anschein nach haben die Konzessionen die Zustimmung der Regierungseinrichtung Nationalrat für Schutzgebiete (CONAP) erhalten. Umweltschützer*innen meinen dagegen, die Ölförderung in den Gebieten, für die die Konzessionen vorgesehen sind, sei laut Gesetz verboten. Der CONAP habe zudem versagt, die gesetzlich geforderten Studien über Umwelteinflüsse vorzulegen. „Wenn das Minen- und Energieministerium herumgeht und verkündet, es gebe keine Probleme, dann ist es an den Umweltgruppen zu verlangen, daß das Gesetz befolgt wird“, erklärte Mario Hugo Miranda, Mitglied der Umweltkommission des guatemaltekischen Parlaments.

Rigoberta Menchú fürchtet um die Opposition

(Guatemala-Stadt, Februar 1997, cerigua-Poonal).- Nach Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú erlebt die guatemaltekische Opposition als Ganzes eine Schwächeperiode, die die Erfolge im Rahmen der Friedensabkommen gefährden könnten. „Die meisten Gruppen bereiteten sich auf das Ende des bewaffneten Konfliktes vor, aber nicht auf das, was danach kommen würde“, sagte Menchú auf einem Treffen mit Journalist*innen. „Jetzt ist es so, als ob in der Volksbewegung Niedergeschlagenheit herrscht… Es gibt Ungewißheit. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird, aber ich hoffe, es wird von kurzer Dauer sein und in wenigen Monaten werden wir wieder kämpferischer vorgehen.“ Die Maya- Aktivistin aus dem Quiche verweist auf halbherzige Antworten auf Entlassungen und Privatisierungen durch die Regierung als Beispiel. „Es gab einen Streikaufruf und alles war innerhalb von 24 Stunden unter die Decke gekehrt. In Höchstgeschwindigkeit wurde alles verhandelt. Ich sehe einen wirklich bizarren Plan der Regierung, aus dieser Ungewißheit Vorteil zu ziehen. Ich glaube, für einige Gruppen in der PAN [die Regierungspartei] ist der Frieden nur ein Sprungbrett und nicht das Endziel ihrer Politik. Ihr Ziel ist es zehn oder zwanzig Jahre zu regieren… Der Frieden ist nur eine Hürde, die genommen werden muß.“

Menchú fuhr fort: „Dies erklärt eine Reihe von Entscheidungen, die sie getroffen haben, so wie die Privatisierung des Staatsvermögens. Sie haben kalkuliert, sie wollten das schnell durchziehen. Dabei sollte man annehmen, sie hätten dies mehr mit der Bevölkerung besprechen sollen.“ Einen Teil der Schuld dafür, daß die Regierung derzeit so frei schalten kann, schiebt die Nobelpreisträgerin der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) zu. „Warum hat die URNG geschwiegen? Und nicht nur ein bißchen, sondern sie hält einfach den Mund. Das macht mir Sorge. Denn wenn dies jetzt passiert, bevor sie ihre Waffen abgegeben haben, dann wird der Trend nach der Demobilisierung nicht eine zunehmende Stärke sein… Es wird eine Zeit dauern, bis die URNG zu einer politischen Partei geworden ist… Wenn sie nicht jetzt beginnen, dann wird es später schwieriger sein. Aber noch ist Zeit, sich der Regierung entgegenzustellen“, meint Menchú. „Ich schließe nicht aus, daß die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) die Opposition werden könnte, die das Land immer gebraucht hat. Sie hat eine Vorreiterrolle, zu der sie stehen sollte. Für gewöhnliche Bürger*innen wie uns ist das schwierig. Wir können nicht mehr fordern als die Opposition, die den ganzen [Friedens-]Prozeß verhandelt hat.“ Obwohl Rigoberta Menchú zu einer aggressiveren Opposition aufruft, glaubt sie nicht, daß sie oder ihre Stiftung den Streit austragen sollten. „Die Rolle, die uns am besten ansteht, ist die der Vermittlung und Überwachung, zum Dialogaufruf. Eher eine Rolle, unterschiedliche Positionen zu versöhnen, nicht eine Vorreiterrolle.“

HONDURAS

Regierung verschleudert Staatsunternehmen zu Niedrigpreisen

(Tegucigalpa, 4. März 1997, pulsar-Poonal).- Honduras würde dem Ausland keinen „Pfennig“ mehr schulden, wenn die Staatsunternehmen zu ihrem wirklichen Wert verkauft worden wären. Dies erklärt Nelson Muñoz Neda, der Koordinator der Kommission für Vorbeugung und Bekämpfung der Korruption (Coprelco). Allein in zehn Korruptionsfällen, die die Kommission untersuchte, seien dem Staat 135 Millionen Dollar entgangen. Allerdings können bisher keine Verantwortlichen genannt werden. Für Muñoz Neda besteht das Problem in Honduras darin, daß „es für alles Immunität gibt und diejenigen, die befürchten, in einigen Jahren angeklagt zu werden, drängen ebenso daruf, ihre Immunität zu bekommen“. Die Coprelco hat mehr als 2 000 Korruptionsanzeigen entgegengenommen. Die Fälle werden von der Kommission bearbeitet und der für Korruption zuständigen Abteilung der Staatsanwaltschaft übergeben.

KUBA

Der Papst wirft seinen Schatten voraus

(Havanna, 3. März 1997, alc-Poonal).- Auf der Vollversammlung der katholischen Bischofskonferenz Kubas (COCC) im Februar war der Papstbesuch vom 21. bis 25. Januar 1998 das Hauptthema. Die Bischöfe bestätigten in einer Pressemitteilung vom vergangenen Wochenende das Datum des Besuches und informierten, daß Johannes Paul II. außer der Hauptstadt auch in die Städte Santa Clara, Camaguey und Santiago de Cuba kommen wird, wo öffentliche Messen vorgesehen sind. Weitere Programmpunkte sollen „zu gelegener Zeit“ bekanntgemacht werden. Die katholische Kirche auf Kuba habe bereits jetzt ein Vorbereitungskomitee gegründet, so heißt es in der von Kardenal Jaime Ortega unterzeichneten Mitteilung. Die Bischofskonferenz bestimmte zudem drei ihrer Mitglieder für die gemeinsame Arbeitsgruppe mit der Regierung für den Papstbesuch. Diese Gruppe ist bei allen Reisen des Papstes in andere Länder üblich.

Castro bietet Asyl für MRTA-Mitglieder an

(Havanna, 4. März 1997, prensa latina-Poonal).- Kubas Staatschef Fidel Castro äußerte gegenüber dem peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori die Bereitschaft seines Landes, die Mitglieder der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) aufzunehmen, die seit dem 17. Dezember 1996 die japanische Botschaft in Lima besetzt halten. Notwendig seien dafür jedoch formelle Anfragen der peruanischen und der japanischen Regierung mit der Unterschrift der Vertreter der Garantenländer (Vatikan und Kanada) sowie das Einverständnis der MRTA. Dies gab Fujimori selbst im Anschluß an ein Gespräch mit Castro bekannt. Er erwähnte ebenfalls die Bereitschaft der Karibikinsel an der Lösung der Krise mitzuarbeiten, allerdings nicht als Vermittlerin. Der peruanische Präsident stattete Kuba einen Blitzbesuch ab, nachdem er zuvor in der Dominikanischen Republik mit den staatlichen Autoritäten unter anderem die Botschaftsbesetzung durch die MRTA diskutiert hatte. Fidel Castro seinerseits bezeichnete die Entscheidung seines Landes, zur friedlichen Lösung der Geiselkrise in Peru beitragen zu wollen, als moralische Pflicht. „Es ist eine moralische Pflicht, nicht eine Frage der Übereinstimmung, denn es ist das Leben dutzender Personen in Gefahr“, sagte Castro wörtlich gegenüber der Presse, nachdem er Fujimori am Flughafen von Havanna verabschiedet hatte. Er bestätigte die Voraussetzungen für die Aufnahme des Kommandos der MRTA, die der peruanische Präsident zuvor genannt hatte, und würdigte dessen Rolle auf den ibero- amerikanischen Gipfeltreffen.

Während des Treffens der beiden Staatschefs wurde auch über Kooperation in den Bereich Gesundheit, Handel und Kultur gesprochen. Der kubanische Vizepräsident Carlos Lage, Parlamentsvorsitzender Ricardo Alarcón und weitere Regierungsfunktionär*innen beider Seiten beteiligten sich an dem Meinungsaustausch. Es war das erste Mal, daß Fujimori während seiner Amtszeit Kuba besuchte. Zuvor war er nur 1980 auf der Insel gewesen. Damals arbeitete er an der Univerisität Central de Las Villas im Rahmen eines Beratungsprogrammes der UNESCO für angewandte Mathematik in der Landwirtschaft.

PERU

MRTA will nicht nach Kuba

(Mexiko-Stadt, 4. März 1997, Poonal).- In einer ersten Stellungnahme lehnte das Kommando der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) eine Ausreise nach Kuba ab. RebellInneführer Néstor Cerpa nannte die Reise von Perus Präsident Fujimori eine „Clownerei“. Bei verschiedenen vorherigen Gelegenheiten haben die MRTA-Mitglieder erklärt, Peru nicht verlassen zu wollen, sondern nach der Beendigung ihrer Aktion in den Urwald zurückzukehren, wo die Organisation ihr Rückzugsgebiet hat. Während der Besuche Fujimoris in der Dominikanischen Republik und auf Kuba fand in Lima die achte direkte Gesprächsrunde zwischen den Rebell*innen und der peruanischen Regierungsdelegation statt. Ergebnisse oder Fortschritte in den Verhandlungen gab es nicht. Auf Seiten der MRTA ließ sich Néstor Cerpa diesmal durch Roli Rojas, die Nummer Zwei des Kommandos vertreten. Auf der Gegenseite saß wie bei den bisherigen Treffen der peruanische Bildungsminister Domingo Palermo. Den Gesprächen wohnten ebenfalls die Mitglieder der Garantenkommission bei: der Erzbischof von Ayacucho, Juan Luis Cipriani, für den Vatikan, der kanadische Botschafter Anthony Vincent sowie der Delegierte des Internationalen Roten Kreuzes, Michel Minnig. Der japanische Diplomat Terusuke Terada nahm als Beobachter teil.

CHILE

Moon-Sekte auf dem Vormarsch, III

Von Aníbal Pastor N.

(Santiago, 26. Februar 1997, alc-Poonal).- Die Vereinigungskirche, besser bekannt unter dem Namen Moon-Sekte, wird auch in der chilenischen Gesellschaft aktiv. Im März soll in der Hauptstadt Santiago ihre Zeitung „Tiempos del Mundo“ (Zeiten der Welt) erscheinen. Die Offensive der Sekte in Lateinamerika (vgl. Poonal 279) ist auch in Chile ein Thema. In einem Interview in der Tageszeitung „La Epoca“ nahm der protestantische Soziologe Huberto Lagos zu dem Phänomen Stellung. Er verwies auf die Nähe der Sekte zu den einflußreichen Kreisen der Gesellschaft. Unter anderem erinnerte er daran, daß in den 70er Jahren während der chilenischen Militärdiktatur mit dem Oberst Bo Hi Pak einer der engsten Mitarbeiter des Predigers Moon ins Land kam, um die Bekämpfung des Kommunismus zu lehren. In den chilenischen Medien werden zunehmend Namen von einheimischen Politiker*innen und Unternehmer*innen genannt, die mit der religiösen Gruppe verbunden sein sollen. Die Regierung hat durch den stellvertretenden Innenminister Belisario Velasco verlauten lassen, falls die Vereinigungskirche „alle gesetzlichen Verfügungen unseres Landes einhält, gibt es keine Probleme, wenn die Bewegung sich in Chile installiert.“

MEXIKO

USA erteilen Drogendiplom

(Mexiko-Stadt, 3. März 1997, pulsar-Poonal).- US-Präsident Bill Clinton entschied sich im Interesse der nordamerikanischen Wirtschaft, Mexiko das Drogendiplom zu verleihen (vgl. Poonal 279). Trotz der jüngsten Skandale in Mexiko über die Verbindungen zwischen staatlichen Stellen und dem Drogenhandel, würdigten die USA das Vorgehen von Präsident Ernesto Zedillo gegen die Drogenhändler*innen.

Bischöfe wollen neuen Dialog in Chiapas fördern

(Mexiko-Stadt, 28. Februar 1997, alc-Poonal).- Die mexikanische Bischofskonferenz (CEM) hat die Hauptbeteiligten des Chiapaskonfliktes aufgefordert, auf einem Treffen über die Fortführung der seit September des vergangenen Jahres unterbrochenen Friedensgespräche zu diskutieren. Die Mitglieder der Kommission für Versöhnung und Frieden der CEM, die Bischöfe Samuel Ruiz, Sergio Obeso und Raul Vera erklärten, es gehe darum, sich über den derzeitigen Stand ein exaktes Bild zu machen. Eine Zusammenkunft von der Parlamentskommission COCOPA, der Nationalen Vermittlungskommission CONAI und der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) halten sie für unbedingt notwendig.

ECUADOR

Regierung versilbert staatliches Tafelsilber

(Quito, 3. März 1997, pulsar-Poonal).- Interimspräsident Fabián Alarcón verkündete am Wochenende seinen Wirtschaftsplan. Ein wesentlicher Punkt besteht darin, staatliche Aufgaben in Konzession an private Unternehmen zu vergeben. Die fehlenden Geldmittel des Staates würden zu diesem Schritt zwingen, sagte Alarcón. Das System der Konzessionen sei der einzige Weg, bei den Aufgaben voranzukommen. Er stellte aber klar, daß diese Entwicklung nicht die Privatisierung strategischer Bereiche bedeute. Der Übergangspräsident hat sich ein Wachstum von 3,5 Prozent des Bruttosozialproduktes zum Ziel gesetzt. Er kündigte außerdem eine stärke Kontrolle bei der Steuerzahlung an, die von einem großen Teil der Bevölkerung umgangen wird.

KOLUMBIEN

Feministin im Staatsdienst – Interview mit Olga Amparo Sánchez

(Bogotá, Februar 1997, fempress-Poonal).- Die Behörde für Frauengleichberechtigung ist innerhalb des kolumbianischen Staates die leitende Institution für die Frauenpolitik. Es ist eine ständige und verwaltunstechnisch selbstständige Instanz mit einem eigenen Budget. Ihre Aufgabe besteht in der Planung und Koordinierung, nicht in der Ausführung der Politik. Für diese sind die Ministerien, Provinzen und Landkreise verantwortlich. Für Fempress sprach Patricia Alvear mit der Behördenchefin Olga Amparo Sánchez.

Frage: Was bedeutet für den Feminismus und die soziale Bewegung der Frauen die Existenz dieser Institution?

Sánchez: Ich würde sagen, für Teile des Feminismus und Teile der Bewegung ist es ein Gewinn. Seit langer Zeit drängten diese Gruppen auf eine Instanz, die sich mit der Frauenpolitik beschäftigen sollte. Dabei wurde davon ausgegangen, daß allein auf politischem Weg Probleme wie die Diskriminierung nicht gelöst werden können, aber es bestand die Auffassung, daß die Staaten angemessene Bedingungen schaffen müssen, damit die Frauen ihre Rechte sehr viel breiter wahrnehmen können, damit sie an der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen teilnehmen können. Es ist die Aufgabe der Bewegung und des Feminismus, einen Aufsichtsmechanismus zu schaffen, nicht nur die Behörde zu überprüfen, die letztendlich keine Ausführungsinstanz ist, sondern die örtlichen und landesweiten Einrichtungen, die die Politik erfüllen sollen.

Frage: Was bedeutet es für Olga Amparo Sánchez, die anerkannte Feministin und Aktivistin der sozialen Bewegung der Frauen, persönlich, dieser Behörde vorzustehen?

Sánchez: Eine meiner Überlegungen war, die Herausforderung anzunehmen. Nicht mit messianischen Einstellungen, aber mit Realitätssinn. Trotz aller Krisen, die das Land durchmacht, war es eine gute Gelegenheit, auf höherer Ebene mit vielen Dingen weiterzumachen, die sich zuvor in kleinen Gruppen entwickelt haben. Es ist eben nicht dasselbe, mit einer Frauengruppe zu arbeiten oder landesweit in einer Staatsbehörde. Dort gibt es eine andere Dimension und andere Interventionsmöglichkeiten, entsprechende Bedingungen zu schaffen, um institutionelle Veränderungen zu erreichen und Probleme sichtbar zu machen. Es gab einen politischen Willen des Präsidenten und das ist ein wichtiger Faktor. Ich bin außerdem davon überzeugt, daß diese Aktionen – so begrenzt sie auch sein mögen – Bedingungen für eine Umgestaltung begründen, damit wir Frauen unsere Rechte besser wahrnehmen können. Es war und bleibt eine sehr große Herausforderung.

Frage: Was sind die größten Erfolge?

Sánchez: Die Behörde institutionell verankert zu haben, ein Team mitsamt seines Verwaltungs- und Finanzteils organisiert zu haben. Unter den Staatsinstanzen selbst als wichtige Gesprächspartnerin anerkannt zu sein. Mit einer Strategie vorwärts zu kommen, die es erlaubt, verschiedene Bereiche wie Gesundheit, Landwirtschaft, Arbeit, Justiz zusammenzubringen. Wir haben Vereinbarungen mit den Institutionen getroffen, in denen sie die Gleichberechtigung und die Beteiligung der Frauen garantieren – unabhängig davon, ob der Minister oder die Ministerin ausgewechselt werden. Es gibt mehr Klarheit über die Grenzen und die Aufgaben jeder Seite.

Frage: Was sind die Hauptschwierigkeiten?

Sánchez: Viele haben mit den Erfolgen zu tun. Dazu gehört der fehlende politische Wille innerhalb des Staates in seiner Gesamtheit. Der Staat auf nationaler Ebene ist nicht derselbe wie auf Provinz- oder Kommunalebene. Der gesetzgebende Zweig ist nicht dem regierenden Zweig gleichzusetzen. Im Innern jedes einzelnen Bereiches sind die Entwicklungen sehr ungleichmäßig. Es ist nicht leicht gewesen den politischen Willen von Ministern und Ministerinnen auf die Bürgermeister*innen und die ganze Breite der Akteur*innen innerhalb des Staates zu übertragen. Oft wird die Ungleichheit, der sich die Frauen gegenüber sehen, nicht anerkannt und genausowenig werden sie als Akteurinnen von Bedeutung bei den Entwicklungen auf örtlicher Ebene akzeptiert. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, die Behörde als wichtige Gesprächspartnerin anzuerkennen. Es existieren sehr unterschiedliche Reifeprozesse: In vier oder fünf Ministerien ist die Verankerung gut, aber in den übrigen sehr schwach. Es mag eine akzeptierte Verankerung in 20 oder 30 Municipios (Landkreisen) geben, aber wir reden von mehr als 1.000 Municipios im Land. Zu den stärksten Problemen gehören alle kulturellen Festlegungen bezüglich der Frauen, die Stereotypen über ihre Rolle und der Widerstand, die fortschrittlichen Änderungen zu akzeptieren, für die sie eintreten.

Frage: Was sind die Ziele für die Zukunft?

Sánchez: Eine größere Legitimation der Behörde nicht nur auf staatlicher Ebene zu schaffen, sondern als Gesprächspartnerin der Zivilgesellschaft aufzutreten. Eine stärkere politische Verpflichtung der verschiedenen Regierungsinstanzen zu erreichen und den Arbeitsplan weiter zu entwickeln, den wir uns vorgenommen haben. Wir wollen das staatliche Angebot für die Frauen verbessern und die Frauen stärker beteiligen.

LATEINAMERIKA

50 Prozent der Beschäftigten arbeiten im informellen Sektor

Von Thaís Aguilar

(San José, Costa Rica, 25. Februar 1997, sem-Poonal).- Von zehn in Lateinamerika zwischen 1990 und 1995 geschaffenen städtischen Arbeitsplätzen entstanden etwa acht im informellen Sektor. Heute sind dort mehr als die Hälfte der in den Städten des Kontinents arbeitenden Menschen beschäftigt. Von diesen wiederum arbeiten 23 Prozent in Kleinstunternehmen, den Microempresas. Dieses lateinamerikanische Arbeitspanorama untersuchte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Víctor Tokman, stellvertretender Direktor der Organisation, gab die Daten auf einem Seminar in San José bekann, das „Perspektiven und Einfluß der Ausbildungs- und Hilfsprogramme für die Microempresas“ behandelte. Organisiert wurde das Seminar vom Institut zur Förderung der Sozialwirtschaft (IPES).

Bisher haben sich die Kleinstunternehmen in der Region überwiegend durch niedrige Produktivität und ihr Auftreten im informellen Sektor ausgezeichnet. Letzterer trägt zwischen 10 und 20 Prozent zum nicht landwirtschaftlich erzeugten Bruttosozialprodukt der Länder bei. Das entspricht einem fünften Teil der Produktivität der Arbeiter*innen im formellen Sektor. Ein kürzlicher Bericht der ILO zeigt außerdem, daß die „Informellen“ trotz längerer Arbeitszeiten nur etwa die Hälfte des Lohnes erzielen wie die Kolleg*innen mit fest geregelten Arbeitsbeziehungen. Tokman und andere Fachleute stimmen darin überein, daß die modernen lateinamerikanischen Branchen nicht in der Lage waren, genügend qualifizierte Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Auf der anderen Seite stehen ein hohes Arbeitskraftangebot, Bevölkerungswachstum und die Migration vom Land in die Stadt. Die durch die Staatsumstrukturierungen und die Privatisierungen von öffentlichen Unternehmen reduzierten staatlichen Arbeitsplätze verschärfen die Situation. Im Privatsektor werden Stellen abgebaut, indem neue Technologien eingeführt werden, für die weniger Beschäftigte notwendig sind.

Angesichts dieser Situation findet sich die überschüssige Arbeitskraft in Aktivitäten, die wenig Kapital sowie wenig Ausbildung verlangen und eine niedrige Produktivität aufweisen. Die ILO spricht von einer „Arbeitszuflucht“, die so produziert wird. Carlos Maldonado von der Internationalen Arbeitsorganisation sagt, daß in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts 18 Millionen neue Arbeitsplätze in Lateinamerika entstanden, 84 Prozent in der informellen Wirtschaft. Der informellen Wirtschaft werden Personen zugerechnet, die auf eigene Rechnung arbeiten – ausgenommen selbstständige Fachkräfte. Dazu gehören auch die Microempresas mit fünf bis zehn Beschäftigten und die Haushaltsangestellten. Der Umfang dieser „Arbeitszuflucht“ ist beträchtlich und er wächst: jährlich um 4,7 Prozent gegenüber 1 Prozent im formellen Sektor. Das bedeutet, daß derzeit 56 Prozent der lateinamerikanischen Erwerbsbevölkerung – die Gesamtbevölkerung des Kontinents übersteigt 380 Million – in der informellen Wirtschaft arbeiten.

Auf der Länderrangliste sind Bolivien, Peru und Kolumbien diejenigen mit dem höchsten Anteil des informellen Sektors. In Uruguay, Argentinien und Costa Rica macht sich das Phänomen noch weniger stark bemerkbar. Carlos Maldonado und Teresa Morales, die als Ausbilderin an dem bolivianischen Institut für die Entwicklung der kleinen Produktionseinheit (IDEPRO) beschäftigt ist, meinen, daß in einigen Ländern die informelle Wirtschaft gleichbedeutend mit einer feminisierten Wirtschaft ist. Die Frauen entwickeln Wirtschaftsstrategien in den Bereichen des Kleinhandels, der Nahrungsmittelproduktion und der Kleiderherstellung. Morales weist daraufhin, daß die informelle Wirtschaft beispielsweise für die Aymara-Frauen und die Frauen in der Andenregion allgemein der entscheidende Faktor für ihr Überleben ist. Nicht- Regierungsorganisationen haben festgestellt, daß der von Aymara- Frauen betriebene Handel an der Grenze zwischen Peru und Bolivien ein Volumen von wöchentlich etwa 2 Millionen Dollar hat. Die Arbeitsbedingungen sind dabei äußerst hart. Mit den Kindern auf dem Rücken, eine Kälte von manchmal zehn Grad unter Null überwindend und nach eintägigem Fußmarsch bieten die Frauen den Grenzgänger*innen Kleidung und Schuhe zum Verkauf an. Oft werden sie nach den Aussagen von Teresa Morales von der Grenzpolizei verfolgt.

Die Aymara-Frauen beherrschen außerdem den informellen Kleinhandel in der bolivianischen Hauptstadt La Paz fast vollständig. Ihre Organisationsfähigkeit und ihre Fähigkeit zur Solidarität sind bereits Untersuchungsziel gewesen. Während in den Anden und anderen Regionen Lateinamerikas die Frauen mehr als die Hälfte der Beschäftigten im informellen Sektor ausmachen, sind die Mittelamerikanerinnen etwas weniger stark in diesem Bereich vertreten. In Costa Rica beispielsweise mit 33 Prozent, in Panama mit 30 Prozent. In El Salvador und Honduras allerdings liegt ihr Anteil bei 50 Prozent.

Laut Carlos Maldonado war die ILO die erste Institution, die das Phänomen der informellen Arbeit eingehend analysierte, auch seine positiven Seiten sah und es als wichtigen Teil der Lösungen für die Arbeitslosigkeit betrachtete. Auf dem Seminar stimmten die Teilnehmer*innen jedoch überein, daß die Ausbildung im informellen Sektor verbessert werden muß, damit die Arbeit sowohl für die Ausübenden selbst als auch für Wirtschaft des Landes rentabler wird. Teresa Morales besteht auf der Notwendigkeit, dabei in der Frauenausbildung eine andere Einstellung einzunehmen. „Die Institutionen, die im Bereich Ausbildung und technischer Hilfe für Mikroempresas arbeiten, schenken den Frauen weder die gebotene Aufmerksamkeit, noch gehen sie auf die Geschlechterunterschiede ein.“

ARGENTINIEN

Proteste gegen Mord an Cabezas

Von Dafne Sabanes Plou

(Buenos Aires, 27. Februar 1997, alai-Poonal).- Dem Aufruf der JournalistInnenvereinigungen folgten 20.000 Personen. Sie zogen am 25. Februar durch die Straßen von Buenos Aires und erinnerten auf Transparenten an José Luis Cabezas, den Fotojournalisten der Zeitschrift „Noticias“, der am 25. Januar brutal ermordet wurde. Der 35jährige Cabezas ging seiner Arbeit an einem der teuersten Badeorte des Landes nach, wo Unternehmer*innen, Politiker*innen, hohe Regierungsfunktionär*innen und Künstler*innen den Sommerurlaub zu verbringen pflegen. Er wurde umgebracht, als er eine von einem reichen Unternehmer organisierte Party verließ, über die er mit Fotos für seine Zeitschrift berichten sollte. Seine verkohlte Leiche wurde mit einem Schuß im Kopf in seinem Auto gefunden, das die Mörder nach der Tat anzündeten. Dennoch konnte festgestellt werden, daß Cabezas vor dem Mord mit Handschellen gefesselt und mißhandelt wurde. Der Demonstrationszug am 25. Februar in Buenos Aires und den wichtigsten Städten des Landes schloß eine Schweigeminute in Erinnerung an den Fotojournalisten ein, die gleichzeitig Symbol für den Protest gegen die Straffreiheit war, die die Autoren des Verbrechens zu genießen scheinen. Trotz der Untersuchungen und der Regierungsversprechungen, die Nachforschungen zu beschleunigen, gibt es bisher keine Aufklärung.

Ein Auftragsverbrechen

Nach dem bisherigen Stand der Dinge sind sowohl die polizeilichen Untersucher*innen als auch die Journalist*innen, die den Fall verfolgen, sicher, daß das Verbrechen an Cabezas per Auftrag geschah. Wenn die Polizei auch vorgibt, die Vollstrecker des Mordes, eine fünfköpfige Bande mit einschlägiger Vorgeschichte, festgenommen zu haben, so zweifelt die öffentliche Meinung an der Richtigkeit der Anklage. Die Motive für die Tat sind im Falle der Verhafteten völlig unklar und die beauftragten Polizeikräfte werden beschuldigt, Beweise vernichtet und die Ermittlungen nur schleppend vorangebracht zu haben. Der Mord an Cabezas ruft Erinnerungen an die Zeit der Militärdiktatur (1976-1983) wach, als derartige Verbrechen an der Tagesordnung waren. Damals wurden die Regierungsgegner*innen verfolgt, sie verschwanden und wurden auf offener Strasse ermordet. Oft geschah dies auf spektakuläre Weise, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Die Ermordung Cabezas wird als Drohung gegen den unabhängigen Journalismus und gegen die Demokratie aufgefaßt.

Seit die Leiche des Journalisten gefunden wurde, sind rund ein Dutzend Mitglieder der Polizei der Provinz Buenos Aires, die für die Sicherheit von elf Millionen Einwohner*innen zuständig ist, entlassen worden. Sie werden für schuldig befunden, bei der Untersuchung des Falles schwere Fehler begangen zu haben. Die Regierung der Hauptstadtprovinz hat die Polizisten zwar nicht formell angeklagt. Aber es ist deutlich, daß in der Anfangsphase der Nachforschungen absichtlich Fehler gemacht wurden. So verschwanden beispielsweise Spuren am Tatort, indem jedweder Person, einschließlich zufällig vorbeikommenden Tourist*innen, gestattet wurde, sich dem angezündeten Auto zu nähern und darum herumzugehen. Damit wurden wichtige Hinweise verwischt oder zerstört.

Das Wachpersonal des Unternehmers, der die Party in dem Badeort veranstaltete, gab vor Gericht an, die örtliche Polizei angerufen zu haben, weil sie ein verdächtiges Auto in der Nähe des Anwesens bemerkten. Angesichts der Zahl der Gäste und ihres Reichtums fürchteten sie einen Überfall. Doch die Polizei antwortete ihren Angaben zufolge nicht auf den Anruf. Das ließ die Vermutung aufkommen, das Gebiet könnte vorher zur „abgesteckten Zone“ (zonas deliberadas) durch die Polizeikräfte erklärt worden sein. Dieser Begriff wurde unter der Militärdiktatur im Zusammenhang mit Entführungen und späterem Verschwindenlassen von Oppositionellen verwendet. Die Polizei- oder Militärkräfte agierten in den „abgesteckten Zonen“ völlig straflos, selbst wenn Zeugen die Vorfälle anzeigten.

Die politischen Beobachter*innen und Journalist*innen, die den Mord an Cabezas untersuchen, glauben, daß der Fotograf, der der breiten Öffentlichkeit bis dahin kaum bekannt war, unschuldiges Opfer eines Konkurrenzkampfes zwischen Mitgliedern aus Politik und Polizei wurde. Auch einige Mafiagruppen, die sich dem Drogenhandel in den Badegebieten an der argentinischen Atlantikküste widmen, werden mit dem Fall in Verbindung gebracht. Dies schließt auch die Möglichkeit einer Strafaktion gegen den unabhängigen Journalimus ein. Die Zeitschrift „Noticias“, für die Cabezas arbeitete, untersuchte zuletzt die Korruption auf Regierungsebene und die Aktionen der in das Drogengeschäft verwickelten Polizei in der Provinz Buenos Aires.

Das Problem der Unsicherheit in Argentinien

Eine vom „Zentrum Neue Mehrheit“ in Auftrag gegebene Befragung zeigt, daß 71 Prozent der Argentinier*innen denken, das Verbrechen an José Luis Cabezas werde niemals aufgeklärt. Die Leute sind wie bei ähnlichen Vorfällen in den vergangenen Jahren, in die Politiker, Polizisten oder Unternehmer verwickelt waren, überzeugt, daß die Wahrheit nicht ans Licht komme. Eine andere Umfrage, die die Tageszeitung „La Nación“ veröffentlichte, gibt Auskunft über das Vertrauen in die Polizei: Danach beurteilen 0,4 Prozent der Bevölkerung, die Amtsführung der Polizeikräfte von Buenos Aires als „sehr gut“. Dagegen wird sie von fast 70 Prozent als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ gekennzeichnet. Zu dem fehlenden Vertrauen, daß die Polizei genießt, kommen die niedrigen Löhne und die geringe Vorbereitung beim Eintritt in die Institution. Die mageren Einkünfte machen die Polizist*innen leicht zu Gefangenen der Korruption. Im vergangenen Jahr mußte der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Eduardo Duhalde von der Partido Justicialista eine bedeutende Anzahl von Polizeimitgliedern vom Dienst suspendieren. Sie hatten verschiedenste Delikte begangen. Die Polizist*innen gehörten Banden an, die sich dem Raub, der Unterschlagung und dem Drogenhandel widmeten.

Viele Beobachter*innen sehen in dem Mord auch eine Machtdemonstration der Polizei gegenüber der politischen Macht. Gouverneur Duhalde sieht sich als der natürliche Nachfolger von Staatschef Menem als Präsidentschaftskandidat für die allgemeinen Wahlen von 1999. Das Verbrechen an Cabezas, das wenige Straßenzüge von dem Sommerhaus des Gouverneurs entfernt geschah, ist zweifellos ein Angriff gegen seine Autorität. Die Tat wird von einigen als Racheakt der 1996 entlassenen Polizeimitgliedern interpretiert. Wenn Duhalde Präsidentschaftskandidat sein will, wird sein Image sehr geschädigt sein, wenn es seiner Regierung nicht gelingt, den Mord aufzuklären und die Polizei in den Griff zu bekommen. Wer könnte einem Kandidaten vertrauen, dem nicht einmal die eigene Polizei gehorcht? Duhalde muß jetzt nicht nur gegen die Anhänger*innen Menems kämpfen, die für eine erneute Wiederwahl des derzeitigen Präsidenten eintreten, sondern er muß sich auch gegenüber der öffentlichen Meinung beweisen. Dafür wird er sich gegen die Straflosigkeit stellen müssen, mit der Teile der politischen und wirtschaftlichen Macht in Argentinien handeln. Diese zögern nicht, schwere Verbrechen zu begehen, wenn sie damit ihre Interessen verteidigen können.

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