Poonal Nr. 259

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 259 vom 25. September 1996

Inhalt


GUATEMALA

KOLUMBIEN

URUGUAY

ARGENTINIEN

BRASILIEN

BOLIVIEN


GUATEMALA

Ende Oktober letzte Gesprächsrunde?

(Guatemala, 23. September 1996, CERIGUA-POONAL).- Anfang Oktober werden die Verhandlungsgespräche zwischen Regierung, Militär und Guerilla über die letzten noch ausstehenden Themen fortgesetzt. Der Vorsitzende der Regierungskomission für den Frieden (CONAPAZ), Gustavo Porras teilte mit, daß voraussichtlich zwischen dem 3. und 5. Oktober eine erneute Gesprächsrunde zur Wiedereingliederung der Guerilla in den nationalen Alltag, mit der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) stattfinden wird. Laut Porras besteht die Absicht die Basisthemen der Wiedereingliederung der URNG in das politische Leben und einen Waffenstillstand synchron zu behandeln. Porras ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es schwierig sei im Voraus darüber zu spekulieren, wann die beiden Punkte abgeschlossen werden können. Dergestalt eingeschränkt, fügte er hinzu, daß wenn die Verhandlungen im vorgesehenen Rhytmus fortschritten, selbige Ende Oktober oder „spätestens Anfang November“ abgeschlossen sein sollten.

Am 19. September wurde in Mexiko das Abkommen über „Stärkung der zivilen Macht und die Rolle des Militärs in einer demokratischen Gesellschaft“ unterzeichnet. Die Unterzeichnung der Abkommen bezüglich der Wiedereingliederung der Guerilla und des Waffenstillstands sollen in Spanien, bzw. Norwegen unterzeichnet werden.

Armeesprecher bestreitet Folter-Fortbildung in den USA

(Guatemala, 23. September 1996, CERIGUA-POONAL).- Der amtierende guatemaltekische Militärsprecher Oberst Edgar Palacios wies am 23.September entschieden zurück, daß Angehörige der guatemaltekischen Streitkräfte Unterweisung in Foltertechniken der Aufstandbekämpfung erhalten hätten, wie aus einem Dokument des Pentagon hervorgegangen war.

Den Enthüllungen des Pentagons zufolge, sind zwischen 1982 und 1991 guatemaltekische Militärs in der us-amerikanischen „School of the Americas“ in Praktiken der Aufstandsbekämpfungunterwiesenworden. Zu den Absolventen der Militärschule gehören auch die Oberste Edgar Godoy und Roberto Alpirez, denen vorgeworfen wird, außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt zu haben, sowie auch der heutige General Francisco Ortega Menaldo, der in Korruptionsskandale verwickelt ist.

Die USA und verschiedene lateinamerikanische Länder hätten Mitgliedern der guatemaltekischen Streitkräfte Stipendien für Grund- und Aufbaukurse in den Bereichen militärische Befehlsgewalt und Stab, sowie Menschenrechte, Öffentlichkeit und Zivilrecht zukommen lassen, erklärte Oberst Palacios. Nach derartiger Betonung, daß es sich bei den Kursen lediglich um Fortbildung gehandelt habe, teilte der Armeesprecher mit, weitere Details des Pentagonberichts seien ihm nicht bekannt. In diesem wird bekräftigt, daß die „School of the Americas“ Tausende von spanischsprachigen Handbüchern zur Austandsbekämpfung an die Offiziere elf lateinamerikanischer Staaten, darunter Guatemala, verteilt hat.

Ferner gab Palacios bekannt, daß die neun, aufgrund mutmaßlicher Beteiligung an illegalen Aktionen, ihrer Ämter enthobenen Offiziere sich noch nicht anläßlich der Klärung ihrer Situation im Hauptquartier gemeldet hätten. Es sei davon auszugehen, daß sie ihre legalen Angelegenheiten selbst vor den entsprechenden Gerichten klären würde, führte Palacios weiter aus.

Ex-Präsidenten in Schmuggelring verflochten

(Guatemala 24. September 1996, CERIGUA-POONAL).- Die ehemaligen guatemaltekischen Präsidenten Ramiro de León und Jorge Serrano Elias haben sich Enthüllungen ihrer ehemaligen Kabinettsmitglieder zufolge nicht in der Form der Bekämpfung von Schmuggelgeschäften gewidmet, wie es von ihnen zu erwarten gewesen wäre, zumal hohe Militärs sowie zahlreiche Ex-Minister daran beteiligt gewesen sind.

Den Verlautbarungen des ehemaligen Innenministers der Regierung von Ramiro de Leon (1993-1995), Danilo Parrinello, konnte sich der Ex-Präsident nicht dazu durchringen, gegen die Machenschaften von Alfredo Morena, vermeintlicher capo des guatemaltekischen Schmuggelkartells, vorzugehen. Morena wurde in der vergangenen Woche verhaftet. Laut Parrinello, weigerte sich der Präsident zur Tat zur schreiten, ungeachtet der Tatsache, daß die damalige Finanzministerin, Ana de Molina, ihn über die Existenz dieser kriminellen Struktur innerhalb des Zolls informiert hatte. Desgleichen hatte der damalige Chef der Inneren Sicherheit dem Ministerium für Öffentlichkeit vorgeworfen, nicht in der Lage zu sein, die geltenden Gesetze in Anwendung zu bringen.

Was nun die Regierung des – mißglückten – Putschisten Jorge Serrano Elias (1991-1993) angeht, so versicherte dessen einstiger Innenminister Oberst Ricardo Mendez, daß er seinerseits 1991 zurückgetreten sei, weil der Präsident ihm einen Negativbescheid hinsichtlich der Bildung einer Front zur Bekämpfung der Schwarzhandelstrukturen erteilt habe. Die Reihen dieser Struktur sei auch mit den höchsten militärischen Rängen wie Mitgliedern derRegierungselite bestückt gewesen. Mendez' Version wurde seitensdes zentralamerikanischen Parlamentariers und Ex-Vermittlers bei den Verhandlungen zwischen Regierung und URNG, Manuel Conde bestätigt. Conde bezeugte, daß Serrano dem ehemaligen Innenminister seine Unterstützung bei der Bekämpfung des Schmuggels entzogen habe.

Trotz dieser Stellungnahmen fragen sich politische Beobachter*innen und Journalist*innen gleichermaßen, wieso die ehemaligen Regierungsangehörigen ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit den diesbezüglichen Informationen rausrücken, wo Regierung unter Alvaro Arzu gerade Schritte gegen den capo des Zollamtes und die ebenfalls implizierten Militärs unternimmt.

KOLUMBIEN

Botschafter vertreibt BäuerInnen

(Köln, 25. September 1996, AC-POONAL).- Der kolumbianische Botschafter in Belgien und vor der Europäischen Union, der Großgrundbesitzer Carlos Arturo Maralanda Ramírez, ist in Menschenrechtsletzungen an kolumbianischen Bäuer*innen beteiligt. Im Auftrag des Unternehmens Marulanda Ramírez Inversiones S.A., dessen Hauptgesellschafter er ist, werden seit Jahren paramilitärische Übergriffe auf die Bäuer*innen der Hacienda Bellacruz durchgeführt, Häuser abgebrannt, ihre Besitztümer geraubt und Vertreter*innen der Landarbeiter*innen bedroht und umgebracht. „Seit nunmehr 40 Jahren, seit sich die Familie Marulanda Ramírez in dieser Region niedergelassen hat, müssen die Campesinos um das Land kämpfen, das sie seit Generationen bearbeiten, obwohl es ihnen vom Gesetz öher zusteht“, kritisierte Sabine Jecht von der deutschen Menschenrechtsorganisation FIAN.

Das Anwesen der Hacienda Bellacruz im Süden der nordöstlich gelegenen Prozinz Cesar umfaßt mehr als 24 000 Hektar und damit über zwei Drittel der umliegenden Dörfer. Einer Untersuchung der staatlichen Agrarreformbehörde INCORA zufolge liegen für einen Teil des Besitzes bis heute keine offiziellen Eigentumstitel zugunsten der Familie Marulanda vor, was den Vorwurf der Bäuer*innen bestätigt, daß das Land in der Vergangenheit mit widerrechtlichen Mitteln angeeignet wurde. Dieser Skandal wurde aufgedeckt, als die Marulanda-Gesellschaft 1989 einen geringen Teil ihres Landes zu einem überhöhten Preis an die Agrarbehörde verkaufen wollte. Obwohl nach kolumbianischem Recht Geschäftsbeziehungen zwischen Regierungsvertret*innen und staatlichen Behörden nicht zulässig sind, wurde dieses Verkaufsangebot gemacht, als Marulanda Ramírez Entwicklungsminister war.

Die inzwischen von INCORA geplante Zuteilung des unrechtmäßig in Besitz genommenen Landes an die BäuerInnenfamilien war bisher nicht möglich, denn paramilitärische Gruppen behindern den Zugang der Landvermesser. Das auf der Hacienda stationierte kolumbianische Militär sah tatenlos zu, als im Februar dieses Jahres 280 Familien vertrieben wurden. In einem im Juni bekräftigten Abkommen mit den Bäuer*innen hat sich die Regierung verpflichtet, für die Rücksiedlung und den Schutz der Bäuer*innen zu sorgen, doch das Abkomen wird nicht umgesetzt. EU-Botschafter Marulanda Ramírez hat sich bisher weder gegen dieparamilitärischen Banden gewandt, noch hat er sich für dievertriebenen Bäuer*innen eingesetzt. Die kolumbianischen Menschenrechts- und BäuerInnenorganisationen beklagen, daß die Armee ihnen Verbindungen mit der Guerilla unterstellt, um ihr Engagement zu diskreditieren. Zahlreiche deutsche Menschenrechtsgruppen, darunter FIAN, terre des hommes, Pax Christi und der Diözesanrat der katholischen Kirche im Bistum Aachen haben gegen die Menschenrechtsverletzungen protestiert. Sie fordern den Präsident des EU-Ministerrates auf, sich gegenüber der kolumbianischen Regierung für eine Abberufung ihres Botschafters und für die Sicherheit der vertriebenen Bäuer*innen einzusetzen.

Langjähriger Konflikt in Bananenregion Urabá

(Bogotá, September 1996, AC-POONAL).- Die Region Urabá, das bedeutendste Bananenanbaugebiet Kolumbiens, kommt nicht zur Ruhe. Massaker, Verschleppungen, politische Morde und Vertreibungen gehören zum Alltag in dem im Nordwesten des Landes gelegenen Gebiet. Allein 1995 sind nach Angaben der Menschenrechts- Ombudsstelle 1258 Menschen in Urabá ermordert, 53 verschleppt und 4011 Familien vertrieben worden. Dabei ist Urabá eine sehr reiche Region: Beinahe die gesamten Bananenexporte Kolumbiens werden hier angebaut, der Boden ist fruchtbar, einige Landstriche sind noch unerschlossen und weisen eine reiche Artenvielfalt auf. Zudem werden große Erdöl- und Mineralienvorkommen dort vermutet. Die Nähe zu Panama und der freie Zugang zur Karibik verleiht dem Gebiet eine strategisch wichtige Funktion, die auch von Schmuggler*innen, Drogenhändler*innen und der Guerilla genutzt wird. Die Bevölkerung Urabás profitiert allerdings nicht vom Reichtum der Region. Sie leidet unter dem erbarmungslosen Kampf um Land und politische Vormacht, den die verschiedenen bewaffneten Gruppen ausfechten.

Die Region Urabá umfaßt ein Gebiet, das Teile der drei Provinzen Antioquia, Cordoba und Chocó einschließt; dort leben 530 000 Menschen. Die Gesamtfläche Urabás beträgt 18 596 Quadratkilometer, beinahe halb so groß wie die Schweiz. Der Norden mit rund 260 000 Einwohnern wird von Großgrundbesitzer*innen dominiert, die Viehzucht betreiben. Im Zentrum Urabás – dort leben 240 000 Einwohnern – weren Bananen angebaut. Im Westen und Süden leben rund 30 000 Menschen, überwiegend schwarze und indigene Einwohner, die auf kleinen Parzellen Landwirtschaft betreiben.

Urabá hat in diesem Jahrhundert mehrere Einwanderungswellen erlebt, die stets mit der Ausbeutung von Rohstoffen für den Export verbunden waren. Anfang dieses Jahrhunderts wurde mit der Gewinnung von „Tagua“, dem sogenannten Pflanzenelfenbein, ein besonders wertvolles Tropenholz begonnen. Bis zur Mitte der 50er Jahre folgte die Ausbeutung von Kautschuk. In der Zeit der „Violencia“, den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen 1948 und 1957, die rund 300 000 Todesopfer forderten, flohen viele Kleinbäuer*innen in diese abgelegene, kaum zugängliche Region; sie rodeten Wald und betrieben Subsistenzwirtschaft.

Zu Beginn der 60er Jahre begann die United Fruit Company mit dem industriellen Bananenanbau. Dies löste die erste Vertreibungswelleaus: Kleinbäuer*innen, die nicht über verbriefte Landtitelverfügten, mußten ihr Land zu einem Spottpreis verkaufen oder wurden gewaltsam zum Weggehen gezwungen. Diese Kleinbäuer*innen zogen in höher gelegene Regionen in der Serranía del Abibe und in die Regenwaldgebiete des Chocó, rodeten dort erneut Wald und begannen Landwirtschaft zu betreiben. Dies führte teilweise zu Konflikten mit der bereits ansässigen schwarzen und indigenen Bevölkerung. Durch die Ausweitung des Bananenanbaus in den Jahren 1991 bis 1993 um fast 5000 Hektar wurden wiederum Kleinbäuer*innen vertrieben.

Doch Urabá hat durchs seine Nähe zur Karibik und zu Panama nicht von der legalen Exportindustrie gelebt, sondern stets auch vom Schmuggel, Drogen- und Waffenhandel. Kokain, Heroin und Maruhuana verlassen hier Kolumbien, Luxusartikel und billige Ramschware, elektrische Geräte und Waffen gelangen an den Behörden vorbei ins Land.

Urabá produziert Reichtum, doch die Bevölkerung spürt davon wenig: Die Infrastruktur ist, wenn überhaupt vorhanden, mangelhaft, das Schul- und Gesundheitswesen kaum existent.

Den Bananenproduzenten stand zu Beginn des Anbaus bis zu den achtziger Jahren ein Heer von Arbeitskräften zur Verfügung, die aufgrund ihrer Not zu extrem niedrigen Löhnen Arbeit annehmen mußten. Den Versuch der Arbeiter*innen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, erstickten die Unternehmer*innen mit Gewalt. Aufmüpfige Beschäftigte wurden auf schwarze Listen gesetzt und aus der Region verbannt. Ohne Vertrag und ohne Rechte, zu Hungerlöhnen beschäftigt und in Baracken auf den Plantagen zusammengepfercht, waren die ARbeiter*innen der Willkür der Unternehmer*innen ausgeliefert, sie fristeten ein Leben, das an Sklaverei erinnerte. Kein Wunder, daß sich in den 60er Jahren starke Guerillaverbände in der Region bildeten, die die trostlose Lage der Landbevölkerung mit Waffen verändern wollten und mit diesem Ansinnen bei den Bananenarbeiter*innen auf Sympathie stießen.

Auf politischer Ebene hatten die traditionellen Parteien – Liberale und Konservative – die Region fest im Griff. Sie profitierten vom Reichtum und der von ihnen eingerichteten Günstlingswirtschaft.

Mitte der achtziger Jahre wurde erstmals – aufgrund der Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung Betancur (1982- 1986) und den Guerillabewegungen die legale Gründung von Gewerkschaften in Urabá möglich. Innerhalb weniger Wochen schrieben sich Tausende von Arbeiter*innen in die Gewerkschaftslisten ein. Die BananenarbeiterInnengewerkschaft SINTRAINAGRO ist noch heute mit ihren rund 14 000 Mitgliedern eine der stärksten Organisationen. Die Antwort der politischen und wirtschaftlichen Elite blieb nicht aus: Politische Morde, Verschleppungen, Todesdrohungen und Massaker häuften sich, Aktivisten der Gewerkschaften wie auch einfache Bäuer*innen wurden Opfer der politischen Gewalt. Die Region erlebte eine bemerkenswerte Militarisierung, Unternehmer*innen und Politiker*innen riefen die Armee gegen die „Subversiven“ zur Hilfe. Mit Panzern und modernem Kriegsgerät gingen die Streitkräfte gegen die arme Landbevölkerung vor, die zum großen Teil weder über sauberes Wasser und Strom verfügt. Paramilitärische Banden und bezahlte Killer wüteten in Urabá,geschützt von der Armee, die massiv Präsenz zeigte. Dennoch fand die Gewerkschaft immer stärkeren Zulauf, 1989 setzten die Plantagenarbeiter*innen erstmals einen Rahmenvertrag für die gesamte Bananenindustrie durch.

Parallel zum Aufstieg der Gewerkschaften in Urabá wuchs auch der Einfluß der linken Oppositionspartei Uníon Patriotica (UP). Als 1988 erstmals die Bürgermeister*innen in direkten Wahlen bestimmt wurden, stellte die UP auf Anhieb mehrere Gemeindevorsteher. Die traditionellen Parteien waren schockiert – und nicht gewillt, ihre Pfründe kampflos abzugeben. Gemeinsam mit Unternehmer*innen und Großgrundbesitzer*innen planten sie die „Rückeroberung“ der Region, die später als „Plan de Retorno“ traurige Berühmtheit erlangte.

Der Friedensprozeß scheitert, die Gewalt eskaliert erneut

Im Rahmen von Friedensverhandlungen kam es 1991 zu einem Abkommen zwischen der Guerillaorganisation EPL und der kolumbianischen Regierung des Präsidenten Gaviria (1990-1994). Ein Teil der EPL lehnte das Friedensabkommen jedoch ab und beharrte auf dem bewaffneten Kampf. Die gemäßigtere Fraktion gründete auf Drängen der Regierung eine politische Bewegung mit der gleichen Abkürzung, die jetzt aber nicht mehr „Volksbefreiungsarmee hieß, sondern „Hoffnung, Frieden und Freiheit“ (Esperanza, Paz y Libertad). Großgrundbesitzer*innen und Bananenproduzent*innen begrüßten die Demobilisierung und boten den ehemaligen Kämpfer*innen an, die Seite zu wechseln und in ihren paramilitärischen Gruppen zu kämpfen. Die Führungskräfte der neuen EPL zogen ins Parlament ein und erhielten großzügige Hilfe zur Eingliederung ins Zivilleben. Die Basis dagegen ging leer aus. Einige traten tatsächlich den rechten paramilitärischen Gruppierungen bei, andere stießen wieder zur Guerilla, wiederum andere wurden in den staatlichen Sicherheitsdienst aufgenommen und ein Teil schlug sich mit Raub, Überfällen und Erpressungen durch.

Unmittelbar nach dem Abschluß des Friedensabkommens erlebte Urabá eine kurze Phase der Ruhe. Das änderte sich aber rasch. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens FARC und der noch aktive Teil der EPL erklärten den ehemaligen Kampfgenoss*innen den Krieg, zahlreiche Menschen wurden ermordet, es begann ein blutiger Kampf um die politische Kontrolle in der Region, die als Einflußzone der EPL-Fraktion galt, die die Waffen niedergelegt hatte.

Mit Unterstützung von Armee und Sicherheitsdiensten bildeten die eheamligen EPL-Kämpfer*innen sogenannte Volkskommandos, die zunächst zum Schutz der Führungskader gedacht waren, später aber zum offenen Kampf gegen die Guerilla überging. Opfer der Volkskommandos wurden auch etliche Aktivist*innen der Uníon Patriotica und der Kommunistischen Partei in der Region. Der Konflickt weitete sich zu einem blutigen Krieg aus, wobei die vermeintliche Basis des jeweiligen Gegners zur Zielscheibe der Attacken waren. Leidtragende der Eskalation waren Kleinbäuer*innen, Arbeiter*innen, Händler*innen, Gewerkschafter*innen.

Die Rückeroberung im Norden Urabás verfolgt klare wirtschaftliche und politische Ziele

Der Norden Urabás ist durch Großgrundbesitz und durch sie seit den 70er Jahren zunehmende Präsenz von Drogenhändler*innen geprägt. Aufgrund der Erfolge der oppositionellen UP entwarfen sie eineStrategie zur Rückeroberung und „Säuberung“ der Region. Bezahlte Killertruppen ermordeten gezielt die Führer*innen der Gewerkschaften und Bauernorganisationen, die in ihren Augen Helfer*innen der Guerilla und der linken Union Patriotica waren. Die paramilitärischen Gruppen überzogen das Land mit Terror, sie stellten die Bäuer*innen vor die Alternative, sich ihnen anzuschließen, ihr Land zu verlassen und zu flüchten oder ermordet zu werden.

„Das erklärte Ziel der „Selbstverteidigungsgruppen“, wie sich die Banden auch nennen, ist die Eliminierung der Guerilla in Urabá. Die Aktionen dieser Privatarmee richtet sich aber ausschließlich gegen die Zivilbevölkerung. Die Paramilitärs argumentieren, daß sich ihre Aktionen gegen Bäuer*innen richten, die die Guerilla unterstützten“, heißt es in einem Bericht, der gemeinsam von der Diözese Apartadó, dem präsidialen Menschenrechtsbüro, einem Netz von Friedensgruppen und der Departementsregierung von Antioquia veröffentlicht wurde. „Es ist offensichtlich“, so heißt es weiter in dem Bericht, „daß die Methoden dieser Organisation nicht auf Abwehr von Angriffen anderer bewaffneter Gruppen ausgericht sind. Der Begriff „Selbstverteidigungsgruppen“ ist daher völlig irreführend. Die Gruppen gehen systematisch und offensiv gegen die wehrlose Zivilbevölkerung vor. Zudem taucht auch die Frage auf, wie diese Organisation eine private Armee mit modernstem Kriegsgerät ausrästen kann und ihren Kämpfer*innen Löhne bezahlen kann, die das doppelte des Mindestlohnes betragen, mit Verpflegung und Gesundheitsversorgung. Die Bäuer*innen selbst können dies unmöglich finanzieren. Es ist klar, daß die sogenannten Selbstverteidigungsgruppen auf eine starke wirtschaftliche Unterstützung zählen können.“

„Die wirklichen Ziele der Paramilitärs gehen weit über die Eliminierung der Guerilla hinaus“, heißt es in dem Bericht. Die Region habe nicht nur eine Welle brutaler Gewalt erlebt, sondern auch gravierende politische und soziale Veränderungen, etwa eine Umverteilung des Landes durch Vertreibungen, Vernichtung von kleinagrarischer Produktion und eine Verschiebung der Macht in den Gemeinden zugunsten der traditionellen Eliten. „Dies läßt den Schluß zu, daß die paramlitärischen Gruppen ein Instrument der Großgrundbesitzer*innen und Drogenhändler*innen sind, die ihre Macht sichern und den Reichtum vergrößern. Der Anstieg der Bodenpreise um das fünzigfache erhärtet diese Vermutung.“

Die Paramilitärs haben in dieser Region feste Stützpunkte, Ausbildungsstätten und geheime Friedhöfe eingerichtet. „Die Bäuer*innen werden gezwungen, ihr Land zu verlassen oder zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Die Aktivitäten der Paramilitärs – Vertreibung der Bäuer*innen und Zurückdrängen der Guerilla – bereiten somit den Boden zur Stabilisierung des Großgrundbesitzes.“

Die Landkonzentration dient auch dazu, die territoriale Kontrolle wiederzuerlangen und strategisch wichtige Stationen für den Drogenhandel aufzubauen und der Guerilla die Rückzugsgebiete abzuschneiden. Der Golf von Urabá ist ein strategisch wichtiger Ort für den Drogenschmuggel nach Panama und für die Einfuhr moderner Waffen. Die Kontrollen der Küstenwache sind völlig unwirksam.

Der paramilitärische Vormarsch ist weit fortgeschritten. Praktischder gesamte Norden Urabás wird von den Paramilitärs kontrolliert. Über 20 000 Personen sahen sich allein 1994 und 1995 gezwungen, ihr Land zu verlassen und in die Städte zu flüchten.

Gibt es Auswege?

Eine Vielzahl von nationalen und internationalen Kommissionen hat Urabá besucht, Berichte geschrieben, Empfehlungen formuliert. Eine internationale Beobachterdelegation forderte gar den Einsatz von UNO-Truppen. Die Regierung verstärkt ständig die Präsenz der Armee und trägt ihrerseits zur Eskalation bei.

Doch es gibt einige bemerkenswerte Ansätze zur Überwindung der Gewalt. Die verschiedenen politischen Kräfte Apartados – Liberale, Konservative, UP, Gewerkschaften – haben sich bei den letzten Wahlen auf eine gemeinsame Kandidatin geeinigt und einen politischen Konsens gefunden, den sie bis heute aufrecht erhalten. In der Bevölkerung gibt es eine klare Stimmung gegen den unerklärten Krieg und gegen die Gewalt und es wächst das Bewußtsein, daß sie sich klar gegen die bewaffneten Gruppen beider Seiten äußern müssen. „Unsere ganze Anstrengung muß darafu gerichtet sein, den bewaffneten Gruppen etwas entgegen zu setzen. Wir müssen erst eine Form der friedlichen Konfliktlösung finden“, meint Alonso Tobón, Vertreter der Indigenen Organisation von Antioquia (OIA).

URUGUAY

Streit um Verfassungsreform

(Montevideo, 23. September 1996, COMCOSUR – POONAL).- Während die regierenden Parteien (Partido Colorado und Partido Nacional) und das Mitte-Links-Oppositionbündnis Frente Amplio das Projekt einer Verfassungsreform vorantreiben, haben Dissident*innen innerhalb der Nationalpartei diesen erneut blockiert. Es gibt viele innerhalb der traditionellen Sektoren, die sich grundlegend gegen etwas so logisches stellen, wie es die Regelung wäre, daß jede Partei nur einen Präsidentschaftskandidaten stellen darf, und nicht drei oder vier, wie es bisher der Fall war. Auch Gesetze, die die Rotation innerhalb der Regierung der beiden traditionellen Parteien, beunruhigen viele. Eindeutig ist, daß nach den letzten Wahlen, bei denen die Linke durch die Frente Amplio mit einem Drittel der Stimmen „vielzu“ nah an die Möglichkeit des Regierens herankam, Überlegungen in die Reform einfließen, die 1999 ein gemeinsames Handeln der „ideologischen Fanilie“ der Rechten erlauben sollen, um die Wiederholung eines solchen Risikos zu verhindern.

ARGENTINIEN

Steigende Jugendgewalt

Von Dafne Sabanes Plou (Buenos Aires, 18. September 1996, alai-POONAL).- Die starke Zunahme der Jugendkriminalität gibt den Argentiniern Grund zur Sorge und nimmt in den Kriminalstatistiken einen immer bedeutenderen Platz ein. 1995 wurden 22% der Straftaten gegen Personen und Eigentum von Jugendlichen unter 21 Jahren begangenund 44% der Wiederholungstäter waren noch keine 18. Viele Delikte wurden begleitet von Gewalt gegen die Opfer, in vielen Fällen mit Todesfolge.Beinahe die Hälfte (48%) der landesweit registrierten Diebstähle sind auf Jugendliche unter 21 Jahre zurückzuführen. Ähnliches gilt auch für Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz, wo 46% der gleichen Bevölkerungsgruppe belangt worden sind.

Der Anteil der Frauen bzw. Mädchen in der Judendkriminalitätstatistik beträgt 11%.Die Bereitschaft zur Gewalt und das Opfer zu verletzen ist sehr groß. In 29% der Fälle mit tödlichem Ausgang und in 14% der Fälle mit Verletzungsabsicht waren Jugendliche beteiligt. „Ein Kind mit einer Waffe in der Hand bringt sicheren Tod: entweder er tötet oder er wird getötet“ sagt Atilio Alvarez, Direktor des nationalen Jugend- und Familienrates, in einem Interview. Wegen der hohen Rückfallrate der Jugend, so Alvarez, „werden Jugendliche, die aus einem Jugenderziehungsheim fliehen, polizeilich gesucht und wissen, daß sie bestraft werden“.

In der Regel bilden die minderjährigen Rechtsbrecher Banden mit etwa gleichaltrigen Gefährten, auch wenn die Fälle, in denen sie von erwachsenen Straftätern benutzt werden, aufgrund der geringen Bestrafung duch das Gesetz nicht selten sind. Laut der argentinischen Strafgesetzgebung können Jugendliche unter 15 Jahre nicht für schwere Verbrechen belangt werden. In diesem Fall werden sie entweder einem Jugendheim unterstellt oder die Eltern müssen die Aufsicht ihres Kindes übernehmen. Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahre fallen unter das Jugendstrafgesetz und erfüllen ihre Strafe in einer Jugendstrafanstalt (instituto correcional). Personen über 18 Jahre werden nach der Erwachsenenstrafgesetzgebung belangt.

Einige Minderjährige haben sich in wahre Stadtteilgauner verwandelt, wie in dem Fall des „El Turco“, der vor einigen Tagen bei einem versuchten Überfall in einer Apotheke dessen Betreiber ermordete. Der 16-jährige Junge hatte einen beträchtlichen Einfluß innerhalb der Jugendbanden seines Viertels und war von der Bevölkerung gefürcht. Seine Straftaten begang er in Begleitung von gleichaltrigen und jüngeren Gefährten. Die medizinischen Untersuchungen ergaben, daß er schon vor langer Zeit sein Elternhaus verlassen hatte und Alkohol- und Drogenabhängig war.

Die traurige Lage, in der sich viele Jugendliche wie „El Turco“ befinden, wird zusätzlich noch verschärft durch die gegenwärtige ökonomische und soziale Krise, die Argentinien durchläuft und die einen großen Teil der Gesellschaft erfaßt. Argentinien, mit einer zerfallenden Mittelklasse und einer verarmten Unterklasse, muß mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 41,5% kämpfen. Eine durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, daß ein hoher Anteil der strafbar gewordenen Jugendlichen bereits in der Familie mit Gewalt konfrontiert wurde bzw. in der einen oder anderen Art und Weise in der Kindheit mißbraucht worden ist. Diese Form der Gewalt breitet sich nun auch in erschreckendem Maße bis zur Mittelklasse aus und macht sich besonders in den Schulen bemerkbar, wo immer mehr Lehrer von Schülern bedroht und geschlagen werden. Die Zivilgesellschaft fordert schärfere Sanktionsmaßnahmen gegen dieStraftäter. Viele verschanzen sich hinter Gittern und Befestigungsanlagen oder wohnen in stark bewachten Gebäuden oder Anlagen. Einige Geschäfte leisten sich einen eigenen Schutzdienst uns selbst die lokale Polizei fühlt sich überfordert. Gemäß den Konditionen der internationalen Finanzorganisationen befindet sichdas Land in einer Phase der strukturellen Anpassung und hinterläßt von Tag zu Tag mehr Arbeitslose. Die Tausende von Jugendlichen, die keine angemessene Schulausbildung genossen haben, sind nicht in der Lage, die ihnen gestellten Anforderungen zu erfüllen.

BRASILIEN

Der Kampf um Land geht weiter

(Montevideo, 23. September 1996, COMCOSUR – POONAL).- Die Bewegung der Landlosen Bauern und Bäuerinnen kümdigte an, daß sie möglicherweise die Besetzungen von Latifundien in der Zone Pontal de Paranapenema im Staat Sao Paolo wieder aufnehmen werde. „Das Stillhalten ist vorbei, wir werden wieder kämpfen,“ erklärte der Sprecher der Bewegung, José Rainha, wobei er auf den Abbruch der Verhandlungen mit der Regierung und Provokationen der Großgrundbesitzer, die immer häufiger Pistoleros für ihr Anliegen verpflichten, bezug nahm. Diese würden sogar auf Lager von Bauern, die sie am Rand von Landstraßen errichten, schießen.

Erneute Kandidatur von Präsident Cardoso?

(Montevideo, 23. September 1996, COMCOSUR – POONAL).- Zum ersten Mal deutete Brasiliens Präsident Fernando Enrique Cardoso an, er würde möglicherweise eine erneute Kandidatur 1998 akzeptieren. Auch wenn die Verfassung eine zweite Kandidatur nicht vorsieht, wird bereits über eine Änderung dieses Passus' verhandelt.

BOLIVIEN

Regierung und Indígenas erzielen Teilergebnisse bei Verhandlungen

(Montevideo, 23. September 1996, COMCOSUR – POONAL).- Nach fünf Verhandlungstagen ging Boliviens Regierung unter Präsident Gonzalo Sánches de Lozada auf die Forderungen des „Zentrums der Indígena- Völker des Ostens“ (CIDOB) ein, deren Sprecher daraufhin in ihre Dörfer zurückkehrten, um ihre Basis über die Vereinbarungen in Kenntnis zu setzen. Einige Ethnien aus dem bolivianischen Amazonasgebiet und dem Chaco, die in dem CIDOB organisiert sind, haben von der Regierung die Rechte auf das von ihnen bewohnte Land zugesagt bekommen.

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