Poonal Nr. 248

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 248 vom 3. Juli 1996

Inhalt


LATEINAMERIKA

GUATEMALA

MEXIKO

KUBA

BRASILIEN

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

ECUADOR

ARGENTINIEN


LATEINAMERIKA

Repressive Drogenpolitik gescheitert

Von Eduardo Tamayo

(Quito, 19. Juni 1996, alai-POONAL).- In Ecuador werden einige Nonnen von der Polizei dabei erwischt, wie sie Drogen in ihren Ordenskleidern schmuggeln. In Peru werden drei Oberste, ein Kommandant und vier Unteroffiziere der Luftwaffe wegen des Falls einer DC-8 Maschine untersucht, die sie über den Zwischenstopp in Miami mit 169 Kilogramm Kokain an Bord nach Russland und Frankreich leiten wollten. Fast täglich berichten die Zeitungen in dieser Art von Nachrichten über das Abfangen von Drogensendungen und die Verhaftung vermutlicher Drogenhändler*innen, bei denen es sich größtenteils um kleine Fische handelt, die mit einem Schlag hofften, der Armut zu entkommen. Die Anti-Drogenpolizei greift zu neuen Techniken und verdoppelt die Kontroll- und Unterdrückungsmechanismen gegen das gigantische Drogengeschäft. Die Gefängnisse sind voll von den schmuggelnden „Maultieren“ und „Briefträger*innen“. Auf Druck der USA schalten sich jedes Mal mehr die Streitkräfte in die Aufgabe ein. Die Abgeordneten verschärfen die Gesetzgebung. Auf den Tagesordnungen der PräsidentInnengipfel und den Treffen der Aussenminister*innen, der Militärs und der Polizei ist das Thema Pflicht.

In Kolumbien hat es harte Schläge gegen die Kartelle von Medellín und Cali gegeben, die die Hauptversorger mit Drogen in den USA waren und Verbindungen in verschiedene Länder der Welt hatten. Aber alle diese Anstrengungen, Aktionen und Maßnahmen erweisen sich als unzureichend. Das Geschäft mit den Betäubungsmitteln lebt. Anstatt sich zu vermindern, wächst es, entwickelt sich. Einige Händler*innen fallen, aber sofort werden sie durch andere ersetzt. Die alten Routen werden durch andere, neue substituiert. Die Techniken, die Droge zu tarnen und zu verschicken, sind immer vielfältiger und ausgefeilter. Vielleicht deswegen hat Thomas Constantine, Chef der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA die Händler*innen „widerstandsfähig, anpassungsbereit und innovativ“ genannt. Die Macht der Drogenzaren ist unerwartet groß, vor allem in Gesellschaften, in denen das Geld angebetet wird und wo Korruption sowie der Wunsch nach schneller Bereicherung an der Tagesordnung sind. Das „heiße“ Geld wird in Wahlkampagnen investiert, verursacht große politische Konflikte wie in Kolumbien, erlaubt, Richter*innen, Abgeordnete und Anwält*innen zu bestechen und zirkuliert im Bank- und Finanzsystem und dies trotz der gesetzlichen Regulierungen und der Kontrollsysteme.

Der Heroin- und Kokainhandel ist in den 80er Jahren schnell angestiegen, Anfang der 90er Jahre stabilisierte er sich, 1993 und 1994 wuchs er nach einem Bericht für die 38. Sitzungsperiode der Betäubungsmittelkommission der Vereinten Nationen wieder an. Derselbe Bericht geht für die 80er Jahre davon aus, daß nur ein Drittel des produzierten Kokains abgefangen werden konnte, der Konsum aber nicht einmal um diesen Anteil eingeschränkt wurde. Genauso wird festgestellt, daß die Ersatzprogramme für den Anbau, die durch US-Organisationen wie AID unterstützt werden, kaum ein Echo fanden. Alle diese Faktoren haben einige Beobachter*innen zu der Ansicht gebracht, daß der „Krieg gegen die Drogen“ verloren wird. Sie fragen sich sogar, ob er überhaupt gewonnen werden könnte.

Der rechtlich-repressive Ansatz

Washington mußte auf lateinamerikanischen Druck akzeptieren, daß es „genauso wichtig ist, gegen die Kokafelder anzugehen wie die Drogennachfrage in den Vereinigten Staaten zu reduzieren“. Dies erklärte zumindest im Mai der General im Ruhestand, Barry McCaffrey, der für die Drogenbekämpfung der USA verantwortlich ist. Diese Erklärung war darauf ausgerichtet, die laue Kritik von Regierungen wie der Brasiliens zu besänftigen, die auf wirtschaftliche und soziale Schwerpunkte sowie Maßnahmen des nachhaltigen Umweltschutzes bei der Drogenbekämpfung wert legen. Die Nationale Strategie für Drogenkontrolle, die die USA im Mai 1996 in Miami bekanntgaben, besteht dagegen auf rechtlichen- repressiven Konzept für Lateinamerika und die Karibik. Allerdings wird den Aktionen auf dem eigenen Territorium Vorrang gegeben. Beim Kampf gegen das organisierte Verbrechen im Rest der Welt wird den internationalen Organisationen die Verantwortung zugestanden.

Diese Position hatte DEA-Direktor Thomas Constantine bereits im April bei der XIV. Internationalen Konferenz zur Drogenkontrolle, die in Mexiko stattfand, vorweggenommen. Dort drückte er sich erfreut über die Erfolge der kolumbianischen Polizei bei der Verhaftung der sechs Köpfe des Cali-Kartells aus. Gleichzeitig forderte er aber den Kopf vier weiterer Drogenzare: Hélmer Herrera, der die Brüder Rodríguez Orejuela in Cali ersetzte, sowie Amando Carillo, Benjamín Arellano Félix und Miguel Caro Quintero, die allesamt in nördlichen Bundesstaaten Mexikos operieren. Die jährliche Konferenz, an der 84 Delegiert*innen der 34 Regierungen Lateinamerikas und der Karibik endete mit den Versprechen von immer: die Aktionen sollen koordiniert, Untersuchungen gemeinsam geführt werden. Die Verurteilungen des Drogenhandels fehlten ebensowenig wie die Absichtserklärungen, die Gesetzgebungen zu modernisieren. Wie immer gaben die USA die Richtlinien vor. „Das ist nichts besonderes, denn sie sind es, die das Geld geben“, so ein Delegierter aus einem der Andenländer.

GUATEMALA

Die Zukunft der Streitkräfte

(Guatemala-Stadt, Juni 1996, cerigua-POONAL).- Für die Verhandlungen über die „Stärkung der Zivilgewalt und die Rolle der Streitkräfte in einer demokratischen Gesellschaft“, die am 21. Juni anfingen, haben Guerilla und Regierung die Karten noch nicht öffentlich auf den Tisch gelegt. Dennoch gibt es einige Hinweise, auf welche Punkte sich die Diskussion konzentriert. Gaspar Ilom, Kommandant der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG), äußerte Mitte Juni, für die Guerilla sei ihr Dokument „Ein gerechter und demokratischer Frieden“ aus dem Jahr 1992 die Verhandlungsgrundlage. Darin empfiehlt die URNG: eine Neudefinition der verfassungsmässigen Pflichten der Armee; die Debatte über die Truppenstärke und Budgetzuweisung; eine interne Demokratisierung der Streikräfte; eine Neudefinition der Pflichten und Zuständigkeiten des militärischen Geheimdienstes; eine zivile Kontrolle über die innere Sicherheit und über Militärdependancen wie z.B. Munitionsfabriken, paramilitärische Institutionen und Finanzorganisationen (wie in vielen Lateinamerikanischen Ländern hat in Guatemala die Armee eine eigene Bank; die Red.); Abschaffung der mobilen Militärpolizei. Für die Zivilgewalt möchte die Guerilla eine Stärkung von Rechtsprechung und Parlament, mehr Macht für die Gemeinderegierungen und eine Gesetzgebung, die die Beteiligung gesellschaftlicher Organisationen an Entscheidungen über nationale Fragen erlaubt.

Die Vorschläge der Versammlung der Zivilen Gesellschaftsgruppen (ASC) für die Gespräche sind konkreter. Die Mitglieder fordern: einen Zivilisten an der Spitze des Verteidigungsministeriums; einen Nationalen Sicherheitsrat, der Vertreter*innen des Zivilsektors einschließt; die Einschränkung der Armeebefugnisse auf die Verteidigung der Landessouveränität; eine Reduzierung von Truppenstärke und Armeebudget um die Hälfte; eine von der ASC dominierte Kommission, die die Säuberung der Streitkräfte überwacht; die Auflösung des militärischen Geheimdienstes, der präsidentiellen Militärgarde (EMP) und der paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC); die Bildung einer neuen zivilen Nationalpolizei und ein Ende der Armeeausrichtung auf die Aufstandsbekämpfung.

Das Verteidigungsministerium hat ebenfalls eine Wunschliste in Umlauf gebracht. In ihrem Bericht „Die guatemaltekische Armee der Zukunft“ beschreibt es seine Version einer modernen und professionellen Streitkraft. Es setzt sich für eine Reduktion der aktiven Truppe von derzeit etwa 45.000 Mann auf 30.000 bis 36.000 Soldaten ein, die durch eine Reserve von 20.000 bis 24.000 Mann verstärkt werden soll. Dieses „Herunterrechnen“ bedeutet aber nicht notwendigerweise eine Budgetverringerung, denn, so ist im Dokument zu lesen, „eine kleinere Armee sollte in technologische Mittel investieren“. Zusätzlich zu den regulären Militärs sollen die „Kaibiles“, die Elitetruppe für die Aufstandsbekämpfung beibehalten werden. Außerdem würde nach diesen Vorstellungen ein diplomatisches Militärcorps geschaffen. Das Ministerium empfiehlt zudem die Föderung einer regionalen (sprich mittelamerikanischen; die Red.) Militärkraft.

Die Verfassungspflichten der Streitkräfte änderten sich nach dem Plan des Verteidigungsministeriums kaum. Die Beteiligung an Aufgaben der inneren Sicherheit würde fortbestehen, „falls und wenn die Kapazität der öffentlichen Sicherheitskräfte erschöpft ist“. Weitere Aufgaben des Militärs: die Unterstützung der Aktionen zur Drogenbekämpfung und der Umweltschutz. Vorgeschlagen werden ebenfalls nachdrücklich eine technische, berufsmässige und höhere (Aus-)Bildung für das Offiziercorps sowie Kurse über die internationale Menschenrechtsgesetzgebung. Den Streitkräften käme die Aufgabe der „Selbstreinigung“ zu. Gustavo Porras Castejón, der Leiter der Regierungsdelegation bei den Friedensverhandlungen, hat darauf hingewiesen, das Dokument des Verteidigungsministeriums müsse nicht unbedingt die offizielle Haltung der Regierung wiedergeben. Er nannte jedoch vor den Verhandlungen nicht die Punkte, die die Regierung diskutieren will.

Anstoß für Flüchtlingsrückkehr

(Guatemala-Stadt, Juni 1996, cerigua-POONAL).- Die Regierung autorisierte zwei weitere Flüchtlingsorganisationen, Gelder für die Flüchtlingsrückkehr zu erhalten. Damit haben die Vereinigung der verstreut lebenden guatemaltekischen Flüchtlinge (ARDIGUA) und die kürzlich gegründete Koalition der Rückkehr- und Wiederansiedlungsgruppen (CBRR) Zugang zum Nationalen Friedensfonds (FONAPAZ) der Regierung. Ein Abkommen aus dem Jahr 1992 zwischen Regierung und Flüchtlingsvertreter*innen erleichterte die Rückkehr nur für die Mitglieder der damals einzigen Organisation, den Ständigen Kommissionen (CCPP) der guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko. Mit der Änderung wird auch der Zeitraum verlängert, in dem die Flüchtlinge die Gelder nutzen können. Zudem wird das Eigentumsrecht nun ausdrücklich für beide Geschlechter anerkannt. Es wird erwartet, daß die Vereinbarung ein Anreiz für die noch in Mexiko lebenden guatemaltekischen Flüchtlinge ist, in ihr Heimatland zurückzukehren. Dennoch gibt es für die Rückkehrwilligen genug Probleme. So erwähnt Alfonso Bauer Paiz, der Sprecher der technischen Kommission, die die Flüchtlingsabkommen umsetzen soll, eine Million Menschen, denen legale Papiere fehlen. Als weitere Probleme nennt er die Minen in den Rückkehrgebieten, nicht genug zur Verfügung stehendes Land und eine mangelnde Abstimmung zwischen den Regierungsinstitutionen, die den Flüchtlingen helfen sollen.

MEXIKO

Interview mit EZLN-Berater Luis Hernández Navarro, Teil I

(Mexiko-Stadt, 21. Juni 1996, alai-POONAL).- Die Freilassung von Javier Elorriaga und Sebastian Entzín brachte wieder Bewegung in die Gespräche zwischen der mexikanischen Regierung und der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN). Über den Verhandlungsprozeß sprach Osvaldo León mit dem EZLN-Berater Luis Hernández Navarro.

Frage: Seit Beginn der Gespräche konnte man feststellen, daß die Regierung jedesmal, wenn es Fortschritte gibt, zu Zwangsmaßnahmen greift, um dem Gegner vor der nächsten Runde Punktverluste zuzufügen. Entsprach die Haftstrafe gegen Elorriaga und Entzin dieser Logik?

Antwort: Es ist viel mehr als das. Mit dem Urteil kamen eine Reihe von Widersprüchen und fehlerhafter Strategien zusammen, die die Krise ausmachten. Es ist so, daß eine Staatsgewalt, in diesem Fall die Rechtsprechung, eine Strafe aussprechen kann, die den gesamten Prozeß destabilisiert. Das führt uns zu einer grundsätzlichen Tatsache: die Hauptakteure der Verhandlung können nicht die Bundesregierung und die Zapatist*innen sein, sondern es müssen die drei Staatsgewalten und die Zapatisten sein. Auf eine Weise können die vereinbarten Abkommen wirklich welche sein, die eine Chance haben, umgesetzt zu werden. Sonst passiert das jetzt Geschehene, daß eine Vereinbarung nachher sabotiert wird.

Frage: Nachdem die Krise mit dem Widerruf des Urteils überwunden ist – was kann von den Verhandlungen erwartet werden?

Antwort: Mit diesem gelösten Problem verschwindet nicht das Paket von Widersprüchen und Unzulänglichkeiten, nur der kritische Punkt, der existierte. Aber es bleibt notwendig, den Gesprächsweg neu zu planen. Jedesmal nach Fortschritten gab es Gewaltakte. Vertreibungen von Campesinos, Tote. Diese Art von Aktionen genau in dem Moment, in dem die Gespräche geführt werden. Was sagt uns das? Wir müssen einen zum Verhandlungtisch parallel verlaufenden Mechanismus finden, um diese Konflikte zu lösen, die das Gespräch selbst verderben. Ein paralleler Tisch, um die konjunkturellen Probleme in Chiapas zu behandeln. Zudem gibt es eine Haltung der Bundesregierung, die Vorschläge des Zapatismus zu beschneiden, die Punkte, die wir mit ihnen besprechen, auf einseitige Aktionen zu verkürzen. Ein Beispiel: wenn im Dialog ein Agrartisch vereinbart wird, so verkündet der Präsident der Republik gleichzeitig dazu das Ende der Landverteilung in Chiapas. Diese und viele andere Faktoren, die die Entwicklung zurückwerfen, müssen überdacht werden. Das heißt, wir betreten eine Phase, in der die Regeln neu definiert und die bisher benutzte Form angepasst werden müssen.

Frage: Wird dabei auch die Reichweite des Dialogs eine Rolle spielen? Die Regierung versucht systematisch, ihm nur eine regionale Bedeutung zu geben, während die Zapatist*innen ihn landesweit ausgerichtet sehen.

Antwort: Von der ersten Dialogvereinbarung bis zu dem Moment, in dem über substantive Fragen gesprochen wurde, gab es sieben Treffen. Hinter den Problemen der Vorgehensweise steckt die von Dir aufgezeigte Angelegenheit. Die Bundesregierung weigerte sich bis zum letzten Moment, bis sie endlich akzeptieren mußte, nationale Themen zu behandeln. Am Ende wurde vereinbart, bei den nationalen Themen eine Reihe von Übereinkommen zu bestimmen, die dem Kongreß der Union (Abgeordnetenhaus und Senat; die Red.) zur Abstimmung vorgelegt werden. Es handelt sich damit um eine Verhandlung, bei der eine Absichtserklärung zu den landesweiten Themen abgegeben wird. Dies war so beim Verhandlungstisch 1, der sich auf Indígenarechte und -Kultur bezieht. Trotz der Regierungsabsicht, das Ambiente auf die örtliche Ebene zu verkürzen, war schließlich die landesweit ausgerichtete Verhandlung zentraler Punkt. Beim Verhandlungstisch 2, dem Thema Demokratie und Gerechtigkeit, ist die Regierungseinstellung anders. Sie versucht, keine wesentlichen Themen zu berühren, eine Leere zu schaffen und die Sache auf einige spezielle Punkte des Bundesstaates Chiapas zu beschränken.

Frage: Wie steht diese Diskussion mit der Verhandlung in Verbindung, die die Regierung mit den politischen Kräften über die demokratische Reform führt? Sind es zwei getrennte Dinge und haben sie miteinander zu tun?

Antwort: Das ist sehr wichtig. Seit mehr als einem Jahr unterschrieben die vier im Parlament vertretenen Parteien ein Abkommen, eine Reform auszuarbeiten. Das Abkommen war vielen Schwankungen unterworfen. Sie haben sich an den Verhandlungstisch gesetzt und sich wieder davon zurückgezogen. Schließlich vereinbarten die Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI), die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und die Partei der Arbeit (PT), ein Reformbündel vor allem auf Wahlebene auf den Weg zu bringen, nicht auf dem umfassenderen Feld der Staatsreform. Die Partei der Nationalen Aktion (PAN) schloß sich an, nachdem der Nachwahlkonflikt in Huejotzingo (Bundesstaat Puebla; dort setzte die PAN nach langen Protesten ihren Bürgermeisterkandidaten gegen den der PRI durch; die Red.) gelöst war. Was diese Verhandlung charakterisiert, sind geheim geschlossene Vereinbarungen, sogar geheim gegenüber den Mitgliedern der Parteien. Wer verhandelt, sind die Leitungen der Landesparteien.

Dies kontrastiert mit der Verhandlungsentwicklung in Chiapas. Die Zapatist*innen haben als Berater*innen und Gäste eine Reihe von unterschiedlichen Kräften eingeladen, die Beiträge zum Thema liefern konnten. Mit der Idee, daraus könne auch ein Dialogspielraum innerhalb der Zivilgesellschaft werden und die Abkommen, zu denen sie kämen, wären zwischen diesen Gruppen der Zivilgesellschaft vereinbarte Abkommen. Das heißt, Heimlichkeit gegen Öffnung, Ausschließlichkeit gegen Konsensbildung. Aber gut, was ist darüber hinaus die Beziehung zwischen beiden Verhandlungstischen? Die Schlußfolgerungen vom Tisch 1 werden am Ende von den Parteien diskutiert, um sie im Kongreß zu verabschieden. Sie werden sich in Gesetze verwandeln. Für diese Debatte sind die verantwortlich, die die Akteure bei der Staatsreform sind. Es geht um diese registrierten politischen Parteien oder um das Bündel von sozialen Kräften oder entstehenden politisch-sozialen Kräften, die im Rahmen der Verhandlungen von San Andrés zu Wort kommen und die einige sehr weitgehendere Reformen wünschen als die, die die Parteien festlegen können.

„Groteske Pantomime“ oder neue Guerilla

(Mexiko-Stadt, 2. Juli 1996, POONAL).- In Mexiko gibt seit dem 28. Juni die Revolutionäre Volksarmee (EPR) Rätsel auf. Unter diesem Namen tauchte im Bundesstaat Guerrero eine Gruppe maskierter und bewaffneter Männer und Frauen während einer Protestveranstaltung auf, bei der mehrere tausend Menschen in der Nähe des Ortes Aguas Blancas des ersten Jahrestages des Massakers von Polizeieinheiten an Campesinos gedachten. Damals wurden 17 Menschen von der Polizei in einem Hinterhalt ermordet und 24 weitere zum Teil schwer verletzt. Auf der Gedenkfeier hatte der Oppositionsführer Cuauhtémoc Cárdenas von der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gerade seine Rede beendet, als die etwa 60 bis 100 mit Maschinengewehren ausgerüsteten Mitglieder der EPR von den umliegenden Berghängen in drei Reihen auf das Podium zustürmten. Ihr Erscheinen löste fast eine Panik aus, da viele der anwesenden Menschen zunächst an eine Aktion der mexikanischen Bundesarmee glaubten. Auf dem Podium angekommen, legten die Guerilleros zum Gedenken an die Toten des Massakers eine Opfergabe aus Feldpflanzen nieder. Im Anschluß verlas ein „Capitán Emiliano“ ein Manifest, in dem unter anderem der Sturz der „antidemokratischen Regierung“ und die „Wiederherstellung der Volkssouveränität“ als Ziele genannt werden. Nachdem sich der erste Schrecken unter den Kundgebungsteilnehmer*innen gelegt hatte, wurde der Vortrag des Manifestes immer wieder von starkem Applaus begleitet. Nach knapp 20 Minuten endete die Aktion mit dem Rückzug der EPR- Aktivist*innen. Wenige Stunden später kam es offensichtlich zu einem ersten militärischen Zusammenstoß der Revolutionären Volksarmee mit Polizeitruppen in der Nähe von Chilpancingo, der Hauptstadt des Bundesstaates Guerrero. Dort verteilte die EPR an einer Strassensperre Flugblätter mit dem Text des Manifestes. Seitdem gibt es keine Neuigkeiten von der Gruppierung. Andere Organisationen haben bisher jegliche Verbindung zur EPR verneint. So versicherte Zapatistensprecher Subcomandante Marcos, die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) habe von Revolutionären Volksarmee nichts gewusst. Marcos vermied ein Werturteil über die EPR, sagte aber, sie müsse ihre Legitimität beweisen und gewinnen, indem sie ihre Haltung vor der mexikanischen Bevölkerung und gegenüber dem Friedensprozeß in Chiapas deutlich mache. Auch das Breite Bündnis für die Bildung einer Bewegung der Nationalen Befreiung (FAC-MLN) und die Bauernorganisation der Sierra des Südens (OCSS) stritten jegliche Kontakte mit der EPR ab. Die beiden Gruppen waren die Hauptorganisatoren der Veranstaltung bei Aguas Blancas. In der Vergangenheit waren sie von der Bundesstaatsregierung mehrfach beschuldigt worden, für den bewaffneten Kampf zu plädieren.

Die Einschätzungen bezüglich der Revolutionären Volksarmee sind sehr unterschiedlich. Eine Vermutung geht dahin, daß es sich nicht wirklich um eine Guerillabewegung handelt, sondern um eine Destabilisierungsaktion politisch interessierter Gruppen. Gerade in diesen Tagen sind in Chiapas die Wege für den Wiederbeginn der Gespräche zwischen der mexikanischen Regierung und den Aufständischen der Zapatischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) geebnet worden. In San Cristóbal de las Casas findet seit Sonntag ein von der EZLN organisiertes Forum über eine Staatsreform statt. Dort ist fast die gesamte zapatische Führung einschließlich des Subcomandante Marcos anwesend. Ein Auftauchen einer neuen Guerilla genau zu diesem Moment ist für die Friedensbemühungen in Chiapas nicht unbedingt hilfreich. Ebenfalls scheint es mehreren Kommentator*innen denkbar, daß mit der Präsenz der EPR auf der Gedenkveranstaltung die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) diskreditiert werden sollte. Deren Parteiführung sieht dies ähnlich. In einem Kommuniqué spricht sie von „Personen, als Guerilleros verkleidet“ und einer „grotesken Pantomime“. Auch die Verwicklung von Drogenhändlern, die in Guererro seit langem eine Parallelmacht bilden, wird für möglich gehalten.

Andererseits sind in den vergangenen Monaten regelmässig Berichte über angebliche Guerillabewegungen in dem Bundesstaat erschienen. Die Armut, die soziale und politische Unterdrückung sowie die Schutzlosigkeit großer Bevölkerungsteile gegenüber den staatlichen Institutionen, vor allen Dingen der Polizei und dem Militär, sind Argumente, die das Entstehen der Guerilla durchaus für sich alleine erklären könnten. An den Mißtänden hat sich nichts Grundlegendes geändert, seit Mitte März Gouverneur Rubén Figueroa wegen des Massakers nach neunmonatiger Weigerung doch noch zurücktreten musste. Entsprechend ihrer Logik betrachten Teile der Regierung von Guerrero die EPR denn bisher auch als einfache „Verbrecherbande“. Die Unternehmerspitzen Mexikos haben sich inzwischen in gleicher Weise geäussert.

Auffällig ist, daß in dem Manifest der EPR an keiner Stelle auf die Zapatisten und deren Aufstand in Chiapas Bezug genommen wird. Dagegen werden die Guerillaführer Lucio Cabañas und Genaro Vázquez, die Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in Guerrero operierten, in der Erklärung erwähnt. Beide geniessen heute noch unter der einfachen Landbevölkerung ein hohes Ansehen, obwohl ihre Bewegung vom Militär vor 20 Jahren so gut wie vollständig aufgerieben wurde. Derzeit durchkämmen Militär und Polizeieinheiten erneut die Berge in der Umgebung von Aguas Blancas nach der Guerilla. Ob sie dabei einem Gespenst nachjagen oder einer tatsächlich existierenden neuen Aufstandsbewegung, ist noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Die Auswirkungen des Auftritts der Revolutionären Volksarmee sind bisher ebensowenig abzusehen. Viele befürchten nun aber eine Repressionswelle gegen die Zivilbevölkerung in Guerrero.

KUBA

Insel sieht sich durch Entscheidung im Flugzeugfall bestätigt

(Montreal, 28. Juni 1996, prensa latina-POONAL).- Die von der Internationalen Organaistion für Zivile Luftfahrt eingenommene Haltung gegenüber dem Abschuß von zwei nordamerikanischen Flugzeugen über kubanischem Hoheitsgebiet stellt die Pläne der US- Regierung in Frage, Kuba in der UNO verurteilen zu lassen. Die USA vertrauten darauf, daß die Luftfahrtorganisation die von ihrer Delegation vorgelegte Resolution übernehmen würde, in der der Insel die Verantwortung für den Vorfall vom 24. Februar zugewiesen wird, als zwei aus Florida kommende Flugzeuge abgeschossen wurden, nachdem sie kubanischen Luftraum verletzten. Die Strategie, wenige Tage vorher von stellvertretenden US-Aussenminister Peter Tarnhoff verkündet, bestand darin, die Entscheidung der Organisation dafür zu nutzen, daß der UNO-Sicherheitsrat Strafen gegen Kuba aussprechen sollte.

Nach endlosen Sitzungen verwarf der Rat der Internationalen Organisation für Zivile Luftfahrt aber nicht nur den Vorschlag der USA, sondern bekräftigte die Verpflichtung der Vereinigten Staaten, den rechtswidrigen Gebrauch auf ihrem Territorium registrierter Flugzeuge zu verhindern. Die verabschiedete Erklärung erinnert auch daran, daß jeder Staat komplette und ausschließliche Souveränität über den Luftraum über seinem Territorium geniesst. Der Rat beschränkte sich in einer neutralen Haltung darauf, den Bericht der Untersuchungskommission über die Vorfälle vom 24. Februar nur zur Kenntnis zu nehmen. Dieses Dokument wurde von mehr als einem Drittel der Mitgliedsländer der Luftfahrtorganisation scharf kritisiert. Der kubanische Parlamentspräsident Ricardo Alarcón nannte den Bericht das Ergebnis „einer Heirat der USA mit der Untersuchungskommission“. Die verabschiedete Resolution bekräftigt auch ihre Ablehnung des Waffengebrauchs gegen zivile Flugzeuge, gibt den Maschinen, die von der Organisation „Hermanos al rescate“ benutzt und von der kubanischen Luftwaffe abgeschossen wurden, jedoch an keiner Stelle diese Charakterisierung.

BRASILIEN

Kirche will sich von Land trennen

(Mexiko-Stadt, 26. Juni 1996, POONAL).- Die katholische Kirche Brasiliens hat angekündigt, ihren Landbesitz aufzulisten, um brachliegende Grundstücke und Land ohne soziale Funktion für die Agrarreform der Regierung zur Verfügung zu stellen. Der Präsident der Landeskonferenz der Bischöfe Brasiliens (CNBB), Kardenal Lucas Moreira Neves, erklärte: „Es macht keinen Sinn, daß die Kirche sich für die Agrarreform ausspricht und kein Beispiel gibt.“ Die 250 Diözesen und etwa 900 Ordensvereinigungen Brasilien verfügen zusammen über einen Landbesitz von schätzungsweise 330.000 Hektar. Die Bischöfe haben jedoch erklärt, daß dieser überwiegend aus kleinen Fincas besteht, auf denen für die Teilnehmer*innen der Kirchenseminare und soziale Projekte der Bischofskonferenz Nahrungsmittel angebaut werden. Insofern wird das Beispiel der katholischen Kirche begrenzte Auswirkungen haben. Allein die brasilianischen Streitkräfte übergaben kürzlich sechs Millionen Hektar Land für das Programm der Agrarreform. Unterdessen campieren nach den Angaben der Bewegung derer ohne Land (MST) 37.000 BäuerInnenfamilien auf besetzten Fincas oder an den Rändern von Bundesstrassen und Eisenbahnlinien und warten auf die Zuteilung einer Parzelle im Rahmen der Landreform.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Leonel Fernández neuer Präsident

(Mexiko-Stadt, 1. Juli 1996, POONAL).- José Francisco Peña Gómez hat es nicht geschafft. Der Zentrale Wahlrat der Dominikanischen Republik erklärte am Montag Leonel Fernández von der Partei der Dominikanischen Befreiung (PLD) zum Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt. Nach der Auswertung fast aller Wahlurnen erreichte Fernández in einer allem Anschein nach regulär verlaufenen Wahl 51,25 Prozent der Stimmen, 2,5 Prozent bzw. 70.000 Stimmen mehr als Gómez. Dieser erkannte seine Niederlage an und gratulierte dem Kontrahenten. Leonel Fernández wird das Präsidentenamt am 16. August offiziell von Joaquín Balagür von der bisher regierenden Sozialreformistischen Christlichen Partei (PRSC) übernehmen.

Ohne die Hilfe des greisen Präsidenten Balaguer wäre das Wahlergebnis vom Sonntag nicht denkbar gewesen. Noch im ersten Wahlgang am 16. Mai hatte der Sozialdemokrat Gómez von der Revolutionären Dominikanischen Partei (PRD) mit 45 Prozent der Stimmen sieben Prozent vor dem zweitplazierten Fernández und dem abgeschlagenen Regierungskandidaten Jacinto Peynado gelegen. Während Peynado selbst keine Empfehlung für die Stichwahl abgab, schmiedeten Balaguer und Fernández innerhalb weniger Tage eine „Patriotische Front“, die mit zum Teil rassistischer Stimmungsmache gegen Gómez vorging. So wurde mit dem Hinweis auf die haitianische Abstammung des PRD-Kandidaten gezielt mit den Ressentiments eines Großteils der dominikanischen Bevölkerung gegen das Nachbarland gespielt. Auch die Anspielungen auf die schwarze Hautfarbe von Gómez als negative „Eigenschaft“ fehlten nicht. Der ehemals linksliberale Politiker und Ex-Präsident Juan Bosch, die große Figur der PLD und jahrzehntelanger Gegenspieler von Joaquín Balaguer, machte das Spiel mit. Außer gegen dieses Bündnis mußte José Francisco Gómez noch gegen einen teilweisen Medienboykott und die Einschüchterung seiner Parteianhänger*innen durch staatliche Autoritäten ankämpfen.

Nach dem Wahlgang schlug der Sieger versöhnlichere Töne an. Leonel Fernández versprach, für die gesamte Bevölkerung regieren zu wollen und sich nicht zu scheuen, zukünftig Gómez oder andere andere politische Führer*innen, die am Wohl der Nation interessiert seien, um Rat zu bitten. In konkreten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen unterscheidet sich das Programm der drei großen Parteien in der Dominikanischen Republik ohnehin nicht wesentlich. Unter Gómez wären allerdings ein entspannteres Verhältnis zu Haiti und eine aktivere Rolle des Staates in der Wirtschaft wahrscheinlicher gewesen. Interessant wird es sein, ob der neue 44 Jahre alte Präsident beim Regieren aus dem Schatten des 89jährigen Balagürs treten kann, der von den letzten 30 Jahren 22 Jahre das Präsidentenamt innehatte. Balagür kontrolliert seine Partei, die PRSC noch immer. Sowohl im Senat als auch im Parlament ist die PLD von Fernández in einer sehr schwachen Minderheitenposition und auf die Mehrheitsbildung mit der PRSC angewiesen. Dies könnte bedeuten, daß Balagür trotz seines Alters und aller Voraussagen weitere Jahre die entscheidende Figur der Dominikanischen Republik bleiben wird.

ECUADOR

Am Ende geht das Leben weiter

Von Eduardo Tamayo

(Quito, 28. Juni 1996, alai-POONAL).- Am 7. Juli bestreiten Jaime Nebot und Abdala Bucaram die Stichwahl um das Präsidentenamt. Wer auch immer gewinnt, das Schicksal des Landes ist besiegelt: Das Regierungsschema wird die neoliberalen Parameter nicht verlassen. Und wer gewinnt, wird die Regierung mit geringem Ansehen und fehlender Glaubwürdigkeit antreten. Zum Teil ist dies den Negativ- Kampagnen beider Kandidaten zu verdanken. Das Endresultat des ersten Wahlgangs am 19. Mai sprach dem rechtsgerichteten Jaime Nebot von der Sozialchristlichen Partei 22,87 Prozent der Stimmen zu, der Populist Abdala Bucaram von der Roldosistischen Ecuadoreanischen kam auf 22,11 Prozent. Die geringe Stimmendifferenz zwischen den beiden Finalisten hat den Zank um das Wahlvolk bestimmt.

Im Gegensatz zur ersten Runde haben die Kandidaten auf einen negativen Wahlkampf zurückgegriffen. Es wurde versucht, den Rivalen durch Hinweise auf seine gewältätige, willkürliche und ungehörige Vergangenheit in Mißkredit zu bringen. Ein Spot zeigt den ehemaligen Abgeordneten Jacobo Bucaram, den Bruder Abdalas, wie er den derzeitigen Bürgermeister von Quito, Jamil Mahuad, schlägt. Ein anderer Spot präsentiert einen Abgeordneten Nebot, der Beleidigungen und wütende Drohungen auf seine politischen Gegner*innen niederprasseln läßt. Das Schlimmste darin ist, daß diese Bilder keine Montagen sind, sondern der reinen und grausamen Wirklichkeit entsprechen. Die Kandidaten waren und sind so. Obwohl beide sich verteidigen, sie hätten sich geandert, wären gereift und solche Vorfälle seien Fehler der Vergangenheit, haben sie die Bürger*innen nicht überzeugen können. Diese zeigen sich skeptisch, überdrüssig, ohne grössere Optionen und Hoffnungen.

Beide Kandidaten haben emsig versucht, Verbündete bei den Parteien des Zentrums und der Linken sowie bei den sozialen Bewegungen zu gewinnen. Da sie aus derselben Region – der Küste – kommen, haben sie ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Wähler*innen des Hochlandes für sich einzunehmen. Dort wird sich die Wahl entscheiden. In der Absicht, die Stimmen zu fangen, die für die Bewegung Pachakútik-Neues Land im ersten Wahlgang abgegeben wurden, haben beide Kandidaten ohne grössere Bedenken die Vorschläge der Indígenas übernommen, eine Verfassungsversammlung einzuberufen, um die Magna Carta zu reformieren und einen Vielvölkerstaat möglich zu machen. Zusätzlich haben sie bürokratische Posten angeboten. So verspricht Bucaram ein Indígena-Ministerium. Nebot hat Luis Macas, dem für Pachakútic- Neues Land gewählten Abgeordneten, den Vorsitz im Kongreß angedient.

Bucaram hat eine grössere Fähigkeit an den Tag gelegt, Abkommen mit kleinen Parteien, Lokalmächten, sozialen und gewerkschaftlichen Organisationen zu schliessen. Nebot dagegen konnte nur wenige soziale und politische Führer*innen, die nicht seiner direkten Umgebung entstammen, an sich binden. Der eine wie der andere wird, einmal an der Macht, dazu gezwungen sein, auf die abgegebenen Versprechungen zu antworten. Im wirtschaftlichen wie sozialen Bereich zeigen beide mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede. Sie akzeptieren den vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gesetzen Rahmen. Sie sprechen sich dafür aus, mit entsprechenden Bedingungen die Auslandsinvestitionen anzulocken. Sie wollen die derzeit automatisch jeden Monat vorgenommen Preiserhöhungen für Treibstoff abschaffen und mit Schuldscheinen auf dem Sekundärmarkt die Auslandsverschuldung abbaün. Beide versprechen einen Vorrang für die soziale Investition sowie drastische Strafen, um Steürflucht und Schmuggel zu bekämpfen.

Im übrigen ist die Situation des Landes, der sie sich stellen müssen, nicht vielversprechend: ein Haushaltsdefizit; eine starke Wirtschaftsrezession, die zum großen Teil von Kreditzinsen über 70 Prozent herrührt und jeglicher produktiven Aktivität den Anreiz nimmt; alarmierende Zahlen für Armut und extreme Armut, die nach Weltbankangaben 35 Prozent der Bevölkerung betreffen; allgemeine Korruption; soziale und regionale Ungleichheiten; Unsicherheit und Kriminalität. Angesichts dieser Bedingungen stellt sich die Frage: Werden sie die ausgiebigen und großzügigen Wahlversprechen erfüllen können?

ARGENTINIEN

Gegenwind für die Regierung in der Hauptstadt

(Mexiko-Stadt, 1. Juli 1996, POONAL).- In Buenos Aires mußte die Regierung unter Präsident Carlos Menem eine schwere Wahlschlappe einstecken. Bei der erstmaligen Direktwahl des Stadtintendanten, vergleichbar mit der Stellung eines Bürgermeisters, siegte mit fast 40 Prozent der Stimmen der Oppositionskandidat Senator Fernando de la Rúa von der Radikalen BürgerInnenunion (UCR). Auf dem zweiten Platz mit knapp 27 Prozent folgte Norberto La Porta von der Mitte-Links-Koalition Bündnis für ein solidarisches Land (FREPASO). Der noch von Präsident Menem als Stadtintendant eingesetzte Jorge Domínguez landete abgeschlagen mit 18 Prozent auf Platz drei. Fast wäre er noch von Gustavo Béliz erreicht worden. Dieser ehemalige Regierungsanhänger verabschiedete sich im Januar dieses Jahres mit Korruptionsanklagen von Menems Gerechtigkeitspartei. Bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen für die Zusammensetzung der sechzigköpfigen Versammlung, die eine Verfassung für den Autonomiestatus von Buenos Aires ausarbeiten soll, schnitt die Regierungspartei ähnlich verheerend ab. Bei dieser Wahl erreichte die Liste der FREPASO mit der populären Senatorin Graciela Fernández Mejide 39 Prozent, die UCR 29 Prozent. Argentiniens Vizepräsident Carlos Rückauff, der die Regierungsliste anführte, erlitt angesichts magerer 14 Prozent auch eine persönliche politische Niederlage.

Präsident Carlos Menem versucht, das Wahlergebnis in seiner Bedeutung niederzuspielen, indem er Buenos Aires als „nur einen Distrikt mehr“ bezeichnet. Richtig ist ebenfalls, daß die Radikale BürgerInnenunion nicht erst seit diesen Wahlen eine starke Stellung in der Hauptstadt hat und die Popularität der Regierung dort geringer ist als anderswo. Andererseits weist kein anderer Stimmdistrikt außer der Provinz Buenos Aires so viele Wahlberechtigte aus. Ein Wahlausgang in dieser Deutlichkeit hat Auswirkungen auf das ganze Land. Dem neuen Bürgermeister de la Rúa werden bei einer erfolgreichen Amtsführung gute Aussichten für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1999 prophezeit. Seine Partei, die durch Kompromisse mit der Regierung in den letzten Jahren an Ansehen stark verlor und nicht immer als Oppositionskraft erkennbar war, erhofft sich nun landesweit eine „Wiederauferstehung“. Bei der FREPASO wird die Senatorin Fernández Mejide zu einer immer wichtigeren Persönlichkeit. Nachdem sie 1995 ihren Senatssitz mit fast 50 Prozent der Stimmen gewann, wird sie jetzt als die Garantin des guten Abschneidens der Listenwahl für die Verfassungsversammlung angesehen. Auch sie gilt als „präsidiabel“. Bis 1999 wird allerdings noch viel Wasser durch den Rio de la Plata fließen.

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