Poonal Nr. 239

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 239 vom 1. Mai 1996

Inhalt


PERU

URUGUAY

MEXICO

PARAGUAY

ECUADOR

GUATEMALA


PERU

Auflösung statt Privatisierung

(Mexiko-Stadt, 21. April 1996, POONAL).- Die peruanische Regierung von Präsident Alberto Fujimori zieht in Betracht, etwa 50 staatliche Unternehmen ganz aufzulösen, falls sie nicht privatisiert werden können. Dies gab der Arbeitsminister Jorge González bekannt. González ist gleichzeitig Vorsitzender der Kommission zur Förderung der Privatinvestition, die mit dem Verkauf der Staatsfirmen beauftragt ist. Fristen, innerhalb derer die Auflösung geschehen vollzogen werden müsse, wurden aber nicht angegeben. Zu den ersten liquidierten Unternehmen werde aber die peruanische Rückversicherung gehören, die der Staat seit längerem erfolglos zum Kauf angeboten hatte. Der Minister bekräftigte die Entscheidung, mit der staatlichen Ölgesellschaft Petroperú trotz der Proteste der Opposition eines der größten Unternehmen des Landes zu privatisieren oder aufzulösen. Die Chancen für einen Verkauf an den Privatsektor schätzte González als gut ein.

URUGUAY

Sozialversicherung für SexarbeiterInnen

(Montevideo, April 1996, fempress-POONAL).- Heute ist es eine reale Möglichkeit, vorher war es nur ein Traum“, sagt Cristina Vázquez von der Vereinigung der Prostituierten Uruguays (AMEPU). Sie bezieht sich auf eine Entscheidung der Bank für Sozialfürsorge (BPS), die erstmals die Prostituierten mit anderen unabhängigen Arbeiter*innen gleichstellte. Der Vorstand der Sozialversicherungseinrichtung erklärte alle, „die die Prostitution innerhalb der gesetzlichen Regelungen ausüben, die diese Arbeit erlauben, für geschützt als unabhängige Arbeiterinnen, … mit Anspruch auf alle Leistungen, die die BPS ihren Mitgliedern bietet“. Gleichzeitig wird vorgeschlagen, das Recht auf Zuweisungen an Familienangehörige und den Schutz für männliche Prostituierte zu prüfen. Für die Träger*innen des HIV-Virus oder die an AIDS erkrankten Menschen sind bessere Versorgungsleistungen vorgesehen. Dieser Punkt gehörte zu den umstrittensten. Die AIDS-Vorsorge und die Situation der erkrankten Prostituierten war eine der Hauptsorgen von AMEPU in den vergangenen Jahren.

Den Reformvorschlag brachte der Direktor der Bank für Sozialfürsorge, Ernesto Murro, im Vorstand ein. Er war 1994 Gast auf dem Zweiten Landesweiten Treffen der Sexarbeiter*innen gewesen. Gegenüber Fempress ordnete Murro die Entscheidung der BPS im Kontext der jüngsten Sozialversicherungsreform in Uruguay ein: „Die Arbeiter*innen, die jedesmal mehr auf unserem Arbeitsmarkt sind, werden durch die Reform geschädigt. Das Ruhestandsalter wird von 55 auf 60 Jahre erhöht und das Alter für den Anspruch auf eine Altersrente von 65 auf 70 Jahre. Die Prozentkalkulationen für die Renten, die vorher höher waren als bei den Männern, sind jetzt gleich. Da sie im Reformprojekt gesenkt werden, sind sie (die Frauen) vergleichsweise mehr betroffen. Wenn wir, die wir für die Anullierung dieser (Regierungs-)Reform kämpfen, scheitern, werden diese Arbeiterinnen noch mehr Probleme haben, die Leistungen zu bekommen.

Durch die Entscheidung des Vorstandes der Bank für Sozialfürsorge macht sich Uruguay die Erfahrungen von Ländern wie Holland oder Australien zu eigen, wo die Sexarbeiter*innen anerkannte Rechte gegenüber der Sozialversicherung haben. Nach den Daten von AMEPU gibt es unter den zweieinhalb Millionen Einwohner*innen des Landes etwa 7.000 Prostituierte. Nur ungefähr die Hälfte habe die Papiere derzeit so in Ordnung, daß sie in die Sozialversicherung eintreten könnten. Cristina Vázquezz ist jedoch zuversichtlich: „Die Entscheidung bietet den Frauen einen Anreiz, zur Gesundheitskontrolle zu gehen und ist vor allem eine Anerkennung, daß die Sexarbeit eine Arbeit ist.“ Am Sitz der Organisation ist bereits ein Büro eingerichtet, damit die Frauen Hilfe bei den entsprechenden Formalitäten haben. Vertreter der Vereinigung der Travestiten (ARTU), die 1.000 Personen organisiert, die die Prostitution ausüben, erklärten: „In unserem Fall ist die Anerkennung noch größer. Wir sind Personen, die nur an eine Alterspension denken können. Wir haben eine Arbeit, die vom körperlichen Zustand abhängt und wir arbeiten solange der Körper es aushält. Wenn wir etwas anderes machen wollten, könnten wir es nicht, denn aufgrund unseres Aussehens akzeptiert uns die Gesellschaft nicht. Die Kunden sind keine Außerirdischen, sie kommen aus derselben Gesellschaft, die Dich diskriminiert, aber so ist es.“

Erklärung von Montevideo

(Montevideo, 29. April 1996, comcosur-POONAL).- Vom 25. bis 28. April fand im Sitz der Stadtverwaltung von Montevideo ein Treffen der Community-Radios in Uruguay mit Gästen aus dem Cono Sur und der Unterstützung von Gruppen aus dem Gemeinde-, Kirchen-, Politik- und Medienbereich statt. Die mehr als 200 Teilnehmer*innen verabschiedeten ein Schlußdokument, in dem unter anderem ein neues Kommunikationsgesetz gefordert wird, das auf die Existenz der Community-Radios eingeht. Im Folgenden der Wortlaut der sogenannten

Erklärung von Montevideo

Wir erklären: 1.) Wir fassen die Kommunikationsmedien als ein Gemeinschaftsgut öffentlichen Charakters auf und fordern unser legitimes Recht ein, uns auszudrücken. Dies ist unserer Meinung nach ein wesentliches und unübertragbares Recht für die Entwicklung und Stärkung der Demokratie. 2.) Wir bekräftigen unser legitimes Recht auf den Zugang zu den Kommunikationsmedien gesellschaftlichen (sozial) Eigentums, die erlauben, der Meinungsfreiheit konkreten Ausdruck zu verleihen: die COMMUNITY-RADIOS als Ausdruck unserer eigenen Eindrücke und der Stimme der Gemeinschaft (comunidad). 3.) Wir bekräftigen die Verteidigung der Menschenrechte, der Minderheiten, der ethnischen Identitäten, der freien sexuellen Orientierung, der Präsenz und Gleichstellung der Frauen, die Vorreiterrolle der Jugendlichen, den Schutz der Jungen und Mädchen, der Bildung, der Gesundheit und der Umwelt, das Recht, anders zu sein und zu denken. Das sind Prioritäten für die Community-Radios. 4.) Wir fordern die dringliche Trennung der Telekommunikationsbehörde vom Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministeriums und die notwendige Änderung der derzeitigen Gesetze und/oder Dekrete. 5.) Wir sehen eine Diskussion aller Gesellschaftsteile des Landes als notwendig an, um dazu beizutragen, ein neues Kommunikationsgesetz auszuarbeiten, das unter anderen Aspekten eine demokratischere und representativere Verteilung der Konzessionen für die Benutzung der Kommunikationsmedien prüfen soll. 6.) Wir klagen die vergangene und derzeitige Geschichte willkürlicher Lizenzvergabe bei der Erlaubnis für die AM- und FM-Frequenzen sowie für Fernsehen und Kabelfernsehen an. Wir verlangen das sofortige Ende dieser demokratieschädlichen Situation, die die Beschlüsse des Paktes von San José, Costa Rica, verletzt, die unser Land unterschrieben hat. 7.) Wir fordern die Konzessionen für alle sendenden Community- Radios (und die, die entstehen können) solange noch nicht ein neues Kommunikationsgesetz verabschiedet ist. Gleichzeitig sollen einige technische Anforderunge und die Verantwortung beider Seiten festgelegt werden: der Community-Radios und des Staates. 8.) Wir glauben, daß die Regierungen die Community und Volks- Kommunikationsmedien nicht nur erlauben müssen, sondern sie auch als eine dritte Eigentumsform garantieren sollten: die gesellschaftliche, gleichgestellt der privaten/kommerziellen und der staatlichen. 9.) Wir streben danach, daß das radio-elektrische Spektrum zwischen allen Gesellschaftsgruppen geteilt wird und daß eine Quote von Frequenzen bei Radio, Fernsehen und Kabelfernsehen für gemeinnützige Unternehmen ohne Gewinnabsichten reserviert wird. 10.) Alle Kommunikationsmedien, seien sie staatlich, privat/kommerziell oder aus dem Community-Bereich innerhalb der ethischen Rahmensetzungen des Journalismus den Anspruch einer öffentlichen Dienstleistung und sozialer Verantwortungerfüllen.

Wir erklären dieses Treffen für beendet und betrachten es als einen ersten Schritt für die Entwicklung der Community-Radios in Uruguay. Wir sind davon überzeugt, daß dieser Meinungsaustausch zwischen verschiedenen Ländern und verschiedenen Regionen unseres Landes diese Anstrengungen stärkt und die Demokratisierung der Kommunikationsmedien und damit der gesamten Gesellschaft vertieft. Montevideo, 27. April 1996

MEXICO

SUTAUR-100 existiert nicht mehr

– Die ehemals stärkste Hauptstadtgewerkschaft unterschreibt

Abkommen mit der Stadtregierung

(Mexiko-Stadt, 28. April 1996, POONAL).- Am vergangenen Wochenende zeichnete sich nach mehr als einem Jahr das Ende eines der aufsehenerregendsten Arbeitskämpfe in Mexiko ab. Die Gewerkschaft des öffentlichen Busverkehrsunternehmens Ruta-100, die SUTAUR-100, kam mit den Behörden der Haupstadt zu einer Einigung. Sie bedeutet das endgültige Aus für die Ruta-100, die bis zum April 1995 die mit Abstand größte Buslinie mit zahlreichen Routen in Mexiko-Stadt war. Der Gewerkschaft wird das Einlenken mit finanziellem Entgegenkommen und den Konzessionen für zwei, eventuell sogar drei eigene Transportunternehmen schmackhaft gemacht. Außerdem sagte die Stadtverwaltung zu, sich für die Freilassung von 12 Mitgliedern der Gewerkschaftsführung einzusetzen, die unter fadenscheinigen Gründen seit einem Jahr in Haft sind. Der Fall der SUTAUR ist in gewisser Weise einzigartig. Die Mitglieder gehörten zu einer der größten und militantesten unabhängigen Gewerkschaften im ganzen Land. Von den 14.000 Beschäftigten der Buslinie Ruta-100 waren 12.000 in der SUTAUR, ein Organisationsgrad von fast 90 Prozent. Mit der MPI, der Unabhängigen Proletarischen Bewegung, besaß die Gewerkschaft sogar eine Art politischen Arm. Allen Privatisierungsplänen der Buslinie erteilte die SUTAUR eine resolute Absage. Als erste größere Organisation stellte sie sich zu Beginn des Aufstandes im Bundesstaat Chiapas vorbehaltlos hinter die Forderungen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung. Den Politikern der regierenden Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) war die Gewerkschaft immer mehr ein Dorn im Auge. Als Oscar Espinosa Villareal 1994 sein Amt als neuer Stadtregent der 25- Millionen-Metropole antrat, machte er die Zerschlagung der SUTAUR zu einem seiner Hauptanliegen. Am 8. April 1995 war es soweit: Die Behörden erklärten die Ruta-100 über Nacht für bankrott. Die 14.000 Beschäftigten standen ohne Ankündigung auf der Strasse, die angebotenen Abfindungen waren kaum der Rede wert. Die Konten der Organisation wurden eingefroren. Der Großteil der Gewerkschaftsführung kam wegen Jahre zurückliegender Korruptionsvorwürfe in Haft. Bis heute konnten die Beweise nicht geliefert werden. Die Hoffnung der SUTAUR-Gegner auf eine schnelle Kapitulation der Gewerkschaft erfüllten sich jedoch nicht. Wiederholt brachte die SUTAUR mehrere zehntausend Menschen bei Demonstrationen auf die Beine. Mit spektakulären Blockadeaktionen, Informationsveranstaltungen im gesamten Stadtgebiet und Spendensammlungen kämpfte die Gewerkschaft um ihr Überleben und das der Ruta-100. Die zunehmenden Lockgebote der Stadtverwaltung konnte die Solidarität innerhalb der SUTAUR nur sehr begrenzt brechen. Andererseits gelang es den Behörden von Mexiko-Stadt nach großen anfänglichen Schwierigkeiten, den Busverkehr, der bald ganz in private Hände übergehen soll, auch ohne die Ruta-100 zu organisieren. Die Gewerkschaft mußte ihren Kraftakten immer stärker Tribut zollen. Die Mitgliederzahl ging bis April 1996 auf 8.000 zurück. Die finanzielle Lage der Gewerkschafter wurde immer prekärer. Als sich mit der Vermittlung einer Abgeordnetenkommission des Hauptstadtdistriktes das Angebot der Stadtverwaltung bedeutend besserte, willigte die SUTAUR in den jetzt gefundenen Kompromiß ein. Sie hofft, ihre Struktur weitgehend gerettet zu haben. Es ist davon auszugehen, daß die inhaftierten Gewerkschafter bald freikommen. Auch die eingefrorenen Gewerkschaftsgelder – immerhin umgerechnet etwa 45 Millionen Mark – dürften bald wieder zur Verfügung stehen. Die frühere Kampfkraft wird die Gewerkschaft aber wohl kaum wieder erreichen, zumal sie als zukünftige Besitzerin von mindestens zwei Transportlinien auf einmal in der Unternehmerrolle sein wird. So beeindruckend der einjährige Widerstand geben die Auflösung war, der juristische Berater und Mitgründer der Gewerkschaft, Arturo Fernández Arras brachte es gegenüber der Wochenzeitung Proceso resigniert auf den Punkt: „Es ist das Ende der SUTAUR-100.“

Kinkel in Lateinamerika – Erste Station der Wirtschaftsreise war Mexiko

(Mexiko-Stadt, 29. April 1996, POONAL).- Bei der Pressekonferenz wollte Klaus Klinkel gerne von der deutschen Wirtschaft umgeben sein. Erst als deren Vertreter links und rechts neben ihm Platz genommen hatten, begann der Aussenminister, über sein Gespräch bei Mexikos Präsident Ernesto Zedillo zu berichten. Die Szene hatte Symbolwert. Nicht Außenpolitik, sondern vor allem Wirtschaftspolitik wird auf dem Kurztrip nach Lateinamerika gemacht, der Kinkel und seinen Tross mit einigen Bundestagsabgeordneten und 25 Mitgliedern wichtiger deutscher Unternehmen in diesen Tagen bereits nach Mexiko, Chile und Peru führte. Paraguay wird die vierte und letzte Station sein. Kinkel spricht von einer „Offensive“ der deutschen Lateinamerikapolitik. Der Ausdruck ist passend. Die Region war in den vergangenen Jahren nicht so sehr im Brennpunkt des deutschen Interesses. Die im Zuge der neoliberalen Wirtschaftspolitik eröffneten Markchancen nutzten andere Länder schneller und besser. Nun versucht die Bundesregierung aufzuholen und will der eigenen Wirtschaft helfen, noch ein Stück vom aufzuteilenden Kuchen mitzubekommen. Damit das Kind auch einen Namen hat, wurde bereits im Juni 1995 das „neue“ Lateinamerika-Konzept der CDU/CSU/FDP-Koalition vor 450 lateinamerikanischen und deutschen Wirtschaftsvertretern in Bünos Aires vorgestellt. Die politische Debatte darüber im Bundestag fand drei Monate später statt.

Das Konzept enthält viele schöne Worte über traditionell gute Kontakte und den Wunsch zu einer engeren Zusammenarbeit auf allen Gebieten. Doch im Grunde geht es um handfeste Kapitalinteressen. Dies machte der Kinkelbesuch in Mexiko besonders deutlich. Auch da fehlten die freundlichen diplomatischen Floskeln nicht. Aber der Minister sagte ganz klar: „Mexiko ist für die deutsche Industrie ein Tor zum amerkanischen Kontinent, sowohl zu den USA und Kanada als auch zu Lateinamerika.“ In der Umwelttechnologie und bei der Kapitalvermittlung durch deutsche Banken im Investitionsgüterbereich sieht Kinkel Marktmöglichkeiten in Mexiko. Und er sähe es ebenso gerne, wenn die deutsche Wirtschaft stärker von den Privatisierungen mexikanischer Staatsbetriebe profitieren könnte. Mahnend forderte er den Abschluß eines Investitionsschutzabkommens ein. Darüber verhandeln die beiden Länder schon seit längerem. Die Unterzeichnung wird wohl Kanzler Kohl vorbehalten bleiben, der im September nach Mexiko kommt.

Kinkel und sein Kollege auf der anderen Seite, Angel Gurría, unterschrieben diesmal nur ein eher unbedeutendes bilaterales Abkommen, daß unter anderem die Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung verbessern soll. Eine Kommission „Mexiko- Deutschland 2000“ soll weitere „Zukunftsperspektiven“ ausloten. Angesichts der nur vordergründig gelösten Wirtschafts- und Finanzkrise, die Mexiko Ende 1994 an den Rand des Kollapses brachte, bemerkte Kinkel: „Wir sollten nicht zum Pessimismus beitragen“. Schließlich soll am Ende der Lateinamerikareise ein positives Fazit stehen. Der deutsche Außenminister sagte auch zu, sich bei der Europäischen Union dafür einzusetzen, daß die Verhandlungen der EU mit Mexiko über einen Freihandelsvertrag bald aufgenommen werden. Bisherige Vorgespräche führten zu keinen Ergebnissen, weil die europäischen Landwirtschaftsminister protektionistische Maßnahmen für ihre einheimische Klientel fordern. Dies hindert Delegationen wie die deutsche aber nicht daran, die lateinamerikanischen Länder zur größtmöglichen Öffnung ihrer Märkte zu drängen.

PARAGUAY

Der gescheiterte Staatsstreich

(Quito/Mexiko-Stadt, 28. April 1996, alai-POONAL/POONAL).- Vordergründig hat die fehlgeschlagene Rebellion von General Lino Oviedo die Regierung des paraguayischen Präsidenten Carlos Wasmosy gestärkt. Doch sein Verbleib im Amt ist nicht sein eigener Verdienst, sondern das der gegen Oviedo demonstrierenden Bevölkerung und des Polizeichefs, der sich weigerte, auf die Demonstrant*innen zu schiessen. Genauso entscheidend dürfte der Druck verschiedener ausländischer Regierungen gewesen sein, allen voran die USA. Die Umbesetzungen innerhalb des Kabinetts, bei denen Wasmosy jetzt ihm gegenüber loyale Minister einberuft, sind keine Garantie für die Zukunft. In seiner eigenen Partei mußte der Präsident nur wenige Tage nach den überstandenen Putschängsten einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Bei internen Wahlen der Colorado-Partei siegte Luis María Agraña, ein Anhänger der Strössnerdiktatur, mit deutlicher und absoluter Mehrheit. Er ist ein erklärter Gegner von Wasmosy.

Die Regierung geht aus der Krise geschwächt und gedemütigt hervor. Ein kurzer Rückblick: Die Ankündigung von Wasmosy, General Lino César Oviedo, als Kommandant der Streitkräfte, abzulösen, will dieser nicht akzeptieren. Am 20. April erklärt er sich in Rebellion und bedroht den Regierungschef sogar mit dem Tod. 24 Stunden später wird er für diese Haltung mit dem Posten des Verteidigungsministers belohnt. Die Proteste der Bevölkerung sowie die Erklärungen der USA, Brasiliens, Argentiniens und Uruguays, die der „demokratischen Regierung“ ihre Unterstützung versichern, vereiteln eine neue de facto- Militärregierung. Wasmosy hat außerdem die Marine, die Luftwaffe und die Mehrheit der Kongresses auf seiner Seite. Dennoch wird einmal mehr deutlich, daß sich die wahre Macht hinter dem Thron immer noch bei den Militärs befindet.

Die Popularitätswerte für den Präsidenten sind noch weiter gesunken. Er und Oviedo gehören derselben Partei an. Es war General Oviedo, der die Partei zwang, die Präsidentschaftskandidatur von Wasmosy zu akzeptieren – eines Unternehmers der am Bau des Wasserkraftwerkes von Itaipú beteiligt war und dabei ein Vermögen machte. Die Militärspitze stellte sich folgendes vor: Wasmosy ins Präsidentenamt und Oviedo an die Macht. Die beiden distanzierten sich wegen interner Streitereien, Machtgelüsten, Wirtschaftsinteressen und persönlicher Differenzen voneinander. Oviedo hat immer die Macht gewollt. Im vergangenen Jahr wurde er zum Präsidentschaftskandidaten der Coloradopartei erklärt. Seitdem befand er sich im Wahlkampf und kümmerte sich nicht um die Gesetzesbestimmungen, die einem aktiven Militär verbieten, Parteipolitik zu betreiben.

In den Wochen vor der politischen Krise waren die sozialen Konflikte, die Campesino-Demonstrationen und ArbeiterInnenstreiks an der Tagesordnung. Es gab Gerüchte über einen „Eigenputsch“ von Wasmosy nach peruanischem Vorbild. Mitte März marschierten 30.000 Campesinos in die Hauptstadt, am 28. März führten die vier Gewerkschaftszentralen einen Generalstreik für höhere Löhne durch. In den ersten Aprilwochen gingen die Aktionen der Bäür*innen weiter, vor allen Dingen Landbesetzungen an vier verschiedenen Punkten des Landes. „Die Landinvasionen sind keine Lösung, aber sie stellen ein Linderungsmittel für die Probleme der Campesinos dar“, machte der Bischof Fernando Lugo aus der Provinz San Pedro indirekt seine Unterstützung für die Bauer*innen ohne Land klar. Die Gewerkschaften hatten für den 2. und 3. Mai einen neuen, diesmal 48stündigen, Generalstreik vorgesehen, um eine Lohnerhöhung von 31 Prozent zu erreichen. Die Regierung hat bisher nur 10 Prozent angeboten. Der Mindestlohn, derzeit bei umgerechnet 238 Dollar, müßte nach den Berechnungen der Gewerkschaften wenigstens auf 283 Dollar steigen, um den Kaufkraftsverlust seit 1989 auszugleichen.

ECUADOR

Mörder im Haus

– von Maria Cevallos

(Quito, 22. April 1996, sem-POONAL).- Die Brutalität, mit der Ximena Vargas ermordet wurde und die Möglichkeit, das Verbrechen könne straffrei bleiben, zwangen die anklagende Anwältin Alejandra Cantos, den Fall aus der Anonymität der Gerichtshöfe in die öffentliche Debatte zu bringen. Der Mord an der 24jährigen Ximena Vargas geschah im April 1995. Ihr Ehemann Wilson Carillo brachte sie um, während sie schlief. Er enthauptete sie mit der Machete, verstümmelte die Leiche und tauchte die einzelnen Teile in Formol und steckte sie in Plastik- und Jutesäcke, die er im Hinterhof seines Hauses vergraben wollte. Vor dem Mord führte Carillo die beiden Kinder des Paares, die bei ihrer Mutter schliefen, in ein Nebenzimmer. Eines der Kinder bekam von dort jedoch den ganzen Vorgang mit. Nachdem zwei seiner Brüder von der Tat erfuhren, stellte sich der Mörder am folgenden Tag der Justiz. Heute sitzt er in der westlichen Provinz Napo im Gefängnis.

Der Gerichtsprozeß läuft. Doch ein knappes Jahr nach der Tat bat Carillo darum, die Anklage für ungültig zu erklären. Er führte durch Eifersucht motivierte Verrücktheit als Entschuldigungsgrund für den Mord an. Die Anklage geht dagegen von Vorsatz, Heimtücke und Wut aus. Er habe das Verbrechen mit Genauigkeit, Gefühlskälte und Geistesklarheit vorbereitet sowie für Bedingungen gesorgt, der Justiz zu entkommen. Zudem sei der Tod von Ximena Vargas das Ergebnis einer langen Geschichte von Grausamkeit und häuslicher Gewalt. Die Schwester des Opfers erzählte SEM die Leidensgeschichte der Ermordeten in den Händen ihres Ehemannes. Als Ximena 12 Jahre alt war, entführte Carrillo sie, vergewaltigte sie und zwang die Eltern, die Heirat zu genehmigen. Carillo, zwölf Jahre älter als seine Frau, war Lehrer der sechsten Grundschulklasse, in die Ximena ging. Die Brutalität in der Ehe wurde vom Tag der Hochzeit an zur Gewohnheit.

Doch die makabre Geschichte ist kein Einzelfall. „In Ecuador kann die eheliche Gewalt als eine Todesursache bei den Frauen angesehen werden“, schrieb die Anwältin Guadalupe León. Als Ergebnis sechsjähriger Untersuchungen in den Archiven von Polizei, Gerichten und Presse veröffentlichte sie ihr Buch „Del encubrimiento a la impunidad“ (Von der Verheimlichung zur Straffreiheit). Darin präsentiert sie eine Diagnose der Geschlechtergewalt in dem südamerikanischen Land. Sie erzählt erschütternde Enthüllungen über tausende von Frauen, die von ihren Männern mit dem Tod bedroht wurden und schreckliche Mordfälle. León ist Direktorin des Studien- und Forschungszentrums der Ecuadoreanischen Frau (CEIME), das die Untersuchung förderte. Nach den Auswertungen des CEIME berichteten die Zeitungen des Landes zwischen 1989 und 1992 über die Fälle von 65 durch ihre Ehemänner ermordeten Frauen. In derselben Zeit verzeichnen die staatlichen Statistiken der zwei wichtigsten Landesstädte 91 Morde an Frauen.

Guadalupe León zeigt eine direkte Beziehung zwischen häuslicher Gewalt und Mord auf. Von den 13.113 Klagen, die wegen häuslicher Gewalt in drei Jahren auf den Kommissariaten eingereicht wurden, ging es in 117 Fällen um versuchten Mord. Der Prozent der Frauen, die eine Agression gegen sich anzeigten, gaben an, Morddrohungen zu erhalten, zwei Prozent, mit Schußwaffen von ihren Männern bedroht zu werden. Die Anwältin sieht die Mordfälle nicht als eine gewalttätige Reaktion angesichts eine konkreten Konfliktes in der Partnerschaft. „Der Mord ist das Produkt eines langen Prozesses physischer, psychologischer und sexueller Bedrängnis, der wachsende Agressivitätsniveaus einschliesst, die oft fatale Folgen haben“, so analyiert sie in ihrem Buch. Acht von zehn Frauen, die häusliche Gewalt anzeigten, wiesen auf frühere Agressionen hin. Im Fall von Ximena Vargas wird die Einschätzung von León durch zwei zurückliegende Anklagen bestätigt. Am 30. Oktober 1993 gab die junge Frau an, von ihrem Ehemann mit Faustschlägen und Fußtritten mißhandelt worden zu sein. Er habe auch mit einem Karabiner auf sie schießen wollen. „Zum Glück konnte ich die Waffe wegstoßen. Später nahm er ein Stromkabel und wollte mich mit dem Strom töten. Außerdem versuchte er, mich aufzuhängen. Die Nachbarn retteten mich“, erklärte Ximena bei der damaligen Gelegenheit.

Die Anwältin Alejandra Cantos befürchtet, im Fall von Ximena könnte der Mörder straffrei ausgehen, wenn es keinen Druck von der Öffentlichkeit gibt. Obwohl die Behörden die Verpflichtung haben, die Verhaftung jeder Person anzuordnen, die das Leben einer anderen in Gefahr bringt, scheint die Justiz bei den Fällen der häuslichen Gewalt eine Ausnahme zu machen. Nach der Untersuchung von León erklärten sich 3.089 Frauen in Todesgefahr, aber kein einziger Agressor wurde festgenommen. Bis zum vergangenen Dezember, als ein Gesetz gegen die häusliche Gewalt verabschiedet wurde, konnten die Frauen ihre Ehemänner nicht formell anklagen. Sie mussten sich mit eine Hilfebescheinigung begnügen. Von der Gesetzeslage abgesehen, garantiere die Funktionsweise der Justiz die Straffreiheit, so die Studie. „Obwohl die Richter*innen 526 Haftbefehle aussprachen, ist keine einzige Festnahme verzeichnet.“ Cantos fügt für ihren Prozeß hinzu: „Auch im Fall von Ximena Vargas wurde auf die Straffreiheit hingearbeitet. Als der Fall in meine Hände kam, fehlten im Gerichtsprozess zwei entscheidende Indizien: die zwei Macheten, mit denen das Verbrechen begangen wurde sowie die mit Blut getränkte Matraze und die Decke. Der verantwortliche Richter hatte angeordnet, sie zu verbrennen.“ Die Anwältin hat vor kurzem ausgesagt, eine Reihe von Todesdrohungen erhalten zu haben. Sie wird aufgefordert, sich nicht länger mit dem Fall zu beschäftigen.

GUATEMALA

Landbesitzer drohen der Kirche

(Guatemala-Stadt, 24. April 1996, cerigua-POONAL).- Die Landbesetzungen von Campesinos haben eine neue geheime Organisation der Großgrundbesitzer entstehen lassen, die ihre eigene Art von Gerechtigkeit ausüben will. Das sogenannte Notkomitee zur Verteidigung des Privateigentums (CEDEPP) gab eine Erklärung heraus, in der „eigene Massnahmen“ angekündigt werden, das Recht auf die anzuwenden, die „direkt verantwortlich für die Anarchie“ und „systematische Destabilisierung“ seien. In der Botschaft wird besonders Bischof Monsignor Alvaro Ramazzini angeklagt. Bekannt für seine Arbeit mit armen Campesinos, wird er „sozialistischer Indoktrinierung“ beschuldigt. Er sei dafür verantwortlich, daß die Bäuer*innen kein Interesse mehr hätten, auf den Plantagen zu arbeiten. Die Drohungen richten sich ebenfalls gegen die Nonnen, die in Gemeinden der Provinzen San Marcos, Retalhuleu und Qützaltenango arbeiten. Falls sie nicht in „kürzester Zeit“ das Land verliessen, so würden sie Ziele „unserer Kommandos“, erklärt das CEDEPP. Und weiter: „Dies ist die einzige Warnung.“ Was den Bischof Ramazzini angehe, so „werden wir nicht eher ruhen, bis es wirkliche Gerechtigkeit gibt“. Davon ausgehend, daß sie die ökonomische Basis des Landes stellen, schliessen die Verfasser der Erklärung mit den Worten „entweder sie oder wir“.

Mehr RückkehrerInnen

(Cahabon, Alta Verapaz, 21. April 1996, cerigua-POONAL).- Mehr als 900 Flüchtlinge beendeten ein 15jähriges Exil und beginnen damit, ihre Gemeinde wieder aufzubauen. Am 18. April überqürten die 191 Familien die Grenze und kamen von Mexiko in die guatemaltekische Provinz Hühütenango im Nordwesten des Landes. Es handelt sich um eine der grössten Repatriierungen seit dem Beginn der Flüchtlingsrückkehr im Jahr 1993. In einer vom UN- Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und der Staatlichen Kommission für Repatriierte (CEAR) organisierten Karawane mit Bussen und LKW zogen die Menschen zur ihrem endgültigen Bestimmungsort Cahabon. In einer Schule in Guatemala-Stadt empfing Helen Mack von der Myrna Mack-Stiftung (Myrna Mack war eine Soziologin und Anthropologin, die auf Geheiss der Militärs umgebracht wurde; die Red.) den Treck. „Angesichts der Tatsache, daß hunderte von Familien, die sich wegen der Gewalt entschlossen, ihr Land zu verlassen, jetzt für die Rückkehr optiert haben, sollte diese Aktion von der Regierung in Rechnung genommen werden. Sie sollte von hier und jetzt an nicht nur das Leben der Rückkehrer*innen garantieren, sondern ebenso die Bedingungen, unter denen sie wieder angesiedelt werden“ sagte Mack. Laut Enrique Godoy von FONAPAZ werden die Familien 5.090 Morgen Land (ein Morgen sind 0,4 Hektar; die Red.) erhalten, das die Regierung erworben hat.

Militär macht Gesetzesvorschläge

(Guatemala-Stadt, 20. April 1996, cerigua-POONAL).- Das Oberkommando der Streitkräfte hat angekündigt, bald zwei Gesetzesentwürfe in den guatemaltekischen Kongress einzubringen. Darin soll die Etablierung von Zivilgerichten für Angehörige der Armee geregelt werden, die gewöhnlicher Verbrechen angeklagt sind. Bisher kommen diese Fälle immer noch vor ein Militärgericht. Kritiker*innen haben jedoch bereits davon gesprochen, bei der Initiative handele es sich darum, die Weste rein zu waschen und gesetzliche Privilegien für das Militär zu erhalten. Auf einem Forum über Nutzen und Mißbrauch der Militärgerichte hob General Sergio Carmargo Muralles, Kopf des Oberkommandos, die vorgeschlagenen Änderungen hervor. So soll das vor mehr als hundert Jahren verabschiedete Militärgesetz durch ein neues ersetzt werden. Getrennt davon soll es ein Militärstrafgesetzbuch geben. Das Vorhaben ist dabei, die Militärgerichte in das allgemeine Justizsystem einzugliedern, so daß die Verwaltung der Gerichte und deren Besetzung (anscheinend mit Armeeangehörigen; die Red.) in den Händen von Zivilist*innen lägen. Das Militärstrafgesetzbuch würde außerdem härtere Strafen für Verbrechen vorsehen als sein ziviles Pendant, so Camargo. Der Abgeordnete Pablo Duarte von der rechtsgerichteten Republikanischen Front Guatemalas (FRG) begrüsste den Vorschlag der Militärs. „Innerhalb der Streitkräfte ist die Notwendigkeit von Veränderungen eingesehen worden“, erklärte er. „Die Gesetzesvorhaben sollten in diesem Kontext aufgenommen werden.“ Die Myrna Mack-Stiftung als Veranstalterin des Forums kritisierte, Sondergerichte für Militärangehörige würden mit der Reform nicht abgeschafft. „Die Armee versucht, ihre bis jetzt gehaltenen Vorrechte zu bewahren. Wenn ein Militär ein Verbrechen begeht, sollte er von zivilen Gerichten verurteilt werden. Das Gesetz sollte für alle Gruppen gleich sein“, erklärte Stiftungsvorsitzende Helen Mack. Carlos Aldana vom erzbischöflichen Menschenrechtsbüro befürchtete, die vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen seien nur oberflächlicher Natur.

Präsident übt Vorausschau

(Guatemala, 22. April 1996, cerigua-POONAL).- In sechs Monaten wird nach der Einschätzung des Regierungschefs Alvaro Arzú das endgültige Friedensabkommen mit der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) unterzeichnet. Er sprach aber auch von Druck bestimmter Gruppen auf Regierung und Guerilla, damit diese ihre jeweiligen Positionen verhärten. Diese Aktionen kämen „von denen, die am lautesten ihren Friedenswillen bekundeten“, so der guatemaltekische Präsident. So stehe die Guerilla dem Druck einiger Nicht-Regierungsorganisationen, darunter Gruppen aus der Versammlung der Zivilen Gesellschaftsgruppen (ASC), gegenüber. Auf der anderen Seite müsse sich die Regierung mit „kleinen unversöhnlichen Unternehmergruppen“ auseinandersetzen. „Wir haben eine ständige Hetze, sie (die Guerilla) werden als Kapitulanten angeklagt und wir als Kommunisten“, so Arzú. Dennoch hätten die beiden Parteien diese Art Hindernisse überwunden und seien vorangekommen. Es gebe eine enge und direkte Kommunikation.

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