Poonal Nr. 205

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 205 vom 8. August 1995

Inhalt


MEXICO

EL SALVADOR

GUATEMALA

MITTELAMERIKA

LATEINAMERIKA

HAITI

PERU

ECUADOR/PERU

ARGENTINIEN


MEXICO

'Proceso': In Guerrero existieren mehrere Guerillaverbände

(Mexiko-Stadt, 7. August 1995, POONAL).- Nach der jüngsten Ausgabe (7. August) der Wochenzeitschrift „Proceso“ existieren im mexikanischen Bundesstaat Guerrero mehrere Guerillagruppen. Eine groß angelegte Truppenentsendung in den vergangenen Tagen, die die Bundesarmee mit der Bekämpfung des Drogenhandels und Sozialarbeit für die Bevölkerung begründete, soll in Wirklichkeit dem Aufspüren von Guerillaeinheiten dienen. Per Land und Luft durchkämmen die regulären Streitkräfte unzugängliche Berggegenden. Guerrero ist in den letzten Wochen verstärkt in das Blickfeld geraten, nachdem Polizeieinheiten in dem Ort Coyuca de Benítez nahe Acapulco am 28. Juni ein Massaker an Campesinos verübten. Dabei kamen 17 Bäuer*innen um. Vieles spricht für eine geplante Aktion der Polizei, wenn nicht sogar der Bundesstaatsregierung. Wenige Tage später starben bei einem weiteren Massaker zwölf Mitglieder einer Großfamilie. Auch in diesem Fall werden als Täter Polizisten genannt. Wiederum ein paar Tage später kamen fünf Polizisten bei einem Hinterhalt ums Leben. Ein möglicher Vergeltungsakt.

Regierung leugnete bislang stets die Existenz von Guerillagruppen außerhalb von Chiapas

Militärs und Regierung haben bisher stets die Existenz von Guerillagruppen außerhalb von Chiapas geleugnet. Ein General in Guerrero, der 1994 die Präsenz der Guerilla bestätigte, wurde elf Tage später von seinem Posten abgelöst. „Proceso“ zitiert nun geheime Dokumente der Militärs, die von sieben „Konfliktzentren“ in Guerrero sprechen. In den Berichten werden sogar Trainingslager der Guerilla und umfangreiche Waffensendungen erwähnt. Unter den Guerilleros werden Soldaten vermutet, die aus der Bundesarmee desertierten und sich der bewaffneten Opposition anschlossen. Sogar von Instruktoren, die der Subcomandante Marcos nach Guerrero entsandt haben soll, einer Gruppe des peruanischen Sendero Luminoso und der baskischen ETA ist die Rede. Diese Angaben rufen jedoch große Skepsis hervor, da die mexikanischen Militärs immer versucht haben, bewaffnete Oppositionsbewegungen als von außen gesteuert darzustellen.

Die Militärspitzel haben sieben verschiedene Guerilla- Organisationen unterschiedlicher Größe und Verbreitung ausgemacht, die im wesentlichen getrennt voneinander zu operieren scheinen. Als mit Guerillagruppen verbundene zivile Organisation wird auch die „BäuerInnenorganisation der Sierra des Südens“ (OCSS) erwähnt. Deren Mitglieder waren Opfer des Massakers von Coyuca de Benítez. Die OCSS hat auf Anschuldigungen von Regierungsseite in den vergangenen Wochen immer betont, ihre Ziele – z.B. Landverteilung und bessere Agrarpreise – auf friedlichem Weg erreichen zu wollen. Was Wahrheit und Dichtung in den Militärberichten ist, ist schwer auszumachen. In den 70er Jahren kämpfte in Guerrero eine kleine Guerillagruppe unter der Führung von Lucio Cabañas jahrelang gegen die militärische Übermacht der Regierung. Damals war der Vater von Rubén Figueroa Gouverneur. Der Sohn läßt sich jetzt von demselben General beraten, der damals gegen die Guerilla kämpfte.

EL SALVADOR

Kommunistische Partei löst sich auf

(Mexiko-Stadt, 6. August 1995, POONAL).- Die älteste politische Gruppierung El Salvadors, die Kommunistische Partei (PCS), besteht nicht mehr. Am 5. August entschieden die Delegierten auf dem neunten außerordentlichen Kongreß die Auflösung der Partei. Die Mitglieder setzten sich zum Ziel, die Einheit der FMLN zu festigen. Das führende Parteimitglied Dagoberto Sosa sagte, es handele sich nicht um eine Auflösung im engen Sinne. „Es ist eine Parteitransformation um eine größere, entwickeltere Partei im Hinblick auf den Sozialismus zu stärken.“ Zudem solle die Funktionsweise der FMLN mit dem Beschluß vereinfacht werden. Die ehemalige Guerillaorganisation werde nicht mehr eine „Partei der Parteien“ sein, sondern eine „Partei der Tendenzen“, zu der die aufgelöste Kommunistische Partei mit ihrer langen Geschichte das ideologische Denken beitragen werde.

Die PCS folgte mit ihrem Schritt den Volksbefreiungskräften (FPL) und der Revolutionären Partei der Zentralamerikanischen Arbeiter (PRTC). Die beiden Parteien mit ebenfalls marxistischer Tendenz hatten bereits vor einigen Wochen ihre alte Parteistruktur aufgegeben, um in der FMLN aufzugehen. Die FMLN, die 1980 fünf verschiedene Guerillagruppen zusammenschloß, wurde im Dezember 1992 im Rahmen der Friedensverhandlungen als Partei legalisiert. Vorausgegangen war das Friedensabkommen vom 16. Januar 1992 mit der damaligen salvadoreanischen Regierung im Schloß Chapultepec in Mexiko-Stadt. Von der FMLN spalteten sich in den vergangenen Monaten der ELN und ERP ab, die beide eine eher sozialdemokratische Richtung einschlugen. Die Kommunistische Partei war vor 65 Jahren am 30. März 1930 gegründet worden. Zwei Jahre später organisierte sie den ersten großen BäuerInnenaufstand in diesem Jahrhundert, der von der Regierung blutig und grausam niedergeschlagen wurden. Zu den wichtigsten Führern gehörte damals Agustín Farabundo Martí, der später der FMLN ihren Namen gab.

GUATEMALA

Neue Friedensverhandlungen im August vorgesehen

(Guatemala, 29. Juli 1995, cerigua-POONAL).- Die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG), die guatemaltekische Armee und die Regierung wollen weiterhin versuchen, über das Verhandlungsthema „Sozio-ökonomische Aspekte und Landfrage“ zu einer Einigung zu kommen. In der mexikanischen Hauptstadt sind dafür Treffen vom 16. bis 19. und 28. bis 31. August vorgesehen. Darauf verständigten sich die Konfliktparteien nach UNO-Angaben bei einem Treffen in verkleinerter Besetzung, dem sogenannten „petit comité“.

Neuer Staatsanwalt für den Fall Bamaca

(Guatemala, 3. August 1995, cerigua-POONAL).- Die Generalstaatsanwaltschaft der Republik ernannte mit Shilvia Jerez einen neuen Sonderbeauftragten, der die Verschleppung und Ermordung des ehemaligen Guerillachefs Efraín Bámaca aufklären soll. Der Vorgänger Julio Arango war zwei Tage zuvor nach nur dreimonatiger Amtszeit zurückgetreten. In dieser Zeit wurde ein Attentat auf ihn verübt und er erhielt Todesdrohungen. US- Botschafterin Marilyn McAffe bezeichnete den Rücktritt von Arango als „harten Schlag gegen das Rechtssystem Guatemalas und gegen die, die für die Gerechtigkeit hier kämpfen“. Generalstaatsanwalt Ramsés Cüstas dagegen hielt es für „normal“, nun bereits den dritten Sonderstaatsanwalt zu ernennen, um das Verbrechen an Bámaca aufzuklären.

Gericht entscheidet gegen Guerilla

(Guatemala, 4. August 1995, cerigua-POONAL).- Das Oberste Wahlgericht (TSE) Guatemalas wies die Forderung der Guerilla zurück, das Einschreibedatum für die allgemeinen Wahlen im November dieses Jahres zu verlängern. Dies hatte Rolando Morán von der Generalkommandatur der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) vorgeschlagen. Das TSE argumentierte, eine Verlängerung über den 14. August hinaus sei nicht mit dem Gesetz über die Wahlen und die politischen Parteien zu vereinbaren. Gleichzeitig wurde der Protest von María López, Vertreterin der sogenannten Widerstandsdörfer (CPR), bekannt. Sie erklärte, 20.000 Personen der CPR, die ihr Wahlrecht wahrzunehmen wünschten, könnten dies aufgrund fehlender Dokumente nicht tun, obwohl sie die Behörden um die notwendigen Unterlagen gebeten hätten. Sie informierte, seit einem Jahr hätten die CPR die sogenannten Nachbarschaftsausweise verlangt. Von staatlicher Seite habe es jedoch nicht einmal eine Antwort gegeben.

MITTELAMERIKA

Machtkämpfe um Fernsehsender

(San José, 31. Juli 1995, icode-POONAL).- Die Fernsehwelt in Zentralamerika wird durcheinander gewirbelt. Modernisierung heißt das Modewort, mit dem der Streit um Sendefrequenzen, das Geschacher um Fernsehkanäle und das Heranwachsen machtvoller Konsortien etikettiert wird. Die Zuschauer*innen bemerken es: mehr Kanäle, längere Sendezeiten, neues Design und neue Programme. Die Veränderung fällt am meisten in Costa Rica auf. Dort erlangte das Unternehmen REPRETEL innerhalb von zehn Monaten die Kontrolle über drei Fernsehkanäle und investierte etwa sechs Millionen Dollar. REPRETEL wandelte so eine Fernsehlandschaft, die seit dem Auftreten des Mediums Fernsehen im Jahr 1960 von Familiengruppen beherrscht wurde.

In Honduras streiten sich seit dem vergangenen Jahr die Unternehmer José Rafael Ferrari und Jaime Rosenthal um die Besitzrechte für den Kanal 11. Ferrari hat schon die Kanäle 4 und 5 in seinen Händen und besitzt eine Minderheitenbeteiligung an den Kanälen 3 und 7. Die Lizenz für den Kanal 11 ließ er ruhen, bis er sich entschloß, sie dem Staat zu übergeben, damit dieser über einen Bildungssender verfügen sollte. Unterdessen sicherte sich Rosenthal jedoch die Mietrechte für die Sendefrequenz des Kanal 11. Die Folge war eine sofort ausbrechende Feindschaft zwischen beiden Unternehmern. Der Streit ist noch nicht beendet.

In Nicaragua ist der Wandel seit Ende 1994 spürbar. Dort verkündete Telenica Canal 8 am 2. Dezember die Ausweitung seiner Sendezeiten. Seitdem beginnt das Programm um 6.30 Uhr mit internationalen Nachrichten. Im Parlament begann gerade eine Untersuchung über die Privatisierung des Canal 2, dessen Eigentümer Octavio Sacasa ist. Dieser wiederum beschuldigt den Canal 4 der Programmpiraterie. Kritik gibt es auch an der Vergabe der Frequenz für den Canal 10. Offensichtlich soll sie in die Hände eines Ausländers fallen. Das würde das „Regulationsgesetz für den radio-elektronischen Raum“ verletzen. Es verbietet Ausländer*innen, mehr als 49 Prozent eines Kommunikationsmediums zu besitzen. Hinter vielen Konflikten, zumindest in den Fällen von Costa Rica und Nicaragua, wird der mexikanische Unternehmer Angel González vermutet (Dieser ist auch ein bekannter Fußballreporter beim mexikanischen Mediengiganten Televisa. Viele sehen in ihm lediglich einen Strohmann. Die Red.).

Papierpreise steigen: Vielen Zeitungen droht das Aus

(San José, 31. Juli 1995, icode-POONAL).- Die zeitgenössische Presse steht neben dem Wettbewerb mit den elektronischen Medien einer neuen Herausforderung gegenüber. Der Papierpreis stieg um bis zu 70 Prozent. Dies erhöhte den Druck auf Zeitungen und Zeitschriften. Sie müssen sich anpassen oder aufgeben. Die wirtschaftliche Situation der meisten Printmedien ist ohnehin nicht gerade rosig: Sie sehen sich einer ständig wachsenden Konkurrenz elektronischer Medien gegenüber, die Auflagen sinken ebenso wie die Werbeeinnahmen. Und jetzt eine Explosion der Papierpreise, die die Kosten empfindlich in die Höhe treibt. Nicht zufällig versuchen sich die Unternehmer*innen der Druckindustrie seit Jahresbeginn heftig in Zukunftsforschung, um Formen wirtschaftlichen Überlebens in einem feindlichen Umfeld zu finden. Die Überprüfung von Gewohnheiten und traditionellen Praktiken in der Presse führen bereits zu einem veränderten Gesicht der Zeitungen. Etliche Verlage haben bereits ihre Publikationen einstellen müssen, zahlreiche Journalist*innen stehen ohne Job auf der Straße.

LATEINAMERIKA

Die Frauen auf dem Weg (5. und letzter Teil)

– von Lucien Chauvin

(Lima, Juni 1995, noticias aliadas-POONAL).- Was ist die Rolle der Frauen innerhalb der Kirchen und wie definieren die Kirchen die Rolle und die Rechte der Frauen? Diese zwei Fragen werden auf der IV. Weltfrauenkonferenz Anfang September im Peking heftig diskutiert werden. Dabei haben die Frauen nicht nur in der katholischen Kirche einen schweren Stand. So müssen die Priesterinnen der Versammlungskirchen (Asambleas de Dios) in Peru zweimal über ihre Position in der Kirche nachdenken. Derzeit fragt sich die Hierachie dieser Kirche neu, ob die Frauen als Priesterinnen geeignet sind oder nicht – seit Jahrzehnten erlaubte die Institution den Frauen, zu predigen und die pastorale Arbeit zu leisten. Innerhalb der Versammlungskirche gebe es eine Bewegung, die die Rolle der Frau in der Kirche zurückschrauben wolle, warnt die peruanische Priesterin Rosanna Panizo, Leiterin des theologischen Bibelseminars der Methodistenkirche. Sonia Baca, Pastorin der Kirche Gottes und Mitglied des pastoralen Frauenkomitees dieser Kongregation äußert die Sorge, andere Kirchen könnten den Schritten der Versammlungskirchen folgen. „In den Spielräumen, die wir als Frauen haben, arbeiten wir dafür, damit das nicht Wirklichkeit wird. Obwohl wir einer anderen Religionsgemeinschaft angehören, könnte die Entscheidung [der Versammlungskirche] anderen Gruppen als Modell dienen“, meint sie.

Die Debatte über die Rolle der Frau in den Asambleas de Dios in Peru ist nur ein Beispiel für die bestehenden Schwierigkeiten zwischen Frauen, Glaubenseinrichtungen und den Kirchen in Lateinamerika. Panizo sieht in den gegensätzlichen Einstellungen der Kirchen zum Thema eines der Haupthindernisse für Ökumene. Nicht nur zwischen der protestantischen Kirche und der katholischen Kirche, sondern auch innerhalb der Katholischen Kirche sei das Thema umstritten. „In den ältesten oder traditionellen Kirchen ist die Priesterinnenberufung akzeptiert und wird in vielen Fällen gefördert. Aber das hat in gewisser Weise die ökumenischen Beziehungen mit anderen, konservativen Gruppen verschlechtert, wo die Priesterinnenweihe nicht als Möglichkeit betrachtet wird“, erklärt sie.

Der Vatikan blockiert die Diskussion über Gleichberechtigung und die Rechte der Frauen

Auf einem umfassenderen Niveau naht zwischen der katholischen Kirche und der internationalen Frauenbewegung ein erbitterter Kampf um einen der umstrittensten Punkte auf der IV. Weltfrauenkonferenz im September heran. Seit der UNO-Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung 1994 (in Kairo) streiten sich Kirche und Frauengruppen um die Definition des Geschlechterkonzeptes und über die Einbeziehung der Reproduktionsrechte. Als UNO-Mitglied mit Stimmrecht hat der Vatikan zusammen mit einer kleinen Gruppe islamischer und katholischer Länder – aus Lateinamerika Honduras und Nicaragua – auf der Vorbereitungskonferenz für Peking die Diskussion über die Geschlechtergleichberechtigung und Reproduktionsrechte blockiert. Der Vatikan hat Druck ausgeübt, um die Aktionsplattform, die in Peking diskutiert und verabschiedet werden wird, zu ändern. Unter anderem verlangt der Vatikan, die Begriffe „Generus“ und Gleichheit aus dem Konferenztext zu verbannen.

„Wir wohnen einem neuen Versuch des Vatikan bei, zu beschließen, wer nicht nur im Namen der katholischen Frauen, sondern aller Frauen sprechen darf“, meint Francis Kissling. Sie ist die Vorsitzende der Gruppe „Katholikinnen für das Recht auf Entscheidung“, die der Vatikan von Peking ausschließen wollte. Virginia Vargas, die Koordinatorin der Nicht- Regierungsorganisation in Lateinamerika und der Karibik beschuldigt den Vatikan, die Beiträge der Frauen für die Gesellschaft zu ignorieren. Die Einstellung der Kirche zur „innewohnenden und unveräußerlichen Würde der Frau in der Familie“ lassen den Beitrag außerhalb der eigenen vier Wände außer Betracht. Und Ana Elena Badilla, Vertreterin der Friedensstiftung Oscar Arias in Costa Rica meint, der Vatikan verbreite unter den Regierungen die Angst, jede Diskussion über die Reproduktionsrechte werde zu einer Legalisierung der Abtreibung führen. „Ich glaube, diese Angst kann eine Bedeutung für die erreichten Erfolge in Bezug auf andere Rechte wie die Familienplanung und die Sexualerziehung haben“, befürchtet sie. Eine andere Costaricanerin, Ana Isabel García vom Nationalen Zentrum für die Entwicklung von Frau und Familie sagt, die Kampagne aus dem Vatikan könne dazu führen, daß es in Peking überhaupt keinen Fortschritt gebe. „Ich glaube, wir werden nach Peking kommen, nur um einmal mehr die Themen Generus, Reproduktionsgesundheit und nachhaltige Entwicklung zu diskutieren. In diesem Fall ist es unwahrscheinlich, daß die Konferenz einen Fortschritt darstellt, selbst wenn die bisher erreichten Punkte bewahrt werden können.

HAITI

Opposition boykottiert Wahlen

(Port-au-Prince, 29. Juli 1995, hib-POONAL).- Die vergangenen zwei Wochen auf Haiti waren durch eine an Schärfe zunehmende Wahldebatte gekennzeichnet. Bis auf zwei politische Parteien wollen alle anderen Gruppierungen den für den 6. August vorgesehenen 2. Wahlgang boykottieren (am 1. August verschob der Provisorische Wahlrat den 2. Wahlgang um eine Woche auf den 13. August in der Hoffnung, die Opposition werde den Boykott überdenken; die Red.). Auch in den USA wächst die Kritik. Ein Boykott würde die Regierung und den Lavalas-Sektor als auch den US-Unterstützer*innen Probleme verursachen, da die Wahlen vom 25. Juni 1995 noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren würden. Die Parteien üben weiterhin beißende Kritik, stellen die Wahlergebnisse infrage und verlangen den Rücktritt des Provisorischen Wahlrates (CEP). Einige rufen zur Wahlanullierung auf. Unter ihnen stechen jedoch die Parteien und Kleinstparteien hervor, die 1991 den Staatstreich passiv oder aktiv unterstützten und jetzt keinen oder nur wenige der 2.000 Sitze in Parlament, Provinz- und Gemeinderäten gewonnen haben. Die unter dem Namen „Bo Tab La“ angetretene Lavalas-Bewegung von Präsident Aristide gewann drei Viertel aller zu vergebenden Gemeindesitze. Ironischerweise macht dieser Erfolg die Bewegung und den Präsidenten anfällig für Kritik, wie sie beispielsweise von Victor Benoit von der KONAKOM geäußert wird: Lavalas „hat den ganzen politischen Spielraum besetzt… Das ist nicht Demokratie“.

Opposition verlor ersten Wahlgang haushoch

In den USA erschien drei Wochen nach den Wahlen ein 30seitiger Bericht des Carter Centers. Darin werden die Wahlen als „verheerend“ bezeichnet und die Neubesetzung der Hälfte der Posten im CEP empfohlen. Auch von einem neuen Wahlgesetz und der „Vermittlung zwischen den Parteien“ ist dort die Rede. Der ehemalige US-Sondergesandte Lawrence Pezzullo tauchte plötztlich wieder auf und attackierte die Clinton-Regierung. Die New York Times unterstützte das Carter-Papier und sprach sich unter anderem für die Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Port-au-Prince aus, selbst wenn es „technisch nicht erforderlich“ sei.

Um aus der Sackgasse herauszukommen, versuchte Aristide, den Anti- CEP-Block der Parteien aufzubrechen. Nach einem Treffen mit einem halben Dutzend Parteivertreter*innen versprach er eine Lösung „innerhalb von 12 Stunden“. Früh am folgenden Tag flog eine hochrangige US-Delegation ein: der stellvertretende Außenminister Strobe Talbott, US-AID Präsident Brian Atwood und der Abgeordnete Sandy Berger, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates. Der Gesprächsinhalt des Treffens ist unbekannt. Doch am selben Tag traten der als Lavalas-Sympathisant angesehene Wahlrats-Präsident Anselm Remy und das CEP-Mitglied Jean Francis Meriser von ihrem Amt zurück – offensichtlich auf Geheiß aus dem Nationalpalast. Remy wurde durch Dr. Pierre-Michel Sajous ersetzt. Dieser ist ein ehemaliges Mitglied der präsidentiellen Kommission und ein enger Freund von Aristide. Eine Woche vor dem (inzwischen verschobenen) 2. Wahlgang steht die Lavalas-Regierung mit dem Rücken zur Wand. Die Parteien sind in ihrer Haltung starr geblieben und sprechen von kosmetischen Änderungen. Am 28. Juli riefen noch einmal 23 Kleinstparteien zur vollständigen Anullierung des Wahlergebnisses auf. KONAKOM und PANPRA wollen solange boykottieren, bis der Provisorische Wahlrat aufgelöst wird. Die Nationale Front für den Wechsel und die Demokratie (FNCD) will ihre Position noch definieren. In diesem Kontext unternahm Aristide eine Kurzreise nach Port-de-Paix und Cap-Haitien, wo er Versprechungen im Wert von über 50 Millionen Gourdes (derzeit mehr als 3 Millionen US-Dollar) machte. Er rief die Menschen auf, zusammenzuarbeiten, selbst mit denen, die den Putsch unterstützt hatten.

Die zehnte Provinz will wählen

(Port-au-Prince, 27. Juli 1995, hib-POONAL).- Mehr als 300 Haitianer*innen, die im Ausland leben, kamen drei Tage in Port-au- Prince zusammen. Sie repräsentierten in 26 Delegationen die „Organisation der zehnten Provinz“. Haiti hat neun Provinzen, die haitianische Auslandsgemeinde wird oft als „zehnte Provinz“ bezeichnet. Die Delegiert*innen kamen aus der Karibik, Kanada, den USA und Europa zu ihrem III. Kongreß, der erstmals auf Haiti stattfand. Sie diskutierten über ihre Beteiligung in Haitis politischem und wirtschaftlichem Leben. Unter den am Ende geäußerten Forderung befand sich auch die nach dem Recht auf Briefwahl vom Ausland aus. Besonders viele der in den USA lebenden Haitianer*innen gaben ihrem Wunsch nach einer doppelten Staatsbürgerschaft Ausdruck. Fritz Casseus, Minister für die zehnte Provinz, sagte im Interview: „Jeder weiß, daß die zehnte Provinz eine politische Kraft ist.“ Ihre Mobilisierung habe zur Rückkehr von Präsident Aristide beigetragen. Ein JuristInnen-Team sei bereits dabei, ein Gesetz über die Briefwahl auszuarbeiten, das dem neuen Parlament präsentiert werde. Auf dem Kongreß ging es auch um Geld. Koordinator Harry Fouche erklärte, die Auslandshaitianer*innen hätten jedes Jahr mindestens umgerechnet 100 Millionen Dollar an ihre Familienangehörigen geschickt. Premierminister Smarck Michel sagte dazu: „Es sollte nicht so sein, daß 'die Zehnte' immer wieder gibt, ohne etwas zu erhalten.“ Während des dreitägigen Treffens sprachen die Teilnehmer*innen über ihre eigene Rolle und die Möglichkeit, Haitis Armut zu lindern. Auf dem Kongreß war die aktuelle militärische Besetzung jedoch kein Thema. Sie schien die Delegiert*innen nicht zu stören.

PERU

Frauen sitzen im neuen Kongreß in der ersten Reihe

(Lima, August 1995, fempress-POONAL).- Der neue peruanische Kongress hat seine Arbeit am 28. Juli aufgenommen. Die Vorbereitungssitzungen werden zukünftig von drei Frauen geleitet, obwohl sie nur 11 Prozent der Abgeordneten insgesamt ausmachen. Ihre Auswahl war denn auch nicht politischem Willen zu verdanken, sondern einem durch das Regelwerk bedingten Zufall. Danach werden die drei Verantwortlichen für die Vorbereitungstreffen nach den Kriterien ältestes Parlamentsmitglied, jüngstes Parlamentsmitglied und Parlamentsmitglied mit der höchsten Stimmenzahl bei den Wahlen bestimmt. Älteste Abgeordnete ist die 69jährige Linguistin Martha Hildebrandt, jüngste die 29jährige Journalistin Anel Townsend. Die meisten WählerInnenstimmen erhielt Martha Chávez. Sie hat den Spitznamen eiserne Lady von Peru und ist für die Strenge und Intoleranz bekannt, mit der sie auf Meinungen reagiert, die von der der Regierung Fujimori abweichen. Chávez ist die wichtigste Verteidigerin von Fujimori und die eigentliche Präsidentin des Kongresses – ein beispielloses Vorkommnis in der peruanischen Geschichte. Insgesamt sind 13 Frauen in das Parlament gewählt worden.

ECUADOR/PERU

Nach dem Grenzkrieg: Der Ruf nach Vergeltung

– von Lynn F. Monahan

(Lima, Juli 1995, noticias aliados-POONAL).- Die Waffen schweigen im Tropenwald, den Peru und Ecuador Anfang des Jahres in ein Schlachtfeld verwandelten. Doch ein dauerhafter Frieden scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Alles deutet darauf hin, daß beide Seiten die Revanche suchen. Die Verhandlungen, eine entmilitarisierte Zone im Grenzgebiet zu schaffen und eine langfristige Lösung für ihren historischen Konflikt zu finden, verlaufen äußerst schleppend. „Viele Leute glauben, weil der letzte Schuß abgegeben wurde, sei auch der Konflikt zu Ende. Dabei wissen wir alle, daß es nicht so ist“, erklärte erst kürzlich der ecuadoreanische Präsident Sixto Duran-Ballén.

Ecuadors Staatspräsident sonnt sich im Glauben, den Krieg gewonnen zu haben

Die ecuadoreanischen Autoritäten glauben, daß sie den nicht erklärten blutigen Krieg, der im Februar ausbrach, gewonnen haben. Kurz nach dem Waffenstillstand vom 1. März brüstete sich Duran- Ballén vor einer begeisterten Menschenmenge in Guayaquil – der größten Stadt des Landes – damit, Ecuador liege „mit 9 zu 0 in der ersten Halbzeit“ vorne. Er bezog sich damit auf die vier Flugzeuge und fünf Helikopter, die Peru während des Konfliktes verlor. Der Staatschef genoß das Gefühl des Triumphes sichtlich – allzu oft hatte Ecuador in der Vergangenheit erniedrigende Niederlagen gegenüber dem südlichen Nachbarn hinnehmen müssen. Der Präsident und die Militärchefs gaben zu, sich während des vergangenen Jahrzehnts auf den jüngsten Konflikt vorbereitet zu haben. „Ecuador hat bewiesen, daß es nicht mehr bereit ist, sich erniedrigen zu lassen“, erklärte im Mai General Francisco Moncayo. Er fügte hinzu: „Ecuador war vorbereitet, den schlimmsten der Kriege auszutragen… und aus jedem Zentimeter seines Territoriums eine tödliche Falle für denjenigen zu machen, der es wagte, es anzugreifen.“ Ecuador verlegte in dem Grenzgebiet 60.000 Minen, von denen bislang kaum eine entschärft wurde.

Der peruanische Präsident Alberto Fujimori seinerseits hat eine abschließende Lösung des Konfliktes solange als unmöglich bezeichnet, wie Duran-Ballén an der Macht ist. Aber dahinter steht die Einschätzung der peruanischen Militärs, die das Verhalten ihres Präsidenten während des Konfliktes als unbefriedigend betrachten. Den Militärs und Fujimori nahestehende Quellen versichern: Die Streitkräfte können sich mit den Ergebnissen nicht abfinden. „Sie sind begierig nach einer Art Rache. Das ist bei den Streitkräften ganz deutlich“, meint der Militär-Experte Enrique Obando. Laut Obando gibt es drei Aspekte bei der Handhabung des Konfliktes, die den peruanischen Militärs nicht passen. Erstens sind einige Offiziere überzeugt, es habe dem Land an „politischem Willen“ gefehlt, den Streit über die Grenze hinaus auszutragen und ecuadoreanische Positionen nahe der Kampfzone zu bombardieren. Zweitens sind sie unzufrieden mit der geringen Schlagkraft der Streitkräfte und beklagen die erbärmliche Ausrüstung der Truppen. „Die letzten zehn Jahre haben die Streitkräfte unbedeutende Haushaltsanteile für die Instandhaltung der Bewaffnung erhalten“; versichert Obando.

Der Experte nennt einen letzten Punkt, der die Offiziere frustriert hat. Dabei geht es um die internationale Wahrnehmung, das Militärkommando habe die Lage schlecht gemanagt. Sie meinen, die peruanischen Streitkräfte sind professionell und gut vorbereitet. Zwar sagt Obando, trotz der Eindrücke, die beide Seiten vermitteln, habe niemand den Krieg gewonnen oder verloren. Doch mit dieser Einschätzung trifft er auch im eigenen Land auf heftige Kritik. Der peruanische Analyst Fernando Rospigliosi bezeichnete den Ausgang des Konflikts als auf die schlimmste Niederlage Perus seit 1879, als das Land von Chile im Pazifikkrieg erdrückt wurde und einen Gutteil seines Gebietes verlor. Für Rospigliosi ist die Verurteilung drei hoher Offiziere im Ruhestand, die das militärische Verhalten kritisiert hatten, ein Versuch, „definitiv einen Mantel des Schweigens über den Konflikt auszubreiten und die Verantwortung von Fujimori und der Militärspitze zu verdecken“. Für ihn ist die ecuadoreanische Bedrohung „eine Realität“. Er glaubt: „Keine von der Regierung geförderte hurrapatriotische Illusion kann das ändern… Die Spannungen mit Ecuador sind keineswegs überwunden.“

Der Krieg der Nachbarn hat die Möglichkeit eines Rüstungswettlaufes in der Region erhöht. Obwohl die USA und die Mehrheit der europäischen Länder ein Waffenembargo gegen Ecuador und Peru verhängten, als der Kampf ausbrach, versiegte der Nachschub an Kriegsmaterial nicht. Vor allem bei osteuropäischen Waffenschmieden bedienten sich die Kontrahenten. Manche Expert*innen glauben zwar nicht daran, daß beide Seiten sich mit schwerer Ausrüstung wie Flugzeugen und Panzern versorgen. Aber alles deutet darauf hin, daß die Waffen- und Munitionslager neu aufgefüllt werden. Nur der Peruaner Enrique Bernales teilt diese Ansichten nicht. Für ihn gibt es keinen Beweis dafür, daß die peruanischen Militärausgaben das normale, für Ersatz und Neuanschaffung notwendige Volumen überschreiten. Und die ecuadoreanischen Militärs wüßten – trotz der Kommentare von Moncayo – daß sie einen totalen Krieg mit Peru nicht gewinnen könnten. „Im Grunde wird (dort) versucht, eine international unbequeme Situation (für Peru) zu schaffen; eine gewisse Sympathie, ein gewisses internationales Mitleid mit Ecuador zu fördern“, sagt Bernales. Mit dieser Sympathie werde Ecuador versuchen, durch internationalen Druck Peru zu einer „liebenswürdigen Abtretung“ seines Territoriums zu bewegen.

ARGENTINIEN

Schlechte Wirtschaftslage

– von Valeria Zapesochny

(Bünos Aires, Juli 1995, sem-POONAL).- Der Handel in Argentinien hat in den ersten Monaten des Jahres beträchtlich abgenommen. Im ersten Vierteljahr gingen mehr Geschäfte bankrott als im gesamten Vorjahr. Die Vereinigung der argentinischen Handelskammern schätzt, daß von Januar bis Anfang April etwa 42.000 Geschäfte ihre Türen schlossen. Bei ungefähr 12.000 Neueröffnungen bleibt immer noch ein Minus von 30.000. Die Kehrseite des Anpassungs- und Umwandlungsplanes unter der ersten Regierung Menem (1989-1995) wird jetzt voll spürbar.

Während der ersten Jahre des Plans erlebten die Bürger*innen eine goldene Zeit: die Währungsstabilität ermöglichte die Kreditaufnahme und als Folge stieg der Konsum. Jetzt ist die Privatisierung der staatlichen Dienstleistungen abgeschlossen und der Staat kann daraus keine Einnahmen mehr erzielen. Auslandskapital kommt weniger nach Argentinien als früher. Dazu kamen die Auswirkungen des mexikanischen „Tequila-Effektes“ auf die eigene Wirtschaft. Menem wurde trotzdem im Mai wiedergewählt. Wochen später kündigte er an, die kommenden Monate wären „schwierig“ für die argentinische Wirtschaft. Er bat die Bürger*innen, die Anstrengungen zu verstärken. Die „schwierige Situation“ hat die Arbeitslosigkeit nach offiziellen Angaben auf 18,6 Prozent steigen lassen.

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