Poonal Nr. 203

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 203 vom 25. Juli 1995

Inhalt


GUATEMALA

HAITI

CHILE

LATEINAMERIKA

MEXIKO


GUATEMALA

UNO: Kriminelle Militärs genießen meist Straffreiheit

(Guatemala 17 Juli, cerigua-poonal).- Militärs, die in Menschenrechtsverletzungen begangen haben, müssen in Guatemala nur selten strafrechtliche Folgen befürchten. So lautet das Urteil in einem Bericht der UNO-Mission in Guatemala (MINIGUA), der sich auf den Zeitraum von 21. Februar bis 21. Mai dieses Jahres bezieht. Das Rechtssystem funktioniere nicht, vor allem Straftaten der Militärs blieben meist ungeahndet, sagte der Guatemalabeauftragte Leonardo Franco. Die „Unzulänglichkeit des Rechtssystems führen zu einer Leugnung des Rechts“, heißt es in dem Bericht.

Die UNO-Mission wiederholte ihre Forderung an Präsident Ramiro de León, die illegalen bewaffneten Gruppen, in denen zahlreiche Militärs und Polizisten vertreten sind, zu bekämpfen. Die Einschüchterung und Bedrohung der Bevölkerung durch Militärs und paramilitrische Zivilpatrouillen (PAC) hätten nicht nachgelassen. Die UNO äußerte sich auch besorgt über die Situation einiger Journalist*innen. Sie forderte die guatemaltekische Regierung auf, das Leben und die Integrität der Journalist*innen zu schützen. Zusammenfassend stellt die MINIGUA fest, daß das Recht auf Leben das nach wie vor am häufigsten verletzte Menschenrecht in Guatemala ist: von Februar bis Mai dieses Jahres erielt die UN- Mission 365 Anzeigen über illegale Hinrichtungen und Todesdrohungen.

Verteidungsminister weist UNO-Kritik an den Streitkräften zurück

(Guatemala 19. Juli, cerigua-poonal) Der guatemaltekische Verteidigungsminister, General Mario Enríquez, hat am 19.Juli die Behauptung der UNO-Mission in Guatemala (MINIGUA) zurückgewiesen, im Land orperierten illegale bewaffnete Gruppen, denen „Agenten des Staats“ angehörten. Der neue Sprecher der Streitkräfte, Oberst Guillermo Caal Dávila, enthielt sich jeder Stellungnahme und wies darauf hin, daß einzig dem Präsident Ramiro de León zustünde, den MINIGUA-Bericht zu kommentieren. Der Verteidigungsminister räumte ein, daß sich die Anzeigen von Menschenrechtsverletzungen in den letzten Monaten gehäuft hätten; er bestritt jedoch vehement, daß es sich dabei um eine „Säuberungsmaßnahme seitens der Sicherheitskräfte des Staates“ handeln würde.

Flüchtlinge fordern Fortsetzung der Hilfsleistungen

(Guatemala 19 Juli, cerigua-poonal) Unterstützergruppen der gutemaltekischen Flüchtlinge haben die Welthungerhilfe der Vereinten Nationen (PMA) am 19. Juli aufgefordert, die Hilfsmittel für die 45.000 guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko nicht zu streichen. Helmer Velázquez, Vertreter des Zusammenschlusses der NGO's und Kooperativen, die die Rückkehr der Vertriebenen unterstützen, warnte in einem Bericht an Alberto Fioravanti, den geschäftsführenden Direktor der PMA-Sektion Guatemala, vor den schlimmen Folgen, die die Einstellung der Hilfszahlungen hervorgerufen würde. Die Einstellung der Ernährungshilfe durch die PMA würde mehr als 45.000 Menschen in eine schwere Krise stürzen. Die Gruppen weisen darauf hin, daß der Prozeß der Rückführung der Flüchtlinge nach wie vor durch die militärischen Auseinandersetzungen beinträchtigt und durch die guatemaltekische Regierung behindert werde. Die Regierung weigert sich bislang, den Flüchtlingen Kredite zur Verfügung zu stellen, damit sie Land für die Rücksiedlung kaufen können.

Leiche eines ermordeten Gewerkschafters gefunden

(Guatemala 14. Juli 1995, cerigua-poonal) Am Donnerstagmorgen wurde die Leiche des am 31. März diesen Jahres entführten Generalsekretärs der Straßenarbeitergewerkschaft (Trabajadores de Caminos) von Chiquimula, Leonel Anibal Girón, auf einem geheimen Friedhof dieses Departements gefunden. Familienmitglieder des 33- jährigen Gewerkschafters sagten aus, daß sie nach mehrstündiger Suche auf das Grab gestoßen seien. Die von ihnen informierten zuständigen Beamten hätten die Exhumierung im Beisein von Vertretern der UNO-Mission in Guatemala (MINIGUA) vorgenommen. Während der letzten Wochen wurden eine Reihe von illegalen Hinrichtungen registriert, zu den Opfern zählt unter anderen der Geistliche Manuel Saquic, Koordinator des „Widerstand der Mayas“.

HAITI

BäuerInnenorganisation verurteilt Straffreiheit

(Port-au-Prince, 14. Juli, hib-poonal) Die BäuerInnenorganisation Tet Kole Ti Peyizan („Kleinbäuer*innen, steckt die Köpfe zusammen“) hat die im Land vorherrschende Straffreiheit für zahlreiche Gewaltverbrecher kritisiert. Die Pressekonferenz war ein Teil der Vorbereitungen für den achten Gedenktag des Massakers an Mitgliedern der Organisation in Jean Rabel. In den achtziger Jahren organisierte Tet Kole die Landarbeiter*innen im Kampf gegen die Großgrundbesitzer*innen. Die Bäuerinnen forderten eine bessere Gesundheitsversorgung, Bildung und landwirtschaftliche Dienstleistungen.

Das Massaker, dem damals 139 Landarbeiter zum Opfer fielen, wird von der Tet Kole den Privatarmeen der Großgrundbesitzer*innen zugeschrieben, die von der katholischen Kirche und „anderen Ländern“ Unterstützug erhalten hätten. Dem Massaker folgten weitere Morde in anderen Teilen des Landes, die sich, nach Aussage der Tet Kole, eindeutig gegen die Organisationen richteten, die sich gegen die Herrschaft der Agraroligarchie auflehnten. Nach dem Staatsstreich gegen Präsident Aristide verstärkten sich die Repressionen, denen unter anderem Jean Claude Musseau und Jean Marie Vincent (einer der Priester, die Tet Kole gründete) zum Opfer fielen. Die Verantwortlichen für diese Morde sind bis heute nicht bestraft worden. Während der Pressekonferenz sagte eine Frau:“ Ein Massaker bedeutet nicht nur, daß Menschen ermordet werden; es steht auch für niedergebrannte Häuser, gestohlenes Land, tote Tiere, etc. Frauen verloren ihre Männer, Männer ihre Frauen, Kinder wurden Waisen und können nun nicht mehr zur Schule gehen und haben nichts zu essen. Angst breitet sich aus und hält die Menschen davon ab, sich zu organisieren.“

Tet Kole sprach sich auch gegen die neoliberale Politk der Regierung aus, da einheimische Produkte wie Reis, Bohnen, Hühner und Getreide von billigen Importwaren verdrängt würden. Auch die sogenannte „Justizreform“, bei der „korrupte Richter von internationalen Spezialisten auf den neusten Stand gebracht werden“, wurde scharf angegriffen. Als Beispiel für mangelnde Gerechtigkeit wird der Fall von Nicole Poitviens and Prosper Gentilehomme, genannt, die 1991 aufgrund ihrer Beteiligung am Massaker in Jean Rabel inhaftiert wurden, nach dem Staatsstreich aber wieder entlassen wurden und nun „frei herumlaufen“. Kann eine Gesellschaft ohne Gerechtigkeit leben, sich weiterentwickeln, wenn auf der einen Seite von Demokratie gesprochen wird und auf der anderen Seite Mörder frei herumlaufen?

CHILE

Gleichberechtigung oder feministischer Totalitarismus

– von Vivana Erazo

(Juli 1995, fempress-poonal).- Der von der Nationalen Frauenstelle (SERNAM) erarbeitete Gleichberechtigungsplan (1994-99) ist zwar längst gültiger Bestandteil der chilenischen Politik, wird aber nach wie vor von konservativen Kräften scharf angegriffen. Dies gipfelt derzeit in eine Kampage, die den Plan nicht nur in Frage stellt, sondern ihn vollkommen verdreht. Die Stiftung „Freiheit und Entwicklung“ ordnet das Gleichberechtigungsprogramm einer femministischen Strömung zu, die eine ideologische Kampagne führe. In dem von der Stiftung veröffentlichten Artikel „Plan der SERNAM für die Frau: Gleichberechtigung oder feministischer Totalitarismus?“, den kürzlich die einflußreiche, rechtsstehende Zeitung „El Mercurio“ veröffentlichte, wird die Feststellung des Gleichberechtigungsplans, daß die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sozialen Ursprungs seien, d.h. keine natürliche Grundlage hätten und deshalb abgeschafft werden müßten, damit eine Gleichberechtigung zwischen den Geschechtern geschaffen werde, scharf angeriffen. Für die Verfasser des Artikels ist der Begriff „Chancengleichheit“ ein irriges Konzept, welches schwere Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen damit rechtfertige, die absolute Gleichheit von Mann und Frau erzielen zu wollen.

Konservative: Gleichberechtigung ist Verstoß gegen die von der Natur geschaffene Ordnung

Die Kommentare ließen nicht auf sich warten. Parlamentarierinnen, Akademikerinnen und Vertreterinnen der Frauenbewegung äußerten ihre Missbilligung angesichts dieser Welle von Konservativismus, der zwanzig Jahre Frauenbewegung zu ignorieren versuche. Der Zusammenschluß von chilenischen Gruppen in Vorbereitung auf die IV. Weltfrauenkonferenz in Peking erinnerte in einem Brief an den Mercurio daran, daß Chile sich offiziell längst zur Gleichberechtigung bekannt habe. Zum Absschluß der dritten Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi habe Chile (wie weitere 156 Länder auch) die Erklärung unterzeichnet, in der die soziale, ökonomische, politische und kulturelle Diskriminierung der Frauen als Hauptgründe für die mangelnde Gleichberechtigung der Geschlechter anerkannt wurde. In der Erklärung sei – anders als heute – nicht der Versuch gemacht worden, die Benachteiligung von Frauen auf physiologische Unterschiede zurückzuführen.

Rosalba Todaro, Direktorin des Zentrums für Frauenstudien, sagte, das Ziel des Gleichberechtigungsplans bestehe entgegen anderslautender Äußerungen der Stiftung für Freiheit und Entwicklung darin, die freie Entscheidung von Männern und Frauen zu gewährleisten. Dabei sei die Politk der Chancengleichheit nicht als ein in sich geschlossenes Modell zu verstehen, sondern als ein Fächer von Möglichkeiten für die Entwicklung der Potentiale und somit des freien Willens der Menschen. Die Stiftung „Freiheit und Entwicklung“ dagegen behauptet weiterhin, die Forderung nach Gleichberechtigung sei eine Vergewaltigung der von der Natur geschaffenen Tatsachen. Der Gleichberechtigungsplan sehe sogar vor, daß das Rollenverständnis von Frau und Mann auch in der Schule und in den Unterrichtsmaterialien neu überdacht werden solle.

Antiquiertes Rollenverständnis in den Schulbüchern

Die Soziologin Virginia Guzmán verteidigte diesen Schritt. Im chilenischen Schulunterricht würden Rollenbilder vermittelt, die unterschiedliche Aktivitäten für Männer und Frauen vorgeben und das Handlungsfeld für Frauen einschränke. In Unterrichtbüchern würden Jungen angehalten, ihre Gefühle zu verbergen und sich durchzusetzen; der Selbstbehauptungswille von Mädchen dagegen werde in Frage gestellt. Auf die Anschuldigung der Stiftung, daß die SERNAM dem Staat erlaube, in die Privatsphäre der Menschen einzudringen, um ihre Verhaltensmodelle durchzusetzen, antwortete Guzmán, daß es sich nicht darum handele, daß der Staat homogene Inhalte und Verhaltensnormen aufzwinge, sondern daß man eingreife, um die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu gewährleisten; dies lasse sich in eine Vielzahl verschiedener Ideen, sozialer Positionen und Seinsformen übersetzen, die perspektivisch gesehen die Möglichkeiten zur Entwicklung und einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft bergen.

LATEINAMERIKA

Frauen auf dem Weg (Teil III)

– von Valeria A. Bollero, Thaís Aguilar und David Wayne

María Julia ist eine 34jaehrige Frau, die seit zwei Jahren in einer Gruppe gegen haeusliche Gewalt mitmacht. Sie ist groesser als 1,70 Meter und duerfte mehr als 90 Kilo wiegen. Ihre starke Gestalt laesst schwer daran glauben, dass sie unter einem agressiven Ehemann leidet. „Ich verheiratete mich mit einem Typen, der aussergewoehnlich zu sein schien. Doch als ich mit unserem ersten Kind schwanger war, fingen die Schlaege an. Wir trennten uns mehrmals, machten eine Partnertherapie mit und ich glaubte wirklich, es wuerde nicht mehr vorkommen. Aber als ich eines Tages von der Arbeit zurueckkam, bemerkte ich, dass er eines meiner Kinder geschlagen hatte. Der Schlag, den er meinem Sohn auf den Ruecken gegeben hatte, liess diesen geschaedigt zurueck. Heute hat mein Sohn weder in einem Arm, noch in einem Bein und den Geschlechtsteilen ein Gefuehl. Er beschaeftigt sich damit, Morphin zu spritzen, damit er die Schmerzen beruhigen kann“, erzaehlt María Julia. Nach dem Ereignis mit ihrem Sohn wusste die Mutter, dass sie nicht laenger abwarten konnte. Sie wollte ein gerichtliches Vorgehen, doch alles fing mit einer langen Liste buerokratischer Vorgaenge an. „Ich ging zum Kommissariat meiner Zone, doch dort sagten sie mir, sie koennten meine Anzeige nicht aufnehmen. Daraufhin ging ich zum Frauenkommissariat, aber die schickten mich zum Gericht fuer Minderjaherige. Bei Gericht erklaerten sie mir, es sei sehr schwierig, das Gesetz in die Praxis umzusetzen. Sie rieten mir, mich ans Fernsehen zu wenden, damit mein Fall oeffentlich werde. Ich wollte jedoch meinen Sohn nicht blossstellen. Er verbirgt seine Geschichte vor den Schulkameraden“, so María Julia.

Gewalt gegen Frauen in Argentinien

Faelle wie dieser wiederholen sich haeufig. Dennoch koennte sich das Panorama binnen kurzer Zeit aendern: Am 14. Dezember 1994 stimmten beide gesetzgebenden Kammern Argentiniens fuer das Gesetz ueber haeusliche Gewalt, mit dem das bis dahin existierende Vakuum ausgefuellt werden koennte. Das neue Gesetz hat die koeperliche oder seelische Misshandlung, die von einem Familienmitglied begangen wird und sich „innerhalb der Ehe oder einer festen Partnerschaft (unión de hecho)“ abspielt, zum Inhalt. Die Strafen reichen von einem Monat bis zu einem Jahr Haft fuer die verantwortliche Person. Absicht ist es joedoch in erster Linie, dem Aggressor eine Behandlung zu geben, damit er sich wieder ins Familienleben eingliedern kann, nachdem er sein Problem ueberwunden hat. Waehrend dieser Zeit koennen die Richter*innen diese Person von zuhause verbannen oder ihr den Zugang zum Arbeits- oder Studienort des Opfers verbieten. Das Gesetz gibt den Richter*innen Moeglichkeiten, zu garantieren, dass das wegen seiner persoenlichen Sicherheit geflohene Opfer in seine Wohnung zurueckkehren kann. Das Gericht kann der Familie waehrend dieser Zeit wirtschaftliche und psychologische Hilfe bewilligen. Fuer Virginia Franganillo, die Vorsitzende des Nationalen Frauenrates „ist dieses Gesetz eine erste Massnahme. Wir muessen abwarten, ob es angewendet wird und wirklich korrigierend wirkt“.

Costa Rica: Gesetze? Wofür?

Sechs Monate, nachdem er von seiner ehemaligen Lebensgefaehrtin Lorena Salazar Vargas getrennt war, zu zwei Geldstrafen wegen koerperlichen und seelischen Missbrauchs verurteilt wurde, erwuergte der 30jaehrige Luis Araya Boza die vier Jahre aeltere Krankenschwester und Mutter von drei Kindern. Lorena war wie viele andere Frauen Costa Ricas mehrmals zu den Gerichten gegangen, um die Gewalt gegen sich sich anzuzeigen. Sie wurde nicht gehoert. Nach den Angaben der Nicht-Regierungsorganisation CEFEMINA, die ein Projekt fuer angegriffene Frauen leitet, wurden 1994 und 1995 bisher vier Frauen, die beim Zentrum die haeusliche Gewalt angezeigt hatten, durch ihre Peiniger getoetet. Die lebenden Frauen weisen unausloeschbare Wunden im Gesicht und an anderen Koerperstellen auf – schlagkraeftige Beweise fuer die von ihnen erlebte Gewalt.

Eine Gruppe von Anwaeltinnen und Wissenschaftlerinnen untersuchte kuerzlich die Gesetze und die Politik gegenueber den Frauen in Costa Rica. Ihr Ergebnis: Trotz verschiedener Regelungen, die die koerperliche Unversehrheit der Costarikanerinnen schuetzen und foerden sollen, machen die Buerokratie, die fehlende Sensibilitaet und die Unkenntnis von Anwaelten, Staatsanwaelten und Richtern bezueglich der entsprechenden Gesetze, sowie der geringe Informationsstand der Buerger*innen die Regeln kaum anwendbar. Zudem ist der Widerspruch zwischen dem Inhalt der Gesetze und ihrer angemessenen Anwendung durch die Polizei und das Gerichtswesen offensichtlich. Dies stellt zumindest die Anwaeltin Zaira Salazar Castro von der 1990 gegruendeten Frauenbehoerde fest. Es ist gewoehnlich, dass die Polizei sich in Faellen von haeuslicher Gewalt weigert, zur Verteidigung des Opfers einzuschreiten. Sie fuehrt dann an, es fehle an einem Hausdurchsuchungsbefehl. Ana Garita aus dem Vorstand der AnwaeltInnenvereinigung Costa Ricas, beklagt, dass das Gesetz die Frau und ihre Kinder, die Opfer der Gewalt geworden sind, zu einem muendlichen und oeffentlichen Prozess verpflichtet, bei dem auch die Gegenwart der Kommunikationsmedien erlaubt ist. Diese unnoetige Zurschaustellung trifft mit einem oft geringen Selbstwertgefuehl zusammen. Das fuehrt dazu, dass die Frauen am Ende glauben, sie seien die Hauptschuldigen der von ihnen erlittenen Gewalt. Die costarikanische Anwaeltinnenvereinigung erreichte zumindest ein Gesetz, das das Justizwesen verpflichtet, sein Personal fuer Prozesse auszubilden, in denen es um Gewalt gegen die Frau geht. Seit 1993 gibt es Ausbildungskurse, die auf diese Fälle vorbereiten.

Frauen und Prostitution in Peru

Ist ein Geschlechtsverkehr zwischen zwei Personen mit der Zustimmung beider sexuelle Ausbeutung oder handelt es sich einfach um eine Form der Arbeit? Wie die Definition, die der Prostitution gegeben wurde, auch lautet – das Leben der lateinamerikanischen Prostituierten ist eine schmerzliche Realität. Verborgen hinter einem geparkten Auto, mit Minirock und leuchtender Bluse bekleidet, wartet María Teresa darauf, dass die Polizeipatrouille vorbeifaehrt, damit sie an ihren Arbeitsplatz an einer Strassenecke zurueckkehren kann. Klein und duenn, mit langem gewellten Haar, grossen Augen, schlechten Zaehnen und ihrem aggressiven Gehabe, sprechen ihr Erscheinungsbild und ihre Haltung von den riesigen Stadtvierteln der peruanischen Hauptstadt Lima und der Armut und Diskriminierung, die in ihnen herrscht. Einige werden erduldend, andere aggressiv. María Teresa hat sich fuer die zweite Option entschieden. Fest und sicher auftretend erscheint sie am wenigsten ein Opfer zu sein, waehrend sie beim ersten Anzeichen von einem Problem etwas in ihrer Tasche sucht. „Wie alt bist Du?“ fragt sie der Interviewer. „Vierzehn“, antwortet sie. „Nein, wirklich“, hakt der Frager nach. „Neunzehn“, sagt sie. Dabei kommt es ihr nicht in den Sinn, einem potentiellen Kunden die Wahrheit zu sagen. Hart, jede Schwaeche beobachtend, um den Preis zu erhoehen, scheint sie die Ausbeuterin und nicht die Ausgebeutete zu sein. Doch in ihrem Haus hat sie einen Sohn, die Mutter, einen Bruder. Von ihrem Vater, von dem sie nicht weiss, wo er sich aufhaelt, haengt ein Foto an der Wand. Sie gibt zu, dass sie nachts oft weint. Sie ist die einzige Einkommensquelle der Familie. Den groessten Teil des Tages kocht sie, waescht sie Waesche, passt auf das kleine Kind auf und reinigt das einzige Zimmer, in dem die gesamte Familie in Villa El Salvador, dem bevoelkerten Stadtviertel im Sueden Limas wohnt.

María Teresa wuerde nicht sagen, wer sie schwaengerte, nur dass er sie verliess. Mit fuenfzehn Jahren. Ungeschuetzt und mit einem Kind ueberzeugte eine Freundin sie, dass sie viel Geld durch die Arbeit in einem Bordell verdienen koennte. Später verliess sie es, um auf eigene Rechnung in den Strassen zu arbeiten. In der Hierachie des Machismo, der die Frauen in Jungfrauen, verheiratete Muetter oder Huren einteilt, nimmt sie den letztgenannten Platz ein. Die taegliche Gewalt und der Missbrauch, die Frauen wie María Teresa erfahren, kommen nicht nur von den Kunden, sondern auch von den „ehrbaren“ Maennern, fuer die sie „nur Huren“ sind. Und von der Polizei, die sie fuer gewoehnlich ausraubt, misshandelt und erniedrigt. Die Prostitution ist in Peru in Bordellen mit Lizenz erlaubt. Doch die Mehrheit der Prostituierten arbeitet illegal, ohne irgendwelche Rechte.

Vielleicht als Reaktion auf diesen fehlenden Respekt hat María Teresa ein grosses Beduerfnis, zu beweisen, dass sie „eine gute Mutter“ ist. Zuhause ist sie nicht mehr die harte Person von der Strasse. Ihr nervoeser Stolz ueber das saubere Gesicht ihres Sohnes kontrastiert mit der Haerte, mit der sie sich in der Strasse bewaffnet. „Die Gesellschaft foerdert den fehlenden Respekt und den Missbrauch gegen die Prostituierten, nachdem sie den Frauen diese Rolle gegeben hat“, versichert die Nonne Rosa Dominga Trapasso vom Maryknoll-Orden. Die Nonne ist Feministin und koordiniert in der Bewegung „El Pozo“ (der Brunnen), die im Zentrum von Lima mit Prostituierten arbeitet. Fuer Trapasso ist die Prostitution ein Reflex der Abhaengigkeit der Frau und ihrer niedrigen Selbstschaetzung. „Das Problem muss auf der Gesellschaftsebene angefasst werden, indem die Rolle der Frau und die Einstellungen, die sie in ein Objekt verwandeln und ihr Selbstbewusstsein klein machen, veraendert werden“, meint die Nonne. „Die Arbeit mit ihnen muss den Nachdruck auf die Staerkung ihres Selbstvertrauens legen. Die Frauen werden sexuell und seelisch missbraucht, seit sie Maedchen sind. Sie werden darauf abgerichtet, sich als von geringerem Wert als die Maenner anzusehen und deswegen die Ausbeutung und die Gewalt durch ihre männlichen Begleiter zu akzeptieren.“

María Teresa hat zwei bis drei Kunden pro Nacht, von denen sie durchschnittlich 70 Soles (etwa 31 US-Dollar) bekommt. Damit ist sie in der Spitzengruppe auf dem Prostitutionsmarkt. In den zahlreichen Bordellen und „Massagezentren“ berechnen die Frauen von fuenf Soles an aufwaerts und haben mit ein bis zehn Maennern pro Nacht Geschlechtsverkehr. Trapasso hat mit Prostituierten zusammengearbeitet, die noch mit 60 Jahren berufstaetig waren. Eine Frau hatte Kunden noch wenige Tage bevor sie ein Kind bekam. Ihrer Aussage nach hat keiner dieser Frauen Freude an der Arbeit. Die Prostitution leite sich vom Beduerfnis des Mannes ab, Macht zu haben, zu beherrschen und zu verletzen. Die Antwort der Frauen nach dem Warum ist immer die gleiche: wirtschaftliche Notwendigkeit. Die Prostituierten sind oft alleinerziehende Muetter und leben in einer Gesellschaft, die wenig Arbeitsalternativen anbietet. Von Arbeitslosigkeit und Unterbeschaeftigung sind in Peru mehr als 80 Prozent der oekonomisch aktiven Bevoelkerung betroffen. 50 Prozent der Peruaner*innen leben in Armut, so das Umfrageinstitut „Cuanto S.A.“. Die machistische Haltung hat das Verlassen der Familie zu einem grossen Problem werden lassen. Und obwohl die Prostituierten verachtet werden, ist die Prostitution selbst akzeptiert. Die Mehrheit der maennlichen Jugendlichen hat laut Trapasso ihre erste sexuelle Erfahrung mit einer Prostituierten. Einige werden mit 14 oder 15 Jahren vom Vater oder Lehrer dorthin gebracht, um sich zu vergewissern, dass sie „normal“ erwachsen werden. Einige wollen glauben mache, die Prostitution diene zur Vorbeugung von Vergewaltigungen und schuetze die „guten Maedchen“ vor den maennlichen Beduerfnissen. In diesem Zusammenhang ist es absurd, von der Prostitution als einer freiwilligen Option fuer die Frauen zu sprechen. Eher handelt es sich um ein Ueberlebensproblem. „Die Prostitution gibt es nicht aufgrund der Armut, sondern weil sie ein Produkt ist, das verkauft werden kann“, schliesst Trapasso.

MEXIKO

Grotten-Dinosaurier

(Mexiko-Stadt, Juli 1995, POONAL).- Wenn in Mexiko von den Dinosauriern die Rede ist, ist normalerweise klar: gemeint ist die alte Politikergarde, die immer noch viele Faeden in der Hand haelt. Angefangen beim 95jaehrigen Gewerkschaftspatriachen Fidel Valázquez, gibt diese einen stattlichen Jurassic Park ab. Doch in den vergangenen Wochen machten andere Dinosaurier den Politikern die Aufmerksamkeit in der Oeffentlichkeit streitig. Die Wochenzeitschrift „Proceso“ enthuellte die Plaene des kanadischen Geschaeftsmannes Barry Sendel. Dieser moechte mit bis zu 25 Millionen kanadischen Dollar die Grotten von Cacahuamilpa im mexikanischen Bundesstaat Guererro zu einem Technikpark mit Dinosauriern, einem riesigen Insektenhaus und einem Planetarium umwandeln. Dem „Proceso“ versprach er „das achte Weltwunder“. In keinem anderen Land der Erde wuerde es etwas Vergleichbares geben, so der Unternehmer. Seine Begeisterung fuer zwischen zehn und 20 Meter hohe, computergesteuerte „Grotten-Dinosaurier“ findet nicht ungeteilte Zustimmung. Besonders nicht, seitdem bekannt ist, dass das mexikanische Umweltministerium unter Fuehrung von Julia Carabias dem Kanadier im Rahmen des Privatisierungsprogrammes der Regierung fuer die 44 Nationalparks bereits im April 1995 eine Konzession fuer 50 Jahre verliehen hat.

„Allergrößte Dummheit“

Das weitlaeufige Grottensystem, von kleinen Fluessen durchzogen, entstand wahrscheinlich vor weniger als 3 Millionen Jahren, schaetzt der Geografieprofessor Eduardo Pérez Torres von der staatlichen Universitaet UNAM. Seit 25.000 Jahren nutzten die Menschen die Grotten wohl schon als Schutz. 1936 wurden sie zum Nationalpark erklaert und sind in den vergangenen Jahren Ziel zahlreicher Touristenbesuche gewesen. Eines jedoch ist sicher: Dinosaurier beherbergten die Grotten nie, denn diese Tiere starben vor etwa 60 Millionen Jahren aus. Der Geograf Torres bezeichnet die moegliche Installierung der kuenstlichen Riesengeschoepfe daher im „Proceso“ als „die allergroesste Dummheit“. Er wie andere befuerchten den Verlust eines nationalen Erbes, wenn die sich noch immer formierenden Grotten in private Haende abgegeben werden. Fuer die Bundes- und die Bundesstaatsregierung scheint dagegen das Geld zu zaehlen. Wegen fehlender Mittel sind die staatlichen Nationalparks allgemein nicht in gutem Zustand. Der Kanadier und seine Geschaeftspartner versprechen der Regierung dagegen ab dem fuenften Jahren Zahlungen von mehr als 3 Millionen Pesos jaehrlich und neue Arbeitsplaetze. Da sieht auch das staatliche Oekologie- Institut die positiven Seiten und erklaert, der Unternehmer werde die Umwelterziehung foerdern.

Ausser kritischen Stellungnahmen hat es von den Umweltschuetzern bisher keine groesseren Proteste gegeben. Die groesste Gefahr droht Sendel und seinen Dinosauriern bisher von einer Gruppe kleiner Geschaeftsleute aus der Gemeinde Pilcaya, die in der Naehe des Grotteneinganges von den Touristen lebten. Sie fechten die Konzessionsverleihung aus verfassungsrechtlichen Gruenden an. Eine einstweilige Verfuegung gegen die Konzession verweigerte der zustaendige Richter. Dennoch ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Eine endgueltige Entscheidung koennte es in diesen Tagen geben. Es sieht jedoch nicht so aus, als ob die Grotten von Cacahuamilpa noch lange eine dinosaurierfreie Zone bleiben.

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