Poonal Nr. 181

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 181 vom 21.02.1995

Inhalt


MEXIKO

MEXICO

MEXIKO

HAITI

ARGENTINIEN

LATEINAMERIKA

NICARAGUA

GUATEMALA

URUGUAY

BRASILIEN


MEXIKO

Proteste in Mexiko weiten sich aus

(Mexiko-Stadt, 19. Februar 1995, POONAL).- Der mexikanischen Regierung weht bei ihrer Chiapas-Politik ein zunehmend kalter Wind ins Gesicht. Am Samstagabend protestierten erneut über hunderttausend Menschen auf dem Zocalo, dem Platz vor dem Nationalpalast, gegen die Regierung und für den Frieden in Chiapas. Es war bereits die dritte Großdemonstration innerhalb einer Woche. Die Zahl kleinerer Protestaktionen scheint beständig zuzunehmen und fand am Wochenende ihre Fortsetzung. In den Zeitungen erscheinen täglich neue Anzeigen und internationale Solidaritätsadressen mit den Rebellen der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) und der chiapanekischen Bevölkerung. In diesen Erklärungen werden einhellig eine Verhandlungslösung und der Rückzug der Bundesarmee aus dem Konfliktgebiet des Lacandonen-Urwaldes gefordert.

Dort gab es in den vergangenen Tagen wenig Bewegung. Die offizielle Armee baut ihre Stellungen in den von ihr besetzten Orten aus. Die Zapatisten und ein großer Teil der Zivilbevölkerung haben sich in die Berge zurückgezogen. Viele Ansiedlungen gleichen Geisterdörfern. Den Medien ist der Zugang inzwischen teilweise möglich. Über den Kurs der mexikanischen Regierung herrscht Unklarheit. So erklärte der Bundesstaatsanwalt Antonio Lozano, seit Dienstag, dem 14. Februar, es gäbe keine direkte Verfolgung des Subcomandante Marcos und der übrigen EZLN-Führung mehr. Doch Innenminister Esteban Moctezuma bekräftigte inzwischen, daß die Haftbefehle weiter bestehen. Präsident Zedillo versichert nebulös, „die verfassungsmässige Verantwortung“ für die „interne Souveränität“ bestehe auf jeden Fall fort. Im Klartext heißt das: die mexikanische Bundesarmee bleibt im zuvor ausschließlich von den Zapatisten kontrollierten Gebiet. Es ist daher schwer vorstellbar, daß die neue Zedillo-Devise „Gesetz, Dialog und Verhandlung“ momentan zum Erfolg führen kann.

EZLN: Rückzug der Armee Voraussetzung für neue Gespräche

Die EZLN hat mehrmals – zuletzt durch eine überbrachte Botschaft des Subcomandante Marcos – deutlich gemacht, daß der Rückzug der offiziellen Armee die Grundvoraussetzung für erste Gespräche ist. Ohne ausreichende Sicherheitsgarantien werden die Zapatisten sich nicht aus der Deckung der Berge wagen. Der Regierung macht unterdessen die andauernde wirtschaftliche Krise und Kritik aus den eigenen Reihen zu schaffen. Die Unternehmer wollen Stabilität. Von den eingefleischten PRI-Anhängern und den Viehzüchtern und Grossgrundbesitzern in Chiapas hätten viele die militärische „Lösung“ bevorzugt. Durch den wohl erzwungenen Rücktritt des chiapanekischen PRI-Gouverneurs am vergangenen Dienstag fühlen sie sich von der Bundesregierung verraten.

Erstaunlicherweise haben sich in der zivilen linken Opposition im Gegensatz zu früheren Jahren bisher wenig Spaltungstendenzen gezeigt. Die unerwartet heftige Reaktion breiter Teile der Bevölkerung auf die jüngsten Regierungsentscheidungen war nicht vorauszusehen. Oft konnte die Regierung genüßlich zusehen, wie sich vor allem die linke Opposition bei Protestmärschen buchstäblich müdelief. Jetzt gibt es die Großdemonstrationen, doch auch viele kleine Aktionen. Kirchliche Basisgruppen machen für den stark angegriffenen Bischof von San Cristóbal, Samuel Ruiz García, mobil. Student*innen und Stadtteilorganisationen protestieren vor den Gebäuden des Mediengiganten „Televisa“ gegen dessen Nachrichtenmanipulationen. Andere Gruppen blockieren die Präsidentenresidenz „Los Pinos“ und ziehen vor das Gebäude der Bundesstaatsanwaltschaft. Montag sollen eine Stunde lang im ganzen Land die Lichter ausgehen – als Zeichen gegen den Krieg. Während des Tages sind Proteste vor ausländischen Konsulaten und Botschaften vorgesehen, um die internationale Öffentlichkeit noch mehr aufrütteln. Für fast jeden der kommenden Tage sind Aktionen geplant. Die Student*innen haben zum landesweiten Universitätsstreik am 1. März aufgerufen.

Cárdenas hielt kämpferische Rede

Im Zusammenhang mit dem Konflikt in Chiapas kommen auch Themen wie Folter, die verschwundenen Personen und die politischen Häftlinge in Mexiko wieder verstärkt an die Öffentlichkeit. Für viele bleibt Cuauthémoc Cárdenas, der Präsidentschaftskandidat der Partei der Demokratischen Revolution im letzten Jahr, die entscheidene Symbolfigur des zivilen Widerstandes. Cárdenas hielt auf der Großdemonstration vom Samstag seine vielleicht seit Jahren beste und kämpferischte Rede. Er sprach auch von der „enormen Herausforderung, die Initiative zu behalten“. Der Frieden in Chiapas und eine Verhandlungslösung mit den Zapatisten sind für die Opposition das Nahziel. Doch inzwischen wird immer deutlicher, daß in diesen Wochen über die Weichenstellung der gesamten politischen Zukunft des Landes entschieden wird. Noch weiß niemand, wie die endgültige Reaktion der Regierung sein wird.

MEXICO

Die Wende im Chiapas-Konflikt

(Mexiko-Stadt, 15. Februar 1995, POONAL).- Am Dienstag vor einer Woche trat der chiapanekische Gouverneur Eduardo Robledo Rincón unerwartet zurück. Fast zur selben Zeit verkündete Präsident Ernesto Zedillo seinen Befehl an die Armee und die Bundesstaatsanwaltschaft, keine „offensiven Aktionen“ im Gebiet der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) mehr durchzuführen. Ihre Aufgabe soll nur noch in „Patrouillengängen“ bestehen. Zedillo rief zur Versöhnung und zu einer politischen Lösung des Konfliktes auf. Erstmals seit dem 9. Februar soll die Bundesarmee im Rebellengebiet wieder den „freien Verkehr“ zulassen. Im Zusammenhang mit diesen Entscheidungen tauchten sofort Gerüchte auf, daß auch die Haftbefehle gegen die Führung der Zapatisten, insbesondere gegen den Subcomandante Marcos, damit aufgehoben wären. Dies ist nicht offiziell, doch eine Erklärung der Bundesstaatsanwaltschaft vom Dienstagabend läßt diese Deutung indirekt zu.

Das besondere Ereignis am Dienstag war jedoch der Rücktritt Robledo Rincóns. Rein formal bat er den Kongreß des Bundesstaates nur um seine zeitweise „Freistellung“. In der Praxis ist dies der elegantere Abgang für den Gouverneur. Die Opposition forderte seit seiner offiziellen Amtseinführung am 8. Dezember diesen Schritt. Vor Wochen war er greifbar nahe, jetzt hatte ihn kaum jemand erwartet. Von einer „freien und persönlichen Entscheidung“, wie Robledo es ausdrückte, dürfte kaum die Rede sein. Das letzte Wort wird die Zentralregierung gehabt haben. Der Ex-Gouverneur nutzte seine Erklärung noch einmal zu einer Breitseite gegen seine politischen Widersacher. Die Aufforderung an die Zapatisten, die Waffen niederzulegen und an die Indios, kein Land Land mehr zu besetzen, konnten ebensowenig überraschen wie seine Erwartung, Amado Avendaño, der Gegengouverneur der „Regierung in Rebellion“, möge von seinen politischen Aktivitäten absehen. Aber Robledo stellte dieselbe Forderung in noch schärfe Worte verpackt auch an Bischof Samuel Ruiz García, den Vorsitzenden der Nationalen Vermittlungskommission (CONAI) zwischen Regierung und Zapatisten. Für die Attacke bekam er langanhaltenden Beifall von seiner Parteifraktion.

Gouverneur von Chiapas, Robledo Rincón ist zurückgetreten

Die CONAI antwortete mit einer Unterstützungserklärung für den Bischof und der süffisant verkündeten Hoffnung, der Rücktritt des Gouverneurs „möge ein wirklicher Beitrag für den Friedensprozeß in Chiapas und im Land“ sein. Amado Avendaño wies seinen eigenen Rücktritt zurück und forderte die Anerkennung seiner Gegenregierung durch die Bundesregierung. Er kritisierte ebenso wie die Oppositionsparteien PAN und PRD, daß die chiapanekische Kongreßmehrheit mit dem 46jährigen PRI-Aktivisten Julio Cesar Ferro bereits eine Person aus den eigenen Reihen als neuen Interimsgouverneur einsetzte. Ferro stammt aus Chiapas und ist Ökonom. Sollte es zu Verhandlungen kommen, ist fraglich, ob Avendaño seine Ansprüche durchsetzen kann.

Zunächst einmal ist der weitere Verlauf der Dinge im Lacandonen- Urwald entscheidend. Gestern morgen schlug der mexikanische Präsident dem Bundeskongreß eine außerordentliche Sitzungsperiode zu Chiapas vor. Der Kongreß wird zustimmen. Sollte in den Sitzungen nur über eine Amnestie für die Zapatisten, nicht aber über den von der Guerilla in einem neuen Kommuniqué vom 12. Februar noch einmal geforderten Rückzug der Armee als Vorbedingung für Gespräche diskutiert werden, dann ist die jetzt eingetretene leichte Entspannung nur eine Galgenfrist. Die beiden Armeen stehen so nah beieinander, daß der kleinste Zwischenfall endgültig Krieg bedeuten könnte.

MEXIKO

Marcos und die Öffentlichkeit

Am 15. Februar erschien in der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“ ein Kommentar von Bernado Bátiz V. zu den Versuchen der Regierung, durch die Identifizierung des Subcomandante Marcos die Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen. Auch wenn einmal mehr der Personenkult um Marcos zum Ausdruck kommt, trifft der Kommentar die psychologische Stimmung großer Bevölkerungsteile nach Einschätzung der Redaktion sehr genau und ist daher hier veröffentlicht:

„Mit der Regierungsentscheidung, einseitig die Feindseligkeiten gegen die Nationale Zapatistische Befreiungsarmee zu beginnen, gerechtfertigt durch die fragwürdige 'Entdeckung' von Militärmaterial in Häusern der Hauptstadt und Yanga, Veracruz, erreichte sie, die schon legendäre Figur des Subcomandante Marcos auf die Titelseiten der Zeitungen zu bringen. Wenn es die offizielle Absicht war, diese Persönlichkeit in Mißkredit zu bringen, indem sie seine Identität enthüllte und zu beweisen suchte, daß es sich um einen Intellektuellen der Mittelklasse handelt, der an gewalttätige Lösungen glaubt und mit den Indiovölkern in Chiapas oder irgendeinem anderen Ort wenig zu tun hat, so war die Wirkung, meiner Meinung nach, genau entgegensetzt. Wer an den Pranger gestellt wurde, sind der Bundesstaatsanwalt und der Regierungsapparat, der seine Werbe- und Rechtfertigungsstrategie für die Agression zusammenstellte, töpelhaft und ohne Fantasie. Sie glaubten zu wortwörtlich daran, daß 'das Medium die Botschaft ist'. Aber die Gesellschaft, zumindest ein Gutteil von ihr, ist fähig und klug genug, zwischen den Zeilen zu lesen.

Die Figur Marcos wächst. Wenn sein Mut und seine Entscheidung, sich an die Seite der Ärmsten zu stellen, schon vorher bewundert wurden, so steigt der Respekt ihm gegenüber jetzt noch, wo seine Identität bekannt ist (wenn es stimmt, daß sein Name Rafael Sebastián Guillén Vicente ist). Ein Berufstätiger, der entsprechenden Erfolg in der Privatwirtschaft oder im Staatswesen hätte haben können, der wie so viele andere seine Talente, die ihm mitgegeben wurden und die er sich selber aneignete, für seinen persönlichen Vorteil hätte ausnutzen können und der stattdessen alles, einschließlich seines Lebens, bei einem verzweifelten Unternehmen, das aber voll von Würde und Respekt vor sich selbst und vor den Compañeros ist, auf's Spiel setzt, der kann nur bewundert werden. Für die Regierung, die Staatsanwaltschaft, Teile der Massenmedien – bezahlt, um das Image des Subcomandante zu verschlechtern – bleiben seine Biografie, sein Zeugnis, seine überzeugenden, ironischen und gleichzeitig nostalgischen Briefe eine Nummer zu groß. (…) 'Ya basta' hat er einmal gesagt und widerruft nicht.

Und in der Regierung scheint niemand zu sein, der den Spürsinn und die Seelengröße hat, ein Zeugnis wie das von Marcos anzuerkennen. (…) Wenn sie ihn weiter bedrängen und seine Armee der Armen verfolgen, können sie augenscheinlich einen Sieg erringen. Doch vor dem Bewußtsein derer, die noch nicht selbstzufrieden geworden sind, die noch an die Werte der menschlichen Würde, des Patriotismus und der Ehre glauben, werden die EZLN und ihre Kommandanten, obwohl geschlagen, den wahren Sieg davontragen. Hoffentlich ist es noch Zeit, das Massaker an schlechtbewaffneten Indios zu stoppen, hoffentlich geht dem Präsidenten rechtzeitig ein Licht auf und er stoppt die Armee, die er nicht in eine glorreiche Schlacht mit den Feinden des Vaterlandes schickt, sondern in einen Kampf gegen die ärmsten und gleichzeitig würdigsten Mexikaner dieses Landes. Hoffentlich hört Präsident Zedillo nicht nur auf die, die die harte Hand verlangen, sondern auch auf die, die ihn daran erinnern, daß er Frieden, Ruhe und eine Regierung für alle anbot. (…) Das Leben von Marcos und seiner Armee zu schützen, kann ein Akt von Größe, von Großmut, von politischem Verstand sein. Ihn zusammen mit seinen zapatistischen Soldaten zu töten, wird weder Lösungen noch Ehre bringen – nur Vegeltung, böse Erinnerungen, Bewunderung für die Gefallenen und Nacheiferung.“

HAITI

Gewalttätige Putsch-Militärs in neuer Armee

(Port-au-Prince, 7. Februar 1995, hib-POONAL).- Im ganzen Land werden Menschenrechtsverletzter in den „Vorübergehenden Öffentlichen Sicherheitskräften“ (IPSF) wieder hoffähig gemacht. Die IPSF haben etwa 3.000 Mitglieder, die überwiegend der ehemaligen haitianischen Armee entstammen. So entdeckten Bürger*innen von Cap-Haitien, daß der als „Ti Chal“ bekannte Unteroffizier Charles Felix zu dem Trupp des wiedereröffneten Armeepostens am Stadteingang gehörte. Sie demonstrierten und verlangten seine Verhaftung und Verurteilung. Stattdessen kamen Mitglieder des „Internationalen Polizei-Überwachungskorps“, ausländische Soldaten und Polizeioffiziere, die die IPSF- Mitglieder „überwachen“, zu dem Armeeposten, um nach Reporteraussagen „die Demonstrant*innen zu kontrollieren“. Die Menschenmenge klagte Charles Felix der Gewaltanwendung, der Erpressung, des Diebstahl und sogar des Mordes an.

Der Friedensrichter in Saut-d'Eau berichtete der haitianischen Presseagentur am 27. Januar, daß auch in seiner Stadt unter den IPSF-Kräften mehrere Menschenrechtsverletzer sind. „Das ist eine Beleidigung der Bevölkerung der Zentralprovinz, die ihr Leben auf's Spiel gesetzt hat, um sich der Rückkehr zum Status Quo zu widersetzen, den der Staatsstreich mit sich brachte“, kommentierte er. Der Richter erwähnte auch den Fall eines jetzigen Leutnants in Mirebalais, der seinen Angaben zufolge am 27. September 1994 ein Kommando befehligte, daß sieben Menschen, die für die Rückkehr Aristides demonstrierten, tötete und zahlreiche weitere Menschen verwundete. In der Hauptstadt werden in dem berüchtigen Anti-Gang- Hauptquartier, die Verbrechensberichte von Captain Jacky Mitton entgegengenommen. Er war die rechte Hand des ehemaligen Polizeichefs Oberst Michel Francois. Mitton war unter anderem für die brutale und illegale Verhaftung von mehr als 100 Universitätstudent*innen am 12. November 1991 verantwortlich. Trotz einer gegenteiligen richterlichen Anordnung hielt er damals einige Student*innen bis zu einer Woche in Haft.

Tag der 'Befreiung' wurde apathisch begangen

(Port-au-Prince, 8. Februar 1995, hib-POONAL).- Trotz großer Werbeanstrengungen der Regierung – Aufrufe, die Straßen zu säubern, Plakate, Radiospots, kostenlose T-Shirts – um aus dem 7. Februar als symbolischem Urlaubstag ein großes Volksfest zu machen, war die Stimmung im Vergleich mit den Volksfesten von 1986 und 1991 apathisch und enttäuschend. Vor neun Jahren floh der Diktator Jean-Claude Duvalier in einem US-Flugzeug nach einem Jahr der Aufstände, Prosteste und der Agitation. Am 7. Februar feierte das ganze Land den neuen Präsidenten Aristide. Die Straßen waren saubergefegt, die Hauswände wurden geputzt und mit farbigen Malereien geschmückt. Überall waren Sprüche wie „Haiti befreit“, „keine Macoutes“ und „Veränderung“ zu sehen.

Dieses Jahr war es völlig anders: keine sauberen Straßen, kaum neue Wandmalereien. Die Straßen waren ruhig, als Präsident Jean- Bertrand Aristide zur Galafeier in den Nationalpalast lud, an der die Besatzungstruppen, ausländische Würdenträger und Politiker teilnahmen. Tausende Schulkinder trugen neue Baseballkappen mit der Aufschrift „7. Februar – Wir sehen nach vorne“. Aristide sprach in seiner 70minütigen Rede viel von Frieden, Gerechtigkeit „zur selben Zeit wie Versöhnung“ und dem „Licht der Demokratie“, das Lateinamerika durchscheint. Er erwähnte auch „Landreform“, „Sicherheit“ und „freie Schuldbildung“. Dennoch ging er auf die drei Versprechen „Gerechtigkeit, Transparenz, Beteiligung“ vom 7. Februar 1991 nicht weiter ein. Offensichtlich ist zwischen Aristide und der Bevölkerung etwas zerbrochen.

ARGENTINIEN

Etat für das Bildungswesen wird gekappt

– Von Dafne Sabanes Plou

(Buenos Aires, 15. Februar, alai-POONAL).- „Argentinien ist nicht Mexiko“ wiederholte der mächtige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo noch mit gewohnter Vehemenz am Jahresende. Doch seine Worte waren vergeblich: Der Exodus ausländischer Investitionen aus dem Land macht sich mit aller Härte bemerkbar. Rezession und Arbeitslosigkeit nehmen zu, während die Steuereinnahmen angesichts der geringeren Wirtschaftsaktivität kleiner werden. Aber Cavallo ist nicht der Typ Mensch, der sich durch die Umstände einschüchtern läßt. Schnell fand er eine Form, den Einnahmeverlust abzuschwächen: durch geringere Investitionen in die Sozialpolitik. Dieses Vorgehen akzentuiert den wilden Neoliberalismus, der die Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Menem kennzeichnet, nur noch etwas mehr. Als erstes wird die Verköstigung in der Schule gestrichen

Die Kürzungsankündigungen ließen nicht lange auf sich warten. Als erstes traf es den Etat für das Bildungs- und Kulturministerium. Mit einem schnellen Scherenschnitt wurde das Budget für 1995 um 23 Prozent gekappt. 145 Millionen US-Dollar sind das. Zwar werden die Gehälter der Dozent*innen nach den Worten des Bildungsministers Jorge Rodríguez nicht angerührt, doch die Ausbildungsprogramme, die schulischen Ausrüstungen und Infrastrukturarbeiten werden schwer beeinträchtigt sein. Dort werden die Gelder direkt gekürzt. Weniger Mittel gibt es auch für den Sozialplan und den sogenannten Bildungs-Bundespakt, dessen Ziel die spezielle Unterstützung von Schulen in Randgebieten mit armen Schüler*innen ist. Es ist bekannt, daß an diesen Orten gute Schulessen eine Hauptbedingung sind, um das Schuleschwänzen zu verhindern. Tausende Kinder, die in den Armutsgürteln der wichtigsten argentinischen Städte wohnen, gehen regelmäßig zur Schule, weil sie von den kostenlosen Mittags- und Nachmittagsessen angezogen werden. Ohne diese Verköstigung würde ein großer Teil der Schüler*innen dem Unterricht fernbleiben, um Arbeit zu suchen.

Die Kürzung betrifft auch die Kulturbereich. Angekündigt ist, den vorgesehenen Etat um 17 Prozent zu verringern. Betroffen von den Kürzungen sind die Nationalbibliothek, Instandhaltung von kulturellen und historischen Stätten, die nationalen Museen, das Cinematografische Institut und das Folkloreballet. Für Mario O'Donell, den Verantwortlichen des Ballets wirft das keine Probleme auf, denn „die große Kulturleidenschaft der Leute“ fördere deren Bereitschaft, für die Dienste dieses Bereichs zu zahlen. So dringt die Privatisierung in die nationale Kultur ein. Es ist klar: Die, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu haben, werden diese „Dienste“ weiterhin geniessen. Der große Rest bleibt ausgeschlossen. Diese Politik fördert die Kluft zwischen Privilegierten und den Marginalisierten.

Nach politischer Niederlage in den Universitäten werden 100 Millionen Dollar gestrichen

Was der Regierung bisher noch nicht gelungen ist: den eisernen Widerstand aus dem Universitätsbereich zu brechen. In allen StudentInnenwahlen der nationalen Universitäten haben seit Beginn der Menem-Amtszeit 1989 die Oppositionsgruppen gewonnen, darunter die mächtige „Franja Morada“ der Radikalen Partei. Die Franja Morada sorgte 1917 für die argentinische Universitätsreform und erreichte mit ihrem Kampf eine autonome Universität mit der Freiheit der Lehre. Zur Zeit beherrscht sie den Argentinischen Universitätsverband. In den Universitätsräten hat sie enormen Einfluß auf die Wahl von Dekan*innen und Rektor*innen.

Da die Regierung die politische Schlacht in den Bildungsgremien verloren hat, kommen die Angriffe aus dem Bildungsministerium durch große Haushaltskürzungen. Von den 145 Millionen Dollarstreichungen im Bildungswesen setzen 100 Millionen bei den Universitäten an. Die Rektor*innen, die im interuniversitären Nationalrat zusammengeschlossen sind, warnten gerade erst vor „schweren Konsequenzen im nationalen Universitätssystem“. Für sie ist bereits jetzt schon schwierig, Dozent*innen mit hohem akademischen Niveau und voller Bereitschaft zu halten. Die Gehälter der Dozent*innen sind seit April 1990 eingefroren, als der Konvertibilitätsplan gegenüber dem Dollar begann. Seitdem beträgt die in der US-Währung ausgedrückte Inflation jedoch 60 Prozent.

Auf die neuesten Kürzungen reagierten die Bürger*innen besorgt. Die öffentliche Bildung in Argentinien hat nach wie vor das höchste Niveau in ganz Lateinamerika. Sie fällt aufgrund des Vorstoßes der Privatisierungsinteressen, die bereit sind, die Chancengleichheit in der Bildung, die durch die Bildungsreformen Anfang des Jahrhunderts initiiert wurden, mit Füßen zu treten. Der anerkannte argentinische Denker José Luis de Imaz schrieben kürzlich in einem Zeitungsartikel: „Zu Beginn des Jahres 1995 befinden wir uns im verwirklichten Nachtwächterstaat'. Das heißt, ein Staat, der Geld eintreibt, den Finanzmarkt überwacht und der einige Regeln für den Mercosur (Gemeinsamer Markt des Südens; die Red.) vereinbart hat, aber der nicht einen einzigen Verschwender der öffentlichen Einnahmen verhaftet hat.“ Ein Nachtwächterstaat, der sich darauf beschränkt Korruption, Armut und die beabsichtigte Verringerung der Bildungschancen der Argentinier*innen zu verbergen.

LATEINAMERIKA

Der Tequila-Effekt

– Von Ugo Pipitone

(Mexiko-Stadt, Januar 1995, alai-POONAL).- Viele lateinamerikanische Regierungschefs leugnen den mexikanischen „Tequila-Effekt“ auf ihre eigenen Wirtschaft. Sie beeilen sich, zu beweisen, daß alles unter Kontrolle ist. Warum dann soviel Aufsehens, wenn alles in Ordnung ist? Ist es nicht eher so, das zeigt eindeutig die Tatsache, daß in den letzten Wochen die Kapitalmärkte von Santiago de Chile bis Sao Paulo und von Buenos Aires bis Lima dramatische Stürze aufwiesen. Der im November 1994 gewählte uruguayische Präsident Sanguinetti erkennt dies an, wenn auch in einer vorsichtigen Form: „Wir sind in eine Periode der Schwierigkeiten für Lateinamerika eingetreten.“ Es wäre schön, wenn Sanguinetti uns erklären würde, wann wir aus ihr schon mal herausgekommen sind. Aber, lassen wir die historischen Details beseite: Tatsache ist, daß das Barometer auf Bevölkung in der allernächsten Zukunft in der Region hinweist.

Es stimmt, daß die meisten lateinamerikanischen Ökonomien nicht die aussenwirtschaftlichen Ungleichtgewichte zeigen, die die mexikanische Wirtschaft in den letzten Jahren angehäuft hat. Es stimmt auch, daß einige dieser Ökonomien zur Zeit große Devisenreserven haben. Dennoch: Wie könnte die fortdauernde Brüchigkeit der Basis verborgen werden, auf die sich die kürzliche regionale Wirtschaftserhöhung stützt? Die neue Dynamik der Exporte hat im allgemeinen keine vergleichbar intensive Expansion der Binnenmärkte entsprochen. Die Arbeitsmärkte liegen weiterhin danieder. Die ausländischen Investitionen haben nicht die erhofften Wirkungen als Auslöser neuer und umfangreicher Produktionstätigkeiten gehabt.

Auslandsinvestitionen schaffen keine Arbeitsplätze

Wenn es vor etwa zwei Jahrzehnten deutlich zu werden begann, daß die öffentlichen Ausgaben jedesmal weniger dynamisch auf die globale Wirtschaftsaktivität wirkten, so wird es in jüngster Zeit evident, daß das Auslandskapital auf dem besten Weg ist, eine ähnliche Situation zu reproduzieren. Lateinamerika kehrt heute auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Wachstum der letzten Jahre wird von dem neuen Klima der Unsicherheit verdunkelt. In den 70er Jahren wuchs die Industrieproduktion, angeregt durch eine ungewöhnlich hohe Auslandsverschuldung im Durchschnitt um etwa 6 Prozent. In der 80er Jahren kam der Zusammenbruch, der die Wachstumrate auf gerade 0,3 Prozent reduzierte. Und jetzt, als die Dinge auf eine leichte Erholung hindeuteten, fällt die Region in ein Klima des fehlenden Vertrauens zurück, das die Wiederbelebung der regionalen Produktion auf unbestimmte Zeit verschieben kann.

In den 70er Jahren basierte das Wachstum auf dem Kredit. Zu Beginn der 90er Jahre waren es die ausländischen Direktinvestitionen, die Staatschuldtitel in ausländischen Händen und die Beteiligung auf den Kapitalmärkten. Früher wurde der Wachstumszyklus durch die Schuldenkrise unterbrochen, jetzt ist es das fehlende Vertrauen im Wechselspiel mit strukturell schwachen Wechselkursen. Anders gesagt: Die Geschichte wiederholt sich. Die ausländische Unterstützung löst keine Produktionstätigkeiten aus, die ein breites soziales Spektrum haben und fähig sind, den ursprünglichen äußeren Anreiz zu „verinnerlichen“. Wenn der externe Kapitalbeitrag sich schon als unzureichend erweist, um angemessene wirtschaftliche Grundlagen zu schaffen, die den angehäuften Auslandsverpflichtungen und den Gewinnerwartungen die Stirn bieten können, so stürzt ihr Rückzug die regionale Wirtschaft wieder in eine Einschränkungspolitik (Austerität), sorgt für einen schrumpfenden Binnenmarkt und den Aufschub vorgesehener Investitionen. Eine endlose Geschichte.

Wirtschaftliche Erholung der USA zieht das Kapital an

Jetzt kompliziert paradoxerweise die zyklische Erholung der USA die Lage noch mehr. Diese Wiederbelebung wird sich in naher Zukunft als mächtiger Schwamm für das Kapital aus einem großen Teil der Welt erweisen. Das Kapital wird durch die hohen Gewinnerwartungen dort angelockt – zum Teil mit den erhöhten Zinsen und zum Teil mit der erwarteten Expansion des US-Marktes verbunden. In den USA wie in Lateinamerika ist die nationle Sparrate gering. Die Länder müssen Kapital aus dem Rest der Welt an sich bilden, um das Wachstum aufrecht zu erhalten. Dabei sollte man die Anziehungskräfte in Erinnerung bringen: Die USA produzieren mit nur 60 Prozent der Bevölkerung Lateinamerikas sechsmal soviel wie ganz Lateinamerika zusammen. Die Anziehungskraft für Auslandskapital ist daher ungewöhnlich groß.

Es kündigen sich schwierige Zeiten an. In vielen Ländern der Region bedeutet die Beibehaltung der Wechselkursparitäten nichts anderes, als den Kauf von internationalen Währungen zu subventionieren, die offensichtlich die Region zu verlassen scheinen, um erneut Richtung USA zu wandern. Sind diese Kosten akzeptabel, um ein „Vertrauen“ zu bewahren, das sowieso zerstört scheint und einen hohen Preis für das regionale Wettbewerbspotential und die Schaffung für Arbeitsplätze im eigenen Land bedeutet? Den möglicherweise nicht aushaltbaren Druck auf die Devisenreserven verschiedener Länder der Region gar nicht einmal in Betracht gezogen.

Das ewige Problem rückt wieder an die erste Stelle: die geringen Ersparnisse. Kann ein langfristiges Wachstum gesichert werden, wenn es keine neuen Sparquellen schafft? Können diese neuen Quellen in Wirtschaften entstehen, in denen Dutzende Millionen Menschen in chronischer Armut leben? Man muß sparen, um aus der Armut herauszukommen und man muß aus der Armut herauskommen, um sparen zu können. Bis jetzt zeichnet sich keine Politik ab, die fähig wäre, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Befinden wir uns nur an einem Hindernis oder kündigt sich an, daß die regionale Wirtschaftspolitik grundlegende Änderungen braucht? Darüber werden wir nachdenken müssen.

NICARAGUA

Armeechef Humberto Ortega zurückgetreten

(Mexiko-Stadt, 20. Februar 1995, POONAL).- Heute gibt Humberto Ortega, Bruder des ehemaligen Präsidenten Nicaraguas Daniel Ortega, die Befehlsgewalt über das Heer ab. Der erste Wechsel an der Armeespitze seit 15 Jahren wurde bereits im vergangenen Jahr vereinbart. Er bedeutet einen politischen Sieg für die konservative Präsidentin Violeta Barrios, die lange Zeit vergeblich versuchte, den Sandinisten von der Armeespitze wegzubekommen. Jezt übernimmt General Joaquín Cuadra Lacayo das ommando der Streitkräfte. Violeta Barrios Genugtuung dürfte sich jedoch in Grenzen halten. Im Konflikt mit dem Parlament über die Reform von 64 Verfassungsartikeln zog sie gerade erst den Kürzeren. Die Abgeordneten hatten am 1. Februar ein Reformpacket verabschiedet, das unter anderem die Macht des Präsidentenamtes beschränkt, ein Wiederwahlverbot vorsieht und Verwandten der Amtsinhaberin + eine Kandidatur verbietet. Die Präsidentin weigerte sich wochenlang, die Reformen zu akzeptieren. Doch nachdem sich der reaktionäre Vizepräsident Virgilio Godoy öffentlich anbot, Barrios zu ersetzen, wenn es denn »keinen anderen Ausweg gäbe«, gab die Staatchefin zum »Wohle meines Vaterlandes« nach. Sie erklärte sich zu Verhandlungen bereit. Der spanische Regierungschef Felipe González, gerade auf Besuch, soll bei dieser Entscheidung nachgeholfen haben.

Die Aussichten auf das höchste Amt im Staate von Antonio Lacayo, Schwiegersohn von Violeta Barrios und selbsterklärter Präsidentschaftsaspirant, sind damit praktisch gleich Null. Die politische Macht der Schwiegermutter reichte nicht aus. Das Beispiel der Verfassungsreformen ist nur eines für die Macht, die die Sandinisten in den letzten Hajren Jahren trotz der konservativen Regierung immer noch haben. Als stärkster Parlamentsfraktion kam keine andere Partei bei Reformvorhaben an ihnen vorbei. Da die Regierungskoalition mehr als zehn Parteien von Anfang an zerstritten war, bestimmten die Sandinisten über das Parlament der Politik mit. Jetzt liegen sie jedoch selbst unversöhnlich im Clinch.

Mehr als 15 Jahre nach dem siegreichen Einzug der Nationalen Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) in Managua ist sie in zwei Lager gespalten. Wortführer der Reformerfraktion ist Sergio Ramirez, dessen Parteiaustritt in den vergangenen Wochen viele einflußreiche Sandinisten folgten unter ihnen die Comandante Maria Tellez. Am 7. Februar gründeten die Reformer offiziell die »sozialdemokratische Bewegung«. Sie soll die »politische Option Nicaraguas für das 21. Jahrhundert« sein und sich von dem als autoritär und linksradikal kritisierten Führungsstil von Ex- Präsident Daniel Ortega absetzen.

Ortega, Generalsekretaer der FSLN, verneinte noch am Wochenende eine »Spaltung«. Er sprach stattdessen von einer »Trennung« von Personen, die den Sandinismus »verleugnen und beleidigen« würden. Die Partei habe den tiefen Widersprüchen in der lateinamerikanischen Linken, besonders seit Beginn der 90er Jahre, nicht entfliehen koennen.

GUATEMALA

Tausende US-Militärs im Land

(Guatemala, 14. Februar 1995, cerigua-POONAL).- In den kommenden Wochen werden 3.700 Reservisten der US-Armee und der Nationalgarde nach Guatemala reisen. Sie nehmen an dem Programm „Feste Wege 1995“ teil, das von Präsident Ramiro De León Carpio offiziell am 13. Februar eröffnet wurde. Das nordamerikanische Verteidigungsministerium beteiligt sich im dritten aufeinanderfolgenden Jahr an dieser Aktion. Für die USA ist sie Bestandteil ihres millionenschweren „Zivilen und Humanitären Hilfsprogramms für Lateinamerika und andere strategische Gebiete“.

In den vorangegangenen Jahren waren die US-Truppen in Provinzen, die an die Konfliktzonen mit Guerillapräsenz angrenzen. Die Clinton-Regierung versicherte, daß die nordamerikanischen Militärs mit den guatemaltekischen Streitkräften als Teil deren Ausbildung zusammenarbeiten. Quellen aus dem guatemaltekischen Militär berichteten sogar, die USA könnten den Sitz ihres Kommando Süd (derzeit in Panama) nach Kanada verlegen. Deswegen habe der Kommandant General Barry Mc Caffrey das Land besucht. Die nordamerikanische Botschafterin in Guatemala dementierte diese Information allerdings.

Guerilla kämpft weiter

(Guatemala, 14. Februar 1995, cerigua-POONAL).- Die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) berichtete in einem Kriegskommuniqué über mehrere Gefechte mit der guatemaltekischen Armee in den ersten beiden Februarwochen. Sie gab an, dem offiziellen Militär 35 Verluste zugefügt und mehrere Armeefahrzeuge zerstört zu haben. Die Kämpfe konzentrierten sich auf die Provinzen Quetzaltenango, Petén, Alta Verapaz und Quiché, in denen Guerillaabteilungen und Militärpatrouillen häufig zusammenstoßen. Im Petén griff die URNG eine Militärkaserne mit Raketen an.

Friedensbemühungen in Norwegen

(Guatemala, 17. Februar 1995, NG-POONAL).- Die beiden

Guerillakommandanten Pablo Monsanto und Gaspar Ilom reisten nach Oslo, um dort mit der norwegischen Regierung über die Friedensverhandlungen mit der guatemaltekischen Regierung zu sprechen. Norwegen hat die Verhandlungen seit 1991 aktiv unterstützt. Kommandant Monsanto dementierte in Oslo Versionen, nach denen die Guerilla eine Feuerpause während der Verhandlungen akzeptieren würde. Dies ist eine Forderung von UNO-Generalsekretär Butros Ghali. In Guatemala wurde unterdessen die Ankunft des UNO- Vermittlers Jean Arnault erwartet, der dort mit der Regierung über einen möglichen neuen Verhandlungstermin sprechen soll.

Ein weiteres Thema im Zusammenhang mit der Guerilla ist deren mögliche Beteiligung am Wahlprozeß. Die Rechtsberater der Friedenskommission (COPAZ) der guatemaltekischen Regierung arbeiten zur Zeit an einem Vorschlag, in welcher Form ihrer Meinung nach die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) an den nächsten allgemeinen Wahlen Ende des Jahres teilnehmen soll. Die Christdemokratische Partei, die vor einigen Wochen noch eine Unterstützung des ehemaligen Diktators General Rios Montt für möglich hielt, äußerte jetzt ihre Bereitschaft, die Vorstellungen der URNG in ihre politische Plattform aufzunehmen. Der Abgeordnete Lizardo Sosa nannte als eine Option, Gesellschaftsteile (in die Partei) einzugliedern, deren Auffassungen denen der Guerilla nahestünden. In Oslo bekräftigte Kommandant Monsanto die Entschlossenheit der URNG, „mit oder ohne Friedensabkommen“ an den Wahlen teilzunehmen.

URUGUAY

Hochzeit der Saurier – Große Koalition der traditionellen Parteien

(MOntevideo, 17. Februar 1995, COMCUSUR-POONAL).- Die beiden traditionellen Parteien – die Colorado Partei und die Partido Nacional -, die jahrzehntelang das Parteiensystem in Uruguay dominierten, haben sich zu einer Koalition zusammengerauft. Dies war notwendig geworden, nachdem keine der beiden Kräfte bei den Wahlen im vergangenen November nach dem Einzug der linken Frente Amplio ins Parlament die absolute Mehrheit erringen konnte. Eine uruguayische Zeitung kommentierte in der vegangenen Woche treffend: „Das Zweiparteiensystem ist tot, es lebe das Zweiparteiensystem“. Die beiden traditionellen Parteien hatten sich in den Verhandlungen auf die Grundzüge der künftigen Regierungspolitik geeinigt, somit verfügt der neue Regierungschef über eine handlungsfähige Parlamentsmehrheit. Das Kabinett setzt sich wie folgt zusammen: 8 Minister der Colorado Partei und 4 „Blancos“ (Bezeichnung für Mitglieder der Partido Nacional). Das linke Encuentro Progresista und der Nuevo Espacio werden nicht im Kabinett vertreten sein. Der scheidende Präsident, Dr. Luis Lacalle, besiegelte den Pakt mit der neuen Regierung im Namen seiner Partei und konnte im Gegenzug die Fortsetzung seiner Regierungspolitik festschreiben. Dazu gehören die Senkung der öffentlichen Ausgaben, der Abbau einiger Staatsmonopole sowie die Privatisierung von Staatsbetrieben.

Im Parlament verfügt die Colorado Partei (Gewinner der Wahlen) über 42 Sitze, die Partido Nacional (ehemalige Regierungspartei) hat 41 Abgeordnete und das Encuentro Progresista/Frente Amplio (Zusammenschluß linker und progressiver Kräfte) erhielt 40 Sitze; Nuevo Espacio (eine kleine, liberale Partei) wird 6 Vertreter ins Parlament entsenden. Präsident des Senats und der Versammlung beider Kammern wird Dr. Hugo Batalla, gewählter Vize-Präsident der Republik. Er und der neue Präsident, Dr. Maria Sanguinetti, uebernehmen die Amtsgeschäfte am 1. März.

Der neue Präsident hatte zwar während seiner Wahlkampagne, in der sich mit einem eher sozialdemokratischen Profil präsentiert hatte, diese Maßnahmen als neoliberal bezeichnet und abgelehnt. Heute scheint er jedoch durchaus bereit, seine Abneigung abzulegen. Hier treten natürlich auch die Differenzen mit dem Encuentro Progresista/Frente Amplio auf, die auf ein allgemeines Abkommen mit den Colorados verzichteten. Dr. Tabare Vazquez, der die Verhandlungen für die Linke geführt hatte, erklärte, daß ein Modell fortgesetzt werde, das die Wähler beim letzten Urnengang eigentlich abgewählt hätten. Die Wähler hätten für ein Modell progressiver Veränderungen gestimmt. Die grundsätzlichsten Unterschiede zwischen den traditionellen Parteien und der Linken machen sich an der Wirtschaftspolitik sowie an der Diskussion über die Reform der Sozialversicherung fest. Die traditionellen Parteien streben eine Reduzierung der Verantwortung des Staates und eine teilweise Privatisierung der Sozialversicherung an.

Der neue Bürgermeister von Montevideo, Mariano Arana von der Frente Amplio, hat am 15. Februar sein Amt angetreten. Vor dem Rathaus gab es anläßlich des Regierungswechsels ein riesiges Straßenfest. „Der Kampf gegen die Armut, Umweltprobleme und die Verwaltungsreform“ sind die Schwerpunkte der Regierungspolitik des zweiten Bürgermeisters von Montevideo, den die Frente Amplio stellt.

BRASILIEN

Cardoso kündigt Änderungen in der Regierungspolitik an

(Rio de Janeiro, 18.2.95, IBASE-POONAL).-In einer Rede vor dem Senat hat der neue Präsident die von ihm geplanten Änderungen vorgestellt. „Es gibt keine starke Demokratie ohne starkes Parlament“, sagte Cardoso. Der dauernden Praxis von Dialog und politischer Debatte im Nationalkongreß lägen die Tugenden zugrunde, die den Übergang vom Autoritarismus zur Demokratie ermöglicht hätten, meinte der Präsident. Wenn auch die letzten Wahlen einen Durchbruch bedeuteten, so blieben dennoch politische Reformen notwendig, um „eine nur formelle Demokratie, die jedes sozialen und ökonomischen Inhalts durch die Plagen des Elitarismus und Korporativismus entleert ist“, zu verhindern. Brasilien habe noch mit Hypotheken aus der Vergangenheit zu kämpfen. So behindere das „Vermächtnis der Ära Vargas“ mit seinem autarken Entwicklungsmodell und seinem interventionistischen Staat den gesellschaftlichen Fortschritt. Ab Februar will Cardoso dem Kongreß Änderungsvorschläge zur Verfassung vorlegen. Als Reformprojekte führte er das gegenwärtige Fiskalsystem, die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Bundesstaaten und Munizipien und die wirtschaftliche Ordnung mit der Flexibilisierung der Monopole und der Öffnung für Auslandskapital an. Der Dollar soll nicht mehr als Orientierung für den Preisindex herangezogen werden. Außerdem sollten die Steuern, die Exporte behindern, abgeschafft werden. Im Sozialbereich sollen die Kriterien für die Sozialfürsorge modifiziert werden, in Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer und eines Mindestalters. Bei der Altersversorgung sollen Privilegien der öffentlichen Angestellten, der Parlamentarier und der Lehrer abgeschafft werden.

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