Poonal Nr. 172

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 172 vom 06.12.1994

Inhalt


GUATEMALA

MEXIKO

LATEINAMERIKA

Die Lage der Streitkräfte in Mittelamerika

Guatemala – Institutionalisten gegen Hardliner

HAITI

NICARAGUA

KOLUMBIEN


GUATEMALA

Ehemaliger Militärdiktator wird Parlamentspräsident

(Guatemala, 2. Dezember 1994, cerigua-POONAL).- Eine Mehrheit des guatemaltekischen Parlamentes wählte am 2. Dezember den General Efraín Ríos Montt zu seinem Vorsitzenden. Montt war 1982 und 1983 an der Spitze eines Militärregimes, nachdem er einen Putsch gegen den General Romeo Lucas García angeführt hatte. Vor vier Jahren hatte der General im Ruhestand für das Präsidentenamt kandidiert, das Verfassungsgericht hatte seine Kandidatur jedoch in letzter Minute verboten. Verschiedene Sprecher*innen der Volksbewegung sprachen angesichts der Wahl Montts von einem Rechtsruck und einem historischen Rückschritt. Der angesehene Journalist Mario Sandoval nannte das Ereignis einen „Spott für das Land“.

Mittelamerikanische Bischöfe: Unternehmer*innen vergrößern die

Armut

(Guatemala, 2. Dezember 1994, NG-POONAL).- Die mittelamerikanischen Bischöfe haben zum Abschluß eines Treffens in Guatemala-Stadt die Unternehmer*innen der Region kritisiert. In einer Erklärung schreiben sie: „Die Unternehmer*innen, die sich als absolute Herrscher ihrer industriellen oder landwirtschaftlichen Betriebe fühlen, zahlen ihren Arbeiter*innen keinen gerechten Lohn. Sie erhöhen die Arbeitszeit und weigern sich, zumindest die minimalsten Sicherheits- und Sozialeinrichtungen bereitzustellen. Sie sind auch für die Zerrüttung der Familie verantwortlich.“

Der panamaische Bischof José Luis Lacunza, der die Botschaft verlas, fügte hinzu, daß „die Einführung der neoliberalen Politik, die den Reichtum privilegierter Gesellschaftsgruppen vermehrt, die Mehrheit der Familien an den Rand drängt und die Rechte der Arbeiter*innen stark beschränkt. Sie vergrößern die Armut und verbieten in der Praxis den jüngsten Mitgliedern der Gesellschaft, eine Familie zu gründen, wie sie sie sich vorgestellt haben“.

PlantagenbesitzerInnen: Kirche unterstützt Landbesetzungen

(Guatemala, 30. November 1994, cerigua-POONAL).- Die Plantagenbesitzer*innen des Nationalen Großgrundbesitzerverbandes (UNAGRO) beschuldigen die Kirche, Landbesetzungen zu unterstützen und die Landbevölkerung zu gewalttätigen Aktionen anzustacheln. Katholische Priester wiegelten die Campesinos gegen die Unternehmer*innen auf, dies rufe Gewalt in verschiedenen Teilen des Landes hervor. Der Präsident der katholischen Bischofskonferenz Guatemalas (CEG), Monseñor Gerardo Flores, hat die Vorwürfe der Großgrundbesitzer*innen zurückgewiesen. Flores bezeichnete die Aussagen der Großgrundbesitzer als haltlos und „außerhalb des Zusammenhanges“. Er sprach jedoch von einer angespannten Atmosphäre auf dem Land, die wegen des Landbesitzes, der Löhne, Massenentlassungen sowie der Arbeitsbedingungen entstünde. Der Bischof machte seine Äußerungen kurz vor einem Treffen mit Regierungschef Ramiro De León Carpio.

Siedler*innen protestieren vor dem Nationalpalast

(Guatemala, 2. Dezember 1994, NG-POONAL).- Die Bewohner*innen aus mehr als 25 Siedlungen am Rande der Hauptstadt haben vor dem Nationalpalast die Legalisierung der von ihnen besetzten Grundstücke gefordert. Andernfalls drohten sie damit, ihre Hütten auf dem Platz der Verfassung aufzubauen. Der Führer der Nationalen Bewegung der Bewohner*innen der Elendsviertel (MONAP), Carlos Aguirre, betonte, die Siedler*innen würden keine Geschenke erbitten, sondern seien bereit, das Land in Ratenzahlungen zu kaufen. Er warnte zugleich: „Die friedlichen Proteste ermüden die Leute, weil sie keine positiven Ergebnisse sehen und Angst vor einer Räumung haben.“

MEXIKO

Kabinettsbildung: Jetzt regiert Zedillo – regiert jetzt Zedillo?

(Mexiko-Stadt, 4. Dezember 1994, POONAL).- Am 1. Dezember hat Ernesto Zedillo offiziell sein Amt als neuer mexikanischer Präsident angetreten. Eine sechsjährige Amtszeit Jahre liegt vor ihm – vorausgesetzt, er übersteht die volle Regierungsperiode an der Spitze des Staates. Die politischen Beobachter*innen üben sich bereits kräftig in Spekulationen. Zumindest scheint ungewiß, ob er, wie sein direkter Vorgänger Carlos Salinas de Gortari und viele andere mexikanische Präsidenten ein nahezu unumschränkter Herrscher über das Land sein wird oder ein Spielball im Intrigengefüge der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI). Die ersten Signale jedenfalls sind widersprüchlich.

Bereits einen Tag vor der Amtseinführung gab Zedillo sein neues Kabinett bekannt. Es umfaßt 25 Mitglieder, allerdings haben nicht alle Ministerrang. Eine einheitliche Linie bei der Ernennung ist nicht festzustellen. Auf der einen Seite ist zum ersten Mal in der 65jährigen PRI-Herrschaft ein Oppositionsmitglied in der Regierung. Antonio Lozano von der rechtskonservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) bekam das Amt des Bundesstaatsanwaltes. Drei weitere Kabinettsmitglieder sind parteilos. Auf der anderen Seite werden allein neun Personen des Kabinetts als treue Salinas- Anhänger bezeichnet. Dies spricht dafür, daß Zedillo den Schatten seines Vorgängers nicht so schnell los wird.

Neuer Energieminister in Mord an PRI-Generalsekretär verwickelt?

Am umstrittensten ist die Nominierung des vorherigen PRI- Präsidenten Ignacio Pichardo Pagaza zum Energieminister. Kaum zwei Wochen ist es her, daß dieser vom Sonderstaatsanwalt Mario Ruiz Massieu im Mordfall am PRI-Generalsekretär Francisco Ruiz Massieu beschuldigt wurde, die Aufdeckung des Verbrechens zu verhindern. Der Bruder des Ermordeten hatte damals in einer aufsehenerregenden Pressekonferenz seinen Rücktritt als Sonderstaatsanwalt und seinen Austritt aus der Regierungspartei erklärt. Neben anderen PRI- Mitgliedern bezichtigte er dabei die PRI-Parlamentsabgeordnete María de los Angeles Moreno der Mitwisserschaft. Angeles Moreno stieg am 3. Dezember mit dem Segen von Zedillo zur neuen Präsidentin ihrer Partei auf.

Obwohl weder bei Pagaza noch bei Moreno stichfeste Beweise vorliegen, ist es wohl eine Minderheit, die an eine weiße Weste der beiden glaubt. Dies läßt bezüglich Zedillos Verhalten zwei Interpretationen offen: entweder konnte sich der neue Präsident nicht gegen Strömungen in seiner eigenen Partei durchsetzen oder aber sein Versprechen, einen Rechtsstaat bilden zu wollen, ist nicht sehr ernst gemeint. Die Präsidenten sonst zustehende Schonzeit der ersten 100 Tage wird Zedillo nicht in Anspruch nehmen können. Die erste große Bewährungsprobe steht ihm bereits am 8. Dezember bevor. Wenn vorher nicht noch eine Kompromißlösung gefunden wird, dann wird die Opposition im Bundesstaat Chiapas mit allen Mitteln versuchen, die Einführung des PRI-Mitgliedes Robledo Rincón ins Gouverneursamt zu verhindern. Der Ausgang dieses Konfliktes wird zudem die Verhandlungsspielräume zwischen der mexikanischen Regierung und den Guerilleros/as der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) maßgeblich bestimmen. Ernesto Zedillo bleibt nichts anderes übrig, als von Anfang an Profil zu zeigen.

LATEINAMERIKA

Drei Medienriesen beherrschen den Kontinent

(Bünos Aires, November 1994, noticias de comunicación).- Das Internationale Zentrum für Kommunikationsstudien in Lateinamerika (CIESPAL) registriert 7.373 Medien auf dem Subkontinent, die 405 Millionen Menschen mit Informationen versorgen. Allein diese Zahl zeigt, daß die Medienbranche auch in Lateinamerika – das zwar von tiefen wirtschaftlichen und sozialen Problemen gebeutelt wird – eine beachtliche Entwicklung erlebt hat. Argentinien, Mexiko, Brasilien und Kolumbien sind die Länder, wo der Konzentrationsprozeß im Medienbereich die größten Ausmaße angenommen hat. Anfänglich aus Tageszeitungen oder Zeitschriften hervorgegangen, haben sich Medienimperien gebildet, die in den vergangenen zwanzig Jahren vor allem vom Wachstum der elektronischen Medien profitierten. Später haben sie sich auf andere Wirtschaftsbereiche ausgedehnt, wobei vor allem die Dienstleistungen und dabei besonders das Kommunikations- und Unterhaltungswesen hervorragen.

Televisa – Der mexikanische Tiger

Einer der größten Wirtschafts- und Medienkonzerne der Welt ist Televisa. Das Unternehmen wird von dem Mexikaner Emilio Azcárraga – Spitzname „der Tiger“ – von seinem Heimatland aus geführt. Televisa ist wohl die größte Fernsehanstalt der spanischsprechenden Welt. Allein in diesem Bereich betrug der Umsatz 1990 mehr als eine halbe Milliarde Dollar. Televisa besitzt in Mexiko acht der vier offenen Fernsehkanäle, die in der Hauptstadtregion ausstrahlen. Dazu kommen 54 Wiederholungssender und 47 angeschlossene Unternehmen innerhalb des Kommunikationsbereiches: Fernsehproduktionsgesellschaften, Programmexporteure, Kabelfernsehen und Synchronisationsdienste. Die Gruppe kontrolliert auch 10 Radiosender, fünf Theater, Veranstaltungsunternehmen, Schallplattengeschäfte, Kinos und Videokopierfirmen. Außerdem sind auch die größte Stierkampfarena und zwei Fußballmannschaften der ersten Liga im Besitz des Mediengiganten (teilweise wird sogar von bis zu fünf Teams im Televisa-Besitz gesprochen; die Red.).

Der Aufstieg des Azcárraga-Imperiums ist zum großen Teil einer weitsichtigen Unternehmensstrategie zu verdanken. Azcarraga sah schon früh im Kommunikationswesen den Wachstumsmarkt der Zukunft. Zudem ging er Bündnisse mit multinationalen Unternehmen der Branche ein. Gegründet 1973, sicherte sich Televisa 1986 die alleinigen Übertragungsrechte für die Fußballweltmeisterschaft in Mexiko. Der Konzern konnte zudem von der fast exklusiven Nutzung des Satelliten „Morelos“ profitieren, dafür wendet er jährlich fast 140 Millionen Dollar auf.

Der „Tiger“ wildert in den USA und in Südamerika

Die Holdinggesellschaft macht nicht an den Grenzen des mexikanischen Territoriums halt: Der Tiger hat seine Krallen auch ins Ausland ausgestreckt. In den USA laufen mehrere offene Fernsehkanäle und auch einige Kabelsender unter seinem Namen. Eine Zeitlang besaß Televisa das „Internationale Spanische Netzwerk“ (SIN). Dieses Nachrichtenprogramm verkaufte das Unternehmen aber Ende des vergangenen Jahrzehnts für 600 Millionen Dollar. Danach setzte es stärker auf den Ausbau der Kabelfernsehkette „Galavisión“. Diese wurde zu einem spanischen Programmnetz, das im gesamten Südosten der USA in die offenen Kanäle eingespeist wird.

Die Expansion ins übrige Lateinamerika ließ nicht lange auf sich warten. Dies geschah durch die Nachrichtenkette „ECO“, die Information aus aller Welt, „mit mexikanischen Augen gesehen“, über Satellit verbreitet. Die Azcárraga-Gruppe kaufte außerdem 49 Prozent des Aktienpaketes des Fernsehnetzes „Megavisión“. Das Netz gehört zu den wichtigsten chilenischen Sendern. In Argentien verhinderte 1992 die – heute noch gültige – Gesetzgebung die Übernahme des staatlichen „Argentinischen Staatsfernsehens“ (ATC). Doch als Ersatz unterschrieb Televisa einen Co-Produktionsvertrag mit dem ehemaligen staatlichen Kontrolleur Gerardo Sofovich. Das ermöglicht es dem Unternehmen, seit 1992 an den Werbeeinnahmen der Programme teilzuhaben.

In Peru kaufte Televisa einen 72-Prozentanteil am Sender „Lateinamerika TV“, dem Kanal 4. Dies ist der zweitgrößte Werbesender des Landes. Mit Galavisión wird von London aus für ganz Europa eine Programmauswahl gesendet, die für die spanischsprechende Gemeinde auf dem Kontinent gedacht ist. In den günstigsten Momenten der mexikanischen Börse verkaufte Azcárraga mit unerwartetem Erfolg, wie er selber später zugab, 22 Prozent der Televisa-Aktien. Von den 69 Millionen verkauften Einzelaktien blieben 9 Millionen in den Händen mexikanischer Investoren, der Rest ging auf die Märkte in den USA, Japan und Europa. Mit dem frischen Kapital konnte der Medienzar einen beträchtlichen Teil seiner damals 240 Millionen Dollar Schulden bezahlen.

Formal ist seit 1986 Miguel Alemán Velazco, der Sohn des ehemaligen Präsidenten Miguel Alemán Valdéz (1946-1952), der Chef von Televisa. Doch das wirkliche Gehirn des Imperiums ist nach wie vor Azcárraga. Dies geht soweit, daß er als Kopf des Konzerns 1984 – allerdings erfolglos – versuchte, der Regierung 380 staatliche und halbstaatliche Unternehmen abzukaufen. Unter diesen befanden sich unter anderen Zuckerfabriken, Werften, Eisenbahnen und Nachrichtenagenturen. Bei den offiziell von dem Konzern angekündigten Projekten ragen der Einstieg in das hochauflösende Fernsehen, die Ausweitung des Pay TV und der elektronischen Datendienste (paging) hervor. Im Zusammenhang mit dem umfangreichen Kabelnetz prädestiniert dies den Konzern für den Einstieg in die Multimediabranche.

Die „kolumbianische Schnecke“ erobert den Markt

Die Krake Televisa greift neuerdings auch nach dem Fernsehkanal Montecarlo in Uruguay und nach der Kette „Venevisión“ in Venezuela. Mit rein kommerzieller Absicht benutzt Azcárraga die zwei Satelliten des Systems „Morelos“. Der mexikanische Staat investierte zuvor 220 Millionen Dollar in das System. Die erklärte Absicht war die Nutzung für kulturelle und soziale Projekte wie beispielsweise die Fernsehmedizin oder die Fernbildung. Zumindest im Augenblick kann sich der Gigant der mexikanischen Medien nicht auf den Telefonbereich ausdehnen und zusätzliche Satellitenkapazitäten nutzen. Die Ausschreibung für den Betrieb des komerziellen Satelliten „Solidarität“ ist so gut wie sicher von der französischen Gesellschaft Telecom gewonnen. Diese garantiert die komplette Kapazitätsausnutzung für die 14 Jahre Lebensdauer des Satelliten und wird bis in den Süden Chiles ausstrahlen.

In den vergangenen Jahren haben sich auch in der Karibikregion große Radio- und TV-Ketten gebildet. Die Gesellschaften expandierten, um den noch nicht ausgelasteten Werbemarkt besser abschöpfen zu können. Mehrere Sender bauten landesweite TV-Netze auf und leiteten so eine erhebliche Konzentration in der Branche ein. Mit einem 65prozentigen Anteil der Sender im Besitz von acht landesweiten Ketten ist Kolumbien das Land, in dem dieser Prozeß mit dem größten Nachdruck stattfand. An erster Stelle ist die Kolumbianische Radiokette (abgekürzt CARACOL, was auf deutsch „Schnecke“ bedeutet; die Red.) zu nennen, an zweiter Stelle folgen RCN und Toledar. Weniger wichtig sind die Kolumbianische Radiogruppe, Radio Super, Cadena Lider, die Radioorganisation Olímpica, Cadena Sutatenza und die kolumbianische Radiocorporation.

„Schwindelerregende Konzentration in der kolumbianischen Medienbranche“

Caracol, RCN und Toledar ziehen den Großteil der HörerInnenschaft auf sich, in den größten kolumbianischen Städten jeweils fast 30 Prozent. Dabei ist der Anteil an der HörerInnenschaft fast analog zum Anteil der einzelnen Radiostationen. CARACOL besitzt mit 82 Sendern mehr als 25 Prozent der gesamten landesweiten Stationen. Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem Medienmarkt zwischen Caracol und RCN führte zu einem starken parallelen Konzentrationsprozeß. Die in Lateinamerika als wichtiger Wirtschaftskonzern bekannte Finanzgruppe „Santo Domingo“ (fast völliger Herrscherin über den Biermarkt der Region mit den Marken Bavaria, Aguila und Unión) kaufte 1992 die Hälfte der Caracol- Aktien. Die Familie des Ex-Präsidenten López Michelson und die Familie Lodoño Henao – letztere hat ihr Standbein hauptsächlich in der Landwirtschaftsproduktion – erlangten jeweils 25 Prozent.

Im letzten Jahrzehnt machte das Wachstum von RCN der Caracol- Gruppe die Vorherrschaft bei der Kontrolle des Kommunikationswesens in Kolumbien streitig. Das Unternehmen beherrscht eine der beiden wichtigsten Fernsehproduktionsgesellschaften. Seine Radiokette umfaßt 80 Sender im ganzen Land. RCN selber ist Teil eines von der Ardiles Lulle-Gruppe geleiteten Firmenkonsortiums mit weiteren 56 Unternehmen, die über 140 Produktionsstätten in 40 Branchenverfügen.

Die Medienspezialistin Patricia Anzola schrieb 1990: „Der Konzentrationsprozeß der kolumbianischen Radios, der Ende der 60er Jahre begann, hat sich in der vergangenen Dekade schwindelerregend beschleunigt. 1982 waren 59,2 Prozent der Sender einer Kette angeschlossen, 1986 bereits 66,4 Prozent – mit entsprechenden Folgen für das Programm, die Finanzierung und die Zugangsmöglichkeiten für die Bevölkerung.“

Der brasilianische Gigant O'Globo – der viertgrößte TV-Konzern der Welt

Auch in Brasilien schreitet der Konzentrationsprozess fort. Zusammen mit Mexiko besitzt das Land mehr als die Hälfte der Zeitungen (56,3 Prozent) und der Fernsehstationen (52,2 Prozent) in ganz Lateinamerika und der Karibik. Dazu kommt die detaillierteste und umfangreichste Politik hinsichtlich des internationalen Handels und der direkten Auslandsinvestitionen bei der Datenfernübertragung. Die internationale Telekomunikation wird von dem staatlichen Monopol EmBraTel kontrolliert. Die im Land operierenden Telefongesellschaften werden direkt von Telebras überwacht.

1990 zählte man in Brasilien 295 Tageszeitungen – fast ein Drittel aller in Lateinamerika und der Karibik registrierten Zeitungen. Inmitten des Kommunikationswirrwarrs auf dem Kontinent befindet sich das brasilianische Netz O'Globo. Es gehört zu den mächtigsten Wirtschaftsgruppen der gesamten Region. Ähnlich wie Televisa in Mexiko gehören dem Konzern ebenfalls Radiosender, Schallplattenfirmen, Tageszeitungen, Zeitschriften und Videoproduktionen. In Brasilien ist O'Globo die größte Kette, weltweit steht die Gesellschaft hinter den nordamerikanischen Medienkonzernen ABC, CBS und NBC an vierter Stelle. Fast 100 Millionen Fernsehzuschauer*innen verfolgen die Programme von O'Globo. Der hauseigene Satellit Brasilsat sichert die größtmögliche geografische Reichweite. Der technische Fortschritt hat vor den Türen der brasilianischen Krake nicht haltgemacht. Die Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Unternehmen „Pacific Data Images“ in den vergangenen Jahren erlaubte es, ein Programmpacket zu schaffen, das zwei und dreidimensionale Bilder produziert und mit Computeranimation arbeitet.

Der Medienriese wird selbst den brasilianischen Militärdiktatoren zu mächtig

Von den 137 Fernsehstationen des Landes gehören die meisten zu den vier größten komerziellen Ketten O'Globo, Manchete, Bandeirantes und dem Brasilianischen Fernsehsystem (SBT). Doch unbestritten die Nummer eins ist O'Globo, mehr als 50 Prozent der Werbeeinnahmen fließen in die Kassen der Gesellschaft. Auf einem Markt wie dem brasilianischen mit mehr als 20 Millionen Fernsehapparaten in den Häusern und einer potentiellen ZuschauerInnenschaft nahe bei 150 Millionen, verstärkt sich der Wettbewerb zwischen den Ketten täglich. Dies gewinnt noch mehr an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß allein in Sao Paulo – der größten städtischen Ansammlung – mehr als die Hälfte der Einwohner*innen den Fernseher mindestens sechs Stunden am Tag eingeschaltet haben, wenn man einer Parlamentsstudie Glauben schenken darf.

Die Kette O'Globo, von den Büros der gleichnamigen Tageszeitung in Rio de Janeiro aus verwaltet, beherrscht nicht nur den nationalen Markt der Telenovelas (Seifenopern), sondern exportiert diese auch ins übrige Amerika und nach Westeuropa. 1990 setzte O'Globo über eine Milliarde Dollar im TV-Geschäft um, eine Zahl, die selbst den mexikanischen Riesen Televisa (540 Millionen Dollar Umsatz) erblassen läßt. Der Gründer und Kopf von O'Globo ist Roberto Marinho. Er baute O'Globo in den 70er Jahren zum führenden Medienunternehmen in Brasilien aus. Dies gelang ihm vor allem durch eine Vereinbarung mit der nordamerikanischen Gruppe „Time- Life“, die finanzielle und technische Hilfe leistete.

Die in den Händen Marinhos entstehende Macht ist oft mit einem Staat im Staate verglichen worden. Die Suche nach einem Gegengewicht – das zugleich Konzentrationstendenzen und Effektivität aufweisen sollte, veranlaßte 1980 den Diktator Joao Batista Figueredo, sieben Kanäle der brasilianischen Fernsehvereinigung zu übernehmen. Diese sieben Kanäle wurden von der Regierung ein Jahr später zusammen mit zwei weiteren an zwei Unternehmensgruppen vergeben, die neue Netze bildeten. Vier Kanäle endeten in den Händen des Brasilianischen Fernsehsystems SBT, das zur Silvo Santos-Gruppe gehört. Santos ist Eigentümer von 49 Unternehmen aus der Branche. Die anderen fünf Kanäle gingen in den Besitz des Manchete Fernsehnetzes (RMT) der mächtigen Verlagsgruppe Bloch über.

Vom Lotteriekönig zum Medienmogul

Das Vermögen, das dem Fernsehunterhalter Silvio Santos erlaubte, sein Imperium, die SBT, zu errichten, entstand aus den Gewinnen einer Lotterie mit dem Namen „Glückskasten“. Seit mehr als 15 Jahren kaufen die Anhänger*innen des Animateurs diese Lose mit monatlichen Beiträgen und hoffen bei den Auslosungen auf einen der zahllosen Preise. Wer dabei kein Glück hat, erwirbt mit der Zeit Anrechte auf bestimmte Konsumgüter. Von Finanzgruppen beraten, legte Santos die sagenhaften Gelder an. Innerhalb kurzer Zeit machte er daraus ein Schneeballsystem, das unaufhörlich wuchs und schließlich in einer Unternehmensholding endete. Das vorrangig von den unteren Bevölkerungsschichten stammende Geld fiel in die Hände eines Experten, der sich 1990 sogar als Präsidentschaftskandidat präsentierte. Die Fernsehzuschauer*innen schenkten ihm nicht nur Gehör für seine Werbung, sondern ebenso einen Großteil der Finanzierung für seine unternehmerischen Projekte.

Geordneter Rückzug: Die Streitkräfte dulden zivile Regierungen, behalten aber die Macht (Teil II)

In der vergangenen Ausgabe von POONAL haben wir den ersten Teil der insgesamt dreiteiligen Serie über die Streitkräfte in Lateinamerika veröffentlicht. Nach einer allgemeinen Analyse der veränderten Bedingungen, mit denen sich die Armeen nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und dem damit zusammenhängenden Wandel vor allem in der US-Strategie konfrontiert sahen, geht es nun ins Detail: In dieser Ausgabe folgt eine Beschreibung, wie sich diese Veränderungen konkret in den wichtigsten Ländern Zentralamerikas ausgewirkt haben; in der kommenden Woche wird die Serie mit der Analyse der Armeen in Südamerika beendet.

Die Lage der Streitkräfte in Mittelamerika

(Lima, Oktober 1994, noticias aliadas-POONAL).- Während des

vergangenen Jahrzehnts war Mittelamerika einer der größten

Konfliktregionen der Welt. Militärdiktaturen oder ihre zivilen Marionetten setzten alle ihre Kräfte daran, die aufständischen Gruppen zu besiegen. Mit der Wahlniederlage der Sandinisten 1990 in Nicaragua, der Befriedung in El Salvador und den Verhandlungen mit der Guerilla in Guatemala kam der Frieden in die Region zurück, aber nicht in die Kasernen. Die folgenden Artikel geben ein Bild von den internen Veränderungen der Streitkräfte in Guatemala, Nicaragua, Honduras und El Salvador (an der Spezialausgabe von Noticias Aliadas zu den lateinamerikanischen Streitkräften arbeiteten verschiedene Autor*innen mit; die Red.).

Guatemala – Institutionalisten gegen Hardliner

Nach Jahrzehnten an der Macht hängt auch in den neunziger Jahren

die Möglichkeit politischer Veränderungen in Guatemala in erster

Linie von der Armee ab. Jede Spaltung oder jedes Problem innerhalb dieser Institution kann den Lauf der Geschichte in Guatemala ändern. Obwohl es schwierig ist, die Existenz von Strömungen innerhalb der Militärs wahrzunehmen, seit Ramiro De León Carpio im Juni 1993 Präsident wurde, gibt es zwei eindeutige Fraktionen: Auf der einen Seite stehen die „Institutionalisten“. Sie unterstützen die zivilen Einrichtungen und stützten die verfassungsmäßige Ordnung während des versuchten „autogolpe“ des Präsidenten Jorge Serrano im Mai 1993 den Rücken. In der Opposition sind die Hardliner, die Serrano halfen und immer noch davon träumen, die Panzer aufzufahren.

Was den Friedensprozess und die Verhandlungen mit der Guerilla angeht, so glauben die Institutionalisten, ein Sieg im militärischen Krieg werde nicht genügen. Für sie muß die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) auch auf dem politischen Feld bekämpft werden. Dort verloren die Militärs international an Boden. Die Verhandlungen sind Teil des politischen Krieges, genauso wie der Dialog über die Respektierung der Menschenrechte und die zivile Regierung. Die Hardliner ziehen die militärische Aktion der politischen vor. Sie glauben, einziger Verhandlungspunkt ist die bedingungslose Kapitulation der „terroristischen Verbrecher“. Sie sehen sich bereits als Sieger des Krieges im Land. Daher gibt es für sie keinen Grund, an der internationalen Front Zugeständnisse zu machen.

Dem Militärexperten und ehemaligen Guerillaführer Danilo Rodríguez zufolge sind die beiden Strömungen sich in drei entscheidenden Punkten einig: Zuallererst sehen sie die Notwendigkeit, das institutionelle Image zu schützen. Daher lehnen sie jegliche Vorschläge einer „Wahrheitskommission“, die die Menschenrechtsverbrechen untersuchen und Militärs anklagen könnte, geschlossen ab. Zweitens muß es der Streitkräftechef selbst sein, der den Umwandlungsprozeß und die Reduzierung der Streitkräfte bestimmt – aber auf keinen Fall Zivilisten. Schließlich gehen beide Flügel davon aus, daß die Armee trotz des Friedensprozesses und der Entmilitarisierung die Vorherrschaft über die zivile Gesellschaft und deren Institutionen haben muß.

Als Jorge Serrano 1991 die Präsidentschaft übernahm, umgab er sich mit Offizieren der harten Linie, die später größtenteils für den mißlungenen Staatsstreichversuch verantwortlich waren. Einige Beobachter*innen glauben, das Scheitern Serranos machte es zum ersten Mal seit Jahren möglich, daß die Institutionalisten die Offensive im politischen Krieg übernahmen. Unter der Regierung von De León Carpio haben die Institutionalisten ihre Stellung gefestigt. Mehrere Male zerschlugen sie kleinere von den Hardlinern angezettelte Putschversuche.

Nicaragua – Neues Gesetz ändert die Beziehung zwischen zivilem und militärischen Bereich

Mit der Verabschiedung des lange erwarteten „Gesetzes zur Reorganisierung der Sandinistischen Volksstreitkräfte (EPS)“ endeten zweijährige Verhandlungen zwischen den Militärs und der Regierung unter der Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro. Das neue Gesetz unterstellt die EPS der zivilen Kontrolle, reformiert das militärische Gerichtssystem, um Mißbrauch zu verhindern und schafft ein umstrittenes Militärinstitut für die Soziale Sicherheit der Streitkräfteangehörigen. Es bereitet außerdem den Weg für den Ruhestand des Oberkommandierenden der EPS, General Humberto Ortega.

„Es ist das erste Mal in Nicaragua, daß über dieses Thema debattiert wird und das erste Mal, daß ein Armeechef sein Amt in Übereinstimmung mit einem Gesetz verläßt, das im Konsens und in zivilisierter Form verabschiedet wurde“, kommentierte Parlamentsvizepräsident Reinaldo Tifel. In einigen Schlüsselpunkten wurde allerdings kein Konsens erreicht: so bei der Methode, den Kommandanten der EPS auszuwählen. Der/die PräsidentIn der Republik, so die umstrittene Regelung, hat das Recht, den Armeechef zu ernennen oder abzusetzen. Dieser bekommt sein Amt für fünf Jahre ohne die Möglichkeit der Wiederwahl. Doch der/die PräsidentIn darf nur bestimmen, wenn das militärische Oberkommando bereits einen Kandidaten vorgeschlagen hat.

Der Abgeordnete der regierenden Nationalen Oppositionsallianz (UNO), Luis Sanchez, kritisierte, das Gesetz gebe „dem Präsidentenamt die pathetische und protokollarische Funktion, den durch die Militärs Ernannten zu bestätigen“. In der Theorie könnte die Präsidentin, die im kommenden Dezember den Nachfolger von General Ortega ernennen wird, den Vorschlag der Militärs zurückweisen und vom Oberkommando einen neuen Kandidaten verlangen. Wenn dies geschehe, so Oberst Ricardo Wheelock, Sprecher der EPS, könne eine neue Krise zwischen der Regierung und den Militärs ausgelöst werden. Dafür sei das Gesetz nicht geschaffen.

Das Gesetz bestimmt auch, daß Offiziere und Soldaten, die für Vergehen gegen Zivilist*innen verantwortlich sind, von zivilen Gerichten verurteilt werden. Das ist etwas absolut ungewöhnliches für die traditionelle Militärjustiz der lateinamerikanischen Länder. Das erwähnte Militärinstitut für die Soziale Sicherheit soll für die Militärs Wohnungen, eine Lebensversicherung und soziale Vergünstigungen bereitstellen. Für einige bedeutet das eine Herausforderung an die zivile Kontrolle. Eine Verordnung legt fest, daß Zivilpersonen im Vorstand und bei der Rechnungsprüfung des Institutes teilnehmen können. Um Anklagen einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber dem Privatsektor zu vermeiden, sind die Unternehmen im Besitz der Streitkräfte verpflichtet, Steuern zu bezahlen. Kritiker*innen glauben, mit der eigenen Sozialversicherungseinrichtung hätten die EPS wie in anderen lateinamerikanischen Ländern eine unmöglich zu kontrollierende wirtschaftliche Macht.

El Salvador – Die demobilisierten Truppen machen Probleme Zu den größten Sorgen des neuen Präsidenten Armando Calderón Sol während der ersten Regierungszeit gehören die demobilisierten Soldaten und die neu geschaffenen Polizeikräfte. Als Teil der 1992 mit der FMLN unterschriebenen Friedensverträge stimmte die Regierung zu, die Streitkräfte um 50 Prozent zu reduzieren. Sie sagte ebenfalls zu, die Nationalgarde, die Finanzpolizei und die Nationalpolizei (PN) aufzulösen. Alle drei Institutionen sind zahlreicher Menschenrechtsverletzungen angeklagt. Sie sollten durch eine einzige Polizeikraft unter ziviler Kontrolle ersetzt werden. Die beiden wurden Mitte 1993 aufgelöst. Die Nationalpolizei muß bis spätestens März 1995 vollständig verschwinden. Dennoch löst sie – genauso wie während der 12 Jahre des Bürgerkrieges – nach wie vor große Besorgnis bei den Menschenrechtsgruppen aus.

Ein kürzlicher Bericht der UNO-Beobachtungskommission in El Salvador (UNOSAL) bringt die Nationalpolizei und die Streitkräfte mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung. Die Autor*innen des Dokumentes nennen Informationen, die Soldaten und die Polizei für Einschüchterungen, bewaffnete Raubüberfälle und Morde verantwortlich machen. Präsident Calderón Sol sah sich gezwungen, das Auflösungsdatum für die Nationalpolizei auf den Dezember 1994 vorzuverlegen. Es war an die Öffentlichkeit gedrungen, daß der Polizeioberst José Rafael Coreas Orellana bei einem Banküberfall beteiligt war, bei dem drei Bankwächter starben. Der UNO-Bericht versichert: „Dieser Überfall brachte den Sumpf des unterirdischen Verbrechens ans Licht, der in den Reihen der Nationalpolizei herrscht und bestätigte die seit langem gehegten Vermutungen der Salvadoreaner*innen.“

UNO-Bericht: Nationalpolizei und Streitkräfte in organisierte Kriminalität verwickelt

Ein weiteres Problem, dem Calderón Sol gegenübersteht, sind die tausenden entlassenen Soldaten und Polizisten, denen in den Friedensabkommen Land und Kredite versprochen wurden. Mitte September besetzten mehr als 400 ehemalige Soldaten und Nationalpolizisten das Parlament und forderten von der Regierung die Erfüllung ihres Vertragsteils sowie eine Entschädigung für die insgesamt 16.000 Soldaten und Polizisten, die mit Ende des Krieges in den Ruhestand gehen mußten. Die Beobachter*innen glauben, wenn der Präsident keine umfassende Lösung für das Problem findet, gebe es die Möglichkeit einer gewalttätigen sozialen Explosion.

Honduras – Militärs drängen Regierung in die Defensive

Als Carlos Roberto Reina im Januar den Präsidentensessel bestieg, versprach er, die Vergehen der Streitkräfte unnachsichtig zu bestrafen und die Militärs der zivilen Gewalt unterzuordnen. Zwar überreichte die Armee nach fast zwanzigjähriger Herrschaft bereits 1982 die Regierungszügel einer Zivilregierung. Doch sie behielt das absolute Monopol über die Polizei, den Geheimdienst, die Drogenbekämpfung und die Verbrechensermittlung. Trotz des verbalen Widerstandes der Militärs schien Reina Anfang des Jahres zunächst wichtige Siege errungen zu haben. So stimmte das Parlament im Mai für die Abschaffung des Zwangswehrdienstes und wurde im Juni die Geheimpolizei aufgelöst (s. Berichterstattung von POONAL in den Juni-Ausgaben).

Angesichts der kühnen Anstrengungen des Präsidenten, die Macht der Militärs zu beschneiden, wunderten sich wenige über die Antwort der Generäle. Am 2. August gab es ein stürmisch verlaufendes Treffen zwischen Reina, mehreren hohen Regierungsfunktionären und den 60 Mitgliedern des Obersten Militärrates (POONAL berichtete). Danach begann der schrittweise Rückzug der Zivilregierung. Unter anderem kündigte der Präsident seine Erlaubnis zur Wiederaufnahme der Zwangsrekrutierungen an. Mit dem freiwilligen Militärdienst ist es vorerst wieder vorbei. Im Januar 1995 muß das honduranische Parlament erneut darüber entscheiden.

HAITI

Aristide lädt Volksbewegungen und Gewerkschaften ein

(Port-Au-Prince, 2 Dezember 1994, hib-Poonal) Zum erstenmal seit seit seiner Ankunft vor sieben Wochen hat Präsident Aristide Vertreter der Volksbewegung und der Gewerkschaften zu einem Treffen geladen, um mit ihnen über die Erneuerung des Landes zu sprechen. Einige der bekannteren Organisationen boykottierten jedoch das Treffen, während auf der anderen Seite etliche Basisorganisationen gar nicht erst eingeladen wurden. Dagegen waren die von der US-Regierung gegründeten Gruppen sowie Gewerkschaftsorganisationen, die den Putsch gegen Aristide unterstützt hatten, sehr stark vertreten.

Aristide sagt, er habe sich nicht geändert

Das Treffen wurde mit einer Rede eines Vertreters von der „Martissant Platform“ eröffnet, der behauptete für alle Volksbewegungen des Landes zu sprechen. In seiner Rede bedauerte er, daß nach wie vor tausende Attaches bewaffnet seien und forderte Gerechtigkeit und Aussöhnung bei der Säuberung des Justizsystems, der Polizei und der Armee. „Keine unserer Forderungen ist bis jetzt erfüllt worden“ erinnerte er den Präsidenten. „Die Forderungen nach Gerechtigkeit, Sicherheit und Begrenzung der Inflation sind immer noch nicht gelöst,“ so der Sprecher.

Daraufhin sprach Aristide eine Stunde lang über die Notwendigkeit der Abrüstung, der wirtschaftlichen und politischen Gerechtigkeit. Er fügte an, der „erste positive Schritt“ sei bereits gemacht und verwies auf die „Sicherheit“, die die US-Truppen gewährten. Die Ideen und Versprechungen könnten nicht an einem Tag erfüllt werden, aber er werde, wie schon in der Vergangenheit, kämpfen. „Ich habe Augen und Ohren, ich sehe wo die Probleme liegen“, so der Präsident.

Der Präsident sprach auch über die Notwendigkeit, ein funktionsfähiges Erziehungs- und Gesundheitsystem aufzubauen. Auch verteidigte er die regelmäßigen Gespräche, die er und seine Regierung etwa mit der haitianischen Armee und mit Wirtschaftsvertretern führen, die den Putsch unterstützt haben. „Wir sind gezwungen, den Weg des Dialogs fortzuführen, um eine gerechte Aussöhnung zu erreichen,“ erklärte Präsident Aristide.

Aristide versprach den Volksorganisationen eine Finanzhilfe in Höhe von 4 Millionen Gourdes (285.000$). Voraussetzung für die Auszahlung sei allerdings eine vollständige Liste aller Mitglieder der jeweiligen Organisation – mit Telefonnummer und Adresse. Die Ankündigung verursachte einen Schock bei den Anwesenden. Zur Begründung gab der Präsident an, daß einige Gruppierungen reine Scheinorganisationen seien, die überhaupt keine Mitglieder hätten. Kritik der Volksbewegung: Die wirklichen Basisorganisationen wurden nicht eingeladen

Trotz der wiederholten Verdächtigungen durch die lokalen Medien wurde auf dem Treffen am 23. November keine Liste der Anwesenden angefertigt. Sicher ist aber, daß dutzende bekannter Oraginsationen, wie z.B. 'Solidarite Ant Jen', 'Veye Yo', einige 'Ti Kominote Legliz'Gruppierungen, die 'Assemblee Populaire Nationale' und andere nicht anwesend waren. Einige der anwesenden Gruppierungen sind fest mit der PIRED verbunden (Programme Integre pour le Reenforcement de la Democracie, die mit einer Finanzhilfe von 15 Millionen Dollar der US-Vereinigung für Internationale Entwicklung zur „Förderung der Demokratie“ gegründet wurde). PIRED hat großen Einfluß auf verschiedene Organisationen in Haiti. So haben schon einige Gruppen große Kampagnen in Radios gestartet (mit PIRED Dollars), um die „Aussöhnung“ voranzutreiben.

Vertreter der Volksbewegungen zögerten mit offener Kritik an dem Treffen und an Präsident Aristide. Ein Führer der 'Konbit Komilfo' aus der Nähe von Grand-Goave rügte jedoch, daß seine und andere Organisation, die lange Zeit für den Präsidenten im Land gekämpft hätten, nicht zu dem Treffen eingeladen wurden. Er fügte hinzu, daß er noch nie etwas von der 'Martissant Platform' gehört habe, noch von irgenwelchen anderen Organisation, die in der armen Region um Martisaant gekämpft haben.

„All die Gruppen, mit denen wir oft zusammengearbeitet haben, sind nicht eingladen worden“, sagte der Volksbewegungsführer diese Woche. „Die Leute sollten langsam verstehen, daß die Volksoraganisationen ein Werkzeug in der Hand des haitianischen Volkes sind, um einen Wechsel voranzubringen. Die Haitianer*innen verstehn noch nicht, daß die Volksorganisationen ihre Indentität und Ideen haben, ihre Prinzipien und Arbeitsmethoden.“

Die Bewegung 'Group Inisyativ Pou Inite Kan Pep la' (GIIKAP – Initiativgruppe zur Vereinigung des Volkes), die sich noch am 22. November in einer gutbesuchten Pressekonferenz vorgestellt hatte, wurde ebenfalls nicht eingeladen. „Die Plattformen sind undurchsichtig. Sie arbeiten für… PIRED,“ sagte ein Sprecher. „Die Mehrheit der Gruppierungen sind Pro-PIRED. Diese Art von Initiative können wir nicht unterstützen.“

Gewerkschaften werden von Duvalier-Repräsentant vertreten

Am 2. Dezember besuchten 400 Gewerkschaftsvertreter*innen auf einem ähnlichen Treffen den Präsidentenpalalst. Journalist*innen stellten auch hier einen hohen Anteil der „gelben Gewerkschaften“ fest, die den Putsch offen unterstützt hatten oder von der US-Regierung gegründet wurden.

Die Gewerkschaft der Müller*innen, die nach eigenem Bekunden auch nicht eingeladen wurde, demonstrierte vor den Toren des Palastes gegen die Schließung ihrer Fabrik. Arnold St. Vil sprach „im Namen der gesamten haitianischen Gewerkschaftsbewegung“, verschwieg aber wohlweislich, daß er aus der 'Federation Ouvriers Syndiques' (FOS) stammt, dem früheren Gewerkschaftsbund, der offen mit dem Duvalier-Regimme kollaborierte. Die FOS wurde 1982 gegründet mit Hilfe des American Institute for Free Labor Development (AIFLD), einem Arm der US-Regierung, der 1962 gegründet wurde. AIFLD arbeitet oft mit der CIA zusammen, deren Aufgabe es war, Regierungen in Ländern wie Chile, Guyana und der Dominikanischen Republik zu destabiliesieren.

So überraschte es auch nicht, als St. Vil nach seiner Forderung nach Wiederinbetriebnahme einiger Fabriken und der Wiedergutmachungszahlungen für die Opfer des Putsches auch den 'freien Handel' für Haiti forderte. Er erklärte, daß die Arbeiter*innen sich gegen die Privatisierung von Betrieben stellen, weil sie Angst um ihren Arbeitzsplatz hätten. Er selber verdamme die Privatisierung aber nicht, sondern fordere lediglich genauere Erklärungen. Über Arbeitsbedingungen und Mindestlöhne sprach St. Vil nicht. Eine Forderung von Aristide noch vor seiner Wahl war noch die Festsetzunmg des Mindestlohnes gewesen. Tatsächlich fiel aber der festgesetzte Mindestlohn von 2 US$ im Jahr 1991 auf heute 1 US$.

NICARAGUA

Neue kommunale Banken zur Armutsbekämpfung

(Managua, Dezember 1994).- Neue Banken auf kommunaler Ebene sollen durch Kredite vor allem dürregeschädigten Bäuer*innen Produktionshilfe geben.

Die extreme Trockenheit hat in diesem Jahr in ganz Nicaragua etwa 100.000 Hektar Maiskulturen vernichtet. Die Verluste belaufen sich auf etwa zwei Millionen Sack zu je 46 Kilogramm. Landwirtschaftsminister Roberto Roldón zufolge ist Getreide im Wert von insgesamt 15 Millionen US-Dollar verloren gegangen. 300.000 Menschen seien direkt von der Dürre betroffen.

In Nicaragua arbeiten derzeit vier kommunale Agrarbanken. Die ersten drei erhielten von der italienischen Regierung ein Startkapital von insgesamt 300.000 Dollar. In den vergangenen Jahren hatten nur wenige Agrarporoduzenten überhaupt Zugang zu Darlehen. Während 1988 mehr als 100.000 Antragsteller Gelder erhielten, waren es 1991 nur noch 38.000. Und die Vereinigung der Bäuer*innen und Viehzüchter*innen“ (UNAG) gibt an, daß diese Zahl bis heute weiter auf 20.000 gesunken sei.

Um von den neuen Banken Kredite zu bekommen, müssen sich die kleinen und mittleren Bäuer*innen in Gruppen zu vier bis acht Produzent*innen zusammenschließen. Anders als private und staatliche Banken verlangen die kommunalen Geldinstitute jedoch keine Bürgschaften. Auf die Darlehen, die in Form von Geldern oder Saatgut bereigestellt werden, werden jährlich zehn Prozent Zinsen zur Aufstockung des Aktivvermögens der Bank erhoben. In den sogenannten Trockenzonen Nicaraguas leben nach offiziellen Schätzungen bis zu 80 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Nichtstaatliche Organisationen haben ermittelt, daß ihr täglicher Nahrungskonsum die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegte Mindestgrenze um durchschnittlich 360 Kalorien unterschreitet.

KOLUMBIEN

Menschenrechtler und Indígena-Führer ermordet

(Bogotá, November 1994, AC-POONAL).- Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation MINGA ist der Menschenrechtler Hermes Rendon Ende Oktober von bislang unbekannten Tätern erschossen worden. Zudem wurde der Mord an dem 52jährigen Vidal Antonio Ducuara, einem Führer der Indígenagemeinschaft Vuelta del Río im Departement Tolima bekannt. Ducuara wurde am 13. November umgebracht.

Der 22 Jahre alte Hermes Rendon war Mitarbeiter einer Wohnungsbaugenossenschaft in der Provinz Ocaña und ein engagierter Menschenrechtsaktivist. Er beriet und betreute hunderte von Opfern von politischen Gewalttaten. Er wurde am 24. Oktober 1994 von unbekannten Tätern überfallen, einen Tag später wurde seine Leiche mit sechs Einschüssen am Kopf aufgefunden. Bereits zu Beginn des Jahres 1994 waren Héctor Berrera und Cristobal Navarro, ebenfalls zwei Gemeindeaktivisten und Genossenschaftsmitarbeiter, Attentaten zum Opfer gefallen.

Vidal Antonio war Präsident der Indígena-Gemeinschaft in Vuelta del Río. Er sei ein hartnäckiger Kämpfer für das Gemeinschaftsland der Indígena-Gemeinde gewesen – und habe sich so den Haß der Großgrundbesitzer in der Region zugezogen. Schon seit mehreren Jahren sei er von bezahlten Killern im Dienste eines Großgrundbesitzers der Gemeinde Ortega bedroht worden, teilte der Regionale Indígena-Rat von Tolima (CRIT) mit. Die Organisation wies auch daraufhin, daß die Welle der Attentate gegen Indígena- Führer*innen nicht abreiße. Der CRIT forderte die Staatsanwaltschaft auf, ernsthafte Ermittlungen aufzunehmen, damit die Verantwortlichen bestraft würden. Der Indígena-Rat macht die Gemeinde- und Departementsregierung wegen ihrer Nachlässigkeit für die jetzige Situation verantwortlich. Der CRIT rief das Innenministerium und der Generalstaatsanwalt auf zu untersuchen, ob die Gemeinde- und Departementsbehörden in die Attentate verstrickt seien.

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