Poonal Nr. 145

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 145 vom 31.05.1994

Inhalt


COSTA RICA

PERU

MEXICO

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

VENEZUELA

KUBA

GUATEMALA

HAITI

BRASILIEN

KOLUMBIEN


COSTA RICA

Regierung kündigt Preiskontrolle für Grundnahrungsmittel an

(San José, 29. Mai 1994, POONAL).- Die neue Regierung Costa Ricas unter José Maria Figueroa scheint sich von der neoliberal orientierten Wirtschaftspolitik in den drei vorherigen Amtsperioden zu verabschieden. Figueroa bestätigte, daß mindestens 49 Produkte des Grundbedarfs nicht mehr den Marktgesetzen, sondern stattdessen einer Preiskontrolle unterworfen werden.

Die Preise für Nahrungsmittel wie Reis, Zucker, Speiseöl, Nudeln, bestimmte Fleischsorten, Hülsenfrüchte und Gemüse werden künftig genauso vom Staat reguliert wie die Wasser- und Strompreise. „Anstatt uns auf einer Skala zu bewegen, auf der alles teurer wird, müssen wir eine Anstrengung unternehmen, die Kosten zu senken und zu kontrollieren“, kommentierte der Regierungschef. Eine fünfköpfige Familie in Costa Rica braucht monatlich etwa 36.000 Colones (240 Dollar), um die Grundprodukte kaufen zu können. Dies bedeutet: Durchschnittlich müssen zwei Familienmitglieder arbeiten. Die Preise für die 49 kontrollierten Produkte werden immer noch so hoch sein, daß ein Mindestlohn für ihre Bezahlung nicht ausreicht.

PERU

Massenstreik der LehrerInnen

(Lima, 29. Mai 1994, POONAL).- Am 24. Mai beteiligten sich mehr als 200.000 Lehrer*innen an einem eintägigen Streik „gegen den Regierungsversuch, die öffentliche Bildung zu privatisieren“. Es war die erste erfolgreiche Massenmobilisierung gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik des Präsidenten Alberto Fujimori in den letzten zwei Jahren. Sie fand trotz der Ankündigung statt, daß die Regierungsmehrheit im peruanischen Kongreß drei kritisierte Gesetze aufheben wolle. Diese privatisierten das staatliche Bildungswesen und waren vorher von der Regierung verabschiedet worden.

Laut Soledad Lozano von der Einheitsgewerkschaft der Arbeiter*innen des Peruanischen Bildungswesens (SUTEP) umfaßten die weiteren Forderungen nicht nur Lohnerhöhungen, sondern „die Freilassung von 15 des Terrorismus angeklagten Lehrer*innen und die Festanstellung von 60 Dozent*innen, die bisher nur provisorische Verträge haben. Die Gewerkschaftsführerin begründete den Widerstand gegen die Privatisierung damit, „daß sie tausende Kinder außerhalb des Bildungssystems läßt. Sie kämen zu den drei Millionen, die derzeit wegen der extremen Armut, in der sie leben, die Schule (vorzeitig) verlassen haben“. Lozano forderte in diesem Zusammenhang die Regierung auf, das (kostenlose) Frühstück für Schüler*innen aus niedrigen Einkommensschichten fortzusetzen. Von dem Streik waren mehr als 4 Millionen Schüler*innen der Grundschule und der Sekundarstufe betroffen. Über die Erfüllung der Forderung müssen die Lehrer*innen noch mit der Regierung verhandeln.

MEXICO

Präsidentschaftskandidat Zedillo vom Campus vertrieben

(Mexiko-Stadt, 29. Mai 1994, POONAL).- Zum ersten Mal seit 30 Jahren wagte sich ein Präsidentschaftskandidat der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) auf den Campus der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM). Doch der Versuch von Ernesto Zedillo, sich mehr oder weniger heimlich mit den Student*innen der betriebswirtschaftlichen Fakultät zu unterhalten, endete in einem Fiasko. Angeführt von Mitgliedern des StudentInnenrates der Universität (CEU) bereiteten mehrere Hundert draußen wartende Student*innen Zedillo einen heißen Abgang, als er nach anderthalb Stunden den Hörsaal verließ. „Wir wollen dich hier nicht“ riefen sie und lieferten sich Prügeleien mit Zedillos Leib- wächtern.

Ein wesentlicher Grund für die Empörung der Student*innen war, von der Diskussion mit dem Präsidentschaftskandidaten praktisch ausgeschlossen worden zu sein. Zwar hatte Zedillo nach eigenen An- gaben gegenüber zwei Studentenvertreter*innen der betriebswirtschaftlichen Fakultät seinen Besuch bereits vor einigen Wochen zugesagt. Auch der Uni-Rektor und der Fakultätsdekan wurden informiert. Doch ansonsten hatte der PRI- Kandidat um Geheimhaltung gebeten. So wurden erst am Vorabend Flugblätter mit dem Veranstaltungshinweis für den 24. Mai verteilt – und offensichtlich nur im Fakultätsbereich.

Der CEU gab daraufhin die Losung aus: „Entweder gibt es eine Diskussion mit allen oder er kommt nicht herein.“ Letzteres gelang Zedillo ohne größere Probleme, aber bereits während der Veranstaltung waren Rufe von draußen und Schläge gegen die Hörsaaltür unüberhörbar. Bei denen, die eingelassen wurden, sorgte zudem das Verfahren am Saaleingang für Mißstimmung: Wer in den Saal wollte, mußte auf einem weißen Papier Namen, Anschrift, Telefon, Fakultät, Semesterzahl und Matrikelnummer angeben. Die offizielle Begründung für dieses Verfahren: Die Zettel sollten in eine transparente Urne kommen, um jene Student*innen auszulosen, die Zedillo Fragen stellen durften.

Der Universitätsrektor José Sarukhán beklagte die „Intoleranz“ gegenüber dem PRI-Kandidaten. Die Universität sei ein „offenes Haus“. Der CEU dagegen beschwerte sich nicht nur über die Heimlichtuerei von Zedillo. Der StudentInnenrat prangerte eine Rechtsverletzung an. Der Kandidat habe den Präsidentenstab und stark bewaffnete paramilitärische Kräfte mitgebracht (diese Version wurde von anderen Quellen bestätigt). Da die Universität einen Autonomiestatus habe, dürfe außer dem universitätseigenen Sicherheitspersonal kein Polizei- oder Militärkörper ohne ausdrückliche Bitte des Rektors auf den Campus. Während der CEU berichtete, der Hörsaal sei bereits um vier Uhr nachts von den präsidentiellen Sicherheitskräften „besetzt“ worden, sagte Rektor Sarukhán, er habe über fremde Sicherheitskräfte auf dem Unigelände keine Information.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Immer noch kein offizielles Wahlergebnis

(Santo Domingo, 29. Mai 1994, POONAL).- Zwei Wochen nach den allgemeinen Wahlen in der Dominikanischen Republik steht der Wahlsieger immer noch nicht eindeutig fest. Der Zentrale Wahlrat (JCE) gibt in seinem letzten Bulletin dem amtierenden Präsidenten Joaquín Balaguer einen Vorsprung von 30.000 Stimmen (bei einer Auszählung von 99 Prozent) vor Peña Gomez, dem Kandidaten der oppositionellen Revolutionären Dominikanischen Partei (PRD). Doch angesichts zahlreicher Einwänder der Opposition, aber auch von Wahlbeobachter*innen, hat der Rat Balaguer bisher nicht zum Sieger erklärt.

Stattdessen ordnete der Wahlrat eine „vollständige Untersuchung“ der ursprünglichen Wahlregister an. Es gibt Beschuldigungen, diese seien für die Wahlen vom 16. Mai verändert worden. Die PRD hatte in den letzten Tagen von einem „kolossalen“ Wahlbetrug gesprochen. Ihr Kandidat warnte Balaguer davor, sich in einen „Thronräuber“ zu wandeln. Für diesen Fall kündigte er an, die gewählten Senator*innen, Abgeordneten und Bürgermeister*innen seiner Partei würden ihre Posten nicht antreten.

Wann die neue Untersuchung abgeschlossen sein wird, steht bisher nicht fest. Politische Beobachter*innen wollen unterdessen eine Mischung aus Frustration und Resignation bei den Dominikaner*innen festgestellt haben. In ihrer Mehrheit würden sie von einem Wahlbetrug ausgehen und glauben, alles bleibe beim Alten, weil der 87jährige Balaguer „auf seinem Präsidentenstuhl sitzend sterben will“.

VENEZUELA

Umfassende Änderungen im Kabinett

(Caracas, 29. Mai 1994, POONAL).- Der venezolanische Präsident Rafael Calderas ernannte am 28. Mai fünf neue Minister*innen. Zuvor hatte es im Kabinett Meinungsverschiedenheiten gegeben, wie das Land aus der Wirtschaftskrise herauskommen könne. Das Entwicklungs- und das Außenhandelsministerium wurden zum Industrie- und Handelsministerium zusammengelegt. Völlig neu geschaffen wurde das Ministerium für Sozialprogramme. Die weiteren Änderungen betreffen das Planungs-, das Transport- und Kommunikationsministerium sowie das Ministerium für städtische Entwicklung. Auch an die Spitze des Venezolanischen Investitionsfonds (FIV), der für die Privatisierungspläne zuständig ist, setzte der Präsident eine Person seines Vertrauens.

Die Expert*innen sehen in den Änderungen den Beginn einer neoliberalen Wirtschaftspolitik durch die Calderas-Regierung. Allerdings werde das Wahlversprechen, bei der Amtsführung einen „sozialen Akzent“ zu setzen, beibehalten. Der ehemalige Oberst Hugo Chávez, Anführer des ersten Putschversuches gegen den seit gut einer Woche inhaftierten Ex-Präsidenten Carlos Andrés Pérez, erklärte gegenüber der US-Zeitschrift Newsweek: „Caldera ähnelt Pérez jeden Tag mehr.“

KUBA

Regierung erhöht Preise, um Staatsfinanzen zu sanieren

– Von Elsy Fors

(Havanna, 24. Mai 1994, Prensa Latina-POONAL).- Die kubanische Regierung will die Preise von neun Produkten und Dienstleistungen erhöhen. Die Preiserhöhungen sind Teil des strengsten Sanierungsprogramms für die Finanzen, das auf der Insel jemals angewandt wurde. Die Maßnahmen des Exekutivkomitees des kubanischen Ministerrates wurden am 23. Mai 1994 in der Wochenzeitung „Arbeiter“ veröffentlicht. Im einzelnen sollen folgende Produkte und Dienstleistungen teuerer werden: Zigaretten und Havanna-Zigarren, alkoholische Getränke, Treibstoff für Privatautos, Strom, einige Transportarten, Wasser und Abwasserentsorgung, Post- und Telegrafendienst. Das bisher kostenlose Essen in den ArbeiterInnenkantinen muß demnächst bezahlt werden.

Es gehe nicht darum, der Maßnahme zu applaudieren, sondern „sie zu verstehen und zu akzeptieren, daß das Land keinen anderen Ausweg hat“, kommentierte die Wochenzeitung. Außerdem werden die Bürger*innen daran erinnert, daß die Kubaner*innen trotz des Ausmaßes der Krise „im Vergleich immer noch weniger für Wohnung, Strom, Transport und Ernährung ausgeben als die (anderen) lateinamerikanischen Arbeiter*innen“. Ohne von den Maßnahmen mit hohem politischen Risiko begeistert zu sein, erfüllt die Regierung in Havanna den Auftrag des Parlaments, das vor kaum drei Wochen in einer außerordentlichen Sitzung Än- derungen in der Wirtschaft forderte. Zudem reagiert sie auf unumgängliche ökonomische Notwendigkeiten. Nach neuesten Zahlen des Ministeriums für Finanzen und Preise beträgt der Währungsüberhang am Ende dieses Monats (Mai) 12 Milliarden Pesos (nach offiziellem Wechselkurs 12 Milliarden US-Dollar). Das Haushaltsdefizit lag Ende 1993 bei 4,2 Milliarden Pesos. Dem zuständigen Minister Jose Luis Rodriguez zufolge sind die Preis- und Steuererhöhungen der effektivste Weg für die kurzfristige finanzielle Sanierung.

In einem weiteren Schritt sollen die staatlichen Subventionen reduziert werden. Daran haben die Ausgaben für die ArbeiterInnenkantinen einen Anteil von 100 Millionen Pesos. Diese Kosten müssen nun diese Einrichtungen nun selbst aufbringen. Für die Subventionierung von Grndnahrungsmitteln gibt der kubanische Staat jährlich 365 Millionen Dollar aus. Dies soll nicht angetastet werden. Die Kosten für die Verbraucher*innen bei den rationierten Produkten betragen pro Person und Monat 22 Pesos. Dieser eingeschränkte Warenkorb absorbiert zusammen mit den Kosten für Miete, Strom und anderen staatlichen Dienstleistungen 40 Prozent des Mindestlohns von 100 Pesos auf Kuba.

Preise für Treibstoff steigen um das Vierfache

Die zum Teil seit 30 Jahren stabil gehaltenen Preise bei Zigaretten und Alkohol werden ab dem 1. Juni 1994 um ein Mehrfaches steigen. Der rationierte Treibstoff für die 172.000 Privatautos im Land wird von diesem Datum an fast viermal so teuer (je nach Treibstoffart dann zwischen 0,75 und 1,2 Pesos pro Liter). Die erhöhten Strompreise treten mit dem 1. Oktober in Kraft. Für die ersten 100 kw/h Stromverbrauch im Monat bleibt der Preis bei 9 Centavos pro Kilowattstunde, doch zusätzlicher Verbrauch kostet gestaffelt 20 bzw. 30 Centavos. Zur Zeit ist die Stromversorgung auf Kuba häufig und für längere Zeit unterbrochen. Beim Transportwesen sind die Bahn, der Flugverkehr, der Schiffstranport zu und von der Insel sowie der Busverkehr zwischen den Städten von Preiserhöhungen betroffen. Sämtliche Maßnahmen sollen im Herbst dieses Jahres in Kraft treten. Weitere Mittel wie die progressive Besteuerung der auf eigene Rechnung arbeitenden Betriebe werden in Betracht gezogen.

GUATEMALA

Verhandlungen ohne Abkommen

– Von Ileana Alamilla

(Mexiko-Stadt, 25. Mai 1994, cerigua-POONAL).- Die Verhandlungen zwischen guatemaltekischer Guerilla und Regierung und Militär über die „entwurzelte“ Bevölkerung endete ohne ein Abkommen. Seitdem die Regierungseite einschließlich der guatemaltekischen Oligarchie jede Vereinbarung an die Abmachung einer sofortigen Feuerpause geknüpft hatte, war die Lösung der Probleme der mehr als zwei Millionen Vertriebenen in weite Ferne gerückt. Die Lösung der Probleme der „entwurzelten Bevölkerung“ (u.a. Land, Entmilitarisierung, Gesundheit, Bildung, Respekt der Menschenrechte, politische Freiheiten) hätte einschneidende Veränderung bedeutet, die jedoch weder die Regierung noch die Streitkräfte bereit waren, zuzugestehen. Die Verhandlungsrunde über die sogenannte Wahrheitskommission wurde vorerst suspendiert. Miguel Angel Sandoval von der politisch-diplomatischen Delegation der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) beschuldigte die Regierung denn auch, „der Verhandlung auszuweichen“.

In der erfolglosen Gesprächsrunde kamen auch die Forderungen der Versammlung der Zivilen Gesellschaftsgruppen (ASC) auf den Tisch (vgl. dazu auch POONAL Nr. 144). Sie bezogen sich unter anderem auf die Entmilitarisierung der Wiederansiedlungsgebiete der Flüchtlinge, die Abschaffung der Zwangsrekrutierung und das dringendste Problem Guatemalas: die Landfrage. Aus Sicht der Militärs ist eine Entmilitarisierung der Rückkehrgebiete nicht sinnvoll. Sie verhindert die soziale Kontrolle der Bevölkerung. Aus politischer Sicht wäre der Rückzug eine Niederlage. Die Landfrage ist ein weiterer ewiger Konfrontationspunkt. Die Militärregierung unter General Oscar Mejía Víctores verteilte 1985 die „von ihren Eigentümer*innen (Flüchtlinge und interne Ver- triebene) verlassenen“ Landstücke. Diese fordern jetzt die Anerkennung ihres Eigentums oder aber eine Landzuweisung in der Nähe ihrer Kulturzonen.

Im Forderungskatalog der Zivilgesellschaft war auch die Wahrheitskommission enthalten. Die Regierungsabordnung war darüber sehr verärgert. Ihr Berater Mario Permuth erklärte: „Die ASC ging in ihrem Vorschlag zu weit, indem sie Aspekte einschloß, die in den übrigen abgemachten Treffen behandelt werden müssen.“ Die offizielle Delegation wandte sich ebenfalls gegen den Vorschlag der Guerilla, die guatemaltekischen Flüchtlinge in Kanada und den USA in ein Abkommen einzuschließen.

Spanien/Guatemala

Menchú: Dialog ohne die Unterstützung der Indígenas hat keinen Wert

(Guatemala, 26. Mai 1994, NG-POONAL).- Die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú versicherte in Barcelona: „Es wird in Guatemala keine Gespräche geben, die etwas wert sind, wenn sie nicht die Unterstützung der Mayas haben.“ Sie äußerte die Hoffnung, Ende dieses Jahres würden die Verhandlungen abgeschlossen, um 34 Jahre bewaffneten Konfliktes in ihrem Land zu beenden. Menchú sprach auf einer öffentlichen Veranstaltung, die verschiedene spanische Gruppen organisiert hatten, die sich für eine friedliche Konfliktlösung in Guatemala einsetzen. Die Indígena-Führerin sagte auch, die Zukunft ihres Heimatlandes werde davon abhängen, ob die Indígena-Völker „nach Jahrhunderten der Marginalisierung“ den Platz einnehmen könnten, der ihnen zustehe. Des weiteren warnte sie vor der Gefahr, der Nobelpreis könne sich in einen „Knebel“ verwandeln, ein „Werkzeug, die Forderungen zum Schweigen zu bringen“.

Atomkraftwerk zu verschenken?

(Guatemala, 26. Mai 1994, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Regierung hat das Angebot Kanadas bestätigt, in Guatemala ein Atomkraftwerk zu installieren. Die Offerte – die anscheinend für alle mittelamerikanischen Länder gilt – sei jedoch noch nicht akzeptiert worden. Bisher sei kein offizielles Angebot eingegangen. In der lokalen Presse wird der stellvertretende Außenminister zitiert, der davon durch die guatemaltekische Botschafterin in Kanada erfahren habe. Die Regierung sei in der „Beratungsphase“.

Vizepräsident Arturo Herburger trat als Verfechter der Atomanlage auf. Er meinte, „bis auf die Sowjetunion, wo einige Unfälle stattfanden“, seien die Ergebnisse zufriedenstellend. Harburger setzte sich allerdings für ein Regulierungsgesetz ein. Der Mini- ster für Strom und Bergbau, José Luis Terrón, erklärte, die von der kanadischen Regierung gestellten Bedingungen für das „Geschenk“ würden überprüft. Die Informationen würden an die Umweltkommissionen geschickt, „um das nationale Interesse zu schützen“. Terrón schränkte ein, daß es in Mittelamerika keine Erfahrung mit der Nuklearenergie gebe. Aber: „Ich möchte hinsichtlich der Gesundheit der Guatemaltek*innen erklären, daß all diese Art Material die Bevölkerung nicht gefährdet, wenn sie richtig benutzt wird.“ Schließlich machte er deutlich, daß über die Kosten noch keine Klarheit besteht.“

HAITI

Ausschluß wegen Asylantrag in USA

(Port-au-Prince, 16. Mai 1994, Hib-POONAL).- Die Massenorganisation Asanble Popile Nasyonal (APN) hat das Mitglied ihres Nationalkomitees, Fils-Aime Pierre Clerge, ausgeschlossen. Der Grund: Clerge hatte einen Antrag auf politisches Asyl in den USA gestellt. Die Organisation verteidigte ihren Schritt: „Die APN hat mit dieser Aktion (dem Asylantrag) nichts zu tun. Wir glauben fest daran, daß es sich um einen amerikanischen Plan handelt, alle konsequenten Volksorganisationen zu destabilisieren.“

„Dramatischer Niedergang der Menschenrechte“

(Port-au-Prince, 20. Mai 1994, Hib-POONAL).- Eine Delegation der Interamerikanischen Menschenrechtskommission hat während eines fünftägigen Besuches auf Haiti einen „dramatischer Niedergang der Menschenrechte“ beobachtet. Die Gruppe dokumentierte 133 außergerichtliche Hinrichtungen seit Januar und 55 politische Entführungen in den Monaten Februar und März. Auf der Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) am 6. Juni in Brasilien wird sie ihren Bericht vorstellen.

Schwester einer Journalistin ermordet

(Port-au-Prince, 13. Mai 1994, Hib-POONAL).- Die 70jährige Schwester einer haitianischen Journalistin in New York wurde in Port-au-Prince erdrosselt in ihrem Badezimmer aufgefunden. Sie war zwei Tage zuvor von einem Besuch bei ihrer Schwester in den USA zurückgekehrt. Der Mord an Marie-Therese Thomas scheint mit den wiederholten schriftlichen und mündlichen Drohungen verbunden zu sein, die ihre Schwester Jacquueline und deren TV-Sender Chanel 44/54 von der Front für den Haitianischen Fortschritt (FRAPH) in New York erhalten haben. Die paramilitärische FRAPH hat inzwischen Büros in New York, Montreal und Santo Domingo. Am 3. Mai hatte Jacqueline Thomas, eine Unterstützerin der Demokratiebewegung auf Haiti, in der Zeitung „Village Voice“ über den Druck von Seiten der FRAPH geklagt.

BRASILIEN

Kirche verurteilt hemmungslose Sucht nach Macht

(Rio de Janeiro, Mai 1994, IBASE-POONAL).- Der abschließende Text der Generalversammlung der brasilianischen Bischofskonferenz, die die Wahlen in diesem Jahr zu ihrem einzigen Thema machte, spricht sich gegen jene Parteienkoalitionen aus, deren Ziel nur im Wahlsieg liegt. Obwohl keine Partei alleine in der Lage sein wird, die Wahl zu gewinnen, seien kriterienlose Allianzen zu verurteilen. Das Dokument verteidigte die bewußte und informierte Wahl, warnt vor weiterer Diskreditierung der politischen Institu- tionen und kritisiert jene politischen Führer, die einerseits den Staat aussaugen und andererseits die Privatisierung der „gemeinsamen Güter des Volkes“ entsprechend der Vorgaben von IWF und Weltbank verteidigen. Das Profil ihres Wunschkandidaten: Charakter, Charisma und Kompetenz.

Kernkraftwerk kostet schon 10 Milliarden US-Dollar

(Rio de Janeiro, Mai 1994, IBASE-POONAL).- Der Atommeiler Angra II hat einer Studie des Nukleartechnikers Ildo Sauer von der Universität von Sao Paulo (USP) zufolge, bereits rund zehn Milliarden US-Dollar verschlungen, bis zur Fertigstellung im Jahr 1998 werden noch einmal rund zwei Milliarden in das Kernkraftwerrk fließen. Die Betreiberfirma Furnas Centrais Electricas hatte die Kosten für den Meiler bislang immer mit 4,6 Milliarden Dollar an- gegeben. Neben den Investitionen für Angra II habe der brasilianische Staat weitere neun bis elf Milliarden Dollar ausgegeben.

Neonazis ermordeten fünf Menschen

(Rio de Janeiro, Mai 1994, IBASE-POONAL).- Brasilianische Neonazis haben in den vergangenen 18 Monaten fünf Menschen ermordet und sind zehnmal gewaltsam gegen Minderheiten vorgegangen. Dies hat eine Studie der Universität Sao Paulo ergeben. Sao Paulo sei eine Hochburg der Rechtsradikalen, dort geschahen vier der fünf Morde. Opfer der neonazistischen Übergriffe seien zumeist Minderheiten wie Juden, Homosexuelle sowie Schwarze und Migrant*innen aus dem armen Norden des Landes. In den vergangenen zwei Jahren hätten Organisationen dieser Minderheiten sowie israelische Diplomat*innen verstärkt Drohbriefe und -anrufe erhalten.

Wirtschaft wächst

(Rio de Janeiro, Mai 1994, IBASE-POONAL).- Im ersten Quartal des Jahres ist die brasilianische Wirtschaft um 4,3 Prozent gewachsen. Damit hat sich das Tempo der Expansion verlangsamt, im vergleichbaren Vorjahreszeitraum war das Bruttosozialprodukt um 4,9 Prozent gewachsen. Im Verlauf dieses Jahres wird sich die Konjunktur nach Einschätzung von Expert*innen weiter abkühlen, im Jahressdurchschnitt wird ein Wachstum von 2,6 Prozent erwartet.

Enteignungen für Agrarreform

(Rio de Janeiro, Mai 1994, IBASE-POONAL).- Präsident Itamar Franco hat die Enteignung von zehn Landbesitzen angeordnet, um landlose Familien ansiedeln zu können. Insgesamt sollen 53.200 Hektar enteignet werden. Der Präsident der Agrarreformbehörde INCRA hatte für dieses Jahr die Ansiedlung von 60.000 Familien geplant. Präsident Franco verkündete nun ein Eilprogramm zur Agrarreform, welches 100.000 Familien Land zuweisen soll. Seit dem Amtsantritt von Präsident Franco wurden 119 Landbesitze, von einer Gesamtbodenfläche von 630.000 Hektar. Bisher wurden 17.000 Familien auf diesem Land angesiedelt. Die Regierung entschädigt die früheren Besitzer*innen sowohl für landwirtschaftliche Anlagen (Brunnen, Gebäude) wie auch den enteigneten Landbesitz.

KOLUMBIEN

Staat ist verantwortlich für die meisten Menschenrechtsverletzungen

– Rede des Generalsekretärs der kirchlichen kolumbianischen Menschen-

rechtskommission Justicia y Paz, P. Javier Giraldo,

(Bern, Mai 1994).- Der Generalsekretär der kirchlichen kolumbianischen Menschenrechtskommission Justicia y Paz, P. Javier Giraldo, berichtete auf einem Kongreß in Bern über die Menschenrechtssituation in dem südamerikanischen Land. In seiner Rede, die wir in Auszügen veröffentlichen, wendet er sich gegen eine klischeehafte Begrenzung der Problematik auf den Terror von Drogenmafia und Guerillaverbänden.

„Außerhalb von Kolumbien über die Realität Kolumbiens zu sprechen, verlangt, dem Image entgegenzutreten, das die internationalen „Informationsagenturen“ von meinem Land aufgebaut haben. Nach diesem Bild ist Kolumbien ein von Gewlat geprägtes, aber demokratisches Land. Die hauptsächlichen Urheber der Gewalt seien die Drogenmafia und einige anachronistische Überbleibsel der Guerilla, die keinerlei politische Ziele mehr habe, sondern sich dem Terrorismus zugewandt und in Entführungen und im Drogenhandel Methoden zur Bereicherung gefunden habe, die ihre politischen Ideale untergehen ließen.

Dieses Bild verkörpert zudem den offiziellen Diskurs der kolumbianischen Regierung, den sie über ihre Diplomaten verbreitet. Dieser Diskurs scheint sich auf internationaler Ebene großer Zustimmung zu erfreuen. Die Zahl der Ermordeten in Kolumbien ist so groß wie in nur wenigen anderen Ländern, ebenso zählt Kolumbien zu den größten Drogenproduzenten. Diese zwei Phänomene in einer einfachen Begründung miteinander in Beziehung zu setzen, ist für viele internationale Journalist*innen eine unwiderstehliche Versuchung gewesen. Dadurch ersparten sie sich das Eindringen in die Analyse einer komplexen Realität, die nicht in standardisierte Schemen zu pressen ist.

Die meisten Morde sind nicht in Verbindung mit dem Drogenhandel zu sehen

Gewiß gibt es in Kolumbien mächtige Drogenhändlerkartelle, aber trotzdem steht die größte Zahl der Morde in Kolumbien in keiner Weise mit dem Drogenhandel in Beziehung. In Kolumbien gab es in den letzten 35 Jahren keine Militärdiktatur, aber trotzdem, egal welches Jahr in den 80ern exemplarisch herausgegriffen wird, gab es mehr Morde an oppositionellen Politiker*innen oder Mitgliedern von Volksorganisationen als in den 17 Jahren der chilenischen Militärdiktatur (des Generals Pinochets, d. Red.). Darum möchte ich vehement betonen, daß das Bild von Kolumbien, das sich die internationalen Presseagenturen gemacht haben – das mit dem von der kolumbianischen Regierung verbreiteten Bild weitgehend übereinstimmt – ein falsches Bild ist, das die wesentlichen Faktoren der Gewalt verdeckt.

Einige Zahlen zeigen dies auf: Zwischen Januar und März 1992 betrug nach den Recherchen der Andinen JuristInnenkommission die Zahl der durch Drogenhändler*innen verübten Morde 0,18 Prozent der insgesamt in dieser Zeitspanne verübten Morde. Und während der Zeit, in der am meisten Sprengstoffanschläge verübt wurden, die der Drogenmafia zugerechnet werden – vom 30 Mai 1989 bis zum 28. Juni 1990 – starben 227 Menschen durch diese Terroranschläge. In den selben 13 Monaten betrug jedoch die Zahl der aus politischen Motiven Getöteten 2969 (ohne die bei Gefechten Gefallenen). Das heißt, daß in dieser Phase größter Gewalt seitens der Drogenmafia die Zahl der dadurch Getöteten, 7,6 Prozent der politischen Morde ausmachte. In Bezug auf die Gewalt der Guerilla – wobei bemerkt werden muß, daß diese Zahlen aus Quellen der Streitkräfte stammen, die in vielen Fällen nicht überprüfbar sind – wurden in den fünf Jahren von 1988 bis 1992 bei Gefechten zwischen der Armee und der Guerilla 6046 Menschen getätet. In dieser Zahl miteingeschlossen sind getötete Militärs, Guerilleros und Guerilleras sowie Zivilist*innen. Diese Zahl entspricht 4,7 Prozent der in der gleichen Zeit insgesamt gewaltsam Getöteten und 30,5 Prozent der aus eindeutig politischen Gründen ermordeten Personen.

Wie kann diese Realität derart verzerrt gegenüber dem Ausland dargestellt werden? Ein Fall kann dieses Problem illustrieren:

Am 30. Januar 1993 explodierte eine Autobombe in einer Straße im Zentrum von Bogotá und tötete 20 Personen. Das Attentat wurde der Drogenmafia angelastet und diese Information wurde in wenigen Mi- nuten von den internationalen Presseagenturen in der ganzen Welt verbreitet. Im gleichen Monat des vergangenen Jahres wurden von der Kommission „Justicia y Paz“ 134 Morde und 6 Fälle von Verschwindenlassen aus politischen Gründen dokumentiert. In 31 Fällen gab es eindeutige Hinweise für die Verantwortlichkeit von Militärs und Polizist*innen oder anderer staatlicher Sicherheitsbeamter. Bei weiteren 89 Morden und 10 Verschwundenen gab es Indizien für die Verantwortlichkeit von paramiltärischen Gruppen, die als Hilfs- kräfte der Armee handeln.

Internationale Presseagenturen verschweigen Gewalt von Polizei, Armee und paramilitärischen Banden

Dies bedeutet: Während das Verbrechen der Drogenmafia, das 20 menschliche Leben zerstörte, in wenigen Minuten in der ganzen Welt bekannt wurde, wurden die 130 Opfer staatlichen und/oder paramili- tärischen Gewalt der internationalen Öffentlichkeit verschwiegen. So erklärt sich, wie das Bild von Kolumbien im Ausland zustande kommt. Im Jahr 1973 stand Mord als Todesursache an 7. Stelle, doch seit 1986 ist er an die erste Stelle vorgerückt. Die jährliche Mordrate (gerechnet auf 100.000 Einwohner*innen), stieg von 16,8 Prozent im Jahr 1973 auf 74,1 Prozent im Jahr 1990 und auf 90 Prozent 1992.

Es gibt viele Gründe, die eine objektive und vollständige Information über die Opfer, die Gründe und Verantwortlichen sovieler Anschläge schwierig machen: Verschleierung und Desinformation durch die Medien, die besonderen Methoden des „schmutzigen Kriegs“ etc. So ist es zum Beispiel üblich, daß von der Armee außerhalb der Gefechte getötete, unbewaffnete, keiner Organisation angehörende Bauern und Bäuerinnen als bei „Gefechten getötete Guerilleros und Guerilleras“ bezeichnet werden. (Den zweiten Teil der Rede veröffentlichen wir in der nächsten Ausgabe von POONAL)

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