Poonal Nr. 126

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 126 vom 17.01.1994

Inhalt


MEXICO

NICARAGUA

GUATEMALA

KUBA

HAITI


MEXICO

Die Indígenas präsentieren die Rechnung

– von Alicia Yolanda Reyes

(Chiapas, 10. Januar 1994, SEM-POONAL).- Das „rauhe Mexiko“, von dem seit einem Jahrzehnt der mexikanische Politiker und Denker Jesús Reyes Heroles spricht, scheint in Chiapas erwacht zu sein. Und zwar vor dem Entsetzen und Unglauben der Regierung und der herrschenden Partei sowie der wirtschaftlich privilegierten Klassen dieser Nation. Was seit einigen Monaten ein offenes Geheimnis in diesem Bundesstaat und im Rest des Landes war, kam am 1. Januar zum Vorschein. Genau zu dem Zeitpunkt, als der Freihandelsvertrag mit den USA und Kanada in Kraft trat, der „uns“ – so betonte Präsident Salinas gerne – „voll in die Erste Welt führt“. Seit diesem Tag organisiert die Guerillagruppe Nationale Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) einen Aufstand gegen die mexikanischen Streitkräfte. (Emiliano Zapata war eine der entscheidenden Figuren der mexikanischen Revolution. Von 1906 bis 1911 organisierte er einen Indígena-Aufstand. Er wurde 1919 ermordert.)

Das Ende des Traums von der Ersten Welt

Der südöstliche Bundesstaat Chiapas grenzt an Guatemala und hat eine Bevölkerung von gut 3,2 Millionen Einwohner*innen. 30 Prozent davon sind von den Mayas – einem der größten Imperien der Geschichte – abstammende Indígenas (es gibt auch Angaben, die einen höheren Anteil an der Bevölkerung ausweisen; die Red). Der Analphabetismus in Chiapas beträgt 40 Prozent (landesweit 12,4 Prozent), 43 Prozent haben keine sanitären Einrichtungen in ihren Häusern und 35 Prozent müssen ohne Elektrizität auskommen. Dies alles macht die Zone zusammen mit anderen Entbehrungen zur rückständigsten im ganzen Land. Die Armut besteht seit langem. Darum, so kommentieren die politischen Beobachter*innen, präsentierte die Unterdrückten nun die Rechnung für die ewigen Schikanen, Ausbeutungen und Erniedrigungen, die sie erleiden mußten.

Wahlmanipulationen an der Tagesordnung

Außerdem sehen viele in der betrügerischen Manipulation fast aller örtlicher Wahlen in dieser Region ein weiteres Motiv für den Aufstand zu sehen. Die Mexikaner*innen sind müde angesichts fehlender Wahlglaubwürdigkeit (die Regierungspartei ist seit 64 Jahren an der Macht) und der Benutzung staatlicher Gelder für die Wahlkampagnen der Regierungskandidaten, die die demokratischen Gegenspieler*innen scheitern läßt. Der Konflikt rückt die Präsidentschaftswahlen im August dieses Jahres in ein völlig neues Licht. Chiapas war bis 1821 Teil von Guatemala. Damals entschied es sich für die Abtrennung, um sich drei Jahre später mit Mexiko zu vereinen. Von den Mayanachfahren sind die Tzeltales mit etwa 322.000 Personen die größte Gruppe. Sie stellen die Hauptkraft in der EZLN. 1000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, ist der Bundesstaat in 112 Kreise unterteilt, von denen bis jetzt sieben von den Aktionen der Zapatischen Befreiungsarmee betroffen sind. In ihnen konzentrieren sich 20 Prozent der Bevölkerung. Laut einer von der Regierung des Bundesstaates ausgearbeiteten Studie könnte sich der bewaffnete Konflikt jedoch auf 42 weitere Kreise ausweiten. Das, was am Anfang von den Autoritäten als ein isolierter Zwischenfall bezeichnet wurde, mußte neu bewertet werden. Es wird sogar eingestanden, daß die Mexikanische Armee sechs Monate benötigen könnte, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen.

Die Mehrheit der Indigena-Gemeinden ohne Wasser und Strom

Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung von Chiapas in Armut überlebt und die Mehrheit der Indígena-Gemeinden ohne die Grundversorgung (Wasser, Strom) auskommen muß, trägt der Bundesstaat zu 50 Prozent zur Energieversorgung des Landes bei. Die Ausbeutung von Öl, Holz und Mineralprodukten sind von großer Bedeutung für Mexiko. Den Nutzen hatten jedoch nicht die Armen und Bedürftigen des Landes. Nach offiziellen Daten haben 23 Prozent der Mexikaner*innen ein Jahreseinkommen von weniger als 60 US-Dollar. Die Agrarrevolution ist niemals nach Chiapas gekommen. Dies erklärt vielleicht, daß die Campesinos und Indígenas müde davon sind, betrogen zu werden, ihre Kinder an Hunger sterben zu sehen, und ihre Forderungen nach Gerechtigkeit mit Massenverhaftungen und und Gewalt beantwortet zu sehen. Sie wählten die Fahne Emiliano Zapatas, der vor acht Jahrzehnten mit der Losung „Tierra y Libertad“ (Land und Freiheit) für die Verteilung des Landes an die Schutzlosen kämpfte. Der Reichtum, den dieser Bundesstaat schafft, hat dazu gedient, die Großgrundbesitzer zum Preis der Ausbeutung der Campesinos reich zu machen.

In Mexiko gibt es 56 Indígena-Völker, insgesamt etwa 15 Millionen Mexikaner*innen. Doch in einem Land, dessen Establishment vom 1. Januar 1994 an zur ersten Welt gehören will, werden sie als Bürger*innen zweiter Klasse betrachtet. Die regierende Klasse konnte es sich jedoch niemals vorstellen, daß ihr Traum von der Größe enden würde, bevor er richtig begann. Der Ausbruch der kriegerischen Aktionen genau zum Jahresbeginn 1994 war nicht zufällig. Der Einfluß auf das gesamte System war kalkuliert. Der Schock saß bei den Regierenden offensichtlich so tief, daß mehr als 72 Stunden vorbeigingen, bis der mexikanische Präsident Carlos Salinas de Gortari es wagte, über den Konflikt zu sprechen. Die Chiapanecos wußten von der Guerilla und die Gerüchte verstärkten sich seit sechs Monaten, als sogar einige Bewohner*innen des Bundesstaates ihre Häuser verkauften. Trotzdem erklärte noch 48 Stunden vor den kriegerischen Aktionen der Innenminister Patrocinio Gonzalez Garrido, daß „weder in Chiapas noch in irgendeinem anderen Bundesstaat die Guerilla existiert“. Gonzalez Garrido war bis vor einem Jahr Governeur von Chiapas und wurde angeklagt, die Indígenas und Campesinos gewaltsam zu unterdrücken. Er versicherte ebenfalls, daß er keine Kenntnis von bewaffneten ausländischen Gruppen habe.

Bischof Samuel Ruiz warnte vor den Folgen von Unterdrückung und Rückständigkeit

Aber jetzt weiß man, daß sich während seiner Amtszeit die Leute im indianischen Urwaldgebiet Lacandon bewaffneten und organisierten. In der ganzen Region war dies ein offenes Geheimnis. Die Lacandones sind eine der von den Mayas abstammenden Gemeinden, die in Chiapas und Guatemala leben. Die Situation kostete Gonzalez Garrido seinen Posten als Innenminister. Am 10. Januar wurde er von Präsident Salinas entlassen. Die Gewißheit über die Existenz von bewaffneten Gruppen in dem Bundesstaat besteht seit etwas mehr als einem Jahr. Sogar der Bischof Samuel Ruiz García machte überzeugende Warnungen in seinem Brief an Papst Johannes Paul II. (als dieser im August 1993 in Chiapas war; die Red.) über die Gefahren der Gewalt, die von der (wirtschaftlichen) Rückständigkeit und Unterdrückung der Indígenas und Campesinos in der Region herrührten.

15.000 Menschen verhungerten 1992 in Chiapas

Nach den Informationen des Menschenrechtszentrums Miguel A. Pro starben 1992 mehr als 15.000 Chiapanecos an Hunger. Das sind 34 Personen pro Tag. Das Menschenrechtszentrum vereint die wesentlichen Nicht-Regierungsorganisationen, die zur Indígena- Problematik arbeiten. Die Institution machte auch bekannt, daß die Tuberkulose und andere endemische Krankheiten, die im größten Teil des Landes ausgelöscht sind, in Chiapas weiter bestehen und einen großen Teil der Bevölkerung betreffen. Jetzt fragt sich die Regierung, woher das Geld für die Waffen, die Ausrüstung und alles andere kam. Die politischen Beobachter*innen versichern, daß die Autoritäten zu vergessen scheinen, daß die Entführungen reicher Großgrundbesitzer aus Chiapas und mindestens acht weiteren Bundesstaaten sich in letzter Zeit vermehrten. Allein in Chiapas sind 18 Entführungen aus den letzten zwei Jahren bekannt, die den Akteuren mehr als 3 Millionen US-Dollar einbrachten. Für jede Freilassung verlangten die Entführer zwischen 100.000 und 500.000 Dollar. Trotzdem wurde diesem Problem nie die entsprechende Bedeutung zugewiesen. Man dachte, es handele sich um Verbrecher*innen, die nur das Ziel hatten, reich zu werden. Bis jetzt haben die kriegerischen Auseinandersetzungen in Chiapas nach Angaben der Kirche mehr als 400, nach Angaben der Regierung weniger als 100 Tote gefordert. Eine Psychose, die das ganze Land betrifft, mehrere Attentate, Bombardierungen, die die Zivilbevölkerung einschließen, Angriffe gegen die Presse, die über den Konflikt berichtet, Verhaftungen und Morde und die fehlende Fähigkeit, dem Problem eine politische Lösung zu geben: Das ist jetzt der Alltag in Mexiko.

„Wir wollen keine Regierung bilden“

– Interview mit dem EZLN-Kommandanten Marcos

Das derzeit beherrschende Thema in Mexiko ist der Aufstand der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) in Chiapas. Das folgende Interview stammt nicht von einer der POONAL-Agenturen, sondern wurde der Tageszeitung „La Jornada“ und dem Wochenmagazin „El Proceso“ entnommen. Die Redaktion.

Frage: Ihre Truppen erscheinen zu schwach, um durch Mexiko zu marschieren und Präsident Salinas abzusetzen. Ist das nicht ein bißchen hoch gegriffen?

Commandante Marcos: Wenn Sie unsere Ankunft in Mexiko-Stadt besorgt, kann ich Ihnen versichern: Wir warten damit noch ein bißchen! (lacht) Aber ernsthaft. Das was Sie hier sehen, ist nicht mehr als ein kleiner Teil unserer Truppen. Unsere in den Bergen stationierten Kräfte tragen keine Uniform. Es ist daher unmöglich, sie zu erkennen. In den Indígena-Gemeinden gibt es mehr Zapatisten, als die Regierung sich vorstellen kann. Außerdem zählen wir nicht darauf, nur mit unseren derzeitigen Truppen nach Mexiko-Stadt zu kommen. Sondern mit vielen anderen, die sich uns auf dem Weg anschließen.

Frage: Ihre Waffen sind viel weniger leistungsfähig als die der Armee. Ist das nicht ein zu großes Handicap?

Commandante Marcos: Unsere Hauptwaffe ist es, aus dem Volk zu kommen und die Berge viel besser zu kennen als die Militärs.

Frage: Wo haben Sie Ihre militärische Ausbildung bekommen?

Commandante Marcos: Ich habe eine militärische Ausbildung gehabt. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Ich kenne die verschiedenen Kampfmethoden. Auf dem Land oder in der Stadt, auf den Ebenen oder in den Bergen, im Wald oder in der Wüste.

Frage: Sind Sie von der Befreiungstheologie inspiriert?

Commandante Marcos: Nein, wir werden uns befreien, aber ohne Theologie (lacht). Unter uns gibt es sowohl Evangeliken als auch Katholiken, Atheisten und Zauberer … (Marcos spricht ernsthaft von Zauberern, die im Bundesstaat Chiapas so genannt werden.)

Frage: Die zapatistische Armee fordert neue Wahlen nach einer Übergangsregierung?

Commandante Marcos: Was heute passiert, was man in Gang zu bringen versucht, um Colosio in Szene zu setzen (designierter Nachfolger des derzeitigen Präsidenten Salinas) ist nicht mehr als eine Maskerade. Alle Welt weiß, daß die Wahlen keinen Wert haben. Das Wahlgesetz ist für Salinas maßgeschnitten, der – ich bestehe darauf – nichts anderes ist als ein Thronräuber und Verräter. Wir fordern wirkliche Wahlen, wo alle Parteien präsent sind und nicht nur allein die PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution, seit 64 Jahren an der Macht).

Frage: Die Bewohner*innen von San Cristóbal haben Ihren Einfall in der Stadt nicht geschätzt. Die Leute sagen, daß die Gewalt zu nichts führt.

Commmandane Marcos: Sicher, ich würde etwas anderes vorziehen. Aber die Ladinos sind extrem rassistisch. Sie steigen in einen Bus und wenn ein Chamula (Indio) einen Sitzplatz hat, zwingen sie ihn aufzustehen, um seinen Platz einzunehmen. Wenn ein Indio zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, versuchen die Autofahrer, ihn zu rammen. Also, wenn diese Leute die EZLN verurteilen, bringt mich das nicht im Geringsten in Verlegenheit.

„Die Gewalt, das sind der Hunger und das Elend, zu denen Salinas das Land verurteilt hat“

Und wenn man sagt, daß die Gewalt zu nichts führt, antworte ich: Es ist aufgrund der institutionellen Gewalt, daß die Menschen an Cholera, Fieber oder Masern sterben. Es ist aufgrund der institutionellen Gewalt, daß die Menschenrechte ständig von der Armee verhöhnt werden. Die Gewalt, das sind der Hunger und das Elend, zu denen Salinas das Land verurteilt hat und die uns zu dieser extremen Haltung gebracht haben. Unsere Absicht ist nicht, eine Regierung zu bilden. Was wir wollen, ist eine demokratisch gewählte Regierung, die alle Ethnien repräsentiert.

Frage: Haben Sie Beziehungen zu irgendeiner politischen BäuerInnenorganisation?

Commandante Marcos: Wir haben keine Beziehung mit irgendeinem Typ offener Organisation. Unsere Organisation ist ausschließlich geheim und bewaffnet.

Frage: Wurden Sie aus dem Nichts geboren, so einfach aus dem Stegreif?

Commandante Marcos: Wir haben uns in den Bergen seit zehn Jahren vorbereitet. Wir sind keine improvisierte Bewegung. Wir sind gereift, haben nachgedacht, gelernt und sind zu diesem Entschluß gekommen.

Frage: Gibt es rassische und ethnische Inhalte in Ihren Fragen.

Commandante Marcos: Das Direktivkomitee wird von Tzotziles, Tzeltales, Choles, Tojolabales, Mames und Zoques, den hauptsächlichen ethnischen Gruppen in Chiapas gebildet. Sie alle waren einverstanden. Außer Demokratie und Repräsentierung haben sie Respekt verlangt – Respekt, den die Weißen niemals gehabt haben. Vor allem in San Cristóbal, die „coletos“ (Bewohner*innen von San Cristóbal) sind gegenüber den Indios im alltäglichen Leben sehr beleidigend und diskriminierend. Jetzt respektieren die Weißen die Indios, weil sie sie mit Waffen in der Hand sehen.

Frage: Entschuldigen Sie, aber Sie sind kein Indio?

Commandante Marcos: Sie müssen verstehen, daß unsere Bewegung nicht auf Chiapas beschränkt ist, sie ist national. So gibt es Leute wie mich, die aus anderen Bundesstaaten kommen. Es gibt auch Leute aus Chiapas, die an anderen Orten kämpfen. Wir sind Mexikaner*innen, das eint uns, außerdem die Forderung nach Freiheit und Demokratie. Wir wollen unsere wirklichen Repräsentanten wählen.

NICARAGUA

IWF fordert weitere Ausgabenkürzung und beschleunigte Privatisierung

– von Otmar Meyer

(Managua, Dezember 1993, Apia-POONAL).- Zur Debatte des Staatshaushalts 1994 kamen die neuen „Empfehlungen“ des Internationalen Währungsfonds. So empfiehlt dieser weitere Kürzungen der öffentlichen Ausgaben um 60 Millionen Dollar, was 40 Prozent der Gesamtausgaben entspräche. Die Energie-, Wasser- und Telefongesellschaften, das staatliche Versicherungswesen, die Minen, die Häfen und die staatliche Ölgesellschaft sollen privatisiert und das Kreditvolumen von BANIC, einer der drei staatlichen Banken, ganz gestrichen werden.

IWF droht, Kreditfluß zu stoppen

Werden diese Empfehlungen von Nicaragua nicht akzeptiert, verweigert der IWF die Bescheinigung der Kreditwürdigkeit vor den internationalen Geldgebern. Die Kürzungen der öffentlichen Ausgaben würde die Entlassung von mehr als 4000 Angestellten in der staatlichen Verwaltung bedeuten. In den dreieinhalb Jahren der Chamorro-Regierung sind die staatlichen Angestellten bereits von 30.000 auf 18.000 reduziert und damit speziell die sandinistisch orientierte Angestelltengewerkschaft UNE geschwächt worden. Zusätzlich würden im Gesundheitsbereich 3.500 Fachkräfte entlassen, darunter 500 Ärzt*innen. Die Programme zur Bekämpfung von Cholera und Malaria müßten um 50 Prozent gekürzt werden, obwohl die Cholera mittlerweile im ganzen Land verbreitet ist und täglich Tote fordert. Die Zahl der Kreditnehmer*innen hat sich schon jetzt gegenüber 1989 um 80 Prozent reduziert; das Kreditvolumen müßte weiterhin veringert werden. Mit dem Ausscheiden von BANIC aus dem Kreditvergabewesen würden die staatlichen Banken weiter zugunsten der neuen Privatbanken geschwächt werden. Dabei sind es gerade die staatlichen Banken, die Produktionskredite vergeben. Die Privatbanken gewähren fast nur risikoarme Handelskredite und Produktionskredite nur an eine ausgewählte kleine Gruppe der Reichen. Die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen würde Massenentlassungen und drastische Gebührenerhöhungen nach sich ziehen. Diese „Anpassung der Strukturanpassungsmaßnahmen“ ist bereits von der Regierung akzeptiert, obwohl diese seit 1990 von IWF und Weltbank „empfohlenen“ Maßnahmen Nicaragua in die tiefste Wirtschaftskrise seiner Geschichte gestürzt haben.

Ausgabenkürzung und Marktöffnung haben Produktion fast völlig zerstört

Drastische Kürzungen der öffentlichen Ausgaben – bei gleichzeitiger Öffnung des Marktes für ausländische Produkte – haben die nationale Produktion fast völlig zerstört. Privatisierung und Versuche einer Gegenagrarreform werden von politischen Kriterien und erneuter Machtkonzentration bestimmt und nicht von ökonomischen Kriterien, die an einer Überlebenswirtschaft des Volkes ausgerichtet wären. Das hat zusätzliche Konflikte und Produktionsrückgang erzeugt. Insgesamt hat Nicaragua in dreieinhalb Jahren Chamorro-Regierung fast drei Milliarden US-Dollar an Auslandshilfe erhalten, was weltweit den zweiten Platz an Auslandshilfe pro Kopf bedeutet. Diese Gelder sind jedoch nicht voll für die wirtschaftliche und soziale Wiederbelebung verwendet worden: 53 Prozent dieser gigantischen Summe wurden für den Schuldendienst und die Importförderung aufgewendet. Im ersten Halbjahr 1993 hat die Regierung 27 Prozent der gesamten Staatseinnahmen für den Schuldendienst an internationale Finanzorganisationen ausgegeben. Im gleichen Zeitraum wurde nur die Hälfte dieser Summe für soziale oder produktive Investitionen verwendet. Die Marginalisierung der Mehrheit der Bevölkerung drückt sich in bedrückenden Zahlen aus: Den Vereinten Nationen zufolge leben 75 Prozent der Nicaraguaner*innen in Armut, 42 Prozent davon in extremer Armut. Der Analphabetismus ist von 12 Prozent Anfang der 80er Jahre auf heute mindestens 28 Prozent angestiegen. Die Kindersterbkichkeit ist mittlerweile die höchste Lateinamerikas; die Arbeitslosigkeit beträgt über 60 Prozent . All diese Zahlen verbergen, daß die Frauen von dieser Entwicklung quantitativ und qualitativ überproportional stark betroffen sind.

Sandinisten streiten über Privatisierung

– von David R. Dye

(Managua, Dezember 1993, Apia-POONAL).- In der Frage um die Haltung der FSLN zu den Privatisierungsplänen der Regierung ist es zu einem innerparteilichen Konflikt gekommen, dessen Hauptopponenten Daniel Ortega und Segio Ramirez sind. Dahinter verbergen sich offenbar erste Anzeichen eines sandinistischen Führungsstreits im Hinblick auf die Wahlen von 1996. Der Konflikt brach schon Anfang November aus, als Sergio Ramírez, Wortführer der sandinistischen Abgeordneten in der Nationalversammlung, einen Gesetzesentwurf bezüglich der Privatisierung vorlegte. Der Entwurf enthält einen rechtlichen Rahmen für die Privatisierungsmaßnahmen der Regierung und soll deren Versuche verhindern, öffentliche Dienstleistungen bzw. die entsprechenden Unternehmen zu privatisieren.

Ortega und Ramírez – die Protagonisten

Der sandinistische Gewerkschaftsverband stellte sich daraufhin gegen diesen Entwurf mit dem Argument, er würde sich nicht klar genug gegen die Privatisierungen aussprechen. Außerdem müßte Ramírez den Entwurf zuerst der Asamblea Sandinista (Sandinistische Versammlung, d. Red.) zur Diskussion vorlegen. Generalsekretär Daniel Ortega verlangte von Ramírez, den Entwurf zurückzuziehen, was dieser jedoch ablehnte. Ortega begann daraufhin, Stimmung gegen Ramírez bei seinen Gefolgsleute in der Nationalversammlung zu machen. Der Führer der Lehrergewerkschaft Nathan Sevilla kritisiert, daß „der Entwurf die Privatisierung nicht klar verbietet und dadurch im Prinzip eingesteht, alles wäre privatisierbar“. Die nicaraguanischen Lehrer*innen sind besonders besorgt über die Pläne der Regierung, die Verwaltungskontrolle über die höheren Schulen den Gemeinden zu übertragen, die dann Schulgeld verlangen könnten. Die FNT spricht sich gegen die Privatisierung der Energie-, Wasser- und Telefondienste aus, um Entlassungen zu vermeiden und die Gebühren unter Kontrolle halten zu können. Sie befürchtet auch – wohl mit Recht -, daß ein privates Unternehmen das in den Armenvierteln übliche Anzapfen der Stromleitungen nicht mehr tolerieren würde. Beide Seiten in der Auseinandersetzung betonen die Notwendigkeit eines schnellen Vorgehens gegen die Privatisierungspläne der Regierung. Der IWF drängt auf die Unterzeichnung eines neuen Strukturanpassungsabkommens, das u.a. die Privatisierung von Banken und öffentlichen Dienstleistungen vorsieht. Der Abgeordnete José León Talavera, der den Ramírez-Entwurf unterstützt: „Wenn wir in dieser Angelegenheit nicht schnell handeln, dann wird bald nichts mehr zu regeln sein.“

Grundsätzlicher Konsens über Ablehnung der Privatisierungspläne

Angesichts des gemeinsamen Zieles, die Privatisierung zu verhindern, überrascht die Intensität des innersandinistischen Konflikts. Beobachter*innen vermuten einen tieferen Hintergrund für die Auseinandersetzung. Nach Meinung eines sandinistischen Journalisten spielt Ortega die Gewerkschaften gegen Ramírez aus – im Hintergrund stehe die Frage nach der Ausrichtung und der Führung der Partei für die Wahlen von 1996. Ramírez will auch ein Paket von Verfassungsreformen vorantreiben, das er zur Beendigung der chronischen Politkrise mit Gemäßigten der UNO ausgearbeitet hat. Zentrale Punkte sind das Verbot der Wiederwahl für den Präsidenten und eine Übersiedlung der Agenten der Wirtschftspolitik – die gegenwärtig in Geheimverhandlungen zwischen der Regierung und dem IWF ausgehandelt wird – ins Parlament. Ortega hat guten Grund, sich beiden Vorschlägen zu widersetzen: ersterer würde seine Kandidatur für 1996 unmöglich machen, und letzterer würde die Stellung von Sergio Ramírez als Vorsitzender der sandinistischen Parlamentsfraktion aufwerten. Es sieht so aus, als möchte Ortega seine vorherrschende Stellung im Parteiapparat und in den Gewerkschaften ausnützen, Ramírez und die sandinistischen Abgeordnezten zu blockieren. Dahinter werden auch Spannungen zwischen den Gewerkschaften und den eher gutsituierten Abgeordneten sichtbar. Gewerkschaftsführer Mario Quintana: „Die Übertragung von mehr Entscheidungsgewalt an die Nationalversammlung wäre sinnvoll, wenn unsere Abgeordnete wirklich bereit wären, auf ihre Wähler zu hören. Doch das bezweifle ich.“

GUATEMALA

URNG dementiert Verbindungen zu mexikanischen Rebellen

(Mexiko, 7. Januar 1994, NG-POONAL).- Der Kommandant der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG), Gaspar Ilóm, hta Verbindungen mit den mexikanischen Aufständischen in Chiapas abgestritten und die Militarisierung der Grenze zwischen den beiden Ländern kritisiert. „Es ist wichtig, klarzumachen, daß es niemals eine Verbindung zwischen dem, was auf mexikanischem Gebiet passiert und unserer Situation als Aufständische gab“, so Gaspar Ilóm. Er fügte hinzu, daß die guatemaltekische Guerilla niemals mexikanisches Territorium benutzt habe: „Nicht für Trainingszwecke noch für anderes. Es ist falsch, was die Armee dazu sagt“. Der guatemaltekische Verteidigungsminister hatte auf die vielen in Mexiko aufgenommenen guatemaltekischen Flüchtlinge hingewiesen. Außerdem sei bekannt, daß „viele guatemaltekische Guerrilleros mexikanisches Gebiet betreten. Und es ist bekannt, daß die Führung der URNG in Mexiko lebt“. Ilóm wies darauf hin, daß die URNG die mexikanische Souveränität respektiert: „Wir sind eine revolutionäre Bewegung mit eigenen Wurzeln, eigener Basis und Entwicklung innerhalb unseres Landes. Wir machen keinen Grenzkrieg. Das, was sich in Chiapas ereignet, bezieht sich nicht auf uns“.

Staatsangestellte rufen zu Generalstreik auf

(Guatemala, 8. Januar 1994, NG-POONAL).- Die im Gewerkschaftsverband staatlicher Bediensteter und Arbeiter*innen (FENASTEG) zusammengeschlossenen Arbeiter*innen des Öffentlichen Dienstes kündigten für den 28. Januar einen Generalstreik an. Armando Sanchez, Generalsekretär der FENASTEG, erklärte der Presse, die Entscheidung für den Streik sei angesichts der Ablehnung und des fehlenden Willens des Präsidenten gefällt worden, über Lohnerhöhungen zu sprechen. Er informierte auch darüber, daß „der Streik von vielen Gewerkschaften unterstützt wird“. Sanchez erwartet, daß sich rund 200.000 Arbeiter*innen an dem Arbeitskampf beteiligen werden. Der FENASTEG-Führer erklärte, die Entscheidung sei bereits gefallen und unabänderlich. Es werde entweder den Streik am 28. Januar geben oder eine Lohnerhöhung. Es hänge vom Willen der Regierung ab, mit den Leitungsgremien der Arbeiter*innen zu verhandeln. Präsident Ramiro De León Carpio seinerseits wies das von den staatlichen Angestellten gesetzte Ultimatum zurück. Er verneinte die Möglichkeit, daß die Regierung die von den Arbeiter*innen geforderte Lohnerhöhung genehmigen könne. Er bezeichnete es als sinnvoll, sich mit FENASTEG und dem Nationalen Verband der staatlichen Angestellten (FENASEP) zu treffen, um „Themen zu behandeln, die mit der zukünftigen Nationalen Vereinbarung zu tun haben, die ich allen sozialen Sektoren vorschlagen werde“.

Umstrittene Volksbefragung zu Verfassungsreform

(Guatemala, 8. Januar 1994, NG-POONAL).- Die Gewerkschaft der Arbeiter*innen des Justizwesens (STOJ) setzt sich für eine Ablehnung der Volksbefragung vom 30. Januar 1994 ein (zur Volksbefragung vgl. POONAL-Nr. 118 und 120). Sie sieht darin keinen Ausweg aus der Krise und warnt vor einer in der Befragung zum Ausdruck kommenden politischen Kungelei zwischen Regierung und Parlament. David Alirio Cifuentes, Generalsektretär der Organisation, erklärte, seine Organisation habe in den Campesinogemeinden einen Bewußtseinsbildungsprozeß begonnen, damit die Bevölkerung nicht zu den Urnen geht. Er fügte hinzu, daß die STOJ dies auch in der Hauptstadt und innerhalb der Gewerkschaft machen werde. Die Bewegung der Nationalen Befreiung (MLN) gab eine Erklärung heraus, in der sie ihre Opposition gegen die in der Befragung vorgeschlagenen Verfassungsreformen ausdrückt. Sie empfiehlt der Bevölkerung, mit NEIN zu stimmen. Laut dem Parteimitglied Edgar Fígueroa Muñoz wurden die Reformen nicht gründlich erarbeitet und hätten von einer Verfassungsversammlung mit authentischer und realer Repräsentativität verabschiedet werden müssen. Die Republikanische Front Guatemalas (FRG) rief dagegen die Bürger*innen zu einem JA auf. Bis jetzt ist es die einzige Partei, die ihre Unterstützung für die Haltung der Regierung ausgedrückt hat.

Friedensabkommen noch in diesem Jahr?

– von Ileana Alamilla

(Mexiko-Stadt, 11. Januar 1994, cerigua-POONAL).- Die Generalkommandatur der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) und die Regierung sowie das Militär Guatemalas werden die Friedensgespräche Mitte Februar dieses Jahres erneuern. Dies ist das Ergebnis von mehrtägigen Gesprächen, die am 10. Januar in der mexikanischen Hauptstadt endeten. In der Abschlußerklärung wird ausdrücklich das „Abkommen von Mexiko“ aufgregriffen, in dem die Verhandlungsthemen benannt wurden. Die UNO ist in der neuen Verhandlungsrunde als Vermittlerin vorgesehen. Sie ist ermächtigt, Initiativen vorzuschlagen, die auf einen schnelleren Friedensabschluß zielen. Die UNO ersetzt auf diese Weise den vorherigen Vermittler Monseñor Rodolfo Qüzada Toruño. Das Abkommen von Mexiko führt 11 Verhandlungspunkte auf, von denen das Thema Menschenrechte in den vergangenen Runden der problematischste Komplex war. An der Bildung einer Wahrheitskommission, die Verletzungen der fundamentalen Menschenrechte in den vergangenen 33 Kriegsjahren aufklären sollte, waren die Gespräche gescheitert.

Neue Gesprächsrunde im Februar

Obwohl die Tendenz in Militär- und Regierungskreisen hinsichtlich des Verhandlungsziels unverändert bleibt, hat die von beiden Seiten unterschriebene Vereinbarung Zeit zum Luftholen gegeben. In ihr kann ein Gleichgewicht beider Positionen festgestellt werden: Während die URNG ihre Haltung gegenüber der Teilnahme von Quezada Toruño flexibilisierte (bisher hatte sie auf ihn als Vermittler bestanden; die Red.), akzeptierte die Regierung formal die Wiederaufnahme des Prozesses auf der Basis des Abkommens von Mexiko. Was die Rolle der Zivilgesellschaft in den Verhandlungen angeht, kamen die beiden Seiten überein, eine „Versammlung“ zu schaffen. Sie soll allen Nicht-Regierungssektoren offen sein, „immer dann, wenn sie ihre Legitimität, Repräsentativität und Legalität nachweisen können“. Die Versammlung könnte die grundsätzliche Thematik der Verhandlung mit dem Ziel diskutieren, Konsenspositionen zu formulieren. Dem Forum könnte Bischof Quezada Toruño vorsitzen, wenn er den Vorschlag der Parteien akzeptiert.

Volksorganisationen mit geringem Einfluß auf Verhandlungen

Die Zivilgesellschaft kann, so die Übereinkunft „die verabschiedeten bilateralen Abkommen über die grundsätzliche Thematik kennenlernen und diese garantieren, um ihnen den Charakter von nationalen Verpflichtungen zu geben“. Das Dokument stellt jedoch klar: „Falls aus irgendeinem Grund ein bilaterales Abkommen von der Zivilgesellschaft nicht akzeptiert wird, behält es seine Gültigkeit“. Die Geheimhaltung bleibt Teil des Abkommens. Für Inforrmationen an die Öffentlichkeit wird der UNO-Gesandte Jean Arnault verantwortlich sein. Als Grund wird angegeben, ein Klima des Vertrauens und der Ernsthaftigkeit zu schaffen. Die vielleicht wichtigste sich aus der Übereinkunft ergebende Verpflichtung ist die nationale und internationale Überprüfung der bilateral unterzeichneten Abkommen. Dies ist – zumindest formal gesprochen – die Garantie, daß die Verpflichtungen erfüllt werden. Die Einbindung der Gruppe der befreundeten Länder (Kolumbien, Venezuela, Spanien, Mexiko, Norwegen und USA) als Ehrenzeugen bei der Unterzeichnung eines totalen Friedensabkommens sucht dessen Ernsthaftigkeit zu verstärken. Beide Seiten stimmen optimistisch darin überein, daß der mehr als drei Jahrzehnte dauernde Krieg vor Ablauf des Jahres beendet werden könnte. Aber es lohnt sich, über zwei wichtige Punkte der Tagesordnung des Abkommens von Mexiko nachzudenken, bei denen die Positionen der Zivilgesellschaft, der Aufständischen und der realen Machtfaktoren in Guatemala mehr als antagonistisch sind: Die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Funktion der Streitkräfte in einer demokratischen Gesellschaft sowie die Situation in der Agrarwirtschaft. Die Rolle der Streitkräfte unter den aktuellen Bedingungen in Guatemala hat in größerem Umfang zu einer Militarisierung des Staatsapparates geführt. In der Strategie der Aufstandsbekämpfung bedeutet die Militarisierung das grundlegende Element für die Kontrolle der Zivilgesellschaft und von daher für die Sicherung der realen Macht. Die Situation in der Agrarwirtschaft andererseits ist die Achillesferse des guatemaltekischen Systems. Das Ungleichgewicht in diesem Sektor gibt 2 Prozent der Bevölkerung den Besitz von 67 Prozent des kultivierbaren Landes.

Zentrales Problem: Extreme Konzentration des Landbesitzes

Diese Situation führt zum ersten Punkt (Militarisierung) zurück. Die Mehrheit der Guatemaltek*innen (62 Prozent) leben von der agrarischen Subsistenzwirtschaft. Da sie jedoch zu wenig Land besitzen, wandern immer mehr Menschen in die Städte ab. 82 Prozent der Bevölkerung leben derzeit in extremer Armut. Dies ist die Quelle für die Opposition, die einen Ausweg aus der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise sucht. Da sich der Staat bislang jedoch unfähig zeigt, die Probleme der Mehrheit der Bevölkerung zu lösen, reagiert er mit Unterdrückunng und der Verstärkung des nationalen Sicherheitsapparates. Das Abkommen schreibt die Teilnahme der Zivilgesellschaft fest, die von dem Krieg am stärksten betroffen ist. Der Einfluß ist jedoch begrenzt. Die Übereinkunft selbst legt fest, daß ein von beiden Seiten beschlossener Punkt Teil des endgültigen Friedensabkommens ist, selbst wenn die Zivilgesellschaft ihn nicht unterstützt. Von diesem Punkt aus gesehen, bleibt die Teilnahme der Zivilgesellschaft auf die Meinungsäusserung beschränkt und hat keine Entscheidungskraft. Außerdem muß sie für die Beteiligung an der sogenannten „Versammlung“ ihre „Legalität, Legitimität und Repräsentativität“ nachweisen. Diese Übereinkunft weicht kaum von den Vorschlägen des ehemaligen Vermittlers Quezada Toruño ab. Diese waren von den Volkssektoren in Frage gestellt worden, da ihnen nur eine begrenzte Teilnahme eingeräumt worden wäre.

Staatlicher Terror stieg unter Präsident León an

Der Friedensprozeß hat dennoch Perspektiven – zumindest, um einen politischen Ausweg aus dem Krieg zu suchen. Aber es wird Probleme geben, wenn die neuen Runden stattfinden. Eines der größten Hindernisse stellt die staatliche Terrorpolitik dar (327 außergerichtliche Hinrichtungen während der Regierungszeit Ramiro De León Carpios), die eine Regierungsantwort prophezeien läßt, die gegen die am 10. Januar unterschriebene Übereinkunft gerichtet ist. Mario Permuth, Mitglied der Regierungsdelegation, die die Verpflichtung vor dem Vertreter der UNO unterschrieb, disqualifizierte das Unterzeichnete rundweg. Er warnte, daß unabhängig von dem Unterschriebenen „die Regierung souverän ist, jedwede Maßnahme“ hinsichtlich der Förderung des Friedensplans von Ramiro De León Carpio zu ergreifen. Dieser Plan wurde von der guatemaltekischen Gesellschaft zurückgewiesen, weil er auf der Kapitulation der Aufstädnischen beharrt anstatt auf einer politischen Lösung. Die Unterdrückung ist intensiver geworden, die Militarisierung in den Konfliktzonen nimmt ebenso zu wie die Desinformationskampagnen der Regierung über die Lage in Guatemala. Dazu kommt der Versuch, die URNG politisch zu isolieren, indem sie mit dem Aufstand im Süden Mexikos in Verbindung gebracht wird. Eines wird klar: Trotz der Übereinkunft bleibt der Frieden ein Ziel in weiter Ferne, wenn die Verletzungen der Grundrechte fortbestehen und wenn die Forderungen der Mehrheiten nicht beachtet werden. Das schließt die wichtigste Forderung ein, die die Mehrheit der Bevölkerung erhebt: die Verteilung des kultivierbaren Landes.

KUBA

Gewerkschaften wollen Einfluß auf Wirtschaftspolitik nehmen

– von Raimundo Lopez

(Havanna, 11. Januar 1994, Prensa Latina-POONAL).- Die kubanischen Gewerkschaften haben angekündigt, die Arbeiter*innen über die Reform der Wirtschaft zu befragen und künftig stärkeren Einfluß auf die Wirtschaftspolitik auszuüben. Reformen werden im Hinblick auf die Gesundung der Finanzen des Landes erörtert, die durch ein erhöhtes Staatsdefizit und einen übermäßigen Währungsumlauf gekennzeichnet sind. Die ArbeiterInnenzentrale Kubas (CTC), die Dachorganisation der Gewerkschaftsbewegung auf der Insel, erläuterte in einer Pressemitteilung, daß der Beratungsprozeß in zwei Teilen ablaufen und mit Betriebsversammlungen enden wird. In der ersten Etappe werden mehr als 400.000 Gewerkschafts- führer*innen ihre Sicht darstellen und sich für die Versammlungen mit den Mitgliedern vorbereiten. Dazu werden auch Parlamentsabgeordnete eingeladen werden. Das Parlament diskutierte das Thema der Finanzen zum ersten Mal am vergangenen 28. Dezember. Zu dieser Zeit wurde offiziell bekanntgegeben, daß das Staatsdefizit 4,2 Milliarden Pesos beträgt (bei einem offiziellen Wechselkurs zum US-Dollar von 1 zu 1). Der Währungsüberhang überschritt währenddessen 10 Milliarden Pesos.

Staatsdefizit beträgt 4,2 Milliarden Pesos

Das Parlament faßte bei dieser Gelegenheit keine Beschlüsse, um der Entwicklung entgegenzutreten. Die Abgeordneten stimmten jedoch überein, die schwierige Angelegenheit ohne Maßnahmen neoliberalen Zuschnitts mit hohen sozialen Kosten zu lösen. Die Ankündigung der CTC fiel mit dem Leitartikel der Wochenzeitschrift „Arbeiter“ zusammen, dem Sprachrohr der ArbeiterInnenzentrale. Darin wird der Formalismus in der kubanischen Gewerkschaftsbewegung hart angegriffen. Das Blatt schreibt: „Die rituelle und sich wiederholende Sprache derjenigen, die ohne Pause allgemeine Losungen ausgeben, aber die besondere und objektive Realität, angesichts der sie agieren müssten, kaum anfassen, wird nicht mehr geduldig ertragen.“ „Arbeiter“ fordert von den Gewerkschaften, sich an allen politischen Kämpfen zu beteiligen und „in allen Bereichen in die Offensive zu gehen“. Sie verurteilt unter anderem die Gleichgültigkeit, die Nachlässigkeit und die fehlende Kontrolle bei Kosten und Ausgaben sowie die ungestrafte Veruntreuung von Geldern. Die Zeitschrift bezeichnet dies als „Zeichen der Kapitulation“ und warnt, daß die Loslösung vom „aktuellen Kampf des Landes … nicht nur das Schicksal des Vaterlandes gefährdet, sondern auch die Existenz, den Anstand, die Würde und die Macht der Arbeiter*innen“.

Gewerkschaftszeitung rechnet mit Entlassungen

Der Leitartikel fordert die Arbeiter*innen auf, zu Lösungen beizutragen, von denen einige in dem paternalistischen kubanischen Wirtschaftssystem sehr unpopulär sein könnten: Belegschaftsreduzierungen, Abschaffung von Vergünstigungen und Subventionen für etliche Produkte usw. Die Gewerkschaften kamen am vergangenen Wochenende überein, ihre Kräfte auf die Kostenreduzierung und die Erzielung von höheren Nettogewinnen zu konzentrieren. Zur etwaigen Entlassung nicht benötigter Arbeitskräfte unterstrich der Generalsekretär der CTC, Pedro Ross, diese würden auf Argumenten und überzeugenden Gründen und nicht auf Erlassen begründet sein. „Es muß mit viel Besonnenheit und ohne Willkür gearbeitet werden“, sagte er. Er führte aus, daß in dieser Situation die Arbeit der Gewerkschaften mit den Arbeiter*innen – denen eine Subvention (gemeint ist offensichtlich eine Art Arbeitslosengeld; die Red.) von 60 Prozent ihres Lohnes garantiert wird – die Organisation, Betreuung und Verteidigung ihrer Rechte umfassen wird. Das Parlament kündigte im Dezember eine Reihe außerordentlicher Sitzungen an, um nach einem umfassenden Analyseprozeß mit den sozialen Basen des Landes die finanzielle Situation Kubas zu behandeln. Parlamentspräsident Ricardo Alarcon bestätigte in einem Radiointerview, daß „der Hauptakteur bei diesen Aktionen die Bevölkerung sein wird“. Er gab jedoch noch kein genaues Datum über die nächste Versammlung der Parlamentarier*innen an.

HAITI

Priester ermordet

(Port-au-Prince, 21. Dezember 1994).- Am 13. Dezember wurde der Priester Elismé Michel von der Kirche des Apostolischen Glaubens von zehn bewaffneten Personen durch Schüsse ermordet. Sie drangen in sein Haus ein und raubten das dort befindliche Geld. „Die Mehrheit der Priester auf Haiti erleben jeden Tag die Kreuzigung in ihren Gemeinden“ sagte der Padre Gérard Jean-Juste, Secretario del Décimo Departamento (Zur Zeit lebt er im Untergrund in der Hauptstadt.) „Viele Priester, Nonnen und Mönche können in den verschiedenen Gebieten des Landes keinen Gemeindedienst mehr leisten. Die Gewalt muß bald aufhören… Wir müssen umkehren. Wir müssen mit der physischen Anwesenheit von Präsident Aristide zur demokratischen Ordnung zurückkehren.“

Jeremie – eine Gemeinde in der Hand von paramilitärischen Gruppen

(Jeremie, 20. Dezember 1993, HIB-POONAL).- In einem offenen Brief rief der Padre Joachim Samedi um Hilfe für seinen Ort. Jeremie ist Geisel der Front für den Haitianischen Fortschritt (FRAPH), einer paramilitärischen, mit den Streitkräften verbundenen Gruppe. „Sie haben drei Personen getötet, aber die Polizei und die Justiz ziehen sie nicht zur Verantwortung“, schrieb der bekannte Priester am 1. Dezember. „Die Leute können nicht einmal sprechen … Von 100 Jugendlichen in Jeremie sind 95 wegen der FRAPH in den Untergrund geflüchtet. Die fünf, die bleiben, können nicht in ihren Häusern schlafen.“ Padre Samedi informierte zusammen mit Mitgliedern der internationalen BeobachterInnenorganisation Schrei nach Gerechtigkeit (CFJ), daß Mitglieder der FRAPH den blinden und tauben Abner Joseph gegenüber der Kirche Santa Helena (Pfarrgemeinde von Samedi) am 27. November entführten. Trotz der Proteste der Mitglieder der BeobachterInnenorganisation und der Mutter von Joseph wurde er hart vom örtlichen Chef der FRAPH, dem Padre Jean Bonhomme, geschlagen. Ihm wurde auch gedroht, ihn aufzuhängen. Mit der Hilfe Ortsangehöriger gingen die Mitglieder der CFJ zum Sitz der FRAPH, um die Freilassung Josephs zu verhandeln. Während sie warteten „bedrohten uns etwa 20 FRAPH-Mitglieder und bezeichneten uns als Kommunisten.“ Nach einem Bericht der CFJ bedrohten sie auch den Padre Samedi. Am Ende ließen sie Joseph frei und er wurde ins Krankenhaus gebracht. „Die Bevölkerung weiß nicht, was sie machen soll“, schrieb Samedi. „Es scheint, die FRAPH habe mehr Macht als die örtlichen Armeekommandanten. Sie sagen, daß der Polizeichef in Port-au- Prince (Oberst Michel Francois) ihnen ihre Befehle gibt. Stimmt das? Wer schickt diese Verbrecher? Alle Mörder, Kriminellen und Diebe haben sich dem bewaffneten Arm der FRAPH angeschlossen“, schließt er. „Schauen Sie, was sie dieser Stadt der Dichter*innen angetan haben.“

Abgeordneter tötet Jugendliche

(Port-au-Prince, 6. Januar 1994, HIB-POONAL).- Der Präsident der Abgeordnetenkammer Antoine Joseph erklärte heute, daß der Mord an einer Jugendlichen durch einen Abgeordneten untersucht wird. Am 31. Dezember 1993 schoß der Parlamentarier Saurel Jacinthe während einer Silvesterfeier in Moron – in der Nähe von Jeremie – auf eine Menschenmenge. Eine Jugendliche starb und drei weitere Personen wurden verletzt. Jacinthe ist in der Nationalen Fortschrittlichen Revolutionären Haitianischen Partei (PANPRA) aktiv, die den Staatsstreich unterstützte. Er sagte, er habe in „Notwehr“ gehandelt.

Zivilisten stürmen Kirche und besetzen Gemeinde

(Port-au-Prince, 27. Dezember 1993, HIB-POONAL).- In der Weihnachtsnacht drangen bewaffnete Zivilisten in die Schule der Kirche San Gerardo ein. Sie zerstörten eine Wand und ein Fenster und besetzten den Ort zwölf Stunden lang. Die Gemeinde San Gerardo ist sehr bekannt für ihre Unterstützung der Demokratie und von Aristide. Solidaritätsgruppen besuchen sie häufig.

Soldaten plündern Häuser in Armenviertel

(Gonaives, 22. Dezember 1993, HIB-POONAL).- Am 19. Dezember plünderten Soldaten und bewaffnete paramilitärische „Attachés“ neun Häuser im Armenviertel „Raboteau“. Sie schossen in die Luft, schlugen 29 Personen, darunter 14 Jugendliche. Zwei Menschen starben: Ein Mann ertrank, als er zu fliehen versuchte und eine alte Frau starb an einem Herzinfarkt. Der Angriff fand 48 Stunden nach einem Besuch einer US- Solidaritätsdelegation (Pax Christi) in der örtlichen Kaserne der Streitkräfte statt. Die Delegation half bei der Freilassung von elf Bewohner*innen von Raboteau, die seit dem 30. November gefangen gehalten wurden.

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