Poonal Nr. 109

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 109 vom 06.09.1993

Inhalt


ARGENTINIEN

CHILE

GUATEMALA

KUBA

BOLIVIEN

CONDEPA stellte zu hohe Forderungen

KOLUMBIEN


ARGENTINIEN

Angriffe gegen Journalist*innen nehmen zu

(Mexiko, 1. September 1993, FELAP-POONAL).- Am 30. August übergaben die Vereinigung der Presse(mit)arbeiter*innen von Buenos Aires (UTPBA) und die Arbeiterfront der argentinischen Presse (FTPA) – Mitglied der FELAP – dem Präsidenten Carlos Saúl Menem eine Liste mit 288 bekanntgewordenen Fällen von Angriffen gegen Journalist*innen. Sie dient als Beweis für die Presseunterdrückung, die in Argentinien herrscht.

Während des Treffens der Pressevertreter*innen mit dem Präsidenten und dem Innenminister Carlos Ruckauf bot letzterer an, eine Kommission zu ernennen, um die Fälle zu untersuchen. Dies wurde von den Vertretern der Presseleute zurückgewiesen, da sie sich als Teilnehmer dieser Kommission nicht in „Polizist*innen“ oder „Befehlsempfänger*innen“ des Ministeriums verwandeln wollten. Innenminister Ruckauf gab am selben Tag die Gefangennahme von zwei Verdächtigen bekannt, die am Attentates auf Hernán López Echague, Journalist der Tageszeitung „Página 12“ beteiligt gewesen sein sollen. Dies wurde in Pressekreisen gemeinhin als Präsentation von Sündenböcken bewertet.

Menem: Attacken sind politische Propaganda der Opposition

Obwohl die argentische Regierung ihre Teilnahme an diesem Treffen mit den Journalisten akzeptierte, äußerten einige politische Persönlichkeiten wie z.B. der ehemalige Botschafter in Honduras, Alberto Brito Lima, beim Angriff gegen Echague könnte es sich um eine „Selbstattentat“ handeln. Dies schafft Mißtrauen und reiht sich in das ein, was Menem selbst einige Tage zuvor erklärt hatte. Menem erklärte, die Attacken gegen die Presse seien Teil der politischen Propaganda der Opposition. Wie bekannt ist, befürwortet der argentinische Präsident eine Verfassungsreform, die ihm die eine zweite Amtsperiode als Präsident ermöglichen soll.

Einige Stunden vor dem Gespräch von UTPBA und FTPA mit den Regierungsverantwortlichen explodierte gegenüber dem Sitz der Radiostation FM Radio Tribu in Buenos Aires eine Bombe.

CHILE

200 Gerichtsverfahren gegen Militärs geraten ins Stocken

– Von Patricia Quiroz

(Santiago de Chile, 30. August 1993, ANCHI-POONAL).- In Chile gibt es mehr als 200 schwebende Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Streitkräfte aufgrund von Menschenrechtsverletzungen – Folter, Mord, Entführung, Verschwindenlassen von Personen -, die während der fast 17 Jahre währenden Militärdiktatur begangen wurden. Bis heute ist jedoch kein einziges Verfahren eröffnet worden.

Kein Offizier oder Untergebener wurde verhaftet, angeklagt oder verurteilt aufgrund der mehr als 4.000 bekanntgewordenen Fälle von Verschwundenen und aus politischen Gründen Hingerichteten. Lediglich zwei ehemalige Zivilagenten der DINA (chilenischer Geheimdienst; d. Red.) bleiben in Haft und haben verschiedene Straftaten gestanden.

Vor kurzem hat der chilenische Präsident Patricio Aylwin dem Parlament ein Gesetz vorgelegt, daß dazu dienen soll, die Prozesse und Untersuchungen zu beschleunigen. Der Regierungschef schlägt die Ernennung ausgewählter Richter*innen vor. Er will die Anonymität derjenigen garantieren, die Vergehen gestehen oder Informationen geben. Auch will der Präsident das unter der Diktatur 1978 erlassene Amnestiegesetz anwenden sowie die Prozesse gegen die Militärs mit der größtmöglichen Diskretion durchführen. Die Strafen für diejenigen, die sich bei den Untersuchungen kooperativ zeigen, sollen gesenkt werden.

Aylwin will Gerechtigkeit „im Rahmen des Möglichen“

In diesem Kontext und als offensichtliches Beispiel sprachen vor einigen Tage zwei Militärstaatsanwälte zwei Oberste des chilenischen Heeres und weitere Agenten frei. Die Militärs waren angeklagt, Alfonso Chanfreaud und die Brüdern Juan Carlos und Elias Andronicos Antequera – alle drei waren Aktivisten der MIR (chilenische Linksbewegung; d. Red.)- entführt, gefoltert und möglicherweise hingerichtet zu haben. Die Oberste Fernando Laureani und Miguel Krassnoff – aktiv und mit Befehlsposten innerhalb des Heeres – waren von der Ziviljustiz für die Vergehen gegen die drei Jugendlichen verantwortlich gemacht worden. Der Oberste Gerichtshof übergab den Fall jedoch der Militärgerichtsbarkeit, die die beiden Offiziere, als auch weitere Agenten, die in die Straftaten verwickelt waren freisprach.

Die oppositionelle Zeitschrift „Punto Final“ folgerte, „daß es also nicht die Richter*innen sind, die dem Obersten Gerichtshof unterstehen, die Wahrheit und Gerechtigkeit walten lassen können“. Magdalena Navarrete, Führerin der Gruppe der Angehörigen von Gefangenen-Verschwundenen, vertrat die Auffassung, daß das von Aylwin vorgelegte Gesetz „ein Gesetz der Straffreiheit ist“, weil letztendlich alles beschleunigt, amnestiert und im Geheimen gehalten werde. Es wäre ein Ende ohne Gerechtigkeit und ohne Strafe für die Schuldigen tausender Menschenrechtsverletzungen.

Die Rechte strebt ein „Vergessen“ an

Die Vertreter der Rechten und einige mit der Regierung verbundene dagegen befürworten ein „Vergeben und Vergessen“. Der Senator Sergio Fernandez, ehemaliger Innenminister des Militärregimes, erklärte: „daß das Vergessen gesucht wird, weil ein höheres Gut angestrebt wird: Der soziale Frieden, den die ganze Gesellschaft will.“ Die Militärs schweigen gegenüber der gegenwärtigen Diskussion und der konkreten Situation, doch noch vor kurzem erläuterte General Augusto Pinochet, die Streitkräfte hätten keine offenen Rechnungen mit dem Land und die Zeiten, die Zwist unter den Chilenen*innen schufen, müßten überwunden werden.

GUATEMALA

De Leóns doppeldeutige Kampagne gegen Korruption

(Mexiko, 1. September 1993, NG-POONAL).- Der Präsident Ramiro de León Carpio hat die Bevölkerung dazu aufgerufen, Druck auf die korrupten Kongreßabgeordneten und die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes (CSJ) auszuüben, damit diese ihren Rücktritt einreichen. Damit hat die Kampagne für die „Depuración“, die Säuberung des Parlamentes, einen neuen Höhepunkt erreicht.

Die Diskussion über die Säuberung von Staat und Politik wird von den Begriffen Moral und Legalität beherrscht, der politische Hintergrund des Themas wird allerdings an den Rand gedrängt. Es ist klar, daß einerseits die Korrupten verurteilt werden müssen. Aber es ist offensichtlich, daß Machtvakuen bleiben, die nur durch die Militärs gefüllt werden können. Damit wäre das Heilmittel jedoch schlimmer als die Krankheit.

Die Korruptionskampagne stärkt die Macht der Streitkräfte

Der Präsident – und er selbst wiederholt es bei jeder Gelegenheit – hat keine Parteistruktur hinter sich, die ihn unterstützt. Das System der politischen Parteien hat keine Glaubwürdigkeit. Die Armee hat das Land in der Gewalt, sie ist die einzige Institution, die in der Lage ist, Macht auszuüben. Die Militärs kontrollieren den Staat. Und sie stehen in einer Allianz mit den Agrarexporteuren – der halstarrigsten Unternehmerfranktion gegen Veränderungen – , die an der Seite der Militärs hoffen, ihre Macht bewahren zu können. Nur vor diesem Hintergrund konnte Ex-Präsident Serrano im Mai einen Putsch wagen.

Man darf nicht vergessen, daß die Armeespitze – wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen eine der berüchtigtesten des Kontinents – bis zum letzten Moment das Abenteuer von Jorge Serrano unterstützt hat. Es darf auch nicht unbeachtet gelassen werden, daß die Rechtfertigung für den versuchten Staatsstreich die Korruption in den staatlichen Organen war. Hier stellen sich Fragen. Die unerwartete Haltung des Präsidenten: Entspricht sie nicht dem Traum der Armee, sich der Politiker mit eindeutig korruptem Lebensweg zu entledigen? Oder wollen sie alleine an der Macht bleiben und das mit dem Desaster des Serrano-Coups gescheiterte Projekt beiläufig in Gang bringen?

Wenn das letztere richtig ist, würden die Türen für eine neue Welle der Unterdrückung geöffnet. Dabei ist das Ausmaß der Gewalt schon jetzt erschreckend. Die Zahl der Ermordeten und Verschwundenen, der Bedrohungen und Einschüchterungen steigt an. Und die Gewalt geht in hohem Maß von den Streitkräften und der Polizei aus. Dies ist wichtig, zu erwähnen, da nun auch der Verteidigungsminister General Mario René Enríquez Säuberungen ausdrücklich unterstützt – er schweigt jedoch, wenn die Verbrechen der Militärs angesprochen werden. Die Situation ist absurd. Wie ist es möglich, daß die Armee Aktivitäten gegen die Korruption vorantreibt, wenn ihre eigenen Mitglieder sehr viel schwerer Verbrechen angeklagt sind? Kann die Exekutive Politik und Staat reinigen, aber die Mißbräuche der Streitkräfte übergehen?

Bleiben die Verbrechen der Armee ungesühnt?

Die Armeechefs sind verantwortlich für den Tod Tausender Guatemaltek*innen. Daher kann ein Rechtsstaat – Voraussetzung der Demokratie – unmöglich erreicht werden, wenn die Militärs außerhalb der gesetzlichen Reichweite bleiben.

Ein anderer Gesichtspunkt: Der Rücktritt von Abgeordneten oder Richtern bedeutet nicht, die Korruption wirkungsvoll zu bekämpfen. Ohne exemplarische Bestrafung würde der Teufelskreis unweigerlich von vorn beginnen. Die Spekulation scheint deswegen darauf gerichtet zu sein, mit angeblicher Volksunterstützung die Ergebnisse zu erzielen, die Serrano nicht erreichte. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Wiederholung des „fujimoraza“ (Staatsstreich a la Fujimori in Peru; die Red.).

Darum ist es entscheidend, Mechanismen zu finden, die verhindern, daß die Militärs die ganze Macht in den Händen behalten. Dies erfordert eher politische Maßnahmen als striktes Vorgehen nach Gesetzesvorschriften oder moralische Einlassungen, und daran mangelt es den guatemaltekischen Politikern. Ohne Zweifel sähe die Bevölkerung die Bestrafung der Abgeordneten und Richter wegen ihrer korrupten Taten mit Freude. Aber es ist ebenso offensichtlich, daß eine Maßnahme, die die Straffreiheit der Militärs aufrecht erhält, die Probleme des Landes nicht lösen würde.

Eine andere Frage ist, ob der Präsident die „Depuración“ überhaupt durchführen kann, da er doch durch den nun der Korruption beschuldigten Kongreß gewählt worden ist? Das ist ein Argument der Abgeordneten. Und wie kann der Gerichtshof sich säubern, der doch auch von diesem Parlament gewählt wurde? Alle Gewalten sind miteinander verbunden.

Eine mögliche Lösung der Krise, die die Staatsorgane durchmachen, könnte sich in den Verhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla finden. Dort könnten wirkliche Grundlagen geschaffen werden, um tiefgreifende wirtschaftliche, soziale und politische Veränderungen zu beginnen. Die Verhandlungen sind bis jetzt der einzig glaubhafte Ansatz für eine Lösung der Krise – und daher versucht die Regierungsseite, ihn zu bagatellisieren. Der Dialog ist die einzige Option, alle sozialen Sektoren wirkungsvoll in die Lösungssuche einzubinden; und er ist der einzige Versuch, der sich nicht mit kosmetischen Maßnahmen begnügt.

Die Zivilpatrouillen müssen aufgelöst werden

– Von Ileana Alamilla

(Mexiko-Stadt, 1. September 1993, cerigua-POONAL).- Hohe Offiziere der Armee verteidigten die jüngsten Übergriffe der von ihnen kontrollierten Zivilpatrouillen. Diese entführten und mißhandelten einen Führer der guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko, der wieder befreit werden konnte. Außerdem verschleppten sie den Begleiter des Flüchtlingssprechers.

Zivilpatrouillen entführten und mißhandelten Führer der Flüchtlinge

Joaquín Jiménez Bautista, Mitglied der Verhandlungskommission der Ständigen Komitees der Flüchtlinge in Mexiko (CCPP), wurde am 27 August von Mitgliedern der Zivilpatrouillen im Bezirk Todos Santos in der nordwestlichen Provinz Huehuetenango verhaftet und entführt. Er bereitete die Rückkehr von weiteren Flüchtlingen, die im mexikanischen Exil leben, nach Guatemala vor. Der Flüchtlingsführer wurde von einem Kanadier, dessen Name nicht bekannt ist, und von Sergio Zuniga, einem Geistlichen der katholischen Kirche Guatemalas, begleitet. Zuniga wurde am letzten August-Wochenende von Mitgliedern der Zivilpatrouillen entführt.

Ohne seinen Ärger über die Befreiung von Jiménez zu verbergen, beschuldigte der Chef der Militärzone Huehuetenango, Oberst Luis Miranda, den Flüchtlingsführer, für Feindseligkeiten gegenüber der Bevölkerung verantwortlich zu sein.

Die Tat gegen die guatemaltekischen Flüchtlinge, die seit einem Jahrzehnt auf mexikanischem Gebiet exiliert sind, unterstreicht die Forderungen, daß die paramilitärischen Gruppen der Armee aufgelöst werden müssen. Dies fordern unter anderem Organisationen wie die Nationale Witwenvereinigung Guatemalas (CONAVIGUA) und das Komitee für Bauerneinheit (CUC). Erst am 3. August griffen die Zivilpatrouillen eine Bauerndemonstration – ebenfalls in Huehuetenango – an, die gegen ihre Präsenz in den Gemeinden gerichtet war. Das Resultat waren ein Toter und drei Verwundete, darunter ein belgischer Journalist. (vgl. dazu auch die POONAL- Ausgabe Nr. 107; die Red.). In einer Erklärung betonte der Menschenrechtsbeauftragte die Urheberschaft einer Zivilpatrouille und wiesen auch auf die Verantwortlichkeit der Armeeführung von Huehuetenango hin, weil sie die Mobilmachung der Patrouillen erlaubt hatten.

Auf diese Erklärung entgegneten die Pressesprecher des Militärs, Oberst Alvaro Rivas und Major Edith Vargas, die Bauern hätten die Zivilpatrouillen während der Demonstration provoziert. Sie versicherten, daß viele humanitäre Organisationen von der Guerilla manipuliert seien, um die Auflösung der Patrouillen zu fordern. In dieser Weise hat sich sogar der guatemaltekische Präsident Ramiro de León selbst geäußert. Er verteidigte die Milizien mit dem Argument, sie hätten den Vormarsch der Guerilla im Landesinnern aufgehalten.

Bei seiner Reise durch zahlreiche Provinzen Guatemalas teilte De León auf Treffen mit den Zivilpatrouillen seine Entscheidung mit, den Kongreß und den Obersten Gerichtshof zu säubern. Dies hat in den letzten Tagen eine politische Krise bei Exekutive, Legislative und Judikative geschaffen. Präsident verteidigt die paramilitärischen Milizen

Die Mehrheit der Gewerkschaftsorganisationen, die die vom Präsidenten geplante Reinigung unterstützen, haben auch die Auflösung der Zivilpatrouillen als einen ersten Schritt gefordert, um die guatemaltekische Gesellschaft zu entmilitarisieren. „Wir glauben, daß De León noch Zeit hat, zu vermeiden, ein weiterer manipulierter ziviler Regierungschef im Dienste der Armee zu sein“, äußerten die CCPP, als sie die Entführung und Folterung ihres Repräsentanten Joaquín Jiménez öffentlich machten.

In weniger als einem Monat haben die Zivilpatrouillen eine friedliche Bauerndemonstration angegriffen und einen Teilnehmer umgebracht; sie haben einen Sprecher der guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko und einen Priester entführt. Und der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte und jetzige Präsident Guatemalas hat nichts Eiligeres zu tun, als den paramilitärischen Gruppen seine Unterstützung zuzusichern.

KUBA

Kubanische Wissenschaftsakademie fordert bessere Möglichkeiten der

Entwicklung

– Von Jose R. Savall

(Havanna, 31. August 1993, Prensa Latina-POONAL).- Vom 20. bis 23. Juli 1993 fand in Havanna das IV Symposium der Internationalen Gesellschaft für elektromagnetische Gehirntopographie statt. Auf diesem Treffen, an dem mehr als 200 Teilnehmer*innen aus allen Kontinenten teilnahmen, sprach Frau Dr.Rosa Elena Simeon, Präsidentin der Kubanischen Wissenschaftsakademie (ACC), die in ihrem Referat auf die notwendigen Bedingungen für wissenschaftliche Entwicklung einging.

Während die 17 stärksten Volkswirtschaften 85 Prozent der gesamten Wertschöpfung auf der Welt auf sich konzentrieren, leben beispielsweise in Lateinamerika 46 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Diese Zahl stieg während der letzten sieben Jahre um 2,5 Prozent. Eine Kindersterblichkeit von 6,8% in Lateinamerika vervollständigt dieses Bild.

Internationale Organisationen – mit denen Simeon übereinstimmt – schätzen, daß Wissenschaft und Technik eine immer wichtigere Rolle im ökonomischen Wettbewerb und beim Wohlergehen der Menschheit spielen werden. „Wir glauben, daß die Bekämpfung dieser Ungleichheit, die Verkleinerung oder Abschaffung der Unterschiede einen gesamtheitlichen Ansatz erfordert“, sagte sie. Für die Kubaner*innen sind die Erziehung, die Wissenschaft und die Technik gemeinsam Teil der nationalen Entwicklungsstrategie.

Wenn man die Wissenschaftslandschaft des Landes quantitativ beschreiben will, ragt die Zahl von 500.000 Universitätsabsolvent*innen hervor (10.000 davon mit verschiedenen Abschlüssen in der Forschung). Auf eine Million Einwohner*innen kommen mehr als 1.000 Forscher*innen und Ingenieur*innen. Mehr als 17.000 Dozenten*innen mit hoher Qualifikation forschen im Rahmen ihres Lehrauftrages an 49 Universitätszentren, so die Dozentin. Diese Zentren, die Universitäten selbst und die Wissenschaftsinstitute sind im ganzen Land in insgesamt 13 wissenschaftlich-technologischen Parks konzentriert.

Es gibt eine Koordination, die aufgrund von Produktionszielen oder konkreten sozialen Zielen auch Industrien und Dienstleistungszentren umfaßt. So können Projekte über die Entwicklungsphase hinaus bis hin zur Kommerzialisierung wissenschaftlich begleitet werden.

Impfstoff gegen Meningitis wurde international ausgezeichnet

„Wir arbeiten mit fortgeschrittenen Technologien wie der Bio- und Erbforschungstechnologie und der Mikroelektronik, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen und wettbewerbsfähige Produkte auf dem internationalen Markt zu plazieren“, sagte Simeon. Sie erinnerte daran, daß die Impfung gegen die „meningitis meningococica Typ B“ von der Weltorganisation für geistiges Eigentum kürzlich mit der Goldmedaille ausgezeichnet wurde und ein Beispiel für diese Arbeit ist. Bei den Medikamenten wurden allein 1992 insgesamt 145 neue Produkte entwickelt. Davon sind 61 bereits in 34 verschiedenen Ländern registriert und eröffnen Wettbewerbschancen.

Bestandteil dieser Politik sind auch die Neurowissenschaften, besonders die Elektrophysiologie, die klinische Neurologie und die elektromagnetische Gehirnforschung. Die Zentren der Neurowissenschaften, der medizinischen Biophysik und das Institut für Digitalforschung entwickeln die Forschungs- und Basistechnologieprogramme. „Die Planung und Entwicklung automatisierter Systeme auf nationaler Ebene hat uns erlaubt, auf dem Gebiet der quantitativen Elektrophysiologie und der elektrischen Gehirnforschung zu arbeiten“, so die ACC-Präsidentin.

Das Gesundheitsministerium hat ein Netz von 40 Laboratorien der klinischen Neurologie in 12 der 14 kubanischen Provinzen geschaffen. Es wird daran gearbeitet, die Versorgung des ganzen Landes noch in diesem Jahr zu vervollständigen. Dies entspricht fast 100 Teams, die mit der Erfahrung lokaler Spezialisten ausgebildet wurden. Zu diesem Zweck wurden mehr als 100 Ärzte in einer Periode, die zwischen 6 Monaten und 3 Jahren dauerte, ausgebildet. Dabei wurden die quantitativen Methoden bevorzugt. Zur Zeit werden außerdem 92 Ärzte als klinische Neurophysiologen ausgebildet. Angesichts der neuropatischen Epidemie (die in Kuba seit einigen Monaten auftretende mysteriöse Augenkrankheit; d. Red.) dient das Netz der Laboratorien der Diagnose und Therapiebestimmung.

Verschiedenen kubanische Forschungsprojekte mit gemeinsamer Teilnahme von Neurolog*innen, Psycholog*innen, Pädagog*innen und Kybernetiker*innen haben Ergebnisse erzielt, die heute die Früherkennung von neuronalen Defiziten, Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und der allgemeinen Intelligenzentwicklung ermöglichen. Dies erlaubt eine viel frühere, genauere und von den Gesundheits- und Erziehungsinstitutionen kombinierte Behandlung. Die Familien können sich einschalten und so die soziale Integration erhöhen.

Zusammenarbeit mit den Familien erhöht soziale Integration Das Problem jeder Technik besteht in den Kosten und dies ist besonders wichtig für die Dritte Welt, wo die Mehrheit der Menschen lebt. Bedeutsam ist auch die soziale Anwendung neuer Techniken. Darum begrüßte die Ärztin einen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) innerhalb des Symposiums geförderten Workshop, der der Beziehung zwischen der Technik der Neurobilder und der geistigen Gesundheit gewidmet war.

Zu den Ergebnissen des Symposiums gehörte die Entwicklung einer Forschungskonzeption durch die Mitarbeit mehrerer Länder, eine Idee, die die ACC-Präsidentin als stimulierend und notwendig bezeichnete und die unterstreicht, daß in der Wissenschaft und unter den Wissenschaftlern eine größere Zusammenarbeit und Koordination erreicht werden muß.

Die Delegierten sprachen sich für eine Standarisierung der Methoden und eine Vereinheitlichung der Datenbasen aus. Simeon erklärte, daß dies zu einer größeren Qualität in der elektromagnetischen Topographie und der Anwendung von Medikamenten führen würde.

BOLIVIEN

Regierungspakt zwischen MNR und UCS

– Von Jaime Taborga V.

(Bolivien, 30. August 1993, ALAI-POONAL).- Nachdem die Nationalistische Revolutionäre Bewegung (MNR) mit ihrem Führer Gonzalo Sánchez de Lozada bei den letzten Wahlen die Mehrheit errungen hatte, hat sie nun mit der Bürgerunion Solidarität (UCS) des Brauereiindustriellen Max Fernández einen Regierungspakt geschlossen. Nach allgemeiner Einschätzung ist die UCS für die MNR ein „günstiger“ Koalitionspartner, weil diese nur ein Ministerium für die Zusammenarbeit einforderte.

Dabei benötigte Gonzalo Sánchez de Lozada keine Parlamentarierstimmen mehr, um zum Präsidenten gewählt zu werden und am 6. August, dem bolivianischen Nationaltag, die Regierung zu installieren. Angesichts seiner 33,89 Prozent sahen sich die übrigen Parteien verpflichtet, öffentlich zu erklären, im Kongress für ihn zu stimmen (das bolivianische Wahlgesetz schreibt vor, daß die Wahl des Präsidenten im Nationalkongress zwischen den drei Erstplazierten stattfinden muß, wenn kein Kandidat bei den Volkswahlen mehr als 50 Prozent erreicht). Sánchez de Lozada wollte jedoch eine stabile Mehrheitsbasis im Parlament garantiert haben, um das Land die nächsten vier Jahre bequem regieren zu können.

Die UCS, die 13,12 Prozent der Stimmen bei den Nationalwahlen erreichte, erhielt im Gegenzug zu ihrer parlamentarischen Unterstützung der MNR-Fraktion (die 21 Abgeordneten der UCS zusammen mit den 69 der MNR machen zwei Drittel der Parlamentsstimmen aus) ein Ministerium in der zukünftigen Regierung. Ohne Zweifel ein günstiges Ergebnis für die MNR; insbesondere wenn man es mit den Bedingungen vergleicht, die die Partei Bewußtsein für das Vaterland (CONDEPA) mit 13,61 Prozent, aber nur 14 Abgeordneten und die Bewegung Freies Bolivien (MBL) mit 5,1 Prozent und 7 Abgeordneten für das Mitregieren verlangten.

Neoliberaler Wirtschaftskurs nicht gefährdet

Der MNR-UCS-Pakt bedeutet laut dem Präsidenten der Vereinigung der privaten Unternehmer Boliviens, Fernando Illanes, geringere Kosten für das ökonomische Modell. Illanes, der auch Botschafter in den Vereinigten Staat während einer früheren MNR-Regierung war, denkt vor allem an seinen eigenen Vorteil. Er glaubt, daß die Gegenwart von CONDEPA oder MBL in der Regierung Änderungen des neoliberalen Wirtschaftskurses der MNR bedeutet hätten.

Aber nicht alles verläuft nach der – immer noch anachronistischen – Logik des Unternehmers. Die politischen Parteien haben gezeigt, daß die programmatischen Gegensätze und die ideologischen Unterschiede kein bestimmender Faktor in der Stunde der Machtübernahme sind, so überbordend die Unterschiede der Reden während der Wahlkampagne auch sein mögen. Ebensowenig ist die Ähnlichkeit wichtig. So hat zum Beispiel die Tatsache, daß sowohl an der Spitze der MNR als auch an der Spitze der UCS mächtige, wohlhabende Unternehmer stehen, in keinem Moment etwas mit der Verwirklichung oder Rechtfertigung der beschlossenen Koalition zu tun gehabt. Genauso irrelevant und naiv ist folgende Betrachtung: Das die MNR Symbol der „Modernisierung“ ist und die UCS das „populistische“ Element repräsentiert. Das hat nichts mit den Zielen zu tun, die beide Parteien verfolgen.

Das außergewöhnliche an diesem Pakt ist, daß er nicht zwischen MNR und UCS erwartet wurde, sondern eher zwischen der Patriotischen Übereinkunft (AP) von Hugo Bánzer und der UCS. Schon lange vor den Wahlen wurde vom sogenannten „Bierpakt“ gesprochen. Danach sollte die UCS mit ihren Abgeordnetenstimmen die Wahl Bánzer zum Präsidenten im Nationalkongress erleichtern. Die Regierung dagegen, mit Verbindungen zur Finanzbourgeoisie und der Entscheidungsmacht über die Steuerpolitik sollte helfen, das finanzielle Defizit des Unternehmers zu überwinden.

Wird die MNR dasselbe machen? Wenn der Bierpakt wirklich so bestanden hat und die MNR die Stimmen der UCS zwar nicht brauchte, um die Regierung zu bilden, wohl aber, um Regierung „zu machen“, ist die wahrscheinlichste Antwort Ja.

Führer der UCS nicht integer

Max Fernández ist eine ernsthaft in Frage gestellte Person inner- und ausserhalb des Landes aufgrund von Verdächtigungen über den Ursprung seines Vermögens. Obwohl kein Gerichtsverfahren gegen ihn besteht, werden ihm Verbindungen zum Drogenhandel nachgesagt. Bis heute gibt es keine andere Erklärung für die Verweigerung eines Einreisevisums in die USA. Die bolivianische Presse hat sogar durchgesickerte Informationen veröffentlicht, die besagen, daß die USA ihr Veto gegen einen möglichen Regierungspakt zwischen AP und UCS mit der Absicht eingelegt haben, Max Fernández von der Macht auszuschließen.

Der Regierungspakt zwischen MNR und UCS hat diese Frage für Einheimische und Ausländer*innen nicht beeinflusst. Obwohl die Führung der MNR die nordamerikanische Botschaft aufsuchen mußte und die Presse veranlaßt worden ist, auf der ersten Seite ein Foto zu veröffentlichen, auf dem der Botschafter Bowers und der Unternehmer Fernández lachend erscheinen, gibt es keinen Beweis, daß der amerikanische Verdacht grundlos ist.

Die geschichtliche Erfahrung zeigt, daß die nordamerikanische Moral dort aufhört, wo das politische Interesse anfängt, oder umgekehrt: Wo das politische Interesse aufhört, fängt die Moral an (siehe beispielsweise Noriega). Sei es wie es sei, dieser „Ablass“ ist die größte politische, wirtschaftliche und soziale Wohltat, die Max Fernández in diesen Tagen brauchte, um seine Zukunft zu sichern. Das Ministerium, daß er bald besetzen wird, bedeutet den Besitz eines Titels, der wie ein Zertifikat für seine glänzende Zugehörigkeit zur „politischen Klasse“ Boliviens wirkt.

CONDEPA stellte zu hohe Forderungen

Die CONDEPA mit dem radikalen Populisten Carlos Palenque an der

Spitze belegte bei den Wahlen den dritten Platz. Dies verdankte

sie hauptsächlich ihrem Wahlkampf in der bevölkerungsreichsten Provinz La Paz. Dort verfügt sie über eine eigene Radiostation und einen Fernsehsender.

Auch sie traf sich mit der MNR zu Koalitionsgesprächen. Doch die drei Wochen währenden Gespräche kamen nicht voran. Am Anfang waren die Forderungen der CONDEPA zu hoch, man sprach von bis zu fünf Ministerien. Die Annäherung zwischen MNR und UCS – klarer Rivale der CONDEPA – schwächte die Möglichkeiten der Partei, sie wurde in die Defensive gedrängt. Als sich schließlich der Pakt von MNR und UCS abzeichnete, wurden das Regierungsstreben der CONDEPA zerstört. Daraufhin kündigte die CONDEPA an, eine starke Opposition gegenüber der MNR zu sein.

Die MBL von Antonio Aranibar andererseits, die ihre Regierungsbeteiligung ebenfalls vom Ausschluss der UCS abhängig gemacht hatte, kam am Ende zu einer Mitregierungsvereinbarung, die mit dem Namen „Pakt für die Veränderung“ getauft wurde. Wie die UCS, wenn auch aus ganz anderen Gründen, braucht auch die MBL ein „Zertifikat“ für ihre politische Lebensfähigkeit, daß sie vom Stigma ihrer sozialistischen Aspirationen löst. Sie versucht, den politischen Pfand einzulösen, sich von der traditionellen Macht zu unterscheiden. Sie macht sich zur Sprecherin von populären Forderungen und zeigt, soweit es ihre Kräfte erlauben, ihre Kampfbereitschaft gegen die Korruption.

Diese Partei – eine Abspaltung von der MIR – deren Wahlspruch es ist, „reines Getreide“ (d.h. korruptionsfrei; die Red.) zu sein, glaubt mit ihrer Regierungspräsenz Möglichkeiten zu haben, die Stagnation der Wählerstimmen bei 5 Prozent, die sie nie überschritten hat, überwinden zu können.

KOLUMBIEN

Paramilitärische Gruppen terrorisieren die Bevölkerung

(Bogotá, August 1993, AC-POONAL).- Die Bewohner*innen der Städte El Carmen und San Vicente in der Region Chucurí (Department Santander) leiden seit Jahren unter der Gewalt paramilitärischer Gruppen. Im August 1992 hatte die Interkongregationale Kommission Justicia y Paz erstmals auf der Grundlage von Zeugenaussagen einen Bericht über den Terror der Paramilitärs veröffentlicht. Geschehen ist seitdem nichts: Weder die Generalstaatsanwaltschaft noch der Innen- oder Verteidigungsminister haben irgendwelche Maßnahmen ergriffen, um die Bewohner*innen zu schützen und die Verantwortlichen zu ermitteln und zu bestrafen. Im Gegenteil: Der soeben veröffentlichte zweite Bericht belegt, daß die Anschläge paramilitärischer Gruppen zugenommen haben und daß die Armee die Milizen unterstützt.

Armee unterstützt die paramilitärischen Milizen

Nach den Zeugenaussagen wird die Stadt San Vicente de Chucurí von den paramilitärischen Milizen vollständig beherrscht. Die Gruppen hätten Stützpunkte selbst in entlegenen Weilern errichtet, sie eigneten sich willkürlich Land von Bauern an und erpreßten „Steuern“ von der Bevölkerung. Diejenigen, die sich dem Diktat der Paramilitärs widersetzten, seien entführt, vertrieben, gefoltert oder ermordet worden. Die Bauern würden gewaltsam gezwungen, in die Patrouillen einzutreten. Und bei allem könnten sie auf die Unterstützung der Armee rechnen. Zeugen berichteten zum Beispiel, wie paramilitärische Führer Panzer und Wagen der Armee benutzten.

Eine Gruppe von Bauern berichtet: „Wir alle wissen – auch wenn darüber das Gesetz des Schweigens herrscht -, daß wir von einem Militärregime beherrscht werden. Wenn wir die Situation in Magdalena Medio analysieren, sehen wir, daß wir seit mehr als zehn Jahren unter einer Sklavenherrschaft leben, die in Santa Helena del Opón und Cimitarra begann und bereits San Vicente de Chucurí erreicht hat und sich auf weitere Provinzen ausdehnt. Wir reden von einer paramilitärischen Gruppe, die sich „Masetos“ oder MAS nennt, von den Bataillonen Nueva Granada in Barrancabermeja und Luciano D'Elhuyart in San Vicente unterstützt und von der 2. Armeedivision und der 5. Armeebrigade finanziert wird. So zum Beispiel geschehen auf dem Stadtgebiet von San Vicente merkwürdige Dinge. San Vicente ist von einem Armeebataillon umgeben, zudem befinden sich Einheiten von Berufsoldaten in der Stadt, es gibt eine Polizeistation und ein Kommando des Sijín (Geheimdienstabteilung). Trotzdem tauchen in der Stadt Leichen auf oder es „verschwinden“ Leute. So verschwand ein Mann gegenüber dem Hauptplatz und es tauchten die Leichen eines Verkehrspolizisten, eines Schneiders, eines Technikers und viele weitere Leichen auf. Es gibt keine Verantwortlichen. Niemand hat etwas gesehen. Die Regierung sagt, sie verfüge über keine Hinweise und keine Spuren, aber Tag und Nacht sieht man komische Leute in der Stadt.“

„Wenn wir Anklage erheben, werden wir umgebracht“

Über die Beziehungen zwischen den Streitkräften und Paramilitärs sagten die Bauern: „Man weiß, wenn wir eine öffentliche Anklage machen, so werden wir umgebracht. Man hat uns gesagt, daß es in San Vicente viele Zisternen gebe, in die man uns werfen würde. Der Ort Hoyo Malo ist bekannt geworden, weil dort oft Leichen gefunden wurden. Also werden sie beginnen, uns umzubringen. Dabei sind wir hier, weil wir nirgend anders hin können und damit (den Paramilitärs, die Red.) nicht einverstanden sind.

Eine Delegation von uns sprach mit dem Oberst des Bataillons D'Ehlhuyart, damit die paramilitärische Gruppe entfernt werde. Der Oberst antwortete uns: 'Hier befehle ich, und dies ist ein Befehl.' Er zwang alle Männer zwischen 14 und 60 Jahren, in die paramilitärischen Patrouillen einzutreten, gleich ob sie Militärdienst geleistet haben oder nicht, ob sie körperliche Schäden haben oder nicht. Als wir zu unseren Häusern zurückkamen, hatte der Kommandant der paramilitärischen Basis, Kommandant „Robinson“, eine Liste mit unseren Namen in der Hand und sagte uns, wir müßten seinen Befehlen folgen. Wenn wir so weitermachten wie bisher, wüßten wir ja selber, was mit uns geschehe.

Armeechef zwingt Bauern in die Zivilpatrouillen

Viele Bauern trauten sich aus Angst vor den Paramilitärs nicht, über die Milizen zu sprechen, sagen die Bauern. „Die Milizen versuchen, uns einzuschüchtern. Sie sagen: 'Überlegt gut, ob ihr den Untersuchungsbeamten etwas sagst. Denn die Beamten kommen nur für wenige Tage und gehen dann zurück, wir aber bleiben hier. Wer also nicht mit uns einverstanden ist, hat zwei Möglichkeiten: zu bleiben oder aus der Region zu verschwinden.“

Justicia y Paz urteilt: „Es ist offensichtlich, daß diese Entwicklung des Paramilitarismus nur geschehen konnte, weil es keine Strafverfahren und administrativen Aktionen des Staates gibt. Dadurch entsteht eine Toleranz (des Staates gegenüber den Milizen, die Red.), die für viele Bauern tödliche Folgen hat und für andere eine große Verschlechterung ihrer Lebensqualität bedeutet; eine Toleranz, die nicht nur als bloße Passivität oder Unterlassung interpretiert werden kann, wenn man bedenkt, daß die Anklagen sehr massiv waren.“

Justicia y Paz: Der Staat ist mitverantwortlich für den Terror

In einem Brief, der zusammenn mit dem Bericht an den Oberaufsichtsrat Gustavo de Greiff, an den Generalstaatsanwalt Carlos Gustavo Arrieta, an den präsidialen Menschenrechtsberater Carlos Vicente de Toux und an den Verteidigungsminister Rafael Pardo geschickt wurde, ermahnt Justicia y Paz: „Ich glaube, keine Ungerechtigkeit zu behen, wenn ich eine nicht geringe Verantwortlichkeit für alle diese Tode, Übergriffe und gewaltsamen Vertreibungen von so vielen Familien von ihren Parzellen und aus der Region in den Institutionen sehe, die Sie vertreten. Seit Jahren haben wir immer wieder darum gebeten, daß diese verbrecherischen Aktivitäten aufhören sollen, wir wurden jedoch nie gehört.“

Die Bevölkerung in der Region von Chucurí hofft, daß die Veröffentlichung des Berichtes genügend internationale Unterstützung hervorruft, um die Verantwortlichen für die paramilitärischen Verbrechen und ihre Hintermänner zu bestrafen. Sie hoffen, daß endlich Gerechtigkeit geschaffen wird, daß die Vertriebenen entschädigt werden und der Terror gestoppt wird.

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