Poonal Nr. 094

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 94 vom 24.05.1993

Inhalt


GUATEMALA

LATEINAMERIKA/JAPAN

NICARAGUA

HAITI

KUBA


GUATEMALA

24 Stunden der Gerechtigkeit

– von Ileana Alamilla

(Mexiko-Stadt, 18. Mai 1993, Cerigua-POONAL).- Nur 24 Stunden nach seiner Verurteilung zu einer 20jährigen Haftstrafe wegen des Mordes an dem US-Amerikaner Michael Devine konnte der guatemaltekische Hauptmann Hugo Contreras aus der Haftanstalt fliehen. Am 11. Mai befand ein Berufungsgericht Contreras für schuldig, an der Ermordung des US-Bürgers Michael Devine vor drei Jahren im nördlichen Departements Petén beteiligt gewesen zu sein. Contreras war zu jenner Zeit Leiter des militärischen Geheimdienstes in dieser Region und gilt als der Drahtzeiher des Verbrechens. Die Soldaten, die mit der Asuführung des Mordes betraut waren, erhielten Haftstrafen von 30 Jahren.

Hoher Offizier floh nach Verurteilung aus Gefängnis

Dies ist das erste Mal, daß ein Offizier der guatemaltekischen Armee für einen Mord bestraft wird. Das Urteil ist auch auf den Druck der Vereinigten Staaten zurückzuführen, die die Ermordung als politisches Verbrechen einstuften und auf eine rasche Bestrafung der Verantwortlichen drängten. Die guatemaltekische Zeitung „Prensa Libre“ verglich den Mord an Devine mit dem Fall des US-amerikanischen Antidrogen-Agenten Enrique Camarena, der in den achtziger Jahren in Mexiko verschleppt und ermordet wurde. Prensa Libre berichtet weiterhin, daß nordamerikanische Diplomaten die US-Regierung aufgefordert haben, den Fall mit diesem Urteil noch nicht als abgeschlossen zu betrachten. Die Clinton- Administration solle Druck ausüben, damit auch ein hoher Offizier zur Verantwortung gezogen werde, der das Verbrechen geplant und vorbereitet habe. Dieser Offizier sei bislang nicht bestraft worden, sondern auf einen höheren Posten befördert worden. Prensa Libre beruft sich in dem Artikel auf Aussagen der Oberste Guillermo Paortillo und Mario Garcia Cátalan, dem Leiter und dem stellvertretenden Leiter des Militärstützpunktes im Petén, wo Michael Devine umgebracht wurde.

Flucht aus bestbewachter Kaserne des Landes nur mit Hilfe der Armee möglich

Die Kaserne Mariscal Zavala in Guatemala-Stadt, aus der Contreras wenige Stunden nach dem Urteil flüchtete, gilt als eine der bestbewachten Gefängnisse des Landes. Dort sind die größten Infanteriekontingente stationiert. Offensichtlich ist, daß die Flucht von hohen Offizieren geduldet oder begünstigt wurde. Dies verwundert nicht, denn die Armee hatte aus ihrer Ablehnung des Urteils keinen Hehl gemacht. 2 Militärbeauftragte, die Stimmrecht in dem Berufungsgericht hatten, stimmten gegen die Bestrafung des Geheimdienstchefs. Für eine Verurteilung lägen nicht genügend Beweise vor, begründete Militärsprecher Julio Yon die ablehnende Haltung. Derselbe Militärsprecher Julio Yon verstärkte den Verdacht, als er, als Antwort auf die Reaktion der amerikanischen Botschaft, sagte, daß diese nach den Ereignissen in Waco überhaupt kein Recht hätten, sich dazu zu äussern. Er bezog sich damit auf die Stürmung einer von der davidianischen Sekte besetzten Ranch durch das nordamerikanische FBI, bei der zahlreiche Menshcen umgekommen waren. Ohne eine Nachforschung anzustellen, beeilte sich Staatspräsident Jorge Serrano, den Leiter der Kaserne, Oberst Luis Miranda, von jeglicher Schuld an der Flucht Contreras freizusprechen. Die bittere Erkenntnis: Zwar wurde erstmals ein hoher Offizier wegen eines Verbrechens unter dem Druck der Vereinigten Staaten von einem Gericht verurteilt, die Strafe muß er dennoch – zumindest vorerst – nicht absitzen, da die Streitkräfte das Urteil ablehnten und den Delinquenten „freiließen“. Die Streitkräfte, soviel wird deutlich, sind offensichtlich gewillt, die Straflosigkeit der oberen Ränge aufrecht zu erhalten, selbst wenn eine Verurteilung nicht abzuwenden ist.

70 Prozent Stimmenthaltung bei Kommunalwahlen

(Mexiko-Stadt, 18. Mai 1993, NG-POONAL).- Die Wahlenthaltung von fast 70 Prozent der Wähler bei den jüngsten Kommunalwahlen haben die Enttäuschung und das Desinteresse der Guatemaltek*innen an der Regierungspolitik vor Augen geführt. Die Mehrzahl der Politiker, von den Christdemokraten bis zur Nationalen Zentrum Union (UCN) befanden die Wahlenthaltung der Wähler*innen als „normal“ und wiesen darauf hin, daß die Entwicklung in den USA in die gleiche Richtung gehe. Für die Partei des Präsidenten Jorge Serrano waren die Kommunalwahlen ein voller Triumph, da in der „Demokratie nur die gültigen Stimmen zählen“. Mit dieser Aussage ignorierte der Präsident geflissentlich die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung. Von allen Parteien, die zu dem Ausgang der Wahlen Stellung genommen haben, zeigte sich nur die unbedeutende, eher regierungsfreundlich eingestellte Sozialdemokratische Partei (PSD) besorgt. Acht Jahre nachdem in Guatemala die ersten „freien“ Wahlen stattgefunden haben, die in der Kanditadur des Christdemokraten Vincino Cerezo Arévalo gipfelten, funktioniert die von den Militärs entworfene Polit-Struktur immer noch. Offiziell wurde die Regierungsgewalt an den Präsidenten abgetreten, um das Ansehen des Staates zu erhöhen.

Werden Energieversorger privatisiert?

Die Probleme des Landes sind jedoch offensichtlich: In den Schulen des Landes herrscht Unzufriedenheit, es fehlt an Lehrmitteln und Personal; auch hat die Regierung die Absicht, Ausweise für die Student*innen einzuführen, was von diesen als Überwachungsmechanismus bezeichnet wurde. Hinzu kommt der Widerstand der Bevölkerung gegen die teilweise bis zu 300przentige Erhöhung der Stromtarife. Opfer dieser Wirtschaftspolitik sind die Ärmsten der Armen. Obwohl der Kongreßpräsident, der Abgeordnete José Lobo Dubón versicherte, daß er ein Einfrieren der Tarife unterstützen würde, sehen Experten die Erhöhung der Tarife als einen ersten Schritt an, die Energieversorgung zu privatisieren. Auf der anderen Seite führt das Militär seit geraumer Zeit einen regelrechten Krieg gegen die Oppositionsparteien, um diese mundtot zu machen. Einschüchterungen durch die sogenannten Todesschwadrone nehmen zu. Das Land steht kurz vor dem sozialen Siedepunkt. Die Kommunalwahlen werden von den immensen ökonomischen Problemen, den militärischen Einschüchterungsversuchen, sowie von dem wiederholten Scheitern der Friedensverhandlungen überschattet.

Land kurz vor dem sozialen Siedepunkt

Vor diesem Hintergrund ist die Forderung der Zivilsektoren nach einer Einbeziehung in die Friedensverhandlungen zu sehen, in denen die Grundlage für eine gerechte und gleichbereichtigte Gesellschaft gelegt werden soll. Regierung und Militär weigern sich jedoch hartnäckig gegen die Beteiligung der Zivilsektoren an dem Dialog, da sie fürchten, die Kontrolle zu verlieren.

LATEINAMERIKA/JAPAN

Ein neuer Kurs in den Handelsbeziehungen?

– von Florencia Campana

(Quito, Mai 1993, alai-POONAL).-Obwohl zwischen Lateinamerika und Japan bereits seit einigen Jahrzehnten Handelbeziehungen bestehen, blieb der Warenaustausch bislang realtiv unbedeutend. Dies soll sich nun ändern. Vor allem die lateinamerikanischen Länder hoffen, die Umsätze im Handel mit dem asiatischen Wirtschaftsriesen erheblich ausdehnen zu können. Der Austausch zwischen Lateinamerika und Japan begann bereits im 19. Jahrhundert, festigte sich aber erst nach dem 2. Weltkrieg. Eine zentrale Rolle spielten dabei die „sogo shosha,“, das sind japanische Handelsunternehmen, die die Waren vermarkten und vor allem im Außenhandel eine große Bedeutung erlangt haben. In den 50er Jahren eröffneten japanische Handelsunternehmen Filialen in Brasilien, Argentienen und Mexiko, später in Chile, Peru und Venezuela, in den 70er Jahren in Kolumbien und Panama, im vergangenen Jahrzehnt folgte Ekuador. Die Niederlassungen exportieren vor allem nicht-traditionelle Produkte nach Japan und öffnen japanischen Waren neue Absatzwege in Lateinamerika. Bislang fällt der Handel mit Lateinamerika in den japanischen Bilanzen kaum ins Gewicht. Nur 2 Prozent ihrer Umsätze erzielen die japanischen Handelsunternehmen im Lateinamerikageschäft, obwohl sich 10 Prozent ihrer Niederlassungen auf dem Subkontinent befinden. Am gesamten Außenhandel Japans ist Lateinamerika mit 4,4 Prozent beteiligt.

Prognosen: Japanische Direktinvestitionen werden deutlich steigen

Prognosen zufolge wird Japan in diesem Jahrzehnt die Direktinvestitionen in Lateinamerika deutlich erhöhen, was darauf schließen ließe, daß der Subkontinent die in den achtziger Jahren verlorene Attraktivität als Wirtschaftsstandort zurückgewinnen kann. Wirtschaftsforscher sprechen bereits von einer Trendwende in den Beziehungen zwischen Lateinamerika und Japan. Paul Kennedy, Professor an der renommierten US-amerikanischen Universität in Yale, sagt bereits voraus, „daß Japan den Einfluß der USA in der Region in 15 Jahren verdrängt hat“. Von dem wachsenden japanischen Interesse an Lateinamerika werden allerdings nur einige wenige Länder profitieren. Denn Nippon ist in erster Linie an billigen Rohstoffen für die heimische Wirtschaft interessiert; zudem könnten einige Länder strategische Bedeutung für das ostasiatische Land erlangen: mit Produktionsstätten in Lateinamerika könnte Japan die Handelsbeschränkungen der USA und Europas für japanische Produkte umgehen und Zutritt zu deren Märkten erlangen.

Nur wenige Länder werden von japanischer Offensive profitieren

Einer Untersuchung des Instituts zum Studium internationaler Beziehungen in Rosario, Argentinien, können die lateinamerikanischen Länder nach ihrer Bedeutung für den japanischen Außenhandel in drei Gruppen unterteilt werden. Das Hauptinteresse Japans gilt demnach Mexiko, Panama und Brasilien. Im vergangenen Jahrzehnt waren 34 Prozent der japanischen Exporte nach Lateinamerika für Panama bestimmt. Zweifelsohne ist der Panamakanal der bestimmende Faktor für die hohen Handelsumsätze diesen Landes. Den Großteil der Umsätze erzielten die japanischen Exporteure mit dem Verkauf von Schiffen. Das Interesse Japans wird offensichtlich, wenn man bedenkt, daß nahezu 25 Prozent der japanischen Automobillexporte den Panamakanal durchlaufen. Panama ist zudem der zentrale Umschlagplatz für Waren, die für Zentral- und Südamerika und die Karibik bestimmt sind. Die Bedeutung des Panamakanals für Japan ist derart groß, daß sich die Ostasiaten bereits nach Alternaitven umsahen, um die Abhängigkeit zu mildern. Japan zog den Bau eines neuen Kanals zwischen Atlantik und Pazifik durch Nicaragua ernsthaft in Betracht, scheiterte allerdings am heftigen Veto der Vereinigten Staaten.

Brasilien, Mexiko und Panama wichtigste Handelspartner

Brasilien ist als das Land mit der höchsten Anziehungskraft in Südamerika betrachtet worden. Seine zahlreichen Naturressourcen sowie Größe und Niveau der industriellen Entwicklung erwiesen sich als vorteilhafte Faktorem, um japanische Investitionen sowohl in der Automobilindustrie wie auch im Finanzbereich anzulocken. Parallel dazu hat sich ein bemerkenswerter bilateraler Handel entwickelt. Wenn man die Titel aus dem Reedereihandel in Panama außer acht ließe, entfielen 25 Prozent der japanischen Transaktionen mit Lateinamerika auf Brasilien. Das große Interesse an dem größten Land Lateinamerikas hat Japan in jüngster Zeit mit der Uunterstützung gezeigt, die es den brasilianischen Plänen für einen eigenen Zugang zum Pazifik über Peru erwies. Nach Aussage des Peruaners Enrique Amayo, Professor an der Universität von Sao Paulo, ist Japan gewillt, ein solches Projekt zu unterstützen. Das Interesse Japans an einer Wasserstraße durch Peru zum Pazifik ist mit den riesigen Waldbeständen und den Rohstoffvorkommen zu erklären, die im Amazonasgebiet existieren. Die brasilianischen Unternehmer*innen ihrerseits sehen in diesem Megaprojekt die Möglichkeit, direkten Anschluß an das Pazifikbecken zu bekommen und damit Zugang zu dem vermeintlich wachstumsstärksten Markt der Zukunft zu erlangen.

Der mexikanische Trumpf: Nähe zum US-Markt

Nach Brasilien zog Mexico die meisten Investitionen aus Fernost an. Einer der Hauptgründe für die Attraktivität Mexikos ist die Nähe zum nordamerikanischen Markt – ein Faktor, der mit dem Abschluß des nordamerikanischen Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, den USA und Kanada noch stärker ins Gewicht fällt. Die beiden Ländern unterhalten schon sehr lange wirtschaftliche Beziehungen, doch erst in den siebziger Jahren erreichten die japanischen Investitionen bemerkenswerte Marken. Nach den USA und Deutschland stieg Mexiko zum Land mit den meisten Direktinvestitionen auf. Ende der 80er Jahre existierten 164 Unternehmen mit japanischer Beteiligung, davon waren 64 Prozent produzierende und 24 Prozent Dienstleistungsunternehmen (Rest: Handel). Im Fabrikationsbereich konzentriert sich der Großteil des japanischen Kapitals auf die elf Automobilunternehmen, an erster Stelle liegt Nissan Mexicana. Das Anwachsen derjapanischen Maquiladoras (Unternehmen, die – in der Regel arbeitsintensive – Zwischenprodukte für den Export herstellen und erhebliche Zollpräferenzen genießen; zum Beispiel wurden einige Produktionsschritte in der Textilindustrie nach Mexiko verlagert, da dort die Löhne sehr niedrig sind) in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, wird von Wirtschaftsexpert*innen als schnelle Antwort auf protektionistischen Maßnahmen der USA erklärt. Die Zahl der japanischen Exporteure in Mexiko hat sich in diesem Zeitraum fast verdreifacht, gleichwohl sind nur 4 Prozent der Maquiladoras in Mexiko in japanischer Hand. Verschiedene Wissenschaftler*innen haben darauf hingewiesen, daß der geringe Anteil Japans am Maquiladora-Sektor auf die geringe Qualifikation der Arbeitskräfte zurückzuführen sei, die die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber einigen asiatischen Ländern mindere. Dennoch wird Mexiko in den japanischen Exportüberlegungen weiterhin eine strategische Rolle spielen, insbesondere um einen problemlosen Zugang zum US-Markt zu erlangen.

Handel nur in eine Richtung

Die Handelsbeziehungen zwischen Japan und Lateinamerika verlaufen höchst einseitig. Die Länder des Subkontinents haben nur wenig Chancen, auf dem japanischen Markt Fuß zu fassen. Die Hoffnungen ruhen allein darauf, daß japanische Investoren in Lateinamerika investieren und damit die wirtschaftliche Entwicklung antreiben. Paul Kennedy drückt es so aus: „Die japanischen Investoren sind nicht gierig danach, in Lateinamerika zu investieren. Gierig nach japanischem Kapital sind dagegen die lateinamerikanischen Länder. Wenn jedoch die lateinamerikanischen Märkte nicht bieten können, was die japanischen Investoren brauchen, inklusive Arbeitskraft, bleiben die Investitionen aus.“

NICARAGUA

Schleichender Verlust der Souveränität

(Managua, Mai 1993, Apia-Poonal).- Mehrere Kriege hat er ausgelöst, und auch an der Besetzung durch die USA zu Beginn des Jahrhunderts war er nicht unschuldig. Heute droht er einen Konflikt zwischen Nicaragua und Costa Rica auszulösen: Der Río San Juan. Das Gewässer, das den Nicaragua-See mit der Karibik verbindet, ist bedroht durch die Verseuchung und Plünderung durch Costa Ricas Bananen- und Tourismusindustrie. Der Wasserweg brachte den Nicaraguaner*innen selten Gutes. Im 17. Jahrhundert segelten englische Piraten über den Fluß bis ins Kernland der damaligen spanischen Kolonie und brandschatzten die Bischofsstadt Granada. Als 1848 in Kalifornien der Goldrausch ausbrach, war der Río San Juan die schnellste und ungefährlichste Verbindung zwischen der atlantischen und pazifischen Küste der USA. Die abenteuerliche Goldroute, die Nicaragua bekannt machte, hat auch Mark Twain in einer Reisebericht beschrieben. Heute wird der Río San Juan in den Broschüren costaricanischer Reisebüros als „bestes Fischgebiet des Landes“ angepriesen. Nach dem Canas-Jérez-Vertrag von 1858 zieht aber die Grenze zwischen den beiden Ländern nicht mitten durch den Fluß, sondern entlang des südlichen Ufers. Doch täglich schippern die Ausflugboote auch auf der nördlichen Seite des San Juan und seiner Nebenflüsse. Die Sache wäre sicherlich weniger konfliktträchtig, wenn nur harmlose Fischer und Urlauber auf Fotosafari den San Juan nutzten. Inzwischen haben jedoch Jäger den Bestand an Ozelots, Tapiren, Rotwild und Alligatoren in der Region dezimiert.

Costa Rica plündert nicaraguanisches Grenzgebiet

Der ökologische und wirtschaftliche Schaden an Nicaraguas Ressourcen ist schwierig zu ermessen, denn es fehlt jegliche Kontrolle. Die zwei Außenstationen der Armee entlang des 174 Kilometer langen Flusses sind völlig überfordert. Jäger und Grabräuber, die präkolumbianische Schätze aus indianischen Grabstätten stehlen, schleusen ihre Beute gefahrlos über die Grenze nach Costa Rica. Die costaricanischen Behörden sehen dem illegalen Treiben mit stillschweigender Duldung zu; oder sie sind gar selbst in die Plünderungen des Nachbarlandes verwickelt: Denn das biologische Forschungsinstitut INBIO in der Hauptstadt San José hat einen Vertrag mit der Universität Berkeley, der ihm einen Gewinnanteil an neuen chemischen oder medizinischen Produkten zusichert, die aus den von ihm gelieferten Tropenpflanzen gewonnen werden. Costa Rica hat jedoch keine Tropenwälder mehr. Der Verdacht liegt daher nahe, daß ein Teil der von Costa Rica gelieferten Wurzeln und Kräuter aus den nicaraguanischen Wäldern am Río San Juan kommt. Nicaragua scheint die Hoheit über die 10 000 Quadratkilometer große Region im Südosten des Landes zunehmend zu verlieren. Die Bevölkerung orientiert sich längst nach Costa Rica, um Arbeit zu finden. In den wenigen Siedlungen wie San Juan del Norte (ehemals Greytown) oder Papaturro schlägt die um eine Stunde verschobene costaricanische Uhrzeit. Selbst Lehrpläne und Lehrer für den Schulunterricht kommen aus San José, da das nicaraguanische Erziehungsminsterium nicht ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt hat Die wirtschaftliche und kulturelle Durchdringung durch Costa Rica bedeute einen schleichenden Souveränitätsverlust der nicaraguanischen Grenzregion, stellte auch der Tourismusminister Fernando Guzmán Anfang Mai nach einem Besuch im Südosten des Landes fest. Der seit Januar amtierende Minister – einer von zwei sandinistischen Mitgliedern im Kabinett von Präsidentin Chamorro – forderte mehr Hilfe für die vernachlässigte Region, die von der Hauptstadt weitgehend abgeschnitten ist: Die Regierung müsse mehr Geld für die Infrastruktur ausgeben; Straßen müßten gebaut und Strom- und Telefonleitungen verlegt werden.

Nicaragua will vernachlässigte Region zurückgewinnen

Die Rückeroberung des Gebietes am Río San Juan soll nun von El Castillo ausgehen, einer halbverfallenen Festung am Oberlauf des Flusses. Dort soll im 18. Jahrhundert eine englische Flotte von Lord Nelson durch die List der Gouverneurstochter Rafaela Herrera in die Flucht geschlagen worden sein. Nun wurde dort eine Herberge errichtet, der weitere Tourismuseinrichtungen entlag des Flusses folgen sollen. Die größte Gefahr für die Biosphäre des San Juan geht allerdings von den Bananenplantagen aus, die auf costaricanischer Seite gelegen sind. Biologen haben eine hohe Konzentration von Pestiziden im Flußwasser nachgewiesen, die von den Nebenflüssen des San Juan von Costa Rica angespült werden. 60 Prozent der giftigen Stoffe in dem Flußwasser werden nach Angaben von nicaraguanischen Wissenschaftlern über den Río San Carlos von Costa Rica her in den San Juan geschwemmt. Die Manager der Plantagen bestreiten die hohe Vergiftung der Flüsse, haben bislang aber keine eigenen Meßergebnisse vorgelegt. Eines ist klar: Wenn die Verseuchung nicht rasch gestoppt wird, werden Costa Ricas Tourismusunternehmer nicht mehr lange mit „reichen Fischgründen“ am Río San Juan werben können.

HAITI

Linguist fordert: Kreolisch erste Schriftsprache

(Port-au-Prince, Mai 1993, HIB-POONAL).- Die kreolische Sprache wird auf Haiti von über 95,5 Prozent der Einwohner gesprochen und verstanden. Dennoch werden jetzt wieder sämtliche staatliche Dokumente, Kommuniqués und Gesetze in der alten Kolonialsprche Französisch verfaßt, einer Sprache die weniger als 250.000 Haitianer*innen beherrschen. In der Schule wird nach wie vor auf Französisch unterrichtet.

Erstes kreolisches Dokument von 1793: Sklavenbefreiung

Der kreolische Wortschatz leitet sich in erster Linie aus dem Französischen ab, mit syntaktischen Charakteristika westafrikanischen Ursprungs. Es trat zum ersten Mal während der Kolonialepoche in Santo Domingo auf. Eines der ersten schriftlichen Dokumente auf kreolisch war die Sonthonax-Erklärung von 1793, in der den Sklav*innen ihre Freiheit zugesichert wurde: „Toute monde vini dans monde pou io rete libe & egal entre io“, („Alle menschen kommen gleich und frei zur Welt“). Trotz dieses Beginns haben sich die nachfolgenden haitianischen Regierungen mit der Akzeptanz des Kreolischen schwer getan. Yves Dejean, führender Linguist und Experte des haitianischen Kreolisch, Professor an der staatlichen Universität und Autor zahlreicher Bücher und Untersuchungen, hat sich seit Jahrzehnten unermüdlich für die kreolische Literatur und die Aufnahme und Aufwertung der Sprache in allen Bereichen des haitianischen Lebens eingesetzt. Obwohl die haitianische Verfassung von 1987 zwei offizielle Sprachen anführt – Französisch und Kreolisch -, ist Dejean der Meinung, daß Kreolisch die Hauptsprache werden sollte. Er weist darauf hin, daß Kreolisch über 200 Jahre lang die unterbewertete Sprache des Volkes war. „Französisch ist der Herr, Kreolisch der Sklave,“ führt Dejean aus.

Putsch-Regierung hält Ansprachen nur auf Französisch

Als die Haitianer*innen 1990 Aristide wählten, haben sie eine Regierung gewählt, die die Rechte der Mehrheit der Bevölkerung respektierten. „In den ersten sieben Monaten der Regierung Aristide konnte jeder die Regierungsmitglieder verstehen, die Politik war transparent,“ sagt Dejean, und weist gleichzeitig darauf hin, daß die gegenwärtige Putsch-Regierung, die in keinerlei Weise die Menschenrechte respektiert, in Dokumenten und Ansprachen an die Bevölkerung Französisch benutzt. Wenn die Demokratie nach Haiti zurückkehrt, sollte laut Dejean die Regierung ebenfalls eine demokratischere Haltung gegenüber in der Sprachpolitik einnehmen, und das Kreolische sollte das Französische als erste Schriftsprache ersetzen. Dejaen schlägt die Schaffung einer Kreolischen Sprachbehörde vor, die bei der Eingliederung des Kreolischen helfen sollte, durch die Übersetzung von Dokumenten, Sprachunterricht für Angestellte des öffentlichen Dienstes und die Organisation von Seminaren und Konferenzen.

KUBA

Ex-Justizsekretär der USA fordert ein Ende des Handelsembargos

– von Martin Hacthoun

(Havanna, 18. Mai 1993, Prensa Latina-POONAL).- Um die Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten zu normalisieren, muß die USA ihre außenpolitischen Positionen überdenken, sagte der ehemalige oberste Staatsanwalt der USA, Ramsey Clark. Ein erster Schritt in die richtige Richtung sei die Aufhebung des Handelsembargos gegen die Karibikinsel. In einem Gespräch mit Prensa Latina in Havanna gab Clark zu bedenken, daß im Moment der Wechsel in den Beziehungen der beiden Länder, durch die komplexe innenpolitische Situation Washingtons und die Ignoranz des amerikanischen Volkes, bedingt durch eine starke antikubanische Propaganda, behindert werde. Clark, der Justizsekretär unter Lyndon B. Johnson und unter John F. Kennedy stellvertretender Justizminister war, besuchte Havanna in den vergangen Tagen als Leiter einer Delegation, um eine Spende von Medikamenten und medizinischen Geräten an das Rote Kreuz der Insel zu überreichen.

Clark: Wirtschaftskrieg der USA gegen Kuba ist unerträglich

Seiner Meinung nach muß die Blockade der USA gegen Kuba „aus Gründen der Humanität und des Anstands“ beendet werden. Clarks Meinung nach ist es „unerträglich, daß ein so mächtiges Land einen Wirtschaftskrieg gegen eine kleine Nation führt.“ Washington sollte, so der US-Amerikaner, seine ideologischen Grundpositionen überdenken und seine hegemonistische und militaristische Außenpolitik durch freundschaftliche Beziehungen ersetzen, die auf gegenseitigem Respekt, Würde, Selbstbestimmung und Souveränität beruhen. „In Wirklichkeit hat unsere Außenpolitik für die ganze Welt fatale Folgen gehabt, das amerikanische Volk eingeschlossen. Durch den Militarismus der Regierngen von Reagan und Bush (1981-1993) ist die USA zur höchstverschuldeten Nation der Welt geworden und das zu einem unglaublich hohen sozialen Preis,“ meint Clark, der sich im Moment als Anwalt in Fällen von Zivil-, Menschen- und internationalem Recht betätigt.

Schon Jefferson wollte Kuba den Spaniern entreißen

Besonders in Bezug auf Kuba, fügt Clark hinzu, hat es bislang keine amerikanische Regierung gegeben, die sich für eine Änderung der schon historischen Einstellung der Vereinigten Staaten der kleinen Insel gegenüber eingesetzt hätte. Schon Thomas Jefferson (1805-1809) träumte davon, „den kubanischen Apfel dem spanischen Baum zu entreißen“. Die Geschichte beider Länder ist von gegenseitigen Drohungen, Versuchen der Anektion, Nötigung und Angriffen gekennzeichnet. Auf die Frage, ob die neue demokratische Regierung Clintons möglicherweise eine positivere internationale Einstellung und eine Annäherung an die Insel begünstigen würde, weist Clark darauf hin, daß die Außenpolitik „nicht Priorität“ der Clinton-Regierung sei, ebenso wenig sei es Kuba. Das größte Problem Clintons sei es jetzt, die wirtschaftliche Situation de Landes zu verbessern. Wenn das nicht erreicht wird, bedeutet es ein „Ungück für alle“, erklärt der Jurist und spielt damit auf das Scheitern von Präsident Carter an (1980), welches Tür und Tor zu 12 Jahren republikanischer Regierungsmacht geöffnet hatte. „Deswegen“ -fügt er hinzu- „muß Clinton eine Außenpolitik führen, die ihn nicht von seinen innenpolitischen Programmen ablenkt“.

Clark: Großes Hindernis ist die Ignoranz der US-Amerikaner*innen

„Und eine neue Position der nordamerikanischen Politik auf internationaler Ebene ist eine komplexe und mühselige Aufgabe; es ist schwer, sich vorzustellen, daß dieses Ziel in vier Jahren erreicht werden kann.“ Ein weiteres Hindernis ist „die Ignoranz der Amerikaner*innen, denen durch die Propaganda die kubanische Realität vorenthalten und eine Feindseligkeit gegen das Nachbarland eingeimpft wird.“ Das amerikanische Volk weiß nichts über die Fortschritte, die Kuba in sehr kurzer Zeit im sozialen, medizinischen und Bildungsbereich gemacht hat. Diese Errungenschaften sind in vieler Hinsicht nicht vergleichbar mit denen anderer, selbst entwickelter Nationen. Als gutes Beispiel hierfür könnten die Kinderschutzimpfungen dienen, die bislang in den Vereinigten Staaten, trotz all ihres Reichtums, nicht auf nationaler Ebene organisiert worden sind. Das Wichtigste ist es, Präsident Clinton alle positiven Aspekte zu zeigen, die von „Gemeininteresse und Nutzen“ für das amerikansiche Volk seien und die erreicht werden könnten, wenn das Land „starke und offene Beziehungen mit Kuba“ hätte. Am Anfang dieser Entwicklung steht das Ende der Blockade, sagte Clark.

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