Poonal Nr. 081

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 81 vom 15.02.1993

Inhalt


HAITI

KUBA

CHILE

GUATEMALA

ECUADOR

LATEINAMERIKA

NICARAGUA


HAITI

Haitis Armee, „Made in USA“

(Port-au-Prince, Februar 1993, HIB-POONAL).- Das größte Hindernis für die Lösung der Krise in Haiti sind die haitianischen Streitkräfte. Woher kam diese Institution und warum wurde sie gegründet?

Ursprünge

1915 marschierten Truppen der US-Marinetruppen in Haiti ein und hielten die Insel 19 Jahre lang besetzt. Die Vereinigten Staaten hatten eine größere Wachstumsperiode in ihrer imperialistischen Expansion, indem sie in zahlreiche Länder der Region einmarschierten und sich in ihre Angelegenheiten einmischten. In Haiti fanden die Marines ein Land gerägt von strengem Nationalismus vor, das von einer kleinen Klasse von Kaufleuten, Großgrundbesitzer*innen und Represäntant*innen der sterbenden europäischen Imperien – Deutschland, Frankreich und England – dominiert wurde, die die Arbeit, ihre „neue Ordnung“ einzurichten, schwieriger machten, als erwartet. Zudem rief die Besetzung durch die Marines eine nationalistische Guerillabewegung, die „Cacos“, ins Leben, die von Charlemagne Peralte und Benoit Betraville angeführt wurde. Auf ihrem Höhepunkt verfügte sie über mehr als 5000 Kämpfer*innen und viele tausende Unterstützer*innen. Die Marines antworteten mit der Bildung einer mit Haitianern besetzten örtlichen Polizei – der „Gendarmerie d'Haiti“, der Nationalpolizei. Die Marines verstanden, daß ihre weißen Soldaten nie als „Verteidiger“ der Bevölkerung akzeptiert werden würden. Sie brauchten haitianische Männer, um die Zerstörung der Aufstandsbewegung und die Herrschaft, nach der sie trachteten, sicherzustellen. Im Jahr 1919 waren die „Cacos“ besiegt. Die Polizei, die 1928 zur „haitianischen Garde“ wurde, hatte eine Aufgabe erfüllt, die sie noch oft wiederholen sollte – sie hatte ein nationale Bewegung zerstört, die das Recht auf Selbstbestimmung für die haitianische Bevölkerung einforderte. Genauso wie die Nationalgarden, die die Vereinigten Staaten in Nicaragua, der Haiti benachbarten Dominikanischen Republik und anderen Ländern errichteten, und wie die US-Nationalgarde selbst wurde die haitianische Polizei eingesetzt, um die Ordnung, den Status Quo aufrechtzuerhalten, was im Fall von Haiti bedeutete, den geopolitischen und ökonomischen Interessen der USA und begleitend den Interessen der lokalen Elite zu dienen.

Organisation und Funktion

Die Nationalgarde, heute „Streitkräfte“ genannt, hat seit 1926 in ihrer ursprünglichen Form weiterbestanden. Selbst nachdem die Marines 1934 Haiti verlassen hatten, setzten die USA ihre Unterstützung fort, indem sie Waffen, Uniformen, Ausrüstung und Ausbildung spendeten. Die meisten haitianischen Offiziere, wie viele ihrer lateinamerikanischen Kollegen, werden in Orten wie Fort Bragg und West Point ausgebildet. Selbst in komplexen Situationen wie der gegenwärtigen mit einem zu erwartenden Embargo, können sich ganze Flugzeugladungen von Waffen und selbst Offiziere auf Besuch frei bewegen. Zu Beginn dieses Monats machte der Marinegeneralmajor John Sheehan einen „Routinebesuch“ und verbrachte drei Tage im haitianischen Armeehauptquartier, um Ratschläge für die kommenden Monate zu geben. Einige Wochen später bemerkte Jesse Jackson, daß die jungen Sodaten, die ihn in Leogane festnahmen, vollständig mit Us- Uniformen, US-Gewehren und Granaten ausgestattet waren. Eher als bloß „abhängig“ von ihrem nördlichen Onkel zu sein, wäre es genauer zu sagen, daß die haitianische Armee eine stellvertretende Macht ist, die ihre Befehle nicht vom Nationalpalast, sondern von Washington und vielleicht sogar von Southcam aus Panama bekommt.

Omnipotenz und Omnipräsenz

Die haitianische Armee zählt nur rund 7000 Soldaten, ist aber fast an jeder Straßenecke präsent. Eher als an der Grenze oder in Trainingslagern, findet man Armeestellungen in Dörfern und Städten im ganzen Land. Heute wird das „Recht“ mehr denn je von Offizieren bestimmt, statt von Richtern gesprochen. Neben Geldmitteln aus der USA erhält die Armee einen großen Prozentsatz des haitianischen Haushaltsplans. Seit ihrer Gründung ist dieser Betrag nie unter 25 Prozent gefallen und in „Krisenzeiten“ wird es mehr. Im letzten Herbst teilte de-facto- Premierminister Marc L. Bazin der Armee sogar 40 Prozent zu. Der Einfluß der Armee geht weit über das hinaus, was ihr vom Palast zugeteilt wird. Als die dominierende Institution in der Gesellschaft, machen alle anderen Sektoren – die bürgerliche Regierung, das Justizsystem, die Geschäftswelt und politischen „Klassen“ eine Verbeugung vor ihr. Durch bloße Kraft verbunden mit Straffreiheit und langen Fangarmen ihres Sicherheitsapparates hat die Armee jeden Aspekt des haitianischen Lebens durchdrungen. Ein in den Ruhestand getretener Offizier, der „ehrenhaft“ gedient hat, kann sich auf einen reservierten Platz innerhalb der öffentlichen Verwaltung verlassen. Soldaten, die geschickt genug waren, Kapital durch Schmuggel, Drogenhandel und Erpressung anzuhäufen, werden vom Privatsektor noch entschädigt, wenn sie große Landflächen, Handelshäuser und Fabriken kaufen oder sich aneignen. Die haitianische Armee kontrolliert, dirket oder durch Stellvertreter*innen und die Anwendung von Terror, die ganze haitianische Gesellschaft. Genauso wie 1916, ist eine Institution wie diese in totalem Widerspruch zu den demokratischen Zielen des haitianischen Volkes und, in der Tat, zu den nationalen Interessen.

Dies ist der zweite Teil von Teil 1, fehlt also noch einer. Es gab Probleme mit dem Peacenat

KUBA

Anwachsen der Tourismusindustrie im Jahr 1992

(Havanna, 9. Februar 1993, Prensa Latina-POONAL).- Kuba ist im vergangenen Jahr von ca. einer halben Million Tourist*innen besucht worden, was einer Zunahme von mehr als 30 Prozent im Vergleich zu 1991 entspricht. Diese Zahlen schließen weder Mitglieder von Delegationen, noch andere ausländische Besucher*innen mit ein, die indirekt mit der sogenannten Freizeitindustrie zu tun haben. Der kubanische Tourismus verzeichnet damit mit das größte Wachstum im ganzen karibischen Raum. Der Präsident der nationalen Tourismusindustrie, Rafael Sed Perez, teilte vor kurzem in der Jahresbilanz des Tourismussektors mit, daß im vergangenen Jahr die Anzahl der Reisenden aus verschiedenen Ländern anstieg. Beispiele dafür sind Kanada – das seit einigen Jahren die meisten Tourist*innen stellt – und Spanien, das Deutschland, den einzigen Markt, der im vergangenen Jahr zurückgegangen ist, an zweiter Stelle abgelöst hat. Ebenso nahm die Anzahl der Reisenden aus Mexiko, Italien, Argentinien, Frankreich, Chile, Großbritannien, der Schweiz, Jamaica und anderen Ländern zu, versichert Sed Perez. Im erwähnten Zeitraum stiegen die Deviseneinnahmen um 17 Prozent an – jedeR TouristIn gab durchschnittlich 89,9 Dollar aus, gegenüber 76,6 Dollar im Jahr 1991. Dadurch erhöhten sich die Erwartungen an die Tourismusindustrie, die von den örtlichen Behörden als einer der Hauptwege bezeichnet wird, um die wirtschaftliche Krise zu lösen, in der sich das Land aufgrund der Verschärfung des Embargos der Vereinigten Staaten und des Falls des Sozialismus in Osteuropa befindet. Um den Tourismus weiter auszubauen, soll unter anderem die Anzahl der vorhandenen 16.000 Zimmer bis zum Jahr 1995 auf 30.000 erweitert werden; für 1995 werden eine Million Tourist*innen auf der Antilleninsel erwartet. Abraham Maciques, Präsident der Cubanacan GmbH – eine der wichtigsten Tourismuskörperschaften Kubas -, führte auf, daß im Jahr 1992 viele Menschen nach Havanna reisten, um verschiedene Krankheiten wie Vitiligo (Scheckhaut, eine Hautkrankheit, bei der man helle Flecken auf der Haut hat) und die Retinosis pigmentaria (ebenfalls eine Pigmentstörung, aber im Auge) zu behandeln, sowie Organtransplantationen vornehmen zu lassen. Aufgrund dieser wachsenden Anfrage des „Gesundheitstourismus“ wird erwartet, daß bald Krankenhäuser in Chile, der Dominikanischen Republik, Argentinien und anderen Ländern, vorwiegend in Lateinamerika, eröffnet werden, so Maciques. In den kommenden Monaten wird Cubanacan laut Maciques beginnen, neue Investitionen unter anderem in Havanna, dem berühmten Schwimmbad von Varadero im Osten Kubas und auf kleinen Inselchen des kubanischen Archipel vorzunehmen. Er fügte hinzu, daß im vergangenen Jahr zunehmend Gemeinschaftsunternehmen von Cubacan und ausländischen Unternehmen zusammen gegründet wurden. Daher gibt es heute Verhandlungen mit Spanien, Chile, Deutschland, Holland, Frankreich und England, oder sind zumindest absehbar. Weiterhin wird die Möglichkeit untersucht, daß große weltweite Hotelketten die Verwaltung kubanischer Einrichtungen übernehmen, um neben ihrem finanziellen Beitrag ihre Erfahrungen in Bezug auf die Qualität der Dienstleistungen einzubringen.

CHILE

ANCHI und die Probleme der Presse

(Mexiko, 9. Februar 1993, ANCHI-POONAL).- Die sogenannte wirtschaftliche Öffnung und die Freihandelsabkommen in Lateinamerika sind besonders durch die Phänomene der Privatisierung, der Transnationalisierung und der Monopolisierung gekennzeichnet. -„Die Kommunikationsmedien werden in diesem Rahmen werden als Konsumprodukte gesehen, bei denen Kriterien der Werbung und des Gewinns vorzuherrschen haben. Den Medien soll die Logik der finanziellen Verwertung übergestülpt werden. Sie sollen als Importeure, Exporteure und Wiederhersteller kultureller und informativer Güter verwandt werden, die handelsfähig, absetzbar und finanziell überlebensfähig sind,“ so der Koordinator der chilenischen Nachrichtenagentur ANCHI Hugo Guzmán auf dem „Zweiten Forum des Jungen Mexiko“. Er war in Vertretung des Generalsekretärs der Lateinamerikanischen JournalistInnenvereinigung (FELAP) Luis Suárez angereist, da dieser nicht an dem Forum teilnehmen konnte. Guzmán stellte dar, daß „die Integration der Kommunikationsmedien in den Markt, unter den Vorzeichen von Wettbewerb und Gewinn, durch oberflächlich informative, unterhaltende und sensationalistische Inhalte eingerahmt wird. Das erzeugt Ignoranz, Apathie, soziale Unverantwortlichkeit und Individualismus.“ Er erklärte, daß angesichts dieser Situation „die Herausforderung der Presse und der Journalist*innen der Kampf gegen die Desinformation ist. Die soziale Funktion der Massenmedien muß ihrer kommerziellen Rolle vorangestellt werden. Das Verlassen von Prinzipien wie Souveränität und Identität muß verhindert, Ignoranz und systematische Verdummung gestoppt werden. Er brachte zur Geltung, daß gegenüber dem Privatisierungsprozeß, Freihandelsabkommen und der Öffnung des Marktes, die in der Region vorgenommen werden, die Presse und die Journalist*innen „auf umfassende Weise die Verantwortlichkeit übernehmen müssen, dieses neue Szenarium darzustellen und offenzulegen, seine Ausmaße zu erfassen, damit die Menschen verstehen, diskutieren, denken können und über Grundbegriffe verfügen, um sich eine Meinung über etwas zu bilden, was sie betrifft.“ Am „Forum Junges Mexiko“, das von der „Gruppe für die Entwicklung der Jugend“ einberufen wurde, nahmen dutzende hoher Funktionär*innen der Regierung, Akademiker*innen, Intellektuelle, Ökonom*innen, Gewerkschaftsführer*innen und hunderte Student*innen teil. Das Ereignis wurde vom mexikanischen Entwicklungsminister, Luis Donaldo Colosio, eröffnet, am Abschlußakt nahm der Erziehungsminister Ernesto Zedillo Ponce de León teil. Der genannte Koordinator von ANCHI nahm ebenfalls an dem Seminar „Aktuelle Themen in Kommunikation und Journalismus“ in der mexikanischen Hauptstadt teil und brachte das Thema der Meinungs- und Ausdrucksfreiheit zur Sprache. Auch die Direktorin der guatemaltekischen Nachrichtenagentur CERIGUA Ileana Alamilla nahm an diesem Seminar teil und sprach über das Thema „Alternative Medien“. Sowohl Guzmán als auch Alamilla sind Mitglieder des Pools der Neuen Nachrichtenagenturen Lateinamerikas (POONAL). Guzmán erklärte, das Recht auf freie Ausdrucks- und Meinungsäußerung müsse eng an die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte der ganzen Gesellschaft geknüpft werden. Diejenigen Medien, die weit davon entfernt sind, auf unternehmerische Monopole, Führungen der Regierung oder der Politiker*innen zu antworten, sollten offen für die verschiedenen sozialen Faktoren, Probleme und Interessen der gesamten Gesellschaft sein. Ileana Alamilla stellte fest, daß alternative Medien Notwendigkeit und Nutzen für die Demokratisierung der Länder bewiesen haben, da sie es nicht zulassen, daß sich in der Information die transnationale und dominierende Linie durchsetzt. Sie fügte hinzu, die Tatsache, daß die alternativen Medien im finanziellem Nachteil sind, wirke sich nicht auf ihre Rolle aus, eine andere Sichtweise der Informationen und der Nachrichten zu liefern und damit die Mauer des Schweigens zu durchbrechen versucht; von daher sei der alternative Journalismus gültig und legitim. Das Seminar wurde von der FELAP, der Nationalen Vereinigung der Kommunikationsstudent*innen (ANECO) und dem Regionalen Zentrum für Lateinamerika und die Karibik der Internationalen JournalistInnenorganisation (OIP) veranstaltet.

GUATEMALA

Armut als Preis für stabile Wirtschaft

(Mexiko, 9. Februar 1993, Cerigua-POONAL).- Obwohl die Regierung des Präsidenten Serrano in einem Bericht für den guatemaltekischen Kongreß versicherte, die Wirtschaft des Landes sei völlig stabil und es sei sogar mit einem Zuwachs zu rechnen, bestätigen Studien aus verschiedenen Quellen, daß sich die ökonomische Situation für die Bevölkerung in den letzten beiden Jahren, also eben der Amtszeit Serranos, erheblich verschlechtert hat. So mußte der Präsident der Zentralbank Guatemalas, Lizardo Soza, vor seiner Amtsübernahme Anfang des Jahres zugeben, daß die Regierung den Status Quo lediglich aufrechterhalten, aber nicht verbessert hat, und gemäß den wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes seine Rolle der Zentralbank gegenüber die gleiche sein wird. Während Serrano also vorgibt, die Situation sei stabil und es sei mit positiven Resultaten zu rechnen, können die Fachleute, in deren Hand die Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik liegen, den Optimismus ihres Staatschefs nicht teilen. Allenfalls wagen sie es, einen gleichbleibenden Stand der Wirtschaft vorherzusagen. Nun, aber was wird hier aufrechterhalten? Bis jetzt hat sich die gesamte Wirtschaftspolitik an die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) gehalten und sich darauf konzentriert, einen einseitig neoliberalen Entwurf in die Praxis umzusetzen, der hauptsächlich auf Geldmarktpolitik mit Betonung auf den Bereichenn Handel, Bank und Finanzen basiert. Damit will die Regierung ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 3,5 bis 4 Prozent aufrechterhalten, die Inflation bei zwölf Prozent halten und zu einem handhabbaren Haushaltsdefizit gelangen, müßte aber im Gegenzug eine weitere Liberalisierung des Marktes akzeptieren. Derzeit hat das Land ein Handelsdefizit von 830 Millionen Dollar, also das größte seiner Geschichte. Das ist der Tatsache zu verdanken, daß die Importe um 32 Prozent zugenommen haben, während der Exportbereich nur einen Zuwachs von 8 Prozent aufweisen kann. Als weiteres Resultat dieser Wirtschaftspolitik ist ein vermeintlicher „Kapitalismus“ erzeugt worden, dessen ausschließliches Ziel es ist, höchste Gewinne in kürzester Zeit zu erzielen und der damit die Entwicklung der Produktionsprozesse verhindert. Die Krise, die die ungleiche Verteilung der Produktionsmittel in der guatemaltekischen Gesellschaft hervorgerufen hat, wird letztlich dadurch offenbar, daß 82 Prozent der Bevölkerung in relativer, von diesen 73 Prozent sogar in extremer Armut leben (Stand 1990). Unterdessen stützt sich die Staatskasse auf die Steuereinnahmen, insbesondere auf die indirekten Steuern, die auf die Mehrzahl der Konsumenten zurückfällt und damit besonders die Ärmsten betrifft. Beispielsweise bestanden zwischen 1980 und 1988 ganze 79 Prozent der eingetriebenen Abgaben aus indirekten und nur ein kleiner Rest aus direkten Steuern. Diese Situation hat sich trotz der Ankündigungen von Steuerreformen in den Jahren 1988 und 1991 nicht geändert, die Struktur der Steuererhebung ist die gleiche geblieben. Wie der Dekan der wirtschaftlichen Fakultät der nationalen Universität San Carlos, Edgar Portillo, versichert, dient dieses Modell ausschließlich dazu, dem internationalen Druck nachzugeben und die Auslandsschuld zurückzuzahlen. Das guatemaltekische Volk bleibt aus diesem Programm ausgeschlossen.

ECUADOR

Im Nationalpalast geht die Straffreiheit um

(Ecuador, Februar 1993, alai-POONAL).-Während der Großteil der ekuatorianischen Bevölkerung sich weiterhin solidiarisch mit den Familienangehörigen von Pedro Andrés und Carlos Santiago Restrepo Arismendi verhält, scheint zum fünften Jahrestag des gewaltsamen Verschwindens der beiden Jugendlichen – das sich unter der christlich-sozialen Regierung von León Febres Cordero ereignete – ein anderer Wind in den Gängen des Regierungspalastes zu wehen. Die ekuatorianische Gesellschaft gedachte des traurigen Jahrestags in einer feindseligen Stimmung seitens der Regierung, die durch den Einsatz der „Sicherheits“kräfte zum Ausdruck gebracht wurde. Diese verhinderten auf brutale Weise die wöchentliche Versammlung von Angehörigen und Freunden der Familie Restrepo auf der Plaza Independencia. Gleichermaßen mußte die Messe, die am Jahrestag zur Erinnerung an die beiden Jugendlichen unter freiem Himmel gelesen werden sollte, aufgrund der massiven „Sicherheits“maßnahmen in einer der Seitenstraßen abgehalten werden. Gleichzeitig gerieten erstaunliche Erklärungen von diversen Regierungsangehörigen in Umlauf, in denen die „Illegalität“ dieser Demonstrationen dargelegt wurde, unter Hinweis darauf, daß ihre Genehmigung verfallen sei:“…die Polizei reagierte auf ein nichtgesetzliches Verhalten. Die Familie Restrepo organisiert diese Demonstrationen, die ein bestimmtes Unbehagen und Chaos im Stadtzentrum verursachen, und darüber hinaus das Regierungsoberhaupt belästigen“, so Regierungssprecher. Zur selben Zeit werden die Familienangehörigen gebeten, den Fall ausschließlich den Händen der Justiz zu überlassen, wie es auch in den Fällen von anderen „Verschwundenen“ geschehen ist. Dahinter verbirgt sich die wahre Absicht den Angehörigen durch die Blume mitzuteilen, daß sie sie vergessen soll. In letzter Zeit kursierte im ganzen Land das Gerücht einer möglichen Deportation der Eltern der verschwundenen Brüder, für den Fall, daß sie ihre Bemühungen nicht einstellen – auf demn Hintergrund, daß sie Ausländer*innen, Kolombianer*innen, sind. Aufgrund der Kritik die daran in der Öffentlichkeit laut wurde, teilte der Innenminister allerdings unlängst mit, daß von diesen Maßnahmen abgesehen werde. Insgesamt führten diese Vorfälle dazu, daß die Präsidentin der ökumenischen Menschenrechtskommission, Schwester Elsie Monge, öffentlich gegen die Drohungen und den Druck, den die Rgierung gegen die Eltern der verschwundenen Jungen, Pedro Restrepo und Luz María Arismendi, ausübt, protestierte. Gleichzeitig wurde in verschiedenen Leitartikeln der ekuatorianischen Presse, das Recht der Angehörigen verteidigt, ihren unaufhörlichen Protest und Wunsch nach Gerechtigkeit zu äußern. Der Druck der gegenwärtig auf das Ehepaar Restrepo und die Personen ausgeübt wird, die sie täglich dabei unterstützen, die vollständige Aufklärung des Vorfalls und Verurteilung der Verantwortlichen herbeizuführen, steht im gegensatz zu dem verhalten der vorherigen Regierung. Diese zeigte zumindest eine gewisse Feinfühligkeit gegenüber dem Schmerz der Angehörigen, und Respekt vor ihrer Ausdauer während dieser langen, bestimmt sehr langen fünf Jahre ständiger Entmutigungen.

Eine verpaßte Gelegenheit?

Beim Rekapitulieren der ganzen Vorfälle, die sich in letzter Zeit angehäuft haben (einschließlich der Flucht des Polizeigenerals Gilberto Molina, der von der Justiz in dem Fall angeklagt worden war), geht das Gespenst der Straffreiheit umso häufiger um. Es ist offensichtlich, daß im Namen des sogenannten Gemeinschaftsgeistes der Polizei und mit dem Argument das Image der Institution zu verteidigen, selbige mit allen Mitteln versucht hat, ihre Beteiligung an dem unglückseligen Geschehen zu vertuschen und sich geweigert hat, den Bericht der Internationalen Kommission anzuerkennen. Sollte schlußendlich den tatsächlichen Schuldigen gestattet werden ohne Strafe davon zu kommen, haben die gegenwärtige Regierung und der ekuatorianische Staat ihre Chance verspielt das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen. Und zwar nicht nur das Vertrauen in jene Institution, die angeblich dem Schutz und der Sicherheit der Bürger*innen dient, sondern auch in die Ausübung von Gerechtigkeit. Für einen Regierungspräsidenten, der nicht gerade durch die Unterstützung einer sozialen Basis und festen Parteianhängerschaft, sondern dank einer öffentlichen Meinung, die sich auf der Notwendigkeit der Verteidigung der Menschenrechte sowie der Notwendigkeit von Verbannung der Korruption aus den öffentlichen Institutionen aufbaut, ins Amt gekommen ist, bedeutet jeder Versuch die Wahrheit im Fall Restrepo zu vertuschen einen negativen Widerhall. Ein Zeitungsredakteur fragte sich im zusammenhang mit diesem Thema „Wer, wenn nicht die Regierung, schafft sich seine eigenen Feinde?“ Und da sich der Fall der Brüder Restrepo, dank der Entschlossenheit und Beharrlichkeit ihrer Eltern und aufgrund der seltsamen Umstände, unter denen er sich ereignete (die versehentliche Verhaftung der Jugendlichen) von der langen Liste der Verschwundenen, die in diesem Land existiert unterscheidet, könnten die brutalen und korrupten Mechanismen die innerhalb der Polizei herrschen ans Tageslicht dringen. In diesem Fall würde sich zu der Solidarität des ekuatorianischen Volkes mit einer grauenhaft zerstörten Familie, die Dankbarkeit einer Gesellschaft dafür gesellen, daß dem Staat die Möglichkeit gegeben wurde, diese beschämende Realität zu verändern. Daher kommt es, daß sich das Verhalten der Regierung widerspricht; während sie sich auf der einen Seite genötigt sieht zu behaupten, daß ihr Hauptziel die „Modernisierung“ des Landes sei, und sie sich in diesem Sinne um eine Restrukturierung der staatlichen Institutionen bemühe; stellt sie andrerseits die Aktivitäten eines Bevölkerungsteils in Frage, der, im Fall Restrepo, die strafrechtliche Verfolgung aller in das Verbrechen verwickelten Personen und Transparenz in den staatlichen Ämtern verlangt, darunter selbstverständlich auch innerhalb der Polizei.

LATEINAMERIKA

Clinton und Lateinamerika

(Guatemala, 12. April 1993, NG-POONAL).-Die Politik der USA gegenüber Lateinamerika, war nie von Gleichberechtigung, Respekt vor Souveränität und Unabhängigkeit, selbstlosem Interesse oder Unterstützung des Fortschritts gekennzeichnet; im Gegenteil, ihr Verhalten war immer anmaßend, immer das eines überlegenen Landes gegenüber unterlegenen. Dewegen müssen und mußten wir militärische, wirtschaftliche und politische Agressionen, die Ausbeutung unserer Naturschätze erleiden und zusätzlich die Anmaßung der Militärs unserer Heimatländer ertragen, die im US- Pentagon erzogen, instruiert, sunbventioniert und beraten worden sind. Dabei hat es kaum eine Rolle gespielt ob die US-Regierung republikanisch oder demokratisch war. In einigen Fällen wurde unter letzterer eine Politik unterschiedlicher Färbung ausgeübt, wie beispielsweise von John F. Kennedy, der die Allianz für den Fortschritt ins Leben rief, die die US-Antwort auf die kubanische Revolution war – und ein Mittel unseren revolutionären Triumphen zuvorzukommem, die die Herrschaft der wahren internationalen Allianz, nämlich der US-Regierung und den lokalen Oligarchien die seit ewigen Zeiten über die lateinamerikanischen Völker bestimmen, in Gefahr gebracht haben. Unter der ebenfalls demokratischen Regierung von Jimmy Carter wurden die Verträge über den Panamakanal unterzeichnet, deren Ausführung noch immer auf sich warten läßt, was die Rückgabe des Seeweges zwischen Atlantik und Pazifik an die Panamaer*innen angeht. William Clinton, derjüngst gewählte demokratische Präsident der Vereingten Staaten, erscheint im Panorama der amerikanischen Union wie der Vertreter einer neuen Polit-Generation, aber existieren keine klaren Hinweise dafür, daß sich seine Linie gegenüber Lateinamerika von der unterscheiden wird, die im gesamten laufenden Jahrhundert von der Großmacht ausgeübt wurde. Jüngste Informationen in der Tageszeitung „Los Angeles Times“ über das Spezialuntersuchungs-Team der demokratischen Regierung hinsichtlich der Möglichkeiten für einen Sturz der Regierung Fidel Castros, die eine „humanitäre“ Invasion – Typ Somalia – nicht ausschließen, können nur als Beweis dafür gewertet werden, das der Kampfgeist von Onkel Sam der gleiche geblieben ist. Die positiven Erklärungen von Clinton in bezug auf das Toricelli- Gesetzes, das Länder sanktioniert, die mit Kuba Handel betreiben, während seines Wahlkampfes, und die offensichtliche Unterstützung desselben jetzt in seiner Funktion als Präsidenet, verdeutlichen, daß jegeliche Hoffnungen über eine bevorstehende Verbesserung in den Beziehungen zwischen USA und Kuba rein illousorisch ist.

Was Zentralamerika angeht, wird Clinton sicherlich das Werk der Republikaner*innen fortsetzen: die Befriedung Nicaraguas – mit dem Erfolg schrecklicher Armut und Arbeitslosigkeit; die Einhaltung der Friedesnabkommen in El Salvador – mit einem Heer, dessen Stärke auf das Dreifache im Vergleich zu den 70ern, vor Beginn des Krieges, „reduziert“ wurde; und Guatemala, wo die Großmacht aus dem Norden noch nicht einmal eine aktive Rolle bei den Friedensverhandlungen übernommen hat, und gerade mal angefangen hat, einen gewissen Druck auf die Regierung von Jorge Serrano auszuüben, aufgrund der fortgesetzten Verletzungen der Menschenrechte in diesem Land. Honduras, daß sich nach dem Krieg „gegen“ Nicaragua an die US-Dollar gewöhnt hatte, die die Soldaten der US-Militärstützpunkte in den naheliegenden „Vergnügungslokalen“ verprassen und Panama, mit seiner bevormundeten Nicht-Regierung von Guillermo Endara, dem Präsidenten der auf einem US-Stützpunkt in der Kanalzone vereidigt wurde. Was können wir zu dem Rest Lateinamerikas sagen: Haiti, wo die billigende Haltung der USA zuließ, daß der erste wahre Demokratie- Prozeß seit den Unabhängigkeitskriegen unterbrochen wurde – und denen von vielen vorgeworfen wird, die Verantwortlichen hinter dem Staatsstreich gegen Aristide zu sein. Kolumbien, das sich im Kampf der Drogenkartelle aufreibt, von denen einige, wie z.B. das Kartell von Cali, durch korrupte Sektoren der US-Regierung, die bis in die schwindelnden Höhen des Pentagon reichen, in ihren Aktivitäten unterstützt wurde. Peru, wo ein vermeintlich unerfahrener Politiker, unterstützt von us-amerikanischen Miltärberatern, mit dem Versuch die Aufstandsbewegung „Sendero Luminoso“ mit einer Repression, die sich nicht mit Unterscheidungen aufhält, zu vernichten, seine Wiederwahl betreiben will. Abgesehen davon, daß wir von anderen Ländern wir genauso besorgniserregende Einzelheiten berichten könnten, haben alle Länder das Problem der berühmten Auslandsschuld, die sie werden bezahlen können, und die Aussichten auf Verschlechterungen ihrer Umwelt, gekoppelt an die Geringschätzung der USA bei der Kontrolle derselben.

Die USA durchleben eine wirtschaftliche Krise, von der Millionen ihrer Bürger*innen betroffen sind, das soziale Gefüge ist sichtlich verschlechtert und das Modell des „amerikanischen Traums“, das uns jahrzehntelang verkauft wurde, greift nicht mehr. Die Beschränkungen dieses Schemas, und die Unfähigkeit der us- amerikanischen Gesellschaft sich zu erneuern und sich in anderer Form mit der Gegenwart und Zukunft auseinanderzusetzen, und die Wirtschaftskrise die verhindert, daß Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den lateinamerikanischen Ländern unter die Arme zu greifen,; sind Grund genug, daß Lateinamerika versucht eien anderen Kurs einzuschlagen und aus dem Schatten der Großmacht zu treten. Lateinamerika muß den Blick auf sich selber richten um sich ein für alle Mal zu finden. Alles andere ist wäre eine Illousion und würden bedeuten von den Almosen der USA zu leben. Die Betrachtungen mögen vielleicht pessimistisch erscheinen, aber die Realität im Umgang mit Großmächten läßt keine anderen Schlußfolgerungen zu. Die USA bleiben eine Großmacht, ob mit oder ohne Krise. Und sie sind jetzt noch mächtiger als vorher, weil kein anderes Land sich ihnen in den Weg stellt, oder ihr anmaßenden Verhalten sanktioniert, und selbst der UNO- Sicherheitsrat sich in das Büro der außenpolitischen Aktivitäten der USA verwandelt hat.

NICARAGUA

Soziale Not steigt weiter an

(Managua, Februar 1992, Apia-POONAL).-Das neue Jahr hat in Nicaragua begonnen, wie das alte endete: Mit Krach im Parlament und einer bitteren Polemik zwischen Präsidentin Violeta Chamorro und ihrem sandinistischen Vorgänger Daniel Ortega. Die UNO, jenes Parteienbündnis, das die Verlegerwitwe Chamorro vor drei Jahren an die Macht gebrascht hatte, erklärte der Regierung den Krieg und ging in die Opposition. Daniel Ortega seinerseits forderte einen Kurswechsel. 1992 sei eines der traurigsten Jahre in der Geschichte des Landes gewesen, zog der Sandinistenführer Bilanz: Die Arbeitslosigkeit sei auf 60 Prozent angestiegen, das öffentliche Erziehungs- und Gesundheitswesen sei völlig unterhöhlt worden, den Protesten der Gewerkschaften begegne die Polizei zunehmend mit repressiven Methoden. Kleinbauern und Mittelbetriebe würden durch hohe Kreditzinsen in den Ruin getrieben. Auch den Schuldigen hatte Ortega ausgemacht: „Wir wissen alle, daß die Arbeitslosigkeit, der Hunger und das Elend mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die in den letzten zwei Jahren und neuen Monaten brutal durchgezogen wurde, ins Land gekommen sind.“ Ortegas vorgeschlagener Ausweg aus der Krise: Die Regierung solle endlich von ihrem hohen Roß steigen und ihre Wirtschaftspolitik mit Opposition und Gewerkschaftzen abstimmen. Die entrüstete Antwort der Staatschenfion ließ nicht lange auf sich warten: „Sie dürfen nicht vergessen, daß unsere dramatische Verelendung unter Ihrer Regierung stattgefunden hat und daß Sie diesem Land eine Verschuldung von über zehn Milliarden Dollar aufgebürdet haben, e9ine der höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen der Welt.“ Die zehn Jahre sandinistischer Revolution hätten dem Land nur Tod, Zerstörung und wirtschaftliche Talfahrt gebracht. Zwar hätten sich auch die Hoffnungen und Pläne der Regierung nicht vollständig erfüllt, doch könne man auf stattliche Leistungen zurückblicken: Erstmals seit zehn Jahren sei ein bescheidenes Wirtschaftswachstum erzielt worden, die Inflation sei auf auf vier Prozent gedrückt worden, mehr als 70 000 Kriegswaffen seien eingezogen und mehrere tausend Rebellen entwaffnet worden. Wenige Tage nachdem die Staatspräsidentin ihre Erfolgsbilanz aufgezählt hatte, mußte die Regierung dem Sandinistenchef dennoch Reht geben. Präsidialminister Antonio Lacayo räumte bei der Vorstellung des neuen Wirtschaftsplanes ein, daß die Sozialpolitik zu kurz gekommen sei und kündigte an, daß staatliche Investitionen die Produktion ankurbeln und kommunale Arbeitsbeschaffungsprogramme die ärgste Armut lindern sollten.

Drei Jahre nach der Abwahl der sandinistischen Revolutionäre ist Nicaragua ein Land der Kontraste geworden. Zwar haben sich die Regale der Supermärkte mit reichem Warenangebot gefüllt und die Warteschlangen vor Tankstellen und Lebensmittelläden sind aus dem Stadtbild verschwunden; gleichzeitig sind aber immer weniger Menschen in der Lage, sich mehr als die Grundnahrungsmittel Reis und Bohnen leisten zu können. Neben schicken Boutiquen und elgenaten Restaurants sind Elendsviertel aus dem Boden geschossen, die es zu sandinistischen Regierungszeiten nicht gegeben hatte. Im Westen des Landes, in den fruchtbaren Ebenen von Chinandega, wo der preisbedingte Niedergang der Baumwollproduktion mit Massenentlassungen auf den reprivatisierten Bananenplantagen zusammenfiel, gibt es für die landlosen Tagelöhner keinerlei Verdienstmöglichkeiten. Viele Familien können sich nur noch durch den Diebstahl von Bananen am Leben erhalten. Und im gebirgigen Norden, in den Tälern von Estelí, Matagalpa und Jinotega herrscht wieder Krieg. Zu Jahresbeginn plünderten rechtsgerichtete Rebellen, sogenanntze Re-Contras, einen Genossenschaftsladen in der Gemeinde La Dalia und brannten nieder, was sie nicht mitschleppen konnten. Zwar hat die Regierung tatsächlilch mehrere Banden, die Überfälle und Brandschatzungen mit politischen Motiven rechtfertigten, auf dem Verhandlungsweg ausschalten können. Doch kaum ist ein Kommandant mit mit Auto und Dollarkonto abgefunden worden, taucht ein neuer Anführer auf, der ehemalige Contras zusammentrommelt und sie in den Krieg führt. An unzufriedenen ehemaligen Kämpfern ist kein Mangel, viele der früheren Konterrevolutionäre warten immer noch auf das ihnen zugesagte Land oder sie haben weder Geräte noch Kredite, um ihre Äcker auch zu bewirtschaften. Zudem erweist sich die moderne Wegelagerei und der Viehdiebstahl als wesentlich profitableres und risikofreieres Gewerbe als die Landwirtschaft. Die Polizei kann mit ihrem knappen Budget kaum den Treibstoff für die Patrouillen in den Städten bezahlen. Und die Armee, die in zwei Jahren von fast 90 000 Soldaten auf etwa 16 000 gestutzt wurde, rückt nur in Extremfällen aus.

Das Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent, das Violeta Chamorro so stolz erwähnt, markiert nach Jahren der Schrumpfung zwar eine Wende, doch bleibt es hinter dem Wachstum der Bevölkerung (3,5 Prozent) deutlich zurück. Und spätestens bei einer genaueren Betrachtung tritt vollends Ernüchterung ein: Die wenigen Betriebe, die im vergangenen Jahr ein reales Wachstum erzielten, sind die Bierbrauereien, die Schnapsbrennereien und die Streichholzindustrie. Selbst das Baugewerbe, das bei einem Deizit von 600.000 Wohnungen eigentlich ausgeslastet sein müßte, stagniert. Denn gemäß den Vorschriften des Internationalen Währungsfonds darf die Regierung keine Auifträge an Staatsbetriebe vergeben. Die privaten Bauunternehmen haben aber nicht die errforderliche Kapazität, um den Bedarf zu decken.

Die Hartwährungspolitik, die den Cordoba fast zwei Jahre stabil hielt (am 10. Januar wurde er erstmals wieder um 20 Prozent abgewertet), hat Nicaragua zum teuersten Land Zentralamerikas gemacht. Und sie hat wertolle Devisenreseren und Millionen an ausländischen Stützungsgeldern gekostet. Die Erwartung der Regierung, die Stabilisierung der Währung werde ausländische Investoren anlocken, hat sich jedoch nicht erfüllt. Die wenigen ausländischen Unternehmen, die in den letzten Jahren in Managua vorstellig wurden, interessierten sich für die Abholzung der Wälder oder wollten Giftmüll deponieren. Produktive Investitionen blieben indes aus, denn die Wechselkursstabilität und die Sparpolitik der Regierung hat nicht die erhoffte innenpolitische Beruhigung bewirkt. Nach der Wahlniederlage der FSLN vor drei Jahren hatte die neue Regierung mit den alten Machthabern einen geregelten Übergang von der sandinistischen Revolution zu einer bürgerlichen Demokratie detailliert ausgehandelt. Die Sandinistische Armee, deren Namen nur durch eine Verfassungsreform geändert werden kann, sagte der neuen Regierung Loyalität zu; im Gegenzug blieben zahlreiche hohe sandinistische Offiziere in ihrem Ämtern. Der Versuch rechtsextremer Poliltiker, ehemalige Contra-Kommandanten in den Generalstab zu hieven, wurde vereitelt. Der heikelste Punkt des Übergangsabkommens betrifft aber die Eigentumsfrage. Nach der Wahlniederlage hatten die Sandinisten in aller Eile eine Reieh von Gesetzen verabschiedet, die alle Immobilientransaktionen der vorangegangenen Jahre legalisierte. Damit erhielten Bauern, die im Zuge der Agrarreform ein Stück Land bekommen hatten, Anspruch auf einen Eigentumstitel; und Menschen, die seit Jahren in konfiszierten Häusern wohnten, konnten diese im Schnellverfahren auf sich überschreiben lassen. Gleichzeitig versuchten auch sandinistische Funktionäre in einer Rette-sich-wer-kann-Hysterie, ihre Zukunft wirtschaftlich abzusichern.

Der rechte Flügel der Regierungskoalition, die sich bezeichnenderweise immer noch „Union Nacional Opositora“ (UNO) nennt, drängt nun auf eine klare Zäsur und will alle Eigentumsübertragungen rückgängig machen.ö Tatsächlich ist es mehreren enteigneten Grundbesitzern dank persönlicher Beziehungen zu hohen Regierungsfunktionären gelungen, ihre Güpter zurückzubekommen, obwohl sie seinerzeit von der sandinistischen Regierung angemessen entschädigt worden waren. Und selbst einige Günstlinge des Diktators Somoza, deren entschädigungslose Enteignung die neue Regierung für rechtens erklärte, konnten ihre Ansprüche durchsetzen. Andauernde Unruhen in den Provinzen, Landbesetzungen durch vertriebene Bauern, Polizeieinsätze und bewaffnete Konrontationen sind die Folge. Doch die vollständige Liquidierung der sandinistischen Revolution, die Wiederherstellung der vorrevolutionären Somoza-Ordnung, von der etliche rechtsgerichtete Regierungspolitiker träumen, scheitert nach wie vor an der Allianz zwischen Antonio Lacayo, dem Architekten des Übergangsabkommens, und den Sandinisten, der immer noch stärksten politischen Kraft in Nicaragua

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