Poonal Nr. 067

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 67 vom 26.10.1992

Inhalt


GUATEMALA

PERU

HAITI

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

CHILE

NICARAGUA


GUATEMALA

Nobelpreis für Rigoberta Menchú – ein Zeichen der Hoffnung

(Guatemala, 20. Oktober 1992, Cerigua-POONAL).- Rigoberta Menchú ist Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1992. Die 33jährige wurde für ihren Kampf gegen die Verletzung der Menschenrechte und die Diskriminierung der indianische Bevölkerung, die in Guatemala fester Bestandteil der Regierungspolitik ist, ausgezeichnet. Die Verleihung des Preises an Rigoberta Menchú ist von der Bevölkerung mit großen Hoffnungen aufgenommen worden. Viele sehen darin ein Zeichen, daß die internationale Gemeinschaft die Verbrechen an der Bevölkerung nicht länger stillschweigend billigen werde. Die Reaktionen reichten von der Einschätzung, dieses sei die „erste gute Nachricht, die die Indígenas in 500 Jahren der Invasion, Beherrschung und Unterdrückung erhalten haben“, bis zu der Erwartung, die Verleihung des Friedensnobelpreises an Rigoberta Menchú werde den Verhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla über Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit erheblichen Auftrieb geben.

Regierung führte erbitterte Kampagne gegen Menchú

In jedem Fall ist die Auszeichnung Menchús ein schwerer Schock für die guatemaltekische Regierung. Bis zum Tag der Preisverleihung hatten Regierung und Streitkräfte eine erbitterte Kampagne gegen die Kandidatin geführt. Selbst Präsident Jorge Serrano, Kanzler Gonzalo Menéndez und Verteidigungsminister General José García denunzierten die Menschenrechtlerin derart heftig, daß die angesehene US-amerikanische Zeitung „Washington Post“ verwundert konstatierte, die guatemaltekischen Machthaber hätten sich offen „der Lächerlichkeit preisgegeben“. Hat die Regierung den Bezug zur Realität schon völlig verloren, daß sie die Auszeichnung der im mexikanischen Exil lebenden Menchú für ganz und gar abwegig hielt? Oder erlag sie einfach der eigenen Propaganda, wonach die Preisträgerin allenthalben als Terroristin und Staatsfeindin angeprangert wurde? „Auch ohne Hellseherei hätte die Regierung wissen müssen, daß Rigoberta Menchú ausgezeichnet werden konnte“, wunderte sich der Nobelpreisträger und frühere costaricanische Präsident Oscar Arias. Die Haltung Präsident Serranos und seiner Minister offenbart in drastischer Form einen wesentlichen Bestandteil guatemaltekischer Regierunspraxis: den Rassismus. Kenner*innen der politischen Situation Guatemalas erklären die ablehnende Haltung der Regierung zudem durch die herausragende Bedeutung, die die Verleihung des Friedensnobelpreises an Rigoberta Menchú hat. Die Entscheidung des Nobelkomitees hat Guatemala ins Licht der Weltöffentlichkeit gerückt: die Menschenrechtsverletzungen, der staatliche Terror gegen die indigenen Völker, die Ausbeutung der Landbevölkerung durch eine skrupellose Landoligarchie, das allmächtige Militär, das unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.

Die Ursachen des Krieges bekämpfen: Unterdrückung und Ausbeutung

Rigoberta Menchú kämpft für grundlegende Veränderungen in Guatemala. Frieden könne es nur geben, wenn die Ursachen des Krieges beseitigt seien: die Unterdrückung und Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung durch eine kleine Clique. Es müsse anerkannt werden, daß Guatemala eine multiethnische Gesellschaft ist und die Indígenas das Recht haben, als „Völker“ respektiert zu werden; im Parlament müßten alle Ethnien gleichberechtigt vertreten sein. Forderungen, die in klarem Gegensatz zur Regierungspolitik stehen – und deretwegen Rigoberta Menchú seit über zehn Jahren im mexikanischen Exil lebt. Das Nobelpreiskommitee führte als Grund für die Verleihung des Preises unter anderem ihren Kampf um die Versöhnung und für die Rechte der Indígenas an. Der Nobelpreis wird das guatemaltekische Volk in seinem Kampf um Frieden, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit anspornen. Rigoberta Menchú, deren Familie zu Beginn der achtziger Jahre von der Armee umgebracht wurde, ist gleichsam ein Symbol der Versöhnung und des Kampfes gegen Unterdrückung und Elend. Versöhnung heißt für sie nicht, die erlittenen Qualen zu überdecken. Es sei notwendig, „zu verzeihen, aber nicht zu vergessen.“

PERU

Fujimori will die Diktatur legalisieren

(Ecuador, Oktober 1992, alai-POONAL).- Die Gefangennahme des Guerillachefs Abimael Guzmán am 12. September im Süden der Hauptstadt Lima bedeutet noch lange nicht das Ende des zwölfjährigen Krieges in Peru. Sie hat jedoch bedeutende Auswirkungen auf die Politik des Andenlandes. Von der Presse und in politischen Analysen wurde die Gefangennahme Guzmáns als der bislang härteste Schlag gegen die peruanische Guerillaorganisation Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) bezeichnet. Sie stellt einen Triumph für den Präsidenten Alberto Fujimori dar, dessen Glaubwürdigkeit und Popularität angesichts der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise des landes stark abgesunken ist.

Ist der Leuchtende Pfad am Ende?

Seit der Festnahme des Guerillaführers befinden sich die Polizei und die Streitkräfte in höchster Alarmbereitschaft. Sie fürchten, daß der Sendero Luminoso mit Gewalttaten reagieren wird. Die Regierung hat wiederholt erklärt, daß die Verhaftung Guzmáns keinen Anlaß zu übertriebener Freude gebe. Sie hat die Präsenz von Armee und Polizei im ganzen Land verstärkt. Gleichzeitig ließ Fujimori verlauten, in den Reihen des Sendero gebe es hunderte von Deserteur*innen, die sich von der Guerillorganisation lossagen wollten. Der Präsident bot möglichen Überläufern, die sich stellen und die Waffen niederlegen, Garantien an. Trotz des schweren Schlages, den der Sendero Luminoso erlitten hat, bleibt er nach übereinstimmender Einschätzung von Expert*innen eine politisch und militärisch starke Organisation. Das nordamerikanische Außenministerium und das Pentagon stellten kürzlich einen Bericht vor, wonach dem Leuchtenden Pfad momentan rund 25.000 Guerilleros und Guerilleras angehören, davon sollen 5.000 aktive Kämpfer*innen sein. Anderen Schätzungen zufolge kann Sendero vierzig- bis sechzigtausend Menschen mobilisieren. Der Sendero Luminoso kämpft an vier verschiedenen Fronten: 1) In den Städten versucht er, die Präsenz auszuweiten. 2) Die Vorherrschaft in den ländlichen Regionen, die bereits der Kontrolle der Armee entrissen sind, soll erhalten bleiben. 3) In den Gebieten, in denen die Streitkräfte den Kriegszustand ausgerufen haben, versucht er die Kontrolle zu übernehmen. 4) Sendero kämpft um die Kontrolle der Kokaproduktion in dem Tal von Alto Huallaga. Noch vor wenigen Jahren wurde der Leuchtende Pfad als Landguerilla betrachtet, die lediglich im peruanischen Hochland eine Basis besitzt. Längst ist die Guerilla jedoch aus den Provinzen bis in die Hauptstadt vorgedrungen und hat dort Kader aufgebaut. In dem Bericht des US-Außenministeriums wird das Vorgehen der Guerilla so beschrieben: „Die Aktionen des Sendero Luminoso beruhen auf einer verlängerten Strategie: von der Sierra zur Küste und vom Land in die Städte.“ Der Sendero Luminoso habe seinen Ursprung zwar im Hochland, die Strategie der Guerilla ziele jedoch auf die Hauptstadt. Der entscheidende Schlag müsse nicht unbedingt aus der Stadt selbst erfolgen. Denkbar halten die US-Strategien auch, daß Sendero die Hauptstadt isoliert. Die Guerilla könnte in der Lage sein, den Kontakt von Lima nach außen zu zerstören und die Hauptstadt vom Inneren des Landes abzuschneiden. Die peruanische Metropole würde ausgehungert, denn ohne Lebensmittel, Wasser und anderen Waren von außen kann Lima nicht überleben.

Der Vormarsch vom Hochland in die Hauptstadt

Die Hypothese, Sendero habe sich vom Hochland bis in die Hauptstadt vorgearbeitet, bestätigt auch der peruanische Chronist Carlos Tapia. Es sei „eine Lüge, daß der Sendero in den Bergen zugrundegegangen sei und deshalb nach Lima flüchtet. Der Senderismus rückt vor.“ Es gibt viele Studien, die darin übereinstimmen, daß der Sendero die orthodoxe maoistische Doktrin (mit Schwerpunkt auf dem Land) mit der Vorbereitung auf den Aufstand in den Städten kombiniert. Für die Regierung sind die Aktionen des Leuchtenden Pfades in den letzten Monaten jedoch nichts weiter als „der Kampf gegen den Untergang“, wie es seit der Gefangennahme Guzmáns heißt. Viele Expert*innen sind jedoch der Meinung, daß der Sendero Luminoso, wenn man seine Militärkraft und sein System des Führungswechsels berücksichtigt, keineswegs am Ende ist. Vielmehr befinde sich die Organisation in einem Prozeß der internen Umorganisierung und warte einen günstigen Augenblick ab, um zu reagieren. Zum ersten Mal in langer Zeit waren die politischen Parteien verschiedener Richtungen in einem Punkt einer Meinung: Sie qualifizierten die Festnahme Guzmáns als „einen großen Schritt für den Frieden des Landes“. Die Opposition fürchtet allerdings gleichsam, daß Präsident Fujimori seine Position stärken kann. Denn auch sie sah sich gezwungenn, die Verhaftung des Guerilla- Chefs Guzmán als Erfolg der Anti-Guerilla-Strategie der Regierung anzuerkennen. Damit vermindert sich der Druck auf den Präsidenten, der am 5. April dieses Jahres das Parlament aufgelöst und die Macht an sich gerissen hatte. Der Staatsstreich Fujimoris im April dieses Jahres war in der Öffentlichkeit zum Teil mit Sympathie aufgenommen worden. Die politischen Parteien, die ihre Macht verloren, und die Internationale Gemeinschaft wandten sich heftig gegen den kalten Putsch des Präsidenten. Angesichts auf Eis gelegter Kredite und einer zunehmenden Isolierung kündigte Fujimori im August Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung für November an.

Fujimori kann eigenmächtig neue Verfassung durchsetzen

So schaffte es der Präsident, trotz der eigenmächtigen Einsetzung eines Wahlgesetzes zu seinen Gunsten, den Druck von außen zu vermindern. Das Gesetz läßt dem eigenmächtigen Präsidenten weitgehende Vollmachten: „Wenn der Verfassungsvorschlag in zwei Volksabstimmungen abgewiesen wird, kann die de-facto-Regierung eine Verfassung ohne Zustimmung des Volkes verabschieden.“ Das Gesetz eröffnet dem Präsidenten also die Möglichkeit, eine Verfassung seines Geschmacks einzusetzen, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen stimmt. Weiter hat er Anordnungen erlassen, die ihm reichlich Möglichkeiten zur Manipulation ermöglichen. Fujimori bestimmte, daß die Präsident*innen der Verfassungsgebenden Versammlung von den Gerichtshöfen bestimmt werden. Die Gerichtshöfe werden jedoch direkt von der Regierung eingesetzt. Fujimori hat damit die Grundlage geschaffen, um die politischen Parteien aus dem Weg zu räumen und seine Diktatur durch die Verfassung zu legitimieren. Die Parteien scheinen nicht in der Lage, den Alleingang des machthungrigen Präsidenten zu stoppen. Sie zeigen wenig Initiative, und besitzen kaum die Kraft, Fujimori zur Einhaltung der Regeln zu bringen. Außerdem haben sie Terrain auf internationaler Ebene verloren, nachdem die letzte Versammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Politik Fujimoris nicht kritisierte. Im Gegenteil, die OAS hat das umstrittene Wahlgesetz zur Präsidentschaft gebilligt, indem sie ankündigte, daß sie Beobachter*innen schicken und die Verfassunggebende Versammlung unterstützen werde. Ähnlich äußerten sich auch die Vereinigten Staaten. Viele der wichtigsten Parteien wollen aus Protest nicht an den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung teilnehmen. Die Opposition hat sich jedoch über diese Frage zerstritten, alte Streitigkeiten wurden vertieft. Die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Linken machen die schwere Krise und die Teilung innerhalb dieses Sektors deutlich. Es erscheint wie ein Generationsproblem und hat in vielen Fällen dazu geführt, daß die Jugendorganisationen sich von ihren Führungen distanzieren, um neue Bewegungen zu gründen.

Oppositionsparteien kündigen Wahlboykott an

Die Bestandsaufnahme kann die Opposition kaum hoffnungsvoll stimmen. Obwohl Fujimori, dem nach der Machtergreifung gewisse Sympathien entgegengebracht wurden, gewaltig an Popularität eingebüßt hat, weil er seine Versprechungen nicht einhalten konnte, haben die oppositionellen Parteien kaum Auftrieb erhalten. Mit den politischen Parteien verbinden nur noch die wenigsten einen Ausweg aus der derzeitigen Krise. Eher kann man von einem generellen Ansehensverlust der politischen Klasse sprechen. Die Festnahme von Guzmán ist jedoch ein Pluspunkt für die Regierung bei den Wahlen im November. Im August spitzte sich die wirtschaftliche Krise zu. Nicht nur die offiziellen, sondern auch Zahlen aus Wirtschaftskreisen zeigten das Ausmaß des Konjunktureinbruchs. Der Präsident sah sich heftiger Kritik von Industrie und Handel und auch von konservativen Medien ausgesetzt. In dieser Situation hat die Regierung ein Datum für die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung festgesetzt und ein sogenanntes Wiederbelebungsprogramm verabschiedet. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Verteilung des Haushaltsüberschusses von 400 Millionen Dollar – das Produkt einer energischen Sparsamkeit in den öffentlichen Ausgaben – vor allem an die Unternehmen. Offensichtlich ist, daß Fujimori damit die erhitzten Gemüter vor den Wahlen beruhigen will. Zu den wichtigsten Punkten des Programms zählen einmalige Zahlungen an Lehrer*innen und Ärzt*innen und die Herabsetzung der Verbrauchssteuern von 15 auf 10 Prozent. Weiterhin ist die Abschaffung von Verkaufssteuern geplant. Sie sollen durch andere Steuern, Zinsen und höhere Ordnungsbußen kompensiert werden. Der einseitige Charakter des Wiederbelebungspakets wird durch ein großzügiges Geschenk der Regierung an Banken und Betriebe deutlich. In Millionenhöhe kaufte sie Unternehmen und Kreditinstituten Schuldscheine ab, wobei einige verschuldete Unternehmen nach unklaren Kriterien bevorzugt wurden.

HAITI

Aristide fordert konsequentes Embargo

(Port-au-Prince, Oktober 1992, HIB-POONAL).- In einer Rede an die Vereinten Nationen zum ersten Jahrestag des Militärputsches in Haiti hat der Präsident Jean-Bertrand Aristide drei Schritte vorgeschlagen, um die Demokratie in Haiti wieder einzuführen: ein weltweites strenges Wirtschaftsembargo gegen das Land; eine UN- Menschenrechtsdelegation, die die von den rütschisten begangenen Verbrechen untersuchen soll; die Unterstützung des gewaltfreien Widerstandes der Bevölkerung Haitis. Außerdem griff er den General Raoul Cedras und Papst Johannes Paul II scharf an. Aristide erkannte die Bemühungen der Vereinten Nationen an, die Rückkehr zur Demokratie zu fördern: „Die Verurteilung des Militärcoups vom 30. September 1991 drückt den Willen der UN aus, die demokratischen Prinzipien und das Recht der haitianischen Bevölkerung zu verteidigen. Dafür danken wir Ihnen herzlich.“ Er ließ indes keinen Zweifel, daß er in den Bekndungen etlicher Staaten lediglich leere Lippenbekenntnisse sieht. Aristide erinnerte daran, daß das momentane Embargo der Organisation Amerikanischer Staaten ineffektiv ist. „Das haitianische Volk hat sich deutlich für Embargo gegen die Putsch-Regierung ausgesprochen. Es muß endlich ein wirkliches, totales Embargo verhängt werden. Der Strom neuer Waffen nach Haiti muß aufhören. Wenn wir dies durch eine Blockade erreichen können, wären die Haitianer*innen glücklich.“ Heftige Kritik äußerte Aristide an der Katholischen Kirche, die viele Jahre lang gegen ihn gearbeitet und versucht habe, ihn aus Haiti zu vertreiben. „Von allen Staaten der Welt wurden die kriminellen Putschisten verurteilt, nur vom Vatikan werden sie nach wie vor anerkannt. Der Vatikan segnet die Verbrechen, die er verdammen müßte, im Namen Gottes, der Gerechtigkeit und des Friedens. Was für ein Skandal!“ Der gestürzte Präsident wiederholte die Forderung, die Anführer des Putsches zu verurteilen. Er werde sich durch die Kriminellen, die den Coup angeführt haben, noch durch ihre Unterstützer*innen kompromittieren lassen, sagte Aristide, was als Absage an Verhandlungen mit den Putschisten gewertet wurde. Desweiteren forderte Aristide eine Säuberung der Streitkräfte. „Die Armee muß von General Cedras und seiner Clique befreit werden. Er ist verantwortlich für den Tod von vielen Tausenden von Leuten.“ Präsident Aristide bat die UN, ein Menschenrechtsteam nach Haiti zu senden, um die Verbrechen, die die Streitkräfte und Polizei an der Bevölkerung verübt hat, aufzuklären. Weiterhin betonte Aristide die Notwendigkeit des gewaltfreien Widerstandes in Haiti. „Ja, Söhne und Töchter der Freiheit, Söhne und Töchter der Würde! Wir weisen Unterwerfung ab, wir wählen den Widerstand!“

OAS-Delegation klagt über Behinderungen

(Petion-Ville, 12. Oktober 1992, HIB-POONAL).- Über einen Monat nach ihrer Ankunft ist die Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten, die Verstöße gegen die Menschenrechte untersuchen, die Verteilung von Hilfsgütern unterstützen und die Einhaltung des Embargos kontrollieren soll, kaum vorangekommen. Bislang habe die OAS-Kommission noch keinen Kontakt mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen gehabt. „Die Menschen halten uns in den Straßen auf und schreien uns an,“ sagte ein Mitglied des Teams, offensichtlich über den Mangel an Fortschritt frustriert. (Da es den Mitgliedern des Teams verboten ist, mit Journalist*innen zu sprechen, kann sein Name nicht bekanntgegeben werden.) Der Koordinator des Teams, Colin Granderson aus Trinidad and Tobago, traf am 3. Oktober in Haiti ein. Er hatte viele offizielle Treffen auf dem Terminplan, unter anderem mit dem Priester Antoine Adrien von der Präsidentschaftskommission, dem Außenminister des De-facto-Regimes Francois Benoit, Senator*innen und dem General Raoul Cedras, dem Anführer des Putsches vom 30. September 1991. Der frühere jamaikanische Premierminister Michael Manley, der für die Verhandlungen zuständig ist, sprach mit Adrien und Benoit. Es gibt keine offiziellen Angaben über die Verhandlungsergebnisse. Möglicherweise wird die Anzahl der UNO-Beobachter*innen in Haiti bald erhöht. Derzeit arbeiten 17 UN-Beobachter*innen in Haiti und beobachten speziell die Situation der politischen Parteien, der Basisorganisationen, der Flüchtlinge, der religiösen Gruppen und der privaten Unternehmen. Zudem sollen sie Verstößen gegen das Embargo nachgehen und die Verteilung humanitärer Hilfe überprüfen. Noch gibt es keine Auskünfte darüber, ob das Team in die acht anderen Departments von Haiti gesandt wird, wie ursprünglich geplant war.

DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Prunkvolle Feiern zu Ehren des Eroberers

(Managua, Oktober 1992, APIA-POONAL).- Die Vorbereitungen für die offiziellen 500-Jahre-Feier in der Dominikanischen Republik waren von großem Sinn für Dramatik geprägt. Das koloniale Viertel der Hauptstadt Santo Domingo wurde vollständig von seinen Bewohnern geräumt und neu gestaltet. Dem Entdecker zu Ehren wurde der „Faro de Colón“, ein leuchtturmartiges Monument, errichtet, das alleine über 40 Millionen Dollar gekostet hat. Dieses gigantische Gebäude, das ein Museum beherbergt, ist von den angrenzenden armen Stadtvierteln durch die sogenannte „Mauer der Scham“ getrennt. Die große Wand sorgt dafür, daß die Besucher des neuen Prunkviertels nicht vom Lärm und Elend der armen Nachbarn gestört werden. Der Plan der Festkommission war sehr umfassend. Von einer Computerausstellung (CompuExpo 500) bis zu einer Hundeausstellung, von der Großen Interamerikanischen Lotterie bis zur Ankunft der „Nave de la Paz“, des Friedensschiffes über die „Ruta de Colón“, das der Dominikanischen Republik Lebensmittel, Sanitätsmaterial und landwirtschaftliche Geräte bringen sollte, war alles vertreten. Als dramaturgischer Höhepunkt der Feier am 12. Oktober wurden die sterblichen Reste Kolumbus' von der Kathedrale in den Turm, der zu seiner Erinnerung erbaut worden war, verlegt. Schon im Vorfeld steigerten die Vorbereitungen auf den 12. Oktober die touristische Attraktivität des Landes und sollten das Bild einer demokratischen Republik zeichnen. Repräsentative Fassaden in der Hauptstadt wurden auf Hochglanz poliert, gleichzeitig verkümmert der ländliche Raum. Unter dem Schlagwort der Industrialisierung der Landwirtschaft wurden Kleinbauern und – bäuerinnen und Siedler*innen von ihren Ländereien vertrieben. Ziel ist die Ausrichtung auf den nordamerikanischen Markt zu Lasten der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Für Kleinproduzent*innen ist in dieser Exportstrategie nur wenig Raum. Die Ausweitung des Tourismus und die Einrichtung zollfreier Zonen bilden weitere Eckpunkte der wirtschaftspolitischen Orientierung.

Opposition faßt nur schwer Tritt

Gegen die Jubelfeiern zu Ehren des Eroberers und gegen die rüde Agrarpolitik hat sich eine Opposition formiert, die allerdings nur schwer Tritt faßt. Die Initiativen, die im dominikanischen Komitee der kontinentweiten Kampagne „500 Jahre Widerstand“ organisiert sind, sind noch sehr zersplittert und zu wenig gefestigt, um übergreifende Aktionen durchführen zu können. Immerhin kam es jedoch zu etlichen lokalen Protesten, an denen sich auch oppositionelle Parteien beteiligten. Das Dominikanische Komitee der Kampagne gegen die offiziellen Feiern will über das Jahr 1992 hinaus Aktionen koordinieren. Das Ziel ist, eine einheitliche, breite Bewegung gegen die herrschende Oligarchie zu bilden und eine langfristige Strategie für politische und soziale Veränderungen zu entwickeln.

CHILE

Christen und Marxisten bilden linkes Bündnis

(Santiago de Chile, Oktober 1992, ANCHI-POONAL).- „Wir definieren uns als eine pluralistische Partei, die verschiedene demokratische Strömungen vereint, um eine wirkliche Demokratisierung zu erreichen. Langfristig streben wir eine sozialistische Ordnung an.“ So beschreibt sich die „Weite Kraft der Linken“ (FAI), eine neue linke Oppositionspartei in Chile, die verschiedene soziale, politische, religiöse und ethnische Gruppen vereint. Die „FAI“ wurde im August dieses Jahres gegründet und vereint hunderte ehemaliger Mitglieder der Kommunistischen Partei, der Bewegung der Revolutionären Linken (MIR), der sozialistischen Partei und der Christlichen Linken. Im Moment sammelt sie im ganzen Land die für eine Anerkennung als politische Partei erforderlichen 50.000 Unterschriften. Die „Linke Kraft“ gibt sich kämpferisch. In einer Erklärung, die von ihrem Präsidenten, dem Priester Rafael Maroto unterschrieben ist, kündigt sie an: „Die FAI wird an allen sozialen und politischen Kämpfen teilnehmen, ob legal oder nicht, die als Ziel eine wirkliche Demokratie und die Respektierung der Rechte des chilenischen Volkes und der indigenen Völker unseres Landes haben. Die größten Hindernisse, um dieses Ziel zu erreichen, sind die politische Verfassung von 1980 und der neoliberale Kapitalismus, der in Chile herrscht. Unsere Mitglieder werden enthusiastisch an Streiks, Landrückgewinnung, Mobilisierungen und Demonstrationen, die den demokratischen Raum erweitern“ teilnehmen, heißt es in der Erklärung.

Zentrales Anliegen: „Diktatorische Verfassung“ überwinden

Ein zentrales Anliegen der FAI ist, die „Legalität der Diktatur, die die heutige Regierung geerbt hat, zu überwinden. Aylwin hat sich verpflichtet, sie zu pflegen und zu verwalten. Wir werden füreine Volksabstimmung kämpfen, um die diktatorische Verfassung von 1980 abzuschaffen. Eine verfassunggebende Versammlung soll eine neue demokratische und soziale Verfassung ausarbeiten.“ Die FAI versteht sich als neue Oppositionspartei gegen die gegenwärtige chilenische Regierung und will gemeinsam mit der Kommunistischen Partei und anderen linken Parteien, die in der „Bewegung der Demokratischen Linken Allende“ (MIDA) zusammengeschlossen sind, an den Präsidentschaftswahlen 1993 teilnehmen. Prognosen zufolge können sie derzeit mit 7 Prozent der Stimmen rechnen, sie peilen jedoch mindestens 15 Prozent an. Die FAI vereint nach eigenem Verständnis drei politische Strömungen: „Marxismus, Christentum und weltlichen Rationalismus, der eine lange Tradition in der chilenischen Bevölkerung hat.“

NICARAGUA

Auf den Spuren der Verschwundenen

(Managua, Oktober 1992, Apia-POONAL).- Immer noch sind als Folge des Krieges junge Menschen in Nicaragua verschwunden. Die „Vereinigung der Mütter und Angehörigen von Verschleppten und Verschwundenen“ (AMFASEDEN) sucht weiterhin nach im Krieg Vermißten. Aus dem benachbarten Costa Rica bekam Mercedes Vasquez eine verschlüsselte Nachricht. „Komm noch vor Ende des Monats“, ließ ihr die Köchin einer Bananenplantage ausrichten. Für die Adressatin, eine Mutter von acht Söhnen und zwei Töchtern, bedeutete der Code die Aussicht auf ein Wiedersehen mit ihrem seit fünf Jahren vermißten Sohn.

Von Contras verschleppt, getötet oder zum Kriegsdienst gezwungen

Mercedes gehört der Vereinigung AMFASEDEN an, die sich seit Jahren um die Rückkehr ihrer im Krieg verschollenen Familienmitglieder bemüht. Tausende Bauern und Soldaten, aber auch Studenten und Lehrer, wurden im vergangenen Jahrzehnt von Konterrevolutionären verschleppt. Viele wurden bald umgebracht, von vielen fehlt bis heute jede Spur. Der damals 20jährige Buchhalter López Vásquez, der 1987 zum Militärdienst eingezogen wurrde, kam eines Tages von einem Gefecht nicht zurück. Er sei verschleppt worden, erzählten die Kameraden. In den Lagern der Contras in Honduras, das wußte man aus Berichten von Überlebenden, wurden die Gefangenen durch Hunger und Folter gebrochen und einer Gehirnwäsche unterzogen. Auch überzeugte Sandinisten konnten dem Druck nicht standhalten und schlossen sich unter Zwang den rechten Rebellen an. Deswegen hofften die Mütter, bei der Demobilisierung der Contras nach Kriegsende ihre Söhne oder Ehemänner wiederzufinden. Doch nur 26 Verschwundene gaben als Contras ihre Waffen ab. Weitere 110, mehrheitlich Campesinos aus dem Kriegsgebiet, tauchten später auf den Listen der Verifizierungskommission der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) auf. Auf ihrer Suche nach dem verschollenen Sohn hatte sich Mercedes Vásquez auch an Marta Patricia Baltodano gewendet, die Vorsitzende der „Nicaraguanischen Menschenrechtsvereinigung“ (ANPDH). Diese Organisation – 1985 von den USA gegründet und mit drei Millionen Dollar jährlich ausgestattet, um das Image der Contras aufzupolieren – gab der Frau vor einem halben Jahr Bescheid, ihr Sohn habe sich „freiwillig dem Nicaraguanischen Widerstand angeschlossen“ und sei am Rio Yamalon gefallen. Doch gleichzeitig erhielt AMFASEDEN von anderer Seite den Hinweis, viele Nicaraguaner säßen noch in den honduranischen Gefängnissen fest. Die Nachforschungen in den Haftanstalten verliefen zwar ergebnislos, führten aber auch auf eine neue Fährte. Viele Contras hätten sich nach Costa Rica abgesetzt, wo Tausende illegale Wanderarbeiter auf den Bananenplantagen Beschäftigung finden.

Angst vor Sanktionen in der Heimat

Also reisten die Mütter in Nicaraguas südliches Nachbarland. Ausgerüstet mit einer Namensliste und Fotos der Verschwundenen, alten Kleidungsstücken sowie den Geburtsurkunden ihrer Kinder machte sich eine Delegation auf die beschwerliche Suche in den riesigen Bananenplantagen, die sich entlang der Grenze und an der schwer zugänglichen Atlantikküste hinziehen. Dort legten sie den Verwaltern und den Köchinnen, die täglich alle Arbeiter bei der Essenausgabe zu Gesicht bekommen, die Fotos vor. Fünf wurden eindeutig identifiziert. Allerdings waren alle nach dem Höhepunkt der Ernte wieder weitergewandert. Eine Köchin betrachtete das Foto von Antonio Vasquéz. „Der ist hier gewesen und mit meiner Tochter weitergezogen.“ Kurz vor dem Ziel nach einer jahrelangen, verzweifelten Suche tauchten neue quälende Fragen auf: Wenn die Kinder noch am Leben sind, warum sind sie nicht heimgekehrt oder haben zumindest einen Brief als Lebenszeichen geschickt? Die Antwort fanden sie im Gespräch mit anderen ehemaligen Contras: die Furcht vor sozialen Sanktionen zuhause oder gar Racheakten hätte etliche der Verschleppten bewogen, nicht zurückzukehren. Außerdem beträgt die Arbeitslosigkeit in Nicaragua. Viele haben inzwischen eine Familie gegründet und jede Beziehung zu ihrem Land verloren. „Wenn ich daran denke, daß mein Sohn mir dasselbe sagen wird, daß er von seinen Eltern und seinem Heimatland nichts mehr wissen will, dann zittere ich am ganzen Körper“, sagte Mercedes Vásquez kurz vor ihrer erneuten Abreise nach Costa Rica. „Aber wir Mütter müssen auf alles vorbereitet sein.“

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