Poonal Nr. 043

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 43 vom 11.05.1992

Inhalt


GUATEMALA

EL SALVADOR

Chile

NICARAGUA


GUATEMALA

Serrano droht mit Ausnahmezustand

(Guatemala, 4.Mai 1992, Cerigua-POONAL).-Die Verhängung des Ausnahmezustandes hat der guatemaltekische Präsident Jorge Serrano angedroht. Als Begründung führte er die sozialen Spannungen, die Gewaltwelle und den Terrorismus im Lande an. Der Präsident sagte, er sei entschlossen, die „Ordnung zu erhalten“. Ein Jahr nach dem Amtsantritt scheint die militärische Repression die einzige Antwort zu sein, die Präsident Serrano auf die Probleme des mittelamerikanischen Landes zu bieten hat. In der Bevölkerung breiten sich indes angesichts der schwierigen ökonomischen und sozialen Lage Verbitterung und Verzweifelung aus. Denn immer deutlicher stellt die Regierung unter Beweis, daß sie keine Konzepte gegen die Misere hat. Die Regierung hat nichts getan, um die dramatische Wohnungsnot zu beheben. Sie hat die Proteste der Bevölkerung ignoriert und Familien, die aus Verzweifelung brach liegendes Land besetzt haben, mit Gewalt vertrieben. Erst Ende April räumten Soldaten und Polizisten rund 1500 Familien von einem Acker am Rande der Hauptstadt. Untätig sieht die Regierung auch die Situation der Straßenkinder, die von Polizisten mißhandelt und von Todesschwadronen ermordet werden. Weltweit hat die Regierung Kritik auf sich gezogen, doch sie stellt sich taub, als ginge sie das Schicksal der obdachlosen und schutzlosen Kinder nichts an.

Schulsystem vor dem Kollaps

Das Schulsystem treibt zielsicher dem Ruin zu. Die Gebäude sind in schlechtem Zustand, es fehlt an Lehrkräften. Auf die Proteste von Schüler*innen reagierte die Regierung auf bewährte Art: Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas gegen die Demonstranten ein, zahlreiche Schüler*innen wurden verhaftet, ihre Einschreibung wurde ausgesetzt. Die unangemessenen Antworten der Regierung auf die Beschwerden der Schüler*innen haben Empörung bei den Eltern, Lehrer*innen und der Presse hervorgerufen. Ebenfalls vor dem Kollaps steht das Gesundheitssystem. Vor einigen Wochen hat das medizinische Personal der zwei einzigen öffentlichen Krankenhäuser der Hauptstadt erneut auf die chaotische Situation in den Hospitälern hingewiesen. Die Ärzte müssen an Cholera erkrankte Menschen abweisen, da sie sie nicht behandeln können. Die Operationssäle sind überfüllt, es sind nicht genügend Betten vorhanden. Es herrscht Mangel an Medikamenten und medizinischen Geräten.

Der Triumph der Cholera

Die Cholera hat sich des Landes eben wegen des Elends der guatemaltekischen Bevölkerung – 84 Prozent der Menschen leben in Armut – bemächtigt. Allein an der Südküste wurden in drei Tagen 200 Cholera-Fälle bekannt. Doch längst ist die Epidemie auch in die Hauptstadt vorgedrungen. Die Behörden versuchten, durch die Abriegelung ganzuer Stadtteile, in denen die Cholera ausgebrochen war, die Verbreitung der Krankheit aufzuhalten – erfolglos. Die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung hat zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten geführt. Um das chronische Haushaltsdefifzit zu reduzieren, hat sie der Bevölkerung nun erneut Opfer abverlangt und die Mehrwertsteuer angehoben – was vor allem auf Kritik bei sozialen und kirchlichen Organisationen gestoßen ist. In Guatemala wachsen derweil die Spannungen und die Gewalt gegen die Bevölkerung. In den letzten Wochen sind mindestens drei Bomben in verschiedenen Teilen der Stadt explodiert. Eine detonierte in der Bank für Wohnungsbau; zahlreiche Angestellte wurden verletzt. Angestellte der Bank beschuldigten die Regierung Serrano, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Sie nutze die Angriffe als Vorwand für ein härteres Vorgehen der Polizei und zur Einschüchterung der Bevölkerung. Allein am 30. April wurden mehr als 1000 Bombenalarme in der Hauptstadt ausgelöst. Selbst Kommentatoren der guatemaltekischen Presse fragen sich mittlerweile, wer in Wirklichkeit hinter den Anschlägen steht. Wie könne es in einem Land, das derart von Polizei und Armee beherrscht werde, geschehen, daß Bomben mitten in der Haupstadt in öffentlichen Gebäuden Bomben detonierten, ohne daß Tatverdächtige ermittelt wurden? Sowohl der Verteidigungsminister als auch der Präsident haben die Guerilla dieser Anschläge beschuldigt. Die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) hat die Verantwortung zurückgewiesen. Die URNG forderte die Regierung auf, die tatsächlich Verantwortlichen für die Terrorakte zu ermitteln. Der Regierung sei jedoch offenbar mehr daran gelegen, so mutmaßen die Rebellen, die Bedingungen für die Verhängung des Ausnahmezustands zu schaffen. Zielscheibe der Gewalt sind zunehmend auch die Kirchen. Katholische Gemeinden berichten von Attentaten, Diebstählen, Bränden und Bombendrohungen. Die evangelische Kirche, die mehr als 15 000 Kongregationen hat, hat ihre Siolidarität mit den Opfern der Gewalt erklärt und eine wirkliche Demokratie für Guatemala gefordert.

Neue Offensive der Armee

Derweil hat sich auch der Krieg der Streitkräfte gegen die Aufständischen der URNG verschärft. Sowohl an der Südküste als auch in der nördlichen und westlichen Region des Landes gab es blutige Kämpfe. Der Verteidungsminster kündigte eine Offensive der Armee gegen die Guerilla an. Die Regierung gab zudem bekannt, daß im Süden des Landes 1500 bis 2000 Zivilpatrouillen bewaffnet werden sollen. Damit verwirft die Regierung in geradezu provokanter Weiser die Empehlungen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die die Auflösung der Zivilpatrouillen gefordert hatten. Offenbar fühlt sich die Regierung derart bedrängt, daß sie glaubt, auf ihr internationales Ansehen keine Rücksicht nehmen zu können. Serrano sieht sich zu allem Ungemach derzeit auch noch einer handfesten Regierungskrise ausgesetzt, nachdem in der vergangenen Woche vier Minister ihren Rücktritt bekannt gaben.

SchülerInnen: „Serrano baut Tyrannei auf“

(Guatemala, 5.Mai 1992, NG-POONAL).-Die guatemaltekische Regierung sei im Begriff, eine Tyrannei aufzubauen, warnten Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen auf einer Demonstration in Guatemala-Stadt in der vergangenen Woche. Die Demonstranten forderten zudem den Rücktritt der Erziehungsministerin Maria Luisa Beltrana. Ihre Amtsführung sei nachlässig und anmaßend. An der Protestkundgebung nahmen rund 3000 Personen teil. Der Präsident Jorge Serrano Elias „hat sich in einen Tyrannen verwandelt, der sich hinter den zivilen Organisationen versteckt“, beschuldigten die Demonstranten das Staatsoberhaupt der diktatorischen Machtausübung. Die Vorwürfe wurden laut, nachdem die Polizei mit Stöcken und Tränengas gegen die Demonstranten vorging und Serrano im Fernsehen und Radio versichert hatte, daß „mir nicht die Hand zittert“, um die Proteste niederzuschlagen.

Proteste gegen Misere der Schulen

Die Proteste begannen in der vergangenen Woche, als Hunderte von Schüler*innen der nationalen Institute Central und Rafael Aqueche Barrikaden errichteten und Reifen im Zentrum der Stadt verbrannten. Sie wandten sich gegen den LehrerInnenmangel und den schlechten Zustand der Schulen sowie gegen die Anhebung der Preise für Busse und Bahnen. Der Preisanstieg ist eine Folge der von Serrano initiierten und bereits vom Kongreß verabschiedeten Anhebung der Mehrwertsteuer, mit der das Staatsdefizit verringert werden soll. Die Demonstrant*innen, die den Nationalpalast besetzten, forderten auch die Befreiung von mehr als hundert Schüler*innen der Mittelschulen, die von der Polizei festgenommen wurden. Die meisten wurden in das Gefängnis von „Frijanes“ gebracht, wo sie eine Haftstrafe von 45 Tagen absitzen müssen. Es wurden auch mehrere Lehrer*innen festgenommen und zur gleichen Haftstrafe verurteilt, wie die Schüler*innen. In seiner Ansprache im nationalen Kanal erwähnte der Präsident die Möglichkeit, als Reaktion auf die Proteste mehrere nationale Schulen zu schließen. Die Äußerung des Präsidenten stieß auf heftige Kritik. Der Präsident der LehrerInnenorganisation ANFEM, Jorge Garcia, bezeichnete die Drohung Serranos als „eine verfassungswidrige Maßnahme“. Er kündigte an, daß die Lehrer*innen ein Gerichtsverfahren gegen die Minister Fernando Hurtado, Domingo Garcia Samayoa (Verteidigung) und Maria Luisa Beltranena (Erziehung) anstrengen würden. Die protestierenden Schüler*innen und Lehrer*innen erhielten derweil Unterstützung von der Einheit der Gewerkschafts- und Volksorganisation (UASP), der größten Massenorganisation des Landes. Romeo Monterroso, Führer der UASP, erinnerte den Präsidenten daran, daß die Schüler*innen innerhalb des rechtlichen Rahmens handelten und lediglich ihr verfassungsmäßiges Recht, sich zu versammeln und die Verbesserung ihrer Lebens- und Studiensituation zu fordern, in Anspruch genommen hätten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Proteste weiter zunehmen werden. Am 13. Mai läuft eine Frist ab, die die Schüler*innen, Eltern und die LehrerInnengewerkschaft der Regierung gegeben haben, um die Gefangenen freizulassen.

„Gerechtigkeit für einen ganzen Kontinent“

– Rigoberta Menchú für Friedensnobelpreis nominiert

(Ecuador, Mai 1992, alai-POONAL).- Rigoberta Menchú Tum, Quiché- Indígena, Gründerin und Leiterin des Kommitees für die Einheit der Campesinos/as (CUC), wurde offiziell für den Friedensnobelpreis 1992 nominiert. Diese Kandidatur rechnet mit dem Rückhalt der Kampagne 500 Jahre Indígena-, Schwarzen- und Volkswiderstand. Adolfo Pérez Esquivel, der guatemaltekische Menschenrechtsverteidiger und Nobelpreisträger von 1980, war beauftragt, die Kandidatur bei dem Präsidenten und den Mitgliedern des Nobelpreiskommitees beantragte. Im Folgenden vveröffentlichen wir die Begründung für die Nominierung Rigoberta Menchús, die Adolfo Perez Esquivel einreichte. Um die Kandidatur Rigoberta Menchús für den Friedensnobelpreis zu präsentieren, will ich mit den Gedanken beginnen, die Rigoberta zu diesen 500 Jahren geäußert hat. Sie zeigen Leiden, Verfolgungen, aber auch einen starken Geist des Widerstandes und der Hoffnung, ein würdiges Leben und Respekt vor der Identität der Völker zu erreichen. „Meine Option für den Kampf kennt keine Grenzen und kein Ende: Nur wir selbst, die unser Ziel im Herzen tragen, können alle Risiken eingehen… Wir haben unsere Identität verheimlicht, weil wir zu widerstehen wußten… Immer wurde gesagt: die armen Indios, die nicht sprechen können; deshalb sprechen viele für uns. Darum habe ich mich entschieden, Castellano zu lernen… Die Situation, in der wir leben, müssen wir mit der Gegenwart unserer Vorfahren überwinden…“ Rigoberta Menchú ist eine Quiché-Indianerin aus Chimel in San Miguel de Uspatán im Departamento El Quiché. Es ist eine der größten Ethnien, die es in Guatemala gibt. Die Situation, unter der diese Ethnien und das ganze guatemaltekische Volk leben, die Repression, die Verfolgungen, die Zerstörung der Dörfer und der Ethnien unter den Militärdiktaturen – die leider heute immer noch andauern, trotz der Regierungen, die sich demokratisch nennen – ist die Geschichte der Indio-Völker auf dem ganzen Kontinent, von Nordamerika, Zentralamerika bis Südamerika.Durch Rigoberta, durch ihre Stimme, wird die Klage der Völker gegen die rassische und kulturelle Diskriminierung erhoben.

Überlebende des Genozids

Ihr Leben ist ein Zeugnis. Sie hat den Genozid, dem ihre Gemeinde und ihre Familie zum Opfer gefallen, überlebt.Eine Stimme, die sich mit zerreißender Kraft und Schönheit erhebt, die den Tonfall der Völker überträgt, ihre unterdrückten Kulturen und ihre kulturelle Identität behauptet. Für Rigoberta Menchú handelt es sich in keiner Weise darum, einen Rassenkampf auszurufen, und noch weniger, die unwiderrufliche Tatsache zu verneinen, die die Existenz der Mestizen-Bevölkerung darstellt. Was sie hingegen verlangt, ist die Anerkennung ihrer Kultur, sie fordert die Rechte ein, die ihnen (den Völkern Guatemalas) rechtmäßig zusteht.

Die lateinamerikanische Variante der Apartheid

Die Indios/as machen in Guatemala, genauso wie in anderen Ländern Lateinamerikas, die Mehrheit der Bevölkerung aus. In gewisser Weise könnte man die Situation der indigenen Völker Lateinamerikas mit dem vergleichen, was in Südafrika passiert, wo eine weiße Minderheit die absolute Macht über eine schwarze Mehrheit ausübt. Aus ihrem indigenen Umfeld und unter dem Zwang der Umstände, unter denen sie lebt, fühlte sie sich verpflichtet, ihre Arbeit als Katechistin aufzugeben und die Führerin und die Stimme eines unterdrückten Volkes zu werden. Sie mußte Spanisch lernen, um sich zu verständigen, da ihre Sprache Quiché ist. Rigoberta hat die Waffe des Wortes als Kampfmittel gewählt. Das Zeugnis ihres Lebens und ihres Volkes sind in ihrem Buch „Rigoberta Menchú – Leben in Guatemala“ von Elizabeth Burgos Debray niedergelegt. Ihre Kindheit verbrachte sie in einem Bergdorf. Im Alter von 8 Jahren begann sie, auf einem Bauernhof zu arbeiten. Rigoberta sagt: „So begann in mir der Bewußtseinsprozeß…“ Sie mußte 35 Libras Kaffee pro Tag ernten, dafür erhielt sie 20 Centavos. Der Vater Rigobertas wurde eingesperrt, weil er das Land gegen die Großgrundbesitzer verteidigte, die die Campesinos berauben wollten; ein Problem, das in allen Ländern Lateinamerikas besteht. Vicente Menchú wurde zu einem Führer seiner Gemeinde, der sich der Verteidigung der Rechte der Campesinos/as verschrieb. Rigoberta wurde aus ihrem Dorf vertrieben. Soldaten drangen in die Häuser ein und warfen sie hinaus, sie stahlen die Eigentümer der Indígenas, töteten ihre Tiere. Frauen wurden vergewaltigt, Nachbarn von Armee und Großgrundbesitzern ermordet.

Eltern und Bruder wurden gefoltert und ermordet

Sie erinnert sich, wie ihr Bruder gefangen und gefoltert wurde, als er 16 Jahre alt war, und gemeinsam mit anderen Personen aus ihrem Dorf am lebendigen Leib verbrannt wurde – ebenso wie später ihr Vater, der bei der Besetzung der spanischen Botschaft 1979 lebendig verbrannt wurde. Am 19. April 1980 wurde ihre Mutter entführt und ermordet, die eine Führerin ihrer Gemeinde war. Sie wurde mehrere Tage lang gefoltert. Sie stellten sie zur Schau, hängten sie auf und ließen sie sterben. Rigoberta erinnert sich, daß ihre Mutter ihr sagte:“Ich verlange nicht von dir, nicht Frau zu sein, aber deine Beteiligung am Kampf muß genauso sein wie die deiner Brüder.“ Der Schmerz und das Leid, die ihr Leben bestimmt haben, formte sie für den Widerstand, für den Kampf ihres Volkes. Das persönliche Glück stellt sie zurück und verzichtet auf Ehe und Mutterschaft. Sie denkt an die guatemaltekische Frau, an den Machismus, an die Unterdrückung, die die Gesellschaft erleidet. Und sie sagt:“…und wir haben herausgefunden, daß bei der Diskussion der Frauenproblematik der Mann zugegen sein muß, damit er auch lernt, denn wenn er nicht lernt, kommt er nicht voran. Der Kampf hat uns gezeigt, daß viele Compañeros Bescheid wissen, aber wenn der Compañero nicht der Compañera folgt, wird er nicht die Klarheit bekommen, die sie hat; also bleibt er zurück. Was bringt es, die Frau zu erziehen, wenn der Mann nicht da ist und nicht bei dem Lernprozeß mitwirkt und nicht auch lernt. Eine Frauenorganisation zu bilden bedeutet, dem System, das uns unterdrückt, eine Waffe mehr zu geben. Das wollen wir nicht. Wir müssen gleich teilnehmen…“

„Die Schranken überwinden“

„Wir müssen große Opfer bringen. Und so lernen wir Campesinos und Campesinas, unseren Kampf zu führen. Und das ist auf unsere Wahrnehmung zurückzuführen. Es ist nicht so, daß man eine bessere Meinung hat, wenn man den Hunger erlebt hat. Aber wir haben nur ein wirkliches Bewußtsein, wenn wir die Dinge wirklich erlebt haben. Ich kann sagen, daß der größte Teil der Führer*innen in meiner Organisation Indígenas sind. Auch Ladinos und Frauen sind an der Führung beteiligt. Wir müssen die bestehenden Schranken aufheben; die Schranken zwischen den Ethnien, zwischen Indios und Ladinos, die Sprachbarrieren, die Schranken zwischen Frauen und Männern, zwischen Intellektuellen und Nicht-Intellektuellen… Ich mußte mich zwischen dem Wunsch nach einer Familie und dem Kampf meines Volkes entscheiden. Das bedeutet nicht, sich dem Leben gegenüber zu verschließen, vielleicht ändern sich die Dinge mit der Zeit, wie man sagt: 'Es wird ein Moment kommen, in dem die Dinge anders sind. Wir werden glücklich sein, vielleicht nicht in einem guten Haus leben, aber wenigstens nicht mehr unsere Länder mit dem Blut und dem Schweiß vieler getränkt sehen müssen…'“ Diese kurze Synthese zeigt das Denken und die Lebensaufgabe Rigoberta Menchús, ihren Weg und ihren Kampf für Leben und Würde ihres Volkes, der Indios/as, Campesinos/as, Ladinos/as und der ganzen Gesellschaft. Guatemala ist ein Land, das der systematischen und strukturellen Gewalt von Diktaturen unterworfen ist, mehr als 150 000 Menschen wurden umgebracht oder sind verschwunden. Die sogenannten „Modelldörfer“ sind nichts anderes als Konzentrationslager; die Menschenjagd, die eingeebneten Felder und die sogenannten „Entwicklungspole“, wo die Überlebenden unter extremen Bedingungen zwangsweise leben müssen. Die Armee pfercht die Campesinos und Campesinas in diese Haftzentren ein, um sie unter Kontrolle halten zu können. Denn die Armee verdächtigt sie, die Guerilla stark zu machen. Die Konzentrationslager sind Teil der Antiaufstandspolitik der Streitkräfte, die einen Krieg geringer Intensität gegen die Landbevölkerung führt. Das Verschwinden von Personen und die starke Repression dauern weiter an.

Die Stimme der Gerechtigkeit

Rigoberta Menchú ist zur Repräsentantin der Völker geworden, zu einer Stimme, die Wahrheit und Gerechtigkeit verlangt, das Recht auf Identität und Leben der Kulturen und der indigenen Völker. Eine Stimme, die die Ungerechtigkeiten gegen ihr guatemaltekisches Volk anklagt. Rigoberta ist gerade dabei, eine nationale und internationale Kampagne durchzuführen, um die Freiheit und die Garantien der Grundrechte zu erreichen, die die Konstruktion einer wirklichen Demokratie und nicht einer demokratischen Fassade ermöglichen. Auf der anderen Seite wurde vor einiger Zeit ein gewisser Dialog zwischen der Regierung und den Oppositionskräften erreicht. Eine Indígena-Frau, die den Schmerz und das Leiden kennt, und die trotz allem nicht umgefallen ist und der Welt zeigt, was Würde und Kampf für die Freiheit ihres Volkes sind. 500 Jahre auf dem Weg der indigenen Völker und der Beitrag anderer Realitäten und Kulturen haben das Leben der Völker dieses Kontinents gezeichnet. Rigoberta trägt zum Erreichen des Friedens und der Freiheit bei und ihr Kampfziel ist, Solidarität unter den Völkern gegen Unterdrückung und Gewalt zu schaffen. Aus diesen Gründen, Herr Präsident und Mitglieder des Nobelpreiskommitees, schlage ich Rigoberta Menchú für den Friedensnobelpreis 1992 vor. Es würde Gerechtigkeit für einen ganzen Kontinent bedeuten. Adolfo Pérez Esquivel

EL SALVADOR

FMLN in Alarmbereitschaft

(San Salvador, 3.Mai 1992, Salpress-POONAL).- Die Aufstandsbewegung Frente Farabundo Marti (FMLN) hat die Regierung beschuldigt, weiterhin Luftangriffe in den Bezirken Morazán im Osten San Salvadors und Chalatenango im Norden, wo sich die Guerillaverbände konzentriert haben, fliegen zu lassen und somit das Friedensabkommen zwischen Regierung und Aufständischen zu gefährden. In Morazán haben die Rebellen nach Verlautbarungen der FMLN ein Militärflugzeug beschossen. Die salvadorianische Luftwaffe dementierte die Beschuldigungen. Die FMLN-Verbände seien aufgrund der permanenten Flüge der Jagdbomber in „konstante Alarmbereitschaft“. Die Luftaktionen seien ein „klarer Versuch, die normale Entwicklung der Umsetzung der Friedensabkommen zu behindern“, kritisierte die FMLN. Der Präsident der Regierungs-Partei ARENA, Armando Calderón Sol, bezeichnete die Vorwürfe der Rebellen als „Propagandaaktion“, die die Aufmerksamkeit von der „klaren Nichterfüllung“ der Friedensabkommen von Seiten der FMLN ablenken solle. Es seien „politische Spitzfindigkeiten“ der FMLN, die als Vorwand für Verzögerung des Rückzugs der Rebellenverbände auf die vorgeschriebenen 15 Stellungen dienten.

UnternehmerInnen: Keine Gespräche über wirtschaftliche Zukunft

(San Salvador, 3. Mai 1992, Salpress-POONAL).- Die Regierung, die Unternehmer*innen und Arbeiternehmer*innen sollen am 11. Mai Gespräche über die Lösung der ökonomischen und sozialen Probleme El Salvadors führen. Den Termin gab die nationale Friedenskommission COPAZ, die die Verwirklichung der Friedensabkommen sichern soll, bekannt. Die Nationale Assoziation der Privatunternehmen (ANEP), der wichtigste UnternehmerInnenverband des Landes, kündigte jedoch bereits am 29. April an, nicht an dem Forum teilzunehmen. Der Dachverband der Unternehmer*innen begründete die Absage, die bereits im vergangenen Februar getroffen wurde und nun von der Generalversammlung bestätigt wurde, mit dem Argument, die Bedingungen für eine konzertierte Aktion seien nicht gegeben und hätten sich sogar verschlechtert. ANEP bemängelte den mangelnden Respekt vor den Gesetzen, vor der Verfassung und insbesondere vor dem Privateigentum, das durch die „anhaltende Besetzung von Grundbesitz verletzt wird“. Repräsentanten der politischen Parteien PDC, UDN, PCN und CD kritisierten die Entscheidung der Unternehmer-Führung und forderten sie auf, die Absage noch einmal zu überdenken. Die ARENA drückte ihren Respekt vor der Entscheidung von ANEP aus und sagte, sie erwarte, daß die durch die Unternehmer*innen dargelegten Bedingungen sich bald verbessern würden. Die größten Gewerkschaftsverbände des Landes, die UNTS und die UNOC, ermahnten die Unternehmerschaft, sich dem Forum anzuschließen, denn in dieser Etappe „ist seine Beteiligung wichtig“. Durch das Forum werde die Position der Regierung, der Unternehmer*innen und der Arbeiter*innen gestärkt. Die Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen, die durch AMPRES vertreten werden, wiederholten hingegen ihre Zusage, an dem Forum teilzunehmen.

Legalisierung der FMLN

(San Salvador, 3.Mai 1992, Salpress-POONAL).- Die FMLN wird noch im Mai „ihre Legalisierung als politische Partei“ beginnen, kündigte der Kommandant des politischen Kommitees der FMLN, Juan Ramón Medrano, am 30. April an. Die Eingliederung der FMLN in das politische Leben sei ein wichtiger historischer Schritt, denn er markiere die „Umwandlung der politisch-militärischen Strukturen in Strukturen des politisch-sozialen Kampfes“, sagte Medrano. Er forderte die Regierung auf, per Dekret die Umwandlung der FMLN in eine politische Partei als „Zeichen des guten Willens“ zu verfügen, um die „konfliktreiche Situation des Landes zu entschärfen“. Der Kommandant Francisco Véliz sagte, die Legalisierung der FMLN als politische Partei sei eine Grundlage und „höchstentscheidend für den Friedensprozeß“. Der Vizechef des Generalstabs, Mauricio Vargas, sagte dagegen 1. Mai, die FMLN könne nicht legalisiert werden, wenn sie weiterhin bewaffnet bleibe; die anderen politischen Parteien würden keine Partei mit paramilitärischen Strukturen akzeptieren.

FMLN marschiert mit den ArbeiterInnen

(San Salvador, 3. Mai 1992, Salpress-POONAL).- Die FMLN hat zum ersten Mal nach 12 Jahren Bürgerkrieg offiziell an der Demonstration des Tages der Arbeit am 1. Mai teilgenommen. Die Generalkommandatur der FMLN führte den Marsch an, gemeinsam mit Arbeiterführer*innen, Leiter*innen von sozialen Organisationen und Oppositionsparteien. Schafik Handal sagte, Ziel der Demonstration sei gewesen, gemeinsam mit den Arbeiter*innen Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie die Friedensabkommen erfülle. „Denn 90 Tage nach Unterzeichnung der Pakte ist die Bilanz negativ.“ An der Demonstration nahmen Hunderte von unbewaffneten Guerilleros in Felduniformen, eine Gruppe Kriegsbeschädigter sowie politische Aktivist*innen und Führer*innen der FMLN teil.

Streitkräfte verzichten auf Militärmanöver mit USA

(San Salvador, 3.Mai 1992, Salpress-POONAL).- Das Oberkommando der salvadorianischen Streitkräfte wird nicht auf der Durchführung von gemeinsamen Manövern mit der US-Marine beharren. Am 30. April zog die Spitze der Streitkräfte eine entsprechende Petition zurück, nachdem heftige Kritik an den geplanten Militärübungen laut geworden war. Nach Aussagen des Verteidigungsministers General René Emilio Ponce ist die Armee entschlossen, „auf den Wert dieser kleinen Übung zu verzichten, um jedes Versehen zu vermeiden oder denen, die Verzögerungen bei der Erfüllung der Friedensabkommen suchen, keine weitere Entschuldigung zu liefern. Wir haben das Parlament ersucht, unsere Anfrage, die Militärübungen mit dem Namen „Guardianes del Golfo“ durchzuführen, zurückzuziehen“, gab der Verteidigungsminister bekannt.

Chile

Folter und politische Verfolgung halten an

(Santiago, 5.Mai 1992, ANCHI-POONAL).- In Chile werden nach wie vor Menschen politisch verfolgt und gefoltert. Bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf wurden in den vergangenen Jahren 465 Menschenrechtsverletzungen angezeigt, davon fallen zahlreiche in die Phase nach 1990, als die zivile Regierung des Christdemokraten Aylwin die Militärdiktatur Pinochetsw ablöste. Die Chilenische Regierung hat bislang nicht auf die Anzeigen reagiert. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International informierte, sie habe Belege, daß seit dem März 1990 etliche politische Gefangenen gefoltert worden seien. Bis heute seien diese Verbrechen nicht aufgeklärt und die Verantwortlichen nicht bestraft worden. Die Regierung habe nicht einmal auf Anfragen von Amnesty International geantwortet. Allein von Carabiñeros (der uniformierten Polizei) seien in den letzten zwei Jahren 30 Menschen gefoltert worden. Häufige Foltermethoden der Sicherheitskräfte seien Elektroschocks, Vergewaltigungen und das Untertauchen in Wasser.

TV-Sender mußte Pinochet-Kritik zurücknehmen

(Santiago, 3.Mai 1992, ANCHI-POONAL).- Auf Kritik stößt das Gebaren des mexikanischen Medienriesen „Televisa“, der 49 Prozent des chilenischen Fernsehkanals“Megavision“ gekauft hat. Steine des Anstoßes waren das Verhalten des Fernsehkonzerns gegenüber den Mitarbeitern und in letzter Zeit bekannt gewordene Fälle von inhaltlicher Maßregelung. Mitte März etwa mußte der Nachrichtenchef Ricardo Rocha einen Kommentar, in dem er die 17 Jahre dauernde Militärdiktatur des General Augusto Pinochet scharf verurteilt hatte, zurücknehmen. Rocha habe einen ernsthaften Tadel für seinen Beitrag bekommen und einen Tag später einen Jubelbeitrag über Pinochet verfassen müssen. In den chilenischen Medien wurde zudem die mexikanische „Invasion der Telenovellen“, die „nicht viel zur Kultur beitragen“, kritisiert.

NICARAGUA

Mütter organisieren kommunale Küchen

(Mexiko, Mai 1992, APIA-POONAL).- Die Unterernährung ist Konsequenz vieler Faktoren. In ihr spiegelt sich nicht nur das Fehlen von Nahrung, sondern vor allem die fehlende individuelle und kollektive Organisation wider. Die Verantwortung für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen liegt deshalb nicht nur bei der Familie, sondern bei der gesamten Gesellschaft. Dies ist eine banale Weisheit, die jedoch seit der industriellen Entwicklung und der damit einhergehenden Verstädterung in Lateinamerika keine Anwendung mehr findet. In den Randgebieten der Metropolen regiert das Recht des Stärkeren, der Egoismus des Einzelnen wird zur Ideologie, gedeckt von dem sogenannten freien Markt, der sich als die Diktatur der Wohlhabenden über die Besitzlosen entpuppt. Das Warenangebot in den Geschäften Managuas und die im Straßenverkauf angebotenen Importprodukte sind daher nur scheinbare Zeichen neugewonnen Wohlstands. Gleichzeitig sind untrügliche Zeichen von Verarmung festzustellen. Zum Alltagsbild zählen längst wieder obdachlose Straßenkinder, die sich irgendwie durchschlagen. Eines von ihnen ist der siebenjährige Oswaldo Reyes. Seinen Vater, der als Lastwagenfahrer arbeitet, hat er schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Und seine Mutter hatte schlicht kein Geld, um ihn zu ernähren.Mit seinen zwei Brüdern und drei Schwestern findet er jeden Abend in einem Ziegelhaus in seinem Viertel Unterschlupf. Dort versammeln sich Kinder seines Alters, die ebenso arm sind wie er. In dem Haus verstärkt sich die Mittagshitze durch das Feuer unter den riesigen Töpfen, an denen mehrere Frauen für die Kinder kochen. Sie sind Teil der sogenannten „Ollas Comunales Soy Nica“, einem Projekt, das vor knapp zwei Jahren durch eine Sozialarbeiterin initiiert wurde. 1989 schaffte es ein Gesundheitsteam von „Soy Nica“, stillende Mütter zu organisieren zu motivieren, eine Gruppe von Kindern unter vier Monaten, die stark unterernährt waren, zu versorgen. So fanden sich 25 Mütter organisiert, die zwischen September 1989 und Februar 1990 80 Prozent der Säuglinge retteten. Heutzutage bestehen diese kommunalen Küchen „Soy Nica“ in 27 Randvierteln Managuas, mit einer Gesamtbevölkerung von 135 000 Einwohnern. „Wir sind in einem Drittel der Hauptstadt präsent“, sagt Lucy Morren, eine Ordensschwester aus Belgien, die seit 20 Jahren Projekte zur Basisernährung in ganz Zentralamerika organisiert und beraten hat. „Das größte Problem sind nicht die Kinder, sondern die Mütter, die sich oft schämen, ihre Kinder hierher zu schicken, auch wenn sie vor Hunger sterben.“ Auf dem Speiseplan der Küche im Viertel Liberia, die etwa 140 Kindern versorgt, stehen „Reis a la Valenciana“ und „Fleischbällchen“, beides aus Soja zubereitet, das nicht nur billig, sondern auch besonders nahrhaft ist. Da Soja, wenn es mit anderen Produkten vermischt wird, ihren Geschmack annimmt, kann man Sojanudeln, Sojafleisch, Sojamilch etc. zubereiten. Die Frauen, die die kommunalen Küchen organisieren, verstehen sich gleichsam als Multiplikatorinnen und Erzieherinnen, um ein Bewußtsein für die richtige Ernährung und das Wohlergehen der Kinder zu erzeugen. Die „Mütter für die Verteidigung des Lebens der Kinder“ haben Kommissionen gebildet, die die verschiedenen Aufgaben übernehmen: Küchenorganisation, Einkauf, Hygiene, Finanzen, Ernährungsüberwachung. Eine Gruppe kümmert sich ausschließlich um Ausbildungswerkstätten für die Mütter, die an dem Projekt teilnehmen.

Rotation der Aufgaben

Die Aufgaben werden nach einem Rotationssystem verteilt, damit alle in der Lage sind, jede Arbeit auszuführen und damit die Arbeit nicht zu monoton wird. „Aber es ist sehr schwer, daß die Frauen sich in das Rotationssystem eingliedern,“ sagt Miriam Lopez, die das Viertel Pablo Ubeda im Osten Managuas koordiniert. Weil das System der Organisation von oben nach unten, das die sogenannten Komitees der Sandinistischen Verteidigung (CDS) im vergangenen Jahrzehnt eingeführt haben, nach den Wahlen im Februar 1990 verschwand und eine schwer zu füllende Lücke hinterlassen hat. Seitdem hat sich eine tiefe Depression der Managuaner*innen bemächtigt. Viele fühlten sich betrogen und verlassen von ihren früheren Führer*innen, die ihre Versprechungen nicht erfüllten. Leonor Midence, Koordinatorin des Kommitees der „Mütter zur Verteidigung des Lebens der Kinder“, antwortet nachdenklich auf die Frage, ob aus den kommunalen Küchen eine übergreifende Basisbewegung entstehen könnte: „Ich weiß nicht. Alles hängt von der Zeit ab. Aber ich bin sicher, daß wir auf dem richtigen Weg sind, weil wir die Arbeitsweise verändert haben. Früher haben wir, die Führerinnen, die Bedürfnisse des Viertels bestimmt und Anweisungen formuliert. Jetzt denken wir, daß die Frauen selbst ihre Bedürfnisse anmelden müssen.“

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