Poonal Nr. 033

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 33 vom 02.03.1992

Inhalt


GUATEMALA

CHILE

EL SALVADOR

LATEINAMERIKA


GUATEMALA

Guatemala und Mexiko vereinbaren engere Zusammenarbeit

(Guatemala, 26. Febr. 1992, Cerigua-POONAL).- Guatemala und Mexiko wollen künftig auf wirtschaftlichem Gebiet stärker kooperieren. Während eines zweitägigen Besuches in Guatemala unterzeichneten der mexikanische Präsident Salinas de Gortari und der guatemaltekische Präsident Jorge Serrano acht Abkommen, die den Handel zwischen den beiden mittelamerikanischen Ländern ankurbeln sollen. Gleichzeitig mahnte der mexikanische Präsident, die Überwindung der bewaffneten Konflikte und die Schaffung eines dauerhaften Friedens seien Voraussetzungen für die Entwicklung in Lateinamerika.

Die beiden Präsidenten vereinbarten unter anderem den Bau eines Grenzhafen zwischen Mexiko und Guatemala, ein Projekt zur Stromversorgung sowie die Modernisierung eines nahe der Grenze gelegenen guatemaltekischen Hafens. Mexiko sicherte dem kleinen Nachbarn im Süden zudem neue Brennstofflieferungen zu. Die beiden Staatschefs einigten sich auch auf den Abbau von Handelshemmnissen und versprachen eine schnellere Abwicklung von Importen an den Grenzen. Salinas sagte, beide Länder müßten große Anstrengungen unternehmen, um die Wirtschaft zu modernisieren. Veraltete Produktionsstrukturen müßten verändert werden, besonders in ländlichen Gebieten. Dies sei der einzige Weg, um Stabilität auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene zu schaffen.

Als Voraussetzung für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas bezeichnete der mexikanische Präsident die Schaffung eines dauerhaften Friedens. Die Botschaft des mexikanischen Präsidenten stand in krassem Gegensatz zur militarisierten Lage in dem von Bürgerkrieg und politischer Gewalt erschütterten Land. Die Straßen in der guatemaltekischen Hauptstadt waren abgesperrrt und von Soldaten bewacht, was in der mexikanischen Presse besonders herausgestrichen wurde. Während des Besuchs des mexikanischen Präsidenten explodierte vor dem guatemaltekischen Parlament eine Bombe, verletzte einen Passanten und verursachte Materialschäden. Fast zum gleichen Zeitpunkt konnte eine Dynamitladung in der Universität San Carlos entschärft werden, weitere fünf Sprengladungen wurden im Zentrum der Hauptstadt desaktiviert.

Der Rektor der San-Carlos-Universität, Alfonso Fuentes, überreichte dem mexikanischen Staatschef eine Anerkennungsurkunde für dessen Hilfe in den Friedenverhandlungen zwischen den guatemaltekischen Streitkräften, der Regierung und der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG), die in Mexiko stattfinden. In seiner Ansprache in der Universität betonte Salinas erneut, daß Frieden und Entwicklung die Prioritäten in Lateinamerika seien. Ungeachtet der massiven Repression, der die guatemaltekischen Universitäten ausgesetzt sind, sagte der mexikanische Präsident, daß in Mexiko wie in Guatemala die Universitäten einen Freiraum darstellten, um Ideen und Hoffnungen auszudrücken. Sie könnten dazu beitragen, Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung zu erlangen.

Regierung provoziert Eklat bei Ministertreffen

(Guatemala, 26.Febr.1992, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Regierung hat bei einem Ministertreffen von zentralamerikanischen und europäischen Ländern in Lissabon einen Eklat verursacht. Sie weigerte sich, an der Konferenz teilzunehmen, falls die guatemaltekische Oppositionsvertreterin Rigoberta Menchu anwesend sei. Der Leiter der guatemaltekischen Delegation, Kanzler Gonazlo Menendez Park, und der christdemokratische Politiker Roberto Carpio Nicolle denunzierten die international anerkannte Indigena- Führerin als „subversiv“. Die zu dem Treffen geladenen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verließen aus Protest gegen das Verhalten der guatemaltekischen Regierung die Konferenz.

Rigoberta Menchu, Mitglied der Vereinigten Vertretung der Opposition in Guatemala (RUOG) und Kandidatin für den Friedensnobelpreis 1992, bezeichnete die Weigerung der guatemaltekischen Regierung als einen Beweis für ihre Intoleranz und Unversöhnlichkeit. Offensichtlich habe die Regierung von Jorge Serrano Elias befürchtet, daß sie die Menschenrechtsverletzungen in Guatemala zur Sprache bringen werde und die europäischen Staaten mit der Einstellung der Wirtschaftshilfe reagieren könnten. Tatsächlich sieht sich die guatemaltekische Regierung einem wachsenden internationalen Druck gegenüber, da sie kaum etwas unternimmt, um die elementaren Grundrechte in dem mittelamerikanischen Land zu sichern. Diverse Geldgeber haben bereits die Hilfe gestoppt.

Die Mehrheit der Delegierten zeigte sich „überrascht“ von dem Verhalten der Regierung Jorge Serrano Elias`, nicht an einem Treffen teilzunehmen, bei dem eine Oppositionsführerin anwesend ist. Die Delegierten der Nichtregierungsorganisationen verließen die Konferenz, als eine Gruppe von Polizisten sich an Rigoberta Menchu wand, um sie auf Gesuch des Kanzlers Menendez Park aufzufordern, das Treffen zu verlassen. In einer Erklärung forderten die Nichtregierungsorganisationen die zentralamerikanischen und europäischen Länder auf, Druck auf die guatemaltekische Regierung auszuüben, damit sie den Dialog mit den Rebellen der Revolutionären Nationalen Vereinigung Guatemalas (URNG) forciere. Die Verhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien sind in der Frage der Menschenrechte ins Stocken geraten.

CHILE

Kuba benennt Konsul in Chile

(Santiago, 26. Febr. 1992, ANCHI-POONAL).- Die kubanische Regierung hat den Karrierediplomaten Ramon Perez Yerro als Konsul in Chile benannt. Damit normalisieren Kuba und Chile ihre diplomatischen Beziehungen. Nach dem Militärputsch im Jahr 1973 durch General Pinochet, der den chilenischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt hatte, hatten Kuba und Chile die diplomatischen Vertretungen abgezogen. Im vergangenen Januar hatte Chile bereits einen Konsul nach Havanna entsandt. Perez Yerro war bislang Erster Sekretär der kubanischen Botschaft in Mexiko. Er erklärte, er komme „mit der Mission, daß die Verbindungen sich zum Nutzen beider Länder entwickeln mögen.“ Chile und Kuba haben auch begonnen, die wirtschaftlichen Beziehungen zu verstärken und den bilateralen Handel anzukurbeln, etwa in den Bereichen Tourismus, Zitrusfrüchte, Getreide, Unternehmenszubehör und Luft- und Schiffahrt.

Kandidatenschau für Präsidentschaftswahlen

(Santiago, 26. Febr. 1992, ANCHI-POONAL).- Der Senator Anselmo Sule, hochrangiger Funktionär der Radikalen Partei, wird vermutlich für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr kandidieren. Sule wird wahrscheinlich als Kandidat der Radikalen Partei ins Rennen um das höchste Amt gehen. Spekulationen, er werde als gemeinsamer Kandidat der regierenden „Demokratischen Gruppe“ aufgestellt, scheinen derzeit wenig wahrscheinlich. Anselmo Sule war Vizepräsident der Sozialistischen Internationalen und lebte viele Jahre im Exil in Mexiko, wo er verschiedene Linksbündnisse anführte, zu denen auch die Kommunistische Partei und die Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) gehörte.

Ex-Minister Allendes ist Kandidat der Linken

Pedro Vuskovic, Ex-Wirtschaftsminister Chiles während der sozialistischen Regierung Salvador Allendes, wird ebenfalls für die Präsidentschaft kandidieren. Sprecher der „Bewegung der Demokratischen Linken Allendes“ (MIDA), eine Sammelbewegung der chilenischen Linken, versicherten dies der Nachrichtenagentur „ANCHI“ gegenüber. Eine offizielle Entscheidung steht jedoch nochaus. Vuskovic war einer der Spitzenfunktionäre der Sozialistischen Partei, studierte Ökonomie an der Universität von Chile, war unter Salvador Allende Wirtschaftsminister und lehrt derzeit an der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM). Vuskovic war in Mexiko fast während der gesamten Zeit der Militärdiktatur im Asyl. Die Chilenische Linke, zu der Parteien wie die Kommmunistische Partei und sozialistische Gruppierungen zählen, kann Meinungsumfragen zufolge mit einem Stimmenanteil von 15 Prozent rechnen. Bis jetzt stehen folgende Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen fest: Eduardo Frei Ruiz Tagle für die Christdemokratische Partei; Pedro Vuskovic für die Bewegung der Demokratischen Linken Allendes (MIDA); Ricardo Lagos für die Vereinigte Sozialistische Partei und die Partei für die Demokratie; Hernan Buchi für die Rechte Vereinigung Unabhängiger Demokraten, Sergio Onofre Jarpa für die Partei der Nationalen Erneuerung.

Militante Sozialisten und Generäle im chilenischen Sicherheitsrat

(Santiago, 26. Febr. 1992, ANCHI-POONAL).- Ein Bündnis aus Christdemokraten, Sozialisten und gemäßigten Kräften der Streitkräfte kontrolliert die chilenischen Sicherheitskräfte. Die chilenische Regierung hat den Koordinationsrat der Öffentlichen Sicherheit, der für die Bekämpfung des Terrorismus und die allgemeine Sicherheit zuständig ist, neu strukturiert und dessen Kompetenzen erweitert.

Als Präsident des Sicherheitsrates wurde der christdemokratische Anwalt Jorge Burgos benannt, unter den Beisitzern sind der Sozialist Marcelo Schilling (der im Exil in Mexiko war), der Polizeigeneral Hernan Arangua und der Polizeipräfekt der Untersuchungen Juan Fieldhouse. Als Exekutivsekretär wurde der Akademiker Hugo Frühling benannt.

Dieses Gremium koordiniert alle Aktionen der Geheimdienste und die Operationen der verschiedenen Polizeieinheiten, die zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden. Lokale Beobachter heben die Tatsache hervor, daß hohe Polizeioffiziere jetzt in enger Verbindung mit Anhängern der Linken und der Christdemokraten handeln. In diesem Zweckbündnis wird die Ursache für die relative politische Stabilität nach dem Ende der Militärdiktatur gesehen.

EL SALVADOR

Marginalisiert und totgeschwiegen: Indígenas in El Salvador

– 1. Teil

(Mexiko, Febr. 1992, APIA-POONAL).- Sie bilden rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, doch im öffentlichen Leben spielen sie kaum eine Rolle: Die Existenz von Indigenas wird in El Salvador totgeschwiegen. Selbst aufgeklärte Hauptstadtbewohner, etwa Professoren oder Studenten, reagieren irritiert auf die Frage, ob es in ihrem Land Indigenas gebe. Die Mehrzahl verneint. Die Unkenntnis verwundert nicht. Denn in El Salvador wurden die ethnischen Minderheiten in den vergangenen Jahrzehnten an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Sie zählen zu dem Heer der verarmten Landbevölkerung, die der Willkür der nahezu allmächtigen Kaffeeoligarchie ausgesetzt sind.

Die Massaker von 1932

Bis heute sind die Massaker an der Landbevölkerung im Jahr 1932 in traumatischer Erinnerung. Anfang der dreißiger Jahre organisierten sich landlose Indigenas, um das Land einzufordern, das man ihnen weggenommen hatte. Die diktatorische Regierung Maximilian Hernandez Martinez' bezeichnete sie als Kommunisten und begann einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug gegen die aufständische Landbevölkerung. Bevorzugte Ziele des Staatsterrors waren Agrarkooperativen, da sie für das Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit standen und als Zellen des Aufruhrs galten. Eines der brutalsten Massaker war der Angriff auf die Kooperative Las Hojas im Februar 1933, bei dem 74 Indigenas von Soldaten ermordet wurden. Die Indigenas, die überlebten, versteckten sich in Höhlen und Schluchten, wechselten ihre Tracht, gaben ihre Bräuche auf und verheimlichten ihre Muttersprache, da sie den Terror des Staates fürchteten. Die Organisationen wurden zerschlagen, die Anführer gefoltert und umgebracht, wie etwa die legendären Feliciano Ama und Francisco Sanchez, die der Diktator Maximilian Hernandez Martinez zur Abschreckung öffentlich hängen ließ.

Feliciano Ama und Francisco Sanchez gelten neben Anastasio Aquino und Atanol zu den vier historischen Führern der indigenen Völker El Salvadors. Atanol führte die Indigenas gegen die spanischen Invasoren an und verwundete den Eroberer Pedro Alvarados. Anastasio Aquino war der Führer der indigenen Bewegung der Nonoalcos gegen den Präsidenten Mariano Prado, der 1833 umgebracht wurde.

Die Reorganisation der Bewegung

Nach den Massakern, der Ermordung der Anführer und der Zerschlagung der Organisationen begannen die indigenen Völker – trotz anhaltender Repression – sich zu reorganisieren. Die Lencas in der Provinz Morazan organisierten sich in Gutsverwaltungen, die mit der katholischen Kirche und dem Bürgermeister zusammenarbeiten. In den siebziger Jahren konnten sich die Indigenas in Sonsonate mit der Unterstützung der Christdemokraten (DC) politisch organisieren. Sie gründeten einen nationalen Indigena-Verband (ANIS), der einen Sozialpakt mit den regierenden Christdemokraten einging. Das Bündnis mit der DC zerbrach jedoch, nachdem die Zusicherungen an die Indigenas nicht eingehalten wurden. Ein Flügel spaltete sich ab und bildete den Verband der Salvadorianischen Demokratischen Idigenen (ASID), der die Allianz mit den Christdemokraten aufrechterhielt. Der Mehrheitsverband ANIS dagegen nahm eine zunehmend distanzierter Haltung zur Regierung ein und schloß sich mit anderen Gewerkschaften und LandarbeiterInnenorganisationen in dem Nationalen Verband der Salvadorianischen Arbeiter*innen (UNTS) zusammen. Der UNTS nimmt an dem gesellschaftlichen Dialog teil, dem sogenannten Ständigen Kommitee der Nationalen Debatte (CPDN), eine Art salvadorianischer runder Tisch zur Überwindung der Krise.

Die Beteiligung des ANIS an diesen Organisationen sowie die Positionen, die er gegen die staatliche Repression und für eine Beendigung des Bürgerkriegs zwischen den Rebellen der FMLN und dem Staat bezog, haben ihn wiederholt zur Zielscheibe von Anschlägen der Sicherheitskräfte und paramilitärischer Gruppen gemacht. Im Moment befinden sich beide indigenen Organisationen in der Opposition und unterhalten gute Beziehungen zueinander.

Die oberste Autorität der Indígenas ist der Rat der Ältesten; ihm folgt der Vorstand mit der Vertretung der 12 Kooperativen. Der Ältestenrat benennt den Kaziken, den geistigen Führer der Bewegung. Derzeit nimmt diese Position Adrian Esquino Lisco ein. ANIS verfolgt das Ziel, die Rechte seiner Mitglieder zu verteidigen, ihre Bräuche zu bewahren und die indigenen Völker der Mayas, Lencas und Nahuas vereint zu halten.

Die indígenen Völker der Mayas, Lencuas und Nahuas sind über das gesamte salvadorianische Territorium verst reut. Die Mayas haben ihren Stammsitz in der nördlichen Zone von Santa Ana und Chalantenango. Sogar in Tazumal, San Andres, Ipaltepeque, Cihuatan, Tehuacan und Quelepa sind Spuren der antiken Mayas zu finden. Die Lencas leben östlich des Flusses Lempa, vor allem im nördlichen Teil von San Miguel und Morazan. Die Nahuas befinden sich zwischen dem Fluß Paz und dem Fluß Lempa, in der südlichen Zone von Ahuachapan bis La Paz. Nur wenige verfügen über ausreichende und fruchtbare Ländereien, die den Lebensunterhalt sichern. Und in dem Kampf um das Überleben können die Indigenas kaum auf die Hilfe des Staates hoffen. Es gibt keine besonderen Programme zur Entwicklung des ländlichen Gebietes. Kredite für Samen, Dünger und ländliche Vorprodukte fließen nur mühsam, zugesagte Hilfsgelder werden häufig verzögert. Andererseits droht eine schleichende Entwiegnung durch ungünstige Kreditbedingungen. Wenn der Anbau durch Trockenheit geschädigt wird, können die Kredite nicht an die Banken zurückgezahlt werden; die Schulden wachsen und treiben Kooperativen und Einzelbauern in die Verelendung.

Viele indígene Gruppen, vor allem die Nahuizalco in Sonsonate und die Lencuas von Cacaopena schufen durch das Kunsthandwerk eine zusätzliche Einkommensquelle. Sie gründeten Kooperativen und Werkstätten, die Keramik, Textilien aus Korb, Yute und Palmen, Hängematten und Sombreros herstellen. Der Verkauf dieses Kunsthandwerks bringt den indigenen Familien Einkünfte, aber es sind die Groß- und Zwischenhändler*innen, die den größten Teil der Gewinne einstreichen. Im laufenden Jahr haben die Indígenas Aktivitäten mit ökologischen Organisationen abgesprochen, Kampagnen zum Schutz der Umwelt durchzuführen. Die Natur hat für die Indigenas einen heiligen Charakter, der Respekt vor ihr als Spenderin von Luft, Wasser und Feuer nimmt in indianischen Mythen einen festen Platz ein.

In Versammmlungen appelliert der Kazike von ANIS an das Gewissen der Mitglieder, die Umwelt zu schützen und sie nicht mit Abfällen und Pestiziden zu verseuchen. In den indigenen Dorfgemeinschaften werden traditionelle Anbaumethoden belebt, um den Einsatz von teuerm Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln zu verringern. Die Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen spielt auch in der medizinischen Versorgung eine große Rolle. Naturheilkräuter werden als Ersatz für kaum erschwingliche Pharmaka empfohlen und helfen, Krankheiten und körperliche Leiden zu lindern. Viele lehnen chemische Medikamente völlig ab und sind überzeugt, daß ihre Vorfahren ein langes Leben genossen, weil sie keinen Gebrauch davon machten.

Der Kampf um die eigene Sprache

Eine der Hauptsorgen von ANIS ist der Erhalt ihrer Muttersprache Nahuatl. Nach den Massakern im Jahr 1932 sah der Staat in dem Gebrauch von Nahuatl ein Zeichen von Subversivität. Wer die eigene Sprache in der Öffentlichkeit benutzte, lief Gefahr verfolgt, gefoltert und ermordet zu werden. Daher sprechen nur noch wenige Nahuatl, Jugendliche schämen sich häufig, ihre Muttersprache zu benutzen, da sie nach wie vor Diskriminierung und Geringschätzung fürchten. Trotz großer Schwierigkeiten hat ANIS es geschafft, eine zweisprachige Nahuatl-Spanisch-Schule in einer ihrer Kooperativen zu errichten. Für den Unterricht haben sie mit Unterstützung der Universität von El Salvador Material in Nahuatl erstellt. Die Lencas haben, durch mündliche Überlieferung, ebenfalls ihre Muttersprache Ulua erhalten.

LATEINAMERIKA

Menschenrechte für Frauen

(Ecuador, Febr.1992, alai-POONAL).- Zu diesem Thema gibt es verschiedene Positionen. Eine erste besagt, daß die Rechte der Frauen schon in den Menschenrechtserklärungen enthalten sind, folglich sei eine Debatte über Frauenrechte nicht erforderlich. Wenn wir hingegen die extreme Gewalt gegen Frauen betrachten, besonders in Ländern, wo sie unter politischer Verfolgung leiden, stellen wir fest, daß die Rechte der Frauen nicht ausreichend durch Menschenrechtsorganisationen berücksichtigt werden.

Eine andere Position verweist darauf, daß Menschenrechte die Rechte der Frauen innerhalb der feministischen Debatte integrieren müssen: es handele sich nicht nur darum, die Rechte der Frauen den Menschenrechten zuzufügen; vielmehr müsse gefragt werden, warum die Rechte der Frauen nicht beachtet werden. Normalerweise wird der Situation der Frauen in den Ländern, denen internationale Menschenrechtsorganisationen politische Gewalt und Unterdrückung vorwerfen, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Gemeinhin wird Gewalt als Methode politischer Repression angesehen. Wer sind die „Menschen“ im Konzept der Menschenrechte? Immer noch sind in gewisser Weise die Männer die „Menschen“, die Situation der Frauen wird in der Menschenrechtskonzeption übergangen. Diese Konzeption muß erweitert werden, die Dimension „Geschlecht“ und besonders die Gewalt, die Frauen erleiden, muß einbezogen werden.

Es gibt einige Punkte, in denen die Gruppen übereinstimmen, die an dieser Debatte auf dem Frauenkongreß in Peru teilgenommen haben. Der erste ist der Kampf gegen Gewalt und Einschüchterung. Es gibt aber auch Forderungen der Frauen, die nicht Konsens sind. Die Themen Müttersterblichkeit und legale Repression bei Abtreibung beispielsweise werden in den Menschenrechtskonzeptionen nicht berücksichtigt. Eine kritische Haltung gegenüber der Aufstellung dieser Rechte ist notwendig; auch die Menschenrechtsorganisationen müssen erklären, was die Rechte sind und welche Bevölkerung sie verteidigen und schützen. Hier liegt ein Streit zwischen mehreren Fronten. Wenn wir von einem neuen Konzept sprechen, sprechen wir aus einer Perspektive, die von der Gleichheit zwischen Männern und Frauen ausgeht, die Gleichheit aber auch als Respektierung und Anerkennung der Unterschiede versteht.

Eine der Aufgaben, die wir uns stellen, ist die, in den rechtlichen Vorschlägen weiterzukommen. In Lima wurde ein Dokument erarbeitet, das von verschiedenen Ländern unterzeichnet wurde und die Abschaffung aller Formen von Diskriminierung verlangt. Eine weitere Aufgabe besteht in der Diskussion mit allen Menschenrechtsorganisationen, um sie für die Integration der Rechte der Frauen zu sensibilisieren.

Formen der Gewalt gegen Frauen

Eine andere Aufgabe ist es, die speziellen Formen der Gewalt gegenüber Frauen anzuklagen, die als solche nicht anerkannt werden. Wir kennen die Zahl einer halben Million Frauen, die jährlich aus Gründen der Mutterschaft oder wegen Abtreibung sterben. Genaue Zahlen über Vergewaltigungen von Frauen haben wir nicht; nicht nur in den Ländern, in denen Frauen unter politischer Gewalt leiden, sondern im Allgemeinen. Ebensowenig sind eindeutige Zahlen über Klitorisbeschneidungen bekannt, die Frauen aus kulturellen Gründen erleiden. Nicht erwähnt sind auch andere alltägliche und unsichtbare Formen, wie die Beraubung des Rechts auf Arbeit, die Verweigerung der Bewegungsfreiheit, Beschränkungen in der Erziehung etc.

Es ist wichtig, dies alles vorzubringen, um die Konzeption der Menschenrechte zu ändern, die bislang einen verengten Begriff von politischer Gewalt beinhaltet. Die Medien vermitteln uns dieses Bild. Trozdem wurde die Verteidigung der Menschenrechte im Lauf der Zeit eine Domäne der Frauen. Wir haben konkrete Beispiele aus jüngster Vergangenheit: die Mütter der Plaza de Mayo, die Frauen von Ayacucho etc. So gab es eine Trennung zwischen dem Eintreten für die Menschenrechte, das durch die Frauen übernommen wurde und ihrem Ausschluß aus der Konzeption und ihrer praktischen Anwendung. Manche empfinden das Reden über Menschenrechte für Frauen als Sektionismus. Vor allem in den Ländern, die politische Gewalt erleben, ist das Reden über Menschenrechte für Frauen etwas, was keine Priorität hat, es muß zuerst über die Menschenrechte geredet werden, die „am meisten verletzt“ werden; die Rechte der Frauen werden einem vermeintlich schwerwiegenderen Problem untergeordnet, während aus unserer Sicht die Berücksichtigung der Frauenrechte den Horizont der Menschenrechte erweitert. Frauenrechte sind bisher nicht beachtet, werden aber stark verletzt.

Wir haben eine gewissen Öffnung von Seiten einiger internationaler Organisationen wie amnestie international vorgefunden. Die Frauenbewegung trat dafür ein, das Recht auf freie sexuelle Wahl als Menschenrecht zu erklären. Es sind eine Reihe von Fortschritten zu verzeichnen, aber auf lokaler und nationaler Ebene ist es schwierig, dem Menschenrechtsbegriff eine neue Bedeutung zu geben. In vielen Ländern werden die Menschenrechte weder der Männer noch der Frauen beachtet oder respektiert. Wir treten für die Rechte von allen ein. Frauen haben wesentlich zur Verteidigung von Menschenrechten beigetragen, doch wird diese Arbeit noch wenig anerkannt. Diese Arbeit, die die Frauen in der Vergangenheit immer schon geleistet haben, muß sichtbar gemacht werden. Wir müssen mit Kraft unsere Präsenz zur Wahrnehmung bringen.

Ökologie und Entwicklung in Lateinamerika

(Ecuador, Febr.92, alai-POONAL, Fortsetzung).- In zwei Beiträgen, die in POONAL Nr. 30 und 31 veröffentlicht wurden, wurde das Verhältnis von wirtschaftlicher Modernisierung und ökologischer Zerstörung untersucht. Der Autor konstatierte ein geringes Interessen der Eliten an dem Schutz der natürlichen Ressourcen und differenzierte dabei zwischen drei verschiedenen gesellschaftlichen Koalitionen, die die wirtschaftliche Strategie in den jeweiligen Ländern bestimmten:

1. Das traditionelle oligarchische Schema: Die industrielle Modernisierung wird von den exportorientierten Agrar- und Bergbauoligarchien vorangetrieben (Beispiel Mexiko, Argentinien)

2. Das populistische Nationalschema: Als Folge der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren sahen sich viele Länder Lateinamerikas zu einer Politik der Importsubstitution gezwungen. Sie fiel mit dem Aufstieg einer neuen Mittelschicht zusammen. Es wurde eine den europäischen Ländern nachempfundene Industrialisierung angestrebt, die jedoch Reformen notwendig machte, die die Macht der traditionellen Oligarchien beschnitt.

In dieser Ausgabe wird das dritte Modell analysiert und mit den beiden erstgenannten verglichen:

3. Das neoliberale Schema: Es legt vor allem Wert auf die Programme zur Währungsstabilisierung als fundamentale Voraussetzung für „Entwicklung“ und findet in dem „Monetarismus“ seine theoretische Grundlage.

Monetarismus – Reaktion auf Hyperinflation

Die große Bedeutung, die der Monetarismus erlangte, wurde vor allem durch das Inflationschaos, das durch die nationalpopulistische Allianz bei dem Versuch hervorgerufen wurde, die enorme Ausdehnung des Klientels, das sie umgab, durch eine großzügige staatliche Subventionspolitik zu befriedigen. Aus einer technokratischen Sichtweise forderte dies die Durchführung von Maßnahmen zur Währungsstabilisierung, die ihrerseits nicht durchführbar waren, ohne die Machtbündnisse während der Periode der „Importsubstitution“ aufzulösen.

Eine andere begünstigende Bedingung für den Neoliberalismus war die internationale Reorganisierung der wirtschaftlichen Beziehungen als Ergebnis einer neuen „internationalen Arbeitsaufteilung“, Nebenprodukt der technologischen Entwicklung, die in einigen hochindustrialisierten Ländern stattfand. In der Tat werden sich viele nichtindustrialisierte Länder in den Zeiten der „dritten industriellen Revolution“ von der Möglichkeit, die vermuteten Ziele der Entwicklung auf dem industriellen Weg zu erreichen, verabschieden müssen, und zwar für lange Zeit. Aus dem einfachen Grund, daß das Interesse daran in den hochindustrialisierten Ländern immer geringer wird.

In anderen Worten: der Typ der in der Vorherrschaft der Schwerindustrie und des Massenkonsums basierenden Produktion, der von einigen Theoretikern als „Fordismus“ bezeichnet wird, hat in seinen Ursprungsländern schon den Rückzug angetreten. Er wird in den sogenannten unterentwickelten Ländern überflüssig. Diesen Ländern bleibt auf den internationalen Märkten keine Alternative, als sich in ihrer Rolle als Primärprodukt-Exporteure zu behaupten.

So sind die „historischen“ Aufgaben, die sich die neoliberalen Führungen vornehmen, die folgenden drei: – Die Inflationsspirale aufzuhalten, die eine politische „Schocktherapie“ erfordert: die drastische Reduzierung von Löhnen und Gehältern und die Beendigung der Allianz zwischen industrieller Elite und den bestorganisierten Gewerkschaftsparteien (die schlechter organisierten waren ja nie an ihr beteiligt). – Einen Großteil des industriellen Sektors zu demontieren oder zu privatisieren, was Massenentlassungen impliziert. – Die Infrastruktur zu erzeugen, die zur Einführung einer Politik der Exporterweiterung, Losung des Augenblicks für die „Ersetzung der Importe“, unerläßlich ist.

Schocktherapie und politische Repression

Wie man folgern kann, machen es die drei Hauptaufgaben zur Einführung des Neoliberalismus praktisch unmöglich, daß diese sich ohne die Einbindung in autoritäre oder schlicht diktatorische politische Systeme verwirklichen können. Es verwundert also nicht, daß das Pionierland in der „Exporterweiterung“ Chile ist, das sich wirtschaftlich während der Pinochet-Diktatur formierte. Das soll nicht heißen, daß die lateinamerikanischen Diktaturen der jüngsten Vergangenheit Produkt des Neoliberalismus sind. Dennoch ist die wirtschaftliche Schocktherapie von politischer Repression nicht zu trennen, vielmehr ist das eine die Bedingung für das andere. Ebensowenig sollte die Tatsache verwundern, daß während der Periode der autoritären Regime die unbarmherzigsten Angriffe auf die Natur verübt wurden.

Während der Zeit der Militärregierungen in Brasilien fand beispielsweise in Amazonien mit allen seinen Bewohnern die „puesta en valor“ statt. Für die Militärs stellte das Amazonasgebiet in der Tat ein geopolitisches Problem dar. Für sie war es nichts weiter als ein „leeres Gebiet“, das „annektiert“ und in jene vermutlich durch den Nationalstaat kontrollierte Wirtschaft integriert werden mußte. Für die brasilianischen Wirtschaftsplaner*innen ihrerseits hatte der enorme Reichtum der Vegetation und der Genetik der tausendjährigen Wälder keinerlei Wert mehr. (Für die Wachstumswirtschaft existiert „Wert“, wenn Dinge und Menschen zu vermarkten sind; aus diesem Grund waren auch die Tausende der Indianer „wertlos“). So formierten sich das, was ich an anderer Stelle als „Amazonische Produktionsweise“ bezeichnet habe. Sie kann als ein ökonomischer, politischer und militärischer Komplex bezeichnet werden, der objektiv an der Zerstörung der Natur orientiert ist in der Funktion der umgehenden Erlangung der Gewinne, die in letzter Instanz durch den Weltmarkt absorbiert werden.

Jetzt ist also eine der Vorbedingungen der Realisierung der Exporterweiterung die Fähigkeit, umgehend auf die Nachfragen des externen Marktes antworten zu können. In diesem Sinn lassen sich die Auswirkungen dessen auf die Naturreproduktion schon erraten. Die Felder der lateinamerikanischen Länder können schon seit vielen Jahren nicht mehr für ihre Bewohner produzieren. Man sät und erntet nur, was exportierbar ist; oftmals bedeutet das, daß die natürlichen Bedingungen der Reproduktion übergangen werden. Egal, ob das gestern noch fruchtbare Land morgen Wüste ist. Der „ökonomische Augenblick“ entscheidet. Von daher verwundert es nicht, daß das Ergebnis der Politik der „Exporterweiterung“ der ökonomische Ruin der unmittelbaren Produzent*innen nach sich zieht: der Indios und der Campesinos. Darum ist es unmöglich, in Lateinamerika die „ökologische Frage“ von der „landwirtschaftlichen Frage“ und von der „Frage der Indigenen“ zu trennen. Die Ökologie ist nicht nur das Thema der „Umwelt“, auf das die „Wachstumsökonomen“ es zu beschränken versuchen. In Lateinamerika ist es notwendigerweise ein soziales und politisches Thema.

Das Gemeinsame der drei Schemata

Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den drei erwähnten Schemata. Aber trotz dieser Unterschiede haben sie einige Gemeinsamkeiten. Alle drei Modelle implizieren eine Modernisierung, verstanden im Sinne von industrieller Entwicklung, und alle drei verstehen die Entwicklung als Synonym des Wirtschaftswachstums, das nur über den industriellen Weg erreicht werden kann. Alle drei unterstützen gleichzeitig, daß der industrielle Entwicklungsprozeß nicht durchgeführt werden kann, ohne daß ein Prozeß der Akkumulation vorangestellt wird. Und es ist offensichtlich, daß diese Kapitalanhäufung nur durch die systematische Ausbeutung der Bevölkerung und der Natur erreicht werden kann. In dem dargelegten Sinn bedeutet die Berücksichtigung der ökologischen Frage nicht, den gültigen Entwicklungsprogrammen ein neues Thema hinzuzufügen. Es handelt sich im Gegenteil darum, eben jene biologische (oder evolutionäre) Idee der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Gestaltung einer neuen Art der sozialen Radikalität umzustürzen. Das erlaubt die neue Gründung der sozialen Bündnisse, die die Bedürfnisse der Natur einschließt, die an erster Stelle die der unmittelbaren Verbraucher*innen sind, aber an zweiter Stelle die von uns allen.

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