Obama: Ich kam, sah und sagte… nichts

von Frida Modak

(Quito, 28. März 2011, alai).- Der Titel dieses Artikels stammt nicht von mir. Ich selbst habe ihn von José Piñera übernommen, der mit diesen Worten die Rede des amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten kommentiert. Die Tageszeitung El Mercurio veröffentlichte die Stellungnahmen zahlreicher Persönlichkeiten zur Rede Obamas in Chile. Das komplette Zitat lautet: „’Ich kam, sah und siegte’, soll Cäsar nach einer siegreichen Schlacht zum römischen Volk gesagt haben. ‚Ich kam, sah und sagte nichts’ – So könnte Obama heute das Ergebnis seiner Lateinamerika-Reise zusammenfassen“.

Während der chilenische Präsident Sebastián Piñera sich sehr zufrieden mit dem Besuch Obamas zeigte, steht sein Bruder José, der unter Pinochet als Bergbau- und Arbeitsminister tätig war, mit seiner Kritik keinesfalls alleine da. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei erklärte: „Die US-Amerikaner sind dafür bekannt, eine beeindruckende Show hinzulegen, dabei ist es am Ende immer das Gleiche, nämlich viel Lärm um nichts.“

Viel Lärm um nichts

Der christdemokratische Senator und Präsident der Kommission für die chilenischen Außenbeziehungen bedauerte öffentlich, dass Obama „die Themen, die uns Lateinamerikanern und Chilenen am Herzen liegen, nicht angesprochen“ habe. „Es kamen keine Vorschläge zu den Fragen, wie wir die Armut bekämpfen, der Problematik der steigenden Migration Herr werden oder den Protektionismus in der Agrarwirtschaft beenden können. Kein Wort zur Beendigung des Embargos gegen Kuba. Und auch kein Wort der Entschuldigung hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen, die auf die Kosten der US-Regierung gehen.“

Zahlreiche Kommentare dieser Art sind in El Mercurio veröffentlicht; auch in der internationalen Presse waren etliche kritische Stimmen zu vernehmen. So berichtete die Deutsche Presseagentur, Obama habe sich für eine interamerikanische Allianz ausgesprochen, dabei jedoch offen gelassen, wann und in welcher Form diese vonstatten gehen solle, und sich jeglicher verbindlicher Zusagen enthalten.

Obama unter Zeitdruck

Seine Lateinamerikareise vom 19. bis zum 22. März, die ihn nach Brasilien, Chile und El Salvador führte, absolvierte Obama aufgrund der Ereignisse in Libyen unter erheblichem Zeitdruck. Immer lauter werdende Vorwürfe, seine Unterstützung der militärischen Intervention in Libyen seien verfassungswidrig, zwangen ihn, seine Besuche in Chile und El Salvador abzukürzen.

Doch es bringt nicht viel, wenn der US-Präsident nicht wirklich etwas sagt. Er machte Vorschläge, die er nicht erläuterte. Forderungen ignorierte er, was auch schon eine Stellungnahme ist. Obama schlug vor, das in den Sechziger Jahren von Präsident Kennedy initiierte Lateinamerika-Programm „Allianz für den Fortschritt“ wieder aufleben zu lassen; doch er vermied es, ins Detail zu gehen, was ebenfalls viel aussagt.

Brasilien

Obamas Lateinamerikabesuch gestaltete sich von Anfang an alles andere als harmonisch, denn von Brasilien aus ordnete Obama die Bombardierung Libyens an. Der Angriff wurde von den USA angeführt und war mit seinen Verbündeten abgesprochen. Bei der Abstimmung des UN-Sicherheitsrats über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen hatte sich Brasilien enthalten. Dies komme einer Kriegshandlung gleich, hatte vor einigen Wochen ein US-amerikanischer General erklärt.

Die Möglichkeit, seinen Lateinamerikabesuch aufgrund der Ereignisse in Libyen zu verschieben, zog Obama nicht in Betracht: Möglicherweise hatte er darauf gehofft, durch seine Abwesenheit weniger in den Verlauf der Ereignisse involviert zu werden. Doch tatsächlich begleitete die Bombardierung Libyens seine Reise in Lateinamerika – und auch der von Brasilien aus gegebene Marschbefehl hatte Konsequenzen: So sagte Ex-Präsident Lula ein gemeinsames Abendessen mit Staatsoberhaupt Dilma Rouseff und Obama aus diesem Grund ab.

In Brasilien existiert eine starke arabische Gemeinschaft, die auf die Zeit der portugiesischen Kolonisierung zurückgeht. Mehr als ein Jahrhundert stand Portugal unter arabischem Einfluss, eine Tatsache, die in der US-amerikanischen Außenpolitik anscheinend keine ausreichende Berücksichtigung findet. So ließe sich zumindest erklären, wieso Obama in einer öffentlichen Rede kundtat, die Umwandlung der brasilianischen Gesellschaft sei beispielhaft für die arabische Welt. Natürlich erklärte er später in Santiago, Chile sei das Land mit Vorbildcharakter für die Region und für die gesamte Welt.

Chile

Noch in Brasilien soll Obama laut Pressemitteilungen angekündigt haben, „unsere Vision für die Hemisphäre, basierend auf einer gleichrangigen Allianz, für die ich mich seit Beginn meiner Präsidentschaft eingesetzt habe“, zu erläutern. In Chile angekommen, begann er seine Rede mit den Worten: „Wir alle sind Amerikaner. Todos somos Americanos”. In der Folge nahm er Bezug auf die bereits bestehende Allianz der lateinamerikanischen Länder untereinander und erklärte, diese Region trage „zum Reichtum und zur Sicherheit der gesamten Welt“ bei und werde daher „auch für die Vereinigten Staaten immer wichtiger“ – spätestens hier sollten beim geneigten Zuhörer die Alarmglocken läuten. „Die interamerikanische Allianz kennt kein Oben und kein Unten, sondern nur gleichrangige Partner“, heißt es weiter, und eine gleichrangige Partnerschaft erfordere auch gemeinsame Verantwortung. Das Ergebnis könnte eine demokratische Beziehung sein, setzte man die Gleichheit der Beteiligten voraus. Doch ein solches Verhältnis besteht faktisch nicht.

Nichtsdestotrotz ist dies die Basis des Gedankengangs, dessen Ausmaß allzu leicht zu erahnen ist: Wenn sich Lateinamerika in einer Art und Weise entwickelt, die den USA entgegenkommt, kommt uns auch die Allianz entgegen. Hier gibt es entdeckte und unentdeckte Erdölquellen in Hülle und Fülle, dazu die rohstoffreichen Regionen Amazonien und Antarktis mit ihren enormen Süßwasservorkommen. Was Obama gänzlich unerwähnt ließ ist die Frage, welches Interesse wir haben sollten, uns mit seinem Land zu verbünden, bei all unserer Zukunftsfähigkeit und all unserem Rohstoffreichtum. Derzeit besteht weltweit reges Interesse an unseren Ressourcen, und möglicherweise befinden sich unter den zahlreichen Interessierten auch welche, die uns bessere Konditionen bieten und weniger verlangen.

“Etwas abgeben, um nicht alles zu verlieren”

Die Rohstofffrage bildete den eigentlichen Kernpunkt der Rede Obamas, der in diesem Zusammenhang auch auf John F. Kennedy und sein Programm „Allianz für den Fortschritt“ aus dem Jahr 1961 zu sprechen kam, das er aus heutiger Sicht als überholt bezeichnete. Tatsächlich war es das schon zum Zeitpunkt seiner Initiierung, weshalb es auch nie gelang, durch dieses Programm einen wirklichen Fortschritt anzustoßen. Wir erinnernn uns, dass Kennedy das Programm seinerzeit öffentlich vertrat als eine „Bitte an unsere Freunde im Süden, dass sie uns etwas von dem Ihren abgeben, um nicht alles zu verlieren“, und genauso war es auch gemeint. Im Mittelpunkt stand die Initiierung halbherziger Reformen, die den Einfluss der kubanischen Revolution eindämmen sollten. Zur selben Zeit wurde das US-amerikanische Handelsembargo gegen den kubanischen Staat verhängt.

Apropos Kuba: Der US-amerikanische Präsident versicherte, man habe sich sehr um die Verbesserung der diplomatischen Beziehungen mit Kuba und der wirtschaftlichen Situation vor Ort bemüht. Kuba habe jedoch nicht hinreichend kooperiert. Anscheinend hat er niemals in Erwägung gezogen, dass allein schon die Aufhebung des seit 50 Jahren bestehenden Embargos einen erheblichen wirtschaftlichen Fortschritt für den Karibikstaat bedeuten würde.

Unerwähnt ließ Obama die öffentlich geäußerten und in der Presse nachzulesenden Aufforderungen zahlreicher Chilenen, unter ihnen des Schriftstellers Ariel Dorfman, sich bei den Opfern des Militärputsches im Jahr 1973 zu entschuldigen und zu den damals begangenen Menschenrechtsverletzungen und zu der Beteiligung Washingtons Stellung zu nehmen. In einem Artikel der spanischen Tageszeitung El País erklärte Dorfman, er verlange nicht einmal, dass Obama sich entschuldige oder sich betroffen über die Kollaboration der US-Regierung zeige. Wenn er sich nur einige Minuten Zeit nehme, das Grab Salvador Allendes zu besuchen, werde dies am südlichen Ende des Rio Bravo bereits als ein wichtiges Zeichen gewertet, dass ein Wandel der Beziehungen zu den USA möglich sei.

Doch nichts dergleichen geschah. Von den Journalisten gefragt, die seinen Chile-Aufenthalt begleiteten, ob sich sein Land an der Aufklärung der Morde an Salvador Allende und seinem Vorgänger Eduardo Frei beteilige und ob er sich für die Beteiligung seines Landes an der anschließenden Militärregierung entschuldigen werde, antwortete Obama, er werde darüber nachdenken. Dann jedoch legte er nach: „Wir müssen unsere Geschichte verstehen und aus ihr lernen. Wir dürfen uns aber nicht von unserer Geschichte gefangen nehmen lassen, denn unsere Gegenwart hält neue und wichtigere Herausforderungen für uns bereit, und auch für die Herausforderungen der Zukunft müssen wir uns wappnen.“

El Salvador

Am Dienstagmorgen brach Obama nach einem gemeinsamen Frühstück mit Präsident Piñera nach El Salvador auf, der letzten Station seiner Reise. Fast zeitgleich mit seiner Ankunft gab es in dem mittelamerikanischen Land ein Erdbeben. In der Hauptstadt San Salvador fanden Mahnwachen und Demonstrationen statt, doch genau wie in Chile war der Besucher aus den USA so abgeschirmt, dass er nichts davon mitbekam. Dort verlief alles wie geplant. Obama traf sich zunächst mit Präsident Funes; anschließend fand eine gemeinsame Pressekonferenz beider Politiker statt, die nur eine einzige interessante Mitteilung enthielt, nämlich dass die USA die Bekämpfung der Kriminalität in Mittelamerika mit 200 Millionen Dollar zu unterstützen gedenken. Das hierzu erarbeitete Programm soll unabhängig von der mit Mexiko vereinbarten Mérida-Initiative umgesetzt werden.

Im Anschluss an diese Ankündigung brachen Obama und Mauricio Funes zu einem gemeinsamen Besuch der salvadorianischen Kathedrale auf, wo sich die sterblichen Überreste des Erzbischofs Arnulfo Romero befinden. Dieser wurde 1980 erschossen, während er die Messe las. Urheber des Verbrechens, der den Ausbruch des knapp zwölf Jahre währenden Bürgerkriegs markierte, war der putschende Major Roberto D’Abuisson, Gründer der nationalistischen Partei ARENA, die über mehrere Legislaturperioden bis zur Ernennung von Mauricio Funes das Land regierte.

Der Besuch der Kathedrale fand auf Obamas Wunsch statt. Pater Juan Vicente Chopin hat diesen Besuch auf äußerst interessante Weise analysiert: Der Besuch an sich wäre ein sinnvoller Akt, wenn es darum ginge, „anzuerkennen, welches Zeichen Monsignore Romero mit seinem Leben gesetzt hat. Damit würde Obama sich eindeutig als Verfechter der Menschenrechte zu erkennen geben.“ Das Ringen um Popularität stehe bei den Handlungen eines Politikers oft im Vordergrund; wenn das Obamas einziges Ziel sei, habe er dies mit dem Besuch der Kathedrale erreicht. Nutzte er jedoch die Chance und forderte die Rücknahme des Amnestiegesetzes, das etliche Mörder der Diktatur schützt, oder bäte er um Verzeihung für die Verbrechen der „Soldaten, die ihr Handwerk in dem US-amerikanischen Trainingscamp Escuela de las Américas gelernt“ haben, würde der Besuch „einen echten Schritt zur Errichtung einer glaubwürdigen und stabilen Demokratie bedeuten“.

Doch Obama schwieg. Die Antwort hatte er bereits in Chile gegeben.

(Die Journalistin Frida Modak war Pressesprecherin des ermordeten chilenischen Präsidenten Salvador Allende)

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