Niemand sagte Brenda, dass ihr Traum zum Albtraum werden würde

von Blanca Elena Ibelles Fernández

(Mexiko-Stadt, 20. Juni 2014, cimac).- Seit Brenda sieben Jahre alt war, wusste sie, dass das Verlassen ihres Heimatlandes Honduras eine Option für sie wäre – für eine junge Frau, die in einem feindlichen Umfeld und geprägt durch Gleichgültigkeit und familiäre Gewalt aufgewachsen war. Sie kannte Geschichten von Personen, die in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren, auf der Suche nach dem amerikanischen Traum. Aber niemand hatte ihr gesagt, wie schwierig das Erreichen dieses Ziels sein sollte.

Angesichts der Entbehrungen, die Brenda zu Hause erlebt hatte – sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf Gefühle und Zuwendung – wurde das Auswandern für Sie zum Fluchtpunkt, so wie es in der Studie „Die Situation der lateinamerikanischen Frauen. Beobachtungsstelle für Geschlechtergleichheit in Lateinamerika (AL)“ zu lesen ist, die im Jahr 2012 von der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und der Karibik (Comisión Económica para América Latina y el Caribe – Cepal) herausgegeben wurde.

Gewalt gegen Frauen ist Hauptgrund für Migration

Laut Studie sind Übergriffe eine feste Größe im Leben lateinamerikanischer Frauen. Mindestens jede dritte Frau leidet unter physischer oder psychischer Gewalt und 16 Prozent aller Frauen sind bereits einmal in ihrem Leben Opfer von sexuellen Übergriffen geworden.

Im Jahr 2013 hob das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR (Alto Comisionado de las Naciones Unidas para los Refugiados) hervor, dass Gewalt der Hauptgrund dafür sei, dass Honduraner*innen ihrem Land den Rücken kehrten.

Das war auch bei Brenda der Fall, die mit 29 Jahren Honduras verließ, um sich in Guatemala niederzulassen, wo sie sieben Monate lebte. Sie baute dort mit dem Verkauf von Tortillas aus Weizenmehl ein Kleinunternehmen auf, welches bald zu wachsen begann, da sie mit beiden Ländern Handel betrieb. Angesichts des Erfolges entschied Brenda, das Unternehmen zertifizieren zu lassen. Aufgrund von bürokratischen Hindernissen kam es jedoch nicht dazu.

Der Weg in die USA schien unkompliziert

Nach dieser Enttäuschung, im Jahr 2005, schlug ihr eine Freundin vor, in die Vereinigten Staaten zu gehen, um das Geschäft dort aufzubauen. Der Weg dorthin erschien unkompliziert.

„Du begibst dich zur Grenze zwischen Tecún Umán in Guatemala und Tapachula in Mexiko (im Bundesstaat Chiapas). Dort überquerst du den Fluss ‚Suchiate‘. In Chiapas nimmst du einen Kleinbus und gelangst so zu den Gleisen, dort wartest du auf den Zug und steigst ein. Dieser bringt dich zur nördlichen Grenze von Mexiko, du überquerst sie und schon bist du in den Vereinigten Staaten“, erklärte ihre Freundin. Sie war am 27. Juni 2014 mit Hilfe eines Koyoten (Menschenhändlers) für 2.500 Dollar (etwa 32.500 mexikanische Pesos) dorthin gelangt.

Nach Angaben der jüngst veröffentlichten Studie „Ermittlung des quantitativen Wissens und der Identitäten von Frauen während der Auswanderung“, die gemeinsam von den gemeinnützigen Organisationen ‚Inside Social (Iniciativa Ciudadana y Desarrollo Social – etwa Bürgerinitiative und soziale Entwicklung), Sin Fronteras (Ohne Grenzen – eine Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte von Migrant*innen) und dem Institut für Wirtschaftsforschung der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko UNAM (Universidad Nacional Autónoma de Méxiko) erstellt wurde, haben 86 Prozent der Frauen Mittelamerikas, die über Mexiko in die Vereinigten Staaten emigrieren, keine Erfahrung mit dem Thema ‚Auswanderung‘ und 45 Prozent wenden sich an Menschenhändler*innen, um an ihr Ziel zu gelangen.

„Unsere Stimmen auf dem Weg“

Die Geschichte Brendas ist in der vom ‚Institut für migrierende Frauen IMUMI (Instituto para las Mujeres en la Migración)‘ verfassten Publikation „Unsere Stimmen auf dem Weg. Zeugenaussagen von Frauen während der Migration“ niedergeschrieben.

Brenda erzählt, ein anderer Freund habe ihr die Augen dafür geöffnet, dass das Erreichen ihrer Träume nicht ganz so einfach sei. Gemeinsam reisten sie zur Grenze zwischen Mexiko und Guatemala, um die Strecke kennenzulernen und sich über die Gefahren für die Emigrant*innen auf ihrem Weg gen Norden zu informieren.

In Begleitung des Bruders einer Lehrerin, die sie auf die Reise vorbereitet hatte, und weiteren fünf Personen begab sie sich auf den Weg, um die Grenze zu überqueren und an die Gleise zu gelangen. Dort angekommen, stieß sie auf weitere 100 Menschen, mehrheitlich Männer.

„Die Bestie“

„Und dann kam unser Versprechen, der Traum, der Wandel: Der Zug, genannt ‚die Bestie‘. Wir stiegen alle ein, kletterten bis zum Dach und bildeten einen Kreis. Ich befand mich in der Mitte und die anderen an den Seiten. ‚Die Bestie‘ fuhr los und die Menschen nahmen Abschied“, erzählte Brenda.

Sie fuhren ganze Tage und Nächte durch, von Ort zu Ort und konnten kaum etwas essen, da sie nur die Nächte in Ortschaften verbrachten und morgens zum Zug zurückkehren mussten.

In einem der Orte wurden sie von einer Bewohnerin gewarnt: Die Menschen seien nicht einverstanden mit der Anwesenheit der Mittelamerikaner*innen. Wenn sie diese sähen, würden sie der Auswanderungsbehörde Bescheid geben, damit sie sich um deren Abschiebung kümmere.

Laut der ‚Nationalen Umfrage zur Diskriminierung‘ aus dem Jahr 2010 glauben 20,5 Prozent der Emigrant*innen, dass das größte Problem in ihrer Situation die Diskriminierung sei.

Brenda und ihre Begleiter flohen. Auf der Strecke stießen sie jedoch mit mehreren bewaffneten Männern zusammen, die ihnen drohten „sie umzubringen und in den Fluss zu werfen, so wie sie es mit allen getan hätten“.

Brenda muss allein weiter

Schließlich gelangten sie in einen anderen Ort, in dem sie einen Landwirt trafen, der ihnen anbot, sie zu einem „Händler“ zu bringen, der ihnen helfen könne. „Ich konnte nicht mehr und blieb bei dem ‚Menschenhändler‘“, erzählte Brenda. „Mein Freund ging alleine weiter“.

Damals blieben ihr nur sieben Tage Zeit, um in die Stadt ‚Cuidad Juárez‘ im Bundesstaat Chihuahua zu gelangen. So änderte Brenda ihre Pläne, da sie wusste, dass sie – nachdem, was sie erlebt hatte – nicht in ihr Heimatland zurückkehren konnte. So bezahlte sie einem „Händler“ 500 US-Dollar (6.500 mexikanische Pesos), damit er sie in den Hauptstadtdistrikt von Mexiko-Stadt zur Metrostation ‚Balderas‘ brächte, wo dann eine Familie auf Brenda wartete, die ihr für eine gewisse Zeit Asyl gewähren würde.

Diagnose: Typhus

Zwei Monate später ließ Brenda sich in einer von der Familie zur Verfügung „geliehenen“ Wohnung nieder. Ein Jahr lang verkaufte sie Gelatine, doch dann klagte sie über Magenprobleme. Man stellte fest, dass sie an Typhus litt. Ihr Verdauungssystem war vollständig infiziert und sie war praktisch unheilbar krank.

Die junge Honduranerin musste ihre Arbeit als Reinigungskraft in einer Schwimmschule aufgeben, die sie kurz vorher gefunden hatte.

Sie suchte mindestens zehn Ärzte auf, die ihr alle Arten von Medikamenten verschrieben, die jedoch ohne jegliche Wirkung blieben. Schließlich suchte sie eine Nonne auf, die sie zu einer Ärztin der Naturheilkunde schickte. Nach deren zweimonatiger Behandlung wurde sie wieder völlig gesund.

Wochen später fand sie im Regierungsbüro des Staates Mexiko Arbeit als Sekretärin. Dort blieb sie drei Jahre, bis sie Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde. Sie hatte ihren Chef wegen eines vermutlichen Millionenbetruges angezeigt, woraufhin eine Gruppe von Angestellten Erkundigungen über ihr Leben einzogen und ihren Migrationshintergrund entdeckten. Die drohten damit, sie ausweisen zu lassen, sollte sie sich nicht auf sexuelle Handlungen mit ihnen einlassen.

Psychologische Hilfe von „Sin Fronteras“

Brenda floh und verfiel in tiefe Depressionen, die sie bis zu einem Selbstmordversuch trieben. In derselben Kirche, in der sie bereits vorher gewesen war, erzählte ihr eine Freundin aus Venezuela von der Organisation ‚Sin Fronteras‘. Dort half man ihr, alle erforderlichen Dokumente zu bekommen und – was noch wichtiger war – sie bekam psychologische Hilfe.

„Heute empfinde ich diese emotionale Freiheit. Ich weiß, wenn ich sterbe, so werde ich dies in Ruhe und Frieden tun. Außerdem ist mir heute klar, dass mein Vorhaben, in Mexiko zu sein, nicht wirtschaftlicher Natur ist, sondern damit zu tun hat, dass ich emotionale Heilung suche“, erzählte sie.

Momentan ist Brenda Kleinunternehmerin und fertigt Umschläge für Bücher, Taschen, Geldbörsen und Rucksäcke an. Außerdem ist sie Klavierlehrerin, singt und leistet in der Kirche geistige Unterstützung für Frauen.

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