Neues Gesetz durch die Hintertür: Verwendung einheimischen Saatguts soll eingeschränkt werden

von Christian Palma

(Concepción, Agencia Medio a Medio).- Ein am 11. Mai verabschiedetes Gesetz regelt nicht nur die geistigen Eigentumsrechte für Saatgut, sondern eröffnet auch neue Wege für genmanipulierte Pflanzen und stärkt transnationale Konzerne wie Monsanto. Dabei blieb die Entscheidung des Senates über das Gesetz mit dem Titel „Internationales Übereinkommen für den Schutz pflanzlicher Erzeugnisse“, kurz UPOV 91 (“Convenio Internacional para la Protección de las Obtenciones Vegetales) weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtet. Dies war für viele Beteiligte durchaus von Vorteil.

 

 

Worin im Einzelnen der “Schutz pflanzlicher Erzeugnisse” besteht, lässt sich wie folgt beschreiben: Das Gesetz sieht vor, ein Register zu schaffen, das neue Pflanzen und Samen nicht nur erfasst, sondern auch die geistigen Eigentumsrechte regelt. Damit öffnet das Gesetz ironischerweise vor allem eine Tür, um neue genetisch veränderte Pflanzen zu züchten. Es verpflichtet Chile zudem, sich an die Regeln des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen zu halten (Das UPOV-Übereinkommen trat am 10. August 1968 in Kraft, nachdem es von Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland ratifiziert wurde. Das UPOV-Übereinkommen wurde seitdem drei Mal überarbeitet, um technologische Entwicklungen in der Pflanzenzüchtung und Erfahrungen mit der Anwendung des Übereinkommens zu berücksichtigen. Staaten und internationale Organisationen, die dem Übereinkommen beitreten, müssen über entsprechende Sortenschutzgesetze verfügen. Mehr Infos: http://www.upov.int/de/about/upov_convention.htm, Anm. d. Ü.).

Besitzrechte für Saatgut

Gegner*innen des Übereinkommens beklagen vor allem, dass das Gesetz im Gegensatz zur genetischen Vielfalt des Landes stehe. Denn das Gesetz verbietet vor allem den kleinen und mittleren Bauern, Saatgut oder Pflanzen frei zu züchten, zu lagern oder auszutauschen. Die Samen und Züchtungen würden durch das neue Gesetz nun vielmehr Eigentum von Firmen und Einzelpersonen, die ihre Rechte beim Landwirtschaftsministerium registrieren lassen. Damit würden Samen und Züchtungen nun einen Besitzer oder eine Besitzerin bekommen. Dies würde zahlreiche komplexe wirtschaftliche und rechtliche Folgen beinhalten.

Befürworter*innen des Übereinkommens halten dem entgegen, dass mittels des neuen Gesetzes ein Kompromiss untermauert würde, der für das Freihandelsabkommen mit den USA gefunden wurde. Zudem biete das Gesetz die Chance, neue ausländische Investitionen anzuziehen. Der Markt für Samen und Pflanzenzüchtungen wird in Chile auf rund 400 Millionen US-Dollar jährlich geschätzt. Damit wäre Chile weltweit der sechstgrößte Lieferant für Samen. Dies entspricht einem Weltmarktanteil von fünf Prozent. Damit hat dieser Wirtschaftszweig zweifellos ein großes Entwicklungspotenzial. Der Abstimmung des Senats vorausgegangen war denn auch ein immenser Lobbyismus, der ein positives Votum sicherstellen sollte.

Die Rolle Eriks von Baer

Nach Aussagen von Parlamentarier*innen und Kritiker*innen des Gesetzes spielte Erik von Baer eine wichtige Rolle im Entscheidungsprozess. Von Baer ist Besitzer der bekannten Firma „Samen Baer“ und darüber hinaus Vater der Regierungssprecherin Ena von Baer. Der deutschstämmige Geschäftsmann ist gleichzeitig zweiter Vizepräsident der Nationalen Samenherstellervereinigung Chiles ANPROS (Asociación Nacional de Productores de Semillas de Chile). Zu ANPROS gehören neben Saatguthersteller*innen auch Händler*innen sowie Forschungseinrichtungen. Beispielhaft zu nennen sind die Saatguthersteller Southern Seed Productions, Semillas Pioneer Chile Ltda, Semillas Tuniche Ltda, Agrícola Llahuen, Anasac, Syngenta und auch Monsanto Chile.

Gerade diese letzte Firma, Monsanto, ist weltweit bekannt für ihre umstrittene Expansionsstrategie, indem sie in verschiedenen Ländern Samenproduzenten aufkauft, um letztendlich einen Schlüsselsektor der Nahrungsmittelproduktion zu kontrollieren. Monsanto wird dabei unter anderem vorgeworfen, gemeinsam mit anderen transnationalen Unternehmen Maissaatgut von Bauern mit genetisch veränderten Sorten zu kontaminieren.

Nach Informationen aus dem Parlament konnte von Baer, der 2008 den Nationalen Innovationspreis für Landwirtschaft gewonnen hatte, vor rund einem Monat zusammen mit anderen Saatguthersteller*innen vor der Landwirtschaftskommission des Senats „seine Sichtweise darstellen“. Dabei warnte von Baer die Kommissionsmitglieder, dass ein Scheitern der Gesetzesinitiative dazu führen könne, dass „wir Gefahr laufen, dass Frucht- und Samenexporte ins Ausland blockiert werden und wir Strafen zahlen müssen, da Chile nicht die internationalen Übereinkommen erfüllt“.

Nach Meinung von Baers erlaube die Gesetzesinitiative beispielsweise auch, die Qualität des Saatgutes zu standardisieren und damit Chile als Exporteur von hochwertigem Saatgut zu positionieren. „Chile könnte zum Silicon Valley für pflanzliche Produkte werden. Aber wenn wir keinen gesetzlichen Rahmen haben, der diese Innovationen und Technologien schützt, wird auch niemand in diesen Sektor investieren“, hob von Baer gegenüber der Tageszeitung Austral hervor.

Die Gegenstimmen

Dem entgegnet Flavia Liberona, Geschäftsführerin der Stiftung Terram, die Befürworter*innen des Gesetzes würden “vorgeben, dass nur neue Züchtungen patentiert werden. In Chile fehlt jedoch ein Gesetz zum Schutz der bestehenden und der einheimischen Pflanzenarten, dadurch wird es einfacher, auch diese patentieren zu lassen.” Auch Liberona sieht eine diskrete, aber einflussreiche Lobby der Unternehmen am Werk. Zudem kritisiert sie, dass „die Interessen der Industrie sehr gut durch die Senatoren Alberto Espina und Carlos Larraín von der Nationalen Erneuerungspartei RN (Renovación Nacional) sowie von Senator Juan Antonio Coloma von der Unabhängigen Demokratischen Union UDI (Union Demócrata Independiente) repräsentiert wurden. Jetzt wissen wir auch alle, wer Erik von Baer ist.“

Auf Seiten der Opposition ist auch die Senatorin Ximena Rincón von der Christdemokratischen Partei PDC (Partido Demócrata Cristiano) der Meinung, dass „die Verabschiedung des Gesetzes neue Einfallstore für genetisch veränderte Pflanzen und Saatgut eröffnet, gegen die ich eintrete.“ Ähnlich äußerte sich auch Senator Jaime Quintana von der Sozialdemokratischen Partei PPD (Partido por la Democracia).

Sozial- und Umweltorganisationen kritisieren, dass ihnen kein Gelegenheit für eine Anhörung gegeben worden sei und warnen, dass durch das Gesetz das Saatgut der einheimischen Bauern gefährdet würde. Wie Senatorin Rincón forderte daher auch Senator Alejandro Navarro von den Sozialisten der MAS (Movimiento Al Socialismo) die Regierung auf, mehr Zeit für eine Abstimmung vorzusehen, um vorab die Öffentlichkeit über die Gesetzesinitiative und ihre Folgen informieren zu können.

Der Senatspräsident Guido Girardi von der PPD unterstützte zudem die Forderung, dass die Umweltschutzkommission ebenfalls in die Analyse des Übereinkommens einbezogen werden müsse, da es “die Beschaffung von Saatgut und Fragen genetisch veränderter Pflanzen berührt. Es gibt eine Vielzahl von Kleinbauern und indigenen Gemeinden, deren Saatgut dadurch patentiert wird.“

Nach der Verabschiedung des Gesetzes durch den Senat und die Landwirtschaftskommission sowie der Kommission für Außenbeziehungen liegt das Gesetz nun dem Präsidenten Sebastián Piñera vor, der es noch durch ein Veto verhindern könnte. Genau dies fordern sowohl Oppositionspolitiker*innen als auch Kleinbauern vom Präsidenten. Senator Quintana hofft zudem auf einen Stopp der Gesetzesiniative zu genetisch veränderten Pflanzen, die ebenfalls gegenwärtig im Senat behandelt wird. Die Senatoren Rincón, Navarro und Quintana wollen sich auch an das Verfassungsgericht wenden, um zu verhindern, dass das Gesetz von Präsident verabschiedet wird.

Hintergrundinformationen

• Monsanto hält einen Marktanteil von über 90 Prozent bei genetisch verändertem Saatgut. Weitere große Unternehmen der Branche sind Syngenta, Bayer und Dupont/Pioneer.

• Das chilenische Unternehmen Anasac verkaufte seine Sparte für die Verarbeitung und den Export von Saatgut für Mais und Soja an Monsanto. Im Gegenzug erhielt Anasac 19 Millionen US-Dollar. Anasac übernimmt nun die Rolle des Vertriebs und des Lieferanten für Monsanto. Monsanto selbst konnte so die Produktion um ein Viertel steigern.

• Die Produktion von Monsanto in Chile umfasst 70 Prozent Mais, 28 Prozent Soja und zwei Prozent Raps. Damit zählt Chile zu den sieben Ländern, die am meisten für das Unternehmen produzieren.

• Eine weitere an dem Sektor interessierte Firma ist ChileBio. ChileBio gehört zu dem internationalen Unternehmensverband CropLife, der in über 20 Ländern aktiv ist. Zu den Mitgliedsunternehmen von CropLife zählen auch Dow AgroSciences, Monsanto, Pioneer und Syngenta.

• Nach Presseinformationen verfügt Samen Baer über einen jährlichen Umsatz mit Saatgut in Höhe von 1,3 Milliarden Pesos, umgerechnet rund 2,75 Millionen US-Dollar. Samen Baer kontrolliert rund 44 Prozent der zertifizierten Weizensamens. Das Unternehmen verfügt über die größten Anbauflächen in Chile sowie 80 Prozent des Anbaus der Lupine, einer eiweißreichen Viehfutterpflanze. Darüber hinaus hält Samen Baer wichtige Marktanteile in der Gersten- und Rapsproduktion.

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