Neue Muster der Militarisierung

Eine tiefergehende Analyse der regionalen Geopolitik zeigt allerdings das allen Ländern gemeinsame Bestreben, ihre Gesellschaft zu militarisieren und Protestbewegungen zu unterdrücken, indem bestimmte Strafgesetze in Kraft gesetzt werden. Diese Gesetze begünstigen die Abgabe natürlicher Güter an große transnationale Unternehmen, deren Nationalität nicht mehr so einfach identifiziert werden kann – werden sie doch sowohl aus chinesischem, kanadischem, nordamerikanischem und europäischem Kapital gebildet, ohne dass die Ideologie der jeweiligen Regierungen ein Hindernis wäre, wenn es darum geht, die Gemeinden zu unterwerfen, um ihre Ressourcen mit größtmöglicher Rentabilität auszuschöpfen.

Die Veränderung der Geopolitik und die Entwurzelung des Kapitals bringt uns dazu, uns zu fragen, ob die militärische Kontrolle noch immer dem Interesse der Sicherheit beziehungsweise der Hegemonie eines bestimmten Landes dient oder, ob sie nicht schon einem supranationalen Interesse unterliegt. In diesem Falle würde die Zivilgesellschaft mit ihren Steuern nicht mehr die Sicherheit ihres Landes unterstützen, sondern ein großes System der privaten Unternehmenssicherheit.

Unsichtbare Stützpunkte und MilitärberaterInnen

Im November 2009 wurde die US-amerikanische Militärbasis in Manta, Ecuador, geschlossen. Es hieß, ihre Aufgaben würden an sieben kolumbianische Stützpunkte sowie an die peruanische Region Ren Pichari in den Anhöhen des südandinen Regenwaldes im peruanischen Cusco übertragen. Der argentinische Politologe und Analytiker für Geopolitik Atilio Borón versichert, dass in Peru neun Militärstützpunkte existieren würden.

Auch Panama hinkt nicht hinterher. Laut Julio Yao, einem panamaischen Forscher an der Universität und Antistützpunktaktivist, gibt es dort zwölf US-amerikanische Militärstützpunkte, obwohl die Vereinigten Staaten schon vor dem Jahr 2000 offiziell all ihre Stützpunkte der panamaischen Regierung übertragen hat.

Berichten der in Argentinien sitzenden Bewegung für Frieden, Souveränität und Solidarität zwischen den Völkern MOPASSOL (Movimiento por la Paz, la Soberanía y la Solidaridad entre los Pueblos) zufolge, existieren in ganz Lateinamerika 47 nordamerikanische Militärstützpunkte.

Wo sind diese Stützpunkte? Gibt es Fotos? Wo liegen die Beweise für ihre Existenz? Die lateinamerikanischen Regierungen bestreiten, die Kontrolle über nationale Militärbasen ans Ausland übergeben oder den Vereinigten Staaten die Erlaubnis gegeben zu haben, Militärstützpunkte auf ihrem Territorium zu errichten. Aufgrund der fehlenden Beweise könnte man sagen, das Ganze sei eine Übertreibung der AntistützpunktaktivistInnen. Aber dem ist nicht so.

Der Stützpunkt in Manta, genauso wie die Anlagen in Vieques (Puerto Rico), in Soto Cano, Palmerola (Honduras), Hato Rey in Curazao (Puerto Rico), in Comalapa (El Salvador) sowie Reina Beatriz (Aruba), mussten verändert und vervielfältigt werden, um sich an die neuen Erfordernisse der regionalen Kontrolle und die neuen Problemen, die als gefährlich nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für die Kapitalproduktion eingestuft wurden, anzupassen. Dazu gehört der Widerstand der lokalen Bevölkerungen, vor allem durch LandwirtInnen und Indigene mit Bündnissen in städtischen Sektoren; fortschrittliche Regierungen, die Mediendiskurse führen sowie die Anwesenheit anderer ökonomischer Mächte, insbesondere Chinas.

Die traditionellen Stützpunkte erforderten viele ökonomische Ressourcen für ihre Instandhaltung und waren für die Bevölkerung offensichtlich. Dies führte – als Reaktion auf Aktivitäten der AntistützpunktaktivistInnen – dazu, dass diese Stützpunkte geräumt wurden, so wie es in Vieques passiert ist. Auch die ersten Umwandlungen der 1990er Jahre, etwa die Bildung vorgelagerter Stützpunkte (Forward Operating Location, FOL) erwiesen sich nicht als funktional, da sie die Aufmerksamkeit der AktivistInnen nicht zerstreuen konnten, obwohl tatsächlich das Budget verringert und sie unter der Maske eines vorgeblichen Kampfes gegen Drogen unterhalten wurden.

Manta ist ein solches Beispiel, das nach zehn Jahren zivilen Widerstands 2009 schließlich geschlossen werden musste. Eine weitere Verwandlung war notwendig, um die US-amerikanischen Militärinterventionen unsichtbar und praktischer zu machen.

Heutzutage reisen MilitärberaterInnen unter dem Deckmantel von Vereinbarungen für militärische Kooperationen zur Katastrophenhilfe, zu Beratungen zur Inneren Sicherheit oder zum Kampf gegen Drogen und Armut unbehelligt in die Länder ein. Naturkatastrophen stellen dabei den besten Vorwand für Interventionen dar. So hat in Haiti das US-amerikanische Militär nach dem Erdbeben im Jahr 2010 die Kontrolle über das Land übernommen und koordiniert nun auch die Aktivitäten der anderen militärischen Friedensoperationen, die dort intervenieren.

Diese Strategie ist nicht neu, sie bildet vielmehr den alten Diskurs des Programms Allianz für den Fortschritt ab, mit dem die Vereinigten Staaten in den 1970er Jahren in Lateinamerika intervenierten. Sie wurde lediglich erweitert durch Elemente wie den Kampf gegen Korruption, das Verbrechen, die Drogen und, um die Idee noch besser zu verkaufen, um den Slogan des Kampfes gegen die Armut.

Aber nicht immer gehen den militärischen Interventionen Vereinbarungen voraus, in Venezuela und Ecuador, die beide keine militärischen Kooperationen mit Nordamerika akzeptieren, werden sie zum Beispiel in Form eines Militärattachés der Botschaften der Vereinigten Staaten implementiert. Im April des vergangenen Jahres wurde in Ecuador die Anwesenheit von 50 Militärs im Auftrag der US-amerikanischen Botschaft aufgedeckt, von denen 20, die sich mit Angelegenheiten der Sicherheit befasst hatten, ausgewiesen wurden. Die MilitärfunktionärInnen der Botschaften schaffen direkte Verbindungen zu mittleren und hohen BefehlshaberInnen der bewaffneten Einheiten der jeweiligen Länder, wodurch sensible Informationen ausgetauscht werden und Aktionen ohne Kenntnisse der Regierungen durchgeführt werden können.

In diesem neuen Szenario braucht es keine großartigen militärischen Strukturen mehr. Kleine operative Standorte unter lokaler militärischer Verwaltung, die auf Basis der mit der Regierung getroffenen Vereinbarungen und zum Vorteil der US-amerikanischen Politik aktiviert werden können oder als Überwachungspunkte dienen, um vor ziviler Mobilisierung zu warnen und die Organisationen einzuschüchtern, reichen vollkommen aus.

Militarisierung der Zivilgesellschaft

Die gleiche Art der Politik der sozialen Kontrolle, die die Vereinigten Staaten in Ländern, die unter ihrem Einfluss stehen, einsetzt, wird auch in denjenigen Ländern implementiert, die sich angeblich aus dem Einflussbereich entfernt haben.

Was ist es, was hier kontrolliert wird?
Nicht-nordamerikanische Investitionen in Lateinamerika sind gewachsen, vor allem aus China. Das lässt vermuten, dass die Kontroll- und Einschüchterungspolitik der USA nicht funktioniert hat, es sei denn sie bietet nun ihren Sicherheitsservice der Volksrepublik China an, die immerhin der Hauptgläubiger US-amerikanischer Staatschuldenscheine ist.

Daten der Zentralbank Chinas zufolge beliefen sich die Schulden der USA gegenüber China Ende 2013 auf 1.3 Billionen US-Dollar, während die chinesischen Investitionen in Lateinamerika schon 102 Milliarden US-Dollar betragen, wobei die Hauptprofiteure Venezuela, Brasilien, Argentinien und Peru, in ebenjener Reihenfolge, sind.

Die Sicherheit des chinesischen Kapitals, das in US-amerikanischen Staatsschulden angelegt ist, ist abhängig von der Sicherheit der Investitionen der USA in anderen Ländern, genau wie die Sicherheit der chinesischen Investitionen abhängig von der Sicherheit in den Ländern ist, die die natürlichen Ressourcen besitzen. So gesehen kommt der Umsetzung der US-amerikanischen Sicherheitspolitik auch eine Schlüsselrolle in jenen Ländern zu, die eigentlich nicht unter ihren Einfluss stehen.

Die Militarisierung von Städten unter dem Vorwand das Verbrechen und den Drogenhandel zu bekämpfen; die Militarisierung der Zivilpolizei, die Spezialeinheiten zur Überwachung des zivilen Widerstandes bilden; die Formierung neuer bewaffneter Überwachungseinheiten wie die Forstwache (Guardía Forestal), sind neue Kontrollformen über soziale Strukturen.

In Ecuador zum Beispiel würde die Modernisierung der Armee auch die Verteilung ihrer Mitglieder auf neue Bereiche der Überwachung bedeuten. Ein solcher wäre eben diese Forstwache, die eine Kontrollfunktion über die ländlichen Aktivitäten, sowohl in Produktion als auch Organisation, unter dem Vorwand, die urwüchsigen Wälder zu beschützen, innehätte.

Auf die gleiche Art und Weise wurden unter dem Vorwand der Verfolgung von Kinderpornographie, Kapitalverkehr und Menschenhandel Internetüberwachungseinheiten gebildet, die sich nun der Kontrolle der sozialen Netzwerke widmen, mittels derer die Organisationen interagieren. Ecuador hat unter dem Euphemismus der Internetverteidigung einen Überwachungskörper innerhalb der Struktur der Vereinigten Nationen von Südamerika (Unión de Naciones Sudamericanas, UNASUR) vorgeschlagen.

Die Gründung neuer Polizeieinheiten gegen die Aufstandsbekämpfung und die Vorbereitung dieser Einheiten darauf, mögliche städtische Konflikte zu ersticken ist außerdem eine Antwort auf die stetige Migration aus den ländlichen Gebieten in die Städte, die neue Armutsgürtel schafft, deren BewohnerInnen sehr geneigt sind, Aufrufen zum Aufstand zur Verteidigung ihrer Rechte zu folgen, wie das etwa in Brasilien in den Tagen vor dem Beginn der letzten Fußballweltmeisterschaft geschah.

Es wurden, wie in Chile und Kolumbien, verschiedene polizeiliche Trainingszentren zum Kampf gegen Aufstände eingerichtet, in denen die polizeilichen Kräfte mehrerer lateinamerikanischer Länder ausgebildet werden. Perfektioniert werden diese Trainings durch französische und spanische ExpertInnen.

Die Spezialisierung der Polizei und des Militärs darauf, die neuen inneren Bedrohungen zu bekämpfen haben dazu geführt, dass ihre klassischen Aufgaben unter dem Vorwand der Dezentralisierung und Autonomie an die Kommunalverbände übertragen wurden. Sie sind es also jetzt, die die Kontrolle über den Transitverkehr, die Sicherheit in den Gemeinden und in den Vierteln und auch die institutionelle Überwachung innehaben, wobei sie von privaten Sicherheitsunternehmen unterstützt werden.

Antiterrorgesetze und repressive Strafgesetze

In allen lateinamerikanische Ländern sind Straßenproteste nicht länger Gesetzesübertretungen, sondern wurden zu Delikten gegen das Eigentum oder allgemeine Dienste. Das Aufbegehren der Bevölkerung ist jetzt ein Sabotage- oder Terrorakt, gegen den zum Beispiel in Chile, Peru und Kolumbien, mit Antiterrorgesetzen vorgegangen wird. Die Strafgesetzbücher wurden verschärft, um zivile Protestkundgebungen wie in Ecuador und Venezuela zum Schweigen zu bringen.

Sowohl die fortschrittlichen als auch die neoliberalen Länder stimmen in ihren Strategien der inneren Sicherheit darin überein. Sie übernehmen die Sicherheitspolitik der USA und definieren schon bestehende soziale Bewegungen als die neuen internen Feinde sowie die zivilen Kräfte, die entstehen werden, sobald sich die Bevölkerung weiter verstädtert und die Armut steigt, als die neuen Bedrohungen.

Aufgrund dieser fehlenden ideologischen Unterschiede wenn es darum geht, die Gemeinden zu unterdrücken um ihre natürlichen Güter auszuschöpfen ist es schwierig, die Militarisierung als Resultat der Politik eines einzelnen Landes zu betrachten, halten doch alle an dem Modell des primären Ertrages fest, das Lateinamerika seit Anbruch der Republiken geprägt hat. Es ist vielmehr notwendig, die Dynamik des Kapitals zu betrachten, um herauszufinden, welchen Interessen die neuen Sicherheitspläne dienen.

* Ecuadorianischer Sprecher für Soziales, Leiter der regionalen Stiftung zur Menschenrechtsberatung (Fundación Regional de Asesoría en Derechos Humanos, INREDH), Korrespondent der Alliierten Nachrichten (Noticias Aliadas) seit 1996, Autor von regionalen geopolitischen Untersuchungen wie “Der Unterschlupf in Ecuador” (“El refugio en el Ecuador”), Quito, 2005 und “Vorhut oder einsatzbereite Militärbasen?” (“¿Operaciones de avanzada o base militar operativa?”), Quito, 2007.

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