Nächste Etappe: Interview mit dem stellv. paraguayischen Innenminister Sostoa

von Andrea Martínez

(Montevideo, 26. Oktober 2011, la diaria).- Um weiter regieren zu können, wird die paraguayische Regierung für die kommenden Wahlen gezwungen sein, sich mehr “auf das Programm und die Abkommen innerhalb der Koalition” zu konzentrieren, als auf den Präsidentschaftskandidaten. Das sagte der Vize-Innenminister Paraguays Osmar Sostoa der Zeitung „la diaria“ während seines Besuchs in Montevideo anlässlich der Tagung “20 Jahre Mercosur: Menschenrechte im Integrationsprozess”.

Seit Beginn der Regierungsarbeit unter Präsident Fernando Lugo sind die Aktionen der Guerilla-Organisation Armee des paraguayischen Volkes EPP (Ejército del Pueblo Paraguayo) Gegenstand der Diskussion. Wie groß ist der Einfluss dieser bewaffneten Gruppe in den Provinzen, in denen sie aktiv ist, in Concepción und San Pedro?

Osmar Sostoa: Es gibt keine genauen Informationen darüber, aber sie sind in den Gebieten aktiv, in denen sich der Staat um eine stärkere Präsenz bemüht – in Zusammenarbeit mit den Lokalregierungen, welche als Teil der Regierungsallianz aus den Wahlen 2008 als Sieger hervorgegangen sind. Sagen wir, es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe, die sporadisch agiert und nur sehr schwach sozial eingegliedert ist. Das alles bedeutet, dass sie keine große Verankerung in der Bevölkerung besitzt, weshalb sie zahlenmäßig auch nicht angewachsen ist. Ihre wirkliche Stärke ist sehr begrenzt. Sobald sie Gewaltakte größeren Ausmaßes begeht, stoßen sie auf Ablehnung seitens der Bevölkerung.

Bei ihrer letzten Aktion im September griffen sie ein einfaches Unterkommissariat mit sehr begrenzter Ausrüstung an, sehr wenig Polizisten, die nicht genug Waffen besaßen. Sie kamen mit schweren Waffen und waren zu acht oder zu zehnt gegenüber zwei Wachpolizisten. Der Angriff hinterließ einen tiefen Eindruck in den Medien und bei den Leuten. Die Art und Weise, wie die Polizisten massakriert wurden war brutal: Einer wurde von mehr als 16 Kugeln durchsiebt. Mit solchen gewalttätigen und vereinzelten Aktionen dürften sie es schwer haben, auf Rückhalt in der Bevölkerung zu treffen. Sie bewirken sogar das glatte Gegenteil, weil es sich letzten Endes um zwei Polizisten des Ortes handelte.

Wozu braucht es eine stärkere Präsenz des Staates?

Osmar Sostoa: Die ganze politisch-militärische Operation, vor allem die Zusammenarbeit der nationalen Regierung mit den Bezirksregierungen, arbeitet hart und systematisch an einer stärkeren Präsenz des Staates in diesen Gebieten, damit Familien aus einfachen Verhältnissen nicht in die Versuchung kommen, zweifelhafte Angebote anzunehmen in der Hoffnung, ihre Zukunft oder ihre ökonomische Perspektiven damit dauerhaft aufzubessern. Ziel ist nicht nur die EPP, sondern auch die Chancen von Rekrutierungen durch Mafia und Drogenkartelle zu verringern.

Sie haben erwähnt, dass die EPP zahlenmäßig nicht gewachsen ist. Aber weiß man, wieviele Mitglieder diese Gruppe hat?

Osmar Sostoa: Ganz genau weiß man es nicht. Es gibt Darstellungen, in nach denen es nicht mehr als 20 Personen sind oder zur Zeit sogar weniger, weil eine ihrer Anführer*innen, Magna Meza, bei einer der letzten Aktionen angeblich schwer verletzt worden sein soll. Das ist bisher nicht bestätigt worden. Aber es ist wahrscheinlich, dass sie verletzt oder sogar tot ist.

Es gibt Meldungen, dass die Präsenz der EPP vom Staat ausgenutzt wurde, um gegen soziale Bewegungen vorzugehen.

Osmar Sostoa: Wenn es politische Richtungen gibt, die den Ausnahmezustand mit dieser Erwartungshaltung unterstützen wollten, dann lägen sie falsch. Die Streitkräfte und die Polizei sind der Kontrolle der Regierung unterstellt, und diese wird keinen derartigen Missbrauch dulden. Wenn sich dies dennoch ergeben sollte, dann wären dies individuelle Einzelfälle, die bestraft werden würden, aber die Politik der Regierung verfolgt das Gegenteil: mehr Präsenz, um eine Antwort auf die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung auf den Weg zu bringen. Außerdem ist es diese Regierung, die sich am meisten mit sozialen Organisationen trifft und verhandelt, vor allem mit den Bauernorganisationen, um mit ihnen eine Sozial- und Wirtschaftspolitik im Rahmen einer nationalen Entwicklung abzustimmen.

Wurden in den drei Jahren der Regierung Lugo entschiedene Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung getroffen?

Osmar Sostoa: Erstens muss die Verringerung der Korruption in Paraguay Staatspolitik sein. Das lässt sich nicht einfach in fünf Jahren definitiv erledigen. Wir haben mehr als 200.000 Beamte im öffentlichen Sektor, von denen 75 Prozent schon zur Zeit der Diktatur und in den 60 Jahren Regierunszeit der Colorado-Partei im Amt waren; es ist schwer, die Kultur dieser Menschen von heute auf morgen zu ändern, oder einen Generationenwechsel zu erzwingen. Deshalb wird es im Inneren des Staates noch eine Weile dauern.

In Wirtschaft und Gesellschaft ist auch zu bedenken, dass unser Land während der Diktatur ein regionales Bindeglied der Mafia und des Drogen- und Waffenschmuggels war. Ciudad del Este, Hong Kong und Miami waren die drei größten Schmuggelstädte, und um diese Muster aufzubrechen braucht es Zeit. Ein Beispiel: der IWF schätzt das Bruttoinlandsprodukt Paraguays auf 35 Mrd. US-Dollar und das formelle Geschäft der Zentralbank Paraguays auf 20 Mrd. US-Dollar. Der informelle Sektor der paraguayischen Wirtschaft beläuft sich auf 75 Prozent der formellen Wirtschaft. Das ist ein Erbe, das wir antreten.

Dies zu ändern braucht seine Zeit und außerdem das Engagement der gesamten politischen Klasse Paraguays und nicht nur des Präsidenten. Deshalb basiert die Regierungskoalition Alianza Patriótica para el Cambio auf einem großen Pakt zur Sanierung des Landes – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht – zur Bekämpfung der Korruption. Es bedarf immer noch eines größeren Engagements, und zwar um ein Projekt bis 2013 aufzustellen, damit dieser Sanierungs- und Demokratisierungsprozess Paraguays im vollen Umfang realisiert werden kann.

Zeichnet sich ein Präsidentschaftskandidat ab, der diese Allianz in den Wahlkampf 2013 führt?

Osmar Sostoa: Die Lage zur Zeit ist, dass Präsident Fernando Lugo, unabhängig von der Frage ob er kandidiert oder nicht, in diesen 20 Jahren Demokratie bewiesen hat, dass er ein politischer Führer ist, der etwas sehr Schwieriges in der paraguayischen Politik ermöglicht hat: die Einheit weitgestreuter Bereiche eines breiten ideologischen Spektrums. Das Projekt der Alianza Patriótica para el Cambio war nicht ideologisch, sondern national motiviert, hinsichtlich der Garantie der demokratischen Regierungsfähigkeit Paraguays, der Demokratisierung und eines Beginns der Sanierung des Landes. Dieser Pakt wird streng eingehalten, und der Präsident hat in seiner Regierungszeit den Willen dazu bewiesen. Deshalb wird Lugo, auch wenn er nicht Kandidat sein sollte, dieses politische Projekt weiterhin anführen.

Jenseits dessen, ob ein Kandidat eine bindende Kraft haben sollte, ist dies eine Etappe, in der das Gewicht nicht auf einer einzelnen Person liegen wird. Das Projekt muss sich mehr auf das Programm ausrichten, auf die Übereinkommen innerhalb der Allianz, welche die Regierungsfähigkeit absichern. Wir hoffen, dass das Volk dies zu würdigen weiß – jenseits der Frage, wer die Wahlliste anführen wird. Das wäre ein Zeichen von staatsbürgerlicher und politischer Reife. Gleichwohl wird das Volk natürlich sehen, dass die Führungsfigur Lugo dieses Projekt weiterhin tragen wird.

[ Dieser Artikel erschien am 26. Oktober 2011 in der uruguayischen Tageszeitung „la diaria„]

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