Medien zwischen Krieg und Frieden

von MAD Medios al Derecho. Observatorio de Medios en Derechos Humanos

(Fortaleza, 08. Oktober 2012, adital).- “Wir werden keine Minute schweigen, denn vergessen ist unmöglich! Wir haben uns dem Frieden verpflichtet. (…) Medien sind heutzutage wesentlich daran beteiligt, was im Land geschieht. Sie sind zweifelsohne Akteure des Krieges und nur in seltenen Fällen, Akteure des Friedens (…).“

So wie der hier zitierte Jesús Martín Barbero sind auch viele andere der Meinung, Medien seien wesentliche Akteure in den aktuellen Konflikten. Mit Hilfe der Medien – die für den symbolischen Anteil der Informationen am öffentlichen Diskurs verantwortlich sind – sei es der Gesellschaft möglich (oder unmöglich, je nachdem wie man es sieht) sich Teile des kollektiven Wissens zu politischen Fragen anzueignen. Dies erlaube den Bürger*innen, gut informiert an der Diskussion über jene Themen teilzunehmen, von denen sie gemeinsam betroffen sind.

Durch die Medien werden verschiedene soziale und kulturelle Praktiken hervorgerufen, die – abhängig von der Verantwortung, die dem Prozess der Informationsgewinnung zugeschrieben wird – dazu beitragen können, eine Kultur des Friedens zu schaffen. Diese ist sehr eng an die Einhaltung fundamentaler Rechte geknüpft, wie die Rechte auf Kommunikation, Information, freie Meinung und die Äußerungen der Bürger*innen. Jedoch können diese Praktiken auch zur Verankerung einer Kultur des Krieges führen, die nicht nur auf dem Schlachtfeld und inmitten der bewaffneten Auseinandersetzung ausgetragen wird, sondern durch die Sprache der Massenmedien auch auf symbolischer Ebene.

Die Verantwortung der Medien bei den Friedensverhandlungen

Bei den möglichen Friedensabkommen zwischen der Regierung von Juan Manuel Santos und der Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens FARC–EP sowie der Nationalen Befreiungsarmee ELN kommt den Medien eine große Verantwortung zu. Angesichts dessen formulierte die Beobachtungsstelle für Menschenrechte in den Medien MAD (Observatorio de medios en Derechos Humanos / Medios al Derecho – MAD) einige Überlegungen, die, so die Hoffnung, sowohl zur öffentlichen Diskussion über die Bedeutung von Krieg und Frieden in Kolumbien beitragen, als auch zur strategischen Rolle der nationalen und internationalen Medien während des Prozesses.

Wie bereits erwähnt, gehen auch wir davon aus, dass die Rolle der Medien entscheidend ist für die Vorstellungen, die sich die Bürger*innen über die Vorgänge bei den Verhandlungen zwischen den institutionellen und nicht-institutionellen, direkten und indirekten kolumbianischen Konfliktparteien machen. Laut der MAD basiert diese wesentliche Rolle der Medien auf folgenden Aspekten:

1. Die Pflicht, einen vielfältigen medialen Diskurs zu schaffen

Für die Medien bedeutet dies die ausgewogene Befragung der verschiedenen, am Prozess teilnehmenden Stimmen. Dabei ist unerheblich, ob es sich um institutionelle Akteure (nationale Regierung, Abgeordnete, politische Parteien, Berufspolitiker*innen, etc.), aufständische Gruppen (Vertreter*innen der Guerillagruppen FARC und ELN) oder die Zivilgesellschaft (Gremien, soziale Organisationen und Bewegungen, Akademiker*innen, Analyst*innen, etc.) handelt.

2. Verantwortliche Lenkung der öffentlichen Meinung

Die Meinung der Journalist*innen, Spezialist*innen und Analyst*innen zum Konflikt und den Verhandlungen der Abkommen sollte vielfältig sein und sich nicht nur auf einheitliche und parteiische Überzeugungen und Meinungen stützen. Sie sollte auf Argumenten basieren, die zu einer genaueren Darstellung der Aspekte beitragen, in die sich der kolumbianische Konflikt gliedert. Dabei handelt es sich unter anderem um den Kontext, die Konfliktparteien, die Umstände, die Einhaltung und Zuwiderhandlung der Erwartungen an die involvierten Parteien und die historischen Abkommen sowie deren Ergebnisse.

3. Unparteilichkeit der Informationen

Mit der unparteilichen Berichterstattung soll die Polarisierung und Stigmatisierung in den Medien unmöglich gemacht werden. Das Kriterium der journalistischen Unparteilichkeit sollte der Bearbeitung jeglicher Informationen über den Konflikt und den Verhandlungsprozess zu Grunde liegen. Dies bedeutet, dass Journalist*innen und Medien in ihrer Redaktionspolitik dem Grundsatz folgen sollen, weder für direkt oder indirekt in den Konflikt verwickelte Parteien, noch für Ereignisse, die während der Verhandlungen stattfinden, „Partei zu ergreifen“. Die Schwierigkeit der Journalist*innen, an bestimmte Informationsquellen zu gelangen, die die Schaffung eines „neutralen“ Diskurses durch die Medien ermöglichen, wird dabei nicht übersehen. Dies jedoch gibt den Medien nicht das Recht, ihre eigenen Interessen auf die öffentliche Meinung zu übertragen, indem sie ihre Einrichtung für strategische und technische Zwecke nutzen.

4. Die Suche nach dem Kontext

Die Aufarbeitung der Informationen über den Konflikt und den Frieden als soziopolitisches Projekt darf nicht allein vom Erfolg des Verhandlungsprozesses abhängen. Ganz im Gegenteil, die Beurteilung der Geschichte des kolumbianischen Konflikts und seiner Entwicklungen, der Umstände und Beteiligten, stellt eine Möglichkeit dar, sich mit den historischen Faktoren auseinander zu setzen, die den Verlauf des Konflikts beeinflusst haben. Schließlich haben Medien und Journalist*innen nicht nur die Pflicht die Gegenwart des aktuellen Konflikts unter die Lupe zu nehmen, sondern auch die Vergangenheit der (erfolgreichen und gescheiterten) Friedensprozesse.

5. Förderung und Verteidigung der Menschenrechte bei der Berichterstattung

Mit dem Ziel die Gesellschaft über Menschenrechte zu unterrichten, sollten die Medien neben den Meldungen über die Friedensverhandlungen auch Informationen bereitstellen, die es den Bürger*innen ermöglichen, die Logik hinter der Anwendung der Menschenrechte und des Humanitären Völkerrechts bei den Abkommen zu verstehen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die aktuellen Verhandlungen bisher nicht zum Ende der Feindschaften zwischen den Parteien geführt haben. Diese pädagogische Vorgehensweise wird künftig dazu beitragen, eine Friedenskultur zu schaffen, die nicht direkt mit der Diskussion und Verhandlung des Konflikts in Verbindung steht, sondern mit dem täglichen Leben der Bürger*innen.

6. Förderung eines streitbaren öffentlichen Mediendiskurses

Die Medien müssen erkennen, dass Demokratie weniger aus der Konsensfähigkeit und der Einigung zwischen den Konfliktparteien ensteht, sondern vor allem aus der Akzeptanz verschiedener Meinungen und Positionen. Zum einen geht es darum, für einen Informationsaustausch zu sorgen, der die Realität und die Gründe der Meinungsverschiedenheiten anerkennt und zum anderen um die Notwendigkeit, auf soziale und geregelte Weise einen politischen (und gewaltfreien) Fahrplan festzulegen, der die Regelung und friedliche Lösung des Konflikts ermöglicht. Innerhalb dieses Fahrplans sollte natürlich die öffentliche Diskussion (die vor allen von den Medien beeinflusst wird) als friedliche Lösungsstrategie für Konflikte gelten.

7. Aktive Berichterstattung und Feldarbeit

Die Wiederherstellung dieser medialen Strategien, die aus erster Hand die Vorgehensweise der teilnehmenden bewaffneten Akteure der Verhandlungen darstellen, erfordert journalistisches Arbeiten mit der Gesellschaft. Die Bedeutung von Meinungsmagazinen (wozu journalistische Berichterstattung oder Feldarbeit nicht nötig sind) oder auch einer gewissen Art von „digitalem Journalismus“, der sich einen Großteil seiner Information aus der virtuellen Welt beschafft, ist unbestritten. Wichtig ist jedoch auch, die Umstände, die das Handeln der Konfliktparteien begleiten, mit eigener Stimme und vom Ort des Geschehens aus wiederzugeben. Dies betrifft besonders die nicht-institutionellen (aufständischen) Gruppen, die hauptsächlich in den ländlichen Gebieten Kolumbiens aktiv sind. Die Rückkehr an den Ort des Geschehens ist nötig, um die Umstände des Krieges und die Möglichkeiten des Friedens besser zu verstehen. Diese Vorgehensweise ist auch geeignet, um die Situation der Zivilbevölkerung darzustellen, die sich im Kreuzfeuer des Krieges befindet.

8. Den Opfern aller bewaffneter Gruppen eine Stimme geben

Die Opfer des Konflikts gehören zu den unbeachteten Akteuren des Konflikts. Akteure des Konflikts deshalb, da sie sich ungewollt und aufgrund der Umstände mitten im Kreuzfeuer der Kämpfer*innen befinden. Aber auch deshalb, da sie unter all diesen schweren Umständen aktiv werden, um ihre Rechte und Würde wiederzuerlangen. Journalist*innen und Medien haben eine große Verantwortung gegenüber den Opfern, deren Erfahrungen und deren Stimmen. Von ihnen hängt es schließlich ab, ob an die Öffentlichkeit gelangt, wie sehr einzelne Personen und ganze Gemeinden im Laufe der Geschichte am Wüten des bewaffneten Konflikts in Kolumbien gelitten haben.

9. Akzeptanz der Verhandlungsmechanismen

Hierbei handelt es sich darum zu verstehen, dass die Verhandlungen einen langwierigen Prozess darstellen, der nicht nur politischen Willen und politische Entscheidungen fordert, sondern auch erhebliche Zeit für die Ausarbeitung zuverlässiger Abkommen in Anspruch nimmt. Grundsätzlich kann von keinem der unmittelbar Beteiligten gefordert werden, übereilte Entscheidungen zu treffen, die zu erneutem Scheitern im Rahmen der Verhandlungen führen könnten. Die Medien werden zu oft und im Namen „aller BürgerInnen“ (in diesem Fall der Kolumbianer*innen) zu Druckmitteln, die Ergebnisse fordern, ohne dabei den Kontext zu berücksichtigen oder die Schwierigkeiten des Verhandlungsprozesses zu erfassen.

10. Vertrauen während der Berichterstellung

Dies bedeutet davon auszugehen, dass alle Beteiligten im Rahmen ihrer oft widersprüchlichen Interessen den Willen zum Dialog und die Bereitschaft zu verhandeln besitzen. Auf dieser Voraussetzung basieren schließlich die Verhandlungen.

Zum Hintergrund der Friedensverhandlungen

Um die Rahmenbedingungen zu verstehen, innerhalb derer die Gespräche für eine mögliche politische Verhandlungslösung des kolumbianischen Konflikts geführt werden, sind folgende Aspekte entscheidend:

– Es besteht Sorge über den aktiven Widerstand gegen den Friedensprozess, der von verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ausgeht. Die Verhandlungen finden inmitten einer anhaltenden Spannung statt, die von geheimen Akteuren verursacht wird, die möglicherweise zu Sabotageakten am Prozess anspornen könnten. So geschah es bereits mehrmals vor den Verhandlungen.

– Es ist wichtig zu verstehen, dass Frieden nicht nur durch institutionelle Verhandlungen entsteht (die durch die Verfassung der nationalen Regierung überlassen sind), sondern auch durch soziale und politische Bürgerbeteiligung. Die Friedensprozesse gehen weit über die Verantwortung hinaus, die der Regierung und den Guerillagruppen bei den Verhandlungen zukommt. Auch wenn diese dabei die größte Verantwortung tragen, ist der Frieden, seine öffentliche Diskussion und sein wesentliches Gelingen die Aufgabe von uns allen. Für die Bürger*innen bedeutet dies vor allem, weder auf einen kritischen Blick noch die aktive Teilnahme an den sozialen Friedensgesprächen zu verzichten, sowie den Dialog als politische Alternative zur Friedensschaffung zu verteidigen und zu unterstützen. Wenn Frieden dadurch erreicht wird, die Bewaffneten zu entwaffnen, dann fordert er auch das direkte Engagement der Unbewaffneten.

– Das entscheidende ist die Beteiligung der Bürger*innen am Frieden, worauf die Medien positiven oder negativen Einfluss haben können. Die Bereitschaft zur sozialen Mobilisierung und die Förderung einer fundierten und verantwortungsbewussten Meinung der Zivilgesellschaft sind notwendig, damit auch dieser eine legitimierende Rolle auf dem Weg zum Frieden in Kolumbien zukommt.

– Es ist nötig, den Verhandlungstisch in einen Ort der öffentlichen Debatte umzugestalten, denn das wichtigste der Diskussion ist es, bei der Demokratisierung der Gesellschaft voranzuschreiten. Die Dialoge dürfen nicht nur institutioneller Natur sein und hinter verschlossener Tür stattfinden, auch wenn verständlich ist, dass es Verhandlungsfragen (strategischer Natur) gibt, die zunächst ausschließlich von den Unterhändler*innen der Regierung behandelt werden.

– Schließlich sei gesagt, dass der Frieden eine ethische und politische Pflicht ist und auch durch die symbolischen Bereiche, angeführt von Journalist*innen und Medien, geschaffen wird. Es muss kaum darauf hingewiesen werden, dass Informationen ein öffentliches Gut sind, das jedoch in vielen Fällen von privaten Unternehmen verwaltet wird, die verschiedene Interessen in strategischen Sektoren der Wirtschaft und der nationalen Politik haben. Es ist daher zwingend nötig, dass der Journalismus sich als eine analytische Tätigkeit versteht, die unter guter Führung zur Entfaltung des kritischen Verständnisses der Gesellschaft beitragen kann.

 

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