Marktmacht in Brasilien schützt Siemens vor Strafe

von Christian Russau

(20. August 2015, amerika21.de).- Die Siemens-Generalniederlassung in Brasilien ist vor Gericht zum mittlerweile vierten Mal seit 2009 von dem Bann bei Staatsaufträgen temporär befreit worden. Dabei geht es um den Vorwurf der Korruption durch Siemens-Mitarbeiter*innen bei Ausschreibungen der brasilianischen Post und Telekom zwischen 1999 und 2005. Im Jahr 2009 war Siemens verurteilt und für die Dauer von fünf Jahren von Staatsaufträgen jeglicher Art ausgeschlossen worden. Doch 2010 gab ein Richter der Beschwerde des Münchener Konzerns statt und hob den Bannspruch auf.

30 Prozent Marktanteil

Begründung: Um Schaden für die brasilianische Gesellschaft abzuwenden, denn ein Ausschluss von Siemens von allen Staatsaufträgen beeinträchtige das Medizinwesen Brasiliens. Siemens hat im Bereich bildführender Geräte in der Medizintechnik in Brasilien einen sehr hohen Marktanteil. Nach Angaben des Unternehmens stammen 30 Prozent aller Geräte wie Computer- und Magnetresonanztomografen in Brasilien von Siemens.

Die Staatsanwaltschaft erhob Widerspruch und so zieht sich der Fall seit 2010 hin. In den Jahren 2009, 2013, 2014 und 2015 wurde der Bannspruch gegen Siemens jeweils wieder von einem Gericht bestätigt, solange bis der Konzern von einem anderen Richter davon befreit wurde. Auch diesmal argumentierte der Richter Olindo Menezes, der durch den Ausschluss “drohende Schaden sei gegebenenfalls zu hoch”, sodass er den Richterentscheid vorerst aufhebe, bis der Oberste Gerichtshof sich des Falles annehme.

“Ausschließlich nur durch Siemens”

Es war wieder die Marktmacht von Siemens in einem anderen Wirtschaftssektor, dem Gesundheitswesen, die die Richter davor zurückschrecken ließ, Siemens gleich ganz von öffentlichen Aufträgen auszuschließen. Erneut erfolgte kein Freispruch von den Bestechungsvorwürfen an sich. Alle bisherigen Richterentscheide führten als Argument an, es gehe darum, “vom öffentlichen Gesundheitswesen (Brasiliens) Schaden abzuwenden”. Und Siemens selbst hatte in seiner Berufung vor Gericht eine Reihe von Krankenhäusern in den Bundesstaaten Amazonas, Bahia, Ceará sowie das Nationale Krebsinstitut namentlich erwähnt, deren Medizintechnik dringender Reparaturen durch Siemens bedürfe – und dies “ausschließlich nur durch Siemens”, wie der Konzern in seiner Stellungnahme nicht müde wurde wörtlich zu betonen. Es entstehe durch den Bann von Staatsaufträgen ein Schaden für große Teile der brasilianischen Bevölkerung, argumentierte der Konzern vor Gericht.

Nicht erwähnen hingegen wollte das deutsche Unternehmen, dass der Bevölkerung des Bundesstaats von São Paulo ein Milliardenschaden durch das sogenannte U-Bahn-Kartell entstanden war, an dem mehr als zehn Firmen, darunter Siemens, beteiligt waren. Die Bundesstaatsanwaltschaft fordert in dem anhängigen Verfahren Entschädigungen in Millionenhöhe sowie die Auflösung von zehn Firmen, darunter Siemens Brasilien.

„Andere“ Baustellen des Konzerns

Ebenfalls sprach Siemens in seiner Eingabe vor Richter Menezes nicht an, dass das Unternehmen über sein Joint Venture mit der Heidenheimer Firma Voith die Turbinen für den Staudamm Belo Monte am Xingu-Fluss in Amazonien liefert und dementsprechend auch Marktmacht im Staudammsektor, Brasiliens wichtigstem Stromlieferanten, hat. Dem Bundesrichter Olindo Menezes, der nun Siemens erneut freigesprochen hat, ist dies ohnehin gut bekannt. Denn Menezes war der erste Bundesrichter, der einen gegen Belo Monte verhängten Baustopp im März 2011 aufgehoben hatte.

Dieser war verhängt worden, weil die am Staudammbau beteiligten Firmen die Umweltauflagen nicht eingehalten hatten. Der Richter begründete seine damalige Entscheidung damit, dass er keine Notwendigkeit für die Einhaltung aller Auflagen sehe.

Derweil zieht das ganze Ungemach in Brasilien für die Münchener noch weitere Kreise. Denn die Verstrickungen von Siemens in die brasilianische Militärdiktatur (1964-1985) sind noch immer nicht abschließend geklärt. Der Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission erwähnte Siemens als einen der multinationalen Konzerne, die auch das Folterzentrum Oban in São Paulo mitfinanziert hätten. Die diesbezüglichen Untersuchungen dauern an.

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