LGBTI-Gemeinde kämpft für ihre Rechte

von Carmen Herrera

(Lima, 24. April 2014, noticias aliadas).- Obwohl Nicaragua das einzige Land in Lateinamerika ist, in dem es ein Amt zur Verteidigung des Menschenrechts auf sexuelle Diversität gibt, kritisieren Führende von LGBTI-Organisationen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Intersexual*) dass dieser gesetzliche Rahmen weder im öffentlichen Raum noch in staatlichen Institutionen umgesetzt wird. Vor allem in letzteren werden Mitglieder überwiegend stigmatisiert und sind Diskriminierung ausgesetzt. „Als die Beauftragte für das Menschenrecht auf sexuelle Diversität im Jahr 2009 gewählt wurde, erwarteten wir uns sehr viel. Aber die Zeit verging und wir stehen Tag für Tag Diskriminierung in den verschiedenen öffentlichen Institutionen gegenüber. Die Missbrauchsfälle, die wir der Staatsanwaltschaft, dem Familienministerium oder den Gerichten melden, bleiben ungelöst. Am meisten Schikane erfahren LGBTI-Personen von der Polizei“, so Martha Lorena Villanueva, Koordinatorin der Gruppe SAFO, einer Organisation, die sich für die Rechte von Frauen, Lesben und Transgender-Personen (FLT*) einsetzt, gegenüber Noticias Aliadas.

Die Strategiegruppe für das Menschenrecht auf Geschlechterdiversität publizierte 2010 die Studie „ein Blick auf die sexuelle Vielfalt in Nicaragua“, der zufolge 76,7 Prozent der LGBTI-Personen in Armut leben und nur zwei US-Dollar oder weniger pro Tag zur Verfügung haben. Von ihnen leben 45 Prozent sogar mit einem oder weniger als einem US-Dollar am Tag, was von einer extrem verletzlichen Situation zeugt. Aus der Studie geht hervor, wie wichtig es ist, Einstellungen und Verhalten durch Bildung zu verändern, um so Diskriminierung und Ausgrenzung zu verringern. Diskriminierung und Homophobie findet in öffentlichen und privaten Institutionen genauso statt wie in Schulen und den Familien selbst. Insgesamt gaben die Menschen mit anderen Geschlechteridentitäten in der Studie an, von der Grundschule bis zur Universität in allen Bildungseinrichtungen Diskriminierung zu erfahren.

Trotz allem haben politische Entscheidungen der sandinistischen Regierung in der letzten Zeit den Kampf gegen die Diskriminierung von LGTBI-Personen vorangebracht, indem entsprechende Gesetze und Dekrete erlassen wurden. „In der nicaraguanischen Transgender-Vereinigung ANIT (Asociación Nicaragüense de Trangeneras) nehmen wir die Regierung beim Wort wenn es darum geht, Diskriminierung im Schulsystem zu bekämpfen. Wir konnten erreichen, dass sich drei Transpersonen mit ihrer sexuellen Identität an der Zentralamerikanischen Universität UCA (Universidad Centroamericana) in Managua immatrikuliert haben. Außerdem können wir große Erfolge in Bezug auf die Einschreibequoten in Grund- und weiterführenden Schulen verzeichnen“; so äußerte sich Ludwika Vega, die Koordinatorin von ANIT gegenüber Noticias Aliadas.

Aufbrechen von Stigmata

„Seit drei Jahren arbeiten wir mit Unterstützung des American Jewish World Service an dem Projekt „Rechte für die Transbevölkerung Nicaraguas“, in dessen Rahmen wir Strafanstalten besuchen und die inhaftierten Gefährtinnen juristisch unterstützen konnten. Außerdem besuchen wir nachts transidentitäre Sexarbeiterinnen um sie zu schützen und bieten ihnen Informationen zu rechtlichen Möglichkeiten sowie gefährlichen Gebieten.“, erklärte Vega. Mit dem Projekt hat ANIT in den Gemeinden, in denen die Organisation aktiv arbeitet, seinen Einflussbereich ausgeweitet: immer mehr Fälle von Missbrauch oder Schikane werden angezeigt. „Unsere Gefährtinnen schweigen nicht mehr, wir haben mehr Offenheit im Gesundheitsministerium MINSA (Ministerio de Salud) und im Innenministerium erreicht. Vor Kurzem konnten wir sogar ein Sensibilisierungsseminar am Obersten Gerichtshof durchführen“, fügte Vega hinzu.

Aus dieser Erfahrung heraus gelang es den Mitgliedern von ANIT außerdem, weitere Workshops an den Gerichten zweier weiterer Provinzen zu planen: in Estelí, im Norden des Landes und in Bluefields, das in der Autonomen Südlichen Altantikregion RAAS (Región Autonoma del Atlantico Sur) liegt und Heimat für Indigene und Menschen mit afrikanischen Vorfahren ist. Bisher ist ANIT die einzige Gruppe im Bereich der sexuellen Diversität, die ihre Seminare in diesem Bereich des Staates verwirklichen kann.

„Die Workshops beinhalten Sensibilisierung der Richter*innen in Bezug auf ihr Verhalten gegenüber der Bevölkerung mit geschlechtlicher Diversität. Ziel ist es, das Stigma aufzubrechen, dass wir, Menschen mit unterschiedlichen Geschlechteridentitäten, automatisch und trotz fehlender Beweise angeklagt werden, ohne dass der nötige Prozess durchlaufen wurde oder weiterverfolgt wird. Die Fälle werden nicht überwacht und häufig dauert es viel zu lange, bis Recht gesprochen wird“, beklagte Vega.

Kirche verweigert sich Reformen

Die Organisationen zur Geschlechterdiversität arbeiten außerdem an Reformen des Familiengesetzes, das LGBTI-Familien nicht mit einschließt, und an der Legalisierung der Identität von Transpersonen. Im Fall des Familiengesetzes „haben wir bei der Kommission für Kindheit und Familie der Nationalversammlung beantragt, als vielfältige Familien in die Gesetze mit integriert zu werden. Die Abgeordneten sagten uns, Nicaragua sei für diesen Wechsel nicht bereit, wir müssten noch etwa 30 Jahre warten um das zu erreichen. Das Problem ist, dass die Regierung eine Allianz mit der katholischen Kirche hat, die sich weigert, uns anzuerkennen“, betonte Villanueva.

Zugleich arbeiten verschiedene LGTBI-Gruppen daran, die ministeriale Resolution 249 des MINSA aus dem Jahr 2009 zu reformieren. Diese legt fest, dass das Gesundheitspersonal „Aktionen, die zur Abschaffung jeglicher Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung beitragen, unterstützen und verbreiten“ solle. Zusätzlich zu sexueller Orientierung sollen „Ausdruck der Sexualität“ sowie „Geschlechteridentität“ in die Resolution mit aufgenommen werden.

Diese Arten von Formulierungen werden zur Zeit von den Organisationen für Geschlechterdiversität eingefordert, da sie diese als notwendig und integrativ erachten. Dies betrifft vor allem Personen mit zum Beispiel transsexuellen Identitäten, die dafür kämpfen aus einer Genderperspektive und nicht nur auf Basis ihrer sexuellen Identität behandelt zu werden. „Diese Regierung macht uns glauben, es gäbe Fortschritte, aber am Ende legen sie uns Steine in den Weg“, beklagte Villanueva. „Die Verantwortlichen des MINSA sagen zu allem ja, aber 80 Prozent des Personals dieses Ministeriums kennt nicht einmal die Resolution 249. Sie ist nicht sichtbar und für unsere Organisationen ist es eine Herausforderung, sie bekannt zu machen.“

Auf dem Weg zur Anerkennung

Eine weitere Schwierigkeit, die es zu überwinden gilt ist laut Vladimir Ernesto Reyes das kulturelle Problem, wie er gegenüber Noticias Aliadas äußerte. Er ist Koordinator des Vereins Neue Horizonte Nicaraguas (Asociación de Nuevos Horizontes de Nicaragua), die sich für die Menschenrechte und vor allem für das Recht auf Geschlechterdiversität einsetzt. „Die Bevölkerung ist sehr machistisch, patriarchalisch und stark religiös geprägt, auch innerhalb der Geschlechterdiversitäts-Bewegung. Daher arbeiten wir mit diesem Thema quer durch alle Projekte und Programme hindurch und die Bevölkerungsgruppe, mit der wir zu tun haben, lebt mit vielen inneren Schuldgefühlen. Diese Gefühle zu dekonstruieren ist eine sehr komplizierte Aufgabe.“

„Alles in allem halte ich die Fortschritte, die wir schon in kurzer Zeit gemacht haben für beachtlich, im zentralamerikanischen Kontext sind wir das Land mit der geringsten Kriminalitätsrate in Bezug auf Geschlechterdiversität. Wir fühlen uns stark, organisiert und wir haben das Thema um unsere Rechte in der Politik geltend gemacht“, bekräftige Reyes. „Ich sage immer, in Nicaragua sind wir im siebten Himmel; man kann sagen, dass es das einzige Land der Region ist, in dem ein politischer Ort für die Geschlechterdiversität geschaffen wird. Wir gehen die ersten Schritte auf dem Weg zu Anerkennung und Respekt durch die Gesellschaft ohne jede Form von Unterdrückung. Wir können uns 24 Stunden am Tag auf den Straßen bewegen, wenn wir Lust haben einen Umzug zu veranstalten, dann tun wir es und wenn wir irgendwann an der Tür irgendeines Ministers klopfen, werden wir vielleicht nicht empfangen, aber immerhin auch nicht misshandelt. Ich glaube wir haben große Fortschritte gemacht, wenn es um öffentliche Anerkennung und Sichtbarkeit geht.“, schlussfolgert Reyes.

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