La Paz: Gemeinschaft säen

von Bettina Hoyer

(Berlin, 29. Dezember 2015, npl).- Bunt und grün ist es hier: Gemüse, Kräuter, Kartoffeln, Salat und Blumen – zwischen Paletten gezogen, in Kästen, in Säcken, unter Folie oder auch nicht. Bewacht von lustigen bunten Vogelscheuchen. Die Organisation Fundación Alternativas will mit dem Gemeinschaftsgarten Lak’a Uta nicht nur die Ernährungssituation von Familien verbessern, sondern auch Gemeinschaftssinn und Solidarität befördern.

70 Prozent der Menschen in Bolivien leben im urbanen Raum

Das Viertel Cotahuma liegt am Rande der in einen Talkessel gebetteten bolivianischen Andenstadt La Paz. Es liegt auf fast 4.000 Metern Höhe. Die Straße windet sich den Steilhang hinauf in die Hochebene der Schwesterstadt El Alto. Der Blick über La Paz verzaubert, doch die Lebensrealität der Bewohner*innen ist hart. Die Familien, die hier leben, sind meist Migrant*innen vom Land in der dritten Generation.

Bolivien macht in punkto weltweite Migration in städtische Ballungsräume keine Ausnahme: 70 Prozent der rund zehn Millionen Einwohner*innen Boliviens leben heute in urbanen Räumen. Vor 50 Jahren waren es lediglich 30 Prozent. In La Paz leben zwei von sechs Einwohner*innen in Armut, eine von sechs Personen in extremer Armut. Da verwundert es nicht, dass zwei von sechs Kindern im schulpflichtigen Alter keine angemessene Ernährung erhalten.

Diese Realität will die Fundación Alternativas verändern helfen. Die NGO hat in La Paz im Oktober 2014 auch das erste Gemeindekomitee für Ernährungssicherung in Bolivien ins Leben gerufen, in dem Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, der Stadt und der Wirtschaft Strategien entwickeln, um die Ernährungssicherung in La Paz zu verbessern. Außerdem veranstaltet die Stiftung Gesprächsforen und führt Projekte mit Schulen durch, wo beispielsweise gesund und lecker gekocht wird.

Skepsis ist gewichen

Auf einem terrassenartigen Gelände der Gemeinde hat die Organisation vor anderthalb Jahren einen Gemeinschaftsgarten initiiert. Jetzt gärtnern hier etwa 40 Familien auf zwei Terrassenebenen – unterstützt von zwei Fachleuten und Freiwilligen aus Bolivien und aller Welt. Den Familien steht jeweils eine eigene Fläche zu, wo sie Gemüse angebauen können, erklärt der Agraringenieur Abad Conde, der hier arbeitet: „Wir als Stiftung unterstützen die Leute bei technischen Dingen und auch mit einigen Materialien, mit Saatgut und Dünger. Das besondere an der Arbeit der Nachbar*innen hier in den Gärten ist, dass sie nicht individuell ist. Auch wenn allen 16 Quadratmeter zur Verfügung stehen: Das Urbarmachen des Platzes, das Zurückschneiden von Bäumen, das Entfernen von Pflanzen, die mitten auf der Ebene gewachsen sind, das Setzen von Pfosten, das Umzäunen des ganzen Ortes, das waren Arbeiten, die gemeinsam erledigt wurden.“

Gemüse, Kräuter, Kartoffeln und Blumen

Die Menschen hier im Stadtviertel leben meist in sehr armen Verhältnissen. Rund 80 Prozent ihres Einkommens geben sie für Lebensmittel aus. Oft verfügen sie nicht über einen Kühlschrank. Es sei anfangs ganz und gar nicht einfach gewesen, die Leute auf Nachbarschaftsversammlungen und auf dem Markt, wo viele von ihnen arbeiten, für dieses Projekt zu begeistern, erläutert Abad. Mittlerweile sind alle Parzellen belegt und Interessierte – die schon lange nicht mehr nur aus Cotahuma kommen – müssen sogar auf später vertröstet werden.

Bunt und grün ist es im Gemeinschaftsgarten: Gemüse, Kräuter, Kartoffeln, Salat und Blumen – zwischen Paletten gezogen, in Kästen, in Säcken, unter Folie oder auch nicht, wachsen gut bewacht von lustigen bunten Vogelscheuchen. Ein kleiner Junge, vielleicht zweieinhalb Jahre alt, flitzt zwischen den Beinen der Erwachsenen herum. Er trägt eine große Dose mit Wasser in den Händen. Jedem, dem er begegnet, erklärt er stolz: „Ich gieße! Ich muss jetzt gießen!“ Dann hastet er zum Beet, schüttet das Wasser vorsichtig neben die Pflänzchen und flitzt wieder zur Wassertonne.

Wertschätzung und Gemeinschaft

Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft, die oft aus zerrütteten Familien kommen und häufig nach der Schule auf der Straße herumhängen, gehen gern in den Garten, hören Musik, haben dort ihre Ruhe – aber wollen auch mithelfen. Pamela Rocha, ebenfalls Agraringenieurin und Koordinatorin der Arbeit im Garten erklärt, warum das so ist: „Der Garten ist ein Raum, wo ihr Wort, genau wie das aller anderen zählt, egal ob es sich um Jugendliche handelt, eine Person im Rentenalter oder ein Kind. Ihr Wort wird gehört, ihre Meinung wird gehört. Sie nehmen aktiv teil, können eine Führungsrolle im Komitee übernehmen, können an Workshops teilnehmen oder ihren eigenen Garten haben.“

Vor allem aber, so Pamela, kämen Frauen in den Garten. „Frauen, die normalerweise ihre Kinder alleine großziehen. Auch wenn sie Hausfrauen sind, arbeiten sie doch als Wäscherinnen, als Maurergehilfinnen. Sie sind es, die das Geld für die Familie heranschaffen müssen. Hinzu kommt, dass Frauenarbeit im Haushalt nicht sichtbar ist. Doch in diesem Fall bringen die Frauen sogar ihre Produkte nach Hause! Das heißt: Ihr Beitrag zum Familieneinkommen wird sichtbar, wird deutlich und wird anerkannt.“

Eine fünfköpfige Familie benötigt für die Grundversorgung mit Lebensmitteln mindestens 1.391 Bolivianos monatlich (Mindestlohn:1.656 Bolivianos). Etwa 30 Bolivianos wöchentlich sparen die Familien durchs Gärtnern ein.

Gemeinschaft säen

Der Slogan der NGO ist cultivando comunidades, zu Deutsch etwa: „Gemeinschaft säen“. Maria Teresa Nogales, Gründerin und Geschäftsführerin von Fundación Alternativas unterstreicht, dass es ihrer Organisation eben nicht nur um die Sicherung der Ernährung gehe: „Wir wissen, dass diese weltweit stattfindenden Prozesse der Verstädterung, wo wir unsere Nachbarn nicht mehr kennen, das soziale Netz unserer Gemeinschaften schädigen. Und das wiederum schafft offensichtlich ganz eigene Formen von Unsicherheit. Das heißt, ein Teil dessen, worauf wir mit unserer Arbeit zu Ernährungssicherung hinarbeiten, ist genau die Schaffung dieser Orte des Zusammenlebens, wo Gegenseitigkeit einen Platz hat, wo wir soziales Kapital schaffen können und wodurch schließlich Sicherheit jenseits der Ernährungssicherung geschaffen wird.“ Darum, so die Politologin, „ist dies ein Nachbarschaftsgarten. Genau deswegen arbeitet Fundación Alternativas nicht mit Gewächshäusern in privaten Räumen.“

Dieser Fokus auf das Miteinander unterscheidet diesen Gemeinschaftsgarten von vielen Projekten der FAO in El Alto und anderen in La Paz. Die Mitarbeiter*innen der Fundación wollen erreichen, dass die Leute nicht meckern, wenn eine Nachbarin nicht gekommen ist, sondern sich fragen: „Was wird da los sein? Ob sie krank ist? Vielleicht gibt es ein Problem?“ Diese innere Haltung zu entwickeln, darum gehe es ihnen auch beim Apthapi-Mahl: „Wenn wir uns alle mittags zu einem Imbiss zusammensetzen, selbst, wenn es wenig ist, wenn es nur ein Saft ist, sollten die Großen im Blick haben, dass die Kinder auch etwas bekommen. Und dann teilen wir untereinander. Das ist der Unterschied, der eine Gemeinschaft ausmacht.“

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