Kriminalisierung von Ex-Gefangenen der Diktatur nach Protesten gegen Straflosigkeit

von Ute Löhning

(Berlin, 17. November 2013, poonal-la diaria-comcosur).- Uruguay tut sich schwer mit der Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen aus der Zeit der Militärdiktatur von 1973 bis 1985. Deutlich wird das momentan an den Entwicklungen rund um die Absetzung der Richterin Mariana Mota. Dabei ist Uruguay ein Land, dessen Staatspräsident José Mujica während der Diktatur von den Militärs gefoltert und unter unwürdigsten Bedingungen festgehalten wurde, und in dessen Regierung weitere Ex-Guerrilleros der Tupamaros sitzen.

Friedliche Proteste gegen Absetzung der Richterin Mota

Die Richterin Mariana Mota, die in mehreren Fällen von Staatsterrorismus konsequent ermittelt und z.B. den Ex-Diktator Juan María Bordaberry zu einer Haftstrafe verurteilt hatte, war Anfang 2013 vom Obersten Gerichtshof (SCJ) gegen ihren Willen und ohne Begründung von einem Strafgericht an ein Zivilgericht versetzt worden. Die von ihr bearbeiteten Fälle wurden dadurch blockiert, die juristische Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen insgesamt verzögert und ausgebremst.

Menschenrechtsvereinigungen, ehemalige Gefangene und deren Angehörige hatten daraufhin für den 15. Februar 2013 zu Protesten am Obersten Gerichtshof aufgerufen.

Hunderte Menschen kamen. Sie protestierten laut aber friedlich, sangen, applaudierten, riefen Parolen, forderten Aufklärung und die Bestrafung der Menschenrechtsverbrechen der Diktatur und, ganz konkret, forderten sie, die Richterin Mariana Mota nicht zu versetzen. 100 bis 200 Protestierende gingen auch in das Gebäude des Obersten Gerichtshofs hinein, dorthin wo die Versetzung der Richterin Mota in einer öffentlichen Sitzung verhandelt und beschlossen wurde. Obwohl die Veranstaltung friedlich verlief, wurden die Protestierenden von einer Spezialeinheit aus dem Gebäude gedrängt.

Anklagen wegen „Zusammenrottung“

Am selben Tag noch hatte der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Jorge Ruibal Pino, Anzeige gegen sieben Teilnehmer*innen dieser Proteste wegen “Zusammenrottung” (asonada) erstattet – sieben ,als mutmaßliche Anführer*innen ausgemachte Personen aus einer Gruppe von mehr als hundert Teilnehmenden, vermutlich diejenigen, die mit der Presse gesprochen hatten.

Die Strafrichterin Gabriela Merialdo hat am vergangenen 4. November nun Anklage erhoben gegen Irma Leites, Jorge Zabalza, Alvaro Jaume, Patricia Borda, Aníbal Varela, Eduardo Jaume, Diego Jaume.

Als “Zusammenrottung” oder “Auflauf” gilt, wenn sich “nicht weniger als vier Personen treffen, randalieren, die Bevölkerung aufwiegeln, (…) mit Schreien oder Drohungen öffentliche Veranstaltungen oder religiöse Feierlichkeiten stören (…)”. Nach uruguayischer Gesetzgebung ist „Zusammenrottung“ oder “Auflauf” ein Verstoß gegen die innere politische Ordnung des Staates. Teilnehmer*innen einer “Zusammenrottung” können mit drei bis neun Montanen Haft bestraft werden.

Zynisch anmutende Verhältnisse

Einige der Angeklagten (Irma Leites, Jorge Zabalza, Alvaro Jaume) haben mehrere Jahre als politische Gefangene in den Kerkern der Diktatur verbracht. Irma Leite spielt eine herausgehobene Rolle in der Plattform für Erinnerung und Gerechtigkeit (Plenaria Memorial y Justicia), Jorge Zabalza war ein führender Kopf der Tupamaros.

Der Staatsanwalt für diesen Fall ist Gustavo Zubia, Sohn des Putschistengenerals Eduardo Zubia und Gefängniswärter des jetzt angeklagten Jorge Zabalza.

Zahlreiche Protestnoten gegen Vorgehen der Justiz

Der Gewerkschaftsverband PIT-CNT spricht sich in einer Erklärung des Geschäftsführers Marcelo Abdala Fernando Pereira gegen die Anklage aus und fordert das Recht aller uruguayischen Bürger*innen auf freie Meinungsäußerung und Protest als verfassungsmäßig garantiertes Recht ein. Mehrere Menschenrechtsvereinigungen haben zu einer gemeinsamen Pressekonferenz zu diesem Thema geladen

Auch der uruguayische Ableger des Weltverbands der Community-Radios AMARC (Asociación Mundial de Radios Comunitarias) weist die Bestätigung der Anklage durch die Richterin Merialdo in einer öffentlichen Erklärung zurück. Der legitime Protest sei friedlich verlaufen. Auf diese Weise werde Protest kriminalisiert, das Recht aller Bürger*innen auf Meinungsfreiheit und auf den öffentlichen Ausdruck dieser Meinung eingeschränkt und mit Füßen getreten.

Die uruguayische Justiz agiere nicht unabhängig und verstelle den Weg auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, indem sie die Straflosigkeit derjenigen aufrechterhalte, die für Menschenrechtsverbrechen der Diktatur verantwortlich sind.

Sechs der Angeklagten (Irma Leites, Jorge Zabalza, Alvaro Jaume, Aníbal Varela, Eduardo Jaume, Diego Jaum) kündigen in einer öffentlichen Erklärung juristische Schritte an, mit denen sie erreichen wollen, dass der Oberste Gerichtshof selbst die Erklärung der Richterin Merialdo als nicht verfassungskonform erkläre.

Und wieder Mariana Mota…

Mariana Mota selbst hatte im September 2013 öffentlich Kritik an der Anklageerhebung wegen Zusammenrottung geäußert. In der Zeitung El País hatte sie erklärt, sie sehe dafür keine Grundlage, denn niemand sei verletzt und der öffentliche Akt ihrer eigenen Versetzung nicht blockiert worden. Die Protestierenden hätten lediglich ihr Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch genommen.

Nun wiederum verlangt der Oberste Gerichtshof von Mota eine Erklärung zu ihren öffentlichen Äußerungen. Ob sie diese Äußerungen gegenüber El País wirklich so gemacht habe und warum sie diese Form gewählt habe. Nach Einschätzung der Autorin Natalia Aval von der uruguayischen Tageszeitung „La diaria“ könnte dies möglicherweise der erste Schritt zu erneuten administrativen Ermittlungen gegen Mota sein.

Erneute Wende – Ausgang ungewiss

Inzwischen hat eine erneute Wende stattgefunden: Vier Tage nach Prozesseröffnung gegen die sieben Aktivist*innen hat der Oberste Gerichtshof nun entschieden, auch Richterin Gabriela Merialdo ihres Postens am Strafgericht zu entheben und sie an ein Zivilgericht zu versetzen.

Die Informationen über die kurzfristige Versetzung gehen auf Aussagen von Mitarbeiter*innen des Obersten Gerichtshofs gegenüber der Zeitung “El País” zurück. Formal steht die Versetzung in Zusammenhang mit einer Anzeige der Vereinigung der Justizangestellten (Asociación de Funcionarios Judiciales) gegen Merialdo wegen Beschwerden über deren Umgang mit dem Personal an ihrem Arbeitsplatz.

Die bisherige stellvertretende Richterin Cecilia Schroeder wird den Posten von Merialdo übernehmen.

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