Kriegsverbrechen bleiben weiterhin ungestraft

von Tomás Andréu

(Lima, 29. August 2013, noticias aliadas).- Keiner der für die 2014 stattfindenden Präsidentenwahlen kandidierenden Bewerber wird die Abschaffung des Amnestiegesetzes fordern. Jenes Gesetz schließt die Möglichkeit zur strafrechtlichen Verfolgung der Verbrechen aus, die sich während des Bürgerkrieges in El Salvador ereigneten. Der bewaffnete Konflikt begann 1980 in dem zentralamerikanischen Land und endete erst im Januar 1992 mit der Unterzeichnung der Friedensverträge zwischen der Guerilla der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí FMLN (Frente Farabundo Martí para Liberación Nacional) und der Regierung des damaligen Präsidenten Alfredo Cristiani (1989-1994).

Mehr als 20 Jahre später sind sich Linke und Rechte einig, die Vergangenheit ruhen zu lassen und gemeinsam in die Zukunft zu schauen. So ihre Erklärungen. Gleichsam bedeutet dies jedoch eine Abkehr beider politischen Kräfte von der Erklärung der Wahrheitskommission vom Januar 1993. Jenes Dokument zählt die schweren Menschenrechtsverletzungen auf, die während des bewaffneten Konflikts begangen wurden. Dazu gehören mehr als 75.000 Tote, über 8.000 bis heute Vermisste sowie Schäden an der Infrastruktur des Landes in Millionenhöhe.

1993, Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskommission hatte das Parlament das sogenannte Amnestiegesetz zur Sicherung des Friedens verabschiedet, welches „eine weitreichende, absolute und bedingungslose Amnestie“ allen Personen zugesteht, die Menschenrechtsverletzungen in der Zeit des bewaffneten Konflikts begangen haben.

Die Nachrichtenagentur Noticias Aliadas hat die Hauptkandidaten zur salvadorianischen Präsidentschaftswahl daraufhin befragt, ob in ihren Regierungsplänen eine Abschaffung dieses Gesetzes vorgesehen ist.

Kandidat preist Amnestie als Versöhnung

„Die Amnestie hat die salvadorianische Familie wieder miteinander versöhnt“, so der Präsidentschaftskandidat der rechtsgerichteten Nationalistisch-Republikanischen Allianz ARENA (Alianza Republicana Nacionalista), Norman Quijano. „Die Annullierung des Gesetzes würde der Versöhnung schaden. Wenn man seinerzeit einen Schlussstrich gezogen hat, warum sollten wir nun 20 Jahre später alte Wunden wieder aufreißen?“

Im selben Ton äußerte sich Antonio Saca, Präsident von 2004 bis 2009. Er bewirbt sich um eine zweite Amtszeit mit der „Bewegung Einheit“ (Movimiento Unidad) bestehend aus alten Rechtsparteien wie „Nationale Versöhnung“ (Concertación Nacional), der Christdemokratischen Partei sowie der „Großen Allianz für die Nationale Einheit“ (Gran Alianza por la Unidad Nacional). Letztere Formation ist eine Abspaltung der ARENA. Über sein Wahlkampfteam ließ er zum Amnestiegesetz Folgendes verlauten: „Seine Position ist weiterhin dieselbe, die er bisher schon immer vertreten hat. Die Friedensverträge haben Kriterien, Parameter und Entscheidungen festgelegt, in denen das Amnestiegesetz seinen festen Platz hat. Daher sollte dieses auch in seiner jetzigen Form beibehalten werden. Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die Annullierung von Gesetzen nicht der Entscheidungsbefugnis des Exekutivorgans obliegt.“

Enttäuschung über die FMLN

Auch wenn sich Menschenrechtsverteidiger*innen nichts von der salvadorianischen Rechten bezüglich des Amnestiegesetzes und der Entschädigung der Opfer dieses Konflikts erhofft haben, so haben sie doch keine unangenehmen Überraschungen erwartet wie die, welche die regierende FMLN geliefert hat.

Die FMLN hat die Wahlen 2009 mit dem ehemaligen Journalisten Mauricio Funes als Präsidentschaftskandidaten gewonnen, und somit die zwanzigjährige Regierungszeit der ARENA beendet. Auch wenn die FMLN die Straffreiheit der Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen stets heftig kritisierte, hat Funes jegliche Zweifel ausgeräumt, als er am 2. September 2008 – zu jener Zeit war er bereits Präsidentschaftskandidat – ankündigte, dass “ ich die Abgeordneten [der FMLN] darum beten werde, es nicht zu tun [Gesetzesinitiativen zur Annulierung des Amnestiegesetzes einzureichen]. Dies haben wir bereits parteiintern besprochen”.

Und so war es auch. Die FMLN hat keinen Gebrauch davon gemacht, das Amnestiegesetz zu annullieren oder zu ändern. Der aktuelle Präsidentschaftskandidat, der derzeitige Vizepräsident und ehemalige Guerilla-Kommandant Salvador Sánchez Cerén, sieht ebenfalls keinen Änderungsbedarf am Gesetz.

„Wir schauen in die Zukunft“

„Zunächst möchte ich sagen, dass wir den Konflikt mithilfe von Friedensverträgen beigelegt haben. Diese Abkommen haben in El Salvador eine neue Epoche eingeleitet. Dies ist beispielhaft für Lateinamerika und für die Welt. Um Wachstum zu schaffen, braucht es Frieden. Jetzt schauen wir [die FMLN] in die Zukunft, und die Zukunft muss Möglichkeiten für alle bereithalten.“, erklärte er gegenüber Noticias Aliadas.

Für Benjamin Cuéllar, Vorsitzender des Instituts für Menschenrechte der Universität UCA (Universidad Centroamericana) „ist das derzeitige Wahlangebot an Alternativen so prekär, weil niemand in der Lage ist, Hoffnung zu wecken. Jeder der möglichen Gewinner der Wahl wird so regieren wie Funes und wie bereits die Präsidenten der ARENA zuvor.“

Bündnis mit Militärs

Im vergangenen Juni ist eine Gruppe von Militärs ein öffentliches Bündnis mit der FMLN eingegangen. Seitdem haben Sánchez Cerén und sein Mitbewerber Óscar Ortiz, ebenfalls Ex-Kommandant der Guerilla und derzeit Bürgermeister von Santa Tecla, Hauptstadt der südwestlichen gelegenen Provinz La Libertad, einen aktiven Militär als Berater im Verteidigungsministerium, den Oberst Roberto López Morales. Dieser wird von der Wahrheitskommission und der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte genannt als jemand, der Kenntnis von den Mordplänen gegen die Jesuiten-Priester der UCA und gegen zwei ihrer Mitarbeiter am 15. November 1989 gehabt haben muss. Er hatte an einer Sitzung teilgenommen, in der dieses Massaker geplant wurde, und hat nichts unternommen, um dieses zu verhindern.

„Er ist Mittäter und Vertuscher der Geschehnisse. Er wusste davon, dass die Jesuiten umgebracht werden sollten. Vielleicht hat er aus Angst seine Hand nicht erhoben, als man fragte, wer mit der Ermordung nicht einverstanden ist. Aber danach hätte er zum Hörer greifen und die Opfer der UCA warnen können. Nehmen wir an, er hat es nicht getan, weil es kein Telefon gab. Warum hat er dann nicht mit der Wahrheitskommission zusammengearbeitet und die Information preisgegeben, die er hatte?“. Cuéllars Entrüstung beim Interview ist merklich zu spüren.

Die Stiftung zur Anwendung des Rechts FESPAD (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho) hat für die Annullierung des Amnestiegesetzes gekämpft. María Silvia Guillén, Vorsitzende von FESPAD, hat Noticias Aliadas gegenüber ihre tiefe Enttäuschung über die Haltung der FMLN geäußert.

„Die Regierung von Mauricio Funes und der FMLN war sich den vorherigen Regierungen wirklich sehr ähnlich in ihrer Logik von wegen ‚ich bin dazu ernannt worden, die Zukunft zu verwalten, und nicht, um mir ein Urteil über die Vergangenheit zu erlauben‘. FESPAD ist fest davon überzeugt, dass die Regierung der FMLN eine historische Schuld trägt, weil wir von dieser Regierung erwartet haben, dass sie das Thema der Opferentschädigung ernst nimmt, aber auch um Wahrheit und Gerechtigkeit ernsthaft zu ermitteln. Und davor hat diese Regierung zurückgeschreckt. Dies hat mich wirklich sehr traurig gemacht“, so Guillén.

Obwohl Funes im Namen des Staates wegen der im Krieg geschehenen Verbrechen um Verzeihung gebeten hat – darunter auch die Ermordung des Bischofs Óscar Arnulfo Romero (1980), das Massaker von El Mozote (1981) und die Ermordung der Jesuiten – alles Fälle, die von der Wahrheitskommission dokumentiert sind – hält Cuéllar diese Geste für unzureichend.

„Es bringt überhaupt nichts [sich zu entschuldigen]. Das Schlimmste an dieser Regierung ist das Absterben der Hoffnung, die die Menschen in sie gesteckt haben“, versichert er. „Sie fühlen sich weder den Opfern noch der Wahrheit verpflichtet; sondern mit der Partei und mit den Inhabern der Partei. Diese Politik zum Schutz der Verbrecher macht El Salvador zu einem Land, in dem es wirklich schwierig ist zu leben. Die Menschen verlassen dieses Land auch wegen der herrschenden Straflosigkeit.“

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