Kräftebündeln gegen Genmais – Regierung zögert Entscheidung hinaus

von Gerold Schmidt

(Berlin, 23. April 2013, npl).- Das Auditorium Alberto Barajas an der wissenschaftlichen Fakultät der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) ist völlig überfüllt. Fast 1.000 Personen besuchen am 7. Februar die Diskussionsveranstaltung über die von Saatgutmultis beantragte großflächige kommerzielle Aussaat von Genmais in Mexiko. Ein breites Bündnis von bäuerlichen, städtischen und studentischen Organisationen hatte zu dieser Debatte aufgerufen. Nur drei Stühle bleiben in dem großen Saal unbesetzt. Die befinden sich auf dem Podium.

Widerstand gegen Genmais nimmt Fahrt auf

Vorgesehen sind sie für Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, des Umweltministeriums sowie der Interministeriellen Kommission für Biosicherheit und Gentechnisch Veränderte Organismen (Cibiogem). Mit eher fadenscheinigen Argumenten haben die Behördenvertreter abgesagt: Noch keine Position zum Thema – die neue PRI-Regierung hat ihr Amt am 1. Dezember 2012 angetreten – und Terminprobleme. Ohne die Regierungsvertreter gestaltet sich die Diskussion recht einseitig, die übrigen Podiumsteilnehmer*innen sind sich in ihrer Ablehnung von Genmais einig.

Das Publikum findet es trotzdem spannend und nimmt mehrheitlich noch an einer zweistündigen Frage- und Antwortrunde teil. Das große Interesse ist ein weiterer kleiner Etappensieg für all jene, die einer Genmais-Offensive der Saatgutkonzerne trotzen wollen, die von den Multis in den letzten Jahren in Mexiko neu gestartet worden war. Mit frischem Elan hat auch der mexikanische Widerstand gegen den Genmais wieder Fahrt aufgenommen.

Größte Maisvielfalt in Mexiko

„Einzig Maismasse trat in das Fleisch unserer Ahnen.“ So steht es im Popul Vuh, der Schöpfungsgeschichte der Mayas. Der Mais und der aus ihm geschaffene Mensch galten als Einheit in Mesoamerika. Die Maisvielfalt repräsentierte die Vielfalt der Menschen. Mais wurde aus dem Wildgras Teosinte gezüchtet. Seit mindestens 6.000 Jahren entwickeln die Menschen den Mais in seiner Ursprungsregion weiter.

In Mexiko gibt es mindestens 59 Landrassen mit hunderten an die lokalen Umweltbedingungen angepassten Varietäten. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die genetische Diversität des Mais so groß wie in Mexiko. Dort ist die „Pflanze der Götter“ auch nach wie vor das wichtigste Nahrungsmittel. Millionen mexikanischer Kleinbauern und Kleinbäuerinnen bringen ihr Maissaatgut Jahr für Jahr aus. Der einheimische Mais ist eine unverzichtbare Kulturpflanze in umfassendem Sinne. Doch ausgerechnet in seinem Ursprungszentrum droht die Verunreinigung mit Genmais.

Calderóns „Abschiedsgeschenk an Monsanto“ blieb aus

Der bis auf die Mitte der 1990er Jahre zurückgehende Kampf David gegen Goliath schien im Herbst vergangenen Jahres bereits entschieden. Im September 2012 beantragten die Multis Monsanto, DuPont-Pioneer und Dow die Genehmigung für die Aussaat von Genmais auf über einer Million Hektar in den nördlichen Bundesstaaten Sinaloa und Tamaulipas. Nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“ handelt es sich um die gesamte Fläche für den Bewässerungsfeldbau in dieser Region.

Allgemein wurde erwartet, die scheidende konservative PAN-Regierung unter Präsident Felipe Calderón würde vor ihrem Abgang zum 1. Dezember 2012 das Feld für die Saatgutkonzerne bestellt haben. Bereits 2005 war unter Calderóns Vorgänger Vicente Fox das Gesetz über Biosicherheit und Gentechnisch Veränderte Organismen, im Volksmund auch „Monsanto-Gesetz“ genannt, verabschiedet worden.

2009 hob Calderón dann trotz aller Proteste das seit 1998 bestehende Moratorium gegen Genmaispflanzungen in Mexiko auf. Dies war die Voraussetzung für den Beginn und die systematische Ausweitung der Genehmigungen für den experimentellen und den so genannten Pilotanbau von Genmais in den vergangenen Jahren. Was immer die Beweggründe gewesen sein mögen, das Abschiedsgeschenk des scheidenden Präsidenten an Monsanto & Co blieb aus.

Neue Allianzen

Seit Dezember mobilisieren nun ganz neue Allianzen, damit der neue PRI-Präsident Enrique Peña Nieto nicht nachholt, was Calderón nicht mehr erledigte. Das seit über zehn Jahren bestehende Netzwerk zur Verteidigung des Mais, hinter dem landesweit etwa tausend indigene und kleinbäuerliche Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft stehen, arbeitet mit der Urbanen Volksbewegung MUP (Movimiento Urbano Popular) in Mexiko-Stadt und der Studentenbewegung #Yo Soy 132 zusammen.

Damit werden erstmals die Stadtbewohner*innen, die vor allem als Konsument*innen von der massiven Einführung von Genmais betroffen wären, verstärkt für das Thema sensibilisiert.

Mitglieder der Vereinigung Gesellschaftlich Engagierter Wissenschaftler*innen UCCS (Unión de Científicos Comprometidos con la Sociedad), deren Expert*innen zum Teil selbst in Regierungseinrichtungen oder öffentlichen Universitäten arbeiten, melden sich verstärkt in der Öffentlichkeit zu Wort.

Dem UCCS-Aufruf gegen die Genmais-Aussaat in Mexiko haben sich inzwischen mehr als 3.000 Wissenschaftler*innen aus aller Welt angeschlossen.

Landwirte der Nationalen Vereinigung der Bäuerlichen Autonomen Regionalorganisationen UNORCA (Unión Nacional de Organizaciones Regionales Campesinas Autónomas) und ein Mitglied der internationalen Bewegung Vía Campesina führten in der letzten Januarwoche an der zentralen Avenida Reforma in Mexiko-Stadt einen Hungerstreik durch, mit dem sie sich gegen Genmais und die Abhängigkeit von den Saatgutmultis aussprachen. Mit der UNORCA-Aktion solidarisierten sich spontan andere Organisationen aus dem Agrarsektor.

Bei der abschließenden Protestdemonstration am 31. Januar marschierten außer den knapp 5.000 Campesinos, dem Netzwerk und anderen Initiativen auch Greenpeace und Mitglieder der Nationalen Versammlung der von Umweltschäden Betroffenen (Asamblea Nacional de Afectados Ambientales). In Radiospots äußern sich derzeit UNORCA-Vertreter*innen zusammen mit bekannten Schauspieler*innen gegen den Genmais. In den kommenden Monaten wird es im Rahmen des Permanenten Völkertribunals TPP Tribunal Permanente de los Pueblos), Kapitel Mexiko, verschiedene Anhörungen zum Thema Mais und den Attacken auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft geben.

Weltweit Proteste gegen Genmaisaussaat in Mexiko

Aus dem europäischen Raum gab es offene Briefe an die mexikanische Regierung sowie am 7. Dezember einen Protest vor der mexikanischen Botschaft in Berlin. Über die in New York ansässige Avaaz-Stiftung ging eine von mehr als 40.000 Personen unterschriebene Petition an Präsident Peña Nieto, jegliche Genmais-Aussaat in Mexiko zu stoppen.

Die im Herbst 2012 in Frankreich veröffentlichte und Aufsehen erregende Seralini-Studie über verstärkte Tumorentwicklung bei mit dem herbizidresistenten Monsanto-Genmais MON 603 gefütterten Ratten wird auch in Mexiko diskutiert und von der Regierung wahrgenommen. Genauso wie die jüngste Entscheidung der Europäischen Kommission, die Genehmigung für den Anbau verschiedener Genpflanzen in der EU mindestens bis Ende 2014 auszusetzen.

„Wir Mexikaner wollen keine Laborratten sein“

Die in Mexiko in der Vereinigung Agrobio zusammengeschlossene multinationale Gentechnik- und Saatgutlobby – Mitglieder sind Monsanto, Bayer, Dow, DuPont-Pioneer und Syngenta – ist irritiert. Laut Agrobio-Direktor Alejandro Monteagudo „kann Mexiko keine weiteren 17 Jahre auf Genmais warten“. Es habe sich erwiesen, dass er nicht gesundheitsschädlich sei. Er sei nachhaltig, ermögliche Ertragssteigerungen pro Hektar um 15 bis 20 Prozent und könne „zum Erreichen der Ernährungssicherheit und des wirtschaftlichen Wachstums der Landwirte beitragen“.

Die Gegner*innen der Genmais-Lobby argumentieren anders. Systematisch werde versucht, die von unabhängigen Wissenschaftler*innen gemachten Forschungsergebnisse als Risiken der Gentechnologie zu diskreditieren. Silvia Ribeiro von der ETC-Group sowie der Biologe und Vía Campesina-Berater Peter Rosset wiesen auf der UNAM-Veranstaltung darauf hin, dass die Seralini-Studie bewusst den Modellanordnungen Monsantos folgte. Der Unterschied: ein längerer Versuchszeitraum von zwei Jahren anstatt der vom Konzern gewählten Periode von drei Monaten. Die meisten Tumore und andere Krankheiten wie schwere Nieren- und Leberschäden traten bei den Ratten erst im späteren Versuchsablauf auf. „Wir Mexikaner wollen keine Laborratten sein“, sagt Alberto Gómez, einer der UNORCA-Koordinatoren.

„Super-Unkräuter“ und teures patentiertes Saatgut

Bezüglich der angeblichen Ertragssteigerung weist Ana de Ita vom Zentrum für den Wandel im mexikanischen Landbau CECCAM (Centro de Estudios para el Cambio en el Campo Mexicano) auf jüngste Untersuchungen in den USA hin, wo Genmais seit 1996 angebaut wird. „Die Erntezuwächse pro Hektar beim Mais sind dort fast ausschließlich konventionellen Züchtungserfolgen und der Perfektionierung landwirtschaftlicher Praktiken geschuldet. Zugleich ist das Gensaatgut bis zu 35 Prozent teurer als das konventionelle Saatgut und mit einer Lizenzgebühr für die Nutzung verbunden.“

Im Zeitraum von 1996 bis 2008 wurden in den USA zudem insgesamt 144 Millionen Kilo mehr Herbizide verspritzt, als dies ohne den Genanbau der Fall gewesen wäre. Ökologisch und ökonomisch nachhaltig ist das kaum. In den USA sieht sich Monsanto inzwischen Klagen gegenüber, weil nicht nur der Genmais gegen das versprühte Glyphosat resistent ist, sondern sich zunehmend resistente „Super-Unkräuter“ entwickelt haben.

2013: Jahr des Widerstandes gegen den Genmais

Die mexikanischen Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft teilten Ende 2011 das mexikanische Territorium rasterartig ein: in so genannte Ursprungszentren des Mais, in denen kein Genmais angebaut werden darf und in übrige Zonen, in denen sein kommerzieller Anbau erlaubt sein soll, ein. Kritiker*innen werfen den verantwortlichen Stellen eine absichtlich ungenaue und unvollständige Erfassung vor, um Genmaispflanzungen in den Bewässerungsregionen im Landesnorden rechtfertigen zu können.

Nach Auffassung der meisten unabhängigen Expert*innen ist es selbst bei vorhandenem Willen unmöglich, die Kontaminierung und damit die Zerstörung der Vielfalt des einheimischen Mais durch Genmais zu verhindern. Übertragungen sind durch Pollenflug, die Vermischung bei Lagerung und Transport und die anschließende, wissentliche oder unbeabsichtigte Nachsaat von Genmais praktisch nicht zu verhindern. Kleinere Präzedenzfälle wurden bereits 2001 und in den Folgejahren nachgewiesen. Ein groß angelegter kommerzieller Genmaisanbau könnte schon mittelfristig das Ende vieler einheimischer Maissorten und damit der genetischen Vielfalt des mexikanischen Mais bedeuten. Die Initiativen gegen den Genmais sehen das gesamte Territorium Mexikos als Ursprungszentrum des Mais an.

Sie fordern als ersten wichtigen Schritt die Wiedereinführung des Moratoriums für Genmais. Dafür hatte sich nach einem offiziellen Mexikobesuch bereits Mitte 2011 der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Ernährung, Olivier de Schutter, ausgesprochen.

Nun ist die Regierung unter Präsident Peña Nieto am Zug. Möglich, dass ihr Zögern und Schweigen bedeutet, dass sie aus politischem Kalkül ihre grundsätzlich als eher gentechnikfreundlich eingeschätzte Position überdenkt.

Die mexikanischen Genmaisgegner*innen setzen jedenfalls lieber auf weitere Mobilisierung statt auf den guten Willen des Staates. Symbolisch haben sie das klar gemacht. Das Netzwerk zur Verteidigung des Mais hat eine Initiative von Gemeinden und Organisationen aus dem Bundesstaat Oaxaca aufgegriffen: Darin wird 2013 zum Jahr des Widerstandes gegen den Genmais erklärt.

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