Konsultationsgesetz verabschiedet – Trotz Schwächen ein guter Anfang

von *Sandy El Berr, Lima

(Berlin, 14. September 2011, npl).- Als eine der ersten Amtshandlungen nach der Wahl hat der peruanische Kongress am 23. August das Gesetz zur Konsultation der indigenen Völker (Ley de Consulta) verabschiedet[1], das der Präsident am 6. September, unterschrieb. Anfang Dezember 2011 wird die Regelung in Kraft treten.

 

Während der dreimonatigen Frist bis zur Rechtswirksamkeit werden die notwendigen Vorbereitungen zur Umsetzung der Novelle getroffen. Mit dem neuen Gesetz wurde nun die rechtliche Grundlage für die Regulierung des Rechtes der indigenen Völker auf Konsultation geschaffen. Eigentlich ist das Recht auf Konsultation bereits seit 1995 rechtswirksam. Faktisch wurde es von der Regierung aber bislang nicht angewendet.

Erfolgreich – im zweiten Anlauf

Dies war bereits der zweite Anlauf zur Verabschiedung des Konsultationsgesetzes. Im Mai 2010 verabschiedete der Kongress ein im wortlaut ähnliches Gesetz, das allerdings von der Exekutive, allen voran vom damaligen Präsidenten Alan García, beanstandet worden war. Obwohl die Exekutive damals das Gesetz nicht unterzeichnete, hätte der Kongress auf der von ihm verabschiedeten Version bestehen können. Doch die damalige Regierungspartei der Revolutionären Amerikanischen Volksallianz APRA (Alianza Popular Revolucionaria Americana) mit Mehrheit im Kongress hatte diesbezügliche Versuche verschiedener Abgeordneter abgeblockt. Hauptargument war, dass das Gesetz Privatinvestor*innen abschrecken und Peru in eine Wirtschaftskrise stürzen würde.

Todesopfer durch Konzessionsvergabe ohne vorherige Konsultation

Unterdessen schwelten die sozialen Konflikte insbesondere um Bergbau- und Erdölkonzessionen weiter. Der Saldo: Sachschäden und Todesopfer. Allein während der Regierungszeit Alan Garcías von 2006 bis 2010 forderten die sozialen Konflikte 191 Tote[2]. Führungsfiguren von Gemeinden und Basisorganisationen, die sich gegen die nicht konsultierten Konzessionen sowie die Umweltschädigung zur Wehr setzten, wurden mit Gerichtsprozessen überzogen.

Sowohl die indigenen Organisationen Perus als auch viele Nichtregierungsorganisationen (NRO) begrüßen die nun erfolgte Verabschiedung des Konsultationsgesetzes. Sie erhoffen sich damit eine verstärkte Einbeziehung der Indigenen in sie betreffende Entscheidungsprozesse und in ökonomische Belange sowie dadurch auch eine Reduzierung der aktuell existierenden 214 sozialen Konflikte[3].

Ein Großteil dieser Konflikte ist der neoliberalen Regierungspolitik Garcías und der seines Vorgängers Toledo geschuldet. Große Teile indigenen Landes wurden ohne Befragung und ohne Gewinnbeteiligung der Betroffenen konzessioniert. Dabei traten im Verlauf der Ressourcengewinnung häufig gravierende Umweltschäden auf. So sind aktuell mindestens 75 Prozent des Amazonasgebietes an Öl-, Bergbau-, und Forstunternehmen konzessioniert[4]. Im Department Puno, wo viele indigene Gemeinden der Quechua und Aymara leben, umfassen allein die Bergbaukonzession 63 Prozent des Gebietes[5].

Auf wen und was ist das Gesetz anwendbar?

Das verabschiedete Konsultationsgesetz bezieht sich auf Gesetzesvorlagen, Verwaltungsvorschriften und Dekrete, die die kollektiven Rechte der indigenen und einheimischen Völker direkt betreffen. Darunter fällt beispielsweise die Vergabe einer Bergbaukonzession auf indigenem Territorium.

In Peru zählen neben den Indigenen des Amazonasgebietes (comunidades nativas) rechtlich auch die bäuerlichen Gemeinden des Hochlandes (comunidades campesinas) zu indigenen Völkern. Die Identifikationskriterien dafür, wer indigen ist, sind an die Definition der ILO-Konvention 169 (Artikel 1) angelehnt[6] und beinhalten positiverweise auch die Selbstidentifikation.

Rechtswirksamkeit der Konsultation

Eigentlich ist das Recht der Indigenen in Peru auf Konsultation seit 1995 rechtswirksam, denn Peru hat die ILO-Konvention 169 ratifiziert. Ein wesentliches, aus der ILO-Konvention 169 abgeleitetes Recht ist die Konsultation (Artikel 6). Gemäß der peruanischen Rechtssprechung haben internationale Abkommen wie die ILO-Konvention Verfassungsrang. Sie sind mit der Ratifizierung automatisch rechtswirksam und einklagbar. Allerdings fehlte eine Regulierung dieses Rechts durch ein entsprechendes nationales Gesetz. Diesen Fakt hat die Regierung bislang als Ausrede benutzt, die Konsultation nicht anzuwenden.

Nun stellt sich jedoch die Frage, was mit Gesetzen, Dekreten und Verwaltungsvorschriften passiert, die nach dem Inkrafttreten der ILO-Konvention von 1995, aber vor dem Konsultationsgesetz ohne Befragung erlassen wurden ‒ und Indigene direkt betreffen. Hierzu ist im Gesetzestext zu lesen, dass sie nicht abgeschafft bzw. nicht für ungültig erklärt werden[7]. Nach Ansicht der peruanischen NRO Institut zur Verteidigung des Gesetzes IDL (Instituto de Defensa Legal) ist diese Gesetzespassage allerdings verfassungswidrig, denn sie stelle das Gesetz über die ILO-Konvention, die Verfassungsrang besitzt[8]. In einem Urteil bestätigte der Interamerikanische Menschengerichtshof CoIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos), dass Dekrete ‒ im konkreten Fall zu Konzessionen ‒ nachgeprüft werden können[9].

Allerdings, so die Einschätzung von IDL, unterstütze das peruanische Verfassungsgericht in seiner aktuellen Zusammensetzung diese Position nicht. Daher ist also vom Verfassungsgericht zurzeit zu dieser Rechtsfrage keine Rückendeckung zu erwarten.

Konsultation oder Vetorecht?

Ein weiteres ‚heißes Eisen‘ in der Diskussion um die Konsultation ist die Einwilligung. Indigene Völker in Lateinamerika fordern seit Jahren, das Vetorecht in den Konsultationsprozess zu verankern. Dies würde bedeuten, dass ein Vorhaben nur dann umgesetzt werden kann, wenn die Indigenen dem zustimmen[10]. Wie sieht es nun in Peru damit aus? Laut Gesetz ist das Endziel der Konsultation, eine Einigung zwischen dem Staat und den betroffenen indigenen Völkern zu erreichen oder die Einwilligung der Indigenen einzuholen.

Das klingt vielversprechend. Die endgültige Entscheidung allerdings, ob das geplante Vorhaben durchgeführt wird oder nicht, trifft gemäß dem Gesetz die zuständige staatliche Behörde. Der Staat kann also laut Gesetz das geplante Vorhaben auch dann umsetzen, wenn die betroffenen Indigenen es ablehnen. Doch glücklicherweise ist dies nicht immer der Fall. Es gibt drei Ausnahmen, bei denen die Indigenen ihr Vetorecht einfordern können[11]. Diese Ausnahmen gelten für: 1) die Lagerung von toxischem Material auf indigenem Gebiet, 2) die Umsiedlung, 3) die Bedrohung der Subsistenzgrundlage bzw. die Gefährdung des Überlebens als kulturelle Gruppe.

Erst Konzessionsvergabe ‒ dann Umweltstudie

Die Konsultation findet laut Gesetz vor der Verabschiedung eines Vorhabens statt; im konkreten Fall des Bergbau- und Energiesektors also vor der Konzessionsvergabe. So weit so gut. Allerdings werden die Umweltverträglichkeitsstudien gemäß der aktuellen Umweltgesetzgebung erst nach der Konzessionsvergabe erarbeitet, vorgestellt und genehmigt. Genau hierin sehen Rechtsexpert*innen wie IDL eine Rechtsverletzung der Prinzipien a) der Oportunität und b) der vorherigen und ausreichenden Information des Konsultationsgesetzes[12]. Wie sollen die Betroffenen eine informierte Entscheidung über ein Vorhaben treffen, wenn die Studien zu möglichen Umweltauswirkungen erst im Nachhinein erstellt werden?

Zudem ist es das Ministerium für Bergbau und Energie und nicht das Umweltministerium, das die Studien prüft und genehmigt. Es ist damit zugleich interessierte Partei als auch Richter. Daher fordern NRO und indigene Organisationen, dass Konzessionen erst nach nach der Erstellung von Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudien (die u.a. auch mögliche Auswirkungen auf die Kultur untersuchen) zu vergeben. Nicht zuletzt sollen die Studien durch eine unabhängige Instanz und unter Beteiligung der Betroffenen erarbeitet und evaluiert werden.

Ein erster Schritt

Trotz einiger Schwächen und offener Fragen ist die Verabschiedung des Konsultationsgesetzes als positiv zu bewerten. Man muss sich allerdings klar darüber sein, dass es sich lediglich um einen ersten, aber bedeutenden Schritt in Richtung Anerkennung und Umsetzung indigener Rechte bedeutet. Daher ist eine öffentlichkeitswirksame Begleitung des Umsetzungsprozesses der Konsultation bei gleichzeitiger Stärkung des Rechts der Indigenen auf ihr Territorium und ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unabdingbar.

Die Öffentlichkeitsarbeit sollte auch eine Sensibilisierung der nicht-indigenen Zivilgesellschaft, der staatlichen Behörden und des Justizappartes beinhalten, um existierende Vorurteile abzuschaffen („die zahlenmäßig wenigen Indigenen blockieren den Fortschritt der Allgemeinheit“, „die Konsultation schreckt Investoren ab und behindert das Wirtschaftswachstum“, „die Indigenen fühlen sich als Besitzer*innen von Ressourcen, die öffentliches Gut sind“) und so die Voraussetzungen für den interkulturellen Dialog zu schaffen.

*Dr. Sandy El Berr arbeitet für das Instituto de Defensa Legal (IDL) in Lima.

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1 Ley No. 29785, Ley del Derecho a la Consulta Previa a los Pueblos Indígenas u Originarios, Reconocidos en el Convenio 169 de la Organización Internacional del Trabajo (OIT).

2 http://www.larepublica.pe/29-08-2011/conflictos-sociales-191-muertos-durante-ultimo-gobierno-de-alan-garcia

3 Stand: Juli 2011. Defensoría del Pueblo: Reporte de Conflictos Sociales No. 89. http://www.defensoria.gob.pe/conflictos-sociales/home.php.

4 IBC 2011: Mapa Amazonía Peruana 2011. http://web.archive.org/web/20121002202723/http://ibcperu.org/mapas/mapa-amazonia-peruana-2011.php 5 http://www.justiciaviva.org.pe/webpanel/doc_trabajo/doc04082011-172440.pdf, S. 6-7.

6 Die Definition „indigene Völker“ der ILO-Konvention 169 basiert wiederum auf der Arbeitsdefinition von José Martinez Cobo (1986): http://www.iwgia.org/sw310.asp

7 Eine explizite Ausnahme davon bildet das Dekret zur Regulierung des Konsultationsablaufs im Energie- und Bergbausektor vom Mai 2011 (Decreto Supremo No. 023-2011-EM), das von Rechtsexpert*innen für verfassungswidrig eingestuft wurde und mit dem neuen Gesetz nun abgeschafft wird.

8 http://www.justiciaviva.org.pe/notihome/notihome01.php?noti=643

9 http://www.justiciaviva.org.pe/webpanel/doc_trabajo/doc04082011-172440.pdf, S. 36

10 In der aktuellen Diskussion wird von den FPIC (Free, Prior and Informed Consent) gesprochen, das einem Vetorecht gleichkommt.

11 Diese Ausnahmen sind zwar nicht direkt im Gesetz zu finden, aber gemäß der in Peru gültigen internationalen Rechtssprechung (ILO-Konvention 169 sowie Gerichtsurteile des Interamerikanischen Menschengerichtshofs) einklagbar.

12 http://www.justiciaviva.org.pe/webpanel/doc_trabajo/doc04082011-172440.pdf

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