Kartell „Los Zetas“ lässt Hacker-Aktivisten frei

von Wolf-Dieter Vogel

(Berlin, 06. November 2011, npl).- Hat Anonymous die Zetas in die Knie gezwungen? Die Hacker-Bewegung hat offenbar im Cyberkrieg gegen das mexikanische Drogenkartell einen Sieg errungen. In den ersten Novembertagen erklärten die Netzaktivist*innen, die Mafia-Organisation habe einen entführten Anonymous-Mitstreiter wieder auf freien Fuß gesetzt. „Wir bestätigen, dass unser Kollege freigelassen wurde“, hieß es auf Twitter und mehreren den Hacker*innen nahe stehenden Blogs. Die Zetas hätten ihm einen Brief mitgegeben, den man demnächst veröffentlichen werde. Über die Identität ihres Kollegen, der im Oktober von der Mafia entführt worden war, machten die „Anonymen“ keine Angabe.

Anonymous stellten ein Ultimatum

Die Hacker*innen hatten dem Kartell bereits vor Wochen in einem auf You Tube veröffentlichten Film damit gedroht, Namen und Adressen von Mitgliedern der Mafia-Organisation zu veröffentlichen. „Es war ein großer Fehler von euch, einen von uns zu entführen. Lasst ihn frei“, forderte ein mit einer Maske geschützter Anonymous-Sprecher.

Sollten die Zetas dem nicht nachkommen, werde man die Namen von Taxifahrer*innen, Polizist*innen, Politiker*innen und Journalist*innen veröffentlichen, die mit dem Kartell zusammenarbeiten. Man könne sich zwar nicht mit Waffen verteidigen, kenne aber ihre Häuser, Bars und Autos. „Wir wissen, wer sie sind und wo sie sich befinden“, stellte der Maskierte klar. Um die Drohung zu untermauern, zeigt der Film die Sprengung mehrerer Gebäude.

Los Zetas zunächst unbeeindruckt

Bis zum 5. November müssten die Zetas ihren Kollegen gehen lassen, erklärten die Aktivist*innen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, hackten sie wenige Tage vor Ablauf des Ultimatums die Webseite des mexikanischen Juristen Gustavio Rosario Torres und outeten ihn als Zeta-Mitglied. Allerdings verrieten sie damit kein großes Geheimnis. Rosario Torres, ehemals Oberster Staatsanwalt des Bundesstaates Tabasco und heute Berater des dortigen Gouverneurs, war bereits von verschiedenen Seiten verdächtigt worden, die Zetas zu schützen.

Das Kartell selbst reagierte zunächst unbeeindruckt auf die Enthüllung. Sollte Anonymous nach dem 5. November tatsächlich Informationen preisgeben, werde man gegen die Familie des Entführten vorgehen und zudem pro veröffentlichtem Namen wahllos zehn unbeteiligte Menschen erschießen – eine Drohung, die in Mexiko jeder ernst nimmt. Die Zetas gelten als die brutalsten Killer im „Drogenkrieg“, unzählige Morde gehen auf ihr Konto. Sie sind höchstwahrscheinlich für den Angriff auf das Casino Royale in Monterrey verantwortlich, bei dem am 25. August 52 Menschen starben. Auch viele der jährlich rund 12.000 Entführungen von Migrantinnen und Migranten gehen auf das Konto der kriminellen Organisation, der zahlreiche ehemalige Elitesoldaten angehören.

Unübersichtliche Situation

Dass die „Anonymen“ dennoch so offensiv gegen das Kartell vorgehen, ist zumindest sehr gewagt. Über die Brutalität der Zetas dürften sie sich keine Illusionen machen. Jüngst drohten die Hacker*innen über ihren Twitter-Account: „Hallo mexikanische Drogenkartelle. Wir vergessen Nuevo Laredo nicht.“ In der nordmexikanischen Stadt war Ende September die Bloggerin María Macías Castro ermordet aufgefunden worden, neben ihr lagen zwei Tastaturen, ein CD-Player sowie mehrere Kabel. Und ein Brief mit Grüßen von „ZZZZ“, einem Pseudonym der Zetas. Auch sie hatte ihre Berichte anonym ins Netz gestellt.

Nicht zuletzt aufgrund des Risikos wurde die „OpCartel“ genannte Aktion innerhalb der anonym agierenden Hacker-Bewegung heftig debattiert. Der Angriff auf die Zetas bringe Netzaktivist*innen in Gefahr, kritisierten Anonymous-Mitglieder auf Blogs, die der Bewegung zugerechnet werden und distanzierten sich. Andere hielten an „OpCartel“ fest. „Wir wissen, dass wir unser Leben riskieren, aber wir ziehen es vor, aufrecht zu sterben als kniend zu leben“, schrieben sie. In einem Brief an den Mafia-Chef stellten sie klar: „Ihr könnt Anonymous nicht als eine Weltidee, als einen globalen Geist stoppen, und Ihr könnt nicht auf ihn schießen und ihn nicht in Säure auflösen.“

Verzicht auf Preisgabe von Namen

Nach der Freilassung ihres „Compañeros“ Ende vergangener Woche haben die Hacker*innen entschieden, auf die Veröffentlichung der Namen zu verzichten. Das hat weitere Kontroversen provoziert. Auf Anonymous nahestehenden Webseiten wird der Bewegung vorgeworfen, sie mache sich zu Komplizen der Zetas, wenn sie die Informationen der Öffentlichkeit vorenthalte. Der Kommentator Jorge Zepeda kritisierte in der Tageszeitung „El Universal“ die anonyme Struktur der Bewegung. Dies lasse nicht nachvollziehen, wer eigentlich wirklich hinter der Aktion stecke. Andere befürchten sogar eine Kooperation: Gab es eine Absprache zwischen der Mafia und den HackerInnen?

Tatsächlich ist nicht einmal auszuschließen, dass hinter „OpCartel“ schlicht eine konkurrierende Mafia steckt. Jedenfalls ist es äußerst ungewöhnlich, dass sich die Zetas von einer anarchisch agierenden Bewegung in die Knie zwingen lassen. Der Journalist Barret Brown, der sich den „Anonymen“ zuordnet, hat indes öffentlich bekräftigt, auch nach der Freilassung am Kampf gegen die Zetas festhalten wollen.

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