Interview zum Klimagipfel in Cochabamba

von Andreas Behn

(Berlin, 20. April 2010, npl).- Interview mit Jorge Cortés, Direktor des Studienzentrums für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte CEADESC (Centro de Estudios Aplicados a los Derechos Económicos, Sociales y Culturales). CEADESC hat seinen nationalen Sitz in Cochabamba, ist Bündnispartner der indigenen und sozialen Bewegungen in Bolivien und ist an der Vorbereitung und Durchführung des Klimagipfels von Cochabamba beteiligt, der am 20. April begonnen hat.

Boliviens Präsident Evo Morales hat Regierungen und soziale Bewegungen zu einer “Weltkonferenz über Klimawandel und Rechte der Mutter Erde” eingeladen. Welches Ziel hat dieser alternative Klimagipfel?

Evo Morales geht es einerseits darum, demonstrativen Rückhalt seitens der sozialen Bewegungen für seine Haltung zum Klimawandel zu bekommen. Andererseits möchte er die Allianz der Entwicklungs- und Schwellenländer in der Klimafrage stärken. Dabei geht es konkret um die Verhandlungen auf der nächsten UN-Klimakonferenz COP 16 in Mexiko. Die Industriestaaten stehen unter Druck, einen größeren Beitrag zur Senkung der klimaschädlichen Emissionen zu leisten. Darüber hinaus fordern die Länder des Südens das Eingeständnis einer ökologischen Schuld seitens des Nordens, Technologietransfer im Umweltbereich sowie finanzielle Vorleistungen zur effektiven Begrenzung der Emissionen. Die bolivianische Regierung teilt diese Positionen, benötigt aber eine globale soziale Basis, um diesen Forderungen auf internationalem Parkett Nachdruck zu verleihen.

Sie waren vergangenes Jahr in Kopenhagen und erlebten das Scheitern der UN-Klimakonferenz COP 15. Kann der Klimagipfel von Cochabamba Einfluss auf die Verhandlungen der COP 16 in Mexiko nehmen?

Es waren just die Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, die einen Konsens in Kopenhagen verhindert haben. Es fehlen nur noch wenige Monate bis zur COP 16, und nach wie vor gehen die Positionen weit auseinander. Das bedeutet, dass die öffentliche Meinung in Europa und in den USA Druck auf ihre Regierungen ausüben muss, damit diese eine Position einnehmen, die mit den Interessen der gesamten Welt übereinstimmen. In Cochabamba wird eine Abschlusserklärung formuliert werden, auf die sich diese Überzeugungsarbeit berufen kann.

Wie wurde die Initiative eines alternativen Gipfeltreffens von Regierungen und Bewegungen aufgenommen?

Es haben sich mehr als 15.000 Menschen aus über 100 Ländern zur Teilnahme an dem Gipfel eingeschrieben. Rund 70 Staaten haben offizielle Delegationen entsandt, die Präsidenten von Ecuador, Paraguay, Venezuela und Nicaragua haben zugesagt.

Und die westlichen Industriestaaten?

Aus den Industriestaaten werden vor allem Vertreter*innen der organisierten Zivilgesellschaft erwartet. Auch wenn einige offizielle Delegationen beispielsweise aus Frankreich und skandinavischen Ländern kommen werden, sind die Regierungen als solche kaum vertreten. Die meisten hochrangigen Delegationen kommen aus Lateinamerika und Afrika. Das zeigt, wie schwer es ist, die Meinung in den Industriestaaten zu beeinflussen.

Der Gipfel von Cochabamba besteht aus einem offiziellen Teil mit 17 Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse in die Abschlusserklärung eingehen werden. Der inoffizielle Teil umfasst eine Vielzahl von Veranstaltungen, die von Basisorganisationen aus aller Welt angeboten werden. Inwiefern wurden die sozialen Bewegungen Boliviens an der Ausarbeitung des Programms beteiligt?

Die indígenen und sozialen Bewegungen haben eine Vorkonferenz einberufen, auf der alle 36 Ethnien Boliviens eine Erklärung über indigene Rechte formuliert haben. Trotz der kulturellen Unterschiede bestand Einigkeit darüber, dass das Recht auf Selbstbestimmung, der Respekt ihres Lebensraum und das Nutzungsrecht über die Bodenschätze derzeit die wichtigsten gemeinsamen Forderungen sind. Darüber hinaus gab es in den vergangenen Wochen virtuelle Diskussionsgruppen zu allen 17 Themenblöcken – darunter Ernährungssouveränitat, Biodiversität, Schutz des Wassers, Abholzung bis hin zu den Vorschlägen, ein internationales Klimatribunal und ein Weltreferendum über Maßnahmen gegen den Klimawandel einzuberufen.

Die bolivianische Regierung hat verhindert, Themen wie den Bau von Megaprojekten und den Umgang mit Rohstoffen auf die Agenda des Gipfels zu setzen. Soll eine Diskussion über Widersprüche im eigenen Regierungsprogramm unterbunden werden?

Während des Wahlkampfs für den jüngsten Urnengang Anfang April hat sich die Regierung für die Umsetzung von Großprojekten wie Staudämme, Infrastrukturmaßnahmen und Förderung fossiler Energiequellen stark gemacht. Diese Haltung steht im Widerspruch zu einer kohärenten Politik zur Verhinderung der Erderwärmung und des Klimawandels. Dieses Gipfeltreffen wird also auch dazu dienen, den Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft über solche strittigen Themen zu vertiefen und eventuell die Ausrichtung des Entwicklungsmodells auf ökologisch fragliche Megaprojekte zu korrigieren. Viele dieser Baumaßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur sind Teil des südamerikanischen Entwicklungsplans IIRSA. Glücklicherweise steht die Umsetzung vieler der geplanten Projekte noch am Anfang. So ist es möglich, neue Kriterien zu benennen und Fragen wie die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltschutz zu berücksichtigen.

Gilt dieser Optimismus auch für Brasilien, wo die Regierung von Präsident Inácio Lula da Silva derzeit viele heftig umstrittene Megaprojekte durchsetzt?

Im Gegensatz zu Bolivien, wo angesichts den politischen Umwälzungen der vergangenen Jahre kein breiter Konsens über das Entwicklungsmodell herrscht, existiert in Brasilien eine langjährige, parteiübergreifende Politik, die dieses konservative Entwicklungsmodell untermauert. In meinen Augen ist das Vorgehen Brasiliens die größte Bedrohung für die Amazonasregion, und kleine Länder wie Bolivien oder Ecuador sind der industriellen Expansion Brasiliens wehrlos ausgesetzt. Nur eine breite internationale Bewegung, die ihre Basis auch in Brasilien hat, kann diesen Prozess aufhalten.

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