Interview mit Norah Montero, Überlebende des Massakers von Pando

von Thomas Guthmann

(Berlin, 03. Oktober 2008, npl).- Am 11. September eskalierte in Bolivien der Konflikt zwischen Anhänger*innen von Evo Morales und der Opposition (siehe Poonal Nr. 813, 815). Im nördlichen Departement Pando, das von der Opposition regiert wird, wurden rund 30 Bauern und Indígenas von Anhänger*innen der Opposition ermordet. Die Bauern- und Indígena-Aktivist*innen hatten sich in den frühen Morgenstunden in der Nähe der Provinzstadt Porvenir versammelt und wollten in die Departementshauptstadt Cobija aufbrechen. In Porvenir gerieten sie in einen Hinterhalt.

Norah Montero ist Vorsitzende des Bürgerkomitees der Gemeinde Puerto Rico. Sie beteiligte sich mit ihrer Familie an dem Marsch nach Cobija. Bei dem Hinterhalt in Porvenir wurde ihr Mann ermordet. Sie hält sich zur Zeit in Genf auf und berichtet vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen über das Massaker in Pando, Bolivien.

Thomas Guthmann: Frau Montero, sie waren auf dem Marsch nach Cobija, als sie in Porvenir angegriffen wurden. Was ist in Porvenier am 11. September 2008 genau geschehen?

Norah Montero: Wir folgten in Porvenir einem Aufruf, bei dem es um einen friedlichen Marsch in die Provinzhauptstadt von Pando, Cobija, ging. Der Marsch war angekündigt, um gegen den Präfekten Leopoldo Fernández zu protestieren. Was dann geschah, ist eine Schande, etwas, mit dem wir niemals gerechnet hatten. Wir hatten uns acht Kilometer außerhalb von Porvenir getroffen. Hier wurden wir schon das erste mal angegriffen. Beim ersten Angriff schlugen sie uns mit Knüppeln. Alle: Frauen, Männer und Kinder. Wir setzten unseren Marsch dennoch fort, trotz der Schwierigkeiten. Als wir aber in Porvenir ankamen, gerieten wir in einen weiteren Hinterhalt. Die Polizei hatte Straßensperren errichtet und wir konnten nicht weiter. Wir hielten uns also über zwei Stunden dort auf. In dieser Zeit holten sie die bewaffneten Leute aus der Provinz-Hauptstadt Cobija. Die schienen sich dort bereits in den Büros des Comité Civico, der rechten Bürgervereinigung, versammelt zu haben. Sie wurden dann mit Transportern und sogar mit Krankenwagen herbeigeschafft. In Porvenir wurden wir von den bewaffneten Mitgliedern des Comité Civico umzingelt. In diesem Moment verschwanden die Polizisten und das Morden begann. Ich war mit meinem Mann und drei meiner Kindern dabei. Mein Mann wurde ermordet. Ich sah auch, wie Kinder umgebracht und verbrannt wurden. Eine schwangere Frau wurde getötet. Anschließend wurden ihr die Leisten aufgeschnitten und das lebende Baby herausgerissen und erschossen. Auch sie wurden verbrannt und auf einen Lastwagen geschmissen. Wo sie die Leichen hin brachten, wissen wir bis heute nicht. Thomas Guthmann: Wie kommt es, dass sich die staatlichen Organe des Departements an dem Massaker beteiligt haben? Wie kann es passieren, dass der Präfekt das Comité Civico gewähren und ein Massaker an über dreißig Bürgerinnen und Bürgern zulässt?

Norah Montero: Der Präfekt will den Wandel, der in Bolivien momentan stattfindet, nicht. Der Präfekt Fernández spielt bereits seit über dreißig Jahren im Departement eine wichtige Rolle. Zunächst war er im Parlament in La Paz Abgeordneter für das Departement Pando, dann wurde er zum Präfekten gewählt. Nach unserer Sicht ist er jedoch durch Wahlbetrug zum Präfekten geworden. Wir, die Indígenas und Bauern, haben ihn jedenfalls nicht gewählt, wir erkennen sein Mandat nicht an. Wir unterstützen die Politik des Wandels von Evo Morales, wir sind zwar nicht von der Regierungspartei MAS, aber wir unterstützen den Wandel, weil wir die neue Verfassung wollen, die vergangenes Jahr ausgearbeitet wurde. Denn in dieser Verfassung werden wir zum ersten Mal anerkannt und respektiert. Durch den Prozess des Wandels, der von Evo Morales angefangen wurde, merken die unterdrückten Personen in Bolivien, dass sie zum ersten mal Berücksichtigung finden.

Thomas Guthmann: Im Altiplano hat sich das Machtverhältnis bereits zu Gunsten der Bauern und Indígenas geändert, aber im Tiefland hört man immer wieder von Fällen der Leibeigenschaft, wo Menschen von Großgrundbesitzer*innen in sklavenähnlichen Zuständen gehalten werden wie z.B. in Santa Cruz. Wie ist die Situation in Pando?

Norah Montero: Das ist seit langer Zeit die Realität in Pando und der Präfekt will nicht, dass sich das ändert. Ich glaube, genau das hat dazu geführt, dass er motiviert war, uns anzugreifen. Wie ich bereits sagte, ist der Präfekt seit über dreißig Jahren eine politische Größe im Departement Pando und zugleich der reichste Mann in Pando. Ihm gehört die Hälfte des gesamten Landes im Departement. Da die neue Verfassung einen so großen Landbesitz nicht mehr zulassen wird, hat er ein Problem. Fernández will Alleinherrscher über das Departement sein und deswegen mit uns aufräumen. Das hat zum Glück bisher nicht geklappt. Aber es gibt immer noch Todeslisten, die zirkulieren, unsere Namen sind an die Häuserwände gemalt und wir werden bedroht. Deswegen ist es für viele von uns momentan nicht möglich, zurückzukehren.

Thomas Guthmann: Wie sieht es mit der Regierung in La Paz aus? Hätten sie sich aufgrund der Bedrohungssituation mehr Schutz erhofft?

Norah Montero: Ja, diesen Schutz wollten wir. Gut, dass jetzt der Ausnahmezustand verhängt wurde. Aber wir wollen, dass das auch in den Gemeinden durchgesetzt wird. Auch für Beni wollen wir, dass der Ausnahmezustand verhängt wird. Ins Nachbardepartement, dass an Pando grenzt, ziehen sich die Anführer des Massakers zurück. Es sind die Gefolgsleute des Präfekten Fernández und sie bedrohen uns weiter. Sie warten auf unsere Rückkehr. Wir wünschen uns den Ausnahmezustand auch für die angrenzenden Regionen von Beni.

Thomas Guthmann: Ist es für sie möglich, wieder nach Pando zurückkehren oder ist die Situation noch zu angespannt?

Norah Montero: Es ist weiterhin sehr schwierig. Die Täter, die aus Pando kommen, haben sich zwar verdrückt, aber es sind noch Söldner aus Brasilien und Peru im Land und die warten auf uns, auf die Führer der Indígenas und Bauern. Deswegen fordern wir, dass der Ausnahmezustand auch in den kleinen Gemeinden durchgesetzt wird, damit die Situation für uns erträglich wird, denn außerhalb der Städte riskieren wir noch immer unser Leben.

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