Ingrid Spiller: Ambitionierte Klimaschutzpläne noch nicht umgesetzt

von Markus Plate, Mexiko-Stadt

(Berlin, 04. Dezember 2010, npl).- Ingrid Spiller ist Leiterin des Regionalbüros Mittelamerika/Mexiko/Karibik der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Stiftung ist als einzige der in Mexiko vertretenen parteinahen Stiftungen in Cancun mit eigenen Aktivitäten massiv präsent und begleitet mexikanische Klimapolitik seit langer Zeit.

Frau Spiller, wie bewerten Sie die mexikanische Klimapolitik auf internationaler Ebene?

International spielt Mexiko eine ziemlich positive Rolle, es versteht sich als Mittler zwischen den verschiedenen Interessen, das heißt zwischen den Industrieländern, den Entwicklungsländern, den Schwellenländern. Mexiko hat als Non-Annex Land, das nach Kyoto-Abkommen vertraglich nicht dazu verpflichtet ist, ambitionierte Klimareduktionsziele angekündigt. Bis zum Jahre 2020 wollen sie 30 Prozent der Emissionen reduzieren, 50 Prozent sollen es bis zum Jahr 2050 sein. Das sehe ich positiv.

Die vielleicht wichtigste Klimainitiative Mexikos ist ein “Grüner Fonds” zur Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen, um auf dem Klimawandel zu reagieren, sowie von Emissionsreduktionen. In diesen Fonds sollen alle Länder einzahlen, die reichen wie – wenn auch erheblich geringer – die armen Länder. Der Vorschlag findet internationale Unterstützung. Wie bewerten sie die Pläne?

Ich glaube, die Einbeziehung aller Länder ist ein sehr interessanter Ansatz. Es hebt die Schwelle zwischen Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern ein bisschen auf in dem Sinne, dass alle Länder Verantwortung haben und dass die ärmeren Länder daraus Mittel erhalten. Noch nicht geklärt ist allerdings, wie die Mittel verteilt werden sollen. Entscheidend ist, dass ärmere Länder Mittel zur Verfügung bekommen, um sich dem Klimawandel anzupassen und nicht, dass sich reiche Länder daraus Emissionsreduktionen bezahlen lassen. Das Konzept ist eigentlich gut, spannend ist, wie es letztendlich ausgeführt wird.

Auf internationaler Ebene macht sich Mexiko also als Klimaschützer einen Namen, doch was passiert auf nationaler Ebene, um die eigenen Ziele zu erreichen?

Die große Diskrepanz besteht dann darin, wie diese großen internationalen Ziele national umgesetzt werden. Mexiko hat zwar ein nationales Klimaprogramm verabschiedet, was auch Maßnahmen beschreibt, mit denen diese Klimaschutzziele erreicht werden können.

Dieser Plan, diese Ziele sind aber nicht auf die einzelnen Sektoren runtergebrochen. Das heißt, in den einzelnen Sektoren wie Industrie, Energie oder Transport fehlen konkrete Ziele. Außerdem ist dieser Plan nicht automatisch mit finanziellen Mitteln unterlegt, sondern diese Mittel sind jeweils abhängig von den Haushaltsverhandlungen.

Ein Beispiel sind die Haushaltsverhandlungen 2011, eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen, zu denen auch die Heinrich-Böll-Stiftung gehört, haben den Haushaltsentwurf analysiert und festgestellt, dass dieser Entwurf nicht in Übereinstimmung mit den international angekündigten Klimazielen steht.

Können Sie dazu Beispiele nennen?

Zum Beispiel im Transportbereich, der für einen Großteil der Emissionen verantwortlich ist, geht das meiste Geld in den Individualverkehr, während in den öffentlichen Nahverkehr nur wenig investiert wird. Im Energiebereich müssen wir feststellen, dass ein Großteil der Mittel wieder in den Bereich fossiler Energien und in den Ausbau der Atomkraft gehen, während erneuerbare Energien nur gering finanziell unterfüttert werden. Das ist insbesondere deswegen schade, weil Mexiko mit Windenergie, Wasserkraft und Solarenergie ein riesiges Potenzial zum Ausbau der Erneuerbaren hat.

Ein dritter Bereich ist der Waldschutz. Abholzungen tragen in Mexiko in erheblichem Maße zu Emissionen bei. Der Haushaltsplan für 2011 sieht nicht vor, Abholzungen zu verhindern, sondern beschreibt nur Aufforstungsmaßnahmen. Dabei muss man wissen, dass Abholzung sehr viel mehr CO2 freisetzt, als durch eine erneute Aufforstung wieder gebunden werden kann.

Wie ist Mexiko eigentlich auf den Klimawandel vorbereitet?

Mexiko ist eines der Länder, die sehr stark vom Klimawandel betroffen sind und sein werden. Im Norden wird die Trockenheit noch größer werden und im Süden werden die Überschwemmungen noch ansteigen. Wir haben in den letzten Jahren in den Bundesstaaten Oaxaca, Tabasco und Chiapas ganz furchtbare Überschwemmungen gehabt. Mexiko hat das Thema Anpassung in seine nationale Klimapolitik einbezogen, allerdings gibt es hier noch erheblichen Nachholbedarf, diese Anpassungsziele in konkrete Pläne und Maßnahmen umzusetzen. Hier kommt hinzu, dass nationale Politik und die Politik der Bundesstaaten nur ungenügend aufeinander abgestimmt ist.

In wie weit befassen sich denn die sozialen Bewegungen in Mexiko mit dem Thema Klimawandel und Klimaverhandlungen?

Die Tatsache, dass die Klimakonferenz in Mexiko stattfindet, hat natürlich einen gewaltigen Schub ausgelöst. In der Zivilgesellschaft haben sehr viele Gruppen das Klimathema in ihre Agenda aufgenommen. Es gibt zwar wenige Gruppen, die Klimaverhandlungen auf internationaler Ebene wirklich verfolgen, es gibt aber sehr viele mexikanische Gruppen, die sich z.B. mit Staudämmen, Waldschutz oder Landwirtschat beschäftigen und die begonnen haben, ihre Forderungen auch an die mexikanische Klimapolitik zu richten, das Schutzmaßnahmen beschlossen und Gelder freigegeben werden.

Im April 2010 fand im bolivianischen Cochabamba der die Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte der Erde statt, eine Art Weltklimakonferenz der sozialen Bewegungen, von Gewerkschaften, Umwelt-, Indígena- und Kleinbauernverbänden usw. Heraus kamen sehr kritische Positionen zum Kyoto-Abkommen, zum Emissionshandel und anderen Klimamechanismen und Forderungen an die Industriestaaten, für die von ihnen verursachten Klimaschäden zu bezahlen. Welchen Einfluss haben die Resolutionen von Cochabamba auf die mexikanischen Bewegungen?

Die Erklärung von Cochabamba hat in der mexikanischen Zivilgesellschaft einen großen Widerhall gefunden, auch weil die Erklärung – jenseits von diplomatischen Kompromissen, die man eingehen muss bei den internationalen Klimaverhandlungen – doch sehr deutlich ausgesprochen hat, worum es geht. Nur ein Beispiel: Das 1,5-Prozent-Ziel, dass die Emissionen um nicht mehr als 1,5 Prozent ansteigen dürfen.

In Kopenhagen wurde ja nur das zwei Prozent Ziel definiert, wobei nicht einmal klar ist, ob dieses Ziel zu halten ist, weil es für die Industrieländer drastische Reduktionsmaßnahmen bedeuteten würde. In diesem Sinne, was die Deutlichkeit anbetrifft, ist die Erklärung von Cochabamba ein wichtiger Referenzrahmen für zivilgesellschaftliche Organisationen hier in Mexiko.

Tipp:
Das Interview gibt es auch zum Anhören bei radio onda. Es kann unter der URL http://www.npla.de/de/onda/serien/cancun2010/content/1125 kostenlos angehört oder heruntergeladen werden.

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