In der Hand der Bus-Mafia

Von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 03. Januar 2017, taz).- Es dauert nicht lange, bis der 415er Bus angerauscht kommt. Zielsicher bremst er direkt vor den ausgestreckten Armen der Wartenden, die vom Ipanema-Strand ins Stadtzentrum oder weiter bis in den Stadtteil Tijuca fahren wollen. Die Strecke verläuft parallel zur U-Bahn, die seit Mitte dieses Jahres auch den schicken Stadtteil Ipanema erreicht und zwischen Atlantik und der Lagune in Richtung des Olympiaviertels Barra da Tijuca verkehrt. Doch die Metro ist teurer und viele Menschen scheuen die längeren Fußwege zur Station, da ist ihnen egal, wenn der Bus etwas langsamer ist.

Statt der Busnummer und dem Fahrtziel leuchtet vorne auf dem Band der Werbespruch „Noch ein neuer Bus mit Aircondition“. Drinnen ist es angenehm kühl gegenüber den sommerlichen 35 Grad draußen. Ein Luxus, denn eigentlich ist längst vergessen, dass alle Buslinien bereits zur Fußball-WM 2014 per Gesetz verpflichtet wurden, nur noch klimatisierte Fahrzeuge einzusetzen. Zweieinhalb Jahre später liegt die Quote bei nicht einmal 50 Prozent. Die privaten Busunternehmer gelten als Mafia mit großem politischem Einfluss, mit der es keine Stadtregierung aufnimmt.

Jüngste Sparmaßnahme: In fast allen Bussen wird auf den Kassierer verzichtet, sodass jetzt der Fahrer das Geld von den Passagieren nimmt, die keine Abo-Karte haben. Der Fahrstil wird dadurch noch waghalsiger, denn aufgrund des ständigen Zeitdrucks fährt der Bus immer bereits an, während noch Leute einsteigen. Und bis das Wechselgeld gezählt und ausgegeben ist, ist der Bus schon zwei Ampeln weiter gekurvt.

Immerhin gibt es seit einigen Jahren Busspuren. Die Hälfte der vierspurigen Hauptstraße im Stadtteil Copacabana darf nur von Bussen und Taxis mit Fahrgästen befahren werden. Für die gut vier Kilometer bis zum Tunnel am Ende des Strands braucht der Bus am Nachmittag knapp 30 Minuten – früher waren es deutlich mehr.

Busse haben die Schiene verdrängt

Die Fahrt ist langweilig. Stopp and go entlang der endlosen verschmutzten Hochhausfassaden aus den 1950er- und 1960er Jahren. Voll ist es nicht, keiner der 23 Passagiere muss stehen. Das gibt es nur hier in der edlen Südzone, wo eher zu viele Busse den Verkehr verstopfen. In den ärmeren Außenbezirken fahren sie seltener und sind meist überfüllt, obwohl sie hier am dringendsten gebraucht werden.

Der öffentliche Nahverkehr in Brasilien lässt zu wünschen übrig. Die Verkehrsplanung priorisiert den Autoverkehr, von dem ein Großteil der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Busse haben die Schiene überall fast vollständig verdrängt. Erst jetzt wird in Rio de Janeiro wieder eine erste Straßenbahn eingeweiht – teilweise in denselben Straßen, in denen frühere Gleise längst überasphaltiert wurden.

Die Preise werden regelmäßig erhöht

Jede einzelne Busfahrt kostet umgerechnet etwas mehr als einen Euro. Außer bei bestimmten Umsteigeverbindungen muss bei jedem Verkehrsmittelwechsel neu bezahlt werden. Die Preise werden periodisch erhöht, im Schnitt immer weit über der Inflationsrate. Eine Goldgrube für die Busunternehmer. Die Politik winkt die Fahrpreiserhöhungen regelmäßig durch, obwohl Kritiker*innen immer wieder vorrechnen, dass sie unangemessen sind – zumal der Service eher schlechter als besser wird.

Mitte 2013 war der Unmut darüber Ausgangspunkt einer landesweiten Protestwelle gewesen, die ganz Brasilien erschütterte. Doch die Mobilisierung für bessere öffentliche Dienstleistungen angesichts von Millionenausgaben für Sportevents nach Fifa-Maßstab wurde zur Keimzelle einer rechten Bewegung gegen die amtierende Linksregierung.

Fahrradfahren ist keine Alternative

2016 übernahm eine rechtsliberale Koalition und setzt seitdem auf Sparpolitik. Mitte Dezember fror der Kongress die Höhe der staatlichen Ausgaben für die nächsten 20 Jahre ein. Die „Bewegung für den Nulltarif“, die 2013 Furore machte, hat sich längst von diesen Folgen ihres Protests distanziert und versucht mit anderen Organisationen, zu analysieren, wieso es zu diesem Bumerang-Effekt kam.

Nach einem endlosen Stau im Stadtzentrum zuckelt der Bus Richtung Tijuca in die Nähe des Maracanã-Stadiums. Vier Passagiere hätten in einem Taxi nur wenig mehr gezahlt – und ein Drittel der Fahrzeit gebraucht. Mit Uber, der in Rio legalen und von den Taxistas vehement und teilweise mit gewaltsamen Übergriffen bekämpften Konkurrenz, wäre es sogar billiger gewesen.

Trotz Werbekampagnen der Stadt ist das Fahrrad kaum eine Alternative. Abgesehen von der Hitze sind die Verkehrsteilnehmer*innen rücksichtslos, die viel beworbenen Fahrradwege sind entweder zugeparkt oder enden abrupt an hohen Bordsteinkanten. So bleibt nur die Hoffnung auf neue U- und Straßenbahnlinien. Doch Rio ist nach WM und Olympia pleite.

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