Immer mehr Menschen „verschwinden“

von Tatiana Félix

(Fortaleza, 21. Juni 2011, adital).- Das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen ist als Staatsverbrechen anzusehen, da es aus Verfolgungen, außergerichtlichen Hinrichtungen und Bedrohungen resultiert. Nach Ansicht von zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die Verschwundenen für den Staat einfach “unsichtbar”, womit die Straflosigkeit weiter fortbesteht.

Im Rahmen der Internationalen Woche gegen das Verschwindenlassen von Menschen in Kolumbien diskutierten Menschenrechtsorganisationen und Angehörige der Verschwundenen über das schwerwiegende Problem. Die Zahl der vermissten Personen übersteigt bereits jene aus den Diktaturen Chiles und Argentiniens. Allein in den letzten drei Jahren verschwanden in Kolumbien mehr als 38.200 Menschen.

Kolumbien unter Ländern mit höchster Zahl an Verschwundenen

Am 23. Mai, während einer in Bogotá zu dem Thema stattfindenden Konferenz, äußerte sich der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Christian Salazar zum Thema. Er erklärte, das Verschwindenlassen von Menschen sei eines der “schwersten Menschenrechtsverbrechen” und Kolumbien sei “eines der Länder mit der höchsten Zahl an Verschwundenen weltweit.”

Salazar argumentierte dabei, ein Großteil der Delikte sei auf “staatliche Akteure und mit ihnen kooperierende paramilitärische Kräfte” zurückzuführen. “Seit Jahrzehnten”, fügte er hinzu, “werden Angehörige der Sicherheitskräfte für eine Vielzahl von schwersten Verbrechen verantworlich gemacht, darunter außergerichtliche Exekutionen, die in vielen Fällen mit dem gewaltsamen Verschwindenlassen im Zusammenhang stehen.”

Verpflichtungen im Kampf gegen Straflosigkeit nicht umgesetzt

Der UN-Menschenrechtsvertreter beklagte ferner, dass Verpflichtungen zu Fortschritten im Kampf gegen die Straflosigkeit von Seiten der Exekutive und der Sicherheitskräfte noch immer nicht umgesetzt worden seien. In diesem Zusammenhang erinnerte der Hochkommissar auch an die Ratifizierung des Statuts von Rom 2000. Mit der Unterzeichnung des Abkommens stimmte Kolumbien einer Bestrafung der Fälle von Verschwindenlassen offiziell zu. 2002 wurde anlässlich des Statuts der Internationale Strafgerichtshof CPI (Corte Penal Internacional) gegründet, der jedoch erst im November 2009 – erstmalig – volle Anwendung fand. 2005 unterschrieb Kolumbien die Interamerikanische Konvention über das Verschwindenlassen.

Salazar zufolge verschwanden in den letzten 30 Jahren in Kolumbien mehr als 57.200 Menschen, von denen nur 15.600 auf Verschwundenenlisten auftauchten. Der Hochkommissar betonte, dass die Generalstaatsanwaltschaft wahrscheinlich sogar über mehr als 26.500 Fälle von Verschwundenen informiert worden sei. Landesweite Spitzenreiter bei den Verschwundenenzahlen sind Medellín und Villavicencio.

Schon mehr als 100.000 Verschwundene

Allerdings divergieren die Zahlen über die registrierten Fälle zwischen Nichtregierungsorganisationen und der Regierung. Im Januar 2011 veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft einen Bericht, der unter anderem 173.183 Morde und 34.467 gewaltsam Verschwundene zwischen Juni 2005 und Dezember 2010 dokumentiert. Die Organisation Medicina Legal geht hingegen von polizeilicher und paramilitärischer Beteiligung bei Hinrichtungen aus. In ihrem Bericht listet sie mehr als 38.000 Verschwundene allein zwischen 2007 und 2009 auf.

Übereinstimmend mit diesem Bericht und den Daten der Generalstaatsanwaltschaft verschwinden in Kolumbien jährlich nahezu 13.000 Menschen, als Resultat des Einsatzes von Polizei und Paramilitärs. Die Daten belegen einen jährlichen Anstieg der Verschwundenenzahlen. Man schätzt, dass 2007 4.323 Menschen im Land verschwanden. 2008 stieg die Zahl weiter auf 15.696 Fälle und 2009 wurden sogar 18.236 Verschwundene registriert. Vertreter*innen verschiedener NGOs gehen davon aus, dass zurzeit die Marke von 100.000 verschwundenen Kolumbianer*innen überschritten wird.

 

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