Im Schatten von Ayotzinapa – Permanentes Völkertribunal Kapitel Mexiko fällt sein Urteil über mexikanischen Staat und internationale Mittäter

von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt

(Berlin, 14. Dezember 2014, npl).- Die Jury des Permanenten Völkertribunals (TPP), Kapitel Mexiko, hat ihr Urteil getroffen. Sie stellte am 15. November die Fehlleitung und den Machtmissbrauch der vorrangigen Funktionen des mexikanischen Staates fest. Dieser habe sich zum Organisator und Vollstrecker von Raub und Enteignungen, der Zerstörung der mexikanischen Produktionsstruktur sowie der Anwendung von Massakern und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen gemacht.

 

Zügelloser Freihandel, Wirtschaftsinteressen und Missachtung der Menschenrechte

Das Tribunal, zu dem auch der deutsche Politikwissenschaftler Elmar Altvater gehörte, wies transnationalen Unternehmen, Drittstaaten (vor allem die USA und Kanada) und internationalen Institutionen (Weltbank, Welthandelsorganisation, Internationaler Währungsfonds) eine Mitverantwortung zu. Wie erwartet, verweigerte sich die vorab über die Schlussaudienz informierte mexikanische Regierung der Chance, sich vor dem Tribunal zu verteidigen.

Das bisher nur auf Spanisch vorliegende Urteil (im Internet unter http://www.tppmexico.org/sentencia-de-la-audiencia-final-del-capitulo-mexico-del-tpp/ abrufbar) umfasst fast 100 Seiten. Es seziert mit historischen Rückbezügen teilweise brillant die derzeitige Lage Mexikos. Dabei wird wiederholt der direkte Zusammenhang von zügellosem Freihandel und skrupellosen Wirtschaftsinteressen mit der desaströsen Situation der Menschenrechte und dem zerbröckelnden sozialen Zusammenhalt der mexikanischen Gesellschaft dargestellt.

TPP gibt 28 Empfehlungen

Das Urteil endet mit 28 Empfehlungen, die bei der Schlussaudienz vom mexikanischen Bischof Raúl Vera verlesen wurden. Würden sie befolgt, käme dies einer Neugründung Mexikos gleich – momentan nicht das wahrscheinlichste Szenarium.

Nach den Empfehlungen nimmt das Dokument dennoch die optimistischen letzten Sätze einer Rede auf, die der Journalist Luis Hernández Navarro vor der Jury und dem Publikum – darunter als eingeladene internationale Beobachterin die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel – hielt (1) : „Dieses Permanente Völkertribunal, Kapitel Mexiko, ist gleichzeitig Zeuge und Geburtshelfer dieser neuen Realität. Sie, dort oben, haben die Uhr. Sie [die Jury] und wir, hier unten, haben die Zeit.“

„Im Schatten von Ayotzinapa“

Die gesamte Schlussaudienz stand im Zeichen der Vorfälle von Ayotzinapa. Die kurzen am zweiten Audienztag gehaltenen Ansprachen eines Kommilitonen sowie eines der Familienangehörigen der 43 verschwundenen Studenten gehörten zu den bewegendsten Momenten der mehrtägigen Veranstaltung.

Die Jury trug dem Rechnung, indem sie ihr Urteil kurzfristig mit dem Vorspann „Im Schatten von Ayotzinapa“ einleitete. Darin heißt es unter anderem: „All das, was mit so viel Einsatz während der dreijährigen Arbeit des Tribunals dokumentiert wurde, kondensierte sich in Iguala in wenigen Stunden der Barbarei. In diesem Reich der Straffreiheit, das Mexiko heute ist, gibt es Morde ohne Mörder, Folter ohne Folterer, sexuelle Gewalt ohne Vergewaltiger – eine Situation der permanenten Umgehung der Verantwortung.“

(1) Die gesamte Rede von Hernández und die in fünf Blöcken auf der Audienz vorgebrachten Anklagen sind als Videos auf der Webseite www.tppmexico.org abrufbar.

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