Gewalt gegen Frauen nimmt weiter zu – Justiz bearbeitet Fälle nur schleppend

von Mercedes Alonso

(Lima, 17. Februar 2015, semlac).- Die Nachricht erschien auf den Titelseiten der wichtigsten Printmedien und in allen digitalen Informationsdiensten: „Frau erstattete 20 Strafanzeigen und überlebte wie durch ein Wunder den Angriff ihres Verfolgers“. In ihrer Ausgabe vom 11. Februar nannte die ältesten Tageszeitung des Landes Listín Diario den Vorfall einen Skandal und beschrieb, wie es Albaneris Silverio gelang, ihr Leben zu retten, nachdem ihr Expartner Juan Carlos Martínez sie in einem Zimmer eingesperrt und das Haus angezündet hatte.

Silverios Mutter erklärte, ihre Tochter habe Martínez wegen zahlreicher körperlicher Übergriffe und Morddrohungen bereits mindestens 20 Mal angezeigt. Der Aggressor habe jedoch viele der Haftbefehle und Annäherungsverbote niemals erhalten, da Silverio ihm die Unterlagen persönlich hätte überbringen müssen, sie fürchtete aber, genau bei dieser Gelegenheit Opfer der Gewalt des Expartners zu werden.

Unmittelbar vor der Tat hatte Albaneris Silverio ihm den letzten Haftbefehl durch eine dritte Person zukommen lassen. Darüber war Martínez so in Wut geraten, dass er sie einschloss, einen Gasbehälter öffnete, in drei Häusern Benzin verteilte und diese anschließend in Brand setzte, darunter auch sein eigenes Haus in der Straße 3 des Bezirks Los Salados in Santiago de los Caballeros, der zweitgrößten Stadt der Dominikanischen Republik.

Die Frau konnte gerettet werden und steht seither unter dem Schutz der Abteilung Geschlechtlich motivierte und innerfamiliäre Gewalt. Trotz der Schutzmaßnahmen und der psychologischen Betreuung lebt die Frau nach Aussagen der Mutter aber weiterhin in großer Angst, da der Täter weiterhin auf freiem Fuß ist und als flüchtig gilt.

Die Staatsanwaltschaft habe außerdem mitgeteilt, dass nun aufgrund der Aussagen des Opfers keine Haftbefehle mehr ausgestellt würden, sondern dass sich nun die Staatsanwaltschaft selbst einschalten und darum kümmern werde, dass Martínez zur Rechenschaft gezogen wird.

Keine leichte Prozedur

Wenn eine Frau eine körperliche Misshandlung zur Anzeige bringen will, steht ihr eine Prozedur bevor, die auf die Opfer von Gewalt außerordentlich entmutigend wirkt. Aus unterschiedlichen Gründen schaffen es viele Frauen nicht, jeden einzelnen dieser Schritte zu durchlaufen, bis sie endlich Unterstützung erhalten: Die Fahrt zu den Behörden kostet Geld, die Kinder müssen bei Freund*innen oder Familienangehörigen untergebracht werden. Berufstätige Frauen müssen eine Freistellung vom Arbeitsplatz erbitten, um bei den Behörden vorstellig werden zu können.

Sozialwissenschaftler*innen sind überzeugt, dass das Zuhause sich zum gefährlichsten Aufenthalt für Frauen entwickelt hat. Das gleiche gilt für Kinder: Auch sie werden Opfer von Misshandlungen, sexuellen Übergriffen und Inzest. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft werden die meisten Frauen in ihren eigenen vier Wänden ermordet, einige sogar im Beisein der Kinder.

Sergia Galván, Leiterin der feministischen Organisation Colectiva Mujer y Salud (Kollektiv Frau und Gesundheit), erklärte, die Einrichtungen zur Unterstützung von Frauen, die Opfer gewalttätiger Übergriffe wurden, seien „hoffnungslos überlaufen: Wir reden hier von 80.000 Anzeigen, die jedes Jahr bearbeitet werden müssen, und dabei haben wir gerade Mal 17 Abteilungen.“

Gegenüber SEMlac erklärte Galván, für den Femizid liege bis heute keine rechtliche Definition vor, da die Gesetzgeber sich geweigert hatten, eine solche in die Reform des Strafgesetzbuchs aufzunehmen, und das erschwere die Strafverfolgung ungemein.

Bei den Abteilungen Geschlechtlich motivierte und Innerfamiliäre Gewalt der Staatsanwaltschaft gingen im Jahr 2012 landesweit 65.709 Anzeigen ein, im darauf folgenden Jahr sank diese Zahl auf 52.791 Anzeigen.

Gleichzeitig sei im selben Zeitraum jedoch auch in 65.625 Fällen persönlicher Schutz angefordert worden, letztere Anfragen überstiegen die Gesamtzahl der gestellten Anzeigen also um fast 13.000 Fälle. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres wurden mehr als 67.000 Anzeigen gezählt, also bei weitem mehr als im gesamten Vorjahr.

Aggressoren rechtzeitig festsetzen…

Gloria Peralta, Frauenministerin und nationale Koordinatorin der Frauenhäuser, räumte ein, die Zahl der ermordeten und misshandelten Frauen spreche tatsächlich dafür, dass das Angebot an Zufluchtsmöglichkeiten dringend erweitert werden müsse, derzeit gebe es nur zwei Frauenhäuser im gesamten Land, es sei jedoch wünschenswert, mindestens eine solche Einrichtung in jeder Provinz anbieten zu können.

Gegenüber SEMlac erklärte Peralta: „Wenn Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei mit der Verhaftung der Täter schneller wären, gäbe es weniger Opfer, und die Überlebenden müssten nur einen oder zwei Tage in dem Haus untergebracht werden. Bisher hat es uns viel Energie gekostet, das zu erreichen.“

Die Familien der Überlebenden seien die wichtigste Stütze der Opfer. „In vielen Fällen werden die Vorfälle nicht zeitnah untersucht, oder es wird kein Haftbefehl ausgestellt. Das lässt viele Frauen verzweifeln und um ihr Leben fürchten…“

Die Dominikanische Republik gehört zu den Ländern mit der höchsten Gewaltrate in dieser Region. Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik CEPAL hat eine vergleichende Studie veröffentlicht, die sich mit Femiziden in zwölf lateinamerikanischen Ländern plus Spanien und Portugal beschäftigt. Laut den Daten aus dem vergangenen Jahr befindet sich das Land auf Platz drei: die Durchschnittsrate liegt bei 0,69 Morden pro 100.00 Einwohner*innen.

Die Frauen, die in den letzten vier Jahren ermordet wurden, sind überwiegend Jugendliche, das heißt, Frauen im gebärfähigen und im arbeitsfähigen Alter. Laut Staatsanwaltschaft waren 108 Mordopfer (13,58 Prozent) Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren. Dreihundertzweiundsiebzig Personen (55,73 Prozent) waren zwischen 20 und 39 Jahre alt.

„Etwa 200 Frauen werden jedes Jahr Opfer von geschlechtlich motivierter Gewalt. Das macht etwa genauso viele Männer, die jedes Jahr zu Haftstrafen verurteilt werden, dazu kommen auf jeden Mordfall noch zwei bis drei direkt betroffene Personen. Das heißt, jedes Jahr steigt die Zahl der Menschen, die aufgrund der Gewalttaten ihr Leben lang mit Traumata zu tun haben werden, um weitere 1.500 Menschen“, erklärte Galván.

Eine Studie aus dem Jahr 2013 zeigt, wie sich die Gewalt gegen Frauen in den Jahren seit 2007 entwickelt hat. Demnach erklärten 66 Prozent der befragten Frauen, sie hätten häufig Angst, ihr Partner könnte ihnen gegenüber gewalttätig werden. Allein diese Zahl macht deutlich, dass physische Gewalt eine wesentliche Rolle im Leben von Frauen spielt.

Noch ungelöst

Bisher existiert keine umfassende Datenerhebung zum Femizid, der von offizieller Seite auch gern als „nationale Tragödie“ betitelt wird. Das Informationsdefizit zählt zweifellos zu den Faktoren, die eine wirkungsvolle Veränderung der derzeitigen Situation blockieren. Die Zahl der Opfer ist bereits alarmierend hoch, dennoch wird viel zu wenig unternommen, um wirksame Mechanismen in Gang zu setzen um Gewalt gegen Frauen zu verhindern. Deshalb spitzt sich die Situation weiter zu.

Es sei höchste Zeit für „Präventionskampagnen, politische Aktionen und wirksame Programme“, so Galván. „Besonders bei den Männern, aber auch in der Gesellschaft insgesamt muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass die Würde und das Leben von Frauen respektiert werden müssen, damit sich in allen Bereichen eine größere Sensibilität gegenüber dem Thema Femizid entwickeln kann.“

Eine deutliche gesellschaftliche Positionierung erfolgt durch Aktivistinnen, Feministinnen und Fachleute, die eine besser koordinierte Zusammenarbeit der Ministerien für Gesundheit, Bildung, Kultur und Arbeit mit dem Frauenministerium fordern und sich außerdem für die Integration von Krankenhäusern aussprechen, denn immerhin sind dies die Institutionen, die als erste Kenntnis von Gewalt und Misshandlungen haben.

Neben einem Projekt zur Gewaltprävention wurde innerhalb des Kongresses eine Initiative für einen Gesetzesentwurf zur Garantie der sexuellen und reproduktiven Gesundheit gestartet, der die Integration verschiedener staatlicher Institutionen vorsieht. Das Gesetz soll außerdem für den Schutz der Frau vor Missbrauch, Diskriminierung und erniedrigender Behandlung im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte eintreten. Jugendlichen und jungen Erwachsenen soll außerdem der Zugang zu Informationen über Verhütungsmethoden in einem diskreten und menschenwürdigen Umfeld ermöglicht werden.

Das geplante Strafgesetz soll die verschiedenen Dimensionen und Ausdrucksformen der geschlechtlich motivierten Gewalt umfassen. Der Gesetzesentwurf liegt gemeinsam mit einer Studie des Parlaments vor, die am 25. Februar 2014 von der Abgeordneten Magda Rodríguez eingereicht wurde und derzeit auch von der Senatskommission für Familien- und Geschlechterfragen geprüft wird – wenn auch mit Abweichungen.

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