Gegenwind für Peña Nieto – Aufgebrachte Jugend mobilisiert über das Netz

von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt

(Berlin, 31. Mai 2012, npl).- Nichts schien Enrique Peña Nieto, Präsidentschaftskandidat der Revolutionären Institutionellen Partei PRI (Partido Revolucionario Institucional) und Geschöpf des Medienmultis Televisa aufhalten zu können. In allen Umfragen liegt er vorn. Seine Partei strebt nach zwölf Jahren Abstinenz mit der Wahl am 1. Juli die Rückkehr an die Macht an, die sie bis 2000 mehr als 70 Jahre lang autoritär inne hatte.

Doch seit seinem „schwarzen Freitag“ am 11. Mai werden Peña Nieto und seine Wahlkampfstrategen zunehmend nervös. Dem Kandidaten schlägt in sozialen Netzwerken und auf öffentlichen Plätzen unter jungen Leuten eine unerwartete immer breitere Ablehnung entgegen, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen sind.

#YoSoy132

Ausgerechnet an der privaten von Jesuiten geführten Iberoamerikanischen Universität in Mexiko-Stadt wurde Peña Nieto am 11. Mai von einem Großteil der Studenten gnadenlos ausgebuht. In Anspielung auf die von ihm als Gouverneur verantwortete und in der „Ibero“ verteidigte brutale Repression gegen Demonstrant*innen des Dorfes Salvador de Atenco in 2006 musste er sich anhören, wie die Student*innen „Mörder, Mörder“ schrien.

Das alles hätte wahrscheinlich für sich keine größere Außenwirkung erzielt, wenn Peña Nieto und seine Partei nicht versucht hätten, die Protestierenden als von außen eingeschleuste Provokateur*innen hinzustellen. Der Fernsehsender Televisa brachte es sogar fertig, seinen Abendbeitrag so zu bearbeiten, dass der Auftritt Peña Nieto nur jubelnde Student*innen zeigte. 131 Student*innen stellten daraufhin umgehend ein Video in YouTube ein, in dem sie ihre Uni-Ausweise hochhalten. Das Video wurde innerhalb kürzester Zeit ein Renner im Netz. Über Twitter und Facebook organisierte sich die Bewegung „#YoSoy132“ (etwa: Ich bin die Nummer 132).

Für das Recht auf freie Information

Den meisten Zuspruch gibt es in Mexiko-Stadt, in der die PRI seit 15 Jahren keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt. Doch inzwischen koordinieren sich im ganzen Land die Student*innen privater und öffentlicher Universitäten. Allgemein scheint eine Jugend aufgewacht zu sein, die zuletzt immer als apathisch und politisch weitgehend uninteressiert dargestellt wurde. Fast jeden Tag gibt es größere und kleinere Proteste gegen Peña Nieto und für das Recht auf freie Information. Neben dem Kandidaten und Televisa ist auch der Medienkonzern Tv Azteca Zielscheibe geworden. In der Hauptstadt kamen allein am 19. Mai etwa 40.000 junge Leute zusammen.

In anderen Bundesstaaten variiert die Zahl zwischen mehreren hundert und mehreren tausend. Während die jungen PRI-Gegner*innen anfangs verbal bedroht und in drei Bundesstaaten sogar von PRI-Anhänger*innen verprügelt wurden, ist ihr Kandidat nun in der Defensive. Peña Nieto spricht auf einmal von Toleranz und dem Recht auf andere Meinungen. Selbst die hinter ihm stehenden Fernseh- und Radiosender lassen nun junge Kritiker*innen zu Wort kommen, ein Akt der Schadensbegrenzung. Aber mit ihrer Glaubwürdigkeit ist es trotz des plötzlich übergezogenen Schafpelzes nicht weit her.

„Mexikanischer Frühling“ in der UNAM

Am 30. Mai kamen auf dem Gelände der Autonomen Nationaluniversität Mexikos UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México) mehrere tausend Student*innen von öffentlichen und privaten Unis aus der Hauptstadt und dem ganzen Land zusammen. In einer Marathonversammlung brachten sie ihre verschiedenen Positionen und Vorschläge ein. Es herrschte eine ausgelassene und fast festliche Stimmung, die sich von den oft verbissenen und sektiererischen Diskussionen früherer Jahre auf dem Campus deutlich unterschied.

Für eine solche Toleranz und Koordination zwischen Student*innen öffentlicher und privater Hochschulen gibt es in Mexiko keinen Präzedenzfall. Griffig wird inzwischen vom „mexikanischen Frühling“ gesprochen. Das ist vielleicht etwas ungenau und allzu voreilig.

Auswirkung an den Wahlurnen ungewiss

Die spannende Frage: Werden die überraschenden Mobilisierungen der vergangenen Wochen noch entscheidenden Einfluss auf die Wahlen nehmen? Vierzehn der gut 84 Millionen Wahlberechtigten dürfen am 1. Juli erstmals den Präsidenten wählen und die 18 bis 29-jährigen machen 30 Prozent der Wahlbevölkerung aus. Aber die Wut gegen den Fernsehfavoriten Peña Nieto heißt nicht automatisch Begeisterung für die konservative Regierungskandidatin Josefina Vázquez Mota oder für Andrés Manuel López Obrador, den ein sozialdemokratisch ausgerichtetes Parteienbündnis aufgestellt hat.

Bisher hat die Protestbewegung relativ allergisch gegen Vereinnahmungsversuche aller politischen Parteien reagiert. Am ehesten scheint der 2006 möglicherweise durch Wahlbetrug um das Präsidentenamt gebrachte Kandidat López Obrador von einem Meinungsumschwung zu profitieren. Nach Einschätzung der meisten politischen Beobachter*innen und jüngsten Umfragen hat er Vázquez Mota inzwischen als Alternative zu Peña Nieto abgelöst. Auf jeden Fall haben die Unmutskundgebungen eine neue Qualität in die politische Szenerie eingebracht. Der Sieger der Präsidentschaftswahlen muss auf eine Bevölkerungsgruppe gefasst sein, deren kritisches Potential vor wenigen Wochen noch jeder verneint hätte.

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